50 FORSCHUNG UND TECHNIK Die Atacama-Wüste in Chile hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einem Eldorado der Astronomie entwickelt. Unter harschen Bedingungen betreibt die Europäische Südsternwarte hier zwei Grossteleskope, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Christian Speicher Trostloser dürfte es auch auf dem Mars nicht aussehen. Ausser Geröll und Staub gibt es hier nichts, an dem das Auge Halt finden könnte. Für Pflanzen ist es viel zu trocken. Die einzigen Farbtupfer im eintönigen Braun sind die Abfallreste, die sich links und rechts der schnurgeraden Strasse angesammelt haben und vom Wind grossflächig verteilt werden. Ab und zu taucht am Wegesrand ein mit Graffiti verzierter Felsbrocken auf. Sonst aber gibt es wenig, was auf menschliche Zivilisation schliessen liesse. Auf hoher Warte Unsere Reisegruppe von Journalisten befindet sich im Norden Chiles auf dem Weg von Antofagasta zum Cerro Paranal, einem (einst) 2660 Meter hohen Berg in der Atacama-Wüste. Nach einer zweistündigen Fahrt nähern wir uns endlich dem Ziel unserer Reise. Vor uns erhebt sich der Cerro Paranal, der mit seiner abgesprengten Kuppe einen etwas derangierten Eindruck macht. Umso majestätischer wirken die vier Grossteleskope, die auf dem Plateau thronen. Wüsste man es nicht besser, man könnte sich auf einem Aussenposten der Menschheit wähnen. Die vier Teleskope – jedes mit einem Spiegeldurchmesser von 8,2 Metern – gehören der Europäischen Südsternwarte (ESO). Zusammen mit vier kleineren Hilfsteleskopen bilden sie das Very Large Telescope (VLT), das seit Ende der 1990er Jahre das europäische Flaggschiff der bodengebundenen Astronomie ist. Die Liste der Entdeckungen, die dem VLT zu verdanken sind, ist lang. Zu den Highlights gehört das erste Bild eines extrasolaren Planeten. Mit dem VLT wurde auch der bisher älteste Stern in der Milchstrasse gefunden und der definitive Beweis erbracht, dass sich im Zentrum unserer Galaxie ein massereiches Schwarzes Loch verbirgt. Lässt man den Blick vom Cerro Paranal in die Ferne schweifen, fragt man sich, warum die ESO ausgerechnet hier – fernab von Strom, Wasser und anderen Annehmlichkeiten des Lebens – ein Teleskop dieses Kalibers baute. Ein fast das ganze Jahr über wolkenloser Himmel und eine geringe Lichtverschmutzung, das seien die wichtigsten Anforderungen für den Standort gewesen, erklärt uns Andreas Kaufer, der Direktor des Paranal-Observatoriums. Man habe damals Standorte in Chile, Australien und Südafrika evaluiert. Aber nirgendwo seien die Beobachtungsbedingungen so gut wie hier. Die europäischen Astronomen sind nicht die Einzigen, die es in die Atacama-Wüste zieht. Auch andere Länder verfolgen hier astronomische Projekte. Der Grund dafür ist die aussergewöhnliche Lage. Gegen Osten bilden die Anden ein fast unüberwindliches Hindernis für Regenwolken, die aus dem Amazonasbecken heranziehen. Im Westen sorgt der kalte Humboldtstrom dafür, dass die vom Pazifik kommenden Wolken abregnen, bevor sie die Küste erreichen. Beides zusammen macht die Gegend um Antofagasta zum wahrscheinlich trockensten Ort der Erde. Im Jahresdurchschnitt werden hier nur wenige Millimeter Niederschlag gemessen. Die Luftfeuchtigkeit liegt unter 10 Prozent. Das sind Bedingungen, wie Astronomen sie mögen – und noch mehr mögen sie, dass sie in vielen Fällen nicht einmal mehr vor Ort sein müssen, um von diesen exquisiten Beobachtungsbedingungen profitieren zu können. Astronomie als Dienstleistung Die Zeiten, in denen Astronomen nächtelang vor ihrem Teleskop sassen und Fotoplatte um Fotoplatte belichteten, sind nämlich längst vorbei. Zwar gibt es an den heutigen Grossteleskopen immer noch den sogenannten Visitor Mode, bei dem die Astronomen selbst anreisen, um die wissenschaftlichen Instrumente zu justieren und den richtigen Zeitpunkt für eine Beobachtung festzulegen. Der Visitor Mode wird jedoch mehr und mehr vom sogenannten Service Mode zurückgedrängt. Die Astronomen definieren hier zwar vorab das Objekt und die Bedingungen, unter denen es beobachtet werden soll. Die langen Nachtschichten delegieren sie jedoch an andere. Das ist am Very Large Telescope nicht anders. Hier werden 60 bis 70 Prozent der Beobachtungen im Service Mode durchgeführt. Dafür steht eine 180-köpfige Mannschaft aus Astronomen, Ingenieuren und Technikern bereit, die den Betrieb der vier Teleskope im Schichtbetrieb sicherstellt. Einer der festangestellten Astronomen ist Valentin Ivanov, den wir nachmittags bei einem Rundgang auf dem Gelände des Neuö Zürcör Zäitung Large Telescope antreffen. Stolz erzählt Ivanov, dass er nun bereits seit 12 Jahren als Service-Mitarbeiter für die ESO tätig ist. So lange hielten es nicht viele aus. Typischerweise wechselten die festangestellten Astronomen nach vier bis fünf Jahren auf einen Posten, der es ihnen erlaube, der eigenen Forschung nachzugehen. Denn dafür bleibe hier oben kaum Zeit, bedauert Ivanov. Inzwischen ist es in der AtacamaWüste Abend geworden. Mit dem Sonnenuntergang ist endlich der Moment gekommen, die Kuppeln der vier Grossteleskope zu öffnen. Wie von Geisterhand gleiten die Schiebetüren zur Seite und geben den Blick auf den Himmel frei, an dem sich zaghaft die ersten Sterne abzeichnen. Im Kontrollraum des Very Large Telescope treffen wir Ivanov wieder. Zusammen mit Arbeitskollegen sitzt er vor einer Armada von Computern und steuert den Ablauf der Messungen. Im Moment besteht seine Aufgabe darin, mit einem der Instrumente die Rotverschiebung einer Galaxie zu messen, um daraus ihre Entfernung zu bestimmen. Warum es ausgerechnet diese Galaxie ist, weiss Ivanov nicht. Mit etwas Glück wird er es vielleicht Monate oder Jahre später erfahren, wenn die entsprechenden Forschungsergebnisse publiziert werden. Das seien schöne Momente, wenn man das Resultat seiner Arbeit an einer Konferenz oder in einer Publikation zu sehen bekomme. Ein paar Tische weiter sitzt Fernando Selman, ein Kollege von Ivanov. Mit den Beobachtungsbedingungen am heutigen Abend ist er gar nicht zufrieden. Die Luft sei zu unruhig. Das beeinträchtige die Qualität der Beobachtungen, bemängelt er. Zwar ist jedes der vier Teleskope mit einer adaptiven Optik ausgestattet, die es erlaubt, Bildfehler auf raffinierte Weise zu korrigieren. Sind die Störungen aber zu gross, hilft auch das nicht weiter. Abschreiben müsse man die Nacht deshalb aber nicht, sagt Selman. Nicht jede Beobachtung setze ideale Bedingungen voraus. In der langen Liste der anstehenden Aufgaben gebe es immer welche, die sich auch bei weniger guten Verhältnissen erledigen liessen. Den Rest der Nacht werden Ivanov und Selman damit verbringen, auf ihren Monitoren Zahlenkolonnen und Kurven zu verfolgen, die nur der Eingeweihte versteht. Fast bedauert man die beiden, dass sie nur in gefilterter Form mitbekommen, welch grossartiges Schauspiel sich über ihren Köpfen abspielt. Die Milchstrasse ist zum Greifen nah. Auch die Kleine und die Grosse Magellansche Wolke, zwei Nachbar- Mittwoch, 31. Juli 2013 ^ Nr. 175 Die auf 5000 Metern gelegene Chajnantor-Hochebene bietet viel Platz für die 66 Radioantennen Auf Tuchfühlung Eine Reise durch die Atacama-Wüste .................................................................................................................................................................................................................................................................. Mit einem Teleskop der Superlative in die Zukunft Spe. ^ Nachdem die ESO mit anderen Organisationen das Alma-Teleskop gebaut hat, geht sie bereits mit dem nächsten Grossprojekt schwanger: dem European Extremely Large Telescope (E-ELT). Der Anspruch ist unmissverständlich. Mit einem Spiegeldurchmesser von 39 Metern soll das Teleskop zum «weltgrössten Auge auf den Kosmos» werden, wenn es in etwa zehn Jahren den Betrieb aufnimmt. Der Hang zum Superlativ hat seinen Preis. Der Bau des Teleskops wird die ESO voraussichtlich mehr als eine Milliarde Euro Kosten. Wie das VLT ist auch das E-ELT ein Teleskop für sichtbares Licht und Infra- rotlicht. Dank seinem riesigen Spiegel wird es 15-mal mehr Licht sammeln als heutige Grossteleskope und 16-mal schärfer sehen als das Hubble-Weltraumteleskop. Davon verspricht man sich bahnbrechende Erkenntnisse. So möchte man mit dem Teleskop zum Beispiel nach erdähnlichen Planeten suchen und mehr über jene Epoche kurz nach dem Urknall erfahren, als im Universum die ersten Sterne und Galaxien entstanden. Auch der dunklen Materie und der dunklen Energie möchte man mit dem Teleskop auf den Grund gehen. Im Prinzip ist der Bau des Teleskops beschlossene Sache. Fast alle Mitglied- staaten der ESO, darunter auch die Schweiz, haben zugesagt, in den nächsten Jahren zusätzliche Geldmittel zur Verfügung zu stellen. Trotzdem gibt es noch einen letzten Stolperstein, und der heisst Brasilien. Das Land hat schon seit längerem angekündigt, der ESO beitreten zu wollen. Für die Nutzung der Teleskope und der bestehenden Infrastruktur müsste das Land einen Obolus entrichten, der bereits fest für den Bau des Extremely Large Telescope eingeplant ist. Momentan fehlt aber noch die Zustimmung des brasilianischen Parlaments. Bleibt diese aus, müsste die ESO andere Geldquellen erschliessen. Die optischen Teleskope der ESO im Grössenvergleich Angaben in Metern 150 140 130 120 110 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 European Extremely Large Telescope (E-ELT) QUELLE: ESO Very Large Telescope (VLT) Cheops-Pyramide NZZ-INFOGRAFIK / tcf. Das Very Large Telescope aus der Vogelperspektive. Neben den vier Grossteleskopen sind auch Neuö Zürcör Zäitung Mittwoch, 31. Juli 2013 ^ Nr. 175 FORSCHUNG UND TECHNIK 51 galaxien der Milchstrasse, sind deutlich zu erkennen. Inmitten der Milchstrasse springen vier helle Sterne ins Auge. Unsere Begleiterin Laura Ventura erklärt uns, dass es sich dabei um das Kreuz des Südens handelt, das bereits den Seefahrern des 16. Jahrhunderts als Orientierungshilfe diente. Laura macht uns auch auf den «Kohlensack» aufmerksam, einen tiefschwarzen Fleck in unmittelbarer Nachbarschaft des Sternbildes. Fast scheint es, als sei der Milchstrasse hier die Lust vergangen, Sterne zu produzieren. Die Erklärung ist jedoch profaner. Bei dem Fleck handelt es sich um eine sogenannte Dunkelwolke. Solche Wolken bestehen aus kalten Gasen und Staub und haben die Eigenschaft, das Licht dahinter liegender Sterne zu verschlucken. Deshalb erscheinen sie dunkel. Obwohl Dunkelwolken unspektakulär aussehen, stecken sie voller Überraschungen. Davon kann Nicolas Peretto ein Lied singen. Erst vor wenigen Wochen lieferte der Forscher von der Cardiff University handfeste Belege dafür, dass in einer Dunkelwolke in der Milchstrasse, die 11 000 Lichtjahre entfernt ist, gerade ein Monsterstern am Entstehen ist. Schon jetzt hat sich im Zentrum der Wolke Gas mit der Masse von 500 Sonnen zusammengeballt – und immer noch strömt weiteres nach. Peretto und seine Mitarbeiter gehen davon aus, dass sich in diesem Kokon aus Gas in den nächsten 100 000 Jahren ein Stern bilden wird, der 50- bis 100-mal so massereich wie die Sonne ist. Unsichtbares wird sichtbar des Alma-Teleskops. Die Berge im Hintergrund sind Vulkane. CLEM & ADRI BACRI-NORMIER / ESO mit dem Kosmos zu zwei Teleskopen der Extraklasse zwei der kleineren Hilfsteleskope zu erkennen, die sich auf Schienen bewegen lassen. ESO / G. HÜDEPOHL Mit dem Very Large Telescope hätte Peretto allerdings nichts davon mitbekommen. Denn auch mit den besten optischen Teleskopen kann man nicht in die lichtundurchlässigen Dunkelwolken hineinsehen. Für seine Beobachtung nutzte Peretto deshalb das Atacama Large Millimeter/submillimeter Array (Alma), ein 1,5 Milliarden Dollar teures Radioteleskop, das die ESO gemeinsam mit Partnern aus Amerika und Asien in der Atacama-Wüste gebaut hat. Mit seinen 66 untereinander verbundenen Radioantennen gilt Alma als das bis anhin grösste (und teuerste) Projekt der bodengebundenen Astronomie. Alma operiert im Spektralbereich zwischen Infrarot- und Radiostrahlung. Deshalb kann es Dinge sehen, für die das VLT blind ist – etwa die Sternentstehung in Dunkelwolken. Peretto war einer der ersten Astronomen, die von den Vorzügen dieses aussergewöhnlichen Teleskops profitieren konnten. Offiziell wurde Alma zwar erst diesen Frühling eingeweiht. Die ersten Untersuchungen hatten aber schon im September 2011 begonnen. Der Andrang auf das neue Radioteleskop sei riesig gewesen, erinnert sich Peretto. Obwohl damals erst ein Viertel der Antennen zur Verfügung gestanden habe, seien für den ersten Beobachtungszyklus über 1000 Anträge eingegangen. Davon seien lediglich 100 berücksichtigt worden. Peretto gehörte zu den Auserwählten. Bereits am ersten Tag stand die Beobachtung der Dunkelwolke auf dem Programm. Zu diesem Zeitpunkt habe er das Alma-Teleskop noch nicht aus eigener Anschauung gekannt, sagt Peretto. Zu Gesicht bekommen habe er es erst Monate später, als er eine Konferenz in Chile besucht habe. Ein grosses Handicap sei das aber nicht gewesen. Um das Alma-Teleskop nutzen zu können, müsse man es nicht in allen seinen Details kennen. Bei der Formulierung des Antrags und der Vorbereitung der Beobachtung sei er von regionalen AlmaZentren unterstützt worden. Den Rest der Arbeit hätten die speziell geschulten Operateure und Astronomen vor Ort erledigt. Vor Ort heisst im Falle von Alma allerdings nicht wirklich vor Ort. Zwischen dem Operation-Center und dem auf 5000 Meter stehenden Teleskop liegen 2100 Höhenmeter und eine knapp einstündige Autofahrt. Die Höhe ist ein Tribut an die Millimeter- und Submillimeter-Strahlung, bei der Alma operiert. Da diese Strahlung relativ stark vom Wasserdampf in der Atmosphäre absorbiert wird, wurde der Standort so gewählt, dass ein möglichst grosser Teil der Atmosphäre unter einem liegt. Die Milchstrasse, aufgenommen vom Cerro Paranal. Inmitten des hellen Bandes ist deutlich der «Kohlensack» zu erkennen, eine Dunkelwolke aus Staub und Gas. ESO Was gut für das Teleskop ist, ist allerdings nicht unbedingt gut für den Menschen. Bevor unsere Reisegruppe Alma besuchen kann, müssen wir einen medizinischen Test über uns ergehen lassen. Zudem müssen wir eine Erklärung unterschreiben, dass wir uns der Risiken bewusst sind, die ein Aufenthalt in dieser Höhe haben kann. Von schwerer Übelkeit ist da die Rede, die sogar zum Tod führen könne. Ganz so schlimm wird es schon nicht kommen, denkt man sich und beherzigt den Tipp der uns begleitenden Krankenschwester, auf dem Weg zum Teleskop viel zu trinken. Auf einer breiten, aber nicht asphaltierten Piste kämpft sich unser Reisebus den Berg hinauf. Bald passieren wir eine halb verfallene Behausung, die einst von Einheimischen aus getrockneten Kakteen gebaut wurde. Inzwischen beginnt sich die Höhe bemerkbar zu machen. Der Sauerstoffgehalt der Luft ist hier oben nur noch halb so hoch wie auf Meeresniveau. Der eine oder andere in unserer Reisegruppe ist deshalb froh über die Sauerstoffflasche, die wir vor Antritt der Fahrt in die Hand gedrückt bekommen haben. Andere vertrauen eher den lokalen Bräuchen und kauen Kokablätter. Angeblich soll das die Sauerstoffaufnahme ins Blut fördern. Arbeiten in dünner Luft Inzwischen sind wir auf der von Vulkanen umsäumten Chajnantor-Hochebene angekommen. Karg ist es auch hier. Die Landschaft ist aber viel abwechslungsreicher als rund um den Cerro Paranal. Die über die Hochebene verstreuten Antennen verleihen der Szenerie fast etwas Surreales. Wir sind froh, dass wir warme Kleidung haben, denn hier oben weht ein kalter Wind. Langsam schleichen wir zwischen den Antennen hin und her. Hier oben arbeiten zu müssen, ist bestimmt kein Vergnügen, denkt man sich. Tatsächlich ist die Belegschaft vor Ort auf ein absolutes Minimum beschränkt. In Schichten erledigen die Techniker jene Arbeiten, die sich nicht aus der Ferne steuern lassen. Dazu gehören etwa die Überwachung und die Wartung des Supercomputers, der die Signale der 66 Antennen sammelt und sie miteinander korreliert. Obwohl die Techniker an die Höhe gewöhnt sind, werden sie über einen dünnen Schlauch in der Nase ständig mit Sauerstoff versorgt. Das sei eine Vorsichtsmassnahme, erklärt man uns. Der Sauerstoffmangel könne nämlich zu Konzentrationsstörungen führen, die man hier oben lieber vermeiden wolle. Denn jeder Fehlgriff könne teure Folgen haben. Die Hauptarbeit wird deshalb in der Operation Support Facility auf 2900 Metern geleistet. Von hier aus wird das Alma-Teleskop nicht nur gesteuert, hier wurden auch die Antennen zusammengebaut, bevor sie aufs Hochplateau verfrachtet wurden. Bei einem Durchmesser von 12 Metern und einem Gewicht von 100 Tonnen ist das eine echte Herausforderung. Der Transport ist Sache von Lore und Otto. So heissen die beiden Ungetüme auf 28 Rädern, die eigens für diese Aufgabe gebaut wurden. 20 Meter lang und 10 Meter breit sind diese fahrenden Kolosse, ihre Höchstgeschwindigkeit liegt bei 20 Kilometern in der Stunde. In beladenem Zustand sind sie halb so schnell. Erst jetzt verstehen wir, warum die zum Teleskop führende Piste so breit ist. Wir verstehen jetzt auch eine Bemerkung, die Lars Lindberg Christensen, der Leiter der Kommunikationsabteilung der ESO, während der Fahrt aufs Chajnantor-Plateau fallengelassen hatte. Mit dem Alma-Teleskop sei man nicht nur in technischer, sondern auch in logistischer Hinsicht an die Grenze des Machbaren gegangen. Dass sich dieser Aufwand gelohnt hat, steht ausser Frage. Obwohl das Alma-Teleskop noch nicht seine volle Leistungsfähigkeit erreicht hat, spielt es bereits jetzt in der Topliga der Teleskope mit. Seit der Inbetriebnahme von Alma ist kaum eine Woche vergangen, in der es nicht für Schlagzeilen gesorgt hat. Für die ESO ist das allerdings kein Grund, die Hände in den Schoss zu legen. Das nächste Megaprojekt ist bereits in Vorbereitung. Und wieder wird es in der Atacama-Wüste stehen, in Sichtweite des Very Large Telescope. Als Standort wurde der Cerro Amazones ausgewählt. Noch steht der 3064 Meter hohe Berg unversehrt in der Landschaft. Doch schon bald wird auch seine Kuppe weggesprengt – um Platz für ein Teleskop zu machen, das nicht nur «very large», sondern «extremely large» sein wird.