A. H. Ali: Infidel Ali, Ayaan Hirsi: Infidel. New York: Free Press 2007

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A. H. Ali: Infidel
Ali, Ayaan Hirsi: Infidel. New York: Free Press
2007. ISBN: 9-780-74328968-9; 354 S.
Rezensiert von: Wolfgang G. Schwanitz, Burlington County College, New Jersey
Weltbekannt ist sie seit 2004 geworden: ihre
radikale Kritik am Islam schlug nicht nur in
den Niederlanden hohe Wellen, sondern sie
kulminierte im folgenden Jahr im Mord am
dortigen Filmemacher Theo van Gogh und in
ihrem Wechsel nach Amerika 2006. Wie sich
dies aus ihrem Leben entwickelt hat, erhellt
sie in ihrem Buch „Ungläubige“, das nun 2007
als Bestseller die angelsächsischen Märkte erobert. In Deutschland hatte der Piper Verlag
eine Ausgabe ediert, die mit der vorliegenden
englischen bis auf die Fotoauswahl identisch
ist.1
Dabei ist dieser Band mehr als eine autobiographische Geschichte. Er trifft den Nerv unserer Zeit im Kampf zwischen Kulturen und
Zivilisationen. Dies erhellt Ayaan Hirsi Alis
einzigartiger Weg. Geboren 1969 in Mogadischu, Somalia, erlebte sie gleichwohl in Nairobi, Jidda und Addis Abeba schroffe Wenden
vom Nationalismus zum Islamismus. Noch
neun Jahre vor ihrer Geburt, im Jahr Afrikas, als fast zwei Dutzend Länder ihre Staatlichkeit erlangten, schien sich ein Traum zu
erfüllen. Der Staat war gewonnen, die Nation sollte erblühen. Doch befielen junge Militärs, die nach der Kolonialzeit zumeist an
die Macht gelangten, kommunistische Utopien. Etwa in Somalia und Äthiopien, wo Hirsi Ali auch lebte. In ihrer Heimat provozierte
der Despot Siad Barré durch sein linkes Wirken, dass sich Stämme völlig der Islamisierung nach saudischer Art öffneten. Dieser Islam bewahrte auch ihre Männerwelt vor sozialen Experimenten. Er war übernational angelegt.
Hirsi Alis Clan geriet in die Mühlen derartiger Zwiste. Galt bei ihr zuerst der liberale
Islam ihres an der Columbia University studierten Vaters, obsiegte bald der orthodoxe
Islam ihrer Mutter, den diese in Jidda selbst
aufnahm. Hirsi Ali war auf dem Weg, eine
Aktivistin der saudisch gesteuerten Muslimbrüder zu werden. Aber als Teenager fand sie
dort keinerlei Antworten auf Lebensfragen.
Warum sich etwa eine Ehefrau ihrem Part-
ner unterwerfen muss und ihre Zeugenaussage halb so viel Wert wie die eines Mannes gilt.
Hirsi Alis Geist, berührt durch englische Literatur und Hollywood, war zu weit für diesen
mentalen „Käfig Islam“.
Als sie mit einem kanadischen Somali gegen ihren Willen verheiratet werden sollte,
entging sie dem durch die Flucht nach Europa. Da offenbarte sich ihr schlagartig das ersehnte andere Leben. Um in Holland das Asyl
ihrer Freiheit zu gewinnen, frisierte sie ihre
Story leicht. In einem rasanten Lernprozess
jobbte sie und studierte Politologie in Leiden.
Rasch erkannte sie Sein und Schein, wo Eheleute auf freiem und gleichem Fusse stehen.
Hirsi Ali stellt soziale Muster dar, wie die
Holländer und die Einwanderer miteinander
umgingen. Asylbewerber, sagt sie, waren verwirrt. Ihnen war ja stets eingebläut worden,
sie wären als Muslime den Ungläubigen überlegen. Aber das Gegenteil erwies sich dann als
richtig, zumal sie nicht einmal einfache Probleme im Alltag lösten. „Minderwertige Weiße“ ordneten ihren Alltag viel besser. Sicherlich, die Emigranten rangen mit einer schweren Integration. Indessen zogen sich nicht wenige arrogant zurück: sie wollten gern genießen, waren aber für harte Arbeit zu bequem.
Sie suchten sich, so Hirsi Ali, entweder im
„Schuldspiel“ zu rechtfertigen, wonach die
Europäer Somalia kolonialisiert hätten und alle Miseren erzeugt hätten. Oder sie schrieen „Rassismus“ - und erhielten dann, was sie
wünschten.
Umgekehrt sahen Holländer durch den
Schuldkomplex ihrer Kolonialzeit kaum, dass
die Einwanderer viele alte Ansichten mitgebracht, mithin die Werte ihrer neuen Umwelt
verworfen haben. Die Einwohner gestatteten
ihnen dies ganz „multikulturell“. Doch die
islamische Knechtung von Frauen und Kindern, betont Hirsi Ali, dürfe in Europa nicht
erlaubt werden. Bestimmte Aspekte des Islam, sagt sie, schränken das kritische Denken
ein. In Harnisch brachten sie moralische Relativisten, die behaupten, alle Kulturen wären
1 Ali,
Ayaan Hirsi, Mein Leben, meine Freiheit. Die Autobiographie. Aus dem Englischen von Anne Emmert
und Heike Schlatterer. Piper Verlag, München 2006, 496
S. Im selben Verlag erschien ihr Buch: Ich klage an: Plädoyer für die Befreiung der moslemischen Frauen. Aus
dem Niederländischen von Anna Berger und Jonathan
Krämer. München 2005, 224 S.
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gleich.
Im Jahr 2003 begann sie, stärker ihre parlamentarische Rolle zu nutzen, um ihre Landsleute - sie trug inzwischen die niederländische Staatsbürgerschaft - über die Beschneidung, die Zwangsehe und den Ehren-Mord
aufzuklären. Sie, die nun Atheistin geworden
war, wandte sich gegen die parallelen Gesellschaften mit staatlich ungeprüften Koranschulen. Der Artikel 23 der Verfassung, der
eigene konfessionelle Schulen erlaube, möge abgeschafft werden. Hollands Toleranz sei
gut gemeint, zeitige aber böse Folgen. Hirsi
Ali illustriert dies mit Fällen aus ihrem Dolmetschen vor Gericht oder in Kranken- und
Frauenhäusern. Für sie ist es nur ein Märchen,
dass der Islam eine tolerante und friedliche
Religion sei. Sie wollte, dass Nichtmuslime
aufhörten, den Islam friedlich und tolerant zu
nennen.
Sie verfasste auch das Drehbuch für den
Kurzfilm „Submission“, den dann Theo van
Gogh produzierte. Darin erschienen auf einem durch rote Peitschenstriemen vernarbten
Frauenkörper Koranverse, die Männern das
Schlagen von Frauen und die mitleidlose Ausführung von einhundert Peitschenhieben bei
so genannter Unzucht für Frau und Mann raten. Nachdem diese zehnminütige Dokumentation gesendet worden war, tötete
der emigrierte Muhammad Bouyeri Theo van
Gogh. Schließlich stach er ihm ein Messer in
die Brust mit einem Drohbrief an Hirsi Ali.
Weitere Morddrohungen folgten, zumal Abtrünnige aus islamischer Sicht den Tod verdienen, wie sie unterstreicht. Seither hat sie
Leibwächter.
Im März 2006 entzog ihr Integrationsministerin Rita Verdonk die Staatsbürgerschaft
wegen falschen Angaben bei der Einwanderung. Dazu hatte Hirsi Ali des öfteren ihre Beweggründe offen erklärt. Nach einigem politischen Hin und Her wurde sie dann doch wieder eingebürgert. Aber sie lebt nun in Amerika.
Diese Biographie ist fesselnd und wenigstens auf vier zeitgeschichtlichen Ebenen über
den Lebenslauf hinaus bedeutsam. Sie erhellt
erstens die Beziehung des Islam zu anderen
Religionen. Muslime wachsen mit dem Gefühl der Überlegenheit auf, so dass sie andersgläubige Menschen als Ungläubige - infidel -
bezeichnen. Dies nicht etwa, weil diese keinen, sondern weil sie wie Juden und Christen aus islamischer Sicht einen „verfälschten Glauben“ haben. Dieser theologisch untermauerte Überlegenheitsanspruch führt zu
vielen Fehleinschätzungen und vor allem zu
Frustrationen, sobald Muslime Gegenteiliges
entdecken. Oftmals ziehen sie sich dann auf
diese Argumentation zurück: der Westen mag
zwar das Materielle haben, das Spirituelle gehöre jedoch dem Islam.
Zweitens illustriert Hirsi Ali die Lage von
Musliminnen und dass man im Westen keine
„multikulturellen“ Abstriche an Bürger- und
Menschenrechten machen dürfe. Drittens veranschaulicht sie Kriegs- und Friedenskonzepte sowie den muslimischen Dauerauftrag zum
Jihad, solange es noch nichtislamische Räume
gibt. Viertens lotet sie die Einheit von Religion und Macht aus, eine schwierige Frage im
Vergleich zur Trennung von Staat und Kirche
in der judäo-christlichen Tradition.
Hirsi Ali ist eine hochbegabte und mutige Aufklärerin, die ihre Sturm- und Drangzeit in Europa erlebt hat. Ihr Selbstbewusstsein hat sich so entwickelt, dass sie von sich
schreibt, Tag und Nacht gearbeitet und mit
allen Mitteln versucht zu haben, die weibliche Antwort auf Usama bin Ladin zu sein.
Dennoch, vermutlich würde sie heute einige Thesen anders formulieren und im Umgang mit Muslimen Schockdämpfer benutzen, wie sie in einer aufgeladenen Zeit als angebracht erscheinen. Doch als Frau mit diesem Lebensweg hatte sie jedes Recht ihre Kritik am Islam und an Religionen auch zuzuspitzen. Diese, ihre erste Biographie ist jedenfalls ein Meisterwerk der Zeitgeschichte, die
jeden angeht. Und was für eine historische
Ironie, dass es ausgerechnet die Niederlande
sind, denen jetzt als erstem Staat Europas bevorsteht, durch eine weitgehend verfehlte Integrationspolitik die innere, soziale Wertekohäsion der Gesellschaft zu verlieren.
Wolfgang G. Schwanitz über Ali, Ayaan
Hirsi: Infidel. New York 2007, in: H-Soz-Kult
29.06.2007.
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