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Der Sonic Chair – ein neuer Weg zum
anspruchsvollen Hörerlebnis
Michael Theede
Bei den Fragen, wie die Kulturangebote der Zukunft aussehen könnten, wer die Besucher und Kulturschaffenden von morgen sind und
wie sich gar zukünftige Überschneidungen zwischen Kulturnutzung,
Kulturproduktion und Kulturgestaltung äußern, sind neue Betei­
ligungsformen und interaktive Musikwahrnehmung von Bedeutung,
um die im Musikbetrieb notwendige innovative Musikvermittlung voranzutreiben.
Abb.1: Der Sonic Chair als Klangsessel mit iMac-Touchscreen (© Copyright Institut für
kulturelle Innovationsforschung an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg,
2012 – Alle Rechte vorbehalten)
Der mit mehreren Designpreisen ausgezeichnete Sonic Chair ist eine
individualistische Multimediastation, die dem Nutzer ermöglicht, die
Beschallung selbst auszuwählen (Abb. 1). Dieser Klangsessel öffnet
Türen für selbstbestimmtes Hören.
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Dort sitzt der Hörer mitten im Klang, umhüllt von einer runden
Muschel, die eine besonders fein justierte Innenakustik besitzt. Eine
speziell entwickelte Körperschallmembran dient als Rückenlehne. Mit
Hilfe eines iMac-Touchscreens wird der Hörer systematisch durch die
Musikgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts hindurchgeführt.
In meinem Beitrag werde ich einleitend musikpsychologische
Aspekte heutigen Hörerlebnisses erläutern, anschließend auf sich daraus ergebene Herausforderungen für die Musikvermittlung eingehen
und schließlich den Sonic Chair als neue Beteiligungsform, interaktive
Musik­wahrnehmung und Instrument innovativer Musikvermittlung für
das Publikum der Zukunft vorstellen.
1. Einleitung – musikpsychologische
Aspekte des Hörerlebnisses
Das Musikhörerlebnis findet heutzutage überwiegend über elektronische Medien statt (MAEMPEL 2008: 231; MÜNCH 2008: 266). Diese
Kultur der Musikrezeption über musikalische Übertragungsmedien ist
das Ergebnis immer weiter fortschreitender technologischer Entwicklungen der vergangenen 135 Jahre wie das Radio, die Stereophonie und
das Internet. Die Zweikanal-Stereophonie beförderte die Erforschung
psychoakustischer Effekte und deren Ausnutzung in Bezug auf Lokalisation und Raumeindruck. Alle technologischen Entwicklungen führten
zu neuen Hörformaten und Audioproduktionstechniken in Beglei­
tung einer eigenen Klangästhetik (MAEMPEL 2008: 231 ff.; SPITZER
2003: 15, 65).
In der heutigen Zeit gibt es eine große Tendenz, alles über Ohrhörer
zu hören. Jugendliche hören Musik überwiegend über mobile Tonträger
wie MP3-Player. Im Rahmen ihrer Untersuchungen zur alltäglichen
Nutzung von Musik stellten Holger Schramm und Reinhard Kopiez
(2008) vor Kurzem fest, dass 70 % aller Jugendlichen in Deutschland
täglich bis mindestens mehrmals pro Woche einen MP3-Player bzw.
iPod nutzen. Sogar 79 % sind bereits im persönlichen Besitz eines MP3Players/iPods (SCHRAMM/KOPIEZ 2008: 255). Dabei wird Musik oft
nebenbei gehört – wie auch bei der herkömmlichen Steoreoanlage. Aus
den vorliegenden Daten zu Medienbesitz und Mediennutzung ergeben
sich für Thomas Münch (2008) folgende Konsequenzen:
Der Sonic Chair
• Vergleicht man heutige mit früheren Generationen, haben sich
musikbezogene Umgangsweisen aufgrund der Erweiterung der Möglichkeiten musikalischer Erfahrungen vermehrt.
• Die Erwartungen an das Musikhören sind aufgrund völlig unterschiedlicher Nutzungsmotive sehr differenziert zu betrachten. Beispielweise wird vom Radio nicht selten eher Musik erwartet, die
wenig Aufmerksamkeit verlangt.
• Die Allgegenwart der Musik führt zu der Gefahr, dass Musik immer
weniger ‚intensiv‘ erlebt wird (MÜNCH 2008: 271).
Es gibt aber ‚zwei‘ Modi des Hörens im zeitgenössischen Bereich:
1. Funktionales Hören: Dies ist das Hintergrundhören, Hören in
Supermärkten, beim Autofahren oder in anderen Alltagssituationen mit den dazugehörigen Maskierungseffekten (SPITZER 2003:
401ff.). Das funktionale Hören führt zu einer Art des Hörens, wo das
Ohr nicht mehr so intensiv gefordert ist. Das Ohr zu ‚fordern‘ ist aber
eine grundlegende Voraussetzung zur Rezeption zahlreicher Werke
klassischer Musik.
2. Konzentriertes Hören: Dies ist das Hören im Konzert (NOLTZE
2010: 265). Die Konzentration ist für das Hören klassischer Musik
von großer Bedeutung (KALIES/LEHMANN/KOPIEZ 2008: 303).
Es wird immer wichtiger, Möglichkeiten für konzentriertes Musikhören zu schaffen. Dies betrifft besonders zeitgenössische Musik
mit größtmöglichem dynamischem Ambitus – das heißt vom PianoPianissimo bis zum Forte-Fortissimo – bzw. breitestem Amplitudenspektrum und den damit verbundenen unterschiedlichsten Hüllkurven (SPITZER 2003: 39).
Musikhören ist für zahlreiche Menschen eines der wichtigsten sowie
auch zeitlich aufwendigsten Alltagsaktivitäten. Von zentraler Bedeutung hierbei ist die medial vermittelte Musik, die allerdings häufig nur
im Hintergrund wahrgenommen wird. Der Musikeinsatz der Hörer ist
meistens zielgenau auf ihre jeweiligen Bedürfnisse abgestimmt, wenn
auch nicht selten ‚unbewusst‘. Der Besuch eines Konzerts bleibt oft
lange in Erinnerung, die ‚beiläufige‘ Radio- oder Tonträgernutzung
verliert aber schon kurz danach ihre Wirkung (SCHRAMM/KOPIEZ
2008: 253).
Zu den Motiven der ‚bewussten‘ Nutzung von Musik im Alltag
gehören nach Schramm und Kopiez (2009) vor allem das ‚emotionale‘,
‚assoziative‘ und ‚kognitive Involvement‘, also der Wunsch nach intensiv emotionaler, assoziativer und kognitiver Hingabe bzw. Anregung
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und Forderung (SCHRAMM/KOPIEZ 2008: 257). Dabei nehmen viele
Hörer gerne ‚Backgroundinformationen‘ wie z. B. Programmhefte beim
Konzertbesuch zu der ausgewählten Musik in Anspruch, deren Gestaltung allerdings nicht selten Unzufriedenheit erzeugt.
2. Herausforderungen für die Musikvermittlung
Dies führt zu Fragen und Problemen gegenwärtiger Musikvermittlung,
die derzeit in aller Munde sind (u. a. ALLWARDT 2010: 283ff.; RAUHE
2008: 196ff.; THEEDE 2007: 225ff., 2010: 218ff.). Allerdings wird der
Musikvermittlungsbegriff häufig sehr unterschiedlich verstanden. Er
kann nach Allwardt (2010: 283f.) folgendermaßen zusammen­ge­ fasst
werden:
Der Begriff versammelt die Entwicklung und Anwendung von Methoden, Formen
und Techniken künstlerischer, reflexiver und kommunikativer Art, deren Ziel es
ist, Musik in unterschiedliche gesellschaftliche Kontexte zu bringen. Die weitgefasste Idee hinter dem Begriff vereint die Ausformung differenzierter Formate, um
Musik einem heterogenen Publikum zu erschließen, Verständnisbrücken zu bauen
und Menschen aller Altersgruppen unabhängig von musikalischer Vorbildung
neugierig auf das Kulturgut Musik zu machen und für das Hören von Musik zu
sensibilisieren. Künstlerische Praxis, sinnliche Wahrnehmung und gesellschaftliches Verantwortungsbewusstsein immer wieder neu in einen Austausch zu bringen
und in Resonanz auf Raum und Zeit eine je eigene Idee und Sprache zu Musik zu
entwickeln, ist das Ziel von Musikvermittlung auf unterschiedlichen Ebenen und
aus variablen Perspektiven.
Musikvermittlung ist mit der Aufgabe verbunden, Begeisterung für
Musik zu wecken und zur Beschäftigung mit ihr anzuregen.
Es ist zu beobachten, dass der Bedarf an ‚neuen‘ Wegen der
Mu­sikvermittlung ständig wächst. Dies stellt auch Noltze (2010: 23, 25)
fest, der bei den Musikvermittlungsansätzen heutiger Medien-, Musikund Bildungsinstitutionen eine Tendenz zur Unterforderung durch
Vereinfachung der musikalischen Inhalte sowie durch Komplexitätsund Anstrengungsvermeidung sieht. ‚Innovative‘ und zukunftsweisende
Vermittlungsansätze sollten nach seiner Auffassung aber vor allem auf
die ‚Vermeidung‘ von Unterforderung abzielen (NOLTZE 2010: 225).
Sie sollten folgende Aspekte berücksichtigen:
• Die Ermöglichung einer Gewohnheitsdurchbrechungsanstrengung
bezüglich einer oberflächlichen, bereits bekannten und unkonzentrierten Musikrezeption (NOLTZE 2010: 257, 260).
Der Sonic Chair
• Die Schaffung von Voraussetzungen, um eine Art Plattform für eine
weniger zerstreute Rezeption und einen nichtreduktionistischen
Kom­plexitätsumgang überhaupt zu ermöglichen (NOLTZE 2010:
263).
• Die Zumutung und sogar Anstiftung zu einer positiv verstandenen
Anstrengung als Bereitschaft zur Einlassung auf Komplexität mit
dem Gegenstand selbst als Ziel und nicht nur der Aneignung von
Bildungsgut durch Wissen (NOLTZE 2010: 13f., 24).
• Die Begegnung mit und Einlassung auf Komplexität, die einer Selbstunterforderungsmechanik wie der Angst, etwas nicht zu verstehen,
entgegenwirkt (NOLTZE 2010: 192, 260).
• Die Förderung von „Offenohrigkeit“, um auch intensivste Erfahrungen mit Musik zu ermöglichen (NOLTZE 2010: 240).
• Die Förderung der genussvollen Erfahrung von und des entspannten Umgangs mit Komplexität in der Musik (NOLTZE 2010: 233,
272ff.).
• Die Schaffung einer Ahnung von Entdeckungsmöglichkeiten nach
der Anfangserfahrung (NOLTZE 2010: 28, 272ff.).
Entsprechend entwickelt Noltze (2010) ein „Trainingsprogramm des
‚guten‘ Hörens“ (NOLTZE 2010: 272), zu dem Folgendes gehört:
„Herstellung von Aufmerksamkeit; Kenntnis des Vokabulars und der
Syntax, also von Strukturen; Offenheit im Sinne von Komplexitätstole­
ranz“ (NOLTZE 2010: 272).
3. Der Sonic Chair als Instrument
innovativer Musikvermittlung
Das Institut für kulturelle Innovationsforschung an der Hochschule
für Musik und Theater Hamburg, das daran arbeitet, innovative
Musikvermittlungsprojekte ins Leben zu rufen, hat ein Instrument innovativer Musikvermittlung entwickelt, das den genannten Forderungen
Noltzes (2010) entspricht: Den Sonic Chair, der u. a. auch auf das
Klangerlebnis als Hörerlebnis abzielt (FLENDER 2010: 89). Flender
(2010: 89) stellt ihn folgendermaßen vor:
In Anlehnung an die Erfahrung, die die Jugendlichen mit einem I-Pod machen,
nämlich das Selber-hören-Lernen durch die persönliche Auswahl von Musikstücken
aus einem großen Angebot von Hörmöglichkeiten, wurde der Klangsessel ‚Sonic
Chair‘ entwickelt. Hier hat der Jugendliche – aber auch jeder Erwachsene – die
Möglichkeit, sich durch die Klangwelten der Neuen Musik des 20./21. Jh. nach
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eigenem Gusto durchzuhören. Nicht die musikgeschichtliche Ausrichtung steht
hier im Vordergrund, sondern der ‚Supermarkt‘ der verschiedenen stilistischen
Ausrichtungen. In Kooperation mit dem Software-Entwickler Montale wurde ein
iMac Touchscreen so programmiert, dass der Hörer in der Klangkugel Hunderte
von Klangbeispielen ansteuern kann, die in bester Audioqualität erklingen.
Vielleicht gehen die meisten Benutzer zunächst nach dem Zufallsprinzip vor.
Gefällt ein Klangbeispiel nicht, so kann schnell ein anderes ausgewählt werden.
Man kann sich so durch die Musik des letzten Jahrhunderts ‚durchzappen‘. Findet
man aber Gefallen an einem Stück, erhält man sofort Informationen, die auf dem
Touchscreen durchgelesen werden können. Hier wird also eine Plattform geschaffen, die die autodidaktische Form des Lernens Neuer Musik unterstützt.
So kann Lernen als erfahrungsbasierter Prozess mit den damit verbundenen Informationsaufnahmen, Bewertungen, Transformationen
und Reaktionen stattfinden (GERRIG/ZIMBARDO 2008: 193). Durch
Erfahrungen in Form von Musikerlebnissen können sich Hörer hier auch
eine fundierte Meinung über ihnen bisher unbekannte Musikrichtungen,
Komponisten, Werke oder Interpreten bilden und aufgrund dessen entscheiden, ob sie sich im Sonic Chair oder darüber hinaus in ihrer Freizeit
weiter mit der entsprechenden Musik beschäftigen möchten oder nicht.
Diese innovative Form der Musikvermittlung eröffnet neue Wege, dem
zunehmenden Problem des Fehlens von Vorkenntnissen im heutigen
Konzertleben entgegenzuwirken (THEEDE 2007: 225ff., 2010: 221).
Der Sonic Chair des Instituts für kulturelle Innovationsforschung als
‚musikalische Hörstation‘ befindet sich seit 2008 in der Erprobungspha­
se und wurde bereits an zahlreichen traditionellen, aber auch neuen
ungewöhnlichen Spielstätten im Konzertbetrieb eingesetzt, u. a. im
Rahmen des niederländischen Musikfestivals Gaudeamus Muziekweek
und des Förderprojektes der Kulturstiftung des Bundes KLANG! –
Netzwerk für zeitgenössische Musik in Hamburg zur innovativen
Vermittlung Neuer Musik (RAUHE 2008: 201ff.). In der Anfangsphase
hat eine Besucherbefragung im Rahmen von KLANG! ergeben, dass
der Sonic Chair ein Vermittlungstool mit hoher Attraktivität darstellt
(THEEDE 2009: 8ff.). Seitdem wird sein Hörangebot ständig ausgebaut
und verbessert (FLENDER 2010: 89).
Der Sonic Chair öffnet Türen für selbstbestimmtes Hören, das heißt,
dank seiner Festplatte hat der Nutzer einen Zugang zu einer großen
Menge an Musikwerken, Podcasts und Radiosendungen, auf die man
schnell zugreifen kann. Dies ist eine völlig neue Möglichkeit nicht nur
bedienungsfreundlicher, sondern auch raum- bzw. platzsparender
Musikvermittlung.
Die Entwicklung des Sonic Chairs war von Anfang an mit verschiedenen konzeptionellen Entscheidungen verbunden. So wurden
Der Sonic Chair
drei Nutzerzielgruppen definiert, die eine völlig unterschiedliche
Benutzerführung mit sich bringen, um gleich das für das jeweilige
Nutzerniveau am besten geeignete Klangmaterial bereitzustellen und
frei und schnell entscheiden zu können, was man länger hören möchte
oder nur kurz. Diese sind ‚Experten‘, ‚Einsteiger‘ und ‚Kinder‘.
Die klingende Klangenzyklopädie des Sonic Chairs ist für Anfänger
eher in Epochen gegliedert und die damit verbundenen Erklärungen
einfacher gestaltet als die für Experten. Bei jeder Epoche gelangt der
Hörer zu einer alphabetisch nach Komponisten geordneten Übersicht
der dazugehörigen Musikwerke. Hat er ein Stück ausgewählt, erklingt
es und gleichzeitig erscheint eine Detailansicht mit dazugehörigen
Informationen. In der Detailansicht kann der User beim Hören ein Foto
des Komponisten ansehen und folgende weiterführende Informationen
durchlesen: Einen Kurzkommentar zum Werk, die Lebensdaten und das
Herkunftsland des Komponisten, seine Biographie, Informationen zur
Kompositionsweise und teilweise das Werkverzeichnis. Wer also noch
keine Erfahrung mit Neuer Musik hat, bekommt hier einen Überblick
über die unterschiedlichen stilistischen Strömungen. Einen besonderen Einstieg in die neuen Klänge zeitgenössischer Komponisten bieten
44 dreiminütige Komponistenportraits. Der Hörer kann teilweise die
Partitur des ausgewählten Musikwerkes mitlesen und beliebig darin
vor- oder zurückblättern. Im Rahmen des Kinder-Buttons sind zielgruppengerechte, frei erzählte Geschichten eingebaut.
Die beste Vermittlung ist das Erlebnis selbst. Alles Weitere ist Hil­fe­
stellung. Aufgrund der besonderen Qualität der Klangrezeption ist der
Sonic Chair nach dem Life-Erlebnis die intensivste Stufe des Mu­sik­
hörens. Denn in dieser Hörsituation wird dem Nutzer ein völlig kon­
zentriertes Hören ermöglicht. Der Sonic Chair stellt also einen Mini­
raum dar, der für konzentriertes Zuhören geschaffen ist. Er bietet
eine Mikro­akustik, die dem Life-Erlebnis sehr nahekommt, auch wenn
Musik als Live-Erlebnis und übertragene Musik physikalisch und als
Wahrnehmungsinhalt keinesfalls identisch sind (MAEMPEL 2008:
232). Der Sonic Chair entspricht der Forderung Noltzes (2010) nach
einer ästhetischen Erfahrung als Möglichkeit, einen offenen, gegenüber Widerständen toleranten, also kreativen Komplexitätsumgang zu
trainieren (NOLTZE 2010: 263). Er kann als Mikrobereich angesehen
werden, der es erlaubt, Musik in bester Qualität zu hören und zu erleben, um dadurch einen neuen Weg zum anspruchsvollen Hörerlebnis
zu ebnen sowie auch breiteren Bevölkerungsschichten den Zugang zu
einem weiten Spektrum an Werken Klassischer Musik zu erleichtern
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und das Interesse an dem Besuch der damit verbundenen Konzerte zu
steigern.
4. Schlussfolgerung
Der Sonic Chair ist ein Individualereignis, das Konzert hingegen ein
Kollektivereignis. Viele Menschen besuchen gerne ein Konzert. Ein Teil
dieser Konzertbesucher wünscht sich aber eine besondere Vorbereitung
auf das Konzert.
Kollektiv beschallte Räume und eine individualistisch abgestimmte Musikauswahl können sich ergänzen. Der Konzertbesuch kann
beide Bedürfnisse bedienen – erst das Individualerlebnis Sonic Chair,
dann das Kollektiverlebnis ‚Konzert‘. Denn durch diesen Klangsessel
ergibt sich die Chance, multimediale Möglichkeiten im Foyer eines
Konzerthauses zu nutzen – also nicht nur im Programmheft zu lesen
oder, wie es altertümlich früher üblich war, in der Partitur zu lesen.
Dies betrifft aber nicht nur ein Konzerthausfoyer, sondern ebenso weitere, auch ungewöhnliche Räume an anderen Konzert- und
Festivalspielstätten als Orte der Vorbereitung auf das Konzert. Diese
Punkte können optimiert werden in Form einer individualistischen
Multimediastation, die einen Miniraum schafft, der besonders auf die
individuellen Bedürfnisse des Konzerts zugeschnitten ist und dem
Besucher ermöglicht, die Beschallung selbst anzuwählen und dadurch
‚sein eigener Intendant‘ zu sein.
Der Schritt von Klangsesseln im Raum mit transitorischer Atmosphä­
re kann für diese Räume – dies kann auch eine Lounge sein oder ein
anderer Ort mit kurzer Muße – zu einer ausgesprochenen Belebung
führen, und sie sind perfekte Vermittlungstools. Entsprechend hat das
Institut für kulturelle Innovationsforschung auch kurze Hörformate
entwickelt, wie zum Beispiel die bereits erwähnten dreiminütigen
Komponisten-Podcasts. Eines hiervon kann man problemlos in der
Konzertpause vollständig anhören – im Gegensatz zu einem zweistündigen Musikwerk.
Es reicht aber nicht aus, mehrere dieser Klangsessel in das Foyer
eines Konzerthauses oder bei Spielstätten von Musikfestivals aufzustellen. Ihr Inhalt müsste auf die Bedürfnisse des Konzertbesuchers abgestimmt und dies von Ort zu Ort justiert werden. Der Sonic Chair-Nutzer
müsste die Win-win-Situation sehen, sonst verliert er das Interesse.
Der Sonic Chair
Aber nicht nur im öffentlichen, sondern auch im privaten Raum gibt es
ein großes Potential bezüglich des Sonic Chairs.
Das Institut für kulturelle Innovationsforschung wird die Ein­
satzfähigkeit des Sonic Chairs in den kommenden Jahren gezielt erfor­
schen und dabei auch empirisch vorgehen, zum Beispiel durch die
Pla­nung und Durchführung von Befragungen. Das Institut ist mit dem
Sonic Chair allerdings noch ganz am Anfang. Als Forschungsinstitut
macht es sich aber weiterhin zur Aufgabe, Räume neu zu denken und
innovative Musikvermittlungsprojekte weiterzuentwickeln.
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