Freitag, 11. Juni 2010 VHS Offenburg Thema: Oman - „Interreligiöser Dialog" Beitrag Prof. Dr. Feininger „Zusammenleben der Religionen" ! Dieses Thema spielt im Sultanat OMAN eine besondere Rolle aufgrund der Tradition der frühislamischen Ibaditen, eine islamische Rechtsschule und Glaubensform, die demonstriert, dass Islam und Scharia in unserer Gegenwart sich mit Werten und Einstellungen der modernen Gesellschaften versöhnen lassen. „Gelebter Islam in einer modernen Gesellschaft": Das stellt diese Ausstellung in den Mittelpunkt. Vielleicht liegt das Erfolgsmodell des Oman auch darin begründet, dass der Oman eine lange Geschichte der Auseinandersetzung zwischen Sultanat und Imamat kennt, zwischen den Aufgaben und Festlegungen der politischen und geistlichen Welt und ihren z.T. konkurrierenden Ansprüchen, wie sie bei Schi'iten und Sunniten je anders formuliert werden. Eine konfliktreiche, aber auch hilfreiche Geschichte, die mit dem Glücksfall der Familie des Sultan Said und seines Sohnes Qabus ibn Said einen bis heute positiven Ausgang gefunden hat, in einer gelungenen religiösen Gesellschaftskultur. Die Ibadiya spielte dabei eine zentrale, soziale, integrierende, aber auch machtpolitische Rolle im heutigen Oman. Die Ibadiya vertritt einen Standpunkt der Mitte im theologischen Spektrum des Islam und findet darum auch bei den Sunniten Anerkennung. Der ehemalige iranische Präsident Khatami betonte in seiner Rede anlässlich eines Treffens mit der UNESCO in Paris die Basis des islamischen Menschenbildes: „Alle Menschen sind Geschöpfe Gottes, und deshalb haben sie auch alle ein Recht darauf, in Sicherheit und Frieden zu leben, (....) die menschliche Würde hat für alle gleichermaßen und ohne Einschränkung zu gelten. Wir müssen unsere Herzen und Seelen öffnen, im Einklang mit den gesellschaftlichen Erfordernissen." Khatami führt dann aus, wie dieser Grundsatz in allen drei großen monotheistischen Religionen gilt, die sich bis auf Abraham zurückführen (zitiert bei M. Lüders, Allahs langer Schatten. Warum wir keine Angst vor dem Islam haben müssen. 2007, 179f). Seit der frühchristlichen und frühislamischen Zeit lebten auf der arabischen Halbinsel verschiedene Konfessionen des Christentums, des Islam und des Judentums zusammen. Die Wiege dieser drei Religionen ist Arabien und der Nahe Osten. Vielen westlichen Christen ist das zu wenig bewusst. Sie kennen auch nicht die große Zahl arabischer Christen oder Christen altorientalischer Bekenntnisse, wie sie gerade auch im Oman leben. Oder in Syrien, Ägypten, Jordanien, im Libanon, im Irak. Christen unterschiedlicher Konfessionen übernahmen teilweise führende Rollen in der Politik ihrer Staaten. Prinz Hassan bin Talal aus dem jordanischen Königshaus, Muslim und ein so guter Kenner des Christentums, dass er von der Theologischen Fakultät Tübingen mit der Ehrendoktorwürde bedacht wurde, stellt in seinen Veröffentlichungen diese Tatsache, dass christliche Araber in der islamisch-arabischen Gesellschaft keinesfalls Fremde sind, immer wieder heraus. „Syrische Christen", schreibt er, „die sowohl aus dem Libanongebirge als auch aus anderen Gegenden stammten, bereiteten in Ägypten den Weg für den modernen arabischen Journalismus. Sie gründeten Zeitungen sowie wissenschaftliche und literarische Zeitschriften und riefen damit eigentlich die moderne arabische Presse ins Leben. Christliche Araber leisteten zu dieser Zeit ebenfalls in der gesamten arabischen Welt Pionierarbeit in den akademischen Berufen und im Bildungswesen. In all ihren Errungenschaften gaben sie ein Beispiel, dem andere folgten. Sie hatten Anfang des 20. Jahrhunderts ihren muslimischen Landsleuten gegenüber einen gesellschaftlichen und intellektuellen Vorsprung, bedingt durch die Tatsache, dass sie anders als die Muslime keine Vorbehalte hatten, neue Ideen und gesellschaftliche Modelle anzunehmen, die aus der westlichen Welt stammten - einer Welt, mit der sie symbolisch ihr Christentum teilten (Das Christentum in der arabischen Welt, 2003, 91f). Die Notwendigkeit des interreligiösen Gespräches gründet auf dem Zusammenleben der Menschen mit ihren vielfältigen Lebens-Entwürfen und Lebensformen. Der größere Rahmen ist die Interkulturalität in der sich entfaltenden Lebendigkeit der Kulturen. Leben braucht Vielfalt und Entwicklungsraum. Und der EINE und einzige Gott zeigt sich gerade auch darin, dass er Vielfalt zulässt, fördert und wertschätzt. Im Gegensatz zu manchen eng führenden, verengenden, reduzierenden und vereinfachenden fundamentalistischen religiösen Theorien hat Gott keine Angst vor der Vielfalt, denn ER, „der keine Müdigkeit und keinen Schlummer kennt" (Sura 2:225), vermag sie zu tragen und zusammen zu halten, damit die Einheit in der Vielheit sichtbar werden kann und er gepriesen wird als DER GOTT. Kenntnis voneinander, gegenseitige Wertschätzung, Anteilnahme, Solidarität, miteinander Leben teilen, das geht auch im Zusammenleben verschiedener religiöser Bekenntnisse und Kulturen ohne Identitätsverlust - weil vom gläubigen Standpunkt aus letztlich Gott selbst die Einheit in der Vielfalt vorgibt und erhält und ver-antwortet! Professor Hans Küng, der Initiator des „Projekts Weltethos" lädt dazu ein, die Bedeutung der ethischen Botschaft der Weltreligionen gerade für unsere heutige Gesellschaft besser zu verstehen. Er und seine Mitstreiter konnten zeigen, dass es zu keinem Kampf der Kulturen kommen muss, wie das Huntington postulierte. Allerdings müssen wir über die Bedeutung der Religionen für die Menschheitskultur nachdenken und das nicht nur vom konfessionelldogmatischen Standpunkt aus. Sondern im Hinblick auf das gemeinsame TUN: Im Bereich von Bildung, von Wirtschaft, Industrie und Finanzwelt. Im Bewusstwerden einer gemeinsamen Aufgabe und als Einübung des Miteinanders, ohne dabei das Bekenntnis zur je eigenen Gemeinschaft und zum je eigenen Glauben abschwächen oder relativieren zu wollen. „Aus eigener Erfahrung kenne ich all die dunklen Seiten der Religionen - der christlichen wie der anderen: Auch heute haben Religionen in vielen Konfliktfällen weltweit oft einen verhängnisvollen Einfluss. Doch ich kenne auch die hellen Seiten der Religionen : Als Heilslehren und Heilswege können sie Sinn stiften, können sie Förderer des Friedens und der Versöhnung sein, können sie auch dem heutigen Menschen ethische Maßstäbe und persönliche Orientierung vermitteln. Menschen aller Religionen wissen viel zu wenig voneinander, wissen vor allem viel zu wenig über das Gemeinsame in all den religiösen und ethischen Traditionen. Dies zu ändern, dazu möchte ich einen Beitrag leisten. Dabei möchten wir aber nicht nur objektivdistanziert über Religionen informieren. Allerdings möchten wir auch nicht missionieren: weder zugunsten meiner Religion oder einer anderen oder gar einer neuen Weltreligion. Nein, wir möchten Sie orientieren und herausfordern, über die Bedeutung der großen Religionen für die Menschheit neu nachzudenken. Dazu lade ich Sie ein, geleitet von einer Hoffnungsvision: Kein Frieden unter den Nationen, ohne Friede unter den Religionen. Kein Frieden unter den Religionen, ohne Dialog zwischen den Religionen. Kein Dialog zwischen den Religionen, ohne globale ethische Maßstäbe. Kein Überleben unseres Globus, ohne ein globales Ethos, ein Weltethos" (H. Küng nach: Weltreligionen, Weltfrieden, Weltethos. Broschüre der Stiftung Weltethos, Tübingen 2000). Küng demonstriert diese Möglichkeit eines gemeinsamen Handelns anhand der hl. Schriften der großen Weltreligionen, anhand tatsächlich gemeinsamer ethischer Einstellung und Normen, wie sie beispielsweise den Zehn Geboten ähneln oder der „Goldenen Regel". Im Christentum: „Alles, was ihr wollt, dass euch die Menschen tun, das tut auch ihr ihnen ebenso" (Bergpredigt Mt 7,12). Im Islam: „Keiner von euch ist ein Gläubiger, solange er nicht seinem Bruder wünscht, was er sich selber wünscht." (Hadith). In diesem Zusammenhang ist es interessant, dass Papst Benedikt anlässlich seiner Zypernreise Anfang Juni 2010 die religiösen Grundlagen für friedliche Konfliktlösung in Erinnerung gerufen hat, weil sie den gerechten Politiker positiv motivieren können. Benedikt XVI ließ sich nicht auf politische Details des Zypernkonflikts ein. Stattdessen hielt er am Sitz des Präsidenten eine Art Grundkurs über den gerechten Politiker. In einer Tour d'Horizon durch die Geistesgeschichte von Platon und Aristoteles bis zu christlichen und islamischen Denkern entfaltete er die Grundlagen für eine friedliche Konfliktlösung. Auffallend war zudem, dass der Papst mehrfach zu gutem Einvernehmen mit dem Islam aufrief. Ein Bild der Reise wird sicher die kurzfristig ins Programm eingefügte Begegnung und Umarmung mit dem 89 jährigen Sufilehrer Scheich Nazim bleiben. Dabei geht es nicht um falsche Politisierung von Religion und deren Scharfmacher, oder umgekehrt um die Dominanz der Religion über Politik und Gesellschaft. (Kein Totalitäts-Anspruch!). Die Grundlagen für das interreligiöse Gespräch mit dem Islam hatte die Katholische Kirche auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil in der wichtigen Erklärung „Über das Verhältnis zu den nicht-christlichen Religionen" (1965) gelegt. Dort heißt es: „Mit Hochachtung betrachtet die Kirche auch die Muslime, die den alleinigen Gott anbeten, den lebendigen und in sich seienden, barmherzigen und allmächtigen, den Schöpfer Himmels und der Erde, der zu den Menschen gesprochen hat. Sie mühen sich, auch seinen verborgenen Ratschlüssen sich mit ganzer Seele zu unterwerfen, so wie Abraham sich Gott unterworfen hat, auf den der islamische Glaube sich gerne beruft. Jesus, den sie allerdings nicht als Gott anerkennen, verehren sie doch als Propheten, und sie ehren seine jungfräuliche Mutter Maria, die sie bisweilen auch in Frömmigkeit anrufen. Überdies erwarten sie den Tag des Gerichtes, an dem Gott alle Menschen auferweckt und ihnen vergilt. Deshalb legen sie Wert auf sittliche Lebenshaltung und verehren Gott besonders durch Gebet, Almosen und Fasten. Da es jedoch im Lauf der Jahrhunderte zu manchen Zwistigkeiten und Feindschaften zwischen Christen und Muslimen kam, ermahnt die Heilige Synode alle, das Vergangene beiseite zu lassen, sich aufrichtig um gegenseitiges Verstehen zu bemühen und gemeinsam einzutreten für Schutz und Förderung der sozialen Gerechtigkeit, der sittlichen Güter und nicht zuletzt des Friedens und der Freiheit für alle Menschen" (Nostra Aetate Artikel 3, vgl. auch die Kirchenkonstitution Lumen Gentium Artikel 16!). Dieser bedeutsame Text des Konzils enthält implizit die Schlüsselbegriffe für den interreligiösen Dialog: „Hochachtung" den Anderen gegenüber, d.h. Wertschätzung, Nähe zugleich mit Abstand und Respekt. „Verständnis von und Anerkennung der" Glaubensprinzipien und BasisÜberzeugungen. Das „Geltenlassen" der je eigenen d.h. unterschiedlichen Lebensformen. Das „Eingeständnis von Schuld und Versagen" im Gegeneinander der Geschichte. Der „Wille zu einem Neubeginn" und zu einem „Miteinander" im gemeinsamen Leben vor Ort und als „Aufgabe, der Welt aus religiösem Geist heraus beizustehen", Kommunikations- und Handlungsfähigkeit für eine sozial wirksame Religion (Stephan Leimgruber, Feinde oder Freunde? Wie können Christen und Muslime miteinander umgehen. 2008; E. Fürlinger (Hg.), Der Dialog muss weiter gehen, 2009). Weltweit wird der positiven Motivation von Religion im ethischen Handeln neue Beachtung geschenkt. Moral ohne Religion, so schon früher der Schweizer Psychologe und Pädagoge Jean Piaget, läuft in sich leer, ist redundant! Wie viel Religion braucht eine Gesellschaft? Selbst ein kritischer Philosoph wie Sloterdijk, der in einem jüngeren Werk die Eifer-Potentiale und Kampfeslust der monotheistischen Religionen analysiert, stellt am Ende fest, dass es die heutige schwierige Lage erfordert, „dass die vernünftigen, in ihr jeweiliges Nach-Eiferstadium übergegangenen Religionen das Bündnis mit der säkularen Zivilisation und deren theoretischen Sammlungen in den Kulturwissenschaften suchen müssen. Sie allein werden bereit sein, Verantwortung für Aufgaben zu übernehmen, die ausschließlich durch große Koalitionen zu bewältigen sind. Nur aus dieser Allianz (der Religionen mit der Zivilgesellschaft) sind die Kräfte zu gewinnen, deren Aufstellung nötig sein wird, um die apokalyptischen Regisseure zu neutralisieren" (Gottes Eifer. Vom Kampf der drei Monotheismen. 2007, 217). Lassen Sie mich dem Kulturphilosophen Peter Sloterdijk den Iraner Mehdi Bazargan an die Seite stellen, der als Politiker und gläubiger Muslim zum christlich-islamischen Gespräch einen kleinen Kommentar verfasste, in dem er an den Respekt erinnert, den Mohammad den Christen entgegengebracht hat, und zu Toleranz und Verständigung mahnt. Dort interpretiert er Vers 48 aus Sura 5 des hl. Qu'ran: „ Für jeden von euch haben wir einen je eigenen Weg und Richtung festgelegt. Wenn Gott gewollt hätte, hätte er euch zu einer einzigen Gemeinschaft gemacht. Doch will er euch prüfen, in dem, was ER euch hat zukommen lassen. So eilt zu den guten Dingen um die Wette. Zu Gott dem Einen werdet ihr allesamt zurückkehren, dann wird ER euch kundtun, worüber ihr uneins wart." Dieser Vers bietet die Grundlage für die islamische Auffassung von Pluralität. Der iranische Dichter und Mystiker Hafis hat einmal ausgerufen: „Wenn es 13 unterschiedliche Lesarten eines Qur'an-Verses gibt und ich kenne sie alle auswendig, dann schreie ich vor Liebe" (zu Gott, wegen dieser reich machenden, unerschöpflichen Vielfalt, die Gott im hl: Text angelegt hat). Bazargan dazu, und damit möchte ich meinen kleinen Beitrag schließen: „Der Koran verkündet, dass die Vielzahl der Religionen und Gesetze gottgewollt ist, und bittet die Anhänger aller monotheistischen Religionen darum, nicht nur auf ihre Unterschiede zu achten oder ihre Vorrangstellung zu behaupten, sondern statt dessen im Dienst an den Menschen und in guten Werken zu wetteifern. Sie sollen sich von den bestehenden Unterschieden nicht bekümmern lassen, sondern deren Lösung dem jenseitigen Ratschluss Gottes überantworten" (in: Der Koran und die Christen, 2006, 87f). Bernd Feininger, Juni 2010 Prof. Dr. Feininger von der Pädagogischen Hochschule Freiburg ist Dekan des Instituts für Evangelische und Katholische Theologie / Religionspädagogik