Zur Verlässlichkeit des Glaukomscreenings durch den Augenoptiker

Werbung
OPTOM E TR I E
A. Uihlein, H. Dietze
Zur Verlässlichkeit des
Glaukomscreenings durch den
Augenoptiker/Optometristen, Teil 2
Der zweite Teil dieses Artikels beschreibt Untersuchungsverfahren sowie entsprechende Abgrenzungskriterien für das Glaukomscreening und stellt
die Ergebnisse einer Studie vor, die im Rahmen einer
Bachelorarbeit an der Beuth Hochschule Berlin durchgeführt wurde. Die Studie untersucht die mögliche
Übereinstimmung zwischen einem von Ophthalmologen und einem von Optometristen ausgeführten
Glaukomscreening. Dazu werden umfangreiche und
nach festgelegten Kriterien ermittelte Untersuchungsergebnisse einer Optometristin (der Autorin dieses
Artikels) mit den Untersuchungsergebnissen eines
erfahrenen Augenarztes (>20 Jahre Berufspraxis) verglichen. Der Auslöser für die Studie ist die Annahme,
dass mangelnde Berufserfahrung und eingeschränkte
rechtliche Befugnisse von Optometristen (z.B. dürfen
Mydriatika nicht ohne ärztliche Aufsicht angewendet
werden) zwangsläufig zu einer verringerten Sicherheit
des Glaukomscreenings führen.
■ Untersuchungsablauf
An der Studie nahmen 112 Patienten teil (64w / 48m;
Median 56,6 Jahre; Altermin 40; Altermax 85). Alle Patienten
wurden nacheinander in einer zufälligen Reihenfolge sowohl
von der Optometristin als auch vom Augenarzt mit den unten
aufgelisteten Verfahren untersucht (je R + L Auge). Die Untersuchungsergebnisse wurden notiert und so maskiert, dass
der jeweils zweite Untersucher in Unkenntnis von den Untersuchungsergebnissen des ersten Untersuchers blieb. Alle
Untersuchungen wurden während des laufenden Betriebs
in einer Augenarztpraxis innerhalb von drei Wochen durchgeführt.
Als Einschlusskriterium wurde ein Mindestalter von 40 Jahren
bestimmt, um der mit dem Lebensalter exponential steigenden Prävalenz des Glaukoms (siehe Teil 1 in DOZ 11-2009)
und der Screening-Voraussetzung einer möglichst großen Zielgruppe 1 gerecht zu werden. Personen mit bereits diagnostizierten Glaukomerkrankungen sowie Personen mit starken
Medientrübungen wurden von der Studie ausgeschlossen, um
eine Voreingenommenheit von Studienteilnehmern und/oder
den Untersuchern bzw. eine starke Beeinträchtigung des
ophthalmoskopischen Einblicks zu vermeiden. Die von der
Optometristin durchgeführten Untersuchungen enthielten
folgende Bestandteile:
50
• Familienanamnese
• Non-Contact-Tonometrie
• Perimetrie mit einem Humphrey Matrix Perimeter
• Untersuchung der vorderen Augenabschnitte
an der Spaltlampe
• Beurteilung der Papille und Nervenfasernschicht mittels
Spaltlampen-Ophthalmoskopie (78-Dioptrien-Linse)
• Fundusfotografie mit non-mydriatischer
digitaler Funduskamera
Die Untersuchung durch den Augenarzt enthielt dieselben
Bestandteile, jedoch in Verdachtsfällen zusätzlich:
• Goldmann-Applanations-Tonometrie
• Schwellenwert-Perimetrie
• Gonioskopie (Untersuchung des Kammerwinkels)
• Medikamentöse Druckbelastungsprobe
(IOD-Messung nach Gabe von Mydriatika)
Damit sollte die mit den zur Verfügung stehenden Mitteln
bestmögliche Sicherheit der Untersuchung gewährleistet werden. Die Untersuchungen wurden durch eine digitale nonmydriatische Fundusfotografie eines jeden Auges ergänzt,
um eine zusätzliche objektive Beurteilung der cup/disc ratio
(C/D-Ratio) zu ermöglichen. Die Auswahl der Untersuchungsverfahren dieser Studie orientiert sich weitgehend an den
Empfehlungen des Berufsverbandes der Augenärzte Deutschlands (BVA) und der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG), welche in Leitlinie 15c dokumentiert sind. Die
verwendeten Untersuchungsverfahren sowie die Untersuchungskriterien werden in den folgenden Abschnitten näher
beschrieben.
■ Familienanamnese
Wegen des familiär gehäuften Auftretens des Glaukoms
(siehe Teil 1 DOZ 11-2009) richtete sich die Befragung ausschließlich nach Familienangehörigen ersten Grades (Eltern
und Geschwister) mit einem (bekannten) Glaukom.
Noncontact-Tonometrie
Das einfach zu bedienende Noncontact-Tonometer (NCT)
hat den Vorteil, dass weder eine lokale Anästhesie erforderlich ist noch ein erhöhtes Infektions- oder Verletzungsrisiko
besteht. Zudem können NCT reproduzierbare Messwerte
liefern, 2 die zumindest für die Messwerte um 20mmHg, gut
DOZ 12-2009
OPTOM E TR I E
mit den Messwerten der als Goldstandard betrachteten Goldmann-Applanationstonometrie (GAT) übereinstimmen. 3-5 Da
der Intra-Oculardruck (IOD) pulsatorischen Schwankungen
unterliegt, wurden jeweils mindestens drei Messwerte gemittelt.
Perimetrie mit dem Humphrey Matrix Perimeter
Die Gesichtsfeldmessung (Perimetrie) wird benutzt, um die
für das Glaukom typischen Gesichtsfelddefekte (GFD) in einem
Frühstadium aufzudecken. Neben der automatischen WeißWeiß-Perimetrie ist die Frequenz-Verdopplungs-Perimetrie
(FDT-Perimetrie) für das Glaukomscreening geeignet (siehe Teil
1 in DOZ 11-2009). Sie zeichnet sich insbesondere durch die
für ein Screening wichtige Schnelligkeit aus, welche durch
die Anwendung einer überschwelligen Teststrategie noch erhöht werden kann, wenn auch auf Kosten der Sensitivität.
In dieser Studie wurde ein Humphrey Matrix Perimeter
(Zeiss Meditec AG) mit einer überschwelligen Teststrategie
und einem nasal von 20° auf 30° erweiterten Messfeld (N-305) verwendet. Diese Strategie unterstützt die Sachlage, dass
erste glaukomatöse Gesichtsfeldausfälle gewöhnlich im zentralen Bereich des 20- bis 30°-Gesichtsfeldes zu erwarten sind
und dass die nasale Stufe einen für das Glaukom typischen
Gesichtsfelddefekt darstellt. Darüber hinaus wird während der
Messung auf Fixierfehler sowie mittels eingebauter Fangfragen
auf falsch-positive Fehler (positive Antwort ohne Wahrnehmung eines Stimulus) geprüft. Die Messung wurde wiederholt, wenn mehr als 30% Fixationsverluste oder mehr als 30%
falsch-positive Fehler aufgetreten sind. Wiederholmessungen
erfolgten ebenso bei Vorliegen von Auffälligkeiten, weil sich die
Spezifität des Verfahrens auf diese Weise erhöht. 6
Um eine Verfälschung der Messergebnisse durch Blendung
zu vermeiden, wurde die Perimetrie noch vor der Spaltlampenuntersuchung und vor der Ophthalmoskopie durchgeführt.
Spaltlampenuntersuchung
Bei der Spaltlampenuntersuchung wurde zunächst die
Kammerwinkeltiefe mithilfe des einfach auszuführenden VanHerrick-Verfahrens (Abbildung 1) beurteilt. Dazu wird die Hornhaut in unmittelbarer Nähe des temporalen Limbus mit einem
maximal hellen und maximal engen Spalt aus einem Winkel
von 60° beleuchtet, wodurch ein optischer Schnitt durch die
Hornhaut und ein dicht daneben liegender Irisreflex sichtbar
werden. Der dunkle Bereich zwischen beiden Reflexen entspricht der Kammerwinkeltiefe (vgl. Pfeile in Abb. 1), welche
nun ins Verhältnis zur Hornhautdicke gesetzt wird - je geringer
die Kammerwinkeltiefe desto größer das Risiko für ein Winkelblockglaukom.
Neben der Beurteilung der Kammerwinkeltiefe erfolgte eine
Spaltlampenuntersuchung auf Risikofaktoren für das sekundäre Glaukom. Hierbei wurde besonders auf das Fehlen oder
Vorhandensein des Pseudoexfoliations- (PEX) und des Pigmentdispersionssyndroms (PDS) geachtet (siehe auch Teil 1
in DOZ 11-2009). Da das PEX-Material im Anfangsstadium
meist in der Peripherie der vorderen Linsenkapsel aufliegt,
wurde die Pupillenweite durch abwechselndes Abschwächen
und Verstärken der Spaltlampenhelligkeit beeinflusst, um so
die mittlere Peripherie der Linsenvorderfläche besser untersuchen zu können.
DOZ 12-2009
Abb. 1: Beurteilung der Kammerwinkeltiefe nach Van Herrick. Der
dunkle Bereich zwischen Irisreflex und Hornhautreflex (Pfeile) ist im
Bildbeispiel ca. ¼ so breit wie die Dicke des Hornhautreflexes, was
einem Van Herrick Grad 2 entspricht. Der Kammerwinkel ist demnach verengt. (Bild A. Uihlein) Die Kammerwinkeltiefe wurde in fünf
Graden klassifiziert, wobei Grad 4 einem weit geöffneten und Grad 0
einem verschlossenen Kammerwinkel entspricht. Kammerwinkeltiefen ≤ Grad 2 wurden als auffällig bewertet (siehe Tabelle 1).
Ferner wurde auf einen positiven Tyndall-Effekt, speckige
Hornhautrückflächenbeläge sowie auf Entzündungszellen in
der Vorderkammer geachtet, weil diese ebenfalls einen Risikofaktor für das sekundäre Glaukom darstellen.
Spaltlampen-Ophthalmoskopie
Die Beurteilung der Papille erfolgte durch die indirekte
Spaltlampen-Ophthalmoskopie mit einer handgehaltenen 78Dioptrien-Linse. Dabei entsteht ein umgekehrtes, seitenverkehrtes dreidimensionales Fundusbild, das mittels Spaltlampe
unter variabler Vergrößerung betrachtet werden kann. Ein dreidimensionales Bild der Papille ist vor allem für die Beurteilung
von Tiefe und Ausmaß der Exkavation von Vorteil.
Die 78-Dioptrien-Linse weist gegenüber der geläufigeren
90-Dioptrien-Linse einen größeren Durchmesser und eine
höhere Vergrößerung auf, woraus sich eine verbesserte Handhabung und ein verwacklungsärmeres Bild ergeben. (Wegen
der kleineren Gesichtsfeldgröße ist die 78-Dioptrien-Linse
jedoch weniger gut für die Untersuchung der Fundusperipherie geeignet.)
In dieser Studie wurde die vertikale CD-Ratio als Untersuchungskriterium ausgewählt, wenngleich Form und Verlauf
des neuroretinalen Randsaumes ebenfalls von Ausschlag gebender Bedeutung sein können (siehe Teil 1 DOZ 11-2009).
Augen mit einer vertikalen CD-Ratio ≥0,6 sowie einer R/LAsymmetrie ≥0,2 wurden als auffällig eingestuft (siehe auch
Tabelle 1).
51
OPTOM E TR I E
Der hier vorliegenden Studie liegen die von BVA und DOG
(Leitlinie 15c) sowie die in der wichtigsten Primärliteratur vorgeschlagenen Kriterien für die Abgrenzung zwischen auffällig
und unauffällig zugrunde (Tabelle 1). Für den Optometristen
ist die Unter- bzw. Überschreitung solcher Kriterien vor allem in
Hinblick auf die Überweisung des Patienten an den Augenarzt
zur Diagnosestellung und Therapie wichtig.
Tabelle 1: Untersuchungsparameter und Grenzwerte für das Glaukomscreening
Fundusfotografie
Die Untersuchung endete jeweils mit der non-mydriatischen
digitalen Fundusfotografie (Topcon Corporation, Japan), für
welche der Untersuchungsraum jeweils so weit als möglich
abgedunkelt wurde. Um einen Vergleich mit den subjektiven
Papillenbeurteilungen beider Untersucher zu ermöglichen,
wurden die vertikalen Durchmesser von Papille und Exkavation
auf dem stark vergrößerten Fundusbild mit einem Lineal ausgemessen und ins (C/D-) Verhältnis gesetzt.
Die digitale Fundusfotografie bietet nicht nur hervorragende
Möglichkeiten für Dokumentation und Verlaufskontrolle – das
Abschätzen der C/D-Ratio anhand von digitalen Fundusfotos
zeigt zudem eine brauchbare Übereinstimmung mit den teilweise objektiven Messungen des Heidelberg- Retinotomographen (HRT), 7 was die Eignung einer Funduskamera für ein
Screening unterstreicht. Mithilfe einer hochauflösenden Funduskamera können zudem feine glaukomatöse Veränderungen – wie z.B. Papillenrandblutungen – häufig besser erkannt
werden, als mit der Ophthalmoskopie an der Spaltlampe.
Anhand des Fundusfotos kann der Patient schließlich in eindrucksvoller Weise über den Zustand der Netzhaut und über
mögliche glaukomatöse Veränderungen aufgeklärt werden.
Zusatzuntersuchungen durch den Augenarzt
Neben den oben angeführten Untersuchungen existieren
weitere Verfahren, mit denen die Sensitivität des Glaukomscreenings erhöht werden kann. Diese erfordern jedoch einen
höheren gerätetechnischen oder zeitlichen Aufwand oder den
Einsatz von diagnostischen Medikamenten, der den Augenärzten vorbehalten ist (siehe Teil 1 / DOZ 11-2009). In der hier
vorgestellten Studie wurden einige dieser Verfahren immer
dann vom untersuchenden Augenarzt angewendet, wenn sich
aus den Untersuchungsergebnissen mit den oben aufgelisteten Verfahren ein Glaukomverdacht ableiten ließ. So wurde der
IOD bei Werten ≥ 18 mmHg applanatorisch nachgemessen.
Bei einem hohem IOD und einem gleichzeitig verdächtigen
Papillenbefund wurde zusätzliche eine Weiß- Weiß-Schwellenwert-Perimetrie (HFA 24-2; Zeiss Meditec AG), eine Gonioskopie sowie eine Druckbelastungsprobe in künstlicher Mydriasis
(Messen des IOD nach Gabe eines Mydriatikums) ausgeführt.
Bewertungskriterien
Die bei jedem Screening übliche Zuordnung des Befundes
in unauffällig oder auffällig basiert auf der Unter- bzw. Überschreitung eines Mess- oder Untersuchungskriteriums.
52
Bewertungskategorien
Da beim Glaukomscreening stets mehrere Faktoren bewertet werden, ist eine eindeutige Einstufung des Befundes in
unauffällig und auffällig vor allem dann schwierig, wenn ein
oder mehrere Grenzwerte überschritten sind und andere
dagegen nicht. Aus diesem Grund nahmen beide Untersucher
eine Kategorisierung der Befunde vor (siehe Tabelle 2), die
jeweils aus der Gesamtschau aller Tests bzw. Untersuchungsverfahren abgeleitet wurde. In der Praxis des Optometristen
würde in allen Fällen der Kategorien 2 bis 5 eine Überweisung
an den Augenarzt erfolgen, weshalb zusätzlich eine Zusammenfassung der Kategorien 2 bis 5 dargestellt wird. Personen mit unauffälligen Befunden sollten über die niemals
100%ige Sicherheit eines Screenings sowie darüber aufgeklärt
werden, dass ein solches Schnellverfahren nicht mit einer
eingehenden augenärztlichen Untersuchung gleichgesetzt
werden darf.
Tabelle 2: Bewertungskategorien für den Glaukomverdacht. In die
Kategorie 5 wurden Fälle mit anderweitigen okulären Auffälligkeiten
eingestuft, die im Rahmen des Glaukomscreenings zufällig entdeckt
wurden.
■ Ergebnisse
Intraokulardruck und C/D-Ratio
In Tabelle 3 sind elementarstatistische Ergebnisse für den
IOD und für die vertikale C/D Ratio aufgelistet. Abbildung
2 zeigt die Verteilung der IOD-Werte (NCT). Diese ist hinsichtlich des Medians (15,5mmHg) sowie der schiefen Verteilungsform mit Angaben in der Literatur vergleichbar. 8
Tabelle 4 zeigt die Mediane der Differenzen zwischen den
von Augenarzt und Optometristin geschätzten sowie zwischen
den objektiv ermittelten vertikalen C/D-Ratios. Die mit einem
Wilcoxon-Rang-Test ermittelten p-Werte zeigen die Wahrscheinlichkeit an, mit welcher die jeweils getesteten Stichproben ein und derselben Grundgesamtheit entstammen.
Demnach besteht für keine der getesteten Stichproben ein
signifikanter Unterschied, wenngleich das Signifikanzniveau
(p=0.05) sowohl beim Vergleich zwischen Augenarzt und
Optometristin als auch beim Vergleich zwischen Augenarzt
und objektivem Wert (Fundusfoto) angenähert wurde.
DOZ 12-2009
OPTOM E TR I E
Tabelle 3: Verteilung der Stichproben für den IOD sowie für die vertikale C/D-Ratio. Für keine der hier dargestellten Kenngrößen kann
eine Normalverteilung angenommen werden (Shapiro-Wilk p<0,05).
Die Fallzahl n entspricht der Anzahl der Einzelaugen.
Tabelle 4: Statistischer Vergleich der Papillenbeurteilungen. Die Abkürzung VB steht für Vertrauensbereich.
Abb. 2: Verteilung der gemessenen Augeninnendruckwerte (NCT).
Abb. 3: Links: Vertikale C/D-Ratios, geschätzt von den Untersuchern bzw. gemessen anhand von digitalen Fundusfotos. Rechts. Differenzen
zwischen den vertikalen C/D-Ratios.
Abbildung 3 zeigt die Verteilung aller Mess- bzw. Schätzwerte für die vertikale C/D-Ratio (links) sowie deren Differenzen
(rechts). Dabei ist offensichtlich, dass es sich um schiefe
Verteilungen mit Schwerpunkten bei kleinen C/D-Ratios (ca.
0,15 bis 0,30) handelt und dass die Mediane aller Messreihen
ungefähr auf einer Höhe liegen. Zudem zeigt sich eine Tendenz, dass die C/D-Werte bei größeren Exkavationen sowohl
von Augenarzt als auch von der Optometristin im Vergleich
zu den Fundusfoto-Werten überschätzt wurden (Abb. 3 links).
Es bestehen jeweils nur geringe Differenzen zwischen den
Medianen für die einzelnen Verfahren, wenngleich die Schätzbzw. Messwerte in Einzelfällen bis zu rund 0,4 voneinander
abweichen.
Kategorisierung der Screening-Befunde
Abbildung 4 zeigt die Übereinstimmung der Screeningergebnisse zwischen beiden Untersuchern in einzelnen und
zusammengefassten Kategorien. Es besteht eine gute Übereinstimmung für die Kategorien ohne Glaukomverdacht,
mäßiger Glaukomverdacht und die Zusammenfassung der
Kategorien 2 – 5. Die geringeren Übereinstimmungen mit den
DOZ 12-2009
großen Vertrauensbereichen für die Kategorien 3 (n = 6), 4
(n = 2) und 5 (n = 7) sind auf die jeweils geringe Fallzahl
zurückzuführen. Ausgehend von den Ergebnissen der kompletten augenärztlichen Untersuchung wurden 65 der 112
Patienten (= 58%) als unauffällig (Kategorie 1) und 47 der
112 Patienten (= 42%) als auffällig (Kategorien 2-5) beurteilt.
Die nachfolgend aufgeführten Berechnungen der Sensitivitäten und Spezifitäten für einzelne bzw. kombinierte
Screening-Tests beruhen auf der Annahme, dass die kombinierten Untersuchungsergebnisse des Augenarztes die unter
den gegebenen Bedingungen größtmögliche Sicherheit
bieten. Für einen statistischen Vergleich mit einer Glaukomdiagnose, die erst bei einem nachgewiesen Gesichtsfelddefekt
oder bei einer nachgewiesenen Veränderung im Bereich der
Papille als sicher gelten kann (siehe Teil 1 DOZ 11-2009), sind
sie deshalb ungeeignet. Diese Vorgehensweise erscheint
nicht zuletzt deshalb sinnvoll, weil die sichere Diagnose des
Glaukoms selbst unter idealen Bedingungen (z.B. zusätzliche
Anwendung von bildgebenden Verfahren) auf Grund der anfangs nur subtilen Veränderungen und der großen Normwertstreuungen im gesunden Auge schwierig ist.
53
OPTOM E TR I E
So bezieht sich beispielsweise die hier angegebene Sensitivität für die Tonometrie auf die aus allen Tests und Untersuchungen des Augenarztes abgeleiteten Einstufung als auffällig
(Kategorien 2-5). Sie gibt an, wie viel Prozent der vom Augenarzt als auffällig eingestuften Personen durch die alleinige
Tonometrie als auffällig angezeigt wurden. Im Gegenzug gibt
die Spezifität in dieser Studie an, wie viel Prozent der nach
allen Tests und Untersuchungen vom Augenarzt als unauffällig
eingestuften Personen von einem Screeningtest (z.B. der
Tonometrie) als unauffällig angezeigt wurden. Unter realen
Bedingungen würde der praktisch tätige Optometrist alle auffälligen Fälle der Kategorien 2-5 zur Diagnosestellung und ggf.
Behandlung an den Augenarzt überweisen, jedoch aufgrund
der niemals 100%igen Sicherheit des Screenings einerseits
einige Glaukomaugen übersehen und andererseits einige
augengesunde Personen zum Augenarzt überweisen.
Aus den in Tabelle 5 dargestellten Ergebnissen lässt sich
ableiten, dass die Sensitivität des optometrischen Screenings
mit Anzahl der kombinierten Verfahren deutlich ansteigt und
ein Maximum erreicht, wenn alle angewendeten Verfahren
miteinander kombiniert werden. Mit dem Anstieg der Sensitivität (weniger Augen mit einem Glaukomverdacht werden
übersehen) sinkt jedoch gleichzeitig die Spezifität (mehr
augengesunde Personen werden als auffällig angezeigt), was
einen bekannten Zusammenhang für die Sicherheit von
Screening-Tests widerspiegelt.
Sonderfälle
Neben den glaukomtypischen Auffälligkeiten wurden
zwei der 112 Patienten mit einem Verdacht auf anderweitige
Augenerkrankungen aufgedeckt (z.B.: Aderhautnaevus mit
Drusen, siehe Abbildung 5). Diese Fälle hätten unter realen
Bedingungen zu zusätzlichen Überweisungen an den Augenarzt geführt, sofern das Glaukomscreening sowohl eine Ophthalmoskopie als auch eine Perimetrie enthalten hätte.
■ Diskussion
Interpretation der Ergebnisse mit Bezug
auf die Sicherheit des Screenings
Die hier vorliegenden Studienergebnisse zeigen je nach
Kategorie eine gute bis sehr gute Übereinstimmung zwischen
den Einschätzungen des Augenarztes und der Optometristin.
Die größte Übereinstimmung (97,9%) ergab sich für eine
Kombination aller Test- und Untersuchungsverfahren in Verbindung mit der für die optometrische Praxis durchaus relevanten
Grob-Einstufung in unauffällig bzw. auffällig (Kategorie 1 sowie
Zusammenfassung der Kategorien 2-5). Wegen des Fehlens
einer sicheren Glaukomdiagnose kann bei Abweichungen
zwischen den Ergebnissen beider Untersucher keine Aussage
darüber getroffen werden, ob die entsprechenden Befunde
von der Optometristin falsch interpretiert wurden oder ob
es sich lediglich um eine normale Streuung zwischen verschiedenen Untersuchern handelt.
Die Ergebnisse spiegeln vor allem dann praxisnahe Verhältnisse wider, wenn die Aussagekraft des optometrischen Glaukomscreenings an der Aussagekraft des augenärztlichen
Glaukomscreenings gemessen werden soll und wenn
verdächtige Fälle bereits vor Eintreten der Erkrankung (als
54
Abb. 4: Kategorie-Übereinstimmung zwischen Augenarzt und Optometrist. Die Fehlerindikatoren zeigen die 95%-Vertrauensbereiche.
Tabelle 5: Sensitivität und Spezifität einzelner und kombinierter Untersuchungsverfahren des Optometristen, bezogen auf die aus der kompletten augenärztlichen Untersuchung abgeleiteten Einstufung als
auffällig
Abb. 5: Aderhautnaevus mit Drusen. Der Befund wurde zufällig
durch die Anwendung der nonmydriatischen Funduskamera entdeckt
(Bild: A. Uihlein)
DOZ 12-2009
Vorsorge-Maßnahme) ausgesiebt werden sollen. Weil alle
Screening-Verfahren einer gewissen Unsicherheit unterliegen,
wird die Trennschärfe eines Screeningtests jedoch gewöhnlich
mit einer möglichst sicheren Diagnose verglichen. Für das
Glaukom lässt sich diese aber nur stellen, wenn Gesichtsfelddefekte und/oder Veränderungen im Bereich der Papille
bereits nachweisbar eingetreten sind (siehe Teil 1 in DOZ
11-2009). Aus diesem Grunde lassen sich die hier vorgestellten Ergebnisse, welche lediglich auf das Erkennen von Risikofaktoren abzielen, nicht ohne weiteres mit der Literatur vergleichen. So ergibt sich beispielsweise eine deutlich geringere
Sensitivität eines aus mehreren Teiluntersuchungen bestehenden Glaukomscreenings, wenn diese für Augen mit einem
diagnostizierten Glaukom ermittelt wird. 9
Eine weitere Unsicherheit stellen die geringen Fallzahlen dar
(v.a. Kategorie 3 und 4) sowie die Vermutung, dass die Patienten einer einzelnen Augenarztpraxis nicht notwendigerweise
einen Querschnitt durch die Bevölkerung repräsentieren.
Auch die teilweise sehr hohen Spezifitäten (z.B. 98,5%
für die Tonometrie) lassen sich aus der fehlenden Diagnose
bzw. Ausschlussdiagnose ableiten. So wurden in der Studie
nur jene Augen als gesund eingestuft, bei denen alle Grenzwerte unterschritten waren (siehe Tabelle 2). Es ist jedoch
bekannt, dass viele Augen trotz Überschreitung eines oder
sogar mehrerer Grenzwerte gesund sind (siehe Teil 1 in DOZ
11-2009). Wird nun ein einzelner Screeningtest hinsichtlich seiner Fähigkeit, gesunde Augen als gesund anzuzeigen
(= Spezifität), mit den ebenfalls per Screening als gesund eingestuften Augen verglichen, so muss sich zwangsläufig eine
hohe Übereinstimmung ergeben. Im Gegenzug wurden
Augen selbst dann als glaukomverdächtig bewertet, wenn nur
einer der in Tabelle 2 angegebenen Grenzwerte überschritten
wurde. Daraus erklärt sich der im Vergleich zur Prävalenz des
Glaukoms (rund 2% der Gesamtbevölkerung; siehe Teil 1 in
DOZ 11-2009) deutlich höhere Anteil glaukomverdächtiger
Augen in dieser Studie (42%). (Hierbei sind allerdings die mit
dem Lebensalter ansteigende Prävalenz des Glaukoms und
das durchschnittliche Alter der Studienteilnehmer von knapp
60 Jahren zu berücksichtigen.)
In Übereinstimmung mit größeren Arbeiten 9 geht aus den
hier gezeigten Ergebnissen hervor, dass die Sensitivität des
Glaukomscreenings durch eine Kombination mehrerer Untersuchungsverfahren erhöht werden kann. So konnte die alleinige Messung des IOD lediglich rund ein Viertel der Personen mit einem Glaukomverdacht heraussieben (12 von 47
= 25,5%), eine Kombination aus mehreren Tests und Verfahren dagegen mehr als 90%. Bei alleiniger Anwendung der
Tonometrie bestand somit lediglich für ein Viertel aller Patienten mit Glaukomverdacht eine Übereinstimmung zwischen
Augenarzt und Optometrist, wenngleich in der Literatur eine
Sensitivität von etwa 50% für die (Goldmann-)Tonometrie
angegeben wird. 10
In einem vom Zentralverband der Augenoptiker (ZVA) in
Auftrag gegebenen Gutachten wird angeführt, dass die alleinige IOD-Messung durch den Augenoptiker zumindest einen
Teil der glaukomverdächtigen Augen heraussieben kann und
demnach sinnvoller als keine IOD-Messung sei. 11 Auch wenn
diese Aussage zweifelsfrei zutrifft, so bleiben dabei die Forderung nach der höchstmöglichen Sensitivität und Spezifität
DOZ 12-2009
Füller oder Anzeige
OPTOM E TR I E
55
OPTOM E TR I E
eines Screenings sowie einige evidenzbasierte Verfahren zur
Steigerung derselben unberücksichtigt.
Am Rande soll hier erwähnt werden, dass die SpaltlampenBefunde für den vorderen Augenabschnitt sowohl im Bezug
auf das Glaukomscreening als auch im Rahmen einer allgemeinen Beurteilung der Augengesundheit sehr aufschlussreich sein können, weshalb die Spaltlampeninspektion zu den
Routine-Untersuchungen des Optometristen zählen sollte.
Interpretation der Ergebnisse mit
Bezug auf die Glaukom-Vorsorge
Aus dem hohen prozentualen Anteil der Fälle mit einem
Glaukomverdacht, aus der Prävalenz des Glaukoms in der Bevölkerung und aus der hohen Übereinstimmung zwischen
Augenarzt und Optometrist lassen sich einige wichtige Schlussfolgerungen ableiten: Ein flächendeckendes Glaukomscreening
würde eine Vielzahl neuer Fälle generieren, die einer augenärztlichen Diagnosestellung und ggf. Behandlung bedürfen. Hierbei
entstehen nicht unerhebliche Kosten, die jedoch ins Verhältnis
zu den vermeidbaren Kosten der Sehbehinderung (Arbeitsausfall, vergrößernde Sehhilfen, Blindengeld etc.) zu setzen sind.
Die Sensitivität des Screenings kann durch die Kombination
mehrerer Tests und Verfahren erhöht werden, jedoch wird
gleichzeitig eine nicht unerhebliche Anzahl augengesunder Personen als auffällig angezeigt und muss sich einer (zusätzlichen)
augenärztlichen Diagnosestellung unterziehen. Dabei bestehen
keine oder nur geringe Unterschiede zwischen der Sensitivität
des augenärztlichen und des optometrischen Glaukomscreenings, sofern klare Abgrenzungskriterien existieren und die
anzuwendenden Verfahren hinlänglich beherrscht werden und
sofern die Kategorisierung der Befunde in auffällig und unauffällig als ausreichend erachtet wird.
Größere Studien bestätigen, dass ein optometrisches Glaukomscreening unter bestimmten Voraussetzungen eine ähnliche Sicherheit wie das augenärztliche Glaukomsreening bietet.
12
Auf diesen und ähnlichen Ergebnissen basieren gesundheitsökonomische Überlegungen z.B. in Großbritannien, wo ein
großflächiges Glaukomscreening durch Optometristen bereits
seit langem existiert bzw. die Einrichtung spezieller, von Optometristen geleiteter Screening-Zentren vorgesehen ist. Auf
diese Weise kann die Effizienz der optometrischen und ophthalmologischen Versorgung der Bevölkerung bei einer vertretbaren
Sicherheit erhöht und die Zusammenarbeit zwischen Ophthalmologen und Optometristen sogar verbessert werden. Im
Bezug auf die gegenwärtige Versorgungssituation in Deutschland sollte jedoch beachtet werden, dass das Glaukomscreening für einige Ophthalmologen nach den letzten Gesundheitsreform(en) ein wichtiger wirtschaftlicher Faktor geworden ist
und dass die Bevölkerung nur dann von einem (zusätzlichen)
Screening durch Optometristen profitieren kann, wenn eine gute Zusammenarbeit zwischen beiden Berufsgruppen besteht.
Aus diesem Grund erscheint das Glaukomscreening besonders
in ophthalmologisch unterbesetzten Gebieten sinnvoll sowie
bei Personen ab einem mittleren Lebensalter, die sich nicht in
regelmäßiger augenärztlicher Kontrolle oder Behandlung befinden. Im Bemühen um die Verbesserung von Früherkennung
und Prävention erscheint es zudem sinnvoll, wenn Augenoptiker und Optometristen einen Beitrag zur Aufklärung über
die Risiken des Glaukoms leisten.
56
■ Schlussfolgerung
Die vorliegende Studie zeigt, dass Optometristen ein hinreichend sicheres Glaukomscreening ausführen können, sofern
sie über entsprechende Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen.
Die Sicherheit eines solchen Screenings steigt erheblich, wenn
zusätzlich zur Tonometrie eine Ophthalmoskopie der Papille,
eine Perimetrie, eine Untersuchung des vorderen Augenabschnitts und eine entsprechende Anamnese ausgeführt
werden. Demgegenüber steigt die Anzahl der als auffällig
bewerteten gesunden Augen mit der Anzahl der verwendeten
Tests, abhängig von den gewählten Grenzwerten.
Kontaktadresse der Autoren
A. Uihlein, Prof. Dr. H. Dietze
Beuth Hochschule Berlin
Kurfürstenstrasse 141, 10785 Berlin
Korrespondenzanschrift:
E-Mail: [email protected]
Quellenangaben
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
11.
12.
Last J.M. A dictionary of epidiology. Oxford University Press.
Oxford (1988)
Graf M. and Hoffmann, O.F. (1992). [Reproducibility of the results of
two non-contact tonometers. Comparison with the Goldmann
applanation tonometer]. Klin Monatsbl Augenheilkd 200:678-682.
Hansen M.K. (1995). Clinical comparison of the XPERT non-contact
tonometer and the conventional Goldmann applanation tonometer.
Acta Ophthalmol Scand 73:176-180.
Langmann G., Schuhmann, G. and Schwaiger, W. (1985). [Comparative
pressure measurements with the non-contact tonometer and the Goldmann applanation tonometer]. Klin Monatsbl Augenheilkd 187:345-347.
Tonnu P.A., Ho, T., Sharma, K., et al. (2005). A comparison of four
methods of tonometry: method agreement and interobserver variability.
Br J Ophthalmol 89:847-850.
Khong J.J., Dimitrov, P.N., Rait, J., et al. (2001). Can the specificity of the
FDT for glaucoma be improved by confirming abnormal results?
J Glaucoma 10:199-202.
Quigley M.G., Patel, V., Dube, P., et al. (2008). Comparing optic nervehead-size measurements by the heidelberg retina tomograph with
fundus photography performed with a novel focusing technique.
J Glaucoma 17:480-483.
Pfeiffer N. Glaukom und okuläre Hypertension. Grundlagen, Diagnostik,
Therapie. Georg Thieme Verlag. Stuttgart - New York (2005)
Tielsch J.M., Katz, J., Singh, K., et al. (1991). A population-based
evaluation of glaucoma screening: the Baltimore Eye Survey.
Am J Epidemiol 134:1102-1110.
Rahmani B. and Tielsch, J.M. (1995). Reihenuntersuchung zur Feststellung primärer Offenwinkelglaukome. Search on Glaucoma 3:9-13.
Hessel F. and Wasem, J. (2000). Wertigkeit der Augeninnendruckmessung
mittels Noncontact-Tonometrie durch Augenoptiker in Deutschland.
Eine Kosten-Wirksamkeits-Analyse. Diskussionspapier 13/00
Spry P.G., Johnson, C.A., McKendrick, A.M., et al. (2001). Variability
components of standard automated perimetry and frequency-doubling
technology perimetry. Invest Ophthalmol Vis Sci 42:1404-1410.
DOZ 12-2009
Herunterladen