Ö1 macht Schule. Ein Projekt von Die zwei Reiche des Philosophen Augustin von Hippo und der Gottesstaat Ö1: Radiokolleg / Teil 1-4 Gestaltung: Mag. Hans Groiss Redaktion: Ina Zwerger Sendedatum: 28.-31. Jänner 2013 Länge: je ca. 15‘ Fragen und Antworten Teil 1: Biografie des Apologeten bis zur Bekehrung 1. Welches Denken Augustinus´ hat sich bis heute in unseren Köpfen eingeschrieben? Augustinus unterschied ganz strikt zwischen gut und böse, schwarz und weiß, außen und innen (also Körper und Geist), oben und unten (also göttlich und irdisch). Ambivalenzen ließ er nicht gelten. Augustins Werk jedoch ist in sich widersprüchlich und war dadurch wieder äußerst ambivalent. 2. Welcher Disziplin widmete sich Augustinus bevor er sich der Theologie zuwandte? Der Philosophie. 3. Was war Aufgabe und Anlass des Schreibens für Augustinus? Das Schreiben für und gegen etwas. Er verfasste eine Vielzahl von Wehr- und Verteidigungsschriften, um sich von Feinden und Gegensprechern abzugrenzen. 4. Augustins Mutter war Christin, sein Vater war Heide. Die Spätantike stand an einer Zeitenwende. Welcher? Das monotheistische Christentum verdrängte den heidnischen Vielgottglauben, das Römische Reich war am Zerbröckeln und die Antike am Untergehen. ChristIn zu sein galt damals als progressiv. 5. Was sieht Augustin als den Ursprung des Bösen an? Den freien Willen des Menschen. © Diese Zusammenstellung: Ö1 macht Schule / Mag. Hans Groiss Ausschließlich zur nicht-kommerziellen Nutzung zu Unterrichtszwecken im Sinne des § 42 Abs 6 UrhG bereitgestellt. 1 Ö1 macht Schule. Ein Projekt von 6. Was ist Manichäismus? Welche Spuren dieser Auffassung lassen sich in Augustinus´ Werk "Vom Gottesstaat" finden? Im Manichäismus gibt es einen Gott der Finsternis und einen Gott des Lichts. Das irdische Leben ist ein Kampf dieser beiden Gottheiten. Manichäer lebten in Keuschheit. Im Manichäismus lassen sich Spuren, die Augustin in seinem späteren Werk "Vom Gottesstaat" ausführt, finden. Der Gottesstaat baut auf einem dualistischen Zwei-Welten Prinzip auf. Er geht davon aus, dass es eine sichtbare und eine unsichtbare Welt gibt. Dem übergeordneten göttlichen Prinzip sei der menschliche freie Wille untergeordnet. 7. Augustins (Privat)Leben war geprägt von Diskrepanzen. Welche waren das zum Beispiel? Augustin sann nach Vergeistigung, obwohl er bis zu seiner Bekehrung 386 mit zwei Konkubinen in Lebensgemeinschaften lebte, einen Sohn hatte und das Leben genoss. Gleichzeitig kämpfte er mit den Lastern des Leibes, wie er sie nannte, und versuchte, diese abzulegen. 8. Was bedeutet Philosophie für Augustinus? Augustin definiert die Philosophie als die Suche nach Einheit. Alle Einheit ist für ihn in der Vernunft zu finden. Dies bedeutet eine Trennung des Geistigen vom Körperlichen. Die gesuchte Einheit, also die reine Vernunft, findet Augustin in einem göttlichen, körperlosen Überwesen, das die höchste Geistigkeit bedeutet. Durch den Glauben der Menschen wird diese Einheit gestärkt. 9. Weshalb nennt man Augustin den Kirchenvater? Was war das Revolutionäre seiner Philosophie? Augustin verband antike Philosophie mit der katholischen Heilslehre und machte die kleine revolutionäre Gruppe von ChristInnen im damaligen multireligiösen Europa mehrheitsfähig. Der Bischof Ambrosius von Mailand lehrte Augustin einen neuen Autoritätsbegriff. Dieser lautete: Das Wahre und Gute, also die Vernunft, braucht glaubhafte Verkörperung im Irdischen, um sich zum Geistigen erheben zu können. Menschliche Vertreter auf Erden sollten diese Erkenntnis vermitteln. Diese Formel arbeitete Augustin aus. Das macht ihn zum Kirchenvater und zum geistigen Vater eines mittelalterlichen Hierarchien-Prinzips. © Diese Zusammenstellung: Ö1 macht Schule / Mag. Hans Groiss Ausschließlich zur nicht-kommerziellen Nutzung zu Unterrichtszwecken im Sinne des § 42 Abs 6 UrhG bereitgestellt. 2 Ö1 macht Schule. Ein Projekt von Teil 2: Bekenntnisse 10. Wann wurden die Confessiones verfasst? 397 bis 401 n. Chr. 11. Was sind die Confessiones? Wovon handeln sie? Die Confessiones sind Erinnerungsarbeit. Übersetzen des Vermögens Erinnerung in Sprache. (Johann Kreuzer) Sie sind Durchleuchtung der Abgründe der Seele. (Günther Pöltner) Die Confessiones behandeln Augustins Leben bis zu seiner Bekehrung. Sie werden oft als die erste Autobiografie überhaupt bezeichnet, sind aber eher Thesenbuch und Erbauungsliteratur, und weniger die klassische Erfassung eines individuellen Lebens. Was die Confessiones allerdings mit einer Autobiografie gemeinsam haben, ist das Verhältnis von Dichtung und Wahrheit. Vom Textfluss her sind die Confessiones ein Gebet. 12. Was passierte bei Augustins Bekehrungserlebnis 386 n. Chr. in Mailand und was folgte daraus? Augustin geht in einen Garten, er weint, ist verwirrt und benommen. Er hört die Worte "Nimm und lies", also "tolle lege", aus einem Kindermund. Zuerst denkt er, dies sei ein Auszählreim, dann versteht er den Befehl: Er schlägt das Buch (die Paulus-Briefe), das er in den Garten mitgenommen hat, auf und deutet auf eine beliebige Stelle. In dieser Stelle heißt es, dass allem Irdischen abgeschworen werden soll: Alkohol, Sexualität, Strebsamkeit. Allem Begehren sei zu entfliehen, um dem radikal Selbst-Verschuldet-Sein entkommen zu können. Von diesem Erlebnis an versucht Augustinus die Heiden zum Christentum zu bekehren wie das auch Paulus tat, auf den Augustin sich bezieht. Augustin verknüpfte in der Folge theologische Gedanken mit der Philosophie der Neuplatoniker und machte das Christentum dadurch mehrheitsfähig. 13. Was bedeutet Polytheismus und wodurch wurde er ersetzt? Polytheismus bedeutet Vielgottglaube. Er wurde vom Eingottglauben (Monotheismus) des Christentums ersetzt. 14. Wie sieht Augustins Zeitmodell aus? Augustinus spricht von drei Zeiten: der Gegenwart von Vergangenem, der Gegenwart von Gegenwärtigem, der Gegenwart von Zukünftigem. Es gibt also eine Erinnerung an eine Gegenwart, eine Gegenwart im Sinne von einem Jetzt und Hier und eine Hoffnung oder Erwartung von Gegenwart. 15. Was bedeutet Angst nach Augustinus? Wie kommt er von der Schuld zur Angst? Schuld wird Erinnerung dann, wenn sie zur Erinnerung eines Dankes wird, der nicht mehr gebracht werden kann. Schuld ist die drohende Angst unversöhnter Erinnerung. Die Schuld unversöhnter Erinnerung wird Angst. Es ist im Grunde Angst vor dem Tod. Angst vor dem Tod ist die Erinnerung der eigenen Endlichkeit. © Diese Zusammenstellung: Ö1 macht Schule / Mag. Hans Groiss Ausschließlich zur nicht-kommerziellen Nutzung zu Unterrichtszwecken im Sinne des § 42 Abs 6 UrhG bereitgestellt. 3 Ö1 macht Schule. Ein Projekt von 16. Durch welchen Sinn ist laut Augustinus das Erkennen möglich und wodurch? Durch den Hörsinn. Hören ist Zeitsinn. In der Analyse der Musik stößt Augustinus darauf, dass Einheit und Harmonie nicht Gegensatz vergänglicher Zeitlichkeit sind, sondern gerade erst in dem und durch das Vorübergehen des Zeitlichen sich erfüllen und sinnvoll sind. 17. Was schreibt Augustinus dem Lied zu? Er meint in der Struktur eines Liedes die Struktur des Daseins überhaupt zu finden. Er schreibt: "Was für ein Lied gilt, gilt für seine Teile, es gilt für alle Handlungen der Menschen, für die ganze Zeit der menschlichen Geschichte, deren Teile alle Leben der Menschen sind." © Diese Zusammenstellung: Ö1 macht Schule / Mag. Hans Groiss Ausschließlich zur nicht-kommerziellen Nutzung zu Unterrichtszwecken im Sinne des § 42 Abs 6 UrhG bereitgestellt. 4 Ö1 macht Schule. Ein Projekt von Teil 3: Der Gottesstaat 18. Was unterscheidet laut Augustinus Reiche (im Sinne von Ländern, Staaten, Imperien) von Räuberbanden? Die Gerechtigkeit, der Friede. 19. Was ist das Konzept von Augustins Gottesstaat/Gottesbürgerschaft? Das Werk mit dem Originaltitel 'De civitate Die' ist kein politisches Staatenkonzept im Sinne von Platons Politeia. Politische Reiche lehnte Augustin ab. Die Civitas Dei ist laut Augustin alles Geistige, alles über den Dingen Stehende. Die Civitas terrena oder Civitas diaboli ist alles Irdische. Unser Dasein befindet sich aber nicht da oder dort, sondern zwischen diesen Welten. Erst nach dem Siebenten Tag oder dem Jüngsten Gericht werden die dafür prädestinierten Menschen im ewigen Sabbat, also im ewig Höchsten sein. Im Irdischen kann niemand selbst bestimmen, wo Mann oder Frau sich befindet, weil sich laut Augustin niemand wirklich selbst reflektieren kann. Wer "Wir", also die menschliche Gemeinschaft sind, wissen "Wir" laut Augustin nicht. Die Civitas Dei ist eine Gemeinschaft der Gottesliebenden, die im Irdischen christliche Nächstenliebe pflegt. 20. Was ist die Prädestinationslehre? Im Gottesstaat gibt es nur eine bestimmte Anzahl von Plätzen, die es zu ergattern gilt. Allerdings weiß niemand, wie diese Plätze einzunehmen wären, weil diese nur Prädestinierten, also Vorherbestimmten, zufallen. Im Irdischen nicht zu sündigen gilt als Vorstufe zu diesem Dasein mit Gott, also in der reinen Vernunft, was auch Jenseits oder der Jüngste Tag genannt werden kann. Irdische Vertreter, also ein Kirchenstaat, vermitteln, was diese Vernunft ist, und bilden eine Zwischenstufe zwischen Erde und Himmel, also Erdenstaat und Gottesstaat. 21. Was ist der historische Hintergrund von De civitate Dei und welche Auswirkungen hat das Denken der Verjenseitigung auf die Geschichte? Das Römische Reich war an seinem Ende. Das Christentum löste den Vielgottglauben ab. Als das Christentum schon Staatsreligion war, wurde von Zweiflern der Vielgottglaube wieder herbeigesehnt. Augustin antwortete darauf mit einem Rundumschlag. Er bekämpfte radikal alles: antike Philosophie, Vielgottglauben, Judentum, überhaupt alle anderen Glaubensformen außer der christlichen Kirche. Durch die Verjenseitigung des Reiches Gottes werden ursprünglich moralische Ideen relativiert, weil der Mensch von Vornherein im Licht seiner jenseitigen Bestimmung gesehen wird. Durch diese einseitige Ausrichtung wird es möglich, das Mittel der Gewalt gegen Andersgläubige durchzusetzen. Damit ist Augustin auch Vater des "gerechten" Krieges, weil es für ihn legitim war, "Gerechtigkeit" mit Waffengewalt zu verteidigen. Er ist ebenso der Vater der Inquisition, weil er meinte, Widerstreiter gegen das Christentum müssten, weil sie das Heil auf Erden verhindern wollen, bestraft werden. Er war ein Verfechter des Antijudaismus, aus dem sich der Antisemitismus entwickelte – weil Juden Christus ermordeten. © Diese Zusammenstellung: Ö1 macht Schule / Mag. Hans Groiss Ausschließlich zur nicht-kommerziellen Nutzung zu Unterrichtszwecken im Sinne des § 42 Abs 6 UrhG bereitgestellt. 5 Ö1 macht Schule. Ein Projekt von Teil 4: Die Wirkung 22. Wie lange prägte Augustinus die christlich-neoplatonische Philosophie des Mittelalters? 1000 Jahre. 23. Was heißt Hierarchie wörtlich? Heilige Ordnung. 24. Wie wurden die Schriften Augustins vor Erfindung des Buchdrucks verbreitet? Durch Handschriften, Abschriften. Es gibt allerdings keine originale Handschrift von Augustinus mehr. 25. Wodurch nahm Augustins Bedeutung ab? Durch das Auffinden der Werke des Aristoteles. 26. Auf welche PhilosophInnen hatte/hat Augustinus u.a. Einfluss? Thomas von Aquin, geboren 1225, bezog sich auf Aristoteles, aber die neoplatonischen Aussagen des Augustin über das Überwesen Gott beeinflussten den Mönch. Martin Luther war Augustinermönch und glaubte an die Ordensregel des Augustin, in der "Ein Herz und eine Seele mit Gott zu sein" Dogma ist. Bis heute gibt es über 200 Orden, die nach dieser Augustiner-Mönchsregel leben. Thomas Hobbes, um 1600 wirkend, bezieht sich in seinem Leviathan auf Augustin. Ein übergeordneter König trifft alle irdischen Entscheidungen für das Volk, das diesen König durch einen Gesellschaftsvertrag beauftragt. René Descartes adaptiert in seinem cogito ergo sum - ich denke, also bin ich - das augustinische Zweifelsdenken - subito ergo sum - ich zweifle, also bin ich. Aber auch Immanuel Kant, Philosoph der deutschen Aufklärung, bezieht sich auf Augustin. Das dualistische Prinzip des Gottestaates und des Erdenstaates wird von Kant adaptiert. 27. Wie lautet Kants Kategorischer Imperativ? Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde. 28. Augustin und Frauen - was bedeuteten sie in seinem Leben, welchen Stellenwert gab er ihnen in seiner Philosophie und Theologie? Der junge Augustin lebte mit Konkubinen und hatte einen unehelichen Sohn. Nach der Bekehrung 386 war sexuelle Enthaltsamkeit seine neue Maxime. Für Augustin waren Frau und Mann in ihrem Verhältnis zu Gott gleichgestellt, weil die Seele asexuell ist. Er sah die Frau jedoch körperlich unterlegen, was den patriarchalen Strukturen seiner Zeit entsprach. Dennoch sah er die Frau nicht als "Gebrechen", sondern als "Natur". Die Beziehung zu seiner christlichen Mutter war vermutlich prägend. © Diese Zusammenstellung: Ö1 macht Schule / Mag. Hans Groiss Ausschließlich zur nicht-kommerziellen Nutzung zu Unterrichtszwecken im Sinne des § 42 Abs 6 UrhG bereitgestellt. 6 Ö1 macht Schule. Ein Projekt von 29. Was bedeutet Michel Foucaults Begriff Pastoralmacht und wo findet sich seine säkularisierte Form heute? Pastoralmacht bedeutet die besondere christlich-religiöse Machtbezeichnung zwischen einem Hirten und seiner Herde, die sich am Heil der ganzen Herde sowie jedes einzelnen Schafes definiert, das heißt nicht nur am Nutzen- und Erfolgsprinzip der Gemeinschaft interessiert ist, sondern jedes Individuum der Gemeinde in seiner Entwicklung, Besserung, Verfehlung in den Blick nimmt. Das Instrument der Pastoralmacht ist für Michel Foucault die geheime Beichte, modernisiert wiederzufinden in der therapeutischen Praxis. Foucault sieht eine säkularisierte Form der Pastoralmacht in modernen Staatskonstrukten und bezeichnet diese als Biomacht. Überwachungs-, Norm- und Vorsorgesysteme in Schule, Gefängnis, Polizei oder Krankenanstalten gehen auf die Pastoralmacht zurück. © Diese Zusammenstellung: Ö1 macht Schule / Mag. Hans Groiss Ausschließlich zur nicht-kommerziellen Nutzung zu Unterrichtszwecken im Sinne des § 42 Abs 6 UrhG bereitgestellt. 7