Neue Empfehlungen der EEK - Geburtsvorbereitungs

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Ausgabe 2/2016
Medizinische Fachinformation
Neues aus der Wissenschaft
für Sie zusammengefasst
In dieser Ausgabe:
Ernährung in den
ersten 1000 Tagen
Neue
Empfehlungen der
Eidgenössischen
Ernährungskommission EEK
Langfristige
Programmierung
Pränatale Versorgung
Stillen und
Säuglingsnahrung
Allergieprävention
Beikost
Übergang zum
Familientisch
Die ersten 1000 Tage
Editorial
Frühe Ernährung –
langfristige Folgen
Liebe Leser,
Die Bedeutung der Ernährung in den
ersten 1000 Tagen für die langfristige
Gesundheit wird immer deutlicher.
Zahlreiche Forschungen und Studien
zeigen, dass die Zeit von der Konzep­
tion bis zum Ende des 2. Lebensjahres
sich nicht nur auf Entwicklung und
Wachstum auswirkt, sondern offenbar
auch Einfluss auf die Gesundheit im
Erwachsenenalter haben kann.
So erweisen sich etwa erhöhtes
Geburts­
gewicht oder schnelle Ge­
wichtszunahme in den ersten Lebens­
monaten als Risikofaktoren für spä­
teres Übergewicht und die damit
verbundenen Herz- oder Stoffwechsel­
erkrankungen. Doch auch der BMI der
Mutter oder die Gewichtszunahme
in der Schwanger­
schaft spielen eine
Rolle, so das Resultat neuerer Studien.
Die Eidgenössische Ernährungskom­
mission EEK hat nun erstmals die
Ergebnisse und Empfehlungen zur Er­
nährung in den ersten 1000 Tagen zu­
sammengestellt. Namhafte Experten
bieten eine Übersicht zum aktuel­
len Forschungsstand speziell zur
Situation in den deutschsprachigen
Ländern – eine wertvolle Information
für die tägliche Praxis. Auf den fol­
genden Seiten haben wir für Sie die
wesentlichen Aspekte der EEKDar­stellung zusammengefasst.
Die Ernährung während der ersten
Lebensjahre hat einen grossen Einfluss
auf die Gesundheit des Kindes. Immer
deutlicher wird, dass die pränatale und
frühkindliche Versorgung auch lang­
fristige Auswirkungen hat.
Aktuelle Studien und Metaanalysen zeigen,
dass offenbar die Phase von der Zeugung
bis zum Ende des 2. Lebensjahres ein be­
sonders wichtiges Zeitfenster bildet, in der
die Weichen für eine nachhaltige Entwick­
lung von Wachstum und Gesundheit gestellt
werden. Die Optimierung der Ernährung ist
sogar schon vor und während der Schwan­
gerschaft von Bedeutung. In diesem Zeit­
raum der „ersten 1000 Tage“ erfolgt eine
Programmierung, die sowohl Wachstum und
Entwicklung des Kindes beeinflusst als auch
nachhaltigen Einfluss auf bestimmte Ge­
sundheitsrisiken im Erwachsenenalter hat.
Der Bericht der EEK
Bisher fehlte eine allgemeine Übersicht über
die laufende Forschung, die Ergebnisse der
Studien und daraus abgeleitete Empfehlun­
gen für die Praxis. Nicht immer bietet die Da­
tenlage eindeutige Aussagen, vielfach sind
weitere Studien notwendig, doch gibt es zu
wesentlichen Punkten klare Massnahmen
und Verhaltensregeln. Der jetzt veröffentlich­
te Bericht der Eidgenössischen Ernährungs­
kommission EEK präsentiert erstmals eine
umfassende Darstellung zum Forschungs­
stand der „Ernährung in den ersten 1000
Lebenstagen – von pränatal bis zum
3. Geburtstag“ (Titel).
In besonderem Mass gilt das für Übergewicht
und Adipositas sowie die damit verbunde­
nen, sogenannten Zivilisationskrankheiten.
Tatsächlich scheint die Veranlagung für spä­
tere Herzleiden oder Diabetes schon in der
frühen Kindheit angelegt zu werden – so die
aktuellen Forschungsergebnisse. Auch aus
diesem Grund fokussieren sich internationale
Ernährungsstudien zunehmend auf den Zeit­
raum der ersten 1000 Tage und eine mögliche
Prävention langfristiger Fehlentwicklungen.
Der Bericht der Expertenkommission enthält
eine detaillierte Analyse zur aktuellen wis­
senschaftlichen Diskussion und beleuchtet
die verschiedenen Stufen der Ernährung in
der Entwicklung des Kleinkindes. Die optima­
le Versorgung des Säuglings und Kleinkindes
bis zum 3. Lebensjahr, aber auch die Ernäh­
rungssituation der Mutter von der präkonzep­
tionellen Ausgangslage bis zur Stillzeit bilden
den Schwerpunkt dieser Zusammenfassung.
Die Darstellung beschränkt sich nicht auf die
Schweiz, sie ist ebenso für die Gesundheits­
experten in Deutschland und Österreich von
Interesse.
Schwangerschaft
Perinatal
Ich wünsche eine informative und
anregende Lektüre
Dr. med. Mike Poßner
Medical Director Europe
Nestlé Nutrition Institute
NNI News 1/2016
3
Ernährung – Chance und Gefahr
Die Phase der ersten 1000 Tage hat gene­
rell für die Entwicklung des Kindes eine be­
sondere Bedeutung. In diesem kritischen
Zeitfenster wächst der kindliche Organismus
in hohem Tempo und die Organsysteme
durchlaufen wichtige Differenzierungs- und
Entwicklungsprozesse. Während dieser präund postnatalen Zeit bis zum 3. Lebensjahr
ist der menschliche Organismus noch sehr
formbar und anpassungsfähig, aber auch
sehr verletzlich. Sowohl durch einen Man­
gel an wichtigen Nährstoffen als auch durch
die exzessive Zufuhr bestimmter Nähr- und
Schadstoffe kann er dauerhaft beeinflusst
werden. Andererseits besteht aber die Mög­
lichkeit, durch gezielte Intervention in dieser
Periode die funktionalen Fähigkeiten des Kör­
pers zu verbessern und so auch Antworten
zu schaffen auf neu entstandene gesundheit­
liche Herausforderungen.
Denn gerade in diesen 1000 Tagen erfolgt
offenkundig eine Programmierung des Orga­
nismus. Das heisst, epigenetische Faktoren
können jetzt die Entwicklung nachhaltig be­
einflussen – sowohl positive wie negativ.
DNA-Molekül. Im Gegensatz dazu werden
die Veränderungen des Phänotyps durch
epigenetische Modifikationen aufgrund von
Umwelteinflüssen verursacht, z.B. durch
Methylierung. Nährstoffe und bioaktive
Bestandteile in der Nahrung können die Ex­
pression bestimmter Gene beeinflussen,
aktivieren oder deaktivieren – und das, ohne
dabei die DNA-Sequenz zu verändern.
Neben genetischen Vorbedingungen und dem
Einfluss aus der Umwelt, durch die Ernährung
oder bestimmte Schadstoffe spielen epigene­
tische Faktoren eine wichtige Rolle für die
langfristige gesundheitliche Entwicklung.
Genetik
Epigenetik
tis bei Kindern mit genetischer Neigung
zu Allergien darstellen. Die Langzeit­
untersuchung der Kinder hat ergeben,
dass dieser Allergieschutz langfristig an­
hält. Es erfolgte also eine Programmierung.
Die wichtigsten Einflussfaktoren
Einige Ernährungsaspekte haben
sich als relevant für die ersten 1000
Tage und die langfristige gesunde
Entwicklung erwiesen. Auf sie wird
im Folgenden eingegangen:
Präkonzeptioneller BMI der
Schwangeren
Methylierung
SNPMutationen
Histone
Veränderung
Phänotypus
Gesunde Ernährung in der
Schwangerschaft
Allergene in der Schwangerschaft
Geburtsgewicht
Stillen und Stilldauer
Toxine
Ernährung
Medikamente
Proteingehalt von Säuglingsnahrung
Supplementierung mit langkettigen Fettsäuren (LC-PUFA)
Pro- und Präbiotika
Bedeutung der Epigenetik
Die Epigenetik erklärt, wie die Genexpres­
sion ohne eine Veränderung der zugrunde
liegenden DNA-Sequenz reguliert werden
kann. Genetische Mutationen entstehen
durch Variationen in der DNA-Sequenz,
d. h. in der Nukleotid-Abfolge in einem
Umwelt
Ein Beispiel dafür ist die Wirkung geprüfter
hypoallergener Säuglingsnahrung, wenn
Kinder mit erhöhtem Allergierisiko nicht ge­
stillt werden können. Die GINI-Studie hat
bekanntlich gezeigt, dass die ersten sechs
Lebensmonate das kritische Zeitfenster für
die Ernährungsprävention der Neurodermi­
Allergieprävention
Beikosteinführung und
-zusammensetzung
Übergang zur Erwachsenenernährung
Eidgenössische Ernährungskommission:
Ernährung in den ersten 1000 Lebenstagen – von pränatal bis zum 3. Geburtstag.
Expertenbericht der EEK. Zürich: Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen, 2015. Verabschiedet von der
EEK am 05. März 2015.
http://www.blv.admin.ch/themen/04679/
05108/05869/index.html
Erstes Lebensjahr
Älter als 1 Jahr
Interview
„Dieser Bericht soll die Basis für
einheitliche Empfehlungen bilden”
Gespräch mit Prof. Josef Laimbacher,
Ostschweizer Kinderspital, St. Gallen und Vorsitzender der Arbeitsgruppe
?
­!
Herr Dr. Laimbacher, die Empfehlungen der EEK bieten
erstmals eine Zusammenfassung aller Einflussfaktoren
der Ernährung in den ersten 1000 Tagen. Wie kam es zu
diesem wichtigen Projekt?
Die Ausgangslage für den Expertenbericht „Die Ernährung
während den ersten 1000 Lebenstagen – von pränatal bis zum
3. Geburtstag“ ist die zunehmende Evidenz, dass die Ernährung
und die Stoffwechsellage der schwangeren Frau sowie des Säug­
lings und des Kleinkindes grossen Einfluss auf die Physiologie,
das Wachstum, die Gesundheit und die Leistungsfähigkeit
haben. In der Vergangenheit ist es nicht gelungen, dass zum
Thema Ernährung während der Schwangerschaft, der Still­
zeit und in den ersten Lebensjahren flächendeckend für die
Schweiz eine einheitliche Strategie und von allen Akteuren
unterstützte Empfehlungen erarbeitet werden konnten. Der
vorliegende „State-of-the-Art-Bericht“ soll die Basis für ein­
heitliche Empfehlungen bilden.
?
!­
Diskutiert wird zurzeit die Frage der Dauer des ausschliess­
lichen Stillens. Hier weicht – nicht nur in der Schweiz –
die Realität deutlich von den WHO Empfehlungen ab?
Es geht hier vor allem um den Zeitpunkt der Beikosteinführung.
Hier folgen wir den Empfehlungen der ESPGHAN, in denen
darauf hingewiesen wird, dass bei der Festlegung des Zeit­
punktes die Ernährungsbedürfnisse und der Entwicklungs­
stand des Säuglings berücksichtigt werden sollen. Es wird je­
doch festgehalten, dass die Beikost erst nach dem vollendeten
4. Lebensmonat (17. Lebenswoche) und spätestens mit Beginn
des 7. Lebensmonats (26. Lebenswoche) eingeführt werden
soll.
Die ersten 1000 Tage
haben einen wesentlichen Einfluss
für die langfristige gesundheitliche
Entwicklung. Die Ernährung spielt
dabei eine Schlüsselrolle.
?
!­
Gerade die ersten 1000 Tage – von der Konzeption bis zum
Ende des 2. Lebensjahres – haben einen wesentlichen
Einfluss für die langfristige gesundheitliche Entwicklung?
Diese sensible Phase in der kindlichen Entwicklung hat grosse
Bedeutung für das spätere Leben, das bestätigen mittlerweile
zahlreiche Studien und Meta-Analysen. Dies betrifft sowohl
die Gesundheit als Kind als auch für den Erwachsenen bis
ins hohe Alter. Im Fokus stehen dabei die nichtübertragbaren
Krank­
heiten. Ätiologisch werden diese durch die genetische
Disposition, die pränatale Prägung und den Lebensstil beein­
flusst. Die Ernährung spielt dabei eine Schlüsselrolle.
?
!­
Die neuen Empfehlungen gehen aber über die 1000
Tage hinaus. Erstmals wird auch das präkonzeptionelle
Gewicht der werdenden Mutter berücksichtigt?
Aktuelle Studien haben deutlich gemacht, dass dieser Faktor
tatsächlich einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die
kindliche Entwicklung hat. Das Risiko eines erhöhten Ge­
burtsgewichts, mit den entsprechenden Folgen, hängt offen­
bar mit dem BMI der Mutter zu Beginn der Schwangerschaft
zusammen. Ein weiterer Punkt ist die Gewichtsentwicklung
der Schwangeren.
NNI News 1/2016
?
­!
Besonders zur Ernährung des nicht gestillten Säuglings
gibt es in den EEK Empfehlungen dezidierte Aussagen.
Ist hier nicht eine verstärkte Beratung notwendig?
Speziell was alternative Nahrung betrifft?
In der Schweizer Bevölkerung findet sich ein wachsendes
Interesse an alternativen Ernährungsformen. Die Selbsther­
stellung von Säuglingsanfangsnahrung ist aber – sowohl er­
nährungsphysiologisch als auch hygienisch – grundsätzlich
ab­
zulehnen. Vegetabile Milchnahrungen für Säuglinge, z.B.
Reis- oder Mandeldrinks oder einfache Sojadrinks, weisen viel­
fältige Nährstoffdefizite auf. Mangelhafte biologische Wertig­
keit der Proteine, ein Energiedefizit bei fehlendem Fettzusatz,
Mangel an Mineralstoffen, Spurenelementen und Vitaminen
können zu Wachstumsstörungen und teilweise irreparablen
Mangelerscheinungen führen.
5
?
­!
Ein grosses Thema in den Empfehlungen ist die Präventi­
on von Übergewicht und Adipositas. Hier kommt der er­
höhten postnatalen Proteingabe zentrale Bedeutung zu.
Führt das zu neuen Empfehlungen für die Zusammenset­
zung von Säuglingsnahrung?
Grosse internationale Studien haben ja gezeigt, dass die Ver­
wendung von Säuglingsnahrungen, deren Proteingehalt niedri­
ger ist als zurzeit vorgeschrieben, eine ausreichende Eiweiss­
versorgung bietet und zugleich das Risiko eines späteren
Übergewichts verringern kann. Vorausgesetzt natürlich, die
Proteinqualität stimmt. Dies ist eine heute allgemein anerkann­
te Massnahme zur frühzeitigen Reduzierung späteren Überge­
wichts und wird auch von der EEK empfohlen.
?
!­
Wichtige Änderungen gibt es auch bei der Allergie­
prävention?
Im Mittelpunkt steht die Frage, strikte Allergen-Vermeidung
oder Toleranzentwicklung durch eine frühe Sensibilisierung.
Nach neuesten Untersuchungen spricht heute viel für die zwei­
te Lösung. So gehen auch die Empfehlungen der EEK dahin,
potentiell allergene Nahrungsmittel auch bei einem bestehen­
den Allergierisiko nicht später einzuführen.
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!­
Zur Prävention bei einem Allergierisiko wird das ausschliess­
liche Stillen, wie bereits erwähnt, empfohlen. Falls Stillen nicht
oder nur teilweise möglich ist, wird für Risikokinder der Einsatz
von HA-Nahrungen mit dokumentierten Daten in den ersten Le­
bensmonaten empfohlen.
Werden die Ergebnisse der EEK-Empfehlungen jetzt auch
in entsprechenden Massnahmen der Gesundheitsbehör­
den umgesetzt?
Wir sind sehr zuversichtlich, dass die genannten Argumente,
Empfehlungen und Massnahmen in künftigen Gesetzen und
Verordnungen, aber auch in konkreten Beratungen für die täg­
liche Praxis Niederschlag finden. Eine positive Resonanz aus
den Nachbarländern freut uns natürlich auch.
Die Eidgenössische Ernährungskommission EEK
Die Eidgenössische Ernährungskommission ist
eine ausserparlamentarische Kommission mit
beratender Funktion. Sie erarbeitet zu Händen
des Bundesrates und des Bundesamtes für
Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV)
wissenschaftlich fundierte Stellungnahmen und
Expertenberichte im Gebiet der Ernährung bzw.
über deren Einfluss auf die Gesundheit. Sie unterstützt die Bundesverwaltung als Milizorgan und stellt Fachwissen aus
verschiedenen Gebieten der Ernährung zur Verfügung.
Im November 2015 wurden 15 Personen als Mitglieder in die EEK gewählt. Unter den Mitgliedern der Kommission sind unter
anderem Vertreter aus Bildung und Forschung in der Ernährungs- und Lebensmittelwissenschaft, der Ernährungsmedizin,
der Lebensmittelindustrie und des -handels, den kantonalen Vollzugsbehörden sowie Konsumentenorganisationen.
Pränatale Einflüsse
Ernährung in Schwangerschaft
und Stillzeit
Empfohlen wird deshalb bei einem BMI > 30 vor der Empfängnis eine
5- bis 10-prozentige Gewichtsabnahme. Diese bietet der werden­
den Mutter gesundheitliche Vorteile und reduziert das spätere Über­
gewichtsrisiko für das Kind.
1: Mütterliche Adipositas
Mütterliche Adipositas
Glukose, Fettsäuren, Insulin, Leptin, Inflammation
Entwicklungsbiologische Plastizität
Fetales Wachstum, Adiposität
Kindliche Adipositas
Koletzko B. et al.: Ann Nutr Metab 2014
Intrauterine Einflüsse
Das Leben beginnt vor der Geburt. Schon die Ernährung in der
Schwangerschaft hat nachhaltige Auswirkungen auf die Entwicklung, auf Wachstum und Gewichtszunahme des Kindes.
Die Einflüsse beginnen sogar schon vor der Zeugung, das haben
verschiedene Studien bewiesen.
Präkonzeptionelles Gewicht
Ein normaler BMI (18,5–24,9 kg/m²) bietet gute Voraussetzungen
für Fertilität und Schwangerschaftsverlauf. Dagegen können bei
einem BMI von 30 kg/m² oder darüber verschiedene Komplikationen
auftreten. So besteht ein erhöhtes Risiko für Aborte, für Präeklamp­
sie, Gestationsdiabetes und Thromboembolien. Auch ist die Kaiser­
schnitt-Rate höher und es gibt häufiger Stillschwierigkeiten als bei
Normalgewichtigen.
Mit zunehmendem mütterlichem BMI steigt auch das Risiko
für ein hohes Geburtsgewicht des Neugeborenen (Abb. 1).
Und die Analyse der Daten von über 640.000 Personen bestätigt
einen direkten Zusammenhang von hohem Geburtsgewicht und spä­
terem Übergewichtsrisiko.
NNI News 1/2016
Bekannt ist, dass die Ernährung in der Schwangerschaft und in den
ersten Lebensmonaten einen prägenden Einfluss auf die langfristige
Gesundheit des Kindes hat. Die sogenannte Barker-Hypothese geht
davon aus, dass ein Zusammenhang besteht zwischen intrauteriner
Mangelernährung, geringem Geburtsgewicht und nichtübertrag­
baren Erkrankungen im Erwachsenenleben. Doch dieses „fetal
programming“ ist auch bei einer Überversorgung im Mutterleib
nachzuweisen. Übergewicht der Schwangeren und/oder ein unbe­
handelter Diabetes mellitus kann zu fetaler Überernährung und einem
hohen Geburtsgewicht (> 4.000 g) führen. Dieses ist mit einem dop­
pelt so hohen Übergewichtsrisiko im Erwachsenenalter verbunden.
Ernährung in der Schwangerschaft
Während der Schwangerschaft steigt der Bedarf an Nährstoffen und
Energie. Eine ausgewogene Ernährung, körperliche Aktivität und der
Verzicht auf schädliche Faktoren wie Rauchen und Alkohol sind auch
zum Besten des Kindes.
Die wichtigsten Einflussfaktoren:
vielfältige, ausgewogene Ernährung
adäquate Gewichtszunahme
adaptierte Vitamin- und Mineralstoffsupplementierung
Vermeidung von Nahrungsquellen mit gesundheitsgefährdender
Wirkung (z.B. Rohmilch, rohes Fleisch, Innereien mit hoher
Vitamin A-Konzentration)
7
Adäquate Gewichtszunahme
Gemäss der Referenzwerte der D-A-CHOrganisiation für normalgewichtige Schwan­
gere wird im 1. Trimenon keine zusätzliche
Energie benötigt, im 2. Trimenon 250 kcal/d
zusätzlich und im 3. Trimenon 500 kcal. Die
Empfehlungen für eine normale Gewichtszu­
nahme entsprechen den Werten des ameri­
kanischen Institute of Medicine (IOM) und
berücksichtigen auch die optimale kindliche
Entwicklung. (Abb. 2)
Eine Diät in der Schwangerschaft wird
ausdrücklich nicht empfohlen, auch nicht
für übergewichtige bzw. adipöse Frauen.
Denn diese impliziert die Gefahr eines
Mangels an wichtigen Nährstoffen. Interven­
tionsstudien haben aber gezeigt, dass durch
Anleitung für eine abgestimmte Ernährung
und tägliche sportliche Aktivität eine mass­
volle Gewichtsabnahme erzielt werden kann.
Mikronährstoffbedarf
Auch bei einer ausgewogenen Ernährung kann
der Bedarf an Folsäure und Vitamin D sowie bei
vielen Frauen auch an Eisen und Vitamin B12
nicht über das Essen gedeckt werden.
Die Folsäuresubstitution vermindert das
Risiko für einen Neuralrohrdefekt wie Spina
bifida oder Anencephalus und LippenKiefer-Gaumenspalte signifikant. Für Folsäu­
re gilt deshalb bereits perikonzeptionell die
Empfehlung einer Supplementierung von
400 μg Folsäure/d. Eine erhöhte Dosis wird
bei Frauen empfohlen, die schon ein Kind
mit Neuralrohrdefekt geboren haben, bei
Dia­betes mellitus, bei Adipositas sowie bei
Mehrlingsschwangerschaften.
Eisenmangel kann zu Anämie, intrauteriner
Wachstumsrestriktion und zu Neugebore­
nen mit geringem Geburtsgewicht führen.
Die ausreichende Versorgung verbessert das
Geburtsgewicht in einer linearen Dosis-Wir­
kungskurve, doch auch eine Eisenüberladung
birgt Risiken. In der Schweiz wird generell zu
Beginn der Schwangerschaft eine Hämo­
globin- und Ferritinbestimmung empfohlen.
Vitamin D-Mangel ist mit einem erhöhten
Risiko für Gestationsdiabetes, Präeklampsie
und zu geringem Geburtsgewicht assoziiert.
Eine entsprechende Supplementierung in
der Schwangerschaft zeigt positive Wirkung.
2: Gewichtszunahme abhängig vom BMI vor der Schwangerschaft
BMI vor der
Schwangerschaft
(kg/m2)
Empfohlene
Gewichtszunahme
(gesamt in kg)
Empfohlene
Gewichtszunahme
(pro Woche in kg)
18,5–24,9
11,5–16,0
0,4 ab 12. SSW*
Untergewicht
< 18,5
12,5–18,0
0,5 ab 12. SSW*
Übergewicht
25,0–29,9
7,0–11,5
0,3 ab 12. SSW*
≥ 30,0
5,0–9,0
Normalgewicht
Starkes Übergewicht
Zwillinge
15,9–20,4
Drillinge
ca. 22,0
* SSW: Schwangerschaftswoche
Die Gefahr einer ungenügenden Vitamin B12
Versorgung besteht vor allem bei vegetari­
scher oder veganer Ernährung. Dies kann zu
schweren Entwicklungsschäden führen.
LC-PUFA Versorgung
Langkettige Fettsäuren (LC-PUFA = long
chain polyunsaturated fatty acids) sind für die
Gehirnentwicklung des Feten und Säuglings
besonders wichtig. Vor allem die Omega3-Fettsäure Docosahexaensäure (DHA) und
die Omega-6-Fettsäure Arachidonsäure (AA)
müssen über die Nahrung aufgenommen wer­
den, da sie nicht ausreichend gebildet werden
können. LC-PUFA werden im fetalen Fett­
gewebe gespeichert. Sie sind in den ersten
2 Monaten postpartal aufgebraucht, sofern
sie nicht weiter beim Stillen über die mütter­
liche Ernährung oder durch eine angereicherte
Säuglingsmilch zugeführt werden. Fettreicher
Fisch enthält Omega-3-Fettsäuren, zudem lie­
fert er Folsäure und Jod. 1–2 Portionen Fisch
pro Woche in Schwangerschaft und Stillzeit
erfüllen den entsprechenden Bedarf.
Ernährung in der Stillzeit
Wird in den ersten 4 bis 6 Monaten aus­
schliesslich gestillt, ist eine zusätzliche
Energieaufnahme von 500 kcal/d emp­
fohlen, die sich bei teilweise Stillen ent­
sprechend verringern sollte.
2 Liter ungesüsster Getränke täglich sol­
len die über die Muttermilch abgegebene
Flüssigkeit ausgleichen.
Eine Vitaminsupplementierung für die
Mutter während der Stillzeit und für das
Kind im ersten Lebensjahr wird empfohlen.
0,7 ab 12. SSW*
IOM. Institute of Medicine; BMI. Body Mass Index
Für eine Allergievermeidung durch
mütterliche Diät, Ernährungsumstellung
oder Supplemente gibt es keine Evidenz.
Die mögliche Gefahr einer Schadstoff­
belastung der Muttermilch ist in den letzten
Jahren soweit zurückgegangen, dass eine
Verkürzung der Stilldauer nicht mehr ge­
rechtfertigt ist.
Auf einen Blick
Ernährung, BMI und Gewichtsentwicklung der Mutter spielen
für die fetale Programmierung
eine wesentliche Rolle.
Bereits vor der Konzeption ist
ein möglichst normaler BMI
(18,5–24,9 kg/m²) anzustreben.
Keine Diät während Schwangerschaft und Stillzeit, auch nicht
bei Übergewicht.
Kein Alkohol, mässiger Kaffeegenuss und Medikamente nur
nach ärztlicher Rücksprache.
Empfohlen ist eine Supplementierung mit Folsäure, Vitamin D,
evtl. Eisen und Vitamin B12.
1–2 Portionen fettreicher Fisch
pro Woche dienen der Aufnahme
von LC-PUFA.
Keine Ernährungsumstellung der
Mutter zur Allergievermeidung.
Stillen
Vorteile des Stillens
Muttermilch ist die natürliche Ernährung für Neugeborene und
Säuglinge und unterstützt in optimaler Weise deren Wachstum
und Entwicklung. Sie enthält alle notwendigen Nährstoffe, in
der richtigen Konzentration und Qualität.
Die Zusammensetzung der Milch passt sich dem wandelnden Nähr­
stoffbedarf des Säuglings an. So nimmt der Proteingehalt während
der ersten Lebenswochen ab, während Fett-, Laktose- und Energie­
gehalt ansteigen. Ebenso verändert sich die Zusammensetzung wäh­
rend des einzelnen Stillvorgangs. WHO und UNICEF empfehlen des­
halb ausschliessliches Stillen für 6 Monate und Weiterstillen während
des ganzen ersten Lebensjahrs und darüber hinaus.
Stillen hat nicht nur unmittelbar schützende Effekte, sondern
offenbar auch eine programmierende Wirkung für langfristige
Gesundheitsvorteile.
Nährstoffversorgung
Muttermilch enthält nicht nur sämtliche Makro- und Mikronährstoffe
in optimaler Konzentration und Qualität, die der wachsende Organis­
mus benötigt. Sie versorgt auch mit essenziellen Fettsäuren, Enzy­
men, Hormonen, Polyaminen und Wachstumsfaktoren, die weitere
Gesundheitsvorteile für den Säugling bieten.
Eine zu geringe Sonnenexposition, Sonnenschutzmittel und eine
Vitamin D-arme Ernährung sind für die niedrigen Vitamin D-Serum­
konzentrationen europäischer Frauen verantwortlich und damit
auch für einen geringen Vitamin D-Gehalt der Muttermilch. Gestillte
Säuglinge benötigen deshalb im ersten Lebensjahr eine Vitamin DSupplementation.
Auch der Vitamin K-Gehalt der Muttermilch ist oft niedrig, eine
Vitamin K-Supplementation in den ersten Lebenswochen wird des­
halb empfohlen.
Sofern die Stillende mit Jod angereichertes Kochsalz verwendet, ist
die kindliche Jodversorgung ausreichend. Eine zusätzliche Jod- und
Fluorid-Supplementation wird nicht empfohlen.
Kalorien- und proteinangereicherte Nahrungsmittelzusätze können
hier helfen. Für normal ernährte Mütter haben solche Supplemente
jedoch keinen Vorteil.
Gesundheitliche Auswirkungen
Ein wirksamer Infektionsschutz ist der wichtigste Vorteil für gestillte
Kinder.
Ausschliesslich gestillte Säuglinge haben, im Vergleich zu jenen, die
Muttermilchersatznahrungen erhalten, eine geringere Gewichts­
zunahme im 1. Lebensjahr. Dies könnte mit dem verminderten
Risiko gestillter Kindern für späteres Übergewicht und Adipositas
in Zusammenhang stehen. Stillen zeigt ausserdem einen positiven
Effekt auf Blutdruck- und Cholesterinwerte, auf Herz- und Gefäss­
stofferkrankungen sowie Typ 2 Diabetes.
Ebenso geben Studien Hinweise darauf, dass für gestillte Kinder ein
geringeres Risiko für Typ 1 Diabetes, chronisch-entzündliche Darmer­
krankungen (Morbus Crohn) und Zöliakie besteht. Der Einfluss auf die
Entwicklung von Allergien wird noch kontrovers diskutiert.
Auf einen Blick
Stillen unterstützt in optimaler Weise Wachstum und
Entwicklung des Säuglings.
Der Nährstoffgehalt der Muttermilch passt sich ideal der
kindlichen Entwicklung an
Empfohlen wird ausschliessliches Stillen über 6 Monate.
Die Beikost sollte zwischen der 17. und 26. Lebenswoche
eingeführt werden, da dann Muttermilch den Bedarf des
Säuglings nicht mehr ausreichend decken kann.
Empfohlen wird, nach der Beikosteinführung so lange
weiter zu stillen wie Mutter und Kind dies möchten.
Der geringe Eisenbedarf von gesunden termingeborenen Säuglingen
in den ersten sechs Lebensmonaten kann durch die Muttermilch
gedeckt werden. Ab dem 7. Lebensmonat muss der gesamte
inzwischen gewachsene Eisenbedarf durch die Beikost zugeführt
werden.
Ausschliessliches Stillen über mindestens 6 Monate schützt
vor verschiedenen ernährungsbedingten Erkrankungen.
Mütterliche Ernährung
Es gibt Anhaltspunkte für einen schützenden Effekt von
ausschliesslichem Stillen, oder von Stillen kombiniert
mit hydrolysierter, klinisch getesteter Säuglingsnahrung,
in den ersten vier Lebensmonaten, für die Entwicklung
von atopischer Dermatitis bei Kindern mit hohem Allergierisiko.
Für die Zusammensetzung und den Gehalt der Milch spielt die
mütterliche Ernährung eine bedeutende Rolle. Dies ist besonders zu beachten, wenn die Mutter einer restriktiven Diät folgt.
Das Verhältnis von Proteinen, Fetten und Kohlehydraten in der Milch
unterernährter Mütter ist vergleichbar mit der von normal ernährten
Müttern; die Milchmenge ist jedoch deutlich kleiner.
NNI News 1/2016
Stillen kann zu einem verringerten Risiko für späteres
Übergewicht oder Adipositas des Kindes beitragen.
Säuglingsnahrung
9
Säuglingsnahrungen
Stillen ist die natürliche Ernährungsform des Säuglings.
Wenn nicht oder nicht vollständig gestillt wird, sind industriell hergestellte Säuglingsnahrungen als Muttermilchersatz­
produkt für die Ernährung von gesunden Säuglingen (< 12
Monate) die einzige Alternative.
In der Schweiz sind Zusammensetzung, Kennzeichnung und Marketing
von Säuglingsnahrung durch die „Verordnung des Eidgenössischen
Departements des Innern (EDI) über Speziallebensmittel“ vom 23. No­
vember 2005 geregelt. Diese Verordnung wird regelmässig aktualisiert,
zuletzt am 4. Februar 2014. Dabei unterscheidet das EDI, wie auch die
EU, zwischen Säuglingsanfangsnahrung und Folgenahrung.
Eine Selbstherstellung von Säuglingsanfangsnahrung ist grundsätz­
lich abzulehnen, sowohl aus ernährungsphysiologischen als auch
hygienischen Gründen.
Protein-Qualität und -Quantität
Neue Forschungsergebnisse können auf signifikante Verbesserun­
gen für Säuglingsnahrungen hinweisen und zu geänderten wissen­
schaftlichen Empfehlungen führen, bevor diese in nationales Recht
übernommen werden können. Aktuell ist eine derartige Entwicklung
in Hinblick auf den Proteingehalt von Säuglingsnahrungen im Gange.
Die Proteinbioverfügbarkeit moderner Proteinmischungen für Säug­
lingsnahrungen übersteigt die früherer Mischungen. Aktuelle Studien
begründen zudem, dass eine unnötig hohe Proteinzufuhr für Säuglin­
ge später gesundheitliche Nachteile bewirken kann.
Die EEK empfiehlt daher, nicht gestillten Säuglingen ausreichend getestete Säuglingsnahrungen mit geringerem Protein­
gehalt, als es Schweizer- und EU-Empfehlungen derzeit vorschlagen, zu füttern.
Zugabe von LC-PUFA
Muttermilch enthält im Gegensatz zu Kuhmilch langkettige mehr­
fach ungesättigte Fettsäuren (LC-PUFA). Die Zugabe von LC-PUFA
wie Docosahexaensäure (DHA) zu Säuglingsnahrungen scheint sich
günstig auf die Reifung des kindlichen Sehvermögens auszuwirken.
Deshalb sieht der aktuelle Diskussionsentwurf der EFSA für Säug­
lingsanfangs- und Folgenahrungen 500–1200 mg/100 kcal Linolsäure,
50–100 mg/100 kcal α-Linolensäure und 20–50 mg/100 kcal DHA vor.
Prä- und Pro- und Synbiotika
Unter Probiotika versteht man lebende, nicht pathogene Mikroorga­
nismen, die den Darm kolonisieren und gesundheitsfördernde Ef­
fekte bewirken sollen. Als Präbiotika bezeichnet man unverdauliche
Nahrungsbestandteile, meist komplexe Kohlenhydrate, die selektiv
Wachstum und Aktivität bestimmter Mikroorganismen vorwiegend
im Dickdarm fördern und dadurch gesundheitsfördernde Effekte er­
zielen sollen. Synbiotika meint Produkte, die sowohl Präbiotika als
auch Probiotika enthalten.
Trotz zahlreicher Studien, die eine präventive Rolle von Prä- und Pro­
biotika gegen atopisches Ekzem untersucht haben, kann bis heute
keine Empfehlung zu deren Einsatz zur Allergieprävention abgegeben
werden. Dagegen gibt es fundierte wissenschaftliche Beweise für
die Prävention von Diarrhöen. Auf dieser Basis hat die ESPGHAN die
präventive Wirkung bestimmter Probiotikastämme wie z.B. Bifido­
bacterium lactis (B. lactis) oder Lactobazillus Reuteri (L. reuteri) aner­
kannt. Im Einklang mit den derzeitigen internationalen Richtlinien, die
keine Empfehlung für die Einnahme von Nahrungsmittelergänzung
mit Prä- oder Probiotika abgeben, gibt aber auch die Schweiz keine
Empfehlung von Nahrungsmittelergänzungen mit Prä- oder Probiotika
zur Allergieprävention ab.
Auf einen Blick
Industriell hergestellte Säuglingsnahrungen sind die
einzige Alternative, wenn nicht oder nicht vollständig
gestillt wird.
Während den ersten Lebensmonaten soll nur Säuglingsanfangsnahrung gegeben werden. Diese kann jedoch
unbedenklich bis zum Schluss des ersten Lebensjahres
verabreicht werden.
Nicht oder nicht voll gestillte Säuglinge sollten Säuglingsnahrungen mit einem eher niedrigen Eiweissgehalt
erhalten, welcher dem Eiweissgehalt der Muttermilch
angenähert ist.
Eine Zugabe von langkettigen ungesättigten Fettsäuren
(LC-PUFA) wird empfohlen.
Ein Vorteil der Zugabe von Prä-, Pro- und Synbiotika zur
Allergieprävention ist bisher nicht überzeugend belegt.
Kuhmilch und auch andere Tiermilchen weisen einen
sehr hohen Eiweissgehalt auf und sollen im ersten
Lebensjahr nicht als Getränk gegeben werden.
Allergien
Allergieprävention
Allergien gehören zu den häufigsten nichtübertragbaren Erkrankungen und im Kindesalter zu den häufigsten Erkrankungen überhaupt. Rund ein Viertel bis ein Drittel der Bevölkerung
ist davon betroffen.
Verschiedene epidemiologische Studien lassen vermuten, dass ein
zeitlich begrenztes Fenster für eine optimale Prävention in den ersten
Lebensmonaten besteht. Deshalb richten sich präventive Strategien
bevorzugt an schwangere Frauen, Neugeborene und Säuglinge. Eine
Risikogruppe lässt sich durch allergische Erkrankungen bei engen
Verwandten (Geschwister, Eltern) definieren.
Allergenvermeidung der Mutter
Verschiedene epidemiologische Studien haben nachgewiesen, dass
die Vermeidung eines potentiellen Allergens wie Erdnuss oder Kuh­
milch während der Schwangerschaft und Stillzeit die Häufigkeit einer
Allergie des Kindes nicht reduziert.
Stillen/HA-Nahrung
Ausschliessliches Stillen bzw. Stillen kombiniert mit hydrolysierter
Säuglingsmilch könnte das Risiko einer atopischen Dermatitis verrin­
gern. Bei Kindern mit einem erhöhten Allergierisiko wurde mit der GINI
Studie eine Verringerung des Risikos einer atopischen Dermatitis durch
bestimmte HA-Nahrungen nachgewiesen. Aber daraus kann nicht ge­
schlossen werden dass alle HA-Nahrungen dies leisten können. Wich­
tig ist immer der Wirkungsnachweis in einer klinischen Studie.
HA-Nahrung enthält Kuhmilchproteine, die in Peptide zerschnitten
werden. Dabei ist es entscheidend, welche Peptide damit gebil­
det werden, um eine Verminderung der Allergenizität zu erreichen.
Es wird vermutet, dass die richtigen Peptide das Immunsystem
„trainieren“, Kuhmilchproteine zu akzeptieren. Daher die Empfehlung
von hydrolysierter, klinisch getesteter Nahrung zur Allergieprävention
Auflösung Peptidgrösse partiell und extensiv hydrolysiert
Hitzebehandlung
enzyextensiv
hydrolysiert
bis zum Alter von 4–6 Monaten, wenn Stillen nicht möglich ist und ein
hohes Allergierisiko besteht.
Die 10-Jahres-Resultate der deutschen Geburtskohorte (GINI)
zeigenin der „intention-to-treat“-Analyse den präventiven Effekt
einer extensiv hydrolysierten Milch aus Kasein und einer partiell
hydro­lysierten Milch auf Molken-Basis.
Einführung von Beikost
Bisherige Empfehlungen forderten, potentiell allergene Nahrungsmit­
tel erst möglichst spät einzuführen. Trotzdem haben sich spezifische
Nahrungsmittelallergien in den letzten 10 Jahren verdoppelt. Heute
wird deshalb die Toleranzentwicklung durch eine frühe AllergenSensibilisierung empfohlen.
Eine Studie zeigte, wenn ein Säugling Kuhmilchprotein erhält, kann
dies das Risiko für eine spätere Nahrungsmittelallergie erhöhen.
Dies konnte aber in anderen Untersuchungen nicht bestätigt werden.
Die Exposition gegenüber hohen Erdnuss-Mengen scheint vor All­
ergien eher zu schützen. Eine andere Kohortenstudie mit gesunden
Kindern bestätigte den protektiven Effekt von regelmässigem Fisch­
konsum im ersten Lebensjahr.
Bei Kindern, die potentiell Nahrungsmittelallergien entwickeln
könnten, also z.B. bereits ein atopisches Ekzem haben, muss die
Einführung von möglicherweise allergen wirkenden Lebensmitteln
überprüft werden.
Auf einen Blick
Ausschliessliches Stillen in den ersten 4–6 Lebensmonaten, auch zur Allergieprävention.
Für Säuglinge mit Allergierisiko wird, wenn Stillen/
Vollstillen nicht möglich ist, in den ersten 4 Lebens­
monaten ein Hydrolysat mit in klinischen Studien nachgewiesener Sicherheit und Wirksamkeit empfohlen.
Allergenvermeidung während der Schwangerschaft
oder des Stillens geht nicht mit einer primären AllergiePrävention einher.
Eine verzögerte Einführung von potentiell allergenen
Lebensmitteln zur primären Prävention ist nicht not­
wendig.
CMF
NNI News 1/2016
pHF
eHF
Die frühe Einführung verschiedener Lebensmittel kann
eventuell vor späterer allergischer Sensibilisierung
schützen.
Beikost
11
Beikosteinführung
Spätestens nach abgeschlossenem 6.
Lebensmonat können Muttermilch bzw.
Säuglingsanfangsnahrungen den steigenden Nährstoff- und Energiebedarf
nicht mehr decken. Die Einführung der
Beikost ist notwendig.
Diskutiert wird der Zeitpunkt zur Beikost­
einführung. Die ESPGHAN empfiehlt die
Einführung der Beikost nicht vor dem voll­
endeten 4. Lebensmonat (17. Lebenswoche)
und spätestens nach dem 6. Lebensmonat
(26. Woche).
Nährstoff- und Energiebedarf
Im Vergleich zu Erwachsenen ist der Ener­
giebedarf pro kg Körpergewicht bei Säug­
lingen deutlich höher. Damit die benötigte
Energiezufuhr trotz der eingeschränkten
Lebensmittelaufnahmemenge gewährleistet
ist, muss der Fettanteil der Nahrung entspre­
chend hoch sein. Der Fettanteil der Beikost
soll 40% betragen bzw. im Bereich von 35–
45% der Gesamtenergie liegen.
Wichtig ist die ausreichende Zufuhr der
langkettigen essenziellen Fettsäuren Linol­
säure und α-Linolensäure. Sie sind notwen­
dige Vorläufer der LC-PUFA Arachidonsäure
(ARA), Eicosapentaensäure (EPA) und Do­
cosahexaensäure (DHA).
Kohlenhydrate, meist im Getreide, Gemüse
und den Früchten, sollten im Alter von 6–12
Monaten ca. 45–55% des Energiebedarfs
decken.
Proteine
Um den Proteinbedarf sicher zu decken,
empfehlen die D-A-CH-Referenzwerte eine
tägliche Proteinzufuhr von 1,3 g/kg Körper­
gewicht (KG) bei 4–6 Monaten und 1,1 g/kg
KG für 6–12 Monate.
Eine zu hohe Proteinzufuhr im 1. Lebensjahr
ist mit einem erhöhten Risiko einer Adipo­
sitas im späteren Leben verbunden. Schon
der Proteingehalt der Beikost bzw. später der
Familienkost liegt deutlich über den Bedürf­
nissen der meisten Kinder. Falls statt Stillen
eine Säuglingsnahrung gefüttert wird, sollte
deren Proteingehalt einem der Muttermilch
vergleichbaren Nährstoffprofil entsprechen.
Der Proteingehalt einer Folgenahrung sollte
deshalb nicht über 2,5 g/100 kcal liegen, aber
nicht unter 1,65 g/100kcal.
Flüssigkeit
In den ersten 6 Lebensmonaten benötigt
der Säugling keine zusätzliche Flüssigkeit.
Muttermilch bleibt wichtiger Bestandteil der
Nahrung. Ist Stillen nicht mehr möglich, soll
eine Säuglingsanfangsnahrung – nach dem
6. Lebensmonat auch Folgenahrung – ange­
boten werden.
Mit der Einführung der Beikost wird für Säug­
linge zwischen 6–12 Monaten eine Trink­
menge von 800–1000 ml pro Tag empfohlen.
Die zusätzliche Menge soll als Leitungswas­
ser oder ungesüsster Kräuter- bzw. Früchte­
tee angeboten werden; am besten im Be­
cher oder aus einer Tasse.
Eisen und Zink
Im Alter von 6–24 Monaten haben Säuglinge
und Kleinkinder wegen des raschen Wachs­
tums einen Eisenbedarf, der höher liegt als in
anderen Lebensabschnitten. Die notwendige
Versorgung soll durch eine eisenreiche Nah­
rung erfolgen; geeignet sind Fleisch­produkte,
eisenangereicherte Säuglingsmilch, eisenhaltige Früchte und Gemüse.
Auch der Zinkbedarf kann nicht mehr über
die Muttermilch alleine gedeckt werden. Mit
Fleisch in der Beikost oder dem Zinkgehalt
in der Säuglingsmilch lässt sich die ausrei­
chende Versorgung sichern.
Nahrungsvielfalt
Nahrungspräferenzen können durch die Art
und Zusammensetzung der Beikost beein­
flusst werden. Sie prägen spätere Essge­
wohnheiten und die langfristige gesundheit­
liche Entwicklung.
Mit Einführung der Beikost soll der Säugling
alle Geschmacksrichtungen und eine Vielzahl
unterschiedlicher Lebensmittel kennenler­
nen. Das wiederholte Anbieten von Lebens­
mitteln ist ein wichtiger Faktor für die Einfüh­
rung einer vielseitigen Beikost.
Auf einen Blick
Einführung der Beikost nicht vor
dem vollendeten 4. Lebensmonat
und spätestens nach dem 6.
Lebensmonat.
Der erhöhte Energiebedarf muss
durch Fett, Kohlehydrate und
Eiweiss gedeckt werden.
Mit der Einführung der Beikost
wird für Säuglinge zwischen
6–12 Monaten eine Trinkmenge
von 800–1000 ml pro Tag als
adäquat beurteilt.
Nahrungspräferenzen können
durch die Art und Zusammensetzung der Beikost beeinflusst
werden. Das wiederholte Anbieten
von Lebensmitteln gilt als eines
der wichtigsten Elemente bei der
Einführung einer vielseitigen Beikost.
Versorgung mit Mineralstoffen
und Vitaminen durch ausgewogene und abwechslungsreiche
Ernährung.
Keine Kuhmilch als Getränk im
1. Lebensjahr.
Medizinische Fachinformation
Übergang zum Familienessen
Ernährung im 2.
und 3. Lebensjahr
ermöglicht den Übergang von der Säuglingsernährung zur
Familiennernährung unter Berücksichtigung der sensomotorischen Entwicklung der Kinder (Abb. 1).
Zusammengefasst ergeben sich 3 Kernbotschaften für die Lebens­
mittelauswahl:
In den ersten Lebensjahren ändert sich die Ernährung in ihrer
Zusammensetzung und auch in ihrer Beschaffenheit. Der
Bedarf an Energie und Nährstoffen pro kg Körpergewicht ist im
Kleinkindalter niedriger als bei Säuglingen, aber höher als bei
älteren Kindern.
Zu beachten ist auch die interindividuelle Variabilität der Essfertig­
keiten. Es gilt zudem, traditionell und kulturell bedingte Ernährungs­
gewohnheiten zu berücksichtigen.
Die Einschätzung des Bedarfs von Energie und Nährstoffen basiert
in den deutschsprachigen Ländern auf den D-A-CH-Referenzwerten
für die Nährstoffzufuhr. Diese Empfehlungen müssen für die Umset­
zung im Alltag in Lebensmittel übersetzt werden, damit sie für die
Ernährungsberatung einzusetzen sind. Als Referenz gilt dafür heu­
te die Optimierte Mischkost (OMK) für Kinder und Jugendliche. Sie
stellt auch die Basis für die Schweizer Empfehlungen der SGE dar.
Das Konzept der Optimierten Mischkost wurde in den 1990er
Jahren am FKE (Forschungsinstitut für Kinderernährung) ent­
wickelt und seither bei Bedarf neuen wissenschaftlichen Erkennt­
nissen angepasst. Es bildet mit dem „Ernährungsplan für das
1. Lebensjahr“ ein Ernährungskontinuum (www.fke-do.de) und
Brot1 + Obst
+ Milch2
Stillen/
Säuglingsmilch
Zwischenmahlzeit
morgens
Brot1 + Obst
Mittagessen
warme Mahlzeit
Stückige Gemüse-Kartoffel-FleischMahlzeit
Zwischenmahlzeit
nachmittags
Brot1 + Obst
zur Hälfte als Vollkorn
2
pro Tag
ca.
200 ml
Wasser
Vollkornkeks
+ Obst
oder
oder
Mässig: tierische Lebensmittel
Sparsam: fett- und zuckerreiche Lebensmittel
Für Kinder nach dem 1. Lebensjahr wird in der Schweiz eine abwechs­
lungsreiche Mischkost empfohlen, ebenso wie für Erwachsene.
Lediglich die Verzehrmengen ändern sich mit dem Alter und dem
Energiebedarf.
Die fünf zentralen Botschaften der SGE-Empfehlungen zum genuss­
vollen Essen und Trinken lauten:
Wasser trinken,
Früchte und Gemüse essen,
regelmässig essen,
Essen und Trinken schlau auswählen,
Beim Essen Bildschirm aus.
Auf einen Blick
Auch im 2. und 3. Lebensjahr besteht ein erhöhter
Energie- und Nährstoffbedarf.
Individueller Energiebedarf und sensomotorische
Entwicklung sind zu berücksichtigen.
Eine Multinährstoffanreicherung ist angesichts der
insgesamt guten Nährstoffzufuhr unnötig.
Vollkornkeks
+ Obst
oder
Brot + Rohkost/Obst
+ Milch2
1
Abendessen
1
oder
Reichlich: Getränke (Wasser, ungesüsster Tee) und pflanzliche
Lebensmittel
Eine Optimierte Mischkost (OMK) erfüllt die Anforderungen in dieser Zeit.
Übergang der Mahlzeiten im Beikostalter
Frühstück
12
Milch-Getreide-Brei
Vollmilch 3,5%, Tasse
Der Fokus sollte auf „kritischen“ Nährstoffen liegen.
Deren Zufuhr kann auch mit Säuglingsmilch verbessert
werden.
Convenience-Produkte sollten den Kriterien für die
Lebensmittelauswahl und Mahlzeitenzusammensetzung
einer gesunden Kinderernährung entsprechen und z.B.
reichlich pflanzliche Lebensmittel enthalten.
Herausgeber:
Deutschland
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Redaktion: Dr. Mike Poßner, Herbert Lechner M. A.
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Stand 02/2016 – 103752704
Forschungsinstitut für Kinderernährung (FKE), Dortmund
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