Grenzgänge zwischen Pädagogik und

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Berliner Debatte
Initial
1
24. Jg. 2013
Bildung und
Biologie
ADHS aus Sicht
Becker
von Experten und Eltern
Salaschek
Bildgebende
Hirnforschung
„Gold“ in Leben und Werk
Busch
Richard Wagners
Flige u.a.
Leben mit dem
Stalinschen Terror
Wohlfahrt
elektronische Sonderausgabe
ISBN 978-3-941880-56-6
© www.berlinerdebatte.de
ohne Wachstum
Koch
Berliner Debatte Initial 24 (2013) 1
Sozial- und geisteswissenschaftliches Journal
© Berliner Debatte Initial e.V., Vorsitzender Erhard
Crome, Ehrenpräsident Peter Ruben.
Berliner Debatte Initial erscheint viermal jährlich.
Redaktionsrat: Harald Bluhm, Wladislaw Hedeler,
Cathleen Kantner, Rainer Land, Udo Tietz, Andreas
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Redaktion: Ulrich Busch, Erhard Crome, WolfDietrich Junghanns, Raj Kollmorgen, Thomas Müller,
Dag Tanneberg, Matthias Weinhold.
Redaktionelle Mitarbeit: Jonas Frister, Robert Stock,
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Verantwortlicher Redakteur: Jan Wielgohs, in
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Berliner Debatte Initial 24 (2013) 1
1
Bildung und Biologie
Zusammengestellt von Jonas Frister und Thomas Müller
Editorial3
Ulrich Busch
„Das Gold ist schuld!“
Zur Rolle des Geldes im Leben
und im Werk Richard Wagners
Nebenschwerpunkt:
Leben mit dem Stalinschen Terror
Zusammengestellt von Wladislaw Hedeler
6
Schwerpunkt:
Bildung und Biologie.
Die pädagogische Präsenz
biowissenschaft­lichen Wissens
Irina Anatoljewna Flige
Denkmale für die Opfer
des Sowjetterrors.
Eine Bestandsaufnahme
80
Alexander Dawydowitsch Margolis
Orte der Erinnerung an den Terror
in Sankt Petersburg und
im Leningrader Gebiet
88
Anatolij Rasumow
Zur Geschichte des
Gedenkfriedhofes Lewaschowo
93
Thomas Müller
Erziehung auf
biowissenschaftlicher Grundlage?
Aktuelle Tendenzen der Naturalisierung im pädagogischen Feld
24
Nicole Becker
Grenzgänge zwischen Pädagogik
und Psychiatrie: ADHS aus Sicht
von Experten und Eltern
Lew Gudkow
Spiele mit Stalin: Über das
Legitimationsdefizit des Putin-Regimes 99
35
Jonas Frister Die Hirnforschung
aus der Sicht von Praktikern
51
***
Max Koch
Wohlfahrt ohne Wachstum. Theoretische Debatte und
sozialpolitische Implikationen 109
Mario Neukirch
Offshore-Windkraft als
Plan B der Energiekonzerne? 125
Oliver Neun
Die Geburt des amerikanischen
„Neokonservatismus“.
Daniel Bell, Michael Harrington
und die Zeitschrift „Dissent“
137
Ulrich Salaschek
Bildgebende Hirnforschung
zwischen Hype und Kritik.
20 Jahre funktionelle
Magnetresonanztomographie64
2
Besprechungen und Rezensionen
Michael Nedo (Hg.):
Ludwig Wittgenstein. Ein biographisches Album
Rezensiert von Mariele Nientied148
Wolfgang Uwe Eckart: Medizin in der NS-Diktatur. Ideologie, Praxis, Folgen
Rezensiert von Regina Casper151
Berliner Debatte Initial 24 (2013) 1
Wladislaw Hedeler
Zwei unangepasste Intellektuelle: Karl Radek und Chaim Zhitlowsky
154
Gunther Teubner: Verfassungsfragmente.
Gesellschaftlicher Konstitutionalismus
in der Globalisierung
Rezensiert von Oliver Römer157
Autoren162
Berliner Debatte Initial 24 (2013) 1
3
Editorial
Was bedeutet es, dass Neurobiologen in
Fern­sehtalkshows als Experten für Bildung
und Erziehung auftreten? Was bedeutet es,
dass Kritiker der Institution Schule auf die
Hirnentwicklung von Heranwachsenden verweisen, wenn sie für Veränderungen werben?
Was bedeutet es, dass immer mehr Kinder
und Jugendliche die Diagnose erhalten, an
einer biologisch bedingten Aufmerksamkeits-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) zu
leiden, die medikamentös zu behandeln ist?
Was bedeutet es, dass Bildungsreformer
Methoden und Erkenntnismuster aus den
Biowissenschaften und der Medizin als
neuen Maßstab pädagogischer Forschung
empfehlen?
Die angesprochenen Phänomene sind
zu­nächst einmal zeitdiagnostisch interessant.
Sie legen den Schluss nahe, dass biowissenschaftliches Wissen im pädagogischen Feld
an Präsenz gewinnt. Das Spektrum reicht
dabei von massenmedialen und populärwissenschaftlichen Darstellungen über die
institutionalisierte pädagogische Praxis und
die Lebenswelten von Eltern und Kindern
bis zur Erziehungswissenschaft als Disziplin.
Die Phänomene deuten auch auf systematische Probleme, die mit der Verbindung
von Bildung und Biologie einhergehen.
Sie beziehen sich u. a. auf das Verhältnis
verschiedener Formen wissenschaftlichen
und nicht-wissenschaftlichen Wissens, das
Verständnis pädagogischer Professionalität,
die Abgrenzung zwischen „normalem“ und
„pathologischem“ Verhalten und die disziplinäre Identität einer Wissenschaft von der
Erziehung. Diese systematischen Probleme
haben zugleich eine politische Dimension, da
Sachfragen auch Machtfragen sind. Darum
lässt sich die inhaltliche Frage nach der pädagogischen Relevanz biowissenschaftlichen
Wissens nicht von der Frage trennen, welche
Wissenschaften als Produzenten legitimen
Wissens über Bildung und Erziehung akzeptiert werden und Zuständigkeit für die
institutionalisierte pädagogische Praxis beanspruchen dürfen. Gerade in diesen Punkten
scheint die Erziehungswissenschaft heute
Konkurrenz von den Biowissenschaften zu
bekommen, wobei vor allem Neurowissenschaftler versuchen, ihr Wissensgebiet als
alternative Pädagogik zu etablieren.
Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass sich
Pädagogik und Biologie gegenwärtig nicht
zum ersten Mal begegnen. Deutlich wird dies
am modernen Bildungsbegriff, der für biologisch-organologische Interpretationen offen
ist. Johann Friedrich Blumenbachs anthropologische Schrift über den „Bildungstrieb“
(1781) oder Goethes bekannter Ausspruch,
Bildung sei „geprägte Form, die lebend sich
entwickelt“, sind frühe Beispiele hierfür.
Auch die Reformpädagogik um 1900 schreibt
sich auf die Fahnen, Pädagogik und Biologie
miteinander zu verbinden. Dass die Biologie
dabei Vorrang hat, stellt etwa Ellen Key klar,
wenn sie in ihrem Buch „Das Jahrhundert des
Kindes“ die „Umwandlung der Pädagogik in
psycho-physiologische Naturwissenschaft“
propagiert. Für Key ist empirische Forschung
naturwissenschaftlicher Art der Schlüssel
dazu, „etwas über die wirkliche Natur des
Kindes zu wissen“ und falsche Vorstellungen
über Bildung und Erziehung auszuräumen. In
4
der aktuellen Bildungslandschaft stößt man
auf ähnliche Argumente, um Verbindungen
von Bildung und Biologie zu plausibilisieren.
In der Erziehungswissenschaft hat man die
Frage nach Nutzen und Nachteil der Biowissenschaften für die Pädagogik in den
letzten Jahren intensiv erörtert. Gleichwohl
steckt diese Diskussion in einer Sackgasse,
in der diejenigen, die biowissenschaftliche
Perspektiven auf Bildung und Erziehung
unbedingt stärken möchten, und diejenigen, die diese Entwicklungen ablehnen, auf
ihren Standpunkten beharren und zusehends
aneinander vorbeireden.
Genau an dieser Stelle setzen die Beiträge des Themenschwerpunkts an. Jenseits
rhetorischer Auseinandersetzungen geht
es ihnen darum, kritische Perspektiven
auf die pädagogische Präsenz der Biowissenschaften zu entwickeln und Aspekte
anzusprechen, die bislang kaum Beachtung
fanden. Die Beiträge gehen zurück auf ein
Forschungsforum, das im März 2012 auf dem
23. Kongress der Deutschen Gesellschaft
für Erziehungswissenschaft in Osnabrück
stattfand. Unter der leitenden Frage, wie sich
das pädagogische Feld unter dem Einfluss
der Biowissenschaften wandelt, verbinden
sie theorieorientierte mit empirischen Zugängen. Thomas Müller setzt sich mit dem
Angebot auseinander, Erziehung und Bildung
auf biowissenschaftliche Grundlagen zu
stellen. Er ordnet dieses Angebot in einen
größeren epistemischen Zusammenhang
ein, den er als naturalistisch bezeichnet, und
untersucht verschiedene Tendenzen einer
Naturalisierung des Pädagogischen. Am
Beispiel der ADHS beleuchtet Nicole Becker
Grenzverschiebungen zwischen Medizin und
Pädagogik. Sie kann zeigen, dass die Frage,
ob ein verhaltensauffälliges Kind (noch) als
„schwierig“ oder (schon) als „krank“ gilt, von
Experten höchst unterschiedlich bewertet
wird und Auswirkungen auf Familie und
Schule hat. Ob die Hirnforschung bei Lehrkräften tatsächlich so nachgefragt ist, wie
man zuweilen vermutet, untersucht Jonas
Frister. Er zeichnet ein differenziertes Bild der
Erwartungen und Interessen professioneller
Pädagogen, das von der Sehnsucht nach
Berliner Debatte Initial 24 (2013) 1
Rezeptwissen bis zur Rechtfertigung eigener pädagogischer Überzeugungen reicht.
Ulrich Salaschek lenkt schließlich den Blick
zurück auf biowissenschaftliche Deutungsangebote. Seine These ist, dass die bildgebende
Hirnforschung den Menschen als neuronale
Maschine begreift – ein Menschenbild, das
etwa bei der zunehmenden Einnahme von
Psychopharmaka handlungswirksam wird.
Der erste Beitrag dieses Heftes ist einem
ganz anderen Thema gewidmet: Richard
Wagner, vor 200 Jahren, am 22. Mai 1813,
in Leipzig geboren und vor 130 Jahren in
Venedig gestorben, war das größte Musikgenie des 19. Jahrhunderts, ein Künstler
von europäischem Rang und von säkularer
Bedeutung. Aus Anlass des diesjährigen
Wagner-Jubiläums eröffnen wir den neuen
Jahrgang mit einem Essay von Ulrich Busch,
der die Rolle des Geldes im Werk Wagners
sowie dessen Verhältnis zu Geld, Kredit und
Schulden zum Gegenstand hat.
Im Nebenschwerpunkt präsentieren wir
vier Beiträge, die sich mit der Bewältigung
des Stalinschen Terrors im heutigen Russland
auseinandersetzen. Wir setzen damit die
Diskussion aus Heft 1/2012 fort. Die hier
versammelten Texte gehen zurück auf eine
internationale Konferenz, die im Oktober
2012 in Sankt Petersburg stattfand. Es war
die 5. Tagung, die u. a. vom Moskauer Rosspen-Verlag – dort erscheint dieses Jahr der
dazugehörige Sammelband –, von der JelzinStiftung, der Menschenrechtsorganisation
„Memorial“ und der Lichatschow-Stiftung
organisiert wurde. Zu den Mitveranstaltern
gehörten die Leningrader Eremitage, das
Staatsarchiv der Russischen Föderation und
das Archiv für sozialpolitische Geschichte
(beide Moskau). Die Idee, „Leben im Terror“
als Tagungsthema zu wählen, geht zurück
auf den Schriftsteller und Schirmherren der
Veranstaltung, Daniil Granin. Debattiert
wurde über gesellschaftliche Mechanismen
und Techniken des Terrors, Widerstand,
das Verhältnis von Terror und Sozium, den
Stellenwert regionaler Identitäten, die Akteure des Terrors sowie die Erinnerung an
den Terror und die Geschichtspolitik. Neben
dem Moskauer Soziologen Lew Gudkow und
Berliner Debatte Initial 24 (2013) 1
zwei Mitarbeitern der Petersburger Menschenrechtsorganisation „Memorial“, Irina
Flige und Alexander Margolis, kommt auch
Anatoli Rasumow zu Wort, der seit 1995 zu
den Herausgebern des „Leningradskij Martirolog“ gehört und die Gruppe „Wiedergegebene Namen“ leitet. Bis auf den heutigen Tag
sind elf Bände erschienen, die Namenslisten,
biografische Skizzen über die Opfer des
Terrors und ausgewählte Dokumente über
Planung und Durchführung des „Großen
Terrors“ in und um Leningrad enthalten.
5
Rasumows Beitrag über den Gedenkfriedhof
Lewaschowo ist der gleichnamigen Broschüre entnommen, die demnächst auch in
deutscher Sprache erscheint. Alle Aufsätze
des Nebenschwerpunkts handeln von einer
„unbewältigten Vergangenheit“, vom Umgang
mit der Erinnerung, der Gedenkkultur und
Geschichtspolitik in Russland im Allgemeinen und in Sankt Petersburg im Besonderen.
Thomas Müller,
Wladislaw Hedeler
Berliner Debatte Initial 24 (2013) 1
35
Nicole Becker
Grenzgänge zwischen
Pädagogik und Psychiatrie:
ADHS aus Sicht von Experten und Eltern
Rein formal betrachtet lässt sich die Grenze
zwischen Pädagogik und Psychiatrie eindeutig
bestimmen, denn deren professionelle Zuständigkeiten sind klar definiert: Pädagogische
Institutionen haben den Auftrag, alle Kinder
und Jugendlichen in ihrer Entwicklung zu
unterstützen und zu fördern, psychiatrische
Einrichtungen sind nur für diejenigen zuständig, die im Sinne diagnostischer Kriterien
psychisch krank sind. Oder anders formuliert:
Auf der einen Seite geht es um Erziehung, auf
der anderen um Therapie.1
Diese theoretisch klare Abgrenzung führt
in der Praxis jedoch zu Schwierigkeiten, denn
sie setzt ein kategoriales Modell voraus, demzufolge sich „Kinder mit psychopathologischen
Symptomen als kranke Gruppe“ eindeutig
von gesunden Kindern unterscheiden lassen
(DuBois/Resch 2005, S. 39). Das ist aber nur
bedingt der Fall, denn während sich viele somatische Krankheiten beispielsweise durch
Normabweichungen physiologischer Werte
nachweisen lassen und man auf dieser Basis
eindeutiger krankhafte von gesunden Zuständen unterscheiden kann, existieren im Bereich
psychischer Störungen keine entsprechenden
(labor-)technischen Nachweismethoden.2 Dem
kategorialen Modell wird deshalb in der Psychiatrie ein dimensionales Modell gegenübergestellt, das „psychopathologische Symptome als
unspezifische Reaktionsmuster des Menschen
auf Überforderung der Anpassungskapazität“
betrachtet, „wobei unterschiedliche pathogenetische Bedingungen diese Anpassungsstörungen bewirken können. Pathologie definiert sich
daher nicht absolut aus einem Symptom allein,
sondern aus dem Wechselverhältnis zwischen
Anpassungsnotwendigkeiten (Problemlagen)
und Anpassungsmöglichkeiten (Ressourcen)“
(ebd.). Ein zentrales diagnostisches Instrument
ist deshalb das klinische Gespräch, das durch
weitere Verfahren, wie psychologische Tests
und Verhaltensbeobachtungen, ergänzt wird.
DuBois und Resch (2005) weisen nun
darauf hin, dass sich auch nach erfolgter Diagnosestellung sowohl die Zuständigkeiten als
auch die Vorgehensweisen von Psychiatrie und
Pädagogik überschneiden. Zwar orientiere sich
die Psychiatrie an einem „Krankheitsmodell“
und konzentriere sich daher auf „ein Defizit
oder eine Störung“, während sich die Pädagogik „an einem Modell der zu fördernden
Entwicklung“ orientiere, doch letztlich sei auch
die Behandlung psychisch kranker Kinder und
Jugendlicher durch ein „pädagogisches Milieu“
geprägt: „Vom Prinzip her enthält Therapie
immer auch Pädagogik, und Pädagogik ist
immer auch zugleich Therapie“ (DuBois/Resch
2005, S. 530).
Die Autoren sprechen sich deshalb gegen
eine strikte Trennung von Pädagogik und
Psychiatrie aus, die auch eine Aufteilung
von Zuständigkeiten mit sich bringen würde. Stattdessen fordern sie, dass psychische
Schwierigkeiten „solange wie möglich als
Alltagsschwierigkeiten behandelt“ und „im
pädagogischen Alltag bewältigt werden“ (ebd.,
531) sollten. Mit anderen Worten: Pädagogik
endet nicht dort, wo Psychiatrie beginnt, sondern Pädagogik und Psychiatrie ergänzen sich
bei der Therapie, Behandlung und Erziehung
von psychisch kranken Kindern.
Das Verständnis von Pädagogik und Psychiatrie, das DuBois und Resch als Vertreter der
36
Kinder- und Jugendpsychiatrie formulieren,
zielt darauf, jenseits von disziplin- und professionspolitischen Interessen einen sachlichen und konstruktiven Zugang zu schaffen.
Konsensfähig dürfte es jedoch wohl kaum sein,
denn wenn es um die Frage geht, ob ein Kind
oder Jugendlicher „schwierig“ – im Sinne
von „schwer erziehbar“ oder „renitent“ – oder
„krank“ – im Sinne von „psychisch gestört“ – ist,
beginnen in der Wissenschaft Auseinandersetzungen um Deutungsansprüche und zwischen
den Professionen Kämpfe um Zuständigkeiten.
ADHS als Modellfall
Besonders ausgeprägt ist das Spannungsverhältnis zwischen Pädagogik und Psychiatrie in der
Diskussion über die AufmerksamkeitsdefizitHyperaktivitätsstörung (ADHS). Mit einer
durchschnittlichen Prävalenzrate von 5,3% ist
die ADHS die derzeit im Kindes- und Jugendalter am häufigsten diagnostizierte psychische
Erkrankung (vgl. Steinhausen 2010a, S. 31). Die
Diagnose erfolgt anhand von Kriterien, die im
DSM-IV (Diagnostic and Statistical Manual
of Mental Disorders, 4. Auflage) und in der
ICD-10 (International Statistical Classification
of Diseases and Related Health Problems, 10.
Auflage) festgelegt sind. In der ICD-10 ist von
der Hyperkinetischen Störung (HKS) die Rede;
in der wissenschaftlichen und öffentlichen
Diskussion hat sich jedoch die Bezeichnung
ADHS durchgesetzt.3 Zu den Kernsymptomen
der ADHS zählen Unaufmerksamkeit, Überaktivität und mangelnde Impulskontrolle; beide
Klassifikationssysteme geben eine Reihe von
Parametern vor (z. B. im Hinblick auf Problemkontexte, Auftretenshäufigkeit und zeitliche
Dauer), die der diagnostischen Einschätzung
dienen sollen. Die Kriterien sind bei der Diagnostik leitend und können mit anderen Tests,
etwa zur Leistungs- oder Intelligenzdiagnostik,
kombiniert werden. Ein „testpsychologisches
Verfahren, mit dem eine ADHS definitiv festgestellt werden kann“ (Bundesärztekammer
2005, S. 18), gibt es jedoch nicht.
Seit Jahren sorgt das Thema für wissenschaftliche Auseinandersetzungen zwischen
Vertretern unterschiedlicher Disziplinen und
Nicole Becker
Professionen. Dabei ist es allerdings nicht so,
dass eine Disziplin oder Profession jeweils für
eine bestimmte Position steht, vielmehr kommt
es auch innerhalb von Wissenschaftsdisziplinen
und Berufsgruppen zu Kontroversen. Selbst
in der Kinder- und Jugendpsychiatrie gibt es
inhaltlich extrem unterschiedliche Positionen,
die mit Abgrenzungs- und Behandlungsfragen
zu tun haben. Dammasch (2009, S. 131) unterscheidet zwischen Vertretern der „biologischpsychiatrischen Sicht“ und Vertretern der
„psychoanalytisch-psychosozialen Sicht“, die
jeweils unterschiedliche Krankheitsverständnisse und verschiedene Ansichten über die
angemessene Behandlung haben. Im Kern geht
es dabei immer wieder um zwei grundsätzliche
Fragen, die miteinander verschränkt sind: Die
erste Frage bezieht sich auf die diagnostische
Validität der aktuellen Klassifikation und lautet: Handelt es sich bei der ADHS tatsächlich
um eine von anderen psychischen Störungen
klar abgrenzbare Erkrankung? (1) Die zweite
Frage bezieht sich auf die Zuverlässigkeit des
diagnostischen Prozesses und lautet: Kann
man davon ausgehen, dass sich die Mehrzahl
der Fachärzte an die diagnostischen Richtlinien hält und somit hinreichend abgesicherte
Diagnosen stellt? (2)
(1) Die erste Frage betrifft das im vorigen
Abschnitt angesprochene Abgrenzungsproblem: Der Einwand der Kritiker lautet, dass
sich auf die ADHS weder ein kategoriales noch
ein dimensionales Krankheitsmodell anwenden lässt, weil die unter dieser Bezeichnung
zusammengeführten Symptome kein einheitliches Störungsbild ergeben. Damit wird nicht
bestritten, dass sich die entsprechenden Verhaltensweisen dauerhaft und in unterschiedlichen
Ausprägungen beobachten lassen und Leiden
erzeugen, sondern dass sich deren Kombination
sinnvollerweise als eine psychische Störung
beschreiben lässt.
Als Begründung wird insbesondere die
hohe Komorbidität von ADHS mit weiteren
Störungen angeführt: Eher selten wird eine
ADHS als Einzeldiagnose gestellt; neben der
ADHS liegen „in der überwiegenden Mehrheit
der Fälle – bis zu 85% – eine weitere Störung
und bei 60% der Fälle sogar multiple Komorbiditäten“ vor (Steinhausen 2010b, S. 174). Deshalb
Grenzgänge zwischen Pädagogik und Psychiatrie
bezweifelt Hopf (2008, S. 208), „ob es überhaupt
möglich ist, ein Krankheitsbild ADHS mit
einem Kometenschweif von Komorbiditäten
(depressive Störungen 9,1%, Angststörungen
17,2%, dissoziale Störungen 46,9%) exakt zu
diagnostizieren“. Ähnlich äußert sich Günter
(2009, S. 390): „Eine nosologische Entität ist
vor allem durch eine einheitliche Ätiologie
und Symptomatik gekennzeichnet“, mit Blick
auf die ADHS stelle sich jedoch die Frage, „ob
nicht eine mehr oder weniger zufällige Kombination von Symptomen künstlich zu einer
Einheit zusammengefasst“ werde. Furman
(2005, S. 995) formuliert deshalb die Hypothese,
dass die drei Leitsymptome der ADHS weder
als Krankheitssymptome noch als Extremausprägungen normaler Verhaltensweisen treffend
beschrieben sind, sondern dass sie vielmehr als
Ausdruck innerer Konflikte oder unerfüllter
emotionaler oder pädagogischer Bedürfnisse
gedeutet werden können. Als Begründung
führt Furman an, dass auch andere Störungsbilder mit eingeschränkter Konzentration,
Unaufmerksamkeit, Bewegungsunruhe und
impulsiven Ausbrüchen einhergingen, ohne
dass diese als krankheitsspezifische Leitsymptome gewertet würden (vgl. ebd.; vgl. auch
Hopf 2008; Günter 2009).
Konsequenterweise liefe das darauf hinaus,
die für eine ADHS typischen Verhaltensweisen
eben nicht als psychopathologische Symptome
zu interpretieren, sondern schlicht als problematische Verhaltensweisen, die beispielsweise
als Reaktion auf belastende Ereignisse oder persönliche Krisen auftreten. Folglich hätten sie für
sich genommen keinen „Krankheitscharakter“
und die betroffenen Kinder und Jugendlichen
wären – es sei denn, sie hätten eine andere
diagnostizierbare psychische Störung – auch
kein Fall für die Psychiatrie.
(2) Den Anlass zur zweiten Frage liefert
die in den vergangenen Jahren deutlich gestiegene Zahl gestellter Diagnosen, die mit
gestiegenen Verschreibungen sogenannter
Psychostimulanzien einhergeht (vgl. Barmer
GEK 2013, S. 135ff.). Hopf (2008) geht davon
aus, dass diese Entwicklung nicht – wie einige
Fachvertreter behaupten – auf verbesserte
Früherkennungs- und Versorgungsstrukturen
zurückzuführen sei, sondern schlicht das Re-
37
sultat laxer Diagnosepraxen sei: „Oft wird nach
kurzer Symptombeschreibung undifferenziert
Bewegungsunruhe und ADHS gleichgesetzt, so
als wäre jede Angst bereits eine Angstneurose“
(ebd., S. 208). Bruchmüller und Schneider (2012)
konnten jüngst im Rahmen einer repräsentativen Befragung unter Kinder- und Jugendtherapeuten und -psychiatern in Deutschland
zeigen, dass die Diagnose ADHS potentiell zu
häufig – und das bedeutet: fälschlicherweise –
gestellt wird. Für die Vereinigten Staaten gibt
es ähnliche Befunde: Furman (2005) verweist
auf eine Befragung US-amerikanischer Kinderärzte, die zu dem Ergebnis kommt, dass sich
nur ein Viertel (25,8%) von ihnen an die in den
Richtlinien angegebenen vier diagnostischen
Komponenten hält und nur die Hälfte (53,1%)
der Ärzte die Anzahl der jährlich vorgesehenen Kontrolltermine bei Patienten einhält,
die mit Stimulanzien behandelt werden (vgl.
ebd., S. 994f.).
Miteinander verschränkt sind die beiden
Grundsatzfragen insofern, als eine negative
Antwort auf die erste Frage eine Antwort auf die
zweite Frage überflüssig machen würde, denn
wenn sich belegen ließe, dass das Konstrukt der
ADHS an sich angreifbar ist, könnten Experten
selbst dann nicht zuverlässig diagnostizieren,
wenn sie sich strikt an die Richtlinien hielten.
Die naheliegende Frage wäre dann, was sie
eigentlich diagnostizieren bzw. bisher diagnostiziert haben, wenn sie eine ADHS-Diagnose
stellen bzw. gestellt haben.
Die pädagogische Referenz
der ADHS-Symptome
Die einleitend angedeutete Grenzproblematik
spielt bei der ADHS deshalb eine besonders
große Rolle, weil es keine andere psychische
Störung im Kindes- und Jugendalter gibt, deren Symptome sich so eng auf das Verhalten
in pädagogischen, vor allem in pädagogischinstitutionellen Kontexten beziehen (vgl. Becker, im Erscheinen). Die überwiegende Zahl
der Verhaltensbeschreibungen, die den drei
Leitsymptomen Unaufmerksamkeit, Überbzw. Hyperaktivität und Impulsivität in den
relevanten Klassifikationssystemen ICD-10
38
und DSM-IV zugeordnet wird, bezieht sich
auf Verhaltensweisen, die direkt oder indirekt
mit Schule verbunden sind.
Beispielsweise finden sich für das Symptom
„Unaufmerksamkeit“ in den diagnostischen
Manualen Beschreibungen wie „führt häufig
Anweisungen anderer nicht vollständig durch
und kann Schularbeiten, andere Arbeiten
oder Pflichten am Arbeitsplatz nicht zu Ende
bringen“ und „vermeidet häufig, hat eine Abneigung gegen oder beschäftigt sich häufig nur
widerwillig mit Aufgaben, die länger andauernde geistige Anstrengungen erfordern wie
Mitarbeit im Unterricht oder Hausaufgaben“
(DSM-IV, zit. n. Bundesärztekammer 2005, S. 9).
Ähnlich verhält es sich mit den Symptomen
„Hyperaktivität“ und „Impulsivität“. Hier heißt
es unter anderem: „zappelt häufig mit Händen
oder Füßen oder rutscht auf dem Stuhl herum“,
„steht in der Klasse und anderen Situationen,
in denen Sitzenbleiben erwartet wird, häufig
auf“ (Hyperaktivität) und „platzt häufig mit
den Antworten heraus, bevor die Frage zu
Ende gestellt ist“ (Impulsivität) (ebd., S. 10).
Die diagnostischen Kriterien sehen zwar
vor, dass die Verhaltensweisen „in mehr als
einer Situation erfüllt“ (ebd.) sein müssen,
doch das ändert nichts an der pädagogischen
Referenz der beschriebenen Symptome: Letztlich geht es – auch bei den hier nicht zitierten
Beschreibungen – durchgängig darum, dass
ein Kind etwas nicht tut oder kann, was es
eigentlich tun oder können sollte, oder aber,
dass es etwas tut, was es eigentlich nicht tun
sollte. Versteht man unter Erziehung „jene
sozialen (d. h. auf Mitmenschen gerichteten)
Handlungen, durch die Menschen versuchen,
das Gefüge der psychischen Dispositionen
anderer Menschen in irgendeiner Hinsicht
dauerhaft zu verbessern oder seine als wertvoll beurteilten Komponenten zu erhalten“
(Brezinka 1976, S. 11) und fasst man unter
den Begriff der psychischen Disposition „Erlebnis- und Verhaltensbereitschaften aller Art
(…), also Fähigkeiten, Fertigkeiten, Haltungen,
Einstellungen, Gesinnungen, Überzeugungen,
Tugenden, Wissen, Können usw.“ (ebd.), so
könnte man die beschriebenen Symptome bzw.
Verhaltensweisen dahingehend interpretieren,
dass die Erziehung bei den betroffenen Kindern
Nicole Becker
bisher ihr Ziel verfehlt hat.4 Die positiven Entsprechungen der Symptome ließen sich nämlich
ohne weiteres als Erziehungsziele formulieren,
weil es sich bei den meisten Verhaltensweisen
um solche handelt, die Kinder erlernen bzw.
sich zu Eigen machen sollen.
Auch der Verweis auf die Nutzlosigkeit
verbaler Aufforderungen unterstreicht die
pädagogische Dimension der typischen ADHSSymptome: Das Kind führt nämlich Anweisungen „nicht aufgrund oppositionellen Verhaltens
oder von Verständnisschwierigkeiten“ – also
weil es nicht will oder nicht begreift – nicht aus,
sondern weil es in einem Maße „unaufmerksam“ ist, das mit seinem „Entwicklungsstand“
unvereinbar ist (vgl. Bundesärztekammer 2005,
S. 9). Es reagiert nicht auf den „Appell“, der
in der Erziehungstheorie Klaus Pranges als
„direktives Zeigen“ eine von drei grundlegenden Erziehungsoperationen darstellt (Prange
2005, S. 121).
Erziehung kann die Form des Appells
bzw. der Aufforderung oder des Vormachens,
Erklärens, Anleitens haben, doch unabhängig
davon, in welcher Form sie sich vollzieht, ist sie
ein Mittel zum Zweck des Lernens – und zwar
nicht zum Lernen von irgendetwas, sondern
von etwas (durch den Erzieher) Bestimmtem.
Gleichzeitig ist das Lernen „die Unbekannte in
der pädagogischen Gleichung“ (ebd., S. 82), so
dass der Erzieher zwar wollen kann, dass das
Kind etwas (Bestimmtes) lernt, es jedoch – egal
welche Mittel er auch immer einsetzt – keine
Erfolgsgarantie gibt.
Mit Blick auf erziehungstheoretische Überlegungen könnte man die Symptombeschreibungen einer ADHS deshalb so formulieren:
Das Kind hat nicht gelernt (a) „zuzuhören, wenn
andere es ansprechen“, (b) seine „Aufgaben
und Aktivitäten zu organisieren“, (c) dass es
auf Gegenstände, die es „für Aufgaben oder
Aktivitäten benötigt (z. B. Spielsachen, Hausaufgabenhefte, Stifte, Bücher oder Werkzeug)“,
achten muss, (d) dass es Situationen gibt, in
denen Herumlaufen oder Klettern „unpassend
ist“, (e) dass es warten muss, bis es „an der
Reihe ist“, und (f ) dass man andere, während
sie sich unterhalten oder miteinander spielen,
nicht „unterbricht und stört“ (vgl. DSM-IV, zit.
n. Bundesärztekammer 2005, S. 10).
Grenzgänge zwischen Pädagogik und Psychiatrie
Die pädagogische Dimension der ADHS
zeigt sich also nicht nur darin, dass sich deren Symptome in pädagogischen Kontexten
am deutlichsten manifestieren, sondern auch
darin, dass sie sich als pädagogische Probleme
beschreiben lassen. Und zwar dann, wenn man
– wie in der Erziehungswissenschaft üblich
– unter pädagogischen Problemen „erlebte
Schwierigkeiten im Umgang mit Kindern/
Lernen/Unterricht/Schule/der Ordnung des
Generationenverhältnisses“ versteht (Tenorth
1994, S. 41), für deren Lösung sich die jeweiligen Bezugspersonen verantwortlich fühlen
(vgl. auch Rühling 2008).
Pädagogische Probleme müssen, ebenso
wie psychopathologische Symptome, zunächst
einmal als solche definiert werden, und dabei
sollte man sich darüber im Klaren sein, dass
eine pädagogische Problemdefinition nur eine
Möglichkeit darstellt und man ein und dasselbe
Problem häufig ebenso plausibel als psychologisches, soziales, politisches, juristisches,
medizinisches oder anderweitiges Problem
beschreiben kann. Problemdefinitionen entwickeln sich in einer konkurrierenden Theorieumwelt, und das würde bei der Debatte über ADHS
darauf hinauslaufen, dass die beobachteten
schwierigen Verhaltensweisen (mindestens)
sowohl als psychopathologische Symptome
als auch als pädagogische Probleme gedeutet
werden können. Damit wäre die Frage nach
Deutungsansprüchen und Zuständigkeiten
unentschieden. Die eingangs skizzierte Position
von DuBois und Resch ließe sich damit durchaus
in Einklang bringen: Für die ADHS gälte dann,
was auch für andere psychische Störungen bei
Kindern und Jugendlichen gilt – dass nämlich
Pädagogik und Psychiatrie gleichermaßen in
der Verantwortung stehen.
Aus Sicht einer biologisch orientierten
Kinder- und Jugendpsychiatrie wäre eine solche
Lösung aber wenig wünschenswert, denn sie
würde nicht nur darauf hinauslaufen, Deutungsansprüche mit anderen Disziplinen zu
teilen, sondern auch, sich bei der Behandlung
der Störung mit anderen, nicht-medizinischen
Professionen koordinieren zu müssen (und
nicht bloß Aufgaben zu delegieren, etwa an
Verhaltenstherapeuten). Alternative Problembeschreibungen werden deshalb vehement mit
39
dem Verweis auf die hirnorganischen Ursachen
der ADHS, sprich: auf die Ätiologie der Störung,
abgewiesen.
Das biologische Ursachenmodell
als zentrales Argument
Definitorischen Fragen stellen sich bei der
ADHS nicht nur in Bezug auf das beobachtete
Verhalten, sondern auch mit Blick auf deren
Ursachen. DuBois und Resch sprechen in
der eingangs zitierten Definition davon, dass
psychopathologische Symptome bzw. Anpassungsstörungen durch „unterschiedliche pathogenetische Bedingungen“ zustande kommen
können. Doch in der biologisch-medizinisch
ausgerichteten Forschung wird die Ursache der
ADHS eindeutig in einer genetisch bedingten
hirnfunktionellen Störung gesehen: „Heute
geht man von einem multifaktoriellen Entstehungsmodell auf der Basis einer genetischen
Prädisposition zu einer neurobiologischen
Dysregulation und einer darauf aufbauend
neuropsychologischen Inhibitionsstörung
aus. Als Grundlage zur Entstehung der ADHS
gilt eine genetische Disposition als gesichert“
(Schmidt/Petermann 2008, S. 266).
Weil das biologische Ursachenmodell weitreichende Konsequenzen für die Bewertung der
Symptome und die Behandlung der ADHS hat,
wird dessen Gültigkeit auch öffentlichkeitswirksam proklamiert. So heißt es beispielsweise in
einer aktuellen Erklärung führender ADHSForscher:5 „International besteht kein Zweifel,
dass genetische Ursachen den größten Einflussfaktor in der Entstehung der ADHS bilden“
(Zentrales ADHS-Netz 2012, S. 3). Weiter heißt
es zwar: „Wie bei allen psychischen Störungen
und bei vielen körperlichen Erkrankungen sind
auch bei ADHS die Ursachenzusammenhänge
noch nicht abschließend geklärt. Sowohl die
molekulargenetischen Faktoren als auch die
komplexen Interaktionen von genetischen und
verschiedenen Umweltfaktoren bedürfen noch
weiterer Erforschung“ (ebd.). Doch daran, dass
die Ursachen der ADHS biologischer Natur
sind, bestehe kein Zweifel. Umweltfaktoren
wird üblicherweise ein „modulierender“, jedoch
kein ursächlicher Einfluss zugeschrieben: „Ein
40
Einfluss psychosozialer Bedingungen auf die
Ausprägung der ADHS ist wahrscheinlich, doch
liegen hierzu bislang nur wenige gesicherte
Erkenntnisse vor. Für die mögliche ätiologische
Relevanz einer zunehmenden Reizüberflutung
(…) sowie einer Erziehung mit mangelnder
Zuwendung und fehlender Grenzziehung gibt
es keine gesicherten empirischen Belege“ (ebd.).
Demnach können sich die sozialen Umstände,
in denen ein Kind oder Jugendlicher aufwächst,
möglicherweise günstig oder ungünstig auf
die Ausprägung der Symptome auswirken,
eine ursächliche Bedeutung kommt ihnen
aber nicht zu.
Mit Blick auf das Verhältnis von Pädagogik
und Psychiatrie ist diese Auffassung in mehrfacher Hinsicht folgenreich, weil das biologische
Ursachenmodell nicht nur Erklärungscharakter
hat, sondern weil ihm auch eine Legitimationsfunktion zugeschrieben wird. Blieb im letzten
Abschnitt noch offen, weshalb sich ein Kind so
verhält, wie es sich verhält, so gibt es nun eine
klare Antwort: Das Kind hat die entsprechenden
Verhaltensweisen deshalb nicht gelernt, weil sein
Gehirn nicht in der Lage war, sie zu erlernen;
die ,neurobiologische Dysregulation‘ führt zu
einer „neuropsychologischen Inhibitionsstörung“, die sich auf der Verhaltensebene in der
typischen ADHS-Symptomatik manifestiert
(Schmidt/Petermann 2008, S. 266).
Weil man es nun gewissermaßen mit einem
organpathologischen Befund zu tun hat, liegt
entsprechend eine medikamentöse Intervention
nahe, so dass das biologische Ursachenmodell
und die Legitimation der pharmakologischen
Behandlung im Falle der ADHS Hand in Hand
gehen: „Die meisten Befunde sprechen dafür,
dass die ADHS-Symptomatik durch einen polygenetisch bedingten Dopaminmangel im synaptischen Spalt hervorgerufen wird, der durch
die Gabe von stimulierenden Medikamenten
wie Methylphenidat ausgeglichen werden kann“
(Petermann/Toussaint 2009, S. 83).
Der unterstellte Zusammenhang hat allerdings den Status einer Hypothese, denn empirisch nachgewiesen ist weder ob tatsächlich ein
Dopaminmangel als Auslöser für das Verhalten
gelten kann noch ob dieser genetisch bedingt ist.
So schreiben etwa Roessner und Rothenberger
(2010, S. 76) in einem Forschungsüberblick,
Nicole Becker
„eine direkte und umfassende Untersuchung der
neurochemischen Prozesse im menschlichen
Gehirn ist bis heute nicht möglich. So lassen
sich oft nur indirekte Schlussfolgerungen aus
den Ergebnissen der Studien zu Genetik, medikamentöser Behandlung und Neuroanatomie
ziehen“. Daher konzentriere sich die Forschung
auf tierexperimentelle Studien sowie Untersuchungen „von Blut, Liquor und Urin des
Menschen, die allerdings auch nur indirekte
Rückschlüsse auf die Neurochemie der ADHS
im menschlichen Gehirn erlauben“ (ebd.).
Auch die Wirkweise der Psychostimulanz
Methylphenidat – bekannt unter den Handelsnamen Ritalin oder Medikinet – ist noch
nicht geklärt (vgl. Banaschewski/Rothenberger
2010, S. 294), wird aber hier ähnlich dargestellt
wie die anderer Medikamente, indem erklärt
wird, dass die Substanz einen nachweisbaren
Mangel kompensiert (analog zur Funktion von
Insulin bei Diabetes).
Trotz vieler ungeklärter Fragen suggeriert
der Mainstream der ADHS-Debatte eine
Eindeutigkeit, die für die Behandlung des
Störungsbildes leitend ist. Wird die ADHS als
hirnfunktionelle Störung verstanden, so liegt
der Nutzen der pharmakologischen Behandlung
gewissermaßen auf der Hand und Eltern werden
entsprechend beraten: „Eine relativ frühzeitige
Pharmakotherapie wird (…) bei Kindern ab dem
Alter von sechs Jahren dann empfohlen, wenn
die Symptomatik zu erheblicher Einschränkung
von Alltagsfunktionen führt. In solchen Fällen
wird eine Pharmakotherapie nach der immer
grundlegend notwendigen Psychoedukation
und Aufklärung und Beratung der Eltern
empfohlen“ (Zentrales ADHS-Netz 2012, S. 4).
Psychoanalytisch-psychosozial ausgerichtete ADHS-Forscher kritisieren nicht nur
dieses Ursachenmodell, sondern auch den hier
skizzierten therapeutischen Ansatz. Die Aussagekraft formal- und verhaltensgenetischer sowie
neurowissenschaftlicher Studien relativieren sie
mit Blick auf deren Inkonsistenz, und insgesamt
werfen sie ihren biologisch argumentierenden
Kollegen ein unzureichendes Verständnis von
Hirnentwicklung vor. Die „Beziehung zwischen
Erbe und Umwelt, Natur und Kultur“, so
schreibt beispielsweise der Psychoanalytiker
und Erziehungswissenschaftler Bernd Ahr-
Grenzgänge zwischen Pädagogik und Psychiatrie
beck, stelle sich heute „ganz anders dar (…),
als es das multimodale Modell behauptet.
Zur Entwicklung von Hirnstrukturen tragen
soziale Einflüsse und Beziehungserfahrungen
wesentlich bei. (…) Auch die Aktivierung von
Genen hängt von Umwelteinflüssen ab, zwischenmenschliche Erfahrungen können sich
bis in die Genregulation hinein auswirken“
(Ahrbeck 2009, S. 375). Ausgehend von eigenen Fallstudien entwickeln Psychoanalytiker
deshalb alternative Erklärungsmodelle, die
den Blick vor allem auf emotionale und soziale
Störungen während früher Entwicklungsphasen
richten (vgl. im Überblick Günter 2009).
Während die Darstellungen der psychosozialen Zusammenhänge in solchen Beiträgen
gut nachvollziehbar sind, zeigt sich bei dem
Rekurs auf Befunde zur erfahrungsabhängigen
Hirnentwicklung ein ähnliches Problem wie bei
den Vertretern des biologischen Modells: Dass
sich die kognitive und emotionale Entwicklung
in Interaktion mit der Umwelt vollzieht, ist
zwar unbestritten, doch bei der Suche nach
neuronalen Korrelaten stoßen die Vertreter
des „Plastizitätsgedankens“ an die gleichen
Grenzen wie die Verfechter der „Gendefektthese“, denn schließlich können auch sie dem
Gehirn nicht bei der Entwicklung zusehen und
rekurrieren deshalb bei ihrer Argumentation
auf hypothetische Modelle.6
Die Sicht der Eltern
Die beschriebenen Kontroversen werden zwar
im Feld der Wissenschaften am intensivsten
geführt, haben aber längst Eingang in die
populäre Berichterstattung gefunden. Da Eltern im Prozess der Diagnostik mit Experten
interagieren und im Falle der Diagnosestellung eine Entscheidung über die Intervention
verantworten müssen, habe ich in einer explorativen Studie untersucht, wie betroffene
Eltern mit den hier angesprochenen Problemen
umgehen bzw. inwiefern sie überhaupt davon
erfahren. Zu den Sichtweisen von Eltern liegen
bislang insgesamt nur wenige Studien aus dem
englischsprachigen Raum vor, die entweder
durch eine soziologische oder eine klinische
Perspektive geprägt sind. Zudem wurden
41
bisher ausschließlich Eltern befragt, bei deren
Kindern bereits eine ADHS-Diagnose gestellt
wurde (vgl. z. B. Rafalovich 2004; Singh 2003;
Singh 2004; Brinkman et al. 2009).
Im Rahmen einer qualitativen Studie habe
ich Interviews mit 21 Eltern geführt, darunter
18 Mütter und drei Väter, die ihr Kind zur
diagnostischen Abklärung einer ADHS in der
Ambulanz einer Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie angemeldet hatten. Ziel der Studie
ist es, zu rekonstruieren, wie sich die Problemwahrnehmung von Eltern im Zusammenspiel
mit Akteuren pädagogischer Institutionen und
medizinischer Einrichtungen darstellt. Dabei
wurden auch die bisherigen Bewältigungsstrategien der Eltern, deren Informationsstrategien
sowie ihre Einstellungen zu verschiedenen
Interventionsformen untersucht.
Als Methode wurde das problemzentrierte
Interview (Witzel 2000) eingesetzt. Dieses
möchte zu spontanen Erzählungen anregen,
behält dabei aber ein bestimmtes Problem
im Blick. Im Hintergrund gibt es zwar einen
Leitfaden mit bestimmten Themen, die im
Laufe des Gesprächs angesprochen werden,
aber es handelt sich nicht um ein klassisches
strukturiertes Interview, bei dem Fragen in
festgelegter Reihenfolge angesprochen werden.
Ein problemzentriertes Interview beginnt mit
einem festgelegten Einstieg, der ins Zentrum
des Problems stoßen soll und für den Interviewpartner Aufforderungscharakter hat, und
greift dann auf verschiedene Strategien zurück,
um den Erzählfluss in Gang zu halten.
Der Einstieg „Erzählen Sie bitte mal, wie
das war, als Sie das erste Mal darüber nachgedacht haben, ob [Name Sohn/Tochter]
ADHS haben könnte. Wie kamen Sie darauf?“
sollte die Interviewpartner dazu anregen, mit
einem Ausgangspunkt (in der Vergangenheit)
beginnend, eine Geschichte zu erzählen, die
(möglicherweise) mit der Vorstellung in der
Ambulanz endet.
Die Interviews fanden statt, bevor der diagnostische Prozess in der Ambulanz begonnen
hatte. Im Sample gibt es sowohl Eltern, die ihr
Kind erstmals zur diagnostischen Abklärung
vorgestellt haben (N=7), als auch solche, bei
denen zum wiederholten Male eine Diagnostik durchgeführt wurde (N=14).7 Das Alter
42
der Kinder (16 Jungen und 5 Mädchen) liegt
zwischen 8 und 16 Jahren, wobei die 12- und
13-Jährigen am häufigsten vertreten sind.
Neben der Altersvariation wurde im Sample
auch eine maximale Variation der besuchten
Schultypen (Förderschule, Grundschule,
Hauptschule, Realschule, Gymnasium) erreicht.
Nach dem Abschluss der Diagnostik und der
Auswertung der Interviews wurde auf der Basis
der Patientenakten rekonstruiert, ob der ADHSVerdacht im weiteren Verlauf der Diagnostik
bestätigt oder zurückgewiesen wurde.
Die Auswertung der Interviewtranskriptionen erfolgte in Anlehnung an Kelle und
Kluge (2010) sowie Kuckartz (2010). Dabei
werden ausgehend von den Themen in den
Interviews sogenannte Merkmale herausgearbeitet und deren jeweilige Ausprägungen
bestimmt.8 Auf diese Weise können die Fälle
miteinander verglichen und anhand empirischer Regelmäßigkeiten gruppiert werden. In
der Gesamtstudie wurde im nächsten Schritt
eine Typologie elterlicher Handlungsstrategien
entwickelt.
Im Rahmen dieses Beitrags werde ich nicht
auf die Typologie eingehen, sondern mich auf
den Teil der Auswertung beschränken, der sich
mit der Rekonstruktion des ADHS-Verdachts
und den Erwartungen befasst, die Eltern mit
der Diagnostik verbinden. Mit Blick auf die
oben beschriebenen Expertenkontroversen
werde ich darstellen, welche Beobachtungen
Eltern zur diagnostischen Abklärung bewegen
und welchen Status sie der ADHS und, davon
ausgehend, der Diagnostik zusprechen.9
Da qualitative Studien mit vergleichsweise
kleinen Samples arbeiten (müssen), können die
Ergebnisse keinen Anspruch auf Repräsentativität erheben. Qualitative Arbeiten verfolgen
theoretische Interessen, sie wollen soziale
Phänomene detailliert beschreiben und greifen
deshalb (zum Beispiel) auf Erzählungen von
Akteuren zurück. Dadurch können inhaltliche
Zusammenhänge aufgezeigt werden, die für die
systematische Beschreibung eines Phänomens
aufschlussreich sind und zur Hypothesenbildung genutzt werden können.
Nicole Becker
ADHS-Verdacht und
Erwartungen an die Diagnostik
Auf die Frage nach dem Anlass des ADHSVerdachts antworten viele Eltern mit verhältnismäßig langen Eingangserzählungen,
in denen sie bereits konkrete Schwierigkeiten
ihres Kindes schildern. Dazu gehören viele
der Verhaltensweisen, die sich auch in den
einschlägigen Klassifikationssystemen finden,
aber auch einige, die auf den ersten Blick nicht
zu dem Störungsbild passen. Im Vordergrund
stehen Schwierigkeiten bei der Bewältigung
schulischer Anforderungen sowie Konflikte
mit anderen Personen, vor allem Gleichaltrigen
und Geschwistern sowie mit den Eltern selbst.
Im vorliegenden Sample entstand der
ADHS-Verdacht entweder in einem medizinischen Kontext (z. B. bei einer kinderärztlichen
Untersuchung), in einem pädagogisch-institutionellen Kontext (z. B. im Kindergarten oder in
der Schule) oder im familiären Kontext (d. h. die
Mutter oder der Vater kam selbst auf die Idee).
Der ADHS-Verdacht im familiären Kontext
entstand allerdings in allen Fällen mit Rekurs
auf (mindestens) einen weiteren Kontext:
Selbst wenn Eltern Schwierigkeiten bei ihren
Kindern beobachten und das Störungsbild
ADHS vom Hören-Sagen kennen, bedarf es der
Rückmeldung professioneller Akteure, damit
ein Krankheitsverdacht entsteht. Für Eltern
sind ihre Kinder zunächst primär „schwierig“,
erst die Äußerungen von Akteuren aus dem
pädagogisch-institutionellen oder medizinischen Kontext rücken diese Schwierigkeiten
in die Nähe von Krankheit.
Frau Gröschner antwortet auf den Erzählimpuls: „Also ich habe da gar nicht selber darüber nachgedacht, die Idee kam mir gar nicht,
sondern wir waren in Kur, Mutter-Kind-Kur,
und der Laurenz war schon immer furchtbar
verhaltensauffällig, und in dieser Kur hat mich
dann eine Ärztin darauf angesprochen, dass ich
das doch bitte abklären lassen soll, dass er, also
dass sie ihn nach ADHS einschätzt“ (I16P33).
Obwohl Frau Gröschner ihren Sohn
Laurenz als „schon immer furchtbar verhaltensauffällig“ beschreibt, kommt sie selbst
nicht auf den ADHS-Verdacht. Sie hat zwar
bereits von ADHS gehört, aber erst als die
Grenzgänge zwischen Pädagogik und Psychiatrie
Ärztin den Verdacht äußert (Laurenz ist zu
diesem Zeitpunkt 6 Jahre alt), beginnt sie, sich
intensiver zu informieren. Frau Gröschner
nimmt den Verdacht der Ärztin ernst und
lässt im Anschluss an die Kur bei Laurenz‘
Kinderarzt eine Diagnostik durchführen, bei
der der Verdacht bestätigt und Ritalin verordnet wird. Laurenz‘ Verhalten wird jedoch
trotz der medikamentösen Intervention immer
problematischer und die Mutter fühlt sich nach
eigenen Angaben überfordert. Sie stellt ihren
Sohn zu einer nochmaligen diagnostischen
Abklärung in der Ambulanz vor, weil sie auf
andere Interventionsmöglichkeiten hofft.
Frau Franke stellt ihren Sohn Fabian erstmals
zu einer Diagnostik vor, sie antwortet auf den
Erzählimpuls: „Also ADHS war jetzt früher
für uns kein Begriff. Es war ab und zu mal, wo
er schon als Kleinkind, wo eben manchmal
der Satz von anderen kam: ‚Meinst du nicht
der ist ein bisschen hyperaktiv?’ oder ... Ja ich
hab das dann immer ausgeschlossen; weil wir
jetzt, mein Mann und ich, eigentlich immer
gut damit klar kamen, und bei Hyperaktivität
denke ich immer, die sind ja so also 20 Stunden
aktiv am Stück“ (I10P28).
Auch Frau Franke deutet zunächst an,
dass der ADHS-Verdacht nicht in der Familie
entstand; sie und ihr Mann kamen mit Fabians
Verhalten gut klar, unter Hyperaktivität hatte
sie sich bislang etwas anderes vorgestellt. Sie
schildert zwar im weiteren Verlauf einige
Schwierigkeiten, die sich bereits vor Schulbeginn zeigten, doch erst mit dem Übertritt auf
das Gymnasium werden diese so gravierend,
dass schließlich eine Lehrerin den Verdacht auf
ADHS äußert, dem die Eltern nun nachgehen.
Ein zentrales Unterscheidungsmerkmal
zwischen den im Sample vertretenen Fällen
besteht darin, ob im Vorfeld bereits eine
ADHS-Diagnostik stattfand oder nicht. In
einigen Fällen ist die Ambulanz die erste
Station nach einem entstandenen Verdacht,
in anderen Fällen fanden bereits eine oder
sogar mehrere Diagnostiken statt, bei denen,
wenn die Diagnose ADHS gestellt wurde, eine
pharmakologische Intervention eingeleitet oder
zumindest angeboten wurde. In den meisten
Fällen wurden schwierige Verhaltensweisen
jedoch eher früh, meistens schon im Säuglings-
43
oder Kleinkindalter, registriert, so dass der
Zeitpunkt der diagnostischen Erstabklärung
nicht zwingend etwas über den Beginn der
Schwierigkeiten aussagt. Vielmehr scheinen
Eltern unterschiedliche Belastungsgrenzen
und Normalitätsvorstellungen zu haben, die,
zusammen mit den Rückmeldungen anderer
Akteure (vor allem aus dem pädagogischen
Feld), ausschlaggebend dafür sind, zu welchem
Zeitpunkt sie professionelle Hilfe suchen. Das
wiederum entscheidet darüber, wie früh der
Krankheitsverdacht auftritt. Im vorliegenden
Sample zeigt sich hier ein deutliches Muster: Je
früher sich Eltern mit Schwierigkeiten an Ärzte
oder Beratungsstellen wenden, desto früher
wird der Krankheitsverdacht ins Spiel gebracht
und desto eher setzen diverse Hilfemaßnahmen ein, die aber alle nicht die erwünschten
Wirkungen haben.
Frau Conrad nimmt beispielsweise sehr
früh eine Erziehungsberatung in Anspruch,
da sie ihren neun Monate alten Sohn Jonas
als extrem anstrengend empfindet und sich
überfordert fühlt. In diesem Zusammenhang
wird das Thema ADHS zum ersten Mal von
Seiten der Beraterin aufgebracht. Frau Conrad
erzählt von der Beratung und sagt: „von mir
selber kam eigentlich nicht der der Name ADS,
sondern ich habe halt einfach nur erklärt und
geschildert, was Sache ist“ (I05P40). Die Beraterin weist Frau Conrad jedoch darauf hin,
dass man die Diagnose in dem Alter noch nicht
stellen könne. Anderthalb Jahre später wird
das Thema dann wieder aufgegriffen, diesmal
durch eine Sozialpädagogin, die die Familie
im Rahmen einer Hilfemaßnahme begleitet.
Frau Conrad wendet sich daraufhin an
ihren Kinderarzt und anschließend werden
verschiedene Untersuchungen durchgeführt.
Die Diagnose wird bestätigt und Jonas wird
bereits ab dem Alter von vier Jahren mit verschiedenen Stimulanzien behandelt, weil seine
Verhaltensauffälligkeiten so gravierend sind,
dass die Erzieherinnen im Kindergarten nicht
mit ihm zurecht kommen und Frau Conrad
immer wieder dazu auffordern, ihren Sohn
abzuholen. In der Grundschule setzt sich dieses
Muster fort. Zum Zeitpunkt des Interviews
ist Jonas neun Jahre alt; in den vergangenen
Jahren hat er diverse Therapien durchgeführt
44
und wurde dauerhaft medikamentös behandelt.
Seine Familie hat währenddessen mehrfach und
über längere Zeiträume sozialpädagogische
Hilfen in Anspruch genommen.10 Dennoch
meldet ihn seine Mutter wiederum mit der
Verdachtsdiagnose ADHS zur diagnostischen
Abklärung an.
Abhängig von der Vorgeschichte hat der
ADHS-Verdacht – und mit ihm die aktuelle
Entscheidung zu einer diagnostischen Abklärung – unterschiedliche Relevanzen: Bei
denjenigen Fällen, bei denen es im Vorfeld
noch keine Diagnostiken gab, ist die Vorstellung in der Ambulanz ein erster Schritt in
einem Prozess, dessen Abläufe und Folgen
die Eltern noch nicht einschätzen können.
Mit der Diagnostik verbinden sie deshalb die
Vorstellung einer Gewissheit, die sich nicht
nur auf den Krankheitsstatus bezieht, sondern
auch auf die anschließenden Therapiemöglichkeiten. Sie gehen davon aus, dass im Falle
einer Bestätigung des ADHS-Verdachts auch
die passenden Interventionsmöglichkeiten zur
Verfügung stehen, die die aktuellen Probleme
lösen können. Letztlich geht es dabei um die
Frage, ob das Kind tatsächlich nicht anders
kann, weil es krank ist, oder ob es anders
könnte, dies aber nicht will.
Frau Franke bringt diesen Konflikt auf den
Punkt: „Das ist so das wo ich einfach halt wissen
möchte, woran bin ich, wie ich vorher sagen
wollte, mit der Reaktion jetzt auf schlechte
Schulnoten, damit ich nochmal Rat bekomme,
wo ich jetzt gerade wirklich dastehe und denke:
‚Ja vielleicht kann er ja gar nichts dafür.’ Und
dann schimpfe ich mit ihm und das will ich
nicht. Oder ähm ja ... Oder mach ich’s wie die
normale Mutter, die dann auf den Tisch haut
und sagt: ‚Jetzt bleibst du erst mal eine Woche
daheim und lernst!’ Ja, das ist gerade bei mir
so ein bisschen schwierig“ (I10P132). Wenn
Fabian eine ADHS hat, dann kann er aus Sicht
der Mutter nichts für seine schlechten Noten,
und sie will dann nicht mehr mit ihm schimpfen oder ihn zum Lernen zwingen. Die Frage,
ob er krank ist oder bloß „faul“, erzeugt einen
Gewissenskonflikt, den die Diagnose entscheiden soll. Frau Franke sagt: „wenn er’s nicht hat,
bin ich glücklich, auf der anderen Seite weiß
ich dann natürlich, dass er einfach stockfaul
Nicole Becker
ist“ (I10P132). Wenn Fabian keine ADHS hat,
ist seine Mutter glücklich – denn dann ist er
nicht krank, seine Schwierigkeiten sind dann
eine Frage des Wollens und nicht des Könnens.
Frau Franke wünscht sich, dass man ihrem
Sohn pädagogisch oder therapeutisch helfen
kann; Medikamente kämen für sie und ihren
Mann erst dann in Frage, wenn alle anderen
therapeutischen Maßnahmen versagen: „wir
wollen ihn nicht dämpfen. Ja, also... Wir wollen
ihn eigentlich so behalten wie er ist“ (I10P80).
Genau wie Frau Franke glauben auch die
meisten anderen interviewten Eltern, die eine
diagnostische Erstabklärung durchführen
lassen, dass man eine ADHS eindeutig diagnostizieren kann. Die Eltern gehen davon
aus, dass es zur Diagnosestellung zuverlässige
Testverfahren gibt und dass der Diagnose
gegebenenfalls zuverlässige Interventionen
folgen. Der eindeutige Nachweis der ADHS ist
wiederum die Voraussetzung für die Akzeptanz
einer pharmakologischen Behandlung, und
die meisten Eltern wären nicht bereit, ihrem
Kind ein Medikament zu verabreichen, wenn
es einen Restzweifel an der Diagnose gäbe (vgl.
Becker 2012).
Die Eltern, die ihr Kind zur Erstabklärung
vorstellen, folgen somit noch der üblichen
medizinischen Dramaturgie und glauben an
sie: Bei einem Krankheitsverdacht sucht man
einen Arzt auf, der bestimmte Untersuchungen durchführt und der den Verdacht dann
entweder bestätigt und eine Behandlung
einleitet oder ihn zurückweist. Die Eltern sind
sich selbst nicht sicher, ob ihr Kind eine ADHS
hat, aber sie gehen davon aus, dass es Experten
gibt, die das herausfinden können und die am
Ende sagen werden: „Ihr Kind ist krank und
deshalb verhält es sich so schwierig“ oder „Ihr
Kind verhält sich schwierig, aber krank ist es
nicht“. Mit dieser Ungewissheit können die
Eltern leben, denn sie hoffen auf Gewissheit
am Ende des diagnostischen Prozesses.
Problematischer ist die Situation für diejenigen, bei denen es im Vorfeld bereits eine
Diagnostik gab, die aber entweder zu keinem
eindeutigem Ergebnis kam oder in deren
Verlauf zwar die Diagnose ADHS gestellt
und entsprechende Interventionen eingeleitet
wurden, durch die sich aber die Situation nicht
Grenzgänge zwischen Pädagogik und Psychiatrie
wesentlich verbessert hat. Hier wurden die
Gewissheitserwartungen enttäuscht, weil die
Diagnose ADHS und die pharmakologische
Intervention, die in einigen Fällen mit anderen
Maßnahmen (z. B. Ergotherapie) einherging,
keine dauerhafte, meistens nicht einmal eine
mittelfristige Entlastung brachte. Deshalb soll
nun eine weitere Diagnostik Gewissheit bringen.
Frau Meyer möchte, dass eine weitere
Diagnostik bei ihrem Sohn Niklas durchgeführt wird, obwohl zwei Ärzte im Vorfeld
die Diagnose bestätigt haben. Niklas wurde
bereits mit drei unterschiedlichen Stimulanzien behandelt, die keine längerfristige
Besserung bewirkt haben. Die Mutter erzählt,
dass sie sich selbst oft frage, weshalb ihr Sohn
so schwierig sei: „Ja, ich weiß es nicht, von
wo das kommt. Das kannte ich früher nicht
und manchmal denke ich: ‚Ja, ist es wirklich
ADS?’“ (I18P73). Mit der ersten Diagnose und
der daran anschließenden Pharmakotherapie
hatte sie die Erwartung verbunden, dass sie
selbst wieder besser mit ihrem Sohn umgehen
kann, sich die Streitigkeiten zwischen Niklas
und seinem Bruder legen und sich auch seine
schulischen Leistungen bessern; doch nichts
von alledem trat ein. Dennoch hofft sie darauf,
dass sich mit dieser Diagnostik und den darauf
folgenden Interventionen alles zum Besseren
wenden wird.
Der Glaube an die Zuverlässigkeit medizinischer Diagnosen und Interventionen ist
in vielen Fällen, trotz gegenteiliger Erfahrungen, ungebrochen. Nur eine Mutter spricht
die Irrelevanz der Diagnose für das weitere
Vorgehen an: „Ob das ADHS ist oder nicht,
letzten Endes, finde ich, ist völlig egal (lacht).
Ich finde das Verhalten einfach ziemlich heftig
und anstrengend“ (I21P23). Sie wünscht sich
unabhängig von einer ADHS-Diagnose kompetente Hilfe; der ADHS-Verdacht ist bloß ein
Vorstellungsanlass.
Psychiatrie als Helfer
in der pädagogischen Not?
Welche Schlussfolgerungen lässt dieser knappe
Einblick in die Sichtweisen von Eltern zu? Wie
stellt sich die ADHS aus Elternsicht dar und
45
was drückt sich in den Erwartungen aus, die
Eltern an die Diagnostik haben? Schließlich:
Welche Konsequenzen lassen sich aus der
Gegenüberstellung der Expertenkontroversen
und den Elternerwartungen ziehen?
Zunächst einmal wird deutlich, dass das
Verständnis der meisten Eltern einem kategorialen Krankheitsmodell nahekommt: Die
meisten der Befragten glauben, dass man eine
ADHS eindeutig diagnostizieren kann und
dass nach erfolgter Diagnosestellung dann
auch eine wirksame Behandlung eingeleitet
wird. Auch die Eltern, die ihr Kind zum wiederholten Male zur diagnostischen Abklärung
vorstellen, zweifeln nicht an der Zuverlässigkeit
der Diagnose, sondern gehen davon aus, dass
die bisherige Behandlung nicht ausreichend
ist – möglicherweise sei das Medikament nicht
das richtige oder man bräuchte zusätzlich eine
Psychotherapie. Viele Eltern hätten sich letztere
übrigens gewünscht, berichten aber, dass sie der
Hinweis auf die langen Wartezeiten zunächst
abgeschreckt habe und sie es deshalb erst einmal mit einem Medikament probiert hätten.
Die pädagogische Dimension der Probleme wird in mehrfacher Hinsicht deutlich:
Zum einen entsprechen viele der berichteten
Verhaltensprobleme den typischen ADHSBeschreibungen in den diagnostischen Klassifikationen – wobei man hinzufügen muss,
dass die Eltern in ihrem Schilderungen häufig
auf Lehrerberichte zurückgreifen. Über das
Verhalten ihrer Kinder im Klassenzimmer oder
Kindergarten werden sie von den Lehrern oder
Erziehern informiert und oft zeigt sich eine
Diskrepanz zwischen dem, was Pädagogen
problematisch finden, und dem, was Eltern
stört. In einigen Fällen reagieren Eltern deshalb
trotz früher Beschwerden erst relativ spät, was
vor allem mit ihrem eigenen Belastungserleben
zusammenhängt. Diejenigen Eltern, die sich als
sozial und psychisch stark belastet beschreiben
(z. B. durch sozial und ökonomisch prekäre
Lebensverhältnisse), reagieren auf Beschwerden
früher und ziehen auch eher professionelle
Helfer (wie Ärzte, Erziehungsberater, Sozialpädagogen) hinzu als diejenigen, die von sich
sagen, dass sie selbst mit dem Verhalten ihres
Kindes unterm Strich gut zurechtkommen.
Nichtsdestotrotz treffen die Elternschil-
46
derungen in vielen Punkten die typischen
ADHS-Symptome. Gleichzeitig zeigen sie, dass
für die Eltern das Problem darin besteht, dass
sie weder durch Gut-Zureden, wiederholte
Aufforderungen, Erklärungen und diverse
Unterstützungsstrategien noch durch Strafen
eine dauerhafte Verhaltensänderung bewirken
können. Die meisten der interviewten Eltern
haben, bevor sie sich für die diagnostische
Abklärung einer ADHS entscheiden, diverse
Maßnahmen ergriffen, um ihrem Kind zu
helfen, aber die Erfahrung des Scheiterns führt
letztlich – vor dem Hintergrund der häufig
drängenden Forderungen von Pädagogen – zum
Entschluss einer diagnostischen Abklärung.11
Die Elternberichte zeigen darüber hinaus,
dass professionelle Pädagogen abhängig von
der Art der problematischen Verhaltensweisen
und vom Alter der Kinder tendenziell unterschiedlich reagieren: Bei jüngeren Kindern
wird motorische Unruhe und auch eine geringe
Konzentrationsfähigkeit offenbar eher toleriert;
erst mit dem Übertritt auf die weiterführenden
Schulen entsteht daraus ein Problem, um das
sich nun die Eltern kümmern sollen (z. B. bei
Frau Franke und ihrem Sohn Fabian). Kommen
hingegen zu den genannten Schwierigkeiten
auch Störungen des Sozialverhaltens hinzu,
werden von institutioneller Seite schon früh
Exklusionsstrategien angewandt und die Eltern
zum Handeln aufgefordert (so z. B. bei Frau
Conrad und ihrem Sohn Jonas). Mehrere Mütter
berichten, dass sie immer wieder dazu aufgefordert wurden bzw. werden, ihre Kinder aus
dem Kindergarten oder aus der Grundschule
abzuholen, weil das Verhalten des Kindes den
organisatorischen Rahmen sprengt und die
alltägliche pädagogische Praxis behindert. Die
Eltern suchen dann, in vielen Fällen aufgrund
der konkreten Empfehlungen der Pädagogen,
einen Arzt auf.
Somit vollzieht sich in dem Moment, in dem
Eltern den ADHS-Verdacht ernst nehmen, ein
Wechsel der institutionellen Referenz: Pädagogen geben Eltern die Rückmeldung, dass ihr
Kind verhaltensschwierig bzw. untragbar für die
Institution ist. Daraufhin wenden sich die Eltern
an einen Arzt, der darüber entscheiden soll, ob
es sich um eine psychische Erkrankung handelt
oder nicht. Anders als in den eingangs skizzier-
Nicole Becker
ten Überlegungen von Du Bois und Resch läuft
das nicht auf ein kooperatives Verhältnis von
Pädagogik und Psychiatrie hinaus, sondern auf
ein Delegations- und Korrekturverhältnis: Das
schwierige Kind wird dem Facharzt übergeben,
damit er die richtige Diagnose stellt und die
richtige Intervention veranlasst, so dass das
Kind mit besseren (Lern-)Voraussetzungen
in die Schule zurückkehren kann.
Die Tatsache, dass in einigen Fällen auch das
Thema Pharmakotherapie zuerst durch Akteure
im pädagogischen Feld ins Spiel gebracht wird,
stützt diese Deutung und zeigt darüber hinaus,
dass die Grenzen zwischen „Medikation als
Therapie“ und „pharmakologischem Enhancement“ (Steigerung der geistigen Leistungsfähigkeit durch die Einnahme psychoaktiver
Substanzen) in der erzieherischen Wirklichkeit
fließend sind. So berichtet beispielsweise eine
Mutter über ein Gespräch mit einer Lehrerin:
„die hatte […] Schüler, die auch Ritalin genommen haben, und die hatte dann auch gemeint:
‚Ja das ist eigentlich ganz toll (betont)’. Und die
älteren Kinder, die würden sich auch das selber
einstellen, die würden sagen: ‚Oh je, ich schreib
bald eine Arbeit, jetzt nehm ich das eine Weile
und lerne und schreib dann die Arbeit.’ Die
würden sich das selber dann irgendwie, sich
dann einrichten, wann sie’s nehmen, wie sie’s
nehmen, und die meinte eigentlich, das wär gar
nicht so schlecht und das würde auch nichts
schaden, das hätte keine sonstigen Nebenwirkungen oder bleibende Schäden würd’s auch
nicht verursachen. Und da dachte ich, […] es
wär ja schon was für die Sarah [ihre Tochter,
NB], vielleicht würde es ihr helfen.“ (I01P101).
Nur zwei Eltern gaben an, im Vorfeld keine
Informationen über die ADHS eingeholt zu
haben und auch von den biologischen Ursachen
der ADHS noch nichts gehört zu haben; alle
anderen Eltern waren darüber, wenn meistens
auch nur in groben Zügen, informiert. Das
biologische Ursachenmodell und der pharmakologische Behandlungsansatz waren in ihrem
Verständnis genauso miteinander verschränkt
wie es der Mainstream der ADHS-Diskussion
vorsieht: Ausgehend von einem biologischen
Erklärungsmodell würden fast alle Eltern einer
pharmakologischen Behandlung zustimmen
– vorausgesetzt, die ADHS wäre eindeutig
Grenzgänge zwischen Pädagogik und Psychiatrie
diagnostiziert und andere Maßnahmen wären
nicht erfolgversprechend. Den meisten fällt
diese Entscheidung zwar nicht leicht, doch am
Ende trauen sie dem Expertenvotum.
Nach Abschluss der Interviewauswertung habe ich auf Basis der Patientenakten
rekonstruiert, ob am Ende der ausführlichen
Diagnostik tatsächlich eine ADHS bzw. HKS
diagnostiziert wurde. Dabei zeigte sich, dass
vier der 21 Eltern die Diagnostik vorzeitig
abgebrochen hatten und von den restlichen
17 Kindern am Ende nur vier die Diagnose
HKS erhielten. Bei einigen Kindern wurden
„Störungen des Sozialverhaltens“, bei anderen
„Emotionale Störungen“ oder andere Störungen
diagnostiziert, in zwei Fällen wurde letztlich
gar keine psychiatrische Diagnose gestellt.
Interessanterweise wurde auch bei einigen
Kindern, die im Vorfeld die Diagnose ADHS
bekommen hatten, nun eine andere Diagnose
gestellt, was die oben angesprochene Problematik der diagnostischen Zuverlässigkeit einmal
mehr bestätigt.
Insgesamt stützen diese Ergebnisse die Einwände der Kritiker. Zugleich zeigen sie, dass sich
in der aktuellen Praxis der ADHS-Diagnostik
offenbar ein problematisches Verhältnis von
Pädagogik und Psychiatrie entwickelt. Aus
Sicht der Eltern üben insbesondere Pädagogen großen Druck aus, so dass die ständigen
Beschwerden aus der Schule, verbunden mit
der Sorge um die schulische Zukunft des
Kindes, letztlich vielfach ausschlaggebend
für die diagnostische Abklärung sind. Das
war auch bei Frau Imhof so: Die Beschwerden
von Achims Grundschullehrerin, verbunden
mit der Drohung, ihm eine Förderschulempfehlung auszusprechen, bewogen die Mutter
zunächst zu einer diagnostischen Abklärung
und schließlich zur Pharmakotherapie. Frau
Imhof begründet ihre Entscheidung so: „es
gibt einfach keine passende Schule, die auf
ADHS-Kinder eingestellt ist. Wo man sagt:
,Hey da sitzen sieben Kinder in der Klasse, und
die haben alle ADHS, und die Lehrer wissen
damit umzugehen.‘ […] Also das heißt, die
Kinder müssen in einer normalen Schule klar
kommen, und da steht man dann halt echt
zwischen den Stühlen. Also komm ich damit
zurecht, wenn mein Kind Medikamente nimmt
47
jeden Tag, oder kann ich es verantworten, dass
mein Kind in einer normalen Regelschule nicht
zurechtkommt und immer nur Probleme hat?“
(I11P51) .
Dieses Anpassungsargument führen auch
andere Eltern an, wenn sie über ihre Entscheidung zur Pharmakotherapie erzählen. Dahinter
steht eine nachvollziehbare Überlegung: Aus
Sorge um die (schulische) Zukunft ihrer Kinder
akzeptieren die Eltern eine Intervention, die
sie zwar durchaus heikel finden, die jedoch
in Anbetracht der ADHS-Diagnose geboten
scheint. Das funktioniert allerdings nur dann,
wenn die Diagnose als Antwort auf die Frage
nach den Ursachen des problematischen Verhaltens akzeptiert und der Krankheitsstatus
der ADHS nicht hinterfragt wird.
Unter den befragten Eltern gab es (nur) zwei,
die sich im Vorfeld der diagnostischen Abklärung vergleichsweise intensiv mit dem Thema
ADHS auseinandergesetzt hatten. Je mehr
Informationen sie einholten, umso skeptischer
sahen beide das Thema, so dass sie sich zwar
zur Abklärung entschlossen, jedoch auf eine
Zurückweisung des Verdachts hofften. Herr
Nuhn hatte im Vorfeld diverse Internetforen
durchstöbert und auch ein Gespräch mit dem
Kinderarzt seiner Tochter geführt, über das er
sagt: „wo ich natürlich verunsichert bin, ist über
die Aussage des Herrn [Name Arzt], dass es wohl
keine eindeutige Erkennung gibt. […] Es gibt
wohl keine gefestigte Nachweismethode, habe
ich verstanden. Das ist natürlich, ist ein bisschen
beunruhigend, weil letztendlich bleibt man ja
dann in der Verantwortung, auf auf der Basis
von ungesicherten Daten eine Entscheidung zu
treffen. Es wäre leichter, wenn man das zu 100
Prozent wüsste oder nicht wüsste“ (I08P142).
Herr Nuhn hat verstanden, dass die Diagnose
nicht auf der Grundlage objektiver Testverfahren gestellt wird und potentiell „irrtumsanfällig“
ist; dadurch würde die Entscheidung über eine
pharmakologische Behandlung zum Problem.
Das wirft die Frage auf, ob die Expansion
der ADHS nicht zuletzt auch der einseitigen
öffentlichen Berichterstattung geschuldet ist, die
eine biologische Sichtweise ins Zentrum stellt,
ohne die Schwierigkeiten bei der Klassifikation
und Diagnose der Störung offenzulegen. Es
wäre daher interessant zu untersuchen, ob eine
48
ausgewogenere Information all derjenigen, die
in ihrem persönlichen oder beruflichen Umfeld
mit dem Thema ADHS potenziell in Berührung kommen, nicht letztlich eine kritischere
Haltung und einen bewussteren Umgang mit
dem Thema erzeugen könnte.
Anmerkungen
1 Entsprechende Bestimmungen finden sich
beispielsweise in den Schulgesetzen der Bundesländer und im 8. Sozialgesetzbuch („Kinderund Jugendhilfe“) sowie im 5. Sozialgesetzbuch
(„Gesetzliche Krankenversicherung“).
2 Bestimmte psychische Störungen gehen mit
hirnfunktionellen oder neuroanatomischen
Veränderungen einher. Deshalb wird der Einsatz
neurowissenschaftlicher Forschungsmethoden,
insbesondere sogenannter „bildgebender Verfahren“, in der Diagnostik psychischer Störungen
gegenwärtig diskutiert. Experten sind sich jedoch
weitgehend einig darüber, dass sich solche Verfahren bislang nicht als diagnostische Instrumente
eignen (vgl. Hyman 2007).
3 Gelegentlich wird auch die Abkürzung ADS
verwendet, die für eine Aufmerksamkeitsstörung
ohne Hyperaktivität stehen soll. Das spiegelt den
„vorwiegend unaufmerksamen Subtyp“ wider,
der zwar im DSM-IV existiert, in der ICD-10
jedoch nicht. Die Verfasser der ICD haben sich
gegen die Aufnahme eines solchen Störungsbildes
entscheiden: „Wie die Praxis gezeigt hat, wirft der
überwiegend unaufmerksame Typus differentialdiagnostische Probleme auf, indem die entsprechende Symptomatik auch bei Störungsbildern
vorkommt, die anderen diagnostischen Kategorien
zuzuordnen sind.“ (Bundesärztekammer 2005, S.
9)
4 Die Orientierung des Erziehungsbegriffs an
ausschließlich intentionalen Handlungen wird in
der Erziehungswissenschaft seit langem kritisch
diskutiert. In diesem Beitrag nutze ich diese
Erziehungsdefinition in heuristischer Absicht.
5 Die Erklärung, die unter dem Titel „Stellungnahme
des zentralen adhs-netzes zu häufigen Fehlinformationen der Presse zur AufmerksamkeitsdefizitHyperaktivitätsstörung“ auf der Homepage des
Zentralen ADHS-Netzes veröffentlicht wurde,
ist von vier renommierten deutschen ADHSForschern unterzeichnet. Darin heißt es gleich zu
Beginn, dass sich in der Öffentlichkeit kursierende
Fehlinformationen vermutlich „ungünstig auf eine
leitlinienbasierte Versorgung von Betroffenen
aus[wirkt]“ (S. 1). Deshalb wollen die Experten
„zu häufigen Streitpunkten fundiert Stellung neh-
Nicole Becker
men und so zur Versachlichung der Diskussion“
beitragen (ebd.).
6 Zu den am häufigsten zitierten Autoren in
der kritischen ADHS-Diskussion gehört der
Neurobiologe Gerald Hüther (vgl. z. B. den
Sammelband von Bonney 2008), der selbst eine
kritische Position vertritt, die er unter anderem
mit dem Argument der „erfahrungsabhängigen
Hirnentwicklung“ stützt. Seine neurobiologischen
Argumente leitet er vor allem aus tierexperimentellen Studien ab. Dabei ergeben sich die gleichen
Probleme wie bei der Darstellung neurochemischer und genetischer Grundlagen der ADHS: Es
handelt sich um Ableitungen und (Tier-Mensch-)
Übertragungen und nicht selten auch um Umkehrschlüsse (von entwicklungshemmenden auf
entwicklungsfördernde Faktoren).
7 Die erste Diagnostik fand nicht in der Ambulanz
der Kinder- und Jugendpsychiatrie statt, sondern
in den meisten Fällen bei niedergelassenen
Kinderärzten oder Fachärzten für Kinder-und
Jugendpsychiatrie. Bei vier Kindern war im Vorfeld
ein Verdacht auf eine ADHS geäußert worden,
bei einem Kind war der Verdacht zurückgewiesen worden und bei den restlichen neun lag eine
gesicherte Diagnose vor.
8 Zum Beispiel wurde ausgehend von den Antworten auf den Erzählimpuls das Merkmal „Kontext
des ADHS-Verdachts“ mit den Ausprägungen
„Medizinischer Kontext“, „Pädagogisch-institutioneller Kontext“ und „Familiärer Kontext“
herausgearbeitet. Das bedeutet, dass der Verdacht
in allen 21 Fällen in einem dieser drei Kontexte
entstand und die Fälle entsprechend gruppiert
werden können.
9 Sämtliche Personennamen in den Interviews
wurden pseudonymisiert. Die Interviews wurden
nach einem vereinfachten System transkribiert,
das folgende Kennzeichnungen nutzt: nonverbale
Äußerungen werden in Klammern an der entsprechenden Stelle aufgenommen, z.B. (lacht); drei
Punkte mitten im Satz … kennzeichnen einen
abgebrochenen Satz; ein Komma in Klammern
(-) kennzeichnet eine Sprechpause, die länger als
3 Sekunden ist; drei Punkte in eckigen Klammern
[…] kennzeichnen eine Auslassung der Autorin
im Zitat. Die Angaben in Klammern hinter
den Zitaten beziehen sich auf die Nummer des
Interviews und die Position der Sprechpassage,
z. B. (I03P134) = Interview 3, Passage 134.
10 Dabei handelt es sich um „Hilfen zur Erziehung“
(§27ff.) nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz
(8. Sozialgesetzbuch).
11 Die Maßnahmen der Eltern umfassen sowohl
unmittelbare Handlungen (z. B. Üben, Strukturierung des Tages, konkrete Unterstützung während
der Hausaufgaben) als auch Entscheidungen, die
das schulische Umfeld betreffen (z. B. Schul-
Grenzgänge zwischen Pädagogik und Psychiatrie
formwechsel, Schulwechsel oder Wiederholung
von Schulklassen). Darüber hinaus ziehen viele
Eltern schon vor der Kontaktaufnahme zu einem
Arzt externe Helfer, z.B. Heilpraktiker oder
Hausaufgabenbetreuer, hinzu. Einige Eltern
beschreiben, dass sie auch ihr eigenes Verhalten
geändert hätten (z. B. inspiriert durch Ratgeber
oder Elternprogramme).
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162
Berliner Debatte Initial 24 (2013) 1
Autoren
Nicole Becker, Prof. Dr.,
Erziehungswissenschaftlerin, Technische
Universität Berlin
Ulrich Busch, Dr. habil.
Finanzwissenschaftler, Berlin, Mitglied der
Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu
Berlin
Regina Casper, Prof. em., Dr.,
Ärztin, Department of Psychiatry, Stanford
University Medical School, CA, USA
Irina Anatoljewna Flige,
Direktorin des Forschungs- und Informationszentrums von „Memorial“ Sankt Petersburg, Leiterin des Forschungsprojektes
„Virtuelles Museum des Gulag“
Jonas Frister, M.A.,
Erziehungswissenschaftler, Universität
Münster
Lew Dmitrijewitsch Gudkow, Dr.,
Soziologe, Direktor des Analytischen JurijLewada-Zentrums, Moskau
Wladislaw Hedeler, Dr.,
Historiker und Publizist, Berlin
Max Koch, Prof. Dr.,
Soziologe, Lund University, Faculty of Social
Sciences
Alexander Dawydowitsch Margolis,
Vorsitzender der Sankt Petersburg Filiale
der Allunionsvereinigung zum Schutz von
historischen und Kulturdenkmalen, Vorsitzender des Rates des Forschungs- und Informationszentrums von „Memorial“ Sankt
Petersburg
Thomas Müller, M.A.,
Erziehungswissenschaftler, Universität
Münster
Mario Neukirch, Dr.
Soziologe und Politikwissenschaftler,
Universität Stuttgart, Helmholtz-Allianz
Energy-Trans
Oliver Neun, Dr.
Fachbereich Gesellschaftswissenschaften,
Universität Kassel
Mariele Nientied, PD, Dr. habil.,
Philosophin, Viadrina-Universität Frankfurt/
Oder
Anatoli Jakowlewitsch Rasumow,
Herausgeber des „Leningradskij Martirolog“
und Leiter der Gruppe „Wiedergegebene Namen“ bei der Russischen Nationalbibliothek,
Sankt Petersburg
Oliver Römer, Diplom-Soziologe,
Fachbereich für Philosophie und Gesellschaftswissenschaften, Universität Marburg
Ulrich Salaschek, Dr. phil.
Humboldt-Universität zu Berlin
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