Ausgabe 2/2016 Medizinische Fachinformation Neues aus der Wissenschaft für Sie zusammengefasst In dieser Ausgabe: Ernährung in den ersten 1000 Tagen Neue Empfehlungen der Eidgenössischen Ernährungskommission EEK Langfristige Programmierung Pränatale Versorgung Stillen und Säuglingsnahrung Allergieprävention Beikost Übergang zum Familientisch Die ersten 1000 Tage Editorial Frühe Ernährung – langfristige Folgen Liebe Leser, Die Bedeutung der Ernährung in den ersten 1000 Tagen für die langfristige Gesundheit wird immer deutlicher. Zahlreiche Forschungen und Studien zeigen, dass die Zeit von der Konzep­ tion bis zum Ende des 2. Lebensjahres sich nicht nur auf Entwicklung und Wachstum auswirkt, sondern offenbar auch Einfluss auf die Gesundheit im Erwachsenenalter haben kann. So erweisen sich etwa erhöhtes Geburts­ gewicht oder schnelle Ge­ wichtszunahme in den ersten Lebens­ monaten als Risikofaktoren für spä­ teres Übergewicht und die damit verbundenen Herz- oder Stoffwechsel­ erkrankungen. Doch auch der BMI der Mutter oder die Gewichtszunahme in der Schwanger­ schaft spielen eine Rolle, so das Resultat neuerer Studien. Die Eidgenössische Ernährungskom­ mission EEK hat nun erstmals die Ergebnisse und Empfehlungen zur Er­ nährung in den ersten 1000 Tagen zu­ sammengestellt. Namhafte Experten bieten eine Übersicht zum aktuel­ len Forschungsstand speziell zur Situation in den deutschsprachigen Ländern – eine wertvolle Information für die tägliche Praxis. Auf den fol­ genden Seiten haben wir für Sie die wesentlichen Aspekte der EEKDar­stellung zusammengefasst. Die Ernährung während der ersten Lebensjahre hat einen grossen Einfluss auf die Gesundheit des Kindes. Immer deutlicher wird, dass die pränatale und frühkindliche Versorgung auch lang­ fristige Auswirkungen hat. Aktuelle Studien und Metaanalysen zeigen, dass offenbar die Phase von der Zeugung bis zum Ende des 2. Lebensjahres ein be­ sonders wichtiges Zeitfenster bildet, in der die Weichen für eine nachhaltige Entwick­ lung von Wachstum und Gesundheit gestellt werden. Die Optimierung der Ernährung ist sogar schon vor und während der Schwan­ gerschaft von Bedeutung. In diesem Zeit­ raum der „ersten 1000 Tage“ erfolgt eine Programmierung, die sowohl Wachstum und Entwicklung des Kindes beeinflusst als auch nachhaltigen Einfluss auf bestimmte Ge­ sundheitsrisiken im Erwachsenenalter hat. Der Bericht der EEK Bisher fehlte eine allgemeine Übersicht über die laufende Forschung, die Ergebnisse der Studien und daraus abgeleitete Empfehlun­ gen für die Praxis. Nicht immer bietet die Da­ tenlage eindeutige Aussagen, vielfach sind weitere Studien notwendig, doch gibt es zu wesentlichen Punkten klare Massnahmen und Verhaltensregeln. Der jetzt veröffentlich­ te Bericht der Eidgenössischen Ernährungs­ kommission EEK präsentiert erstmals eine umfassende Darstellung zum Forschungs­ stand der „Ernährung in den ersten 1000 Lebenstagen – von pränatal bis zum 3. Geburtstag“ (Titel). In besonderem Mass gilt das für Übergewicht und Adipositas sowie die damit verbunde­ nen, sogenannten Zivilisationskrankheiten. Tatsächlich scheint die Veranlagung für spä­ tere Herzleiden oder Diabetes schon in der frühen Kindheit angelegt zu werden – so die aktuellen Forschungsergebnisse. Auch aus diesem Grund fokussieren sich internationale Ernährungsstudien zunehmend auf den Zeit­ raum der ersten 1000 Tage und eine mögliche Prävention langfristiger Fehlentwicklungen. Der Bericht der Expertenkommission enthält eine detaillierte Analyse zur aktuellen wis­ senschaftlichen Diskussion und beleuchtet die verschiedenen Stufen der Ernährung in der Entwicklung des Kleinkindes. Die optima­ le Versorgung des Säuglings und Kleinkindes bis zum 3. Lebensjahr, aber auch die Ernäh­ rungssituation der Mutter von der präkonzep­ tionellen Ausgangslage bis zur Stillzeit bilden den Schwerpunkt dieser Zusammenfassung. Die Darstellung beschränkt sich nicht auf die Schweiz, sie ist ebenso für die Gesundheits­ experten in Deutschland und Österreich von Interesse. Schwangerschaft Perinatal Ich wünsche eine informative und anregende Lektüre Dr. med. Mike Poßner Medical Director Europe Nestlé Nutrition Institute NNI News 1/2016 3 Ernährung – Chance und Gefahr Die Phase der ersten 1000 Tage hat gene­ rell für die Entwicklung des Kindes eine be­ sondere Bedeutung. In diesem kritischen Zeitfenster wächst der kindliche Organismus in hohem Tempo und die Organsysteme durchlaufen wichtige Differenzierungs- und Entwicklungsprozesse. Während dieser präund postnatalen Zeit bis zum 3. Lebensjahr ist der menschliche Organismus noch sehr formbar und anpassungsfähig, aber auch sehr verletzlich. Sowohl durch einen Man­ gel an wichtigen Nährstoffen als auch durch die exzessive Zufuhr bestimmter Nähr- und Schadstoffe kann er dauerhaft beeinflusst werden. Andererseits besteht aber die Mög­ lichkeit, durch gezielte Intervention in dieser Periode die funktionalen Fähigkeiten des Kör­ pers zu verbessern und so auch Antworten zu schaffen auf neu entstandene gesundheit­ liche Herausforderungen. Denn gerade in diesen 1000 Tagen erfolgt offenkundig eine Programmierung des Orga­ nismus. Das heisst, epigenetische Faktoren können jetzt die Entwicklung nachhaltig be­ einflussen – sowohl positive wie negativ. DNA-Molekül. Im Gegensatz dazu werden die Veränderungen des Phänotyps durch epigenetische Modifikationen aufgrund von Umwelteinflüssen verursacht, z.B. durch Methylierung. Nährstoffe und bioaktive Bestandteile in der Nahrung können die Ex­ pression bestimmter Gene beeinflussen, aktivieren oder deaktivieren – und das, ohne dabei die DNA-Sequenz zu verändern. Neben genetischen Vorbedingungen und dem Einfluss aus der Umwelt, durch die Ernährung oder bestimmte Schadstoffe spielen epigene­ tische Faktoren eine wichtige Rolle für die langfristige gesundheitliche Entwicklung. Genetik Epigenetik tis bei Kindern mit genetischer Neigung zu Allergien darstellen. Die Langzeit­ untersuchung der Kinder hat ergeben, dass dieser Allergieschutz langfristig an­ hält. Es erfolgte also eine Programmierung. Die wichtigsten Einflussfaktoren Einige Ernährungsaspekte haben sich als relevant für die ersten 1000 Tage und die langfristige gesunde Entwicklung erwiesen. Auf sie wird im Folgenden eingegangen: Präkonzeptioneller BMI der Schwangeren Methylierung SNPMutationen Histone Veränderung Phänotypus Gesunde Ernährung in der Schwangerschaft Allergene in der Schwangerschaft Geburtsgewicht Stillen und Stilldauer Toxine Ernährung Medikamente Proteingehalt von Säuglingsnahrung Supplementierung mit langkettigen Fettsäuren (LC-PUFA) Pro- und Präbiotika Bedeutung der Epigenetik Die Epigenetik erklärt, wie die Genexpres­ sion ohne eine Veränderung der zugrunde liegenden DNA-Sequenz reguliert werden kann. Genetische Mutationen entstehen durch Variationen in der DNA-Sequenz, d. h. in der Nukleotid-Abfolge in einem Umwelt Ein Beispiel dafür ist die Wirkung geprüfter hypoallergener Säuglingsnahrung, wenn Kinder mit erhöhtem Allergierisiko nicht ge­ stillt werden können. Die GINI-Studie hat bekanntlich gezeigt, dass die ersten sechs Lebensmonate das kritische Zeitfenster für die Ernährungsprävention der Neurodermi­ Allergieprävention Beikosteinführung und -zusammensetzung Übergang zur Erwachsenenernährung Eidgenössische Ernährungskommission: Ernährung in den ersten 1000 Lebenstagen – von pränatal bis zum 3. Geburtstag. Expertenbericht der EEK. Zürich: Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen, 2015. Verabschiedet von der EEK am 05. März 2015. http://www.blv.admin.ch/themen/04679/ 05108/05869/index.html Erstes Lebensjahr Älter als 1 Jahr Interview „Dieser Bericht soll die Basis für einheitliche Empfehlungen bilden” Gespräch mit Prof. Josef Laimbacher, Ostschweizer Kinderspital, St. Gallen und Vorsitzender der Arbeitsgruppe ? ­! Herr Dr. Laimbacher, die Empfehlungen der EEK bieten erstmals eine Zusammenfassung aller Einflussfaktoren der Ernährung in den ersten 1000 Tagen. Wie kam es zu diesem wichtigen Projekt? Die Ausgangslage für den Expertenbericht „Die Ernährung während den ersten 1000 Lebenstagen – von pränatal bis zum 3. Geburtstag“ ist die zunehmende Evidenz, dass die Ernährung und die Stoffwechsellage der schwangeren Frau sowie des Säug­ lings und des Kleinkindes grossen Einfluss auf die Physiologie, das Wachstum, die Gesundheit und die Leistungsfähigkeit haben. In der Vergangenheit ist es nicht gelungen, dass zum Thema Ernährung während der Schwangerschaft, der Still­ zeit und in den ersten Lebensjahren flächendeckend für die Schweiz eine einheitliche Strategie und von allen Akteuren unterstützte Empfehlungen erarbeitet werden konnten. Der vorliegende „State-of-the-Art-Bericht“ soll die Basis für ein­ heitliche Empfehlungen bilden. ? !­ Diskutiert wird zurzeit die Frage der Dauer des ausschliess­ lichen Stillens. Hier weicht – nicht nur in der Schweiz – die Realität deutlich von den WHO Empfehlungen ab? Es geht hier vor allem um den Zeitpunkt der Beikosteinführung. Hier folgen wir den Empfehlungen der ESPGHAN, in denen darauf hingewiesen wird, dass bei der Festlegung des Zeit­ punktes die Ernährungsbedürfnisse und der Entwicklungs­ stand des Säuglings berücksichtigt werden sollen. Es wird je­ doch festgehalten, dass die Beikost erst nach dem vollendeten 4. Lebensmonat (17. Lebenswoche) und spätestens mit Beginn des 7. Lebensmonats (26. Lebenswoche) eingeführt werden soll. Die ersten 1000 Tage haben einen wesentlichen Einfluss für die langfristige gesundheitliche Entwicklung. Die Ernährung spielt dabei eine Schlüsselrolle. ? !­ Gerade die ersten 1000 Tage – von der Konzeption bis zum Ende des 2. Lebensjahres – haben einen wesentlichen Einfluss für die langfristige gesundheitliche Entwicklung? Diese sensible Phase in der kindlichen Entwicklung hat grosse Bedeutung für das spätere Leben, das bestätigen mittlerweile zahlreiche Studien und Meta-Analysen. Dies betrifft sowohl die Gesundheit als Kind als auch für den Erwachsenen bis ins hohe Alter. Im Fokus stehen dabei die nichtübertragbaren Krank­ heiten. Ätiologisch werden diese durch die genetische Disposition, die pränatale Prägung und den Lebensstil beein­ flusst. Die Ernährung spielt dabei eine Schlüsselrolle. ? !­ Die neuen Empfehlungen gehen aber über die 1000 Tage hinaus. Erstmals wird auch das präkonzeptionelle Gewicht der werdenden Mutter berücksichtigt? Aktuelle Studien haben deutlich gemacht, dass dieser Faktor tatsächlich einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die kindliche Entwicklung hat. Das Risiko eines erhöhten Ge­ burtsgewichts, mit den entsprechenden Folgen, hängt offen­ bar mit dem BMI der Mutter zu Beginn der Schwangerschaft zusammen. Ein weiterer Punkt ist die Gewichtsentwicklung der Schwangeren. NNI News 1/2016 ? ­! Besonders zur Ernährung des nicht gestillten Säuglings gibt es in den EEK Empfehlungen dezidierte Aussagen. Ist hier nicht eine verstärkte Beratung notwendig? Speziell was alternative Nahrung betrifft? In der Schweizer Bevölkerung findet sich ein wachsendes Interesse an alternativen Ernährungsformen. Die Selbsther­ stellung von Säuglingsanfangsnahrung ist aber – sowohl er­ nährungsphysiologisch als auch hygienisch – grundsätzlich ab­ zulehnen. Vegetabile Milchnahrungen für Säuglinge, z.B. Reis- oder Mandeldrinks oder einfache Sojadrinks, weisen viel­ fältige Nährstoffdefizite auf. Mangelhafte biologische Wertig­ keit der Proteine, ein Energiedefizit bei fehlendem Fettzusatz, Mangel an Mineralstoffen, Spurenelementen und Vitaminen können zu Wachstumsstörungen und teilweise irreparablen Mangelerscheinungen führen. 5 ? ­! Ein grosses Thema in den Empfehlungen ist die Präventi­ on von Übergewicht und Adipositas. Hier kommt der er­ höhten postnatalen Proteingabe zentrale Bedeutung zu. Führt das zu neuen Empfehlungen für die Zusammenset­ zung von Säuglingsnahrung? Grosse internationale Studien haben ja gezeigt, dass die Ver­ wendung von Säuglingsnahrungen, deren Proteingehalt niedri­ ger ist als zurzeit vorgeschrieben, eine ausreichende Eiweiss­ versorgung bietet und zugleich das Risiko eines späteren Übergewichts verringern kann. Vorausgesetzt natürlich, die Proteinqualität stimmt. Dies ist eine heute allgemein anerkann­ te Massnahme zur frühzeitigen Reduzierung späteren Überge­ wichts und wird auch von der EEK empfohlen. ? !­ Wichtige Änderungen gibt es auch bei der Allergie­ prävention? Im Mittelpunkt steht die Frage, strikte Allergen-Vermeidung oder Toleranzentwicklung durch eine frühe Sensibilisierung. Nach neuesten Untersuchungen spricht heute viel für die zwei­ te Lösung. So gehen auch die Empfehlungen der EEK dahin, potentiell allergene Nahrungsmittel auch bei einem bestehen­ den Allergierisiko nicht später einzuführen. ? !­ Zur Prävention bei einem Allergierisiko wird das ausschliess­ liche Stillen, wie bereits erwähnt, empfohlen. Falls Stillen nicht oder nur teilweise möglich ist, wird für Risikokinder der Einsatz von HA-Nahrungen mit dokumentierten Daten in den ersten Le­ bensmonaten empfohlen. Werden die Ergebnisse der EEK-Empfehlungen jetzt auch in entsprechenden Massnahmen der Gesundheitsbehör­ den umgesetzt? Wir sind sehr zuversichtlich, dass die genannten Argumente, Empfehlungen und Massnahmen in künftigen Gesetzen und Verordnungen, aber auch in konkreten Beratungen für die täg­ liche Praxis Niederschlag finden. Eine positive Resonanz aus den Nachbarländern freut uns natürlich auch. Die Eidgenössische Ernährungskommission EEK Die Eidgenössische Ernährungskommission ist eine ausserparlamentarische Kommission mit beratender Funktion. Sie erarbeitet zu Händen des Bundesrates und des Bundesamtes für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) wissenschaftlich fundierte Stellungnahmen und Expertenberichte im Gebiet der Ernährung bzw. über deren Einfluss auf die Gesundheit. Sie unterstützt die Bundesverwaltung als Milizorgan und stellt Fachwissen aus verschiedenen Gebieten der Ernährung zur Verfügung. Im November 2015 wurden 15 Personen als Mitglieder in die EEK gewählt. Unter den Mitgliedern der Kommission sind unter anderem Vertreter aus Bildung und Forschung in der Ernährungs- und Lebensmittelwissenschaft, der Ernährungsmedizin, der Lebensmittelindustrie und des -handels, den kantonalen Vollzugsbehörden sowie Konsumentenorganisationen. Pränatale Einflüsse Ernährung in Schwangerschaft und Stillzeit Empfohlen wird deshalb bei einem BMI > 30 vor der Empfängnis eine 5- bis 10-prozentige Gewichtsabnahme. Diese bietet der werden­ den Mutter gesundheitliche Vorteile und reduziert das spätere Über­ gewichtsrisiko für das Kind. 1: Mütterliche Adipositas Mütterliche Adipositas Glukose, Fettsäuren, Insulin, Leptin, Inflammation Entwicklungsbiologische Plastizität Fetales Wachstum, Adiposität Kindliche Adipositas Koletzko B. et al.: Ann Nutr Metab 2014 Intrauterine Einflüsse Das Leben beginnt vor der Geburt. Schon die Ernährung in der Schwangerschaft hat nachhaltige Auswirkungen auf die Entwicklung, auf Wachstum und Gewichtszunahme des Kindes. Die Einflüsse beginnen sogar schon vor der Zeugung, das haben verschiedene Studien bewiesen. Präkonzeptionelles Gewicht Ein normaler BMI (18,5–24,9 kg/m²) bietet gute Voraussetzungen für Fertilität und Schwangerschaftsverlauf. Dagegen können bei einem BMI von 30 kg/m² oder darüber verschiedene Komplikationen auftreten. So besteht ein erhöhtes Risiko für Aborte, für Präeklamp­ sie, Gestationsdiabetes und Thromboembolien. Auch ist die Kaiser­ schnitt-Rate höher und es gibt häufiger Stillschwierigkeiten als bei Normalgewichtigen. Mit zunehmendem mütterlichem BMI steigt auch das Risiko für ein hohes Geburtsgewicht des Neugeborenen (Abb. 1). Und die Analyse der Daten von über 640.000 Personen bestätigt einen direkten Zusammenhang von hohem Geburtsgewicht und spä­ terem Übergewichtsrisiko. NNI News 1/2016 Bekannt ist, dass die Ernährung in der Schwangerschaft und in den ersten Lebensmonaten einen prägenden Einfluss auf die langfristige Gesundheit des Kindes hat. Die sogenannte Barker-Hypothese geht davon aus, dass ein Zusammenhang besteht zwischen intrauteriner Mangelernährung, geringem Geburtsgewicht und nichtübertrag­ baren Erkrankungen im Erwachsenenleben. Doch dieses „fetal programming“ ist auch bei einer Überversorgung im Mutterleib nachzuweisen. Übergewicht der Schwangeren und/oder ein unbe­ handelter Diabetes mellitus kann zu fetaler Überernährung und einem hohen Geburtsgewicht (> 4.000 g) führen. Dieses ist mit einem dop­ pelt so hohen Übergewichtsrisiko im Erwachsenenalter verbunden. Ernährung in der Schwangerschaft Während der Schwangerschaft steigt der Bedarf an Nährstoffen und Energie. Eine ausgewogene Ernährung, körperliche Aktivität und der Verzicht auf schädliche Faktoren wie Rauchen und Alkohol sind auch zum Besten des Kindes. Die wichtigsten Einflussfaktoren: vielfältige, ausgewogene Ernährung adäquate Gewichtszunahme adaptierte Vitamin- und Mineralstoffsupplementierung Vermeidung von Nahrungsquellen mit gesundheitsgefährdender Wirkung (z.B. Rohmilch, rohes Fleisch, Innereien mit hoher Vitamin A-Konzentration) 7 Adäquate Gewichtszunahme Gemäss der Referenzwerte der D-A-CHOrganisiation für normalgewichtige Schwan­ gere wird im 1. Trimenon keine zusätzliche Energie benötigt, im 2. Trimenon 250 kcal/d zusätzlich und im 3. Trimenon 500 kcal. Die Empfehlungen für eine normale Gewichtszu­ nahme entsprechen den Werten des ameri­ kanischen Institute of Medicine (IOM) und berücksichtigen auch die optimale kindliche Entwicklung. (Abb. 2) Eine Diät in der Schwangerschaft wird ausdrücklich nicht empfohlen, auch nicht für übergewichtige bzw. adipöse Frauen. Denn diese impliziert die Gefahr eines Mangels an wichtigen Nährstoffen. Interven­ tionsstudien haben aber gezeigt, dass durch Anleitung für eine abgestimmte Ernährung und tägliche sportliche Aktivität eine mass­ volle Gewichtsabnahme erzielt werden kann. Mikronährstoffbedarf Auch bei einer ausgewogenen Ernährung kann der Bedarf an Folsäure und Vitamin D sowie bei vielen Frauen auch an Eisen und Vitamin B12 nicht über das Essen gedeckt werden. Die Folsäuresubstitution vermindert das Risiko für einen Neuralrohrdefekt wie Spina bifida oder Anencephalus und LippenKiefer-Gaumenspalte signifikant. Für Folsäu­ re gilt deshalb bereits perikonzeptionell die Empfehlung einer Supplementierung von 400 μg Folsäure/d. Eine erhöhte Dosis wird bei Frauen empfohlen, die schon ein Kind mit Neuralrohrdefekt geboren haben, bei Dia­betes mellitus, bei Adipositas sowie bei Mehrlingsschwangerschaften. Eisenmangel kann zu Anämie, intrauteriner Wachstumsrestriktion und zu Neugebore­ nen mit geringem Geburtsgewicht führen. Die ausreichende Versorgung verbessert das Geburtsgewicht in einer linearen Dosis-Wir­ kungskurve, doch auch eine Eisenüberladung birgt Risiken. In der Schweiz wird generell zu Beginn der Schwangerschaft eine Hämo­ globin- und Ferritinbestimmung empfohlen. Vitamin D-Mangel ist mit einem erhöhten Risiko für Gestationsdiabetes, Präeklampsie und zu geringem Geburtsgewicht assoziiert. Eine entsprechende Supplementierung in der Schwangerschaft zeigt positive Wirkung. 2: Gewichtszunahme abhängig vom BMI vor der Schwangerschaft BMI vor der Schwangerschaft (kg/m2) Empfohlene Gewichtszunahme (gesamt in kg) Empfohlene Gewichtszunahme (pro Woche in kg) 18,5–24,9 11,5–16,0 0,4 ab 12. SSW* Untergewicht < 18,5 12,5–18,0 0,5 ab 12. SSW* Übergewicht 25,0–29,9 7,0–11,5 0,3 ab 12. SSW* ≥ 30,0 5,0–9,0 Normalgewicht Starkes Übergewicht Zwillinge 15,9–20,4 Drillinge ca. 22,0 * SSW: Schwangerschaftswoche Die Gefahr einer ungenügenden Vitamin B12 Versorgung besteht vor allem bei vegetari­ scher oder veganer Ernährung. Dies kann zu schweren Entwicklungsschäden führen. LC-PUFA Versorgung Langkettige Fettsäuren (LC-PUFA = long chain polyunsaturated fatty acids) sind für die Gehirnentwicklung des Feten und Säuglings besonders wichtig. Vor allem die Omega3-Fettsäure Docosahexaensäure (DHA) und die Omega-6-Fettsäure Arachidonsäure (AA) müssen über die Nahrung aufgenommen wer­ den, da sie nicht ausreichend gebildet werden können. LC-PUFA werden im fetalen Fett­ gewebe gespeichert. Sie sind in den ersten 2 Monaten postpartal aufgebraucht, sofern sie nicht weiter beim Stillen über die mütter­ liche Ernährung oder durch eine angereicherte Säuglingsmilch zugeführt werden. Fettreicher Fisch enthält Omega-3-Fettsäuren, zudem lie­ fert er Folsäure und Jod. 1–2 Portionen Fisch pro Woche in Schwangerschaft und Stillzeit erfüllen den entsprechenden Bedarf. Ernährung in der Stillzeit Wird in den ersten 4 bis 6 Monaten aus­ schliesslich gestillt, ist eine zusätzliche Energieaufnahme von 500 kcal/d emp­ fohlen, die sich bei teilweise Stillen ent­ sprechend verringern sollte. 2 Liter ungesüsster Getränke täglich sol­ len die über die Muttermilch abgegebene Flüssigkeit ausgleichen. Eine Vitaminsupplementierung für die Mutter während der Stillzeit und für das Kind im ersten Lebensjahr wird empfohlen. 0,7 ab 12. SSW* IOM. Institute of Medicine; BMI. Body Mass Index Für eine Allergievermeidung durch mütterliche Diät, Ernährungsumstellung oder Supplemente gibt es keine Evidenz. Die mögliche Gefahr einer Schadstoff­ belastung der Muttermilch ist in den letzten Jahren soweit zurückgegangen, dass eine Verkürzung der Stilldauer nicht mehr ge­ rechtfertigt ist. Auf einen Blick Ernährung, BMI und Gewichtsentwicklung der Mutter spielen für die fetale Programmierung eine wesentliche Rolle. Bereits vor der Konzeption ist ein möglichst normaler BMI (18,5–24,9 kg/m²) anzustreben. Keine Diät während Schwangerschaft und Stillzeit, auch nicht bei Übergewicht. Kein Alkohol, mässiger Kaffeegenuss und Medikamente nur nach ärztlicher Rücksprache. Empfohlen ist eine Supplementierung mit Folsäure, Vitamin D, evtl. Eisen und Vitamin B12. 1–2 Portionen fettreicher Fisch pro Woche dienen der Aufnahme von LC-PUFA. Keine Ernährungsumstellung der Mutter zur Allergievermeidung. Stillen Vorteile des Stillens Muttermilch ist die natürliche Ernährung für Neugeborene und Säuglinge und unterstützt in optimaler Weise deren Wachstum und Entwicklung. Sie enthält alle notwendigen Nährstoffe, in der richtigen Konzentration und Qualität. Die Zusammensetzung der Milch passt sich dem wandelnden Nähr­ stoffbedarf des Säuglings an. So nimmt der Proteingehalt während der ersten Lebenswochen ab, während Fett-, Laktose- und Energie­ gehalt ansteigen. Ebenso verändert sich die Zusammensetzung wäh­ rend des einzelnen Stillvorgangs. WHO und UNICEF empfehlen des­ halb ausschliessliches Stillen für 6 Monate und Weiterstillen während des ganzen ersten Lebensjahrs und darüber hinaus. Stillen hat nicht nur unmittelbar schützende Effekte, sondern offenbar auch eine programmierende Wirkung für langfristige Gesundheitsvorteile. Nährstoffversorgung Muttermilch enthält nicht nur sämtliche Makro- und Mikronährstoffe in optimaler Konzentration und Qualität, die der wachsende Organis­ mus benötigt. Sie versorgt auch mit essenziellen Fettsäuren, Enzy­ men, Hormonen, Polyaminen und Wachstumsfaktoren, die weitere Gesundheitsvorteile für den Säugling bieten. Eine zu geringe Sonnenexposition, Sonnenschutzmittel und eine Vitamin D-arme Ernährung sind für die niedrigen Vitamin D-Serum­ konzentrationen europäischer Frauen verantwortlich und damit auch für einen geringen Vitamin D-Gehalt der Muttermilch. Gestillte Säuglinge benötigen deshalb im ersten Lebensjahr eine Vitamin DSupplementation. Auch der Vitamin K-Gehalt der Muttermilch ist oft niedrig, eine Vitamin K-Supplementation in den ersten Lebenswochen wird des­ halb empfohlen. Sofern die Stillende mit Jod angereichertes Kochsalz verwendet, ist die kindliche Jodversorgung ausreichend. Eine zusätzliche Jod- und Fluorid-Supplementation wird nicht empfohlen. Kalorien- und proteinangereicherte Nahrungsmittelzusätze können hier helfen. Für normal ernährte Mütter haben solche Supplemente jedoch keinen Vorteil. Gesundheitliche Auswirkungen Ein wirksamer Infektionsschutz ist der wichtigste Vorteil für gestillte Kinder. Ausschliesslich gestillte Säuglinge haben, im Vergleich zu jenen, die Muttermilchersatznahrungen erhalten, eine geringere Gewichts­ zunahme im 1. Lebensjahr. Dies könnte mit dem verminderten Risiko gestillter Kindern für späteres Übergewicht und Adipositas in Zusammenhang stehen. Stillen zeigt ausserdem einen positiven Effekt auf Blutdruck- und Cholesterinwerte, auf Herz- und Gefäss­ stofferkrankungen sowie Typ 2 Diabetes. Ebenso geben Studien Hinweise darauf, dass für gestillte Kinder ein geringeres Risiko für Typ 1 Diabetes, chronisch-entzündliche Darmer­ krankungen (Morbus Crohn) und Zöliakie besteht. Der Einfluss auf die Entwicklung von Allergien wird noch kontrovers diskutiert. Auf einen Blick Stillen unterstützt in optimaler Weise Wachstum und Entwicklung des Säuglings. Der Nährstoffgehalt der Muttermilch passt sich ideal der kindlichen Entwicklung an Empfohlen wird ausschliessliches Stillen über 6 Monate. Die Beikost sollte zwischen der 17. und 26. Lebenswoche eingeführt werden, da dann Muttermilch den Bedarf des Säuglings nicht mehr ausreichend decken kann. Empfohlen wird, nach der Beikosteinführung so lange weiter zu stillen wie Mutter und Kind dies möchten. Der geringe Eisenbedarf von gesunden termingeborenen Säuglingen in den ersten sechs Lebensmonaten kann durch die Muttermilch gedeckt werden. Ab dem 7. Lebensmonat muss der gesamte inzwischen gewachsene Eisenbedarf durch die Beikost zugeführt werden. Ausschliessliches Stillen über mindestens 6 Monate schützt vor verschiedenen ernährungsbedingten Erkrankungen. Mütterliche Ernährung Es gibt Anhaltspunkte für einen schützenden Effekt von ausschliesslichem Stillen, oder von Stillen kombiniert mit hydrolysierter, klinisch getesteter Säuglingsnahrung, in den ersten vier Lebensmonaten, für die Entwicklung von atopischer Dermatitis bei Kindern mit hohem Allergierisiko. Für die Zusammensetzung und den Gehalt der Milch spielt die mütterliche Ernährung eine bedeutende Rolle. Dies ist besonders zu beachten, wenn die Mutter einer restriktiven Diät folgt. Das Verhältnis von Proteinen, Fetten und Kohlehydraten in der Milch unterernährter Mütter ist vergleichbar mit der von normal ernährten Müttern; die Milchmenge ist jedoch deutlich kleiner. NNI News 1/2016 Stillen kann zu einem verringerten Risiko für späteres Übergewicht oder Adipositas des Kindes beitragen. Säuglingsnahrung 9 Säuglingsnahrungen Stillen ist die natürliche Ernährungsform des Säuglings. Wenn nicht oder nicht vollständig gestillt wird, sind industriell hergestellte Säuglingsnahrungen als Muttermilchersatz­ produkt für die Ernährung von gesunden Säuglingen (< 12 Monate) die einzige Alternative. In der Schweiz sind Zusammensetzung, Kennzeichnung und Marketing von Säuglingsnahrung durch die „Verordnung des Eidgenössischen Departements des Innern (EDI) über Speziallebensmittel“ vom 23. No­ vember 2005 geregelt. Diese Verordnung wird regelmässig aktualisiert, zuletzt am 4. Februar 2014. Dabei unterscheidet das EDI, wie auch die EU, zwischen Säuglingsanfangsnahrung und Folgenahrung. Eine Selbstherstellung von Säuglingsanfangsnahrung ist grundsätz­ lich abzulehnen, sowohl aus ernährungsphysiologischen als auch hygienischen Gründen. Protein-Qualität und -Quantität Neue Forschungsergebnisse können auf signifikante Verbesserun­ gen für Säuglingsnahrungen hinweisen und zu geänderten wissen­ schaftlichen Empfehlungen führen, bevor diese in nationales Recht übernommen werden können. Aktuell ist eine derartige Entwicklung in Hinblick auf den Proteingehalt von Säuglingsnahrungen im Gange. Die Proteinbioverfügbarkeit moderner Proteinmischungen für Säug­ lingsnahrungen übersteigt die früherer Mischungen. Aktuelle Studien begründen zudem, dass eine unnötig hohe Proteinzufuhr für Säuglin­ ge später gesundheitliche Nachteile bewirken kann. Die EEK empfiehlt daher, nicht gestillten Säuglingen ausreichend getestete Säuglingsnahrungen mit geringerem Protein­ gehalt, als es Schweizer- und EU-Empfehlungen derzeit vorschlagen, zu füttern. Zugabe von LC-PUFA Muttermilch enthält im Gegensatz zu Kuhmilch langkettige mehr­ fach ungesättigte Fettsäuren (LC-PUFA). Die Zugabe von LC-PUFA wie Docosahexaensäure (DHA) zu Säuglingsnahrungen scheint sich günstig auf die Reifung des kindlichen Sehvermögens auszuwirken. Deshalb sieht der aktuelle Diskussionsentwurf der EFSA für Säug­ lingsanfangs- und Folgenahrungen 500–1200 mg/100 kcal Linolsäure, 50–100 mg/100 kcal α-Linolensäure und 20–50 mg/100 kcal DHA vor. Prä- und Pro- und Synbiotika Unter Probiotika versteht man lebende, nicht pathogene Mikroorga­ nismen, die den Darm kolonisieren und gesundheitsfördernde Ef­ fekte bewirken sollen. Als Präbiotika bezeichnet man unverdauliche Nahrungsbestandteile, meist komplexe Kohlenhydrate, die selektiv Wachstum und Aktivität bestimmter Mikroorganismen vorwiegend im Dickdarm fördern und dadurch gesundheitsfördernde Effekte er­ zielen sollen. Synbiotika meint Produkte, die sowohl Präbiotika als auch Probiotika enthalten. Trotz zahlreicher Studien, die eine präventive Rolle von Prä- und Pro­ biotika gegen atopisches Ekzem untersucht haben, kann bis heute keine Empfehlung zu deren Einsatz zur Allergieprävention abgegeben werden. Dagegen gibt es fundierte wissenschaftliche Beweise für die Prävention von Diarrhöen. Auf dieser Basis hat die ESPGHAN die präventive Wirkung bestimmter Probiotikastämme wie z.B. Bifido­ bacterium lactis (B. lactis) oder Lactobazillus Reuteri (L. reuteri) aner­ kannt. Im Einklang mit den derzeitigen internationalen Richtlinien, die keine Empfehlung für die Einnahme von Nahrungsmittelergänzung mit Prä- oder Probiotika abgeben, gibt aber auch die Schweiz keine Empfehlung von Nahrungsmittelergänzungen mit Prä- oder Probiotika zur Allergieprävention ab. Auf einen Blick Industriell hergestellte Säuglingsnahrungen sind die einzige Alternative, wenn nicht oder nicht vollständig gestillt wird. Während den ersten Lebensmonaten soll nur Säuglingsanfangsnahrung gegeben werden. Diese kann jedoch unbedenklich bis zum Schluss des ersten Lebensjahres verabreicht werden. Nicht oder nicht voll gestillte Säuglinge sollten Säuglingsnahrungen mit einem eher niedrigen Eiweissgehalt erhalten, welcher dem Eiweissgehalt der Muttermilch angenähert ist. Eine Zugabe von langkettigen ungesättigten Fettsäuren (LC-PUFA) wird empfohlen. Ein Vorteil der Zugabe von Prä-, Pro- und Synbiotika zur Allergieprävention ist bisher nicht überzeugend belegt. Kuhmilch und auch andere Tiermilchen weisen einen sehr hohen Eiweissgehalt auf und sollen im ersten Lebensjahr nicht als Getränk gegeben werden. Allergien Allergieprävention Allergien gehören zu den häufigsten nichtübertragbaren Erkrankungen und im Kindesalter zu den häufigsten Erkrankungen überhaupt. Rund ein Viertel bis ein Drittel der Bevölkerung ist davon betroffen. Verschiedene epidemiologische Studien lassen vermuten, dass ein zeitlich begrenztes Fenster für eine optimale Prävention in den ersten Lebensmonaten besteht. Deshalb richten sich präventive Strategien bevorzugt an schwangere Frauen, Neugeborene und Säuglinge. Eine Risikogruppe lässt sich durch allergische Erkrankungen bei engen Verwandten (Geschwister, Eltern) definieren. Allergenvermeidung der Mutter Verschiedene epidemiologische Studien haben nachgewiesen, dass die Vermeidung eines potentiellen Allergens wie Erdnuss oder Kuh­ milch während der Schwangerschaft und Stillzeit die Häufigkeit einer Allergie des Kindes nicht reduziert. Stillen/HA-Nahrung Ausschliessliches Stillen bzw. Stillen kombiniert mit hydrolysierter Säuglingsmilch könnte das Risiko einer atopischen Dermatitis verrin­ gern. Bei Kindern mit einem erhöhten Allergierisiko wurde mit der GINI Studie eine Verringerung des Risikos einer atopischen Dermatitis durch bestimmte HA-Nahrungen nachgewiesen. Aber daraus kann nicht ge­ schlossen werden dass alle HA-Nahrungen dies leisten können. Wich­ tig ist immer der Wirkungsnachweis in einer klinischen Studie. HA-Nahrung enthält Kuhmilchproteine, die in Peptide zerschnitten werden. Dabei ist es entscheidend, welche Peptide damit gebil­ det werden, um eine Verminderung der Allergenizität zu erreichen. Es wird vermutet, dass die richtigen Peptide das Immunsystem „trainieren“, Kuhmilchproteine zu akzeptieren. Daher die Empfehlung von hydrolysierter, klinisch getesteter Nahrung zur Allergieprävention Auflösung Peptidgrösse partiell und extensiv hydrolysiert Hitzebehandlung enzyextensiv hydrolysiert bis zum Alter von 4–6 Monaten, wenn Stillen nicht möglich ist und ein hohes Allergierisiko besteht. Die 10-Jahres-Resultate der deutschen Geburtskohorte (GINI) zeigenin der „intention-to-treat“-Analyse den präventiven Effekt einer extensiv hydrolysierten Milch aus Kasein und einer partiell hydro­lysierten Milch auf Molken-Basis. Einführung von Beikost Bisherige Empfehlungen forderten, potentiell allergene Nahrungsmit­ tel erst möglichst spät einzuführen. Trotzdem haben sich spezifische Nahrungsmittelallergien in den letzten 10 Jahren verdoppelt. Heute wird deshalb die Toleranzentwicklung durch eine frühe AllergenSensibilisierung empfohlen. Eine Studie zeigte, wenn ein Säugling Kuhmilchprotein erhält, kann dies das Risiko für eine spätere Nahrungsmittelallergie erhöhen. Dies konnte aber in anderen Untersuchungen nicht bestätigt werden. Die Exposition gegenüber hohen Erdnuss-Mengen scheint vor All­ ergien eher zu schützen. Eine andere Kohortenstudie mit gesunden Kindern bestätigte den protektiven Effekt von regelmässigem Fisch­ konsum im ersten Lebensjahr. Bei Kindern, die potentiell Nahrungsmittelallergien entwickeln könnten, also z.B. bereits ein atopisches Ekzem haben, muss die Einführung von möglicherweise allergen wirkenden Lebensmitteln überprüft werden. Auf einen Blick Ausschliessliches Stillen in den ersten 4–6 Lebensmonaten, auch zur Allergieprävention. Für Säuglinge mit Allergierisiko wird, wenn Stillen/ Vollstillen nicht möglich ist, in den ersten 4 Lebens­ monaten ein Hydrolysat mit in klinischen Studien nachgewiesener Sicherheit und Wirksamkeit empfohlen. Allergenvermeidung während der Schwangerschaft oder des Stillens geht nicht mit einer primären AllergiePrävention einher. Eine verzögerte Einführung von potentiell allergenen Lebensmitteln zur primären Prävention ist nicht not­ wendig. CMF NNI News 1/2016 pHF eHF Die frühe Einführung verschiedener Lebensmittel kann eventuell vor späterer allergischer Sensibilisierung schützen. Beikost 11 Beikosteinführung Spätestens nach abgeschlossenem 6. Lebensmonat können Muttermilch bzw. Säuglingsanfangsnahrungen den steigenden Nährstoff- und Energiebedarf nicht mehr decken. Die Einführung der Beikost ist notwendig. Diskutiert wird der Zeitpunkt zur Beikost­ einführung. Die ESPGHAN empfiehlt die Einführung der Beikost nicht vor dem voll­ endeten 4. Lebensmonat (17. Lebenswoche) und spätestens nach dem 6. Lebensmonat (26. Woche). Nährstoff- und Energiebedarf Im Vergleich zu Erwachsenen ist der Ener­ giebedarf pro kg Körpergewicht bei Säug­ lingen deutlich höher. Damit die benötigte Energiezufuhr trotz der eingeschränkten Lebensmittelaufnahmemenge gewährleistet ist, muss der Fettanteil der Nahrung entspre­ chend hoch sein. Der Fettanteil der Beikost soll 40% betragen bzw. im Bereich von 35– 45% der Gesamtenergie liegen. Wichtig ist die ausreichende Zufuhr der langkettigen essenziellen Fettsäuren Linol­ säure und α-Linolensäure. Sie sind notwen­ dige Vorläufer der LC-PUFA Arachidonsäure (ARA), Eicosapentaensäure (EPA) und Do­ cosahexaensäure (DHA). Kohlenhydrate, meist im Getreide, Gemüse und den Früchten, sollten im Alter von 6–12 Monaten ca. 45–55% des Energiebedarfs decken. Proteine Um den Proteinbedarf sicher zu decken, empfehlen die D-A-CH-Referenzwerte eine tägliche Proteinzufuhr von 1,3 g/kg Körper­ gewicht (KG) bei 4–6 Monaten und 1,1 g/kg KG für 6–12 Monate. Eine zu hohe Proteinzufuhr im 1. Lebensjahr ist mit einem erhöhten Risiko einer Adipo­ sitas im späteren Leben verbunden. Schon der Proteingehalt der Beikost bzw. später der Familienkost liegt deutlich über den Bedürf­ nissen der meisten Kinder. Falls statt Stillen eine Säuglingsnahrung gefüttert wird, sollte deren Proteingehalt einem der Muttermilch vergleichbaren Nährstoffprofil entsprechen. Der Proteingehalt einer Folgenahrung sollte deshalb nicht über 2,5 g/100 kcal liegen, aber nicht unter 1,65 g/100kcal. Flüssigkeit In den ersten 6 Lebensmonaten benötigt der Säugling keine zusätzliche Flüssigkeit. Muttermilch bleibt wichtiger Bestandteil der Nahrung. Ist Stillen nicht mehr möglich, soll eine Säuglingsanfangsnahrung – nach dem 6. Lebensmonat auch Folgenahrung – ange­ boten werden. Mit der Einführung der Beikost wird für Säug­ linge zwischen 6–12 Monaten eine Trink­ menge von 800–1000 ml pro Tag empfohlen. Die zusätzliche Menge soll als Leitungswas­ ser oder ungesüsster Kräuter- bzw. Früchte­ tee angeboten werden; am besten im Be­ cher oder aus einer Tasse. Eisen und Zink Im Alter von 6–24 Monaten haben Säuglinge und Kleinkinder wegen des raschen Wachs­ tums einen Eisenbedarf, der höher liegt als in anderen Lebensabschnitten. Die notwendige Versorgung soll durch eine eisenreiche Nah­ rung erfolgen; geeignet sind Fleisch­produkte, eisenangereicherte Säuglingsmilch, eisenhaltige Früchte und Gemüse. Auch der Zinkbedarf kann nicht mehr über die Muttermilch alleine gedeckt werden. Mit Fleisch in der Beikost oder dem Zinkgehalt in der Säuglingsmilch lässt sich die ausrei­ chende Versorgung sichern. Nahrungsvielfalt Nahrungspräferenzen können durch die Art und Zusammensetzung der Beikost beein­ flusst werden. Sie prägen spätere Essge­ wohnheiten und die langfristige gesundheit­ liche Entwicklung. Mit Einführung der Beikost soll der Säugling alle Geschmacksrichtungen und eine Vielzahl unterschiedlicher Lebensmittel kennenler­ nen. Das wiederholte Anbieten von Lebens­ mitteln ist ein wichtiger Faktor für die Einfüh­ rung einer vielseitigen Beikost. Auf einen Blick Einführung der Beikost nicht vor dem vollendeten 4. Lebensmonat und spätestens nach dem 6. Lebensmonat. Der erhöhte Energiebedarf muss durch Fett, Kohlehydrate und Eiweiss gedeckt werden. Mit der Einführung der Beikost wird für Säuglinge zwischen 6–12 Monaten eine Trinkmenge von 800–1000 ml pro Tag als adäquat beurteilt. Nahrungspräferenzen können durch die Art und Zusammensetzung der Beikost beeinflusst werden. Das wiederholte Anbieten von Lebensmitteln gilt als eines der wichtigsten Elemente bei der Einführung einer vielseitigen Beikost. Versorgung mit Mineralstoffen und Vitaminen durch ausgewogene und abwechslungsreiche Ernährung. Keine Kuhmilch als Getränk im 1. Lebensjahr. Medizinische Fachinformation Übergang zum Familienessen Ernährung im 2. und 3. Lebensjahr ermöglicht den Übergang von der Säuglingsernährung zur Familiennernährung unter Berücksichtigung der sensomotorischen Entwicklung der Kinder (Abb. 1). Zusammengefasst ergeben sich 3 Kernbotschaften für die Lebens­ mittelauswahl: In den ersten Lebensjahren ändert sich die Ernährung in ihrer Zusammensetzung und auch in ihrer Beschaffenheit. Der Bedarf an Energie und Nährstoffen pro kg Körpergewicht ist im Kleinkindalter niedriger als bei Säuglingen, aber höher als bei älteren Kindern. Zu beachten ist auch die interindividuelle Variabilität der Essfertig­ keiten. Es gilt zudem, traditionell und kulturell bedingte Ernährungs­ gewohnheiten zu berücksichtigen. Die Einschätzung des Bedarfs von Energie und Nährstoffen basiert in den deutschsprachigen Ländern auf den D-A-CH-Referenzwerten für die Nährstoffzufuhr. Diese Empfehlungen müssen für die Umset­ zung im Alltag in Lebensmittel übersetzt werden, damit sie für die Ernährungsberatung einzusetzen sind. Als Referenz gilt dafür heu­ te die Optimierte Mischkost (OMK) für Kinder und Jugendliche. Sie stellt auch die Basis für die Schweizer Empfehlungen der SGE dar. Das Konzept der Optimierten Mischkost wurde in den 1990er Jahren am FKE (Forschungsinstitut für Kinderernährung) ent­ wickelt und seither bei Bedarf neuen wissenschaftlichen Erkennt­ nissen angepasst. Es bildet mit dem „Ernährungsplan für das 1. Lebensjahr“ ein Ernährungskontinuum (www.fke-do.de) und Brot1 + Obst + Milch2 Stillen/ Säuglingsmilch Zwischenmahlzeit morgens Brot1 + Obst Mittagessen warme Mahlzeit Stückige Gemüse-Kartoffel-FleischMahlzeit Zwischenmahlzeit nachmittags Brot1 + Obst zur Hälfte als Vollkorn 2 pro Tag ca. 200 ml Wasser Vollkornkeks + Obst oder oder Mässig: tierische Lebensmittel Sparsam: fett- und zuckerreiche Lebensmittel Für Kinder nach dem 1. Lebensjahr wird in der Schweiz eine abwechs­ lungsreiche Mischkost empfohlen, ebenso wie für Erwachsene. Lediglich die Verzehrmengen ändern sich mit dem Alter und dem Energiebedarf. Die fünf zentralen Botschaften der SGE-Empfehlungen zum genuss­ vollen Essen und Trinken lauten: Wasser trinken, Früchte und Gemüse essen, regelmässig essen, Essen und Trinken schlau auswählen, Beim Essen Bildschirm aus. Auf einen Blick Auch im 2. und 3. Lebensjahr besteht ein erhöhter Energie- und Nährstoffbedarf. Individueller Energiebedarf und sensomotorische Entwicklung sind zu berücksichtigen. Eine Multinährstoffanreicherung ist angesichts der insgesamt guten Nährstoffzufuhr unnötig. Vollkornkeks + Obst oder Brot + Rohkost/Obst + Milch2 1 Abendessen 1 oder Reichlich: Getränke (Wasser, ungesüsster Tee) und pflanzliche Lebensmittel Eine Optimierte Mischkost (OMK) erfüllt die Anforderungen in dieser Zeit. Übergang der Mahlzeiten im Beikostalter Frühstück 12 Milch-Getreide-Brei Vollmilch 3,5%, Tasse Der Fokus sollte auf „kritischen“ Nährstoffen liegen. Deren Zufuhr kann auch mit Säuglingsmilch verbessert werden. Convenience-Produkte sollten den Kriterien für die Lebensmittelauswahl und Mahlzeitenzusammensetzung einer gesunden Kinderernährung entsprechen und z.B. reichlich pflanzliche Lebensmittel enthalten. Herausgeber: Deutschland 60523 Frankfurt E-mail: [email protected] · www.nestlenutrition-institute.org Redaktion: Dr. Mike Poßner, Herbert Lechner M. A. Realisation: lechnerpress, 86413 Marklkofen, Aigen 1 & Werbeagentur Bauerkämper, 85445 Aufkirchen, Eichenring 6a Abb.: pololia/marchibas/gugelleonid/[email protected], privat, Nestlé © Nestlé Nutrition Institute Deutschland Das Nestlé Nutrition Institute ist eine weltweite Plattform, die Ärzten und Fachpersonal den schnellen Zugriff zu neuesten Erkenntnissen aus der medizinischen und der Ernährungsforschung bietet, Termine von Tagungen und deren Inhalte veröffentlicht und auf internationalen Symposien vertreten ist. Es handelt sich um ein virtuelles, Wissen verbreitendes Netzwerk und ist damit Ausdruck des wissenschaftlichen Auf trags, dem sich Nestlé Nutrition seit jeher verpflichtet fühlt. Kostenlos registrieren: www.nestlenutrition-institute.org Stand 02/2016 – 103752704 Forschungsinstitut für Kinderernährung (FKE), Dortmund