ZüriSee – Uferleben – Leben am Ufer Synthesebericht Analyse und Schlussfolgerungen zum Projekt ‚Uferleben – Leben am Ufer’ Thomas Oesch Jacques Burnand Andreas Rotach Synthesebericht ‚Uferleben’ INHALTSVERZEICHNIS: 1 Ausgangslage und Auftrag 3 2 Module und Grundlagen 4 3 Entwicklung bis heute 5 3.1 Der Mensch prägt das Ufer 5 3.2 Die Kräfte der Natur wirken 8 3.3 Das Wasser wird wieder sauberer 9 4 Folgen für die Tier- und Pflanzenwelt 10 4.1 Vielfalt an heimischen Pflanzen 10 4.2 Weniger spezialisierte Tierarten 11 4.3 Einwanderung fremder Arten 13 5 Besondere Verantwortung für den Artenschutz 14 6 Was bringt die Zukunft? 15 7 Aufwertungspotenzial 16 7.1 Ökologie 16 7.2 Erholung 16 7.3 Ufertypen 18 7.4 Hotspots 19 Handlungsprioritäten 21 8.1 Zusammenarbeit fördern 21 8.2 Seespiegelschwankungen erhöhen 21 8.3 Veränderungen am Seeufer untersuchen 22 8.4 Wasserqualität verbessern 22 8.5 Ufervegetation fördern 22 8.6 Spezielle Arten fördern 23 8.7 Information und Bildung fördern 24 Zusammenfassung 25 8 9 Anhang: 1 Erläuterungen zum Syntheseplan 29 Quellenverzeichnis 30 August 2006 Synthesebericht ‚Uferleben’ «Welch reiche Mannigfaltigkeit freudigen Erlebens spendet uns doch unser herrlicher See! Fernes Firneleuchten über blauenden Wassern, oder schaumgekröntes Wogengebraus im tosenden Föhn, geheimnisvolles Rauschen im vogelbergenden Ufergeschilf, liebliche Insel-Idyllen, rebenbekränzte Ufergehänge, ragende Baumgestalten in Parken, und rings die Ufer begleitenden wohnlichen Stätten emsigen Volkes am Untersee; der Obersee aber bietet ein kostbares Stück kaum berührter Naturschönheit.» Zitat aus dem Jahrbuch vom Zürichsee (SCHRÖTER 1932) 2 August 2006 Synthesebericht ‚Uferleben’ 1 Ausgangslage und Auftrag Mit dem starken Rückgang der Schilfbestände am Ufer des Zürichsees wuchs die Sorge um die Erhaltung einer intakten Landschaft um den See. Deshalb wurde die Erforschung der Lebewelt am Ufer intensiviert und die Zusammenhänge zwischen Umwelteinflüssen und ihren Veränderungen genauer untersucht. Schon bald wurden konkrete Projekte – oft als Versuch oder Pilotprojekt - zum Schutz und zur Regeneration schadhafter Stellen am See angegangen. Seit 1979 werden Bestand und Zustand des Röhrichts am Zürcher Ufer des Zürichsees in Drei-Jahres-Abständen im Auftrag des Kantons Zürich erhoben. 1985 erfolgte eine Erhebung und Darstellung der Ufervegetation und der Ufermorphologie des ganzen Zürichsees durch eine Arbeitsgruppe der Universität Genf (LACHAVANNE et al. 1995a, 1995b). 1993 veröffentlichte SCHANZ einen Erfahrungsbericht über zwölf Jahre Schilfbeobachtung am unteren Zürichsee. Zur Vogelwelt verfasste SCHIESS (1989) einen Bericht mit umfassenden Untersuchungen. Die Erkenntnisse der letzten Jahrzehnte flossen in den Synthesebericht ein. Auch an benachbarten Seen wurden die Vorgänge am Ufer beobachtet und Massnahmen eingeleitet: Wegleitend sind die Untersuchungen am Bodensee. Es wurden zahlreiche Regenerationsprojekte an die Hand genommen (SIESSEGGER und TEIBER 2001). Am Bielersee wurde die Unterwassererosion als Spätfolge der Juragewässerkorrektionen erkannt (ISELI 1993). Diese Fragestellung war die Basis für ein Forschungsprogramm an der ETH Lausanne unter dem Titel EROSEE. Am Vierwaldstättersee läuft ein mehrjähriges Informationsprojekt der Aufsichtskommission, gebildet aus den Umweltämtern der Kantone Uri, Schwyz, Ob- und Nidwalden. ‚Vision Zürichsee 2050’ Im Kanton Zürich sind mit dem Projekt ‚Vision Zürichsee 2050’ der Baudirektion (AWEL) ab 2002 wertvolle Grundlagen erhoben worden. Die Daten stehen für die vorliegende Synthese zur Verfügung. Über den ganzen See gesehen ist also viel Wissen vorhanden. Doch die Darstellung der aktuellen Situation und der Entwicklung der Ufer ist bruchstückhaft. Es fehlt eine Vernetzung der Daten über alle drei Anrainerkantone. Auch eine systematische Erfolgskontrolle der Massnahmen am Zürichsee gibt es nicht. Der ZSL (Zürichsee Landschaftsschutz) hat deshalb im 2002 die Initiative ergriffen und das Projekt ‚Uferleben – Leben am Ufer’ aufgestellt. ‚Uferleben – Leben am Ufer’ Die konkreten Ziele des Programms am Zürichsee waren: 3 • Darstellen des aktuellen Zustandes des Röhrichts, der Vogelwelt und weiterer Tiergruppen. Die Röhrichtbestände in den beiden Kantonen St. Gallen und Schwyz sollen auf gleiche Art wie im Kanton Zürich kartiert werden. • Erheben der in den letzten zwei Jahrzehnten getroffenen Schutzund Regenerationsmassnahmen. Beurteilen des Erfolges der verschiedenen Massnahmen. • Darstellung der Defizite und des natürlichen Potenzials August 2006 Synthesebericht ‚Uferleben’ • Erarbeiten der Handlungsmöglichkeiten für den Erhalt und die Entwicklung der Vegetation und der Tierwelt am See • Sensibilisieren der Bevölkerung für die Belange des Zürichsees mit gezielter Öffentlichkeitsarbeit. Das Projekt des ZSL wurde in zehn Module gegliedert. Der vorliegende Bericht (Modul 10) enthält die Zusammenfassung der vorangegangenen Module und die Synthese. Das Zielpublikum umfasst: 2 • die Mitglieder des ZSL, welche oft mit Fragen des Natur- und Landschaftsschutzes am Zürichsee konfrontiert sind. • die Kantone und Gemeinden am See, welche laufend und aktiv planen und sich mit Bauprojekten am Ufer befassen müssen. • die regional tätigen Umweltorganisationen Pro Natura, WWF, Schweizer Vogelschutz SVS und deren lokale Sektionen. • die Hochschulen, welche sich mit Studien und Entwicklungsprojekten engagieren wollen, insbesondere die HSW (Fachhochschule Wädenswil) und die HSR (Fachhochschule Rapperswil). Module und Grundlagen Im Folgenden sind die konkreten Ergebnisse der Grundlagenprojekte, der Felderhebungen und Auswertungen aufgeführt. Die einzelnen Berichte sind unter www.zuerichsee-landschaft.ch im Internet abrufbar. Modul 2 Kartierungen der Röhrichtbestände am Zürichseeufer GPS und GIS gestützte Erhebung, mit Unterstützung der Kantone: - ab 1979 im Kanton Zürich im 3-Jahresrhythmus, letztmals 2003, im Auftrag des AWEL (Burnand, 2004) - 2004 im Kanton St. Gallen (Burnand et al., 2005) - 2005 im Kanton Schwyz (Burnand und Rotach, 2006) Module 4 (1 + 3) Ursachenanalyse Bestandesschwankungen des Röhrichts am Zürichsee und deren Ursachen; im Auftrag des ZSL (Burnand und Oesch, 2005). Darin sind auch die Resultate der Module 1 (Literaturrecherche) und 3 (Recherche der nichtbiologischen Einflüsse) ausgewertet und dokumentiert. Modul 5 Wirkung von Schilfförderungsmassnahmen (Erfolgskontrolle): Liste aller ausgeführten Projekte am See mit Beurteilung (im Ursachen-Bericht - Modul 4 - integriert) Modul 6 Unterwasser-Vegetation ausgewählter Transekte (OePlan, 2006): Alte und neue Aufnahmen von Profilen mit Wasserpflanzen, Topografie und Körnung des Untergrundes werden verglichen. Um die zukünftigen Veränderungen nachzuvollziehen wird ein neues Netz von Profilen (Transekten) aufgenommen und dokumentiert. Modul 7 Inventar der ornithologisch bedeutsamen Uferabschnitte (Orniplan, 2004, 2005a, 2005b) 4 August 2006 Synthesebericht ‚Uferleben’ Modul 8 Aquatische Fauna, Datenauswertung ufernaher Seeböden im Auftrag des AWEL Zürich (V. Lubini, 2006) Modul 9 Erfassung wertvoller Lebensräume für Reptilien, Amphibien, Libellen (C. Meier, 2004, 2005a, 2005b) Die wichtigsten externen Grundlagen, welche zur Verfügung gestellt wurden: Vision Zürichsee 2050: - Auftrag der Baudirektion des Kt. Zürich (AWEL) - Modul Ökologie: Geomorphologie, Aufwertungseignung (Atelier Stern & P. 2004) Modul Erholung: Wege, Häfen etc./ Bewertung/ Erholungspotenzial (Atelier Stern & P. 2004) - Landanlagen und Ufergestaltung (AWEL, 2002) - Geologische Grundlagen (Gysi, Leoni, Mader AG, 2003) Unterwasservegetation Makrophyten des Zürichsees: Inventarblätter 1:5000 mit Bewertung (LACHAVANNE et al., 1995): Wasserqualität Langzeituntersuchung im Zürich-Obersee 1972 – 2000: Wasserversorgung Zürich, im Auftrag der Kantone St.Gallen, Schwyz und Glarus (GAMMETER und FORSTER 2002), 3 Entwicklung bis heute 3.1 Der Mensch prägt das Ufer Vor 18'000 Jahren sind die Gletscher geschmolzen. Der Wald begann sich langsam rund um den See auszudehnen. Landschaftsgeschichte Vor 6'000 Jahren wurden die ersten Nomaden sesshaft und rodeten grosse Waldflächen am See. In der Folge konnten sich Seebinsen und Schilf ausbreiten, weil mehr Licht ans Ufer gelangte. Bis vor 200 Jahren blieb die Seeufervegetation mehrheitlich konstant. Änderungen und grosse Schwankungen des Seespiegels ergaben sich als Folge von Extremereignissen. Hochwasser der Sihl mit viel Geschiebe verstopften den Auslauf der Limmat immer wieder. Dauernde Lücken im Röhricht entstanden aber nur in Siedlungsnähe und an bewaldeten Steilufern. Zwischen 1800 und 1930 werden am Untersee auf weiten Uferstrecken die seichten Seeflächen aufgefüllt, um neue Landflächen für Siedlung und Infrastruktur zu gewinnen (so genannte Konzessionsflächen). In dieser Zeit verschwanden fünf Sechstel der Röhrichtfläche. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts wächst das Siedlungsgebiet, von der Stadt Zürich ausgehend, stetig den See hinauf. 5 August 2006 Synthesebericht ‚Uferleben’ Abbildung 1: Die Geschichte des Röhrichts am Zürichsee seit der Eiszeit Im Winter und frühen Frühling erreichte der Seespiegel von Natur aus seinen tiefsten Stand. Nachfolgend stieg der See stetig an. Die höchsten Pegel im frühen Sommer waren gekoppelt mit der Schneeschmelze in den Glarner Alpen und längeren Regenperioden. Seeregulierung Die Linthkorrektion anfangs des 19. Jahrhunderts veränderte die Wasserzufuhr in den See: Die Spitzen der Linth werden seither im Walensee gebrochen. Die Kraftwerke im Glarnerland, im Wägital und an der Sihl halten das Schmelzwasser zurück und sorgen für grössere Wassermengen im Winter. Abbildung 2: Langjährige mittlere Wasserstandsschwankung des regulierten Sees seit 1951 Wasserspiegel (m.ü.M) Ende des 19. Jahrhunderts entstand ein erstes Elektrizitätswerk an der Limmat in Zürich, welches den Auslauf beeinflusste. Aber erst seit 1951 kann mit dem Lettenwehr der Seespiegel genau reguliert werden. Die Schwankungen sind seither im Mittel kleiner als 40 cm. 406.1 406 405.9 405.8 405.7 1 2 3 4 5 6 7 Monate 6 August 2006 8 9 10 11 12 Synthesebericht ‚Uferleben’ Der ehemals breite Strand, der bedingt durch die Spiegelschwankungen regelmässig überflutet und wieder freigelegt wurde, reduzierte sich auf einen schmalen Streifen. Die typischen Uferpflanzen, welche mit Vorliebe im und am Wasser stehen, werden landseitig durch vordringende Gehölze bedrängt. Nicht zu vergessen ist der stetige Wellenschlag, an schönen Sommertagen verursacht durch den Bootsverkehr. Zusammen mit den reduzierten Schwankungen wird dies zu einer Limite für die seeseitige Ausdehnung des Röhrichts. Mit der Industrialisierung und der Ausdehnung der Siedlung gelangte viel nährstoffreiches Abwasser in den See. Die Landwirtschaft belastete durch die Verwendung von hoffremdem Dünger und Futterstoffen den See zusätzlich. Wasserqualität Der hohe Nährstoffgehalt verursachte seit der Mitte des letzten Jahrhunderts ein massives Algenwachstum. Dies war eine der Hauptursachen für den Rückgang des Röhrichts und der ursprünglichen Unterwasserpflanzen (Laichkräuter und Armleuchteralgen). Mit dem Bau von Abwasserreinigungsanlagen kann ab 1970 eine verzögerte Abnahme der Nährstoffe im See festgestellt werden. So ist der Phosphorgehalt des Obersees, aus dem 60% des Wassers für den Untersee stammt, von 30 auf 5 mg/m3 gesunken. Algenblüte 1955 Seit 1980 ist dank der besseren Wasserqualität kein Massenwachstum von Algen mehr festgestellt worden. Das Röhricht erholt sich langsam. Auch die Unterwasservegetation entwickelt sich in Richtung der ursprünglichen Vielfalt, weil der See weniger trüb ist und mehr Licht auf den Seegrund gelangt. Abbildung 3: Phosphat und Gesamtphosphor im Obersee 1972 bis 2000: Untersuchung der Wasserversorgung Zürich (GAMMETER, FORSTER 2002) 7 August 2006 Synthesebericht ‚Uferleben’ Seit dem Bau des Seedammes bei Rapperswil im Jahr 1878 und dem Kanaldurchstich bei Hurden haben sich die Strömungsverhältnisse im Übergang vom Obersee zum Untersee stark verändert. Neue Strömungsverhältnisse beim Seedamm Ältere ‚Seebuben’ erzählen, wie sie früher zu Fuss durch Schilf und über Binsenbulte von Hurden auf die Ufnau gepirscht sind. Heute ist dort das Röhricht bis auf wenige, lockere Binsengruppen verschwunden. Als eine der Ursachen werden die veränderten Strömungsverhältnisse vermutet. Sedimentfallen Viele Häfen und Bootshaaben sind im Flachwasser angelegt. Die Einfahrten und Bootsgassen bilden dort so genannte Sedimentfallen. Durch die Strömung angeschwemmtes Feinmaterial lagert sich fortlaufend ab und muss in regelmässigen Zeitabständen ausgebaggert werden. Das entfernte Substrat fehlt dann in den benachbarten Uferabschnitten. 3.2 Die Kräfte der Natur wirken Am Seeufer sind immer mehr oder weniger grosse Veränderungen festzustellen. Die Kräfte des Wassers und der Geologie führen zu dynamischen Verhältnissen. Massgebend ist der Wind, der Wellen erzeugt und diese am Ufer auflaufen lässt. Im Osten des Obersees und am Zürichsee bei Feldbach sind infolge der grossen Streichlänge (= Distanz bis zum gegenüberliegenden Ufer) Wellen bis 1,5m Höhe möglich. Sturmwinde aus West und Südost (Föhn) können auch heftige Wirbel über der Wasseroberfläche erzeugen, die in eigentlichen Wasserhosen sichtbar werden. Sturmwellen In intakten Röhrichtbeständen vernarben die Spuren der Stürme im Verlauf der Jahre. Treten extreme Ereignisse jedoch häufiger auf – Klimawandel? – kommt es zu grösseren Veränderungen am Ufer. ‚Die Welle erodiert, die Strömung transportiert’, so lautet der Grundsatz des Uferforschers Dr. Siessegger vom Bodensee. Vor allem die Kombination von hohen Wellen und starker Strömung gefährdet das Schilf, indem der feinkörnige Seegrund und somit das durchwurzelbare Substrat abgetragen wird. An hart verbauten Uferabschnitten werden die Wellen reflektiert, und es treten grosse uferparallele Strömungen auf. Kombination von Wellen und Strömung Nach dem Übergang vom Tiefwasser ins Flachwasser dringen die Wellenströmungen bis auf den seichten Seegrund. Gegen das Ufer hin, wo die Wassertiefe weiter abnimmt, schwellen die Wellen an und werden steiler. Meist brechen sie dann und verlieren einen bedeutenden Teil ihrer Energie. An natürlichen oder künstlichen Riffs wird dieser Vorgang, der als Brandung bezeichnet wird, vorzeitig erzwungen. Die Wucht der Wellen wird dadurch in ausreichender Entfernung vom Ufer gedämpft und die Ufer erleiden geringere Veränderungen. Am tiefen und steilen Ufer trifft die Welle ungebrochen und mit voller Wucht am Ufer an. Verursacht durch veränderte Strömung (z.B. durch Uferverbauung) und stetigen Wellenschlag sind Erosion und Landverlust an manchen Orten am See zu beobachten. Von Schaden wird - ein dynamisches Naturverständnis vorausgesetzt - eigentlich nicht gesprochen, weil Erosion am Ufer immer in mehr oder weniger starkem Ausmass Erosion und Landverlust 8 August 2006 Synthesebericht ‚Uferleben’ stattfindet. In Siedlungsnähe werden aber Veränderungen meist nicht toleriert. Schadhafte Stellen werden rasch mit Blocksteinen oder Ufermauern verbaut und saniert. Die Uferlandschaft ist geprägt durch die Schuttfächer der ehemals viel grösseren Flüsse und Bäche. Heute treten nur noch lokal fixierte Anlandungen auf. Echt dynamische Deltas sind selten und z.B. noch in der Mündung der Jona, der Wägitaler Aa oder des Aabaches am Obersee anzutreffen. Deltadynamik Auch hier wurde bis vor kurzem der bei Hochwasser abgelagerte Kies alle paar Jahre entfernt und an Land verwertet. Der Feinanteil (Sand und Silt), welcher ein Mehrfaches der Menge des Kieses ausmacht, setzt sich erst weiter draussen ab oder wird durch die Wellenstömung in die seitliche Uferbank verfrachtet. Bedingt durch Kanalisierung und Vorstreckung der Mündung geht heute ein grosser Teil im Tiefenwasser verloren. Die Landbildung ist gering. Die ehemals häufigen Kiesbänke und Sandinseln im Mündungsgebiet sind verschwunden. Wenn in einem ehemaligen Deltafächer kein Sediment mehr durch die Strömung zugeführt wird, dann droht Erosion: Der See holt sich sein Land zurück. 3.3 Das Wasser wird wieder sauberer Als Dokumentation dient die folgende Abbildung aus dem Modul 6: Abb. 4: Vergleich von alten und aktuellen Transekten am Ufer bei Wurmsbach, Jona 9 August 2006 Synthesebericht ‚Uferleben’ Die Abfolge der Profile über die Jahre zeigt, dass sich die Schilffront heute wieder leicht Richtung See bewegt. Sie ist bereits wieder weiter draussen als 1978. Als Hauptgrund ist zu nennen: Der Nährstoffgehalt des Seewassers hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten wieder auf tieferem Niveau stabilisiert. Es wachsen im Sommer weniger Algen und Plankton im Wasser. Das Licht kann in grössere Wassertiefen vordringen. Die Dichte und Vielfalt der ehemals typischen Wasserpflanzen nimmt wieder zu. Davon profitiert auch die Wasserversorgung, weil zur Aufbereitung von gutem Trinkwasser weniger Aufwand betrieben werden muss. 4 Folgen für die Tier- und Pflanzenwelt 4.1 Vielfalt an heimischen Pflanzen Unterwasservegetation: Die Vielfalt der dauernd untergetauchten Wasserpflanzen (Laichkräuter, Armleuchteralgen) hat sich in den letzten Jahren wieder dem ursprünglichen Niveau angenähert. Weitere Veränderungen im Artenspektrum sind aber zu erwarten. Strandvegetation: An Seen mit grossen Seespiegelschwankungen ist der sogenannte Strandrasen –ein kurzrasiger Pflanzenbestand auf kiesigem Untergrund – ein wichtiger Bestandteil der natürlichen Vegetation am See. Am regulierten Zürichsee hat dieser Vegetationstyp keine Chance. Röhricht, Schwimmblattvegetation Die meisten Schilfbestände konnten in den letzten Jahren flächenmässig leicht zulegen. Die negativen Entwicklungen bei einer Minderheit der Bestände sind auf lokale Einflüsse wie ‚Überweidung’ durch Wasservögel oder Ufererosion zurückzuführen. Auch die Seebinsen und Teichrosen sind in den letzten Jahren stabil geblieben oder haben an vielen Stellen deutlich zugenommen. Riedvegetation: Vor allem im oberen Seeteil schliessen landseitig an die naturnahen Uferabschnitten ausgedehnte Riedgebiete an. Diese extensiv bewirtschafteten Streuwiesen bleiben ungedüngt und werden erst im Herbst gemäht. Es zeigt sich, dass Röhricht vor intakten Riedflächen die besten und stabilsten Bestände bildet. Als spezielle Art unter den ehemals typischen Pflanzen ist das Gnadenkraut (Gratiola officinalis) hervorzuheben, das am See nur noch in einem Uferried bei Feldbach überlebt hat. Die Fachstelle des Kantons Zürich versucht, im Uferried der Halbinsel Au diese seltene Art wieder anzusiedeln. Gnadenkraut 10 August 2006 Synthesebericht ‚Uferleben’ 4.2 Weniger spezialisierte Tierarten Die Zahl der typischen Ufervögel ist in den letzten Jahrzehnten insbesondere im unteren Seeteil zurückgegangen. Im oberen Seeteil sind diese Arten noch verbreitet, aber auf die naturnahen Abschnitte konzentriert: Vögel: Der seltene Drosselrohrsänger (Acrocephalus arundinaceus) lebt praktisch nur noch in den grossen Schilfbeständen am Schwyzer Ufer. Für die Flussseeschwalbe (Sterna hirundo), die aus der Region als Brutvogel verschwunden war, zeigt die Anlage von künstlichen Brutinseln und Brutplattformen erste Erfolge: die Art brütet wieder in einigen Kolonien, z.B. beim Seedamm. Drosselrohrsänger Der Grosse Brachvogel (Numenius arquata) brütet zwar im Ried, braucht aber seichte Wasserstellen als Ruheplatz. Das letzte Brutvorkommen in der Schweiz ist im Frauenwinkel belegt. Auch die letzten erloschenen Brutgebiete lagen um den oberen Zürichsee, in Nuolen und Schmerikon. Flussseeschwalbe Als ökologischer Ausgleich zum Holzsteg Rapperswil-Hurden wurde eine Kiesinsel geschüttet (2002). Seither brüten hier Flussseeschwalbe und Lachmöwe regelmässig und in steigender Zahl. Die Ufer im engeren Sinn sind als Lebensräume für Reptilien und Amphibien von untergeordneter Bedeutung. Reptilien und Amphibien: Nur in ruhigen Buchten und Lagunen kann man Grünfrösche (Seefrösche) quaken hören. Auch die Ringelnatter, die einzige heimische Schlange am See, trifft man nur selten in Ufernähe. Eine Spezialität: Am Seedamm fühlt sich die über die Bahnlinie eingeschleppte Würfelnatter offenbar wohl. 11 August 2006 Synthesebericht ‚Uferleben’ Libellen: An Flachufern mit Röhricht und Ried ist auch die grösste Vielfalt an Libellen zu finden. Nur wenige Arten kommen am ganzen Seeufer vor. Es sind jene, die sich sowohl an natürlich wie auch an verbauten Ufern fortpflanzen können. Fische: Nachdem der Fischbestand bis in die siebziger Jahre mengenmässig stark zugenommen hat, hat sich mit der Verbesserung der Wasserqualität die Fangmenge etwas verkleinert. Positiv ist die Verschiebung im Artenspektrum: So hat der Anteil der Felchen wieder markant zugenommen. Auch Fische wie die Laube (Alburnus alburnus), die zeitweise vom Aussterben bedroht war, können sich wieder natürlich vermehren und gelten heute nicht mehr als gefährdet. Die Naturverlaichung bleibt ein wichtiges Thema: Die anspruchsvollen Nutzfische werden immer noch in den Fischbrutanstalten grossgezogen. Viele heimische Jungfische brauchen mehr seichte, warme Uferzonen mit Schilf oder buchtige Kiesufer als Kinderstube. Laube oder Läugel Nicht unerwähnt bleibt, dass die Fische in erster Linie von einer Reduktion der Störungen im Flachwasser profitieren. Der Erlass einer Wasserschutzzone, wie kürzlich vor der Insel Ufnau erfolgreich umgesetzt, sichert den Fischen wichtige Rückzugsgebiete. Wenn Bootsplätze zusammengefasst und Bojenfelder aufgehoben werden, wird ihr Lebensraum wieder aufgewertet. Die meisten Tierarten werden in einem artenreichen Unterwasserpflanzenbestand gefunden. Dort ist meist auch der Untergrund feinkörnig und strukturiert. Übrige Unterwasserfauna: Vielfalt und Biomasse nehmen mit zunehmender Tiefe zwar ab, Schnecken wurden aber auch noch in 60 Meter tiefem Wasser gefunden. Auch Zuckmückenlarven, Schlammröhrenwürmer und Erbsenmuscheln (Pisidium sp.) besiedeln den Seeboden bis zur tiefsten Stelle, vorausgesetzt es ist genügend Sauerstoff vorhanden. Spezielle Arten: Die seltene Eintagsfliege (Caenis lactea) wurde bei Feldbach vor kurzem erstmals wieder gefunden. Die Eintagsfliege (Ephemera vulgata) kommt noch im Obersee bei Nuolen vor (Nachweis 1998). Sie lebt im Sediment eingegraben und bevorzugt sandige Uferabschnitte. In der Schweiz sind nur wenige Fundorte bekannt. Eintagsfliege Ephemera vulgata Die Bachmuschel (Unio crassus) ist in der Schweiz vom Aussterben bedroht. Sie lebt in sandig - kiesigem Substrat. Seit längerem ist nur noch ein Bestand im Obersee bekannt. Auch die Malermuschel (Unio pictorum) ist immer noch selten. Sie liebt kiesiges Substrat in der Nähe von Bachmündungen. Malermuschel 12 August 2006 Synthesebericht ‚Uferleben’ 4.3 Einwanderung fremder Arten Es werden immer wieder neue, bisher bei uns nicht heimische Tierarten im See festgestellt: - Bekannt sind die gravierenden Auswirkungen, etwa für die Wasserversorgung, durch die Invasion der Wandermuschel (Dreissena polymorpha) in den sechziger Jahren. - Im Februar 2006 ist eine neue Kleinkrebsart, der Höckerflohkrebs (Dikerogammus villosus), im Zürichsee festgestellt worden. Dieser Räuber kommt ursprünglich aus dem Donaugebiet und breitet sich stark aus. Nur am Obersee gibt es noch Uferstellen ohne Höckerflohkrebs. - Im Sommer 2005 ist eine neue Schneckenart, die gemeine Kahnschnecke (Theodoxus fluviatilis), im See bei Zürich gefunden worden. Sie ist in Europa weit verbreitet und dürfte aus Nachbarländern eingeschleppt worden sein. Weitere bekannte Zuwanderer: - Die Neuseeländische Zwergdeckelschnecke (Potamopyrgus antipodarum) wurde 1975 und die Sumpfdeckelschnecke (Viviparus ater, ursprünglich aus dem Lago Maggiore) 1882 ausgesetzt. - Der Galizierkrebs (Astacus leptodactylus, Ursprungsgebiet Südosteuropa) und der Strudelwurm (Dugesia tigrina), wurden in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eingeschleppt. Diese Tierarten haben sich im Zürichsee, oft nach anfänglichem Massenauftreten, in die Lebensgemeinschaft des Sees eingefügt. Es ist weiterhin mit Veränderungen im Artenspektrum zu rechnen. Die Folgen davon sind noch weitgehend unbekannt. Aus der Pflanzenwelt im Wasser ist die rasche Ausbreitung der Wasserpest (Elodea nutalli und E. canadensis) etwa in Häfen bekannt. Ufer zwischen Pfäffikon und Freienbach mit grossen Beständen von Knöterich am Ufer. Vorgelagert Schwimmblattpflanzen (Gelbe Teichrosen) Am Ufer problematisch sind der Staudenknöterich (Reynoutria japonica und R. sachalinensis) und die Goldrute (Solidago canadensis und S. gigantea), weil sie stark wuchernd die einheimischen Arten verdrängen und so oft die Ufer destabilisieren. Mit dem Phänomen der Einwanderung fremdländischer Arten sind die Fachstellen von Bund und Kantonen gefordert. Als erstes ist die Ursache für den Befall zu suchen. Bei den invasiven Tierarten gibt es keine Patentrezepte. Bei den Pflanzen kann regelmässiges Ausreissen und eine mehrmalige Mahd im Jahr die Bestände schwächen. Doch es sind an vielen Stellen wirksamere Gegenmassnahmen einzuleiten. Bis auf weiteres ist der Einsatz von Giftstoffen am Ufer und in Schutzgebieten aber verboten. (Weitere Angaben dazu unter http://www.cps-skew.ch). 13 August 2006 Synthesebericht ‚Uferleben’ 5 Besondere Verantwortung für den Artenschutz Der Zürichsee zeichnet sich in der östlichen Hälfte durch seine ausgedehnten Schilffelder aus, an welche Riedgebiete (meist Flachmoore von nationaler Bedeutung) in bemerkenswerter Dichte anschliessen. Für einige seltene und bedrohte Arten bietet er in der Nordostschweiz und darüber hinaus entscheidende Lebensräume an. Beispiele sind das oben genannte Gnadenkraut (Gratiola officinalis; nächste Fundorte am Bodensee und im Berner Seeland), der Grosse Brachvogel (Numenius arquata, letztes Brutvorkommen der Schweiz im Frauenwinkel), der Drosselrohrsänger (Acrocephalus arundinaceus, mit 16 Brutpaaren hat er hier das grösste Vorkommen im östlichen Mittelland (7 Prozent des Schweizer Bestandes) und der Haubentaucher (Podiceps cristatus), eine zwar nicht mehr seltene Art. Der Zürichsee bietet für mehr als 10 Prozent des Schweizer Bestandes das Brutgebiet. Haubentaucher Daraus leitet sich eine spezielle Verantwortung ab, die Lebensräume dieser Arten zu erhalten und zu fördern. 14 August 2006 Synthesebericht ‚Uferleben’ 6 Was bringt die Zukunft? ‚Die Stadt wächst um den See herum’ Abb. 5: Metropolitanregion Zürich. (Die Schweiz, ein städtebauliches Portrait, ETH Studio Basel, 2006). Neue Form der BesucherLenkung und Abschirmung am Pilgerweg im Frauenwinkel. 15 • Die Verdichtung der Baustruktur und neue Überbauungen schränken die offene Landschaft zunehmend ein. Die Stadt wächst um den See herum. Die unbebauten Grünzüge, als wichtige Vernetzungskorridore vom See zum Hinterland, werden immer schmaler. • Aus dem Zürichsee wird das Trinkwasser für eine Million Menschen gewonnen. Sauberes Wasser als Lebensmittel wird in Zukunft noch wichtiger. Generell gilt, das zwei Drittel der unerwünschten Nährstoffe aus der Siedlung kommt. Die rasche Bevölkerungsentwicklung am See bringt potentiell eine Zusatzbelastung. Es muss also weiterhin viel Geld in die Siedlungsentwässerung und die Abwasserreinigung investiert werden. • Rund ein Drittel der Nährstoffe kommt über die Bäche und Drainagegräben aus den Landwirtschaftsgebieten im Hinterland. Es ist noch offen, ob sich die ufernahen Wiesen und Äcker in Zukunft extensivieren lassen, oder ob sogar wieder intensiviert wird. • Höhere Bevölkerungszahlen, grössere Mobilität und neue Erholungsformen erhöhen den Erholungsdruck auf das Ufer. Ohne klare Entflechtung, ohne Schutzbestimmungen und deren Vollzug würden auch die letzten Reste Natur verloren gehen. Beispiele zeigen, dass durch konsequente Abschirmung und Besucherlenkung die Koexistenz von Mensch (in grosser Zahl) und Natur (auch seltene Arten) möglich ist (siehe Frauenwinkel). • Es zeigt sich da und dort, dass sich ein Teil der heranwachsenden Jugend zunehmend von der Natur entfremdet. Die Landschaft wird zum Konsumgut und existiert für viele nur noch als Kulisse für ‚Rambazamba’- Anlässe. August 2006 Synthesebericht ‚Uferleben’ 7 Aufwertungspotenzial 7.1 Ökologie Als Aufwertungspotenzial wird die Differenz zwischen dem Optimalzustand und der heutigen Situation bezeichnet. Der Optimalzustand ist nicht gleich dem Ur-Zustand, weil letzterer nirgends mehr zu erreichen ist. Ein optimaler Zustand richtet sich also nach den heutigen Randbedingungen. Ein hohes Aufwertungspotenzial bedeutet, dass die heutige Situation mit geeigneten Massnahmen stark verbessert werden kann. Das Potenzial ist gering, wenn der Zustand bereits naturnah ist und dessen Erhaltung im Vordergrund steht. Auch gering ist es, wenn das Ufer steil oder stark verbaut ist. Aufwand und Ertrag für echte Aufwertungen wären hier in einem Missverhältnis. Für den Kanton Zürich gibt das Projekt ‚Vision Zürichsee 2050’ detaillierte Auskunft zur Aufwertungseignung der einzelnen Uferabschnitte. Weil für die übrigen Kantone keine analogen Erhebungen vorliegen, sind die Aussagen des Kantons Zürich vergröbert und zusammen mit den vorhandenen Grundlagen der andern Kantone zu einer einheitlichen Bewertung vereinigt worden (siehe farbige Uferlinie im Syntheseplan). Ein grosser Teil des 67 km langen Ufers auf Züricher Kantonsgebiet ist aufgeschüttetes Land. Diese ‚konzessionierten Landanlagen‚ sind individuell mit Eigentumsbeschränkungen zugunsten des Kantons belastet. Bisher wurden diese Rechte für die Realisierung von Aufwertungen noch nicht ausgenutzt. Zum Thema Grundstückeigentum und Bauten auf aufgeschütteten Landanlagen rund um den Zürichsee sind verschiedene Gutachten erstellt worden. Der Regierungsrat hält an seiner Haltung fest: Aufgeschüttetes Land ist grundsätzlich Eigentum der Konzessionäre. Von einer nachträglichen Befristung von Landanlagekonzessionen sieht der Regierungsrat ab. Auch bei der Konzession für neuen Bauten auf Konzessionsland sieht die Baudirektion von einer nachträglichen Befristung ab. 7.2 Erholung Der Zürichsee hat eine zentrale Bedeutung als Naherholungsgebiet. Der moderne Mensch braucht den See als Ausgleich zum Alltag und Berufsleben: er sucht Entspannung und sportliche Betätigung. Allerdings erzeugen manche Boote und Sportgeräte so viel Betrieb, Lärm und Wellenschlag, dass der Erholungswert wieder geschmälert wird. 16 August 2006 Synthesebericht ‚Uferleben’ Zur Lebensqualität der Menschen in den Ufergemeinden gehört der Zugang zum Wasser. Naturnah gestaltete Ufer- und Strandzonen machen den See zum Erlebnis – in allen Jahreszeiten. Der öffentliche Zugang zum See im Kanton Zürich beschränkt sich aber meist auf Parkanlagen und Strandbäder. 59 Prozent der Ufer sind privat und nicht zugänglich. Das nachfolgende Diagramm aus ‚Zürichsee 2050’ zeigt auch, dass nur ein Drittel der Länge als genügend attraktiv für die Erholung am Ufer bewertet wird. Ein Anteil von 7.3 Prozent der Uferlänge ist durch einen Weg erschlossen. Gemäss ‚Vision Zürichsee 2050’ könnten 14 Prozent der Uferlänge für die Erholung besser genutzt werden, ohne vorhandene Naturwerte zu beeinträchtigen. Diese Flächen sind im öffentlichen Eigentum. top attraktiv sehr attraktiv attraktiv Abbildung 6: Erholungsbewertung des Ufers im Kanton Zürich. mässiv attraktiv Wegverbindung Ufer nicht zugänglich Die Aufwertung der Ufer zugunsten der Erholung erfordert auch eine ansprechende Gestaltung: es sind naturnahe Grünanlagen von hoher Qualität gefragt. Ohne gezielte Massnahmen werden neu gestaltete Ufer oft vom Erholungsbetrieb ‚überrollt’: die Strände sind oft mit Abfall und Hundekot verdreckt. Ohne regelmässige Kontrolle in den Spitzenzeiten geht es heute kaum mehr. Die ökologisch wertvollen Ufer müssen klar von den Abschnitten mit Schwerpunkt Erholung getrennt werden. Am schwierigsten ist dies z.B. in einem Delta: das Nebeneinander von Mensch und dynamischer Natur verlangt hier ein differenziertes Konzept. 17 August 2006 Synthesebericht ‚Uferleben’ 7.3 Ufertypen Im Syntheseplan sind einheitliche Uferabschnitte markiert und bewertet. Zusätzlich werden konkrete Beispiele für Aufwertungen aufgezeigt. Damit ist die Basis für Aufwertungsprojekte gelegt. Vorbemerkung: Die lokalen Bedingungen müssen aber überprüft werden, denn Strömungsverhältnisse, Bodenbeschaffenheit und Erholungsdruck können kleinräumig stark variieren. Bei seeseitigen Schüttungen ist die geologische Seekarte zu beachten (> AWEL Kt. ZH) Die Seeufer lassen sich bezüglich Ufergestalt, Bewuchs und Aufwertungspotenzial in vier Haupttypen einteilen: ----------------------------------------------------------------------------------------------------------------Natürliche bis naturnahe Ufer mit meist flachem Hinterland, das an vielen Stellen mit Riedvegetation bedeckt ist. Ufertyp 1 Die Flachwasserzone ist breit und bewachsen. Der Röhrichtgürtel ist seeseitig ausgedehnt. Der Naturwert ist hoch bis sehr hoch, das zusätzliche Aufwertungspotenzial deswegen oft gering. Auch Naturbelassene Steilufer mit Felsrippen und Uferwald gehören dazu. Neben einem wirksamen Schutz und allfälliger Besucherlenkung sollen Massnahmen gegen die häufige Erosion geprüft werden. -----------------------------------------------------------------------------------------------------------------Naturnahe Ufer mit Hinterland, das oft ein gutes Aufwertungspotenzial hat; mit breitem Röhrichtgürtel, aber meist mit kleineren baulichen Eingriffen, oft auch Erholungsbetrieb. Ufertyp 2 Der Naturwert ist mittel bis sehr hoch, das Aufwertungspotenzial mittel bis hoch. Massnahmen: wie 1, hier sind die besten Chancen für Uferregeneration vorhanden. -----------------------------------------------------------------------------------------------------------------Ufer mit massiven baulichen Eingriffen, seeseitig flach, mit oder ohne Schilfbestände. Ufertyp 3 Der Naturwert ist gering bis ziemlich hoch, das Aufwertungspotenzial mittel, meist aber nur seeseitig. Kleinräumige Verbesserungen für Ökologie, aber insbesondere für die Erholung sind zu prüfen. ------------------------------------------------------------------------------------------------------------------Künstliches, steiles Ufer vor Siedlungsgebiet, meist ohne Röhricht. Ufertyp 4 Der Naturwert und das Aufwertungspotenzial sind normalerweise gering. Kleinräumige Verbesserungen sind auch hier zu prüfen. Vielleicht ist aber eine Investition in Hotspots lohnenswerter. 18 August 2006 Synthesebericht ‚Uferleben’ Es muss aber betont werden, dass prinzipiell an jedem ehemaligen Flachufer eine Renaturierung möglich ist, wenn mit dem Abtrag der Auffüllungen das natürliche Uferprofil wiederhergestellt werden kann. 7.4 Hotspots Die Uferabschnitte mit grossflächigen und vielfältigen Naturwerten werden als Hotspots bezeichnet. Bei einigen sind bereits Aufwertungsprojekte im Gange oder in Vorbereitung. In fast allen Gebieten sind die Randeinflusse aus der Erholung und der Landwirtschaft das wichtigste Thema. Folgende Gebiete werden als Hotspots bezeichnet: 1) Halbinsel Au Im Gebiet verbinden sich Flachmoore, grosse Schilfgebiete, Flachwasserzonen und ein Steiluferabschnitt zu einem vielfältigen Komplex. Es ist das ornithologisch reichste Gebiet am Zürcher Ufer. Die Besucherlenkung kann noch optimiert werden. Im Auriet ist das Aufwertungspotenzial besonders gross. Das Gebiet enthält grosse gut erhaltene Flachmoore, ausgedehnte Röhrichtbestände und die grössten Flachwasserzonen am Zürichsee. Ornithologisch ist es mit der letzten Brut des Brachvogels in der Schweiz von herausragender Bedeutung. 2) Frauenwinkel – Ufnau Diverse Aufwertungs- und Renaturierungsprojekte sind in Planung oder bereits ausgeführt (Trägerschaft: Kanton SZ, Gemeinde Freienbach, Stiftung Frauenwinkel, Kloster Einsiedeln und Verein Ufnau). Die Entflechtung und Extensivierung der Landwirtschaft ist vorrangig. Für den Vollzug wird der Einsatz von Aufsichtspersonen (Ranger) vorbereitet. Die Bucht zeichnet sich durch eine ausgedehnte Flachwasserzone mit Seebinsenbeständen aus. Auf der Zürcher Seite grenzen Flachmoore (einziger Fundort des Gnadenkrautes) an. Der Erholungsdruck landseits ist bisher klein. Auf der St. Galler Seite konnten grosse Siedlungsprojekte verhindert werden. Die Bucht ist wohl auch in Zukunft immer noch der Bauspekulation ausgesetzt. 3) Feldbach - Gubel Die Tendenz zu Verlandung des Uferbereichs ist gross. Die seeseitige Zufahrt zu den vereinzelten Bootsplätzen am Ufer ist langfristig in Frage gestellt. Ein kantonsübergreifendes Aufwertungskonzept ist nötig. Dieser Uferabschnitt umfasst weite Flachwasserzonen und Röhrichtflächen. Landwärts schliessen schmale Flachmoore und Gehölzgruppen an. Der Strandweg eignet sich gut für Naturbeobachtungen. 4) Lido - Busskirch (westlicher Deltafächer der Jona) Ein Pflegeplan ist in Bearbeitung. Die Uferpflege muss intensiviert werden, weil grosse Abschnitte des Röhrichts Auflösungserscheinungen zeigen. Die Mündung der Wägitaler Aa besteht aus einem Mosaik aus aktiven Deltaflächen, Verlandungsbereichen mit Schilf, Auenwald und kleinflächigen Riedflächen. Der Bestand an typischen Schilf- und Ufervögeln ist in den letzten Jahren stark zurückgegangen. Die Be- 5) Mündung Wägitaler Aa 19 August 2006 Synthesebericht ‚Uferleben’ anspruchung durch die Erholung und somit auch die Störung der Kerngebiete ist gross. Das Aufwertungspotenzial ist insbesondere in Bezug auf die Dynamik des Deltas und des Auenwaldes hoch. Das Erarbeiten eines Schutz- und Nutzungskonzeptes ist dringend. Die Kiesbaggerung hat im östlichen Deltafächer der Jona eine Bucht mit vorgelagerten Inseln hinterlassen. Die intensive Erholung hat das Delta besetzt. Im Zusammenhang mit dem Hafenbau sind ökologische Ausgleichsmassnahmen umgesetzt worden. Eine neue Schilfinsel ist am Entstehen. Die wertvollen Bereiche sind als Wasserschutzzone markiert. 6) Stampf – Wurmsbach (östlicher Deltafächer) Im dynamischen Delta der Jona ist das Aufwertungspotenzial gross. Derzeit werden keine Kiesbaggerungen mehr vorgenommen. Ein eigentliches Entwicklungskonzept fehlt aber. Die Immissionen aus dem Erholungsbetrieb müssen in Grenzen gehalten werden. In der östlichen Stampf-Bucht weisen die Ufer ein grosses Aufwertungspotenzial auf. Das Nuoler Riet ist ein reichhaltiges Flachmoor mit vorgelagertem, schmalem Schilfsaum und Flachwasserzone. Die Vogelwelt ist in allen Teilen reich. Im Röhricht nistet das momentan einzige Brutpaar der Zwergdommel. 7) Nuoler Riet (östliches Delta der Aa) Das Gebiet hat ein sehr grosses Aufwertungspotenzial, insbesondere bei grosszügigem Einbezug der angrenzenden Wiesen- und Ackerflächen und dem Flugplatz. Der Erholungsdruck ist gross und unmittelbar am Ufer bisher wenig gelenkt. Das Erarbeiten eines Schutz- und Nutzungskonzeptes ist dringend. 8) Linthmündung (von der Aabachmündung bis zur Bätzimatt) Das Gebiet beidseits der Mündung der Linth mit Nebenkanälen und des Aabaches ist ein wertvoller Uferabschnitt mit grossen Flachmoorgebieten, ausgedehnten Röhrichtbeständen, einem kleinen aktiven Deltabereich und einer vorgelagerten Flachwasserzone. Auf Schwyzer Seite sind in der Bätzimatt in der Mitte des letzten Jahrhunderts grosse Bereiche ausgebaggert worden. Mit insgesamt 14 auf Feuchtgebiete und Ufer spezialisierten Arten ist das Gebiet ornithologisch immer noch reich. Einige Renaturierungsprojekte im Schilf- und Deltabereich sind bereits ausgeführt worden oder noch im Gang (Deltaentwicklung, Schilfförderung mit Schutzzaun, extensive Weide). Die wertvollen Bereiche sind als Wasserschutzzone markiert. Im Mündungsbereich der Linth und in der Bätzimatt ist nach wie vor ein grosses Aufwertungspotenzial für die Ökologie vorhanden. 20 August 2006 Synthesebericht ‚Uferleben’ 8 Handlungsprioritäten 8.1 Zusammenarbeit fördern In Bezug auf die Nutzung des Sees und der Ufer sind vermehrt einheitliche Standards anzuwenden. Themen einer intensiveren Zusammenarbeit zwischen den Kantonen sollten sein: • • eine Überarbeitung der Seeregulierung die Konzentration, Entflechtung und Aufwertung der Erholungsnutzung • einheitliche Nutzungsgebühren und Konzessionen für Bootsplätze und Steganlagen • einheitlicher Erlass und teilweise Aktualisierung von Schutzverordnungen, mit vorgelagerter Wasserschutzzone und landseitigem Pufferbereich • Vollzug der Schutzbestimmungen (gemeinsamer Einsatz von Aufsichtspersonal für die grossen Schutzgebiete) • Pflege und Unterhalt der Ufer und der Schutzgebiete am See Der ZSL soll die Zusammenarbeit der Kantone aktiv fördern. 8.2 Seespiegelschwankungen erhöhen Für die meisten typischen Pflanzen- und Tierarten wirken sich grosse Unterschiede zwischen Hoch- und Niedrigwasser positiv aus oder sind gar entscheidend für ihr Gedeihen. Das Reglement, das die Lenkung des Seespiegels im Jahresverlauf bestimmt, sollte revidiert werden. Dabei sollten die mittleren Schwankungen etwa das Doppelte der heute im Normaljahr üblichen betragen. Die untenstehende Abbildung kann eine erste Diskussionsgrundlage sein. Abbildung 7: Vergleich des Mittels der Seespiegelschwankungen des Zürichsees (rot) mit dem des nicht regulierten Bodensees (blau). Die roten Pfeile zeigen die gewünschten Verschiebungen. Schwarz eingetragen sind Extremjahre am Bodensee und die Höhe der Schilfhalme während ihrer Entwicklung. Der ZSL soll die Diskussion über ein neues Regulierwerk für den Seespiegel in Gang bringen. 21 August 2006 Synthesebericht ‚Uferleben’ 8.3 Veränderungen am Seeufer untersuchen Das Seeufer wird sich auch in Zukunft verändern. Schleichende Prozesse werden – wenn überhaupt – oft zu spät festgestellt (z.B. Einfluss des Durchstichkanales auf die Ufer im Frauenwinkel). Die Strömungsverhältnisse, deren Änderungen durch die baulichen Eingriffe am See, sowie deren Auswirkungen auf das Uferprofil und die Ufervegetation sind generell noch zu wenig bekannt. Eine Untersuchung der Strömungsverteilung über mehrere Jahre wäre von grosser Bedeutung. Die dynamischen Veränderungen, z. B. die Erosions- und Ablagerungsprozesse im Bereich der Deltas, sollen besser erfasst werden. Der ZSL soll die Untersuchung über die Veränderungen am Seeufer, insbesondere über die Strömung, fördern. Im Sinne der Erfolgskontrolle sollen die Aufnahme der Transekte (Modul 6) in 10 Jahren wiederholt werden. So lässt sich die Entwicklung der Ufer und der Erfolg der getroffenen Massnahmen schlüssig nachvollziehen. 8.4 Wasserqualität verbessern Der See liefert Trinkwasser von höchster Qualität. Sauberes Wasser als Nahrungsmittel wird immer wichtiger. In dicht überbautem Gebiet ist das Risiko von Unfällen aber gross. Giftstoffe dürfen nicht in den See gelangen. Vorhandene Altlasten (z.B. alte Munition) sind Hypotheken für unsere Nachkommen. Da der Eintrag von Nährstoffen aus den intensiv genutzten Landwirtschaftsflächen (z.B. aus dem Linthgebiet) immer noch zu hoch ist, ist die weitere Reduktion der Nährstoffauswaschung zu unterstützen. Der ZSL begrüsst die Bestrebungen für einen sauberen und nährstoffarmen See. 8.5 Ufervegetation fördern Ausholzen der Uferlinie Das Röhricht erträgt keine Beschattung. Im Übergang zum Wasser in naturnahen Abschnitten hat sich oft ein Strandwall gebildet, auf dem Gehölz hochwächst. Dieser Streifen ist regelmässig auszuholzen, damit das Röhricht und das Ried nicht beschattet werden. Allenfalls kann der Strandwall auch periodisch abgetragen werden. Treibholz Nach einem Hochwasser sollten die Uferabschnitte mit schmalem Röhricht von Geschwemmsel und grobem Treibholz gesäubert werden, damit keine Breschen zwischen Röhricht und Ufer entstehen. Schutzzäune Alte Schutzzäune müssen in der Regel nicht ersetzt werden, weil das Wasser sauberer ist und keine Schwaden mit Wasserpflanzen mehr ans Ufer treiben. Es gibt aber spezielle Situationen, in denen die Erhaltung oder die Errichtung eines Schutzzaunes weiterhin zu prüfen ist, z.B. als Abschirmung in der Nähe von Feuerstellen, Strandbädern oder Bootshäfen. 22 August 2006 Synthesebericht ‚Uferleben’ Invasive Arten Neu gestaltete Uferabschnitte müssen gezielt auf die aggressiven eingewanderten Arten abgesucht werden. Jungpflanzen sind regelmässig auszureissen. Bereits etablierte Bestände sind einzudämmen Dabei liegt die Verantwortung aber klar bei den Kantonen (Pflegeanleitung z.B. unter www.naturschutz.zh.ch). Der ZSL soll aktiv mithelfen, die Bedingungen für das Röhricht zu verbessern. Dabei soll die Priorität bei den Hotspot-Gebieten liegen. Das Schilf soll im allgemeinen wieder so vital werden, dass es das Ufer wirksam vor Erosion schützen und weiter in den See vordringen kann. Dazu ist ein fachgerechter Unterhalt nötig. 8.6 Spezielle Arten fördern Es stellt sich die Frage, wie bedrohte und für das Zürichseeufer spezielle Arten gefördert werden können. Die Bearbeitung dieser Frage mit den so genannten Ziel- und Leitarten ist noch nicht abgeschlossen, sondern wird Gegenstand nachfolgender Programme. Stellvertretend sind im Syntheseplan folgende Arten abgebildet: - Kolbenente (Netta rufina) > brütet nur an dichtbewachsenem Ufer - Drosselrohrsänger (Acrocephalus arundinaceus) > benötigt grosse, störungsfreie Schilfflächen - Malermuschel (Unio pictorum)> besiedelt Kiesufer - Laube (Alburnus alburnus) > bewohnt seichtes Wasser und laicht an Kiesufern - Gnadenkraut (Gratiola officinalis) > seltene Pflanze auf moorigen, kahlen Ried- und Uferstellen - Teichrose (Nuphar lutea) > Schwimmblattpflanze im feinkörnigen Flachwasser - Glänzende Smaragdlibelle (Somatochora metallica) > tanzt entlang naturnahem Ufer Kolbenente Speziell aus der Vogelwelt sind zusätzlich zu nennen: - Zwergtaucher (Tachybaptus ruficollis) - Zwergdommel (Ixobrychus minutus) - Rohrschwirl (Locustella savii) - Grosser Brachvogel (Numenius arquata) - Kiebitz (Vanellus vanellus) - Wasserralle (Rallus aquaticus) - Rohrammer (Emberiza schoeniclus) Für eigentliche Förderprogramme sind die Fachstellen der Kantone zuständig. Auch die Umweltverbände engagieren sich stark in dieser Frage. All die genannten Arten profitieren von einer Aufwertung der Lebensräume gemäss den Angaben zu den Ufertypen und Hotspots. Der ZSL soll die Artenförderung also indirekt unterstützen. 23 August 2006 Synthesebericht ‚Uferleben’ 8.7 Information und Bildung fördern Der ZSL soll das vorhandene Wissen besser publik machen, mit dem Ziel, das Verhalten der Bevölkerung und vor allem der Jugend dem Seeufer gegenüber positiv zu beeinflussen. Ein erster Schritt ist das vorliegende Programm. Die Hochschule Wädenswil wird mit möglichst vielen Akteuren am See ein Netzwerk aufbauen. Als Kompetenzzentrum will sie unabhängige Ansprechstelle für alle Anliegen und Fragen zum Thema Zürichsee sein. Zudem werden Aktionen und Programme zur Vertiefung und Ergänzung des vorliegenden Programms, insbesondere zu offenen Punkten wie das Monitoring entwickelt. 24 August 2006 Synthesebericht ‚Uferleben’ 9 Zusammenfassung Das romantische Bild des Zürichsees, wie es Professor Schröter im Jahrbuch 1932 beschrieben hat, ist heute an ruhigen Tagen immer noch erlebbar. Der Mensch hat das Ufer seit jeher stark geprägt. Seit jener Zeit hat sich die Bevölkerung am See vervielfacht und die Mobilität ist sprunghaft gestiegen. Es erstaunt nicht, dass der Rummel auf dem See im Hochsommer so gross wird, dass viele Anwohner den See in dieser Zeit meiden. Der Zustand des Ufers hat sich seit dieser Zeit stark verändert. Aber erst der offensichtliche und starke Rückgang der verbliebenen Schilfflächen liess die Sorge um die Erhaltung einer intakten Landschaft am See wachsen. Viel Wissen ist vorhanden, aber nur bruchstückhaft zugänglich. Über diese Entwicklung und die Hintergründe ist einiges an Wissen vorhanden: doch es ist nur bruchstückhaft erhoben und schwer verfügbar. Der Verband ‚Zürichsee Landschaftsschutz ZSL’ hat deshalb mit dem Projekt ‚Uferleben – Leben am Ufer’ die Initiative ergriffen und ein umfassendes Programm aufgestellt. Der vorliegende Bericht ist die Zusammenfassung der daraus gewonnenen Erkenntnisse. Die einzelnen Teilberichte sind unter www.zuerichsee-landschaft.ch abrufbar. Das Projekt zeigt für alle Uferabschnitte auf, wie der heutige Zustand zu bewerten ist, wie hoch das Aufwertungspotenzial ist und mit welchen Massnahmen beispielhaft eine positive Entwicklung eingeleitet werden kann. Der Schwerpunkt der Aussagen liegt bei der Ökologie. Aber auch zur Erholung und deren Aufwertung werden Aussagen gemacht. Denn der moderne Mensch braucht den See immer mehr auch als Ausgleich zum Berufsalltag. Seeufer sind dynamisch und unterliegen einer steten Veränderung. Der Mensch hat seit 6000 Jahren das Bild der Ufer massgeblich bestimmt. Seit der Zeit von Schröter verläuft die Entwicklung aber sprunghaft. Sie kann wie folgt zusammengefasst werden: • Die Seespiegelschwankungen sind heute bis fünfmal kleiner. • Die Flachwasserzone ist an vielen Stellen zwei- bis zehnmal weniger breit. • Das Siedlungsgebiet umfasst mehr als drei Viertel des Uferanstosses. • Viele ehemals typische Pflanzen- und Tierarten sind verschwunden oder selten geworden. Neue Arten wandern ein und breiten sich rasch aus. Die Bootsdichte auf dem Zürichsee ist im Schweizerischen Vergleich mit Abstand die grösste. • Das Röhricht bildete ehemals einen nahezu durchgehenden, Pflanzenbestand im Übergang zwischen Wasser und Land. Schilf herrschte vor, aber auch Seebinsen und Rohrkolben kamen grossflächig vor. 25 August 2006 Synthesebericht ‚Uferleben’ Warum sind die Röhrichtbestände so wichtig? Röhricht bringt Mehrfachnutzen für See und Ufer Das Schilf am Zürichsee konnte in den letzten zwei Jahrzehnten flächenmässig wieder leicht zulegen. - Sie dämpfen mit ihren Halmen den Wellenschlag - eine minimale Breite von etwa 10 m vorausgesetzt - und schützen mit ihrem Wurzelwerk den feinkörnigen Seeboden vor Erosion. - Sie binden Pflanzenreste und andere Sinkstoffe mechanisch und chemisch und tragen dadurch zur Reinigung des Wassers bei. - Sie bilden den Lebensraum für zahlreiche spezialisierte wirbellose Tiere, die auf oder in den Halmen leben. Sie bieten Lebensraum mit Nistmöglichkeiten für spezialisierte Vögel und Ruheund Nahrungsraum für Wasservögel. - Sie sind Laichgebiet vieler Fischarten und Hauptlebensraum der Jungfische. - Sie bergen für den Menschen einen hohen sinnlichen und ästhetischen Wert. Ein grosser Röhrichtbestand strahlt durch seine Monotonie Ruhe und Beständigkeit aus. Positiv ist deshalb, dass die meisten Schilfbestände am Zürichsee in den letzten zwei Jahrzehnten flächenmässig leicht zulegen konnten. Die negativen Entwicklungen bei einer Minderheit der Bestände sind auf lokale Einflüsse zurückzuführen. Auch die Wasserpflanzen und Teichrosen haben an vielen Stellen zugenommen. Es kann von einer Stabilisierung und gar einer leichten Erholung auf tiefem Niveau gesprochen werden: Aber nur 14 Prozent der Uferlänge verfügen über einen wirksamen, mehr als 10m breiten Schilfgürtel. Auf Zürcher Boden sind es gar nur 6 Prozent. 90 Prozent der Ufer haben hier gar kein Röhricht. Ein flaches Ufer womöglich in Kombination mit Röhricht ist generell zu fördern, weil: - die Anreicherung von Sauerstoff im feinkörnigen Flachwasser eine hohe biologische Aktivität ermöglicht. Das Flachufer wird daher als ‚Lunge’ des Sees bezeichnet. - Am regulierten See ist das Gehölz näher am Ufer und beschattet das Röhricht. die Umwandlung der Wellenenergie auf einem breiten Abschnitt und nicht lokal konzentriert geschieht. Somit wird die Kraft pro Fläche reduziert. Die Erosionskraft ist geringer, ebenso die Wellenreflexion. Die Röhrichtpflanzen brauchen viel Licht. Schmale Röhrichtstreifen leiden oft unter der Beschattung. Am regulierten See bildet sich immer an derselben Stelle ein Strandwall mit viel Geschwemmsel, auf dem mit der Zeit Gehölz hochwachsen kann. Hier müssen die Pflege und der periodische Unterhalt verstärkt werden. Es sei denn, das rigide Reglement der Seestände kann geändert werden und der See würde wie früher mit häufig tiefen und hohen Wasserständen den naturgemässen Pflanzenbestand am Ufer selber regulieren. Das Pflanzen von isolierten Schilfhalmen am See ist selten erfolgreich. Wenn die Standortbedingungen ein Aufkommen erlauben, dann ist die natürliche Selbstbesiedlung wahrscheinlich. 26 August 2006 Synthesebericht ‚Uferleben’ Gefragt sind also Regenerationsprojekte, welche die Standortbedingungen verbessern und den Start für eine positive Entwicklung vorgeben. In den Angaben zu den vier Ufertypen sind die Möglichkeiten dazu aufskizziert und mit Beispielen dokumentiert. Was bringt die Zukunft? Die Architekten und Städteplaner der ETH prognostizieren die ,Metropolitanregion Zürich’, den städtischen Ballungsraum von der Limmat bis über den Seedamm. Die Bedeutung des Zürichsees für die Naherholung nimmt weiter zu. Die Menschen brauchen den See als Ausgleich zum Alltag und zum Berufsleben, zur Entspannung und zur sportlichen Betätigung. Das Seeufer ist und bleibt das wichtigste Erholungsgebiet der Region. Zur Lebensqualität der Menschen in den Ufergemeinden gehört ein einfacher Zugang zum Wasser. Öffentliche Ufer- und Strandzonen machen den See zum Erlebnis – zu allen Jahreszeiten. Die Aufwertung von Uferabschnitten zugunsten der Erholung erfordert eine ansprechende Gestaltung: es sind naturnahe Grünanlagen von hoher Qualität gefragt, wo die Ansprüche der Ökologie und der Erholung in Einklang gebracht werden. Ohne Schutzbestimmungen und regelmässigem Unterhalt würden die letzten Reste Natur verloren gehen. Leider werden neu gestaltete Ufer oft vom Erholungsbetrieb ‚überrollt’. Die neuen Strände sind mit Abfall und Hundekot verdreckt. Dann sind die Gemeinden gefordert: eine dichtes Netz an Infrastruktur für die Abfallentsorgung und ein regelmässiger Unterhalt sind nötig. Zusammenfassend können folgende Handlungsprioritäten für den ZSL abgeleitet werden: - Die Zusammenarbeit der Kantone aktiv unterstützen. - Die Diskussion über ein neues Regulierwerk in Gang setzen. - Die Untersuchung der Veränderungen am Seeufer fördern, insbesondere die Einflüsse der Strömung und der sich rasch ausbreitenden fremdländischen Arten. - Alle Bestrebungen für einen sauberen und nährstoffarmen See unterstützen. - Die Bedingungen für das Röhricht so verbessern, dass es das Ufer wirksam stabilisieren kann. - Das vorhandene Wissen in geeigneter Form publik machen. - In Zusammenarbeit mit der Hochschule Wädenswil ein Kompetenzzentrum für das Seeufer einrichten und ein Netzwerk des Wissens aufbauen. Rapperswil/ Zürich, Ende August 2006 Thomas Oesch, Jacques Burnand, Andreas Rotach 27 August 2006 Synthesebericht ‚Uferleben’ Dank Allen nachfolgenden Donatoren und Geldgebern sei herzlich gedankt: - den Kantonen Zürich, St. Gallen und Schwyz, auch für die fachliche Unterstützung - den Gemeinden Küsnacht, Männedorf, Meilen, Stäfa - Grün Stadt Zürich - Verkehrsverein Höfe am Etzel - Regionalrat Zentralschweiz-Zürich COOP Schweiz - KIBAG Management und Logistik Ein herzlicher Dank geht an die Mitverfasser, Informanten und mit Korrekturen betrauten Fachpersonen: - die Modulverantwortlichen Dr. Martin Weggler, Dr. Verena Lubini und Claude Meier - Dr. Andreas Keel, Eugen Temperli (Fachstelle Naturschutz des Kantons Zürich) - Dr. Andreas Huber, Greifensee (Thema Wind und Wellen) - Esther Leuzinger und Barbara Handke (Leuzinger & Benz AG, Rapperswil) Dank auch an all jene, die Bilder für Bericht und Broschüre zur Verfügung gestellt haben: - Christa Glauser (SVS) Zürich, Kurt Anderegg, Dr. Heini Vicentini, Elvira Angstmann und Hansruedi Wildermuth. Und nicht zuletzt an die Initianten und Projektverantwortlichen: - Vorstand des ZSL, mit dem projektbegleitenden Ausschuss (Dr. U. E. Gut, Peter Stünzi, Daniel Winter) - Thomas Weibel (Vertreter der Hochschule Wädenswil HSW) Verfasser: Oesch Thomas, Dipl. Kulturing. ETH, OePlan, Rapperswil/Balgach Burnand Jacques, Dr. Natw. ETH/SVU, Zürich Rotach Andreas, Dipl. Umweltnatw. ETH, OePlan, Balgach 28 August 2006 Synthesebericht ‚Uferleben’ Anhang: a) Erläuterungen zum Syntheseplan Ausdehnung des Röhrichts Die dargestellte, aktuelle Ausdehnung des Röhrichts senkrecht zum Ufer (Breite in den See hinaus) ist ein Mass für dessen ökologischer Bedeutung. Es sind vier Klassen angegeben: • Ufer ohne Röhricht (rot) • Röhrichtbreite 1 bis 10 Meter (feiner grüner Strich) • 11 bis 20 Meter (mittlerer grüner Strich) • über 20 Meter (breiter grüner Strich). Naturkundliche Bewertung pro Uferabschnitt Die Bewertung der naturkundlichen Bedeutung ist für jeden Uferabschnitt mit einem dreiteiligen Kästchen angegeben. Im Kästchen A ist die Nummer der Abschnitte nach LACHAVANNE (1995a, 1995b) angegeben. Teilkästchen B enthält die Anzahl Brutpaare der VogelIndikatorarten gemäss den Untersuchungen von ORNIPLAN (2004, 2005) und C die Bewertung anhand der Wasserpflanzen nach LACHAVANNE (1995a). Die Einfärbung geschieht in beiden Teilkästchen in vier Stufen, von rot (geringer Wert) über orange und gelb (mittlerer und hoher Wert) bis grün (sehr hoher Wert). Ufertypen Die vier Ufertypen sind im Abschnitt 5.3 beschrieben und in der Karte mit Farbstreifen in der Seefläche angegeben. Hotspots Diese besonders wertvollen Uferabschnitte sind schwarz umkreist. Geologische Angaben Die Schuttfächer, welche die Bäche und Flüsse seit der letzten Eiszeit gegen den See vorgeschoben haben, sind bezeichnet (nach SCHINDLER 1976 und HANDTKE et al. 1967). Sie zeigen an, wo mit kiesig-sandigen Ablagerungen am Ufer zu rechnen ist. Oft neigen diese Abschnitte heute zu Erosion. Ebenso sind die derzeit noch aktiven und dynamischen Deltas mit Geschiebe eingetragen. Sie haben eine grosse Bedeutung für die benachbarten Uferabschnitte. Richt- und Nutzungsplanung 29 Die Bauzonen entsprechen der Nutzungsplanung der anliegenden Kantone. Die Daten zur Waldfläche, zu den Naturschutzgebieten und Wasserschutzzonen sind von den zuständigen Amtsstellen der Kantone zur Verfügung gestellt, welche ihrerseits auf Daten des Bundes zurückgreifen. August 2006 Synthesebericht ‚Uferleben’ b) Quellenangaben BOLLIGER P., BURNAND, J., 1997: Flachmoore der Linthebene: Vegetation, Ökologie, Geschichte, Schutz und Pflege. Ber. St.Gall. Naturwiss. Ges. 88: 163-239; Tab., Karten. BURNAND J., 1980: Die Entwicklung des Röhrichts am Zürcher Ufer des Zürichsees. In: Jahresbericht 1979, 53: 53-69: Verband zum Schutze des Landschaftsbildes am Zürichsee (Hrsg.). 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