Herz Kardiovaskuläre Komorbidität bei rheumatoider Arthritis

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Herz
1
© Urban &
& Vogel
Vogel2005
2005
Medizinische Klinik und
Poliklinik II, Herz- und
Kreislaufzentrum der
Universität Würzburg.
Kardiovaskuläre Komorbidität
bei rheumatoider Arthritis
Spielt das Geschlecht eine Rolle?
Margret Kung, Stefan Störk, Christiane E. Angermann1
Schlüsselwörter:
Koronare Herzkrankheit ·
Herzinsuffizienz · Plötzlicher Herztod · Rheumatoide Arthritis · Gender ·
Sex
Herz 2005;30:512–21
DOI 10.1007/
s00059-005-2717-2
Zusammenfassung
Bei rheumatoider Arthritis (RA) bestehen Unterschiede zwischen Männern und Frauen bezüglich
Inzidenz, Prävalenz und klinischem Verlauf. Eine
eindeutige Klassifikation der potentiell pathogenetisch bedeutsamen oder den Krankheitsverlauf
modulierenden Faktoren als „Sex-“ bzw. „Gender“abhängig erweist sich dabei als schwierig (Abbildung 1).
RA-Patienten sind in der Mehrzahl weiblich.
Amerikanische Daten sprechen sowohl bei Männern als auch bei Frauen für eine Abnahme der Inzidenz der RA über die letzten 40 Jahre (Abbildung
2). Nach derzeitigem pathophysiologischem Verständnis tragen generalisierte und lokale Entzündungsreaktionen bei RA zu einer akzelerierten
Atherogenese bei. Dabei spielt auch die Interaktion
zwischen Sexualhormonen und Zytokinen eine
Rolle (Abbildung 3). Korrespondierend dazu findet
sich bei RA insbesondere bei Frauen eine im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung (Abbildungen 4
und 5) höhere Inzidenz von Herzinsuffizienz (Abbil-
dung 6), koronarer Herzkrankheit und Myokardinfarkt sowie plötzlichen Todesfällen und eine besonders bei Frauen deutlich eingeschränkte Lebenserwartung. Wie kürzlich große Therapiestudien mit Cyclooxygenase-(COX-)2-Inhibitoren deutlich gemacht haben, haben gegen RA gerichtete
Pharmaka das Potential, die Häufigkeit des Auftretens kardiovaskulärer Komorbiditäten zu beeinflussen.
Prospektive Kohortenstudien, in denen die
Früherkennung kardiovaskulärer Anomalien und
die genaue Charakterisierung der Krankheitsmanifestation angestrebt werden, sollten zukünftig
zu einem profunderen Kausalverständnis kardiovaskulärer Morbidität bei RA beitragen.
Der vorliegende Artikel gibt eine Übersicht
über bisher Bekanntes zu Geschlechtsunterschieden bei RA und bei kardiovaskulären Erkrankungen und möchte geschlechtsabhängige Aspekte der kardiovaskulären Komorbidität bei RA
herausarbeiten.
Cardiovascular Comorbidity in Rheumatic Disease. Does Sex Matter?
Key Words:
Coronary artery disease ·
Heart failure · Sudden
cardiac death · Rheumatic
disease · Gender · Sex
512
Abstract
The importance of sex- and gender-related features of various diseases regarding the impact of
different risk factors on the natural course of disease, the response to therapy and outcome have
only more recently been appreciated. Studies investigating sex- and gender-related aspects in
rheumatoid arthritis (RA) are scarce. Unambiguous
classification of factors of potential pathogenetic
relevance or with the capacity to influence clinical
course and disease management into sex- or gender-related aspects is difficult (Figure 1).
The majority of RA patients is female. As illustrated by Figure 2, available evidence indicates
a progressive decline in the incidence of this disease over the past 40 years in both men and
women. There appears to be a cyclical pattern in
the annual incidence rates with peaks and troughs
occurring for both sexes, but at different times,
which suggests the changing exposure to environmental factors which may promote or decrease RA. Current knowledge suggests that RA is
characterized by chronic local and systemic inflammation which may trigger accelerated atherogenesis. Sex hormones may also play a pathogenetic role. Androgens and estrogens may stimulate the production of inflammatory cytokines
in the synovial fluid. These cytokines then may influence sex hormone metabolism thus modifying
sex hormone levels (Figure 3). Compared to the
general population (Figures 4 and 5), the risk of
cardiovascular morbidity and mortality is significantly increased in patients with rheumatic diseases and in particular in RA. This is evidenced by
a higher incidence of congestive heart failure (Figure 6), coronary artery disease and (frequently silent) myocardial infarction, as well as sudden cardiac death. Several studies have demonstrated a
Herz 30 · 2005 · Nr. 6 © Urban & Vogel
Kung M, et al. Geschlechtsabhängige Aspekte von Herzerkrankungen bei rheumatoider Arthritis
significantly increased standardized mortality ratio in RA and identified cardiovascular events as
the most frequent cause.
Compared with expected mortality rates in
the normal population, women with RA have a
significantly more compromised life expectancy
than men (Table 1). Amongst factors with uneven
distribution between sexes are traditional cardiovascular risk factors (Table 2), but also more recently recognized potential risk indicators or risk
modifiers such as inflammatory markers and sex
hormones. Drugs directed against RA may influence the natural course of cardiovascular disease,
as, e.g., indicated by the increased rates of cardiac
events and stroke associated with cyclooxygenase-(COX-)2 inhibitor treatment. In contrast, the
Einleitung
Die rheumatoide Arthritis (RA) ist eine chronisch inflammatorische Erkrankung mit einer
Prävalenz von ca. 1% in der erwachsenen Bevölkerung. Bei Atherogenese und Atheroskleroseprogression handelt es sich gleichfalls um
ein chronisch-entzündliches Geschehen, so dass
Zusammenhänge und Wechselwirkungen zwischen beiden Krankheitsentitäten nahe liegen
(Übersicht in [28]). RA-Patienten weisen eine
gesteigerte kardiovaskuläre Morbidität und
Mortalität auf, die durch eine erhöhte Inzidenz
von Herzinsuffizienz, stummen Myokardinfarkten bei koronarer Herzkrankheit (KHK)
und plötzlichen Herztodesfällen bedingt sind.
Die kardiovaskuläre Mortalitätsrate ist gegenüber der Allgemeinbevölkerung um den Faktor
1,3–2,4 erhöht (Übersichten in [4, 28, 33, 39]).
Pathophysiologische Erklärungsansätze für
diese Beobachtung postulieren, dass die chronisch-entzündliche Grunderkrankung die beschleunigte Entstehung von Atherosklerose
begünstigt. Die Auswirkungen traditioneller
kardiovaskulärer Risikofaktoren [33] und der
Effekt einer möglicherweise kardiotoxischen
antiinflammatorischen Therapie [37, 48] auf die
kardiovaskuläre Komorbidität bei RA-Patienten werden derzeit intensiv untersucht. T-Lymphozyten, denen in der Pathogenese der RA
eine Schlüsselrolle zukommt, scheinen gleichfalls eine zentrale Rolle bei der Atherogenese,
beim akuten Koronarsyndrom sowie bei instabilen atherosklerotischen Plaques zu spielen
(Übersicht in [36]).
Sowohl die KHK als auch die RA zeigen geschlechtsspezifische Verläufe hinsichtlich Auftre-
Herz 30 · 2005 · Nr. 6 © Urban & Vogel
effect of pharmacotherapy for cardiovascular diseases on the course of RA is unexplored.
Prospective cohort studies aiming at early
detection of cardiovascular morbidity and precise
and detailed characterization of disease manifestations will be required in order to more thoroughly understand the interplay of factors and
conditions determining an individuals’ risk for developing cardiovascular comorbidity in autoimmune diseases.
This article summarizes the available evidence for sex- and gender-related differences in
the disease manifestation of rheumatic disorders
as well as in cardiovascular risk factors with an
emphasis on the cardiovascular comorbidity observed in RA.
ten, Klinik, Therapie und Verlauf. Neben den
hormonell bedingten Unterschieden zwischen
den Geschlechtern scheinen Therapie, Versorgung, aber auch Umwelteinflüsse sowie soziale
Faktoren und Krankheitsbewusstsein für diese
Unterschiede verantwortlich zu sein. Dabei wird
im englischen Sprachgebrauch korrekter zwischen „Sex-“ und „Gender“-spezifischen Faktoren unterschieden, ohne dass diese Unterscheidung stringent einzuhalten wäre. Unter Sex-spezifischen Faktoren versteht man rein biologisch
determinierte Faktoren. Davon unterschieden
werden Gender-spezifische Einflussgrößen, die
auf die soziale Geschlechtsrolle zurückzuführen
sind und beinhalten, was innerhalb einer Kultur
als geschlechtstypisch angesehen wird. Wie Abbildung 1 verdeutlichen soll, sind Sex- und Gender-abhängige Aspekte der kardiovaskulären
Komorbidität bei RA verflochten, so dass eine
eindeutige Zuordnung im Hinblick auf Pathomechanismen und Krankheitsgeschehen nicht immer möglich ist. Da in den meisten klinischen
Studien in der Vergangenheit Frauen unterrepräsentiert waren, ist die einschlägige Datenlage
spärlich.
Der vorliegenden Übersicht liegt eine Literaturrecherche zu Sex- und Gender-abhängigen
Aspekten bei RA und bei kardiovaskulären Erkrankungen sowie zur Komorbidität beider Gesundheitsstörungen zugrunde. Die pathophysiologischen, epidemiologischen und soziologischen
Faktoren, die zu Unterschieden in Diagnostik,
Therapie, Krankheitsverlauf und Prävention führen, werden dargestellt. Der mögliche Kausalzusammenhang zwischen Sex- und Gender-spezifischen Aspekten der kardiovaskulären Komorbi-
513
Kung M, et al. Geschlechtsabhängige Aspekte von Herzerkrankungen bei rheumatoider Arthritis
Sex
Gender
Kardiovaskuläre
Risikofaktoren
Immunologische
Einflussfaktoren
Pathophysiologie
der KHK
Epidemiologie und
Verlauf der RA/KHK
Hormonelle
Einflussfaktoren
Diagnostik,
Therapie
und Prävention
Klinisches
Beschwerdebild
der KHK/RA
Abbildung 1. Für die Pathogenese und Klinik kardiovaskulärer Komorbidität bei rheumatischen Erkrankungen relevante Faktoren in Abhängigkeit von Sex- (links) und
Gender-spezifischen (rechts) Einflussfaktoren. Sex- und Gender-abhängige Aspekte
überschneiden sich und machen dadurch eine klare Zuordnung unmöglich.
200
100
Männer
Frauen
80
60
100
40
50
20
0
Geburtsjahreskohorte
1900
1910
1920
1930
1940
1950
0
1960
a
150
Inzidenz
Altersadaptierte Inzidenz/
100.000
Figure 1. Sex- (left) and gender-related (right) disease-modifying factors relevant for
the pathogenesis and clinical course of cardiovascular comorbidity in rheumatic disease. There is considerable overlap between sex- and gender-related factors.
1970 1980
Geburtsjahr
1990
b
Autoimmunerkrankungen aus dem rheumatischen
Formenkreis betreffen überwiegend Frauen. Das
Geschlechterverhältnis liegt bei 2–3 : 1 für die RA
(Inzidenz ca. 75 pro 100 000/Jahr), bei 9 : 1 für den
systemischen Lupus erythematodes (SLE; Inzidenz 6–7 pro 100 000/Jahr) und bei 4 : 1 für die
Sklerodermie (Inzidenz 20 pro 100 000/Jahr) [34].
Die Inzidenz steigt bei Männern bis ins hohe Lebensalter kontinuierlich an, während sie bei Frauen bis zu einem Alter von etwa 60 Jahren zunimmt,
um dann kontinuierlich wieder abzufallen [12]
(Abbildung 2). Dennoch bleibt auch in der mittleren Altersgruppe die Prävalenz bei Frauen doppelt
so hoch wie bei Männern [14]. Prämenopausale
Frauen erkranken häufiger an RA, SLE und Sklerodermie als postmenopausale [3, 56]. Im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung weisen Patienten mit RA eine niedrigere Lebenserwartung auf.
Die alterskorrigierte Mortalitätsrate von Frauen
ist etwa 1,5fach erhöht (Tabelle 1). Eine Registerstudie, die sämtliche RA-Patienten (n = 603; 73%
Frauen) des US-Bundesstaates Minnesota über 15
Jahre nachbeobachtete, macht deutlich, dass neben dem Alter ein positiver Rheumafaktor in geschlechtsabhängig unterschiedlicher Weise prognoserelevant ist. Die Lebenserwartung einer
50-jährigen Frau reduzierte sich in dieser Untersuchung aufgrund der Grunderkrankung RA um 4
Jahre, die eines 50-jährigen Mannes dagegen nur
um 1 Jahr [19].
30
40
50
60
70 80
Alter zum Zeitpunkt der Diagnose
Abbildungen 2a und 2b. a) Inzidenz der rheumatoiden Arthritis pro 100 000 Einwohner
bei Männern und Frauen der Bevölkerung von Rochester, MN, USA, von 1955 bis 1995
(modifiziert nach [12]). Die Gründe für den Rückgang der Inzidenz bei beiden Geschlechtern wie auch die antizyklische Fluktuation der Inzidenz bei Männern und Frauen sind
ungeklärt; eine mögliche Rolle wird jedoch Einflussfaktoren wie dem Rückgang von Infektionserkrankungen (Endemien), der Veränderung von Umweltfaktoren und der Einnahme von Hormonsubstitutionstherapien beigemessen.
b) Inzidenz der rheumatoiden Arthritis in den Jahren 1955–1995 pro 100 000 Personenjahre der weiblichen Einwohner von Rochester, MN, USA, unterschieden nach Geburtsjahreskohorte und Alter zum Zeitpunkt der Diagnose (modifiziert nach [12]).
Figures 2a and 2b. a) Incidence of rheumatoid arthritis per 100,000 in the population of
all residents of Rochester, MN, USA, 1955–1995, by sex (modified from [12]). Possible reasons for the decline of incidence in both sexes and the concomitant anticyclical pattern
of incidence between men and women include decreasing rates of endemics, changing
exposure to environmental factors, and intake of hormone replacement therapy.
b) Incidence of rheumatoid arthritis per 100,000 person-years in female residents of Rochester, MN, USA, 1955–1995, by birth cohort and age at diagnosis (modified from [12]).
dität bei RA und daraus ableitbare Implikationen
im Hinblick auf weitere Forschungsaktivitäten
werden aufgrund der verfügbaren Datenlage diskutiert.
514
Geschlechtsabhängige Aspekte der
rheumatoiden Arthritis
Epidemiologie und Krankheitsverlauf
Immunologische Einflussfaktoren
Nach derzeitiger Auffassung wirken bei der Entstehung rheumatischer Erkrankungen mit autoimmuner Beteiligung mehrere Faktoren auf das Immunsystem ein: Epitope des Triggers (z.B. einer
Virusinfektion), wobei Histokompatibilitätsfaktoren, Aktivierung des Stress-Antwort-Systems, die
Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse sowie Effekte der gonadotropen Hormone pathogenetisch relevant sind [50]. Sexualhormone und ihre Metaboliten modulieren bei beiden
Geschlechtern auf vielfältige Weise den Krankheitsbeginn und -verlauf einer RA. Östrogene verstärken die humorale Immunität, während Androgene, Progesteron und Glukokortikoide die Immunabwehr schwächen [10]. Niedrige Konzentrationen
von gonadalen, aber auch adrenalen Androgenen
(Testosteron, Dihydrotestosteron, Dehydroepiandrosteron [DHEA] und sein Sulfat [DHEAS])
sowie eine verminderte Androgen-Östrogen-Ratio
im Serum und in anderen Körperflüssigkeiten wer-
Herz 30 · 2005 · Nr. 6 © Urban & Vogel
Kung M, et al. Geschlechtsabhängige Aspekte von Herzerkrankungen bei rheumatoider Arthritis
den bei Frauen und Männern mit RA durch eine
insgesamt reduzierte Immunsuppression pathogenetisch wirksam. Vermutlich ist bei RA-Patienten
die Konversion von Vorläuferandrogenen in
17β-Östradiol beschleunigt [10]. DHEAS und Progesteron hingegen scheinen im Serum von RA-Patienten beiderlei Geschlechts als Ausdruck vermehrter Konversion erniedrigt zu sein [9].
Mutationen und Alterationen im Tumorsuppressorgen p53, welches das Zellwachstum reguliert, finden sich gehäuft bei Rauchern und Patienten mit RA. Offenbar potenziert ein Nikotinabusus vor allem bei seropositiven männlichen
RA-Patienten das Krankheitsrisiko bezüglich Inzidenz wie auch Krankheitsverlauf [1].
Effekte von Sexualhormonen auf den
Krankheitsverlauf der rheumatoiden
Arthritis
Menstruationszyklus, Schwangerschaft, postpartale Periode, Menopause, fortgeschrittenes Alter,
chronischer Stress, erhöhte Spiegel an inflammatorischen Zytokinen und die Einnahme von Kortikosteroiden, oralen Kontrazeptiva sowie Hormonersatzpräparaten [8, 27] beeinflussen die Östrogenspiegel im Serum und den peripheren
Metabolismus von Steroiden. In makrophagenreichen Geweben können erhöhte Konzentrationen
gewebeständiger inflammatorischer Zytokine
(Tumor-Nekrose-Faktor-[TNF-]α, Interleukin[IL-]1, IL-6) eine vermehrte Aktivität des Aromatase-Enzymkomplexes induzieren [24]. Dieser ist
beteiligt an der peripheren Konversion von Androgenen (Testosteron und Androstendion) in Östrogene (Östron, Östradiol). Östrogene können
wiederum die Sekretion von Zytokinen durch Modulation der CD16-Expression beeinflussen [53].
So lassen sich erhöhte Östrogenspiegel in der Synovialflüssigkeit von RA-Patienten erklären (Abbildung 3) [10, 11]. Der Zusammenhang lokaler
Sexualhormonkonzentrationen mit dem Entzündungsgeschehen liefert eine weitere Erklärung
dafür, dass bei Männern mit RA erniedrigte Spiegel von Testosteron, DHEAS und Östron, aber
erhöhte 17β-Östradiolspiegel gemessen wurden
[51]. Zur Komplexität des Geschehens trägt
schließlich bei, dass sich in instabilen Plaques und
humanen Atheromen überwiegend T-Lymphozyten finden, die inflammatorische Zytokine wie
Interferon-γ, TNF-α oder IL-2 sezernieren und so
ebenfalls die Atherogenese induzieren bzw. die
Atheroskleroseprogression unterhalten (Übersicht in [36]).
Der Effekt einer Schwangerschaft und der
damit verbundenen Hormonkonstellationen wur-
Herz 30 · 2005 · Nr. 6 © Urban & Vogel
Gesamt
Frauen
Männer
Alterskorrigierte
Mortalitätsrate
95%-Konfidenzintervall
1,27
1,41
1,08
1,13–1,41
1,22–1,61
0,86–1,32
de insbesondere bei Patientinnen mit RA und
SLE untersucht. Vor allem während des 2. und 3.
Trimenons sind bei RA-Patientinnen im Vergleich zu gesunden Schwangeren die Spiegel von
Östrogen erniedrigt und von Progesteron erhöht.
Der physiologische IL-6-Anstieg fällt schwächer
aus, während IL-10 anhaltend hoch exprimiert
wird. Dies bedingt eine stärkere Immunsuppression und möglicherweise die in diesem Zeitraum
typischerweise erniedrigte Krankheitsaktivität
[13]. Andererseits wird postuliert, dass im ersten
postpartalen Jahr das Risiko, an einer RA zu erkranken, erhöht sein könnte [44]. Als ursächlich
angeschuldigt werden Schwankungen im Östrogenhaushalt, aber auch erhöhte Prolaktinspiegel.
Im Gegensatz zur RA nimmt beim SLE die
Krankheitsaktivität während der Schwangerschaft nicht ab. Damit konsistent ist die Beobachtung, dass es bei SLE-Patientinnen mit Cyclophosphamid-induzierter Ovarialinsuffizienz bzw.
nach altersgemäßem Eintritt der Menopause zu
einem moderaten Abfall der maximalen Krankheitsaktivität kommt [41], während bei der RA
bisher kein sicherer Zusammenhang zwischen
Erstdiagnosezeitpunkt und Menarche, Geburtenhäufigkeit oder dem Einsetzen der Menopause
beschrieben wurde [18]. Unklar ist derzeit noch,
ob die exogene Zufuhr von Östrogenen das Risiko erhöht, an RA zu erkranken oder die RAProgression zu beschleunigen.
Tabelle 1. Alterskorrigierte
Mortalitätsrate bei Männern und Frauen bei 609
Fällen von rheumatoider
Arthritis, verglichen mit
der in der Normalpopulation zu erwartenden Sterblichkeit (modifiziert nach
[7]).
Table 1. Standardized mortality ratios among 609
patients with rheumatoid
arthritis compared with
expected mortality rates
in the normal population
(modified from [7]).
Geschlechtsabhängige Aspekte
kardiovaskulärer Erkrankungen
KHK und Herzinsuffizienz stellen nicht nur bei
Männern, sondern auch bei Frauen (Abbildung 4)
die mit Abstand häufigste Todesursache dar. Die
Lebenszeitprävalenz ist, aufgrund der etwa 10 Jahre höheren mittleren Lebenserwartung, bei Frauen
doppelt so hoch wie bei Männern (Abbildungen 5a
und 5b; Übersicht in [15]). Für KHK wie auch
Herzinsuffizienz unterscheiden sich bei Männern
und Frauen die Krankheitsverläufe: Die Inzidenzen steigen bei Frauen jeweils erst mit Beginn der
Menopause und somit etwa 10 Jahre später als bei
Männern deutlich an. Ab der 8. Lebensdekade sind
Prävalenz und Mortalität durch kardiovaskuläre
Erkrankungen bei Frauen höher als bei Männern;
515
Kung M, et al. Geschlechtsabhängige Aspekte von Herzerkrankungen bei rheumatoider Arthritis
Abbildung 3. Effekte von
Androgenen und Östrogenen auf immunozellulärer
Ebene in der Synovia bei
Patienten mit RA (linke
Hälfte). Auswirkung inflammatorischer Zytokine
auf Östrogen/AndrogenUmsatz durch Aktivation
der Aromatase-Aktivität
mit daraus resultierendem Anstieg der Östrogenspiegel in der Synovialflüssigkeit (rechte Hälfte); A: Androgen; E:
Östrogen, Th2:T-HelferZellen 2, INF: Interferon;
weitere Abkürzungen s.
Text (Modifiziert nach
[10]).
Abbildung 4. Führende Todesursachen bei Frauen in
Deutschland 2003 (Statistisches
Bundesamt
Deutschland 2005, www.
destatis.de/presse/deutsch/
pm2005/p0600092.htm).
Figure 4. Leading causes
of death for females in
Germany 2003 (Federal
Agency for Statistics
Germany 2005, www.
destatis.de/presse/deutsch/
pm2005/p0600092.htm).
516
Frauen werden fast doppelt so häufig wegen dieser
beiden Diagnosen stationär behandelt. Hinsichtlich der Prognose nach erstem Herzinfarkt zeichneten sich in großen Registerstudien folgende Trends
ab: a) Geschlecht ist kein unabhängiger Risikofaktor für das Überleben nach erstem Myokardinfarkt;
b) jüngere Frauen (< 55 Jahre), die lebend das
Krankenhaus erreichen, haben eine höhere 30-Tage-Mortalität als altersgleiche Männer (6,5% vs.
4,8%); c) Männer mit akutem Myokardinfarkt sterben in einem höheren Prozentsatz vor Erreichen
der Klinik [17, 26]. Bei der Herzinsuffizienz gibt es
gleichfalls keine sicheren Hinweise auf einen unabhängigen Einfluss des Geschlechts auf Hospitalisierung und Mortalität. Charakteristisch ist jedoch,
dass sich bei Frauen häufiger eine arterielle Hypertonie als Ursache der Herzinsuffizienz findet als bei
Männern. Demzufolge weisen Frauen auch öfter
als Männer eine Herzinsuffizienz bei erhaltener
linksventrikulärer Pumpfunktion auf [6].
Prozent der Gesamttodesfälle
Figure 3. Effects of androgens and estrogens on the
immunocellular level of
the synovial tissue in
rheumatoid arthritis (RA)
(figure left). Effects of inflammatory cytokines on
androgen/estrogen metabolism through activation of aromatase resulting in increased synovial
fluid estrogens in RA
(figure right). A: Androgen; E: Östrogen, Th2:
helper t cell 2, INF: interferone; further abbreviations see text (Modified
from [10]).
60
51,2
50
40
30
Pathophysiologische Mechanismen
Die Gender- bzw. Sex-abhängigen pathophysiologischen und molekularen Mechanismen der Herzinsuffizienz sind noch nicht im Detail verstanden.
Man weiß jedoch, dass Alter, arterielle Hypertonie,
Diabetes mellitus und Aktivierung des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems (RAAS) die Pathogenese bei Männern und Frauen in unterschiedlicher Weise beeinflussen. Altern scheint bei Männern stärker mit regressiven Vorgängen auf
zellulärer Ebene verbunden zu sein, wie dem myokardialen Zelltod, der Apoptose und der Zellhypertrophie. Im Tiermodell weisen weibliche Myozyten
eine niedrigere Dichte an β-Adrenozeptoren als
männliche Myozyten und somit eine verringerte inotrope Stimulierbarkeit und Kalziumantwort auf.
Männliche Ratten mit hypertensiv bedingter Herzinsuffizienz zeigten früher als weibliche Ratten eine
Aktivierung des RAAS und damit verbunden eine
gesteigerte Angiotensinkonversionsenzym-(ACE-)
Aktivität. Mechanismen, die das kardiovaskuläre
Risiko für Frauen erhöhen, umfassen u.a. die bei
Frauen aufgrund ihres höheren Fettgewebsanteils
gesteigerte Produktion inflammatorisch wirksamer
Mediatoren und ein höheres Risiko, an Diabetes zu
erkranken (Übersicht in [39]).
21,5
20
10
6,2
2,8
0
KardioÄußere
Malignome Lungenvaskuläre
krankheiten Ursachen
Erkrankungen
Kardiovaskuläre Risikofaktoren
Alter, Fettstoffwechselstörungen, arterielle Hypertonie, Nikotin, Diabetes mellitus, Adipositas
und Bewegungsmangel sind klassische kardiovaskuläre Risikofaktoren, die sich bei beiden Ge-
Herz 30 · 2005 · Nr. 6 © Urban & Vogel
Kung M, et al. Geschlechtsabhängige Aspekte von Herzerkrankungen bei rheumatoider Arthritis
a
Herzinfarkte absolut
70000
Männer
60000
Frauen
50000
b
Abbildungen 5a und 5b.
Absolute Herzinfarkthäufigkeit in Deutschland
2002 nach Alter und Geschlecht (a), hochgerechnet aus der Herzinfarkthäufigkeit pro 100 000
Einwohner nach Alter und
Geschlecht im KORA/MONICA-Herzinfarktregister
Augsburg 2000/02 (b).
(Statistisches Bundesamt
Deutschland 2004, www.
gbe-bund.de.)
Herzinfarkte / 100.000 Einwohner
6000
Männer
Frauen
5000
4000
40000
3000
30000
2000
20000
1000
10000
0
0
25−34 35−44 45−54 55−64 65−74 75−84 ≥ 85 J.
34−35 35−44 45−54 55−64 65−74 75−84 ≥ 85 J.
schlechtern nicht nur bezüglich der Prävalenz (Tabelle 2), sondern auch im Hinblick auf die pathogenetische Relevanz unterscheiden (Übersicht in
[39]). Die Herzinsuffizienz ist bei Männern häufiger durch KHK bedingt, während bei Frauen arterielle Hypertonie und Diabetes mellitus als für
Herzinsuffizienz prädisponierende Faktoren dominieren. Die WHO-MONICA-Kohorte (Europa) zeigte, dass mit dem Alter auch die Prävalenz
der arteriellen Hypertonie zunimmt. Da Frauen
im Durchschnitt länger leben als Männer, sind in
den Industrienationen 60% aller Hypertoniker
Frauen. In der Framingham-Kohorte zeigte sich
für Männer mit arterieller Hypertonie ein zweifach, für Frauen sogar ein dreifach erhöhtes Herzinsuffizienzrisiko (Übersicht in [39]).
Daten einer großen amerikanischen Kohortenstudie mit 13 643 Teilnehmern legen nahe,
dass Nikotinkonsum bei Frauen das Herzinsuffizienzrisiko signifikant stärker erhöht als bei Männern (88% vs. 45%) [16]. Eine linksventrikuläre
Hypertrophie steigert ebenfalls bei Frauen stärker als bei Männern die Wahrscheinlichkeit, an
einer Herzinsuffizienz zu erkranken oder zu versterben; eine begleitend vorhandene Adipositas
erhöht das Risiko für Frauen noch zusätzlich.
Auch Plasmalipide beeinflussen geschlechtsabhängig das kardiovaskuläre Risiko: Frauen haben
einerseits insgesamt ein höheres Gesamtcholesterin im Serum [5]. Andererseits bedeuten für sie
offenbar erniedrigte HDL-Cholesterin-Spiegel
und hohe Triglyzeridspiegel ein gravierenderes
kardiovaskuläres Risiko als für Männer [39].
Effekte von Sexualhormonen auf das
kardiovaskuläre System
Bei beiden Geschlechtern finden sich Androgen- und Östrogenrezeptoren in Blutgefäßen
Herz 30 · 2005 · Nr. 6 © Urban & Vogel
sowie im Vorhof- und Ventrikelmyokard [39].
Naturgemäß wirken bei Männern und Frauen
unterschiedliche hormonelle Faktoren auf das
kardiovaskuläre System ein, wobei Androgene
und Östrogene häufig entgegengesetzte Wirkungen entfalten. So haben Östrogene über eine
Dämpfung der Plasmareninaktivität einen eher
blutdrucksenkenden Effekt, während Testosteron die Plasmareninaktivität steigert. Östrogene
inhibieren Remodeling-Prozesse an Gefäßen,
Vasokonstriktion, das Wachstum glatter Muskelzellen und die Einlagerung von Kollagen im
Myokard, während Androgene eine Kollageneinlagerung im Myokard begünstigen. Im Tierexperiment vermehrt exogene Testosteronzufuhr bei beiden Geschlechtern die skelettale und
kardiale Muskelmasse und steigert die Pumpfunktion. Östrogene vermindern das Fibroblasten- und Myozytenwachstum (Übersicht in [25]).
Trotz vieler günstiger Wirkungen endogener
Östrogene konnte ein gefäßprotektiver Nutzen
exogen zugeführter weiblicher Sexualsteroide in
randomisierten Studien mit klinischen Endpunkten allerdings bisher nicht sicher nachgewiesen werden (Übersicht in [49]). Inwieweit
selektivere
Östrogenrezeptor-Modulatoren
doch einen kardioprotektiven Nutzen entfalten
können, wird derzeit wissenschaftlich geprüft.
Figures 5a and 5b. Number
of myocardial infarctions
in Germany 2002 matched
for age and sex (a), calculated from myocardial
infarction per 100,000
age- and sex-matched
residents of the KORA/
MONICA myocardial infarction registry Augsburg, Germany, 2000/02
(b). (Federal Agency for
Statistics Germany 2004,
www.gbe-bund.de.)
Tabelle 2. Prävalenz (%) kardiovaskulärer Risikofaktoren bei der weißen US-Bevölkerung 2002 [2].
Table 2. Prevalence (%) of cardiovascular risk factors in white men and women in the
USA 2002 [2].
Männer
Frauen
Diabetes
mellitus
Arterielle
Hypertonie
Adipositas
Bewegungsmangel
Nikotin
6,2
4,7
30,6
31
69,4
57,2
34,4
38,3
25,5
20,7
517
Kung M, et al. Geschlechtsabhängige Aspekte von Herzerkrankungen bei rheumatoider Arthritis
Hormonschwankungen, unregelmäßige Menstruationszyklen, späte Menarche und frühe Menopause (häufig beobachtet beim polyzystischen
Ovarsyndrom) erhöhen vermutlich das Risiko
für kardiovaskuläre Erkrankungen der Frau
(Übersicht in [39]).
Klinisches Beschwerdebild und
medizinische Versorgung
Frauen klagen häufiger über thorakale Schmerzen als Männer, haben dabei aber eine geringere
Infarktwahrscheinlichkeit [15]. In der CASS-Studie berichteten weibliche im Vergleich zu männlichen Studienteilnehmern über ausgeprägtere
thorakale Beschwerden, obwohl in der anschließenden Herzkatheteruntersuchung bei fast 50%
von ihnen eine signifikante KHK ausgeschlossen
wurde [22]. Das Syndrom X mit Belastungsbeschwerden bei unauffälligen Koronarien ohne
Einschränkung der Lebenserwartung findet sich
überwiegend bei Frauen [21]. Andererseits werden offenbar weiterführende diagnostische Maßnahmen Frauen immer noch eher vorenthalten
als Männern. Beispielsweise wurden in einer
amerikanischen Studie Frauen mit positivem
Stresstest seltener als Männer der weiteren
nichtinvasiven Diagnostik bzw. Koronarangiographie zugeführt [43]. Daten des Würzburger
Herzinsuffizienzregisters legen nahe, dass Männer signifikant häufiger gemäß aktuellen Therapieleitlinien behandelt werden als Frauen. Insgesamt sind die Angaben in der Literatur zur Frage
Gender-abhängiger Unterschiede bei der medizinischen Versorgung jedoch uneinheitlich [23, 31].
Metaanalysen großer Medikamentenstudien deuten darauf hin, dass zumindest ACE-Hemmer
und β-Blocker bei Männern und Frauen gleich
häufig verschrieben werden und insgesamt eine
vergleichbare Risikoreduktion bewirken (Übersicht in [25]).
Im Gegensatz zu Männern sind sich Frauen
des Risikos einer kardiovaskulären Erkrankung
seltener bewusst. Sie sehen häufig Krebserkrankungen als ihre stärkste gesundheitliche Bedrohung an [32], obwohl auch beim weiblichen Geschlecht die kardiovaskuläre Mortalität etwa
doppelt so hoch ist wie die durch Malignome bedingte (s. Abbildung 4). Eine Ursache dafür mag
auch darin liegen, dass einer Umfrage nach
Frauen, zumindest in den USA, die Massenmedien als hauptsächliche Informationsquelle nutzen, ein mangelndes Risikobewusstsein aufweisen und sich ärztlicherseits mehrheitlich nicht
ausreichend über kardiovaskuläre Erkrankungen aufgeklärt fühlen [32].
518
Kardiovaskuläre Komorbidität bei
rheumatoider Arthritis
Nur in wenigen Studien wurde bisher das kardiovaskuläre Risikoprofil von RA-Patienten untersucht, wobei sich uneinheitliche Resultate fanden.
Danach haben RA-Patienten einen niedrigeren
Body-Mass-Index und seltener Dyslipidämien,
konsumieren mehr Alkohol, haben eine höhere
Inzidenz der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit und rauchen häufiger [1, 40, 45, 54].
Eine longitudinale Auswertung der Nurses’
Health Study bestätigte diese Befunde nicht, sondern berichtete über eine nahezu gleiche Verteilung von traditionellen kardiovaskulären Risikofaktoren im gesunden und erkrankten Kollektiv
[46]. Patienten mit Erkrankungen aus dem rheumatischen Formenkreis haben generell ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko. Ein positiver
Rheumafaktor bedeutet eine noch darüber hinaus gesteigerte Wahrscheinlichkeit für kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität [29]. Typische
Manifestationen umfassen Perikarditis, Endokardveränderungen, Myokardinfarkte und Herzinsuffizienz [52]. KHK, stumme Infarkte und
plötzliche Herztodesfälle kommen bei RA vermehrt vor. Die Mortalitätsrate an Herz- und
Kreislauferkrankungen liegt um das 1,3- bis 2,4fache über dem Bevölkerungsdurchschnitt [33].
Prodromi wie pektanginöse Beschwerden werden
dagegen seltener wahrgenommen und Revaskularisierungsprozeduren seltener durchgeführt.
Wie Abbildung 6 illustriert, ist das Risiko einer
Herzinsuffizienz für RA-Patienten im Mittel um
den Faktor 1,6 gesteigert und nimmt insbesondere bei Frauen mit höherem Lebensalter zu [33].
Erhöhte Spiegel inflammatorischer Marker im
Serum sind Prädiktoren für die Entwicklung einer Herzinsuffizienz [33]. Die systolische linksventrikuläre Funktion ist bei RA-Patienten in der
Regel normal. Häufig ist jedoch eine diastolische
Funktionsstörung, die in Abhängigkeit von der
Dauer der Grunderkrankung mit einer im Mittel
etwa vierfach erhöhten Mortalität assoziiert zu
sein scheint [39]. Das histopathologische Korrelat
der diastolischen Dysfunktion bei RA wird in unspezifischen myokarditischen Veränderungen,
sekundärer Amyloidose, granulomatösen Läsionen und diffuser Fibrosierung vermutet [42].
Da die Verteilung kardiovaskulärer Risikofaktoren bei RA-Patienten vom Bevölkerungsdurchschnitt abweicht [1], lassen sich bekannte
Zusammenhänge zwischen traditionellen Risikofaktoren und erhöhtem KHK- oder Herzinsuffizienzrisiko nicht direkt auf RA-Patienten übertragen. Gut belegt ist allerdings eine Korrelation
zwischen chronischer Inflammation und Athero-
Herz 30 · 2005 · Nr. 6 © Urban & Vogel
Kung M, et al. Geschlechtsabhängige Aspekte von Herzerkrankungen bei rheumatoider Arthritis
genese bzw. Atheroskleroseprogression und Myokardinfarktinzidenz sowohl bei RA-Patienten
als auch in der Allgemeinbevölkerung [30]. Klinisch manifeste, aber auch subklinische Vaskulitiden, die bei Rheumapatienten typischerweise
mit zirkulierenden Immunkomplexen einhergehen, scheinen kardiovaskuläre Erkrankungen zu
beschleunigen [55]. Darüber hinaus weisen
RA-Patienten bereits vor Erstdiagnose der
Grunderkrankung eine erhöhte Hospitalisierungsrate wegen Myokardinfarkten auf [28]. Der
Effekt einer antiinflammatorischen Therapie auf
das KHK-Risiko ist von klinischem wie auch wissenschaftlichem Interesse. In einer kleinen Studie
führte eine aggressive antiinflammatorische
Rheumatherapie zu einer Verbesserung des Cholesterinstoffwechsels [35]. Unklar ist allerdings,
ob solche Beobachtungen tatsächlich endpunktrelevant sind [33]. Gleichfalls noch nicht abschließend geklärt ist die Frage, ob potentiell kardiotoxische Medikamente wie nichtsteroidale Antirheumatika, Chloroquin, D-Penicillamin [33]
oder Glukokortikoide [38] bei RA-Patienten zu
einem erhöhten Herzinsuffizienzrisiko und/oder
einer Verschlechterung der kardialen Funktion
beitragen. Zwillingsstudien legen nahe, dass die
Langzeitgabe von Steroiden das Auftreten kardiovaskulärer Ereignisse verzögern kann [28]. Dass
die Behandlung mit Cyclooxygenase-(COX-)2-Inhibitoren mit einem erhöhten Risiko für kardiale
Ereignisse und Schlaganfall verbunden ist, haben
kürzlich große Therapiestudien nachgewiesen.
Diese Medikamente sollten nach gegenwärtigem
Kenntnisstand nur noch bei Patienten ohne Hinweise für kardiovaskuläre Morbidität eingesetzt
werden [20, 48].
Gesamt
Inzidenz / 100 Personenjahre
Genetische und biologisch-physiologische Gegebenheiten bedingen im Prinzip bei Frauen ein
deutlich geringeres kardiovaskuläres Risiko als bei
altersgleichen Männern. Offenbar begünstigen jedoch die gleichen Faktoren beim weiblichen Geschlecht ein häufigeres Auftreten von Autoimmunerkrankungen, die ihrerseits wiederum mit einem
gesteigerten kardiovaskulären Risiko einhergehen. Die tatsächlich zu beobachtende Manifestation kardiovaskulärer Komorbidität bei rheumatischen Erkrankungen ergibt sich aus dem Nettoeffekt dieser komplexen Zusammenhänge.
RA-Patienten haben allgemein eine höhere
Inzidenz von Herzinsuffizienz, Frauen sind jedoch eindeutig häufiger betroffen: Das relative
Risiko, eine Herzinsuffizienz zu entwickeln, ist
bei weiblichen RA-Patienten im Vergleich zum
Normkollektiv 1,9fach (95%-CI [Konfidenzintervall] 1,4–2,5), bei männlichen RA-Patienten
1,3fach (95%-CI 0,9–2,0) erhöht [33]. Wie in einer prospektiven Kohortenstudie (n = 114 342
Frauen) belegt wurde, beträgt das relative Risiko,
einen Herzinfarkt zu erleiden, im Vergleich zum
Normalkollektiv für Frauen mit RA 2,0 (95%-CI
1,23–3,29). Frauen mit über 10-jährigem Krankheitsverlauf hatten dabei ein noch höheres relatives Risiko (3,1, 95%-CI 1,64–5,87) [47], so dass
auch die Erkrankungsdauer von Bedeutung zu
sein scheint. Zum Infarktrisiko männlicher
Rheumapatienten gibt es momentan keine vergleichbaren Daten.
Die individuelle Risikoabschätzung für kardiovaskuläre Endpunkte ist aus der gegenwärtigen
Frauen
Frauen
RR (95%CI):1.9 (1.4,2.5)
RR (95%CI):1.7 (1.3,2.1)
8
Geschlechtsabhängige Aspekte
kardiovaskulärer Komorbidität bei
rheumatischen Erkrankungen
Männer
RR (95%CI):1.3 (0.9,2.0)
6
RA
RA
RA
Abbildung 6. Vergleich der
Herzinsuffizienz-Inzidenz
zwischen 575 Männern und
Frauen mit rheumatoider
Arthritis (RA) und einem
Kontrollkollektiv (n = 583).
95%-CI: 95%-Konfidenzintervall; RR: „rate ratio“.
(Modifiziert nach [33]).
4
Nicht - RA
2
Nicht - RA
Nicht - RA
0
18–49
50–59
60–69
70–79
≥80
18–49
50–59
60–69
70–79
≥80
18–49
50–59
60–69
70–79
≥80
Alter (Jahre)
Anzahl der Ereignisse/Patienten im Follow-up
Nicht -RA
0/179 5/282 13/366 42/351 55/219
RA
3/186 8/272 35/334 58/306 61/153
Herz 30 · 2005 · Nr. 6 © Urban & Vogel
0/136 2/207 7/264 22/253 43/172
3/144 6/198 23/237 37/221 46/115
0/43 3/75 6/102
20/98
12/47
0/42 2/74 12/97
21/85
15/38
Figure 6. Comparison of
the incidence of congestive heart failure, according to age and sex, among
575 men and women with
rheumatoid arthritis (RA)
and 583 non-RA subjects.
95%-CI: 95% confidence
interval; RR: rate ratio
(Modified from [33]).
519
Kung M, et al. Geschlechtsabhängige Aspekte von Herzerkrankungen bei rheumatoider Arthritis
Datenlage noch nicht zuverlässig möglich, vor allem weil die mannigfaltigen Interaktionen von inflammatorischen Komponenten, RA-Medikamenten, RA-Krankheitsausprägung und kardiovaskulären Risikofaktoren noch nicht hinreichend
verstanden sind. Andere Einflussfaktoren wie allgemeine Gesundheitsversorgung, Krankheitsbewusstsein, Umwelt- und psychosoziale Faktoren,
in denen gleichfalls wichtige geschlechtsspezifische
Unterschiede bestehen, tragen zusätzlich zur Variabilität des individuellen Risikos bei.
Die noch offenen Fragen sollten in prospektiven RA-Kohortenstudien mit mehrjähriger Nachbeobachtung untersucht werden, in denen auch
frühe Erkrankungsstadien erfasst werden. An
der Universität Würzburg werden derzeit 1 000
RA-Patienten beiderlei Geschlechts in einer prospektiven Diagnostikstudie im Hinblick auf kardiovaskuläre Begleitprobleme gescreent (EKG,
Routinelabor, NT-proBNP, kardiovaskulärer Risikoscore, Aktivitätsscore, Lebensqualität, rheumatologische Basisdiagnostik). Patienten mit pathologischem Screening werden einer intensivierten klinisch-kardiologischen und einer detaillierten
echokardiographischen Untersuchung sowie einer
Vasoreaktivitätsmessung zugeführt. Patienten mit
auffälligem Echobefund erhalten eine kardiale
Magnetresonanztomographie (MRT; linksventrikuläre Masse, „late enhancement“, Klappenmorphologie) des Herzens. Bei pathologischem Befund der MRT und klinischer Indikation schließt
sich eine Koronarangiographie an. Alle kardiologisch auffälligen Patienten werden jährlich nachuntersucht. Alle gescreenten, aber initial unauffälligen Patienten werden jährlich telefonisch kontaktiert. Mit diesem Stufenschema können die
Relevanz subklinischer kardiovaskulärer Veränderungen für künftige klinische Ereignisse und die
Bedeutung geschlechtsabhängiger Faktoren herausgearbeitet werden.
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Danksagung:
Diese Arbeit entstand mit
Unterstützung des Bayerischen Hochschul- und
Wissenschaftsprogramms
zur Frauenförderung an
der Universität Würzburg
(Frau Dr. M. Kung) und
des
Kompetenznetzes
Herzinsuffizienz,gefördert
durch das Bundesministerium für Bildung und
Forschung (BMBF).
Korrespondenzanschrift
Prof. Dr. Christiane
E. Angermann
Schwerpunkt Kardiologie
Medizinische Klinik und
Poliklinik II
der Universität Würzburg
Klinikstraße 6–8
97070 Würzburg
Telefon (+49/931) 201-70450,
Fax -71240
E-Mail: angermann_c@
klinik.uni-wuerzburg.de
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