Predigtmeditation zu Psalm 118 Liebe Mitchristinnen und Mitchristen, vielleicht haben Sie sich gewundert, dass wir in der Pfingstoktav einen „klassischösterlichen“ Psalm, nämlich Psalm 118, in dieser Andacht betrachten. Ebenso haben Sie als treue Wortgottesdienstbesucher und –besucherinnen vielleicht am heutigen „Pfingstdienstag“ die Andacht über die „Sieben Gaben des Heiligen Geistes“ erwartet. All dessen bin ich mir bewusst. Trotzdem lohnt es sich, sich auf den Psalm 118 einzulassen, da österliche Hoffnung und Geistsendung unmittelbar zusammenhängen und unser Leben als Christinnen und Christen bestimmen, zumindest bestimmen sollten. Nun aber zum Psalm: An allen großen und fröhlichen Festtagen des frühen Judentums, besonders am Paschafest, wurden die Psalmen 113-118 gesungen, die sog. „hallel-“, also „LobpreisPsalmen“. So schließt unser Psalm 118 die Sequenz der Hallel-Psalmen ab. Dieses Lied zeigt ganz klar eine € liturgische Verwendung im Jerusalemer Tempel. Wenn wir in V. 18 hineinhören, so hat Gott wirklich das letzte Wort; er unterzieht den Gläubigen zwar einer harten Prüfung, überlässt ihn aber nicht dem Tod. Wenn der Christ, die Christin den Psalm 118 singt oder betet, spürt er, spürt sie im Innern wohl eine besondere Emotion. Denn man findet in diesem gottesdienstlich geprägten Psalm 2 Sätze, die im Neuen Testament mit neuem Klang erscheinen. Mit dem ersten Satz ist Vers 21 gemeint: „Der Stein, den die Bauleute verwarfen, er ist zum Eckstein geworden“. Diese Worte zitiert Jesus, nachdem er das Gleichnis von den bösen Winzern erzählt hat, und er wendet sie auf seine € Sendung des Todes und der Herrlichkeit an. Christus ist der Eckstein; wer auf ihn vertraut, wird nicht zuschanden. Der zweite Satz, den das Neue Testament aus dem Psalm 118 übernimmt, wird von der Menschmenge beim feierlichen messianischen Einzug Christi in Jerusalem gerufen und ist Vers 26: „Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn!“. Die Akklamation wird durch das vielfache „Hosanna“ eingerahmt. Dieser biblische Hymnus gehört – vom 113. bis zum 118. Psalm – zu der kleinen Psalmensammlung, die als „österliches Hallel“ bezeichnet wird; es handelt sich also um das Psalmenlob, das im jüdischen Gottesdienst für das Paschafest und auch für die Hauptfeste des liturgischen Tempeljahres verwendet wurde. In den Psalmkörper eingebettet ist ein Prozessionsritus, der von Vers 1 eröffnet und von Vers 29 beschlossen wird: „Danket dem Herrn, denn er ist gütig, denn seine Huld währt ewig“. Das Wort „Huld“ übersetzt hier den hebräischen Begriff „hesed“, der die großzügige Treue Gottes zu seinem verbündeten Volk meint. In den Lobpreis dieser Treue werden w i r einbezogen. Das gesamte Volk Israel, das „Haus Aaron“, d.h. die Priester, die Gläubigen, alle, „die den Herrn fürchten und ehren“, die Mitglieder anderer Nationen, die sich zum „Gesetz des Herrn“ bekehrt haben oder bekehren möchten-, all jene sind gemeint, wie uns die Verse 2-4 sagen. Weiter im Szenario: Die Prozession scheint durch die Straßen Jerusalems zu ziehen. Sie begleitet den Helden, dem Gott den Sieg geschenkt hat – Christus. Es wird die harte Prüfung beschrieben, die er überwunden hat und die darauf folgende Verherrlichung. Christus vergleicht sich mit dem „Stein, den die Bauleute verwarfen“ und der „zum Eckstein geworden“ ist aus Vers 22. Er hat gerade dieses Bild und diesen Vers am Ende des Gleichnisses von den bösen Winzern verwendet, um sein Leiden und seine Verherrlichung anzukündigen. Indem Christus den Psalm 118 auf sich selbst bezieht, öffnet er den Weg zum christlichen Verständnis dieses Liedes der Zuversicht und des Dankes an den Herrn wegen seiner liebevollen Treue, die besonders in den Versen 1,2,3,4 und 29 aufscheint. Der Verfasser des Psalms benutzt eindrucksvolle und lebhafte € Bilder: Bienenschwarm oder Flammenwand, die sich ausbreitet und alles zu Asche macht – so Vers 12. Der Gerechte aber wird vom Herrn unterstützt: Drei Mal wird wiederholt: „...ich wehre sie ab im Namen des Herrn“ (Verse 10,11,12). Die „starke Rechte des Herrn“ schützt die Gerechten. Die Freude über den Sieg über das Böse führt in Vers 14 zu einem prägnanten € Glaubensbekenntnis: „Meine Stärke und mein Lied ist der Herr; er ist für mich zum Retter geworden“. Laut Vers 19 scheint die Prozession dann bei den „Toren zur Gerechtigkeit“, d.h. bei der heiligen Pforte des Tempels angekommen zu sein. Nachdem man eingetreten ist, wird die Stimme zu einer Dankhymne an den Herrn erhoben. Ein priesterlicher € Segen kommt dann auf die Gläubigen herab. Die letzte Szene besteht aus einem freudigen Ritus heiliger Tänze, begleitet vom feierlichen Schwingen der Zweige, wie es uns Vers 27 beschreibt. Die € Liturgie ist Freude, feierliche Begegnung, Ausdruck des gesamten Daseins, das den Herrn lobt. Der gleiche Ritus, von dem im Psalm die Rede ist, bietet sich dem Christen beim € Einzug Jesu in Jerusalem, der in der Palmsonntagsliturgie gefeiert wird. Christus wird als „Sohn Davids“ gepriesen. In jener freudigen Stunde, die aber auch das Leiden und den Tod Jesu einleitet, verwirklicht sich und wird verständlich der volle Sinn des Symbols des „Ecksteins“, das damit in und durch Christus eine glorreiche und österliche Bedeutung erhält. Was bewirkt, was hinterlässt der Psalm 118 in Ihnen, in mir, in uns? Die Antwort wird für jeden sicherlich ein wenig anders ausfallen. Wir alle hören, beten und singen den Psalm aber mit den „Ohren des Glaubens“ und den „Augen des Herzens“. Unter dieser Prämisse ermutigt der Psalm 118 uns Christen, im € Osterereignis den Tag zu erkennen, „...den der Herr gemacht hat“ – so Vers 24 – und an dem „...der Stein, den die Bauleute verworfen haben, zum Eckstein geworden ist“ – so Vers 22. Mit dem Psalmvers 14 können auch wir daher voll Dankbarkeit singen: „Meine Stärke und mein Lied ist der Herr; er ist für mich zum Retter geworden“ und mit dem Vers 24: „Dies ist der Tag, den der Herr gemacht hat; wir wollen jubeln und uns an ihm freuen“. Das Wissen um die Huld des Herrn, die uns auch durch Zeiten der Prüfung trägt und hält, erfüllt uns mit € Hoffnung und Zuversicht, die uns kein Mensch nehmen kann. Daher jubeln wir heute wie der alttestamentliche Beter damals in Vers 1: „Danket dem Herrn, denn er ist gütig“. Alle, die an Christus glauben, sehen in seinem Gesicht die uns zugewandte Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes und stimmen daher gerne und aus vollem Herzen in den Lobpreis des Psalms 118 ein. Ich wünsche uns allen, dass der Lobpreis Gottes bei uns nie verstummt und die Freude des Glaubens nie vergeht. Denn Gott ist ja die Liebe und in seiner Liebe zu uns Menschen treu, was auch kommen mag. Wenn wir seine Liebe nicht mehr zu spüren glauben, dann liegt es nicht an ihm, sondern an uns. So können wir ab heute das Psalmlied mit neuem Verständnis und neuem Schwung singen: „Nun saget Dank und lobt den Herren, denn groß ist seine Freundlichkeit, und seine Gnad und Güte währen von Ewigkeit zu Ewigkeit. Du, Gottes Volk, sollst es verkünden: Groß ist des Herrn Barmherzigkeit; er will sich selbst mit uns verbünden und wird uns tragen durch die Zeit...Nun saget Dank und lobt den Herren, denn groß ist seine Freundlichkeit, und seine Gnad und Güte währen von Ewigkeit zu Ewigkeit“. A m e n . 2