Imagination 2/2009

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ÖGATAP
2/2009
Hans-Jürgen Wirth
Narzissmus und Machtmissbrauch in der Psychotherapie
Harald Ullmann
Die metaphorische und narrative Dimension der Katathym
Imaginativen Psychotherapie (KIP) – Über den Zusammenhang von Symbol, Drama und Metapher
Leonore Kottje-Birnbacher
Die Liebe in der Paartherapie mit KIP
Barbara Hauler
Geschlechtsunterschiede im therapeutischen Prozess
Alle Rechte vorbehalten
www.oegatap.at
Impressum
Die Imagination ist eine wissenschaftliche Pu­
blikation der Internationalen Gesellschaft für
Katathymes Bilderleben IGKB und das offi­
zielle Organ der Öster­reichischen Gesellschaft
für angewandte Tiefenpsychologie und allge­
meine Psychotherapie (ÖGATAP).
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Eberhard Wilke, Malente
Herausgeber und Eigentümer:   Öster­reichi­
sche Gesellschaft für angewandte Tiefenpsy­
chologie und allgemeine Psychotherapie,
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Schriftleitung:  Dr. Josef Bittner
Lektorat:   Dr. Wilfried Dieter
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Leonore Kottje-Birnbacher, Düsseldorf
Wolfgang Ladenbauer, Wien
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Druck:  Facultas Verlags- und Buchhandels AG
Bezug:  Für Mitglieder der Österreichischen
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gie und allgemeine Psychotherapie im Jahres­
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Nach § 25 (2):
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lie­gen der Österreichischen Gesellschaft für
angewandte Tiefenpsychologie und all­ge­
mei­ne Psychotherapie und soll über ver­schie­
dene Thera­pie­methoden und vor allem deren
Anwendung in der Praxis informieren.
Inhalt
31. Jahrgang, Nr. 2/2009
Editorial 3
Hans-Jürgen Wirth
Narzissmus und Machtmissbrauch in der Psychotherapie 5
Harald Ullmann
Die metaphorische und narrative Dimension der Katathym
Imaginativen Psychotherapie (KIP) – Über den Zusammenhang
von Symbol, Drama und Metapher 20
Leonore Kottje-Birnbacher
Die Liebe in der Paartherapie mit KIP 46
Barbara Hauler
Geschlechtsunterschiede im therapeutischen Prozess 64
Heinrich Wallnöfer
Nachruf auf Univ.-Prof. univ. med. Dr. Alois Moritz Becker 80
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Imagination, Nr. 2 /2009
Editorial
3
Editorial
Liebe Leserinnen, liebe Leser!
Die Beiträge im vorliegenden Heft der »Imagination« spannen inhaltlich einen
weiten Bogen. Drei Artikel stellen die KIP in verschiedenen Anwendungsformen
und unter verschiedenen theoretischen Blickwinkeln dar. Eine vierte Arbeit
beschäftigt sich mit dem hoch brisanten Thema »Missbrauch« in der Therapie,
das als Gefahr alle psychotherapeutischen Methoden bzw. alle therapeutischen
Beziehungen betrifft. 
Hans-Jürgen Wirth schreibt über »Narzissmus und Machtmissbrauch in der Psychotherapie« und stellt die psychologischen und soziologischen Voraussetzungen
dar, unter denen es besonders leicht oder häufig zu sexuellem oder narzisstischem
Missbrauch in Psychotherapien kommen kann. Die psychologischen Aspekte
leitet Wirth ab aus den Konzepten von Horst-Eberhard Richter und Jürg Willi,
die soziologischen vor allem aus den erstaunlich modern wirkenden Vorstellungen
des großen Soziologen Max Weber. Mit Hinweisen auf die Ausbildungssituation
für Psychotherapeuten und die Probleme der institutionalisierten Psychoanalyse
greift Wirth gegen Ende seines Textes Aspekte der Prävention auf, die in Bezug
auf das Thema »Missbrauch in Therapien« eine ganz prominente Rolle spielt.
»Die metaphorische und narrative Dimension der Katathym Imaginativen
Psychotherapie (KIP)« lautet der Titel der Arbeit von Harald Ullmann. Das
Hauptziel dieser ungemein kenntnisreichen Studie ist es, eine Metaphernvielfalt
im theoretischen Konzept der KIP zu erhalten und nicht durch eine »Flurbereinigung der Begriffe« eine einzige Wahrheit anzustreben, die vernebelt, dass
unsere theoretischen Konzepte, egal wie ausgearbeitet oder schlüssig sie scheinen
mögen, doch nie mehr sein können als Hinweise für »Optionen für Sicht- und
Handlungsweisen«.
Leonore Kottje-Birnbacher stellt ihr Modell der Paartherapie vor, zu dem ganz
wesentlich auch die Einbeziehung von Imaginationen gehört. Sie zeigt, wie die
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Editorial
Imaginationen einem Paar zu einer »Auszeit« verhelfen können, die für Erholung,
Ressourcenaktivierung und zum Erproben neuer Rollen und Verhaltensmuster
genutzt werden kann. Es handelt sich dabei offenbar um eine spezielle und sehr
kreative Anwendung des Winnicott’schen Konzepts vom potentiellen Raum.
Barbara Hauler schreibt über »Geschlechtsunterschiede im therapeutischen
Prozess«. Sie arbeitet anhand von zwei Fallbeispielen und einer gründlichen
Sichtung der einschlägigen Literatur heraus, dass auch heute noch viel zu wenig
Wert auf die Geschlechtszugehörigkeit des Patienten/des Therapeuten gelegt wird
und ein irrationaler Konsens weiterlebt, Übertragung und Gegenübertragung
könnten sich in ihrem Verlauf unabhängig vom Geschlecht entwickeln bzw. so
verstanden werden.
Abgeschlossen wird das Heft mit einem Nachruf von Heinrich Wallnöfer auf den
verstorbenen verdienstvollen Professor Alois Moritz Becker.
Wie immer hoffe ich, dass ich Ihnen Appetit auf die Lektüre der Artikel unseres
vorliegenden Heftes machen konnte und verbleibe
Mit herzlichen Grüßen,
Ihr
Wilfried Dieter
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Narzissmus und Machtmissbrauch in der Psychotherapie
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Narzissmus und Machtmissbrauch
in der Psychotherapie
Hans-Jürgen Wirth
Macht in der therapeutischen Beziehung
Den »unmöglichen Beruf« (Freud 1937) des Psychotherapeuten ergreift man nur,
wenn man das unabweisbare Bedürfnis hat, sich auf »die Suche nach dem wahren
Selbst« (Miller 1997) zu begeben, weil das »falsche Selbst« (Winnicott 1965) so lange
dominiert hat. Niemand wird Therapeut – so formuliert Schmidt-Lellek (1995) –
ohne narzisstisches Grundproblem. Möller (2004) bezeichnet viele Therapeuten
gar als »Überlebende aus Katastrophenfamilien«, die in ihren Herkunftsfamilien
die Aufgabe übernahmen, das Familiensystem aufrecht zu erhalten. Diese Therapeuten lernen schon als Kinder, psychosoziale Antennen für die Probleme anderer
auszubilden. Ihre früh entwickelte Sensibilität und ihre ausgeprägte Begabung,
sich in die Gefühlslage ihrer Mitmenschen einzufühlen, prädestiniert sie zwar für
einen helfenden Beruf, macht sie jedoch zugleich anfällig dafür, sich entweder
von anderen narzisstisch missbrauchen zu lassen oder auch umgekehrt, andere
zur Stabilisierung des eigenen Selbstwertgefühls zu funktionalisieren. Wolfgang
Schmidbauer (1977) hat mit dem »Helfersyndrom« eine Formulierung gefunden,
die diese Zusammenhänge bis in das Alltagsbewusstsein hinein transportiert hat.
Betrachten wir nach den subjektiven Ausgangsbedingungen nun die soziologische
Dimension der psychotherapeutischen Situation unter dem Aspekt der Macht.
Der Soziologe Max Weber (1921, S. 28) definiert Macht als »jede Chance, innerhalb
einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstand durchzusetzen, gleichviel, worauf diese Chance beruht.« Die komplementären Rollen
von Therapeut und Patient, die ungleiche Verteilung spezifischer Kompetenz
und die unterschiedliche emotionale Ausgangslage begünstigen die Chancen des
Therapeuten, seinen Willen – auch gegen den Widerstand des Patienten – durchzusetzen. Umgekehrt fördern die emotionale Abhängigkeit und Bedürftigkeit
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Hans-Jürgen Wirth
des Patienten, seine passive, leidende und Hilfe suchende Gefühlslage und seine
geschwächten Ich-Funktionen bei ihm die Bereitschaft, dem Therapeuten Macht
zuzugestehen und sich willig zu fügen (Heimannsberg 1995, S. 12). In seinem
berühmten Essay »Politik als Beruf« richtet Weber im Zusammenhang mit den
negativen Wirkungen der Macht seinen soziologischen Blick auf »einen ganz
trivialen, allzu menschlichen Feind […]: die ganz gemeine Eitelkeit« (Weber 1919,
S. 74). Er bezeichnet die Eitelkeit als eine »Berufskrankheit« der Politiker und
der Wissenschaftler und vermutet, die Eitelkeit sei eine Eigenschaft, von der sich
niemand so ganz frei wähnen könne. Weber gibt auch eine implizite Definition
von Machtmissbrauch: »Die Sünde gegen den heiligen Geist seines Berufs aber
beginnt da, wo dieses Machtstreben unsachlich und ein Gegenstand rein persönlicher Selbstberauschung wird, anstatt ausschließlich in den Dienst der ›Sache‹
zu treten« (S. 75). Interessanterweise thematisiert Weber hier implizit den engen
Zusammenhang zwischen Narzissmus und Macht (Wirth 2002), auch wenn ihm
der Begriff des Narzissmus als Soziologe nicht geläufig war. Übrigens hätte Weber
den Begriff des Narzissmus, den Freud mit seinem Artikel »Zur Einführung des
Narzissmus« 1914 in die Psychoanalyse einführte, durchaus kennen können, denn
Webers Ausführungen über Politik als Beruf sind von 1919. Aber leider waren
Psychoanalyse und Soziologie damals sehr getrennte Wissenschaften, die kaum
voneinander Notiz nahmen, und sind es z. T. auch heute noch. Max Webers
Überlegungen folgend definiere ich Machtmissbrauch in der Psychotherapie wie
folgt: Wir können dann von Machtmissbrauch sprechen, wenn der Therapeut
seine Stellung dazu benutzt, Interessen und Bedürfnisse zu befriedigen, die mit
der sachlichen Aufgabe, seinen Patienten zu therapieren, nichts zu tun haben,
sondern primär oder ausschließlich seiner »persönlichen Selbstberauschung«,
seiner »Eitelkeit«, also seinem pathologischen Narzissmus dienen.
Neuere Untersuchungen zur Qualitätssicherung von Psychotherapie zeigen,
dass auch psychotherapeutische Behandlungen Risiken und unerwünschte
Nebenwirkungen beinhalten (Märtens, Petzold 2002). Eine wesentliche Ursache
für Therapieschäden ist der Machtmissbrauch durch Therapeuten.
Macht als Verleugnung von Abhängigkeit
Die amerikanische Psychoanalytikerin Jessica Benjamin (1996) hat in ihrem Buch
»Die Fesseln der Liebe« den Versuch unternommen, das Problem der Macht mit
der existenziellen Abhängigkeit des Menschen einerseits und seinem ebenso existenziellen Bedürfnis nach Souveränität andererseits in Verbindung zu bringen. Der
Mensch ist nicht nur, wenn er als völlig hilfloser Säugling auf die Welt kommt,
sondern sein ganzes Leben lang auf die Anerkennung durch andere Menschen
angewiesen. Schon der Säugling hat ein primäres Interesse am Kontakt mit
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Narzissmus und Machtmissbrauch in der Psychotherapie
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anderen Menschen, vor allem der Mutter, das sich nicht auf das Bedürfnis nach
Nahrungsaufnahme und orale Bedürfnisse beschränkt. Damit sich ein Gefühl
der Identität entwickeln kann, bedarf es eines Gegenübers, das durch Liebe und
Anerkennung das Selbst-Gefühl bestätigt – oder genauer: überhaupt erst konstituiert. »Niemand kann sich der Abhängigkeit von anderen oder dem Wunsch
nach Anerkennung entziehen«, fasst Benjamin (1996, S. 53) diesen Gedanken
zusammen. Die Erfahrung, auf den anderen und sein Wohlwollen in fundamentaler Weise angewiesen zu sein, gehört zu den schmerzlichsten, aber auch
beglückendsten Erfahrungen, denen jeder Mensch vom Beginn seines Lebens an
immer wieder ausgesetzt ist.
Die Ausübung von Macht und der pathologische Narzissmus stellen Strategien
dar, um dieser Abhängigkeit zu entgehen (Wirth 2002). Wenn das Subjekt seine
Abhängigkeit von einer anderen Person zu leugnen versucht, kann es danach
trachten, diese Person mit Hilfe der Macht zu unterjochen, zu versklaven oder
sich in anderer Form gefügig zu machen. Der andere soll gezwungen werden, seine
Anerkennung auszudrücken, ohne selbst Anerkennung zu ernten. Die Anhäufung
von noch so viel Macht kann das menschliche »Urbedürfnis« nach Liebe und
Anerkennung jedoch nicht ersetzen, sondern nur umformen und ausnutzen.
Wer Macht hat, kann sich Liebe und Anerkennung erzwingen und erkaufen. Er
verschleiert damit seine fundamentale Abhängigkeit, ohne sie jedoch wirklich
aufheben zu können. »Damit beginnt ein Circulus vitiosus: Je mehr der andere
versklavt wird, desto weniger wird er als menschliches Subjekt erfahren, und desto
mehr Distanz oder Gewalt muss das Selbst gegen ihn einsetzen« (Benjamin 1996,
S. 213). Das daraus folgende Fehlen von Anerkennung führt beim Mächtigen
jedoch zu einer narzisstischen Mangelerfahrung und zu narzisstischer Wut, die
er mit einer weiteren Steigerung seiner Macht beantwortet. Aus dieser Dynamik
leitet sich der suchtartige Charakter von Machtprozessen ab, der sich sowohl in
unseren privaten Beziehungen, in der Politik, aber auch in der Therapeut-PatientBeziehung beobachten lässt.
Macht und Ohnmacht in Paarbeziehungen
Menschen, die unter einem gestörten Selbstwertgefühl leiden, entwickeln häufig
als Bewältigungsstrategie ein übersteigertes Selbstbild, das durch die Ausübung
von Macht eine Stärkung erfährt. So kommt es auch in Paarbeziehungen häufig vor,
dass der eine Partner – von untergründigen Selbstwertzweifeln geplagt – ständig
versucht, den anderen zu dominieren. Er zwingt ihm seinen Willen auf, um sich
selbst zu beweisen, dass er der Wertvollere, der Klügere, der Überlegene ist. Bei
solchen paardynamischen Machtkämpfen tritt der inhaltliche Aspekt – welche
Ent­scheidungen und Handlungen nun im Einzelnen durchgesetzt werden sollen –
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Hans-Jürgen Wirth
mehr und mehr in den Hintergrund zugunsten der bloßen Tatsache, den eigenen
Willen wieder einmal durchgesetzt zu haben. Die Machtausübung dient der
narzisstischen Gratifikation.
Konstellationen, die die Ausübung von Macht begünstigen, können u. a. darin
bestehen, dass die Partner besonders bereitwillig sind, sich auf die Bedürfnisse
eines pathologischen Narzissten einzulassen, weil dies ihren eigenen pathologischen Wünschen nach Anpassung und Unterwerfung entgegenkommt. Schon
Wilhelm Reich (1922) hat »Zwei narzisstische Typen« unterschieden: Der Typus
des phallischen Narzissten zeichnet sich durch eine übersteigerte und demonstrativ
zur Schau getragene Selbstsicherheit aus, um damit sein latentes Minderwertigkeitsgefühl zu kompensieren. Ihm könnte man raten: »Mach dich nicht so
groß, so klein bist du doch gar nicht.« Beim zweiten Typus des Narzissten ist
es genau umgekehrt: Er leidet unter einem manifesten Minderwertigkeitsgefühl,
hinter dem sich latente Größenphantasien verbergen. Auf ihn trifft das Motto zu:
»Mach dich nicht so klein, so groß bist du doch gar nicht.« In der Terminologie
des Paartherapeuten Jürg Willi (1972) würde man vom phallischen Narzissten
und vom Komplementär-Narzissten sprechen, die sich in einer »narzisstischen
Kollusion« ergänzen.
Therapeut, Patient und Neurose
Horst-Eberhard Richter hat in seinem für die psychoanalytische Familientherapie
wegweisenden Buch »Eltern, Kind und Neurose« (1963) den Gedanken entwickelt,
dass viele psychische Störungen von Kindern dadurch bedingt seien, dass Eltern
ihre Kinder zur »Erfüllung ihrer unbewussten Erwartungsphantasien« funktionalisieren. Diese Eltern stehen »selbst unter dem Druck affektiver Konflikte«
und »saugen das Kind gewissermaßen in ihren eigenen Konflikt hinein« (ebd.,
S. 73). Dem Kind wird dabei die Funktion oder Rolle zugewiesen, »den Eltern zu
einer Entlastung von ihrer Konfliktspannung zu verhelfen« (ebd.). Diese Überlegungen lassen sich unschwer auf das Verhältnis zwischen Therapeut und Patient,
das ebenfalls durch ein reales Machtgefälle gekennzeichnet ist, übertragen. Mit
seinem im Rahmen der Paartherapie entwickelten Kollusions-Konzept hat Jürg
Willi (1975) eine ergänzende Perspektive formuliert, indem er die welchselseitigen
unbewussten Rollenerwartungen, das unbewusste Zusammenspiel zweier Partner,
in den Mittelpunkt seiner Betrachtung stellte. Auch diese beziehungsdynamische Betrachtungsweise stellt eine wichtige Hilfe zur Analyse missbräuchlicher
Therapeut-Patient-Beziehungen dar, wobei hier der affektive Beitrag des Patienten
mit thematisiert wird. Ich werde Richters Ansatz etwas stärker akzentuieren, da
ich deutlich machen will, dass die Verantwortung für eine »sachlich« und fachlich
angemessene (und entsprechend auch für die unprofessionelle, missbrauchende)
Imagination, Nr. 2 /2009
Narzissmus und Machtmissbrauch in der Psychotherapie
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Ausübung der Therapeutenrolle allein beim Therapeuten liegt. Der Patient darf –
und soll sogar – den Therapeuten emotional benutzen und »missbrauchen« in
dem Sinne, dass er seine unbewussten Konflikte auf den Therapeuten überträgt.
Es gehört zu den zentralen Kompetenzen eines Therapeuten, damit angemessen
umgehen zu können.
In Richters psychoanalytischem Rollenkonzept geht es um eine Charakterisierung
der Eltern-Kind-Beziehung in der Familie. Das Modell fußt auf zwei psychoanalytischen und einem soziologischen Konzept:
1. der Theorie der Abwehrmechanismen;
2. Freuds zwei Typen der Objektwahl;
3. der soziologischen Rollentheorie, die mit dem psychoanalytischen Konzept
der Abwehrmechanismen verbunden wird.
Betrachten wir zunächst die Abwehrmechanismen. Diese stellen einen sehr
zentralen und recht gut ausgearbeiteten Baustein der psychoanalytischen Theorie
dar. Anna Freud (1936) beschreibt in ihrem Buch Das Ich und die Abwehrmechanismen unter anderen: Verdrängung, Regression, Reaktionsbildung, Rationalisierung, Intellektualisierung, Ungeschehenmachen, Projektion, Verschiebung,
Identifikation mit dem Angreifer usw.
Während die frühe psychoanalytische Theorie die Abwehrmechanismen nur
als intrapsychische Vorgänge beschreibt, geht Richter einen Schritt weiter mit
der Überlegung, dass wir auch unsere Mitmenschen dazu benutzen können, um
unsere unbewussten Konflikte abzuwehren. Dieser Gedanke ist die entscheidende
Neuerung bei Richter. Er spricht in diesem Zusammenhang von psychosozialen
Abwehrmechanismen. Viele psychische Störungen von Kindern sind dadurch
bedingt, dass Eltern ihre Kinder zur »Erfüllung ihrer unbewussten Erwartungsphantasien« funktionalisieren. Häufig findet man bereits vor der Geburt des
Kindes sehr »differenzierte Phantasien der Eltern über die Position, die das Kind
in der Familie einnehmen soll« (Richter 1976, S. 9). Das beste Beispiel ist Ödipus.
Seine Eltern, Laios und Jokaste, hatten aufgrund eines Orakelspruches schon lange
vor seiner Geburt, ja sogar schon vor seiner Zeugung, die Phantasie, von Ödipus
werde großes Unheil ausgehen. Deshalb ließen sie ihn mit durchbohrten Füßen
allein im Gebirge aussetzen. Ödipus ist also ein von seinen Eltern vernachlässigtes
und misshandeltes Kind, das seiner Tötung nur knapp entrinnen konnte. Ödipus
ist ein »Frühgestörter«, ein Umstand, der in der psychoanalytischen Theoriebildung nahezu vollständig ausgeblendet blieb (vgl. Wirth 2004). Auch bleibt
die merkwürdige Tatsache festzuhalten, dass es sich bei diesem für die Psychoanalyse so zentralen Mythos von Ödipus um ein Familiendrama, das durch die
unbewussten Ängste und Projektionen der Eltern in Gang gesetzt wird, handelt.
In diesem familiären Geschehen wird dem Kind die Funktion z­ ugewiesen, »den
Imagination, Nr. 2 /2009
10
Hans-Jürgen Wirth
Eltern zu einer Entlastung von ihrer Konfliktspannung zu verhelfen« (Richter
1963, S. 73).
Um die Funktion des Kindes für die Abwehrorganisation der Eltern theoretisch
näher zu bestimmen, greift Richter nun auf den aus der Soziologie stammenden
Begriff der »Rolle« zurück. Er definiert die kindliche Rolle als die Gesamtheit
»der unbewussten elterlichen Erwartungsphantasien« (ebd.), die dem Kind die
Erfüllung einer bestimmten Funktion zuweisen. Die Eltern benutzen das Kind in
einer spezifischen Rolle, mit deren Hilfe sie ihre eigenen unbewussten Konflikte
abwehren können. »Die Rolle des Kindes bestimmt sich also aus der Bedeutung,
die ihm im Rahmen des elterlichen Versuchs zufällt, ihren eigenen Konflikt zu
bewältigen« (ebd.).
Um diese Rollenmuster nun genauer auszudifferenzieren, greift Richter auf
Freuds zwei Typen der Objektwahl zurück: den narzisstischen Typus und den
Anlehnungstypus. Nach Freud (1914, S. 154) suchen wir in unseren Partnern
entweder einen Aspekt des eigenen Selbst (in diesem Fall sprechen wir von
Projektion bzw. dem narzisstischen Typus der Objektwahl) oder wir suchen im
Partner einen Ersatz für eine Objektbeziehung aus der Kindheit. In diesem Fall
folgt die Beziehung dem Muster der Übertragung.
Nach Freud (1914, S. 154) hat der Mensch »zwei ursprüngliche Sexualobjekte:
sich selbst und das pflegende Weib«. Manche Menschen wählen ihre Liebesobjekte
nach dem Vorbild ihrer eigenen Person. »Sie suchen offenkundigerweise sich selbst
als Liebesobjekt, zeigen den narzißtisch zu nennenden Typus der Objektwahl«
(ebd.). Andere Menschen wählen ihr späteres Liebesobjekt »nach dem Vorbild
der Mutter«. Diesen Typus der Objektwahl nennt Freud »Anlehnungstypus«,
weil die Objektwahl in Anlehnung an eine Elternfigur ausgesucht wird. Genau
genommen hätte Freud auch vom »Übertragungstypus« der Objektwahl sprechen
können, weil das Subjekt seine Elternbeziehung auf den Partner überträgt. Die
beiden grundlegenden psychischen Vorgänge sind also 1. die Projektion und 2.
die Übertragung.
Richters Rollentypen folgend können zwei Muster unterschieden werden, nach
denen der Therapeut seinen Patienten unbewusst missbrauchen kann: Entweder
sucht der Therapeut im Patienten ein Substitut für einen Aspekt des eigenen
Selbst (narzisstische Projektion), oder er will den Patienten in die Rolle drängen,
Ersatz für einen anderen Partner zu sein (Übertragung). Betrachten wir zunächst
die erste Gruppe:
1. Der Patient soll Abbild des eigenen Selbst sein. Er soll so werden, wie der
Therapeut sich selbst sieht. Diese Rollenerwartung tritt bei narzisstisch gestörten
Therapeuten auf, die sich selbst im Mittelpunkt sehen und nicht ertragen können,
dass »ihre« Patienten, für die sie sich so sehr einsetzen, anders sind und anders
werden als sie selbst. Bei Fallbesprechungen fällt dieses Beziehungsmuster dadurch
Imagination, Nr. 2 /2009
Narzissmus und Machtmissbrauch in der Psychotherapie
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auf, dass man nicht »zwischen« Therapeut und Patient kommt. Beide sind so
eng miteinander verbunden, dass der Therapeut alle Kommentare von Kollegen
nur als Störung seiner innigen Vertrautheit mit »seinem« Patienten auffassen
kann. In der Perspektive von Willis Kollusions-Konzept bilden beide eine narzisstische Union, die ihnen »ein ozeanisches Glücksgefühl, einen Urzustand, der
durch keine Subjekt-Objekt-Spaltung getrübt wird« (Willi 1975, S. 69), beschert.
2. Der Patient als Substitut des idealen Selbst des Therapeuten: Der Patient soll
die unerfüllten Wünsche und Ideale des Therapeuten verwirklichen. Häufig tritt
dieses Muster bei sogenannten »Lieblingspatienten« auf. Der Therapeut nimmt
voll Bewunderung am bewegten oder auch besonders erfolgreichen Leben seines
Patienten teil und idealisiert dessen Eskapaden, weil er selbst gerne so geworden
wäre. Bei Therapeuten sind es oft unerfüllte narzisstisch-exhibitionistische Bedürfnisse und unerfüllte Karrierewünsche, die sie ihren Patienten zur stellvertretenden
Realisation aufbürden bzw. die sie weder bei ihren Patienten noch bei sich selbst
kritisch analysieren können.
Der umgekehrte Fall tritt vielleicht noch häufiger auf, dass nämlich der
Therapeut sich selbst als Ideal dem Patienten anbietet und aufdrängt. Manche
Therapeuten missbrauchen ihre Patienten dazu, das eigene brüchige Selbstwertgefühl durch deren bewundernde Abhängigkeit zu stabilisieren.
3. Der Patient als Substitut der negativen Identität des Therapeuten (Sündenbock). Der Patient soll den Selbstanteil des Therapeuten, den er an sich
selbst verleugnet und ablehnt, übernehmen und ausleben. Wenn Therapeuten
ihren Patienten diese Rolle des Sündenbocks aufbürden, können sie daraus einen
doppelten Nutzen ziehen. Zum einen bietet ihnen die Projektion verdrängter
Impulse auf den Patienten die Möglichkeit, sich durch teilweise Identifizierung
mit dem Patienten eine relativ schuldfreie Ersatzbefriedigung in der Phantasie zu
verschaffen. So kann es durchaus sein, dass ein Therapeut mit lüsterner Neugier
in das Sexualleben des Patienten eindringt, um eigene verleugnete Bedürfnisse zu
befriedigen. Sexueller Missbrauch in der Therapie wird vom (meist männlichen)
Therapeuten häufig dadurch angebahnt, dass er in aufdringlicher Weise in die
sexuelle Phantasiewelt der Patientin eindringt, penetrante Fragen stellt und sie
schließlich dazu auffordert, sich bestimmten sexuellen Phantasien hinzugeben.
Im zweiten Schritt der Sündenbock-Praktik werden dann durch vorwurfsvolle und moralisierende Interpretationen die Selbstbestrafungstendenzen auf
bequeme Weise abgeführt. Die moralisierenden und strafenden Deutungen sind
als externalisierte Selbstbestrafung zu verstehen.
Bei der Sündenbock-Projektion kann man eine Unterscheidung danach treffen,
ob triebhafte »böse« Anteile oder eher schwache Selbstanteile projiziert werden.
Bei der Projektion der schwachen Selbstanteile auf den Patienten dient die
Ausübung von Macht dazu, die narzisstische Kränkung von einst – selbst der
ohnmächtig Unterworfene gewesen zu sein, dessen Wille gebrochen, dessen
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Hans-Jürgen Wirth
Selbstachtung mit Füßen getreten wurde – dadurch wett zu machen, dass
anderen die gleiche Schmach zugefügt wird, die man selbst erleiden musste. Die
Demütigungen, die dem Therapeuten einst selbst widerfahren sind, können in
seiner eigenen Kindheit begründet sein, sie können aber auch während seiner
Ausbildung zum Psychotherapeuten stattgefunden haben. Finden solche narzisstischen Projektionen im Rahmen von Lehranalysen statt (nach dem Motto:
»Wenn ich so gelitten habe, warum soll es dann anderen besser gehen?«), kann es
zur transgenerationalen Weitergabe von Traumatisierungen über mehrere Psychoanalytiker-Generationen hinweg kommen.
Betrachten wir nun die zweite Gruppe, bei denen es um Fälle geht, in denen der Pa­tient einen vergangenen oder gegenwärtigen Partner des Therapeuten ersetzen soll.
1. Der Patient repräsentiert für den Therapeuten die eigenen Eltern oder Elternfiguren (oder Aspekte von ihnen). Therapeuten, die zeitlebens die Sehnsucht nach
Liebe und Anerkennung durch ihre Eltern, die sie immer vermissen mussten, nicht
bewältigt haben, neigen oft dazu, von ihren Patienten die Dankbarkeit, Bewunderung und Liebesbeweise zu erwarten, nach denen sie sich vergebens gesehnt
haben. Sie benutzen die Patienten als Liebesquelle für sich selbst. Vielleicht sind
solche Therapeuten bereit, ihren Patienten sehr viel Aufmerksamkeit zu schenken.
Sie sind geduldige Zuhörer, kommen ihnen – wo immer es geht – entgegen,
berechnen keine Ausfallhonorare usw. Patienten können sich von solchen Therapeuten zunächst sehr angenommen fühlen, und doch hat die Beziehung etwas Ausbeuterisches, da der Therapeut den Patienten nicht so annimmt wie er ist, sondern
ihn letztlich nur in der speziellen Funktion als Spender von Dankbarkeit sucht.
2. Der Patient als Partnerersatz: Dieses Rollenmuster kann direkt in den
sexuellen Missbrauch führen, kommt aber auch in einer nicht-erotischen Form
vor, wenn nämlich der im realen Leben vereinsamte Therapeut gleichsam nur noch
mit und über seine Patienten am realen sozialen Leben teilnimmt. Therapeuten,
die kein befriedigendes privates Leben haben, geraten leicht in die Versuchung, ihr
gesamtes emotionales Leben nur noch in den beruflichen Beziehungen zu suchen.
Ist die Partnerersatzdynamik mit ausagierten sexuellen Kontakten verbunden,
spricht Hirsch (1987, S. 53) von realem sexuellem Missbrauch. Als latenten Missbrauch bezeichnet er die vom Therapeuten ausgehenden sexuellen Wünsche und
Phantasien, die an den Patienten gerichtet sind, aber nicht ausagiert werden,
gleichwohl aber große negative Bedeutung für die psychische Entwicklung des
Patienten haben. Denn das atmosphärisch-verführerische Bündnis zwischen
Therapeut und Patient führt beim Patienten zu einer unauflösbaren Konfusion
zwischen den eigenen inzestuösen Phantasien, den als Kind erlebten realen
Übergriffen bzw. abrupten Zurückweisungen, der realen sowie der Übertragungsbeziehung zwischen Patient und Therapeut – eine Konfusion, die psychotische
Erlebnisqualität hat.
Imagination, Nr. 2 /2009
Narzissmus und Machtmissbrauch in der Psychotherapie
13
3. Schließlich kann der Patient auch die Rolle eines Bundesgenossen ein­
neh­men. Dazu kommt es besonders leicht in Lehranalysen, wenn der Lehranalytiker in Versuchung gerät, seinen Analysanden im Rahmen institutsinterner
Macht­kämpfe auf seine Linie einzuschwören.
Der Therapeut als Guru
Gründer psychotherapeutischer Schulen stellen sich häufig so ähnlich wie
Reli­gionsstifter dar. Dies hat vor allem damit zu tun, dass sich Psychotherapie
mit den innersten Problemen der Menschen, mit existenziellen Fragen, mit
Fragen nach dem Sinn des Lebens beschäftigt und damit eine der Funktionen
wahrnimmt, die auch die Religion erfüllt. In gewisser Weise ist Psychotherapie
säkularisierte Seelsorge. Doch bestehen in der »entzauberten Welt« (Max Weber)
nach wie vor Bedürfnisse nach dem Außeralltäglichen, nach der außersinnlichen
Wahrnehmung und nach Erlösung, die speziell von charismatisch auftretenden
Therapeuten bedient werden. In der Psycho-Szene tummeln sich nicht nur wissenschaftlich fundierte Methoden, sondern auch eine kaum zu überblickende
Vielzahl magischer und quasireligiöser Heilsangebote. Die Sanyasin-Bewegung in
den siebziger Jahren ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie eine charismatische
Führerfigur viele begeisterte Anhänger um sich scharen kann, indem sie einen
neuen Kult, eine mystische Ideologie entwickelt, die »Rettung« und »Seelenheil«
verspricht. Die kollektive Psychodynamik zwischen Führer und Anhängerschaft
lässt sich als Kollusion zwischen Narzisst und Komplementär-Narzisst (Willi
1975) beschreiben: Beide Seiten haben einen enormen narzisstischen Gewinn, der
Guru durch die Bewunderung und Ehrfurcht, die man ihm entgegenbringt, und
durch die Macht, die er ausübt, die Gefolgschaft durch die teilnehmende Identifikation mit dem verehrten und idealisierten Größenselbst des Gurus. In jüngster
Zeit ist der systemische Familientherapeut Bert Hellinger mit seinen Familienaufstellungen als ein solcher charismatischer Guru in Erscheinung getreten, der
mit seinen mystischen Ritualen und autoritären Gesten große Massen seiner
Anhänger zu faszinieren versteht. »Hellinger tritt als Guru auf, der alleine im
Besitz der Wahrheit ist. […] Er verspricht Heilung unter der Bedingung, dass
man sich ihm vollständig unterwirft«, schreibt Thea Bauriedl (2004, S. 85; zur
Kritik an Hellinger vgl. auch Hilgers 2001, Weber 2003).
Die Wirkung von psychoanalytischen Leitfiguren, Lehrern und tonangebenden
Theoretikern hängt mit einer Eigenschaft zusammen, die man als Charisma
bezeichnet. Ich greife hier nicht zufällig nochmals auf den Soziologen Max
Weber (1921) zurück, der sich mit dem Phänomen charismatischer Persönlichkeiten beschäftigt hat. Er versteht unter Charisma die Eigenschaften einer
Imagination, Nr. 2 /2009
14
Hans-Jürgen Wirth
Führungs­persönlichkeit, die er mit Begriffen wie das »Außeralltägliche«, »das nie
­ agewesene«, das »nicht jedem Zugängliche« bezeichnet. Die charismatische
D
Persönlichkeit werde von einer besonderen Aura umgeben, die auf andere motivierend und faszinierend wirke. Charismatische Persönlichkeiten haben eine
Vision einer besseren Zukunft, sie verfügen über Selbstvertrauen, Entschlossenheit
und Ausdauer, sie besitzen eine außergewöhnliche Bereitschaft zum Risiko und
scheuen keine persönlichen Wagnisse, sie leben ihre Vision vor, sie zeichnen
sich durch moralische Integrität aus, fungieren als Sprachrohr der Gemeinschaft
und sind anregende Kommunikatoren, die ihre Botschaften einfallsreich und
emotional ansprechend transportieren. Max Weber hebt besonders die emotionale Quelle des Charismas hervor. Es entstehe – so Webers Worte – aus »einem
Moment des Zorns, der Liebe, der spontanen Leidenschaft für eine Person oder
eine Idee« und beziehe eben daraus seine kreative, innovatorische und andere
ansteckende Kraft. Gerade deshalb sei die charismatische Persönlichkeit nicht zu
planen und zu kontrollieren und gerate notwenig in Konflikt mit der bestehenden
ökonomischen, sozialen, kulturellen und politischen Ordnung.
Psychoanalytisch gesprochen zeichnet sich die charismatische Persönlichkeit
durch ein hohes Maß an narzisstischer Besetzung der eigenen Persönlichkeit, der
eigenen Ideen, Ideale, Werte und Visionen aus. Es bleibt in Webers Beschreibung
durchaus offen, ob es sich um ein Charisma handelt, das auf einem starken
gesunden oder einem pathologischen Narzissmus gründet. Man muss wohl
davon ausgehen, dass beide Varianten existieren und auf den ersten Blick nicht
so einfach voneinander zu unterscheiden sind (Dammann 2007).
Aber nicht nur bei quasireligiösen Heilslehren, sondern auch im Rahmen wissenschaftlich fundierter psychotherapeutischer Methoden können Guru-Strukturen
auftreten. Auch Sigmund Freud verhielt sich teilweise wie ein Religionsgründer,
obwohl er seine Herkunft aus der Wissenschaft und seine Religionskritik so sehr
betonte. So bekannte sich Freud (1914, S. 59f ) zu seiner Identifikation mit der
heroischen Gestalt des Helden Robinson, der es sich »auf einer einsamen Insel« in
einer »›splendid isolation‹ behaglich einrichtete«, wie Freud (ebd.) über sich selbst
schreibt. Viele Psychoanalytiker folgten dem Vorbild Freuds und kultivierten
ihren Außenseiterstatus in Gesellschaft und Wissenschaft. Paradoxerweise war es
gerade auch der Erfolg der psychoanalytischen Ideen, insbesondere ihre unerwartete Ausbreitung in der dynamischen Psychiatrie Amerikas, der Ängste vor
»Verwässerung« und »Identitätsverlust« bei den Psychoanalytikern aufkommen
ließ (Thomä 2004, S. 136).
Freuds Versuch, mit Hilfe des von ihm gegründeten »geheimen Komitees«, der
Lehranalyse und der Zwangsmitgliedschaft in der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung die von ihm entwickelte »reine Lehre« direkt an die Adepten
Imagination, Nr. 2 /2009
Narzissmus und Machtmissbrauch in der Psychotherapie
15
weiterzugeben, hat die wissenschaftliche und berufspolitische Weiterentwicklung der
Psychoanalyse lange Jahre gelähmt, hat zu Indoktrination, Dogmatismus, elitärem
Bewusstsein, Dissidenz und zahllosen Abspaltungen geführt (Wirth 2000, 2001).
Dabei hat das autoritär-hierarchische Ausbildungssystem eine zentrale Rolle gespielt.
Im übrigen haben Spaltungsprozesse innerhalb der Profession die Entwicklung
der Psychotherapie von Anfang an begleitet. Sie sind Ausdruck der Schwierigkeit
des Umgangs mit den unbewussten archaischen und existenziellen Konflikten, mit
denen Psychotherapeuten täglich zu tun haben. Die emotionale Belastung, die es
bedeutet, sich mit solchen Konflikten zu konfrontieren, kann dazu führen, dass
man Halt in einer ideologisch fest gefügten Gruppe von Gleichgesinnten sucht.
Manchmal sind Psychotherapeuten in Versuchung, ihre Identität zu stabilisieren,
indem sie sich mit der Lehrmeinung und insbesondere mit dem Menschenbild
einer bestimmten Psychotherapie-Schule über-identifizieren. Das Menschenbild
beinhaltet das Grundverständnis des Menschseins und hat insofern auch eine
hohe emotionale Bedeutung. Vermutlich handelt es sich bei den heftigen Streitigkeiten über theoretische oder behandlungstechnische Fragestellungen im Grunde
häufig um eine Auseinandersetzung über das Menschenbild, das den umstrittenen
Detail-Fragen zu Grunde liegt (vgl. Wirth 2004). Zugleich sind diese Spaltungen
aber auch Ausdruck der Vielfalt der Ansätze und der Menschenbilder und spiegeln
insofern den Pluralismus unserer Gesellschaft wider.
Der Einfluss des Ausbildungssystems
Wegen des real existierenden Machtgefälles zwischen Lehrer und Schüler ist das
Ausbildungssystem in allen psychotherapeutischen Schulen ein Einfallstor für die
Etablierung und dauerhafte Verankerung von Machtmissbrauch. Die Ausbildung
zum Psychotherapeuten erfolgt nach dem Studium, die angehenden Psychotherapeuten sind also schon in einem mittleren Alter, meist sind sie gleichzeitig in
verantwortlichen beruflichen Positionen tätig und auch im privaten Bereich als
Beziehungspartner und Eltern bereits in einer verantwortungsvollen Erwachsenenrolle. Gleichwohl zwingt sie die Ausbildungssituation zurück in die Schülerrolle. In einer Gesellschaft, in der lebenslanges Lernen zur Norm geworden ist,
wäre das nichts Schlimmes. Problematisch wird es nur, wenn die Ausbildungsmethoden eine Infantilisierung und Regression erzwingen und der Missbrauch von
Macht institutionell verankert ist. Wie Anna Freud, Balint, später Mitscherlich,
Cremerius, Richter und Kernberg und viele andere Kritiker des p
­ sychoanalytischen
Ausbildungssystems dargelegt haben, hat die institutionalisierte Psychoanalyse
das Kernstück der psychoanalytischen Ausbildung, die Lehranalyse, zu einem
»Unterwerfungsritual« und zu einem Instrument der »Machtpolitik« und der
»Indoktrination« umfunktioniert (Cremerius 1989).
Imagination, Nr. 2 /2009
16
Hans-Jürgen Wirth
Lehranalytiker scharen »ihre« Lehranalysanden um sich. Regelmäßig bilden
sich an den psychoanalytischen Ausbildungsinstituten Fraktionen, in denen die
tonangebenden und miteinander rivalisierenden Lehranalytiker jüngere Kollegen,
die meist bei ihnen in Lehranalyse waren, auf ihre Linie einschwören. Die »Ausbildungskandidaten« werden in der Rolle als Bundesgenosse in einem Kampf
funktionalisiert, den sie stellvertretend für die Lehranalytiker austragen.
Welche Therapeuten sind besonders gefährdet,
und wie können wir uns schützen?
Es liegt auf der Hand, dass narzisstisch gestörte Therapeuten besonders gefährdet
sind, ihre Patienten narzisstisch zu missbrauchen. Aber welcher Therapeut könnte
von sich sagen, er hätte keine Selbstwertprobleme, stellt doch die Arbeit an den
eigenen Konflikten, speziell den eigenen Selbstwertkonflikten, eine zentrale
Berufsmotivation dar. Man muss also eher nach den Verhaltensweisen und Einstellungen fragen, die ein Ausagieren der in jedem Fall vorhandenen narzisstischen
Konflikte begünstigen. Dies führt dann auch unmittelbar zu den Möglichkeiten
der Prävention.
Wer ausschließlich in einer psychotherapeutisch geprägten Welt lebt, ist
gefährdet, weil er seine Weltsicht verabsolutiert, keine neuen Erfahrungen mehr
macht und seine Fähigkeit zur Selbstreflexion und Selbstkritik einbüßt. Dies gilt
auch, wenn sich der professionelle Kontakt auf den Austausch mit den gleichgesinnten Anhängern einer dogmatisch vertretenen Lehre beschränkt. Besonders
gefährdet sind auch diejenigen, die die infantilisierenden Ausbildungsbedingungen angepasst und widerspruchslos durchlaufen haben. Sie vollziehen den
Anpassungsmechanismus der »Identifikation mit der Rolle« (Parin 1977), die
ihnen fortan als Identitätskorsett dient.
Den besten Schutz gegen Machtmissbrauch in der Therapie bildet die kontinuierliche Reflexion der eigenen Arbeit in Intervision (Fallbesprechungen mit
Kollegen), Supervision, Eigenanalyse, Teamgesprächen und Fortbildung. Dem
fachlichen Austausch mit Kollegen anderer psychotherapeutischer Schulen und
dem Austausch mit den Nachbarwissenschaften kommt ebenfalls eine wichtige
präventive Bedeutung zu. Vielleicht übt der äußere Zwang, der die verschiedenen
psychotherapeutischen Schulen im Rahmen der Gesundheitsversorgung zu einer
engeren Kooperation miteinander nötigt, sogar eine heilsame Wirkung aus.
­Insbesondere die Diskussion der unterschiedlichen Menschenbilder, die unseren
verschiedenen psychotherapeutischen Theorien, Schulen und Methoden zugrunde
liegen, stellt eine Bereicherung unserer Vorstellungen davon, was Menschsein
bedeutet, dar. Die Kenntnisnahme der vielfältigen und differenzierten psychotherapeutischen Menschenbilder könnte einen inneren Abschied von narzisstischen
Imagination, Nr. 2 /2009
Narzissmus und Machtmissbrauch in der Psychotherapie
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Allmachts- und Ewigkeitsphantasien begünstigen. Dazu müsste man sich aber
gegenseitig respektieren, sich füreinander interessieren und verstärkt den wechselseitigen wissenschaftlichen und fachlichen Austausch suchen.
Literatur
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Imagination, Nr. 2 /2009
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Thomä, H. (2004): Ist es utopisch, sich zukünftige Psychoanalytiker ohne besondere berufliche
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Lebens oder Spielball dunkler Triebnatur? In: Schlösser, A. M., Gerlach A. (Hrsg.) (2001):
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Wirth, H.-J. (2002): Narzissmus und Macht. Zur Psychoanalyse seelischer Störungen in der
Politik. Gießen: Psychosozial-Verlag.
Wirth, H.-J. (2004): Zur »latenten Anthropologie« in der Psychoanalyse und anderen psychotherapeutischen Traditionen. In: psychosozial Heft 97, 11 – 28
Zusammenfassung:
Wie in allen helfenden Beziehungen spielt auch in der Therapeut-Patient-Beziehung
die ungleiche Verteilung von Macht eine wichtige Rolle. Für einen gelungenen
therapeutischen Prozess ist der verantwortliche Umgang mit Macht eine zentrale
Bedingung. Missbraucht der Therapeut seine Macht, kommt es zwangsläufig zum
Scheitern des therapeutischen Prozesses, weil sich der Patient abgelehnt, unverstanden und erniedrigt fühlt und/oder weil er einer Retraumatisierung ausgesetzt
ist, auch wenn er diese selbst noch nicht bewusst wahrnehmen kann.
Narzisstisch gestörte Menschen streben nach Macht, weil sie damit ihr mangelhaftes Selbstwertgefühl kompensieren wollen. Umgekehrt nährt die Möglichkeit,
Macht auszuüben, Größen- und Allmachtsphantasien. Macht wirkt wie eine
Droge: Die Selbstzweifel verfliegen, das Selbstbewusstsein steigt. Machtphanta­sien
dienen häufig der Überwindung unerträglicher Ohnmachtsgefühle: So empfinden
narzisstisch gestörte Patienten häufig ein Gefühl der Macht, wenn sie mit ihrem
selbstdestruktiven Agieren den Therapeuten ohnmächtig machen.
Gehen Narzissmus, Macht und Aggression eine enge Verbindung ein, kommt
es zu destruktiven und selbstdestruktiven Entwicklungen. Liebespartner, aber
auch andere Interaktionspartner, beispielsweise Therapeut und Patient, verzahnen
Imagination, Nr. 2 /2009
Narzissmus und Machtmissbrauch in der Psychotherapie
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sich häufig in einem Macht-Ohnmachts-Kampf, der psychodynamisch als unbewusste narzisstische Kollusion (J. Willi) beschrieben werden kann. Die Macht
wirkt wie eine institutionalisierte Abwehr, die den pathologischen Narzissmus
verstärkt.
In diesem Beitrag werden die Bedingungen für Machtmissbrauch in der
Therapie untersucht. Dies geschieht mit Hilfe von Horst-Eberhard Richters psychoanalytischer Rollentheorie und Jürg Willis Kollusions-Konzept. Neben dem
sexuellen Missbrauch durch Therapeuten, der in letzter Zeit offener thematisiert
werden kann als früher, spielt der narzisstische Missbrauch eine wichtige Rolle.
Bei Therapeuten, die sich als Gurus in Szene setzen, liegt der Verdacht eines narzisstischen Missbrauchs ihrer Macht nahe. Abschließend werden die Bedingungen
(beispielsweise in der Ausbildungssituation) diskutiert, die Machtmissbrauch
durch Therapeuten begünstigen bzw. präventiv vermeiden helfen.
Keywords:
Macht – Ohnmacht – Narzissmus – narzisstische Persönlichkeits­
störung –
Machtmissbrauch
Korrespondenzadresse:
Prof. Dr. Hans-Jürgen Wirth
Psychosozial-Verlag
Walltorstraße 10
35390 Gießen
E-Mail: [email protected]
Prof. Dr. habil., Dipl.-Psych., Psychologischer Psychotherapeut, arbeitet als
Psychoanalytiker und psychoanalytischer Paar- und Familientherapeut in eigener
Praxis in Gießen. Lehrt an der Universität Bremen. Gründer und Verleger
des Psychosozial-Verlages. Wichtigste Buch-Veröffentlichungen: Narzissmus
und Macht. Zur Psychoanalyse seelischer Störungen in der Politik. Gießen 2002
(Psychosozial-Verlag).
Imagination, Nr. 2 /2009
20 Harald Ullmann
Die metaphorische und narrative
Dimension der Katathym Imaginativen
Psychotherapie (KIP)
Über den Zusammenhang von Symbol, Drama und Metapher
– Positionsbestimmungen im Wandel –
Harald Ullmann
1. Zu Beginn ein Plädoyer für Metaphernvielfalt
»Die Metapher hat uns ein Wissen voraus, das wir im Begriff immer erst einholen
müssen,« schreibt Buchholz (1998) in einem Aufsatz über den psychoanalytischen
Dialog. Und wie steht es mit dem Begriff, den wir uns von der KIP machen?
Als Hanscarl Leuner seine Methode zur Handhabung gefühlsgetragener, symbolisch ausgestalteter Imaginationen erfand und ausarbeitete, hantierte er mit
verschiedenen Begriffen. Die Bezeichnungen »Katathymes Bilderleben« (KB),
»Symboldrama« und »Tagtraumtechnik« wurden von ihm und denen, die von
ihm lernten, lange Zeit synonym nebeneinander verwendet. Das gestattete unterschiedliche Blickwinkel auf das Tagtraumgeschehen und hielt die Methode selbst,
die mit einem frischen experimentellen Forscherelan begonnen hatte, flexibel und
integrationsfähig für die nächsten Etappen auf dem Weg zu einem strukturierten
Verfahren der Psychotherapie. Dieser Fortschritt schlug sich in neuen Begriffen
nieder, durch welche die Einbettung solcher spezifischer Imaginationen in einen
regelrechten tiefenpsychologisch fundierten Behandlungsprozess deutlich werden
sollte. Neben der offiziell vereinbarten Bezeichnung »Katathym Imaginative
Psychotherapie« (KIP) treten nunmehr andere Bezeichnungen für die »Psychotherapie mit dem Tagtraum« in den Hintergrund oder laufen gar Gefahr, eines
Tages für »obsolet« erklärt zu werden.
Das Eingangszitat auf den Kopf stellend, darf man sich fragen, ob künftig
»der Begriff die Metapher einholt« und damit aus einem recht »offenen«, in steter
Entwicklung befindlichen Ansatz ein kanonisiertes, orthodox und »geschlossen«
auftretendes Verfahren machen könnte. Die Metaphernvielfalt (Ullmann 2001 a)
Imagination, Nr. 2 /2009
Die metaphorische und narrative Dimension der Katathym Imaginativen Psychotherapie
21
bliebe dann auf der Strecke und mit ihr wohlmöglich die bisherige Offenheit der
Konzepte für unterschiedliche Sichtweisen und Weiterentwicklungen, bezogen auf
die eigene Methode und nicht zuletzt auf die jeweilige Patientin / den jeweiligen
Patienten in ihrer /seiner Einmaligkeit. Denn jedwede Therapie stellt zunächst
einmal nichts weiter dar als ein »leeres« Konzept, das auf unterschiedlichste Weise
zu füllen ist. Folgt man der Argumentation von Buchholz (1998), dann erscheint
es als Vorteil, wenn wir nicht definieren können, was »Therapie an sich« ist. Denn
Therapie entsteht immer wieder aufs Neue, und »was dort geschieht, müssen die
Beteiligten in actu herstellen«.
Hanscarl Leuner war von seiner therapeutischen Sozialisation und Begabung her
dafür disponiert, mit einer Vielzahl von Metaphern zu arbeiten. Aufgrund seines
Jungianischen Hintergrundes war er in der Lage, den für seine junge Methode
zentralen Symbolbegriff auch in einem von Sigmund Freud und seinen Schülern
abgesteckten Terrain der Tiefenpsychologie mit einer angemessen wechselnden
Optik zu betrachten. Die in der KIP gängige Auffassung vom symbolischen
Geschehen konnte dadurch mit Gewinn recht gegensätzlich erscheinende Auffassungen über das Symbolische integrieren (Ullmann 2008). Der theoretischen
Großräumigkeit, mit der Leuner die Phänomene des therapeutischen Prozesses
betrachtete, entsprach in klinischer Hinsicht ein Vorgehen, das auf kreative Weise
mit den vielfältigen Bedeutungsmöglichkeiten von Symbolen spielte. Bereits in der
ersten Auflage seines Lehrbuchs findet sich eine Fülle von Fallbeispielen, in denen
sich Leuner als ein Meister der metaphorischen Kommunikation erweist, ohne sie
als solche auszuweisen (Ullmann 2001a). In der von ihm begründeten Tradition
war es anfangs nicht üblich, die therapeutische Arbeit mit dem Symbol und das
Sprechen darüber unter metaphorischen Aspekten zu betrachten. Demgemäß
konzentrierte sich die einschlägige Literatur zunächst ganz auf die symbolischen Aspekte der Tagtraumtherapie, bevor verschiedene metaphorische und
narrative Aspekte ins Blickfeld gerückt wurden (Ullmann 1998, 1999, Ullmann u.
Teichmann 2001, d’Arcais-Strotmann u. Ullmann 2002). Doch die Komponenten
des Symbolischen, des Dramatischen und des Metaphorischen sind – genauer
betrachtet – in der KIP seit jeher eng miteinander verwoben.
Symbol und Metapher haben – Buchholz (1998) zufolge – das »doppelte
Sprechen« gemeinsam: »Sie sprechen über das eine und meinen das andere.« Der
Unterschied zwischen beiden besteht darin, dass ein Symbol für etwas Anderes
steht, das substituiert wird, während die Metapher in den Dienst der zwischenmenschlichen Kommunikation tritt und auf etwas Anderes verweist. Dieses Andere
ist aber nur »da«, wenn es einen Hörer oder Leser gibt, der eine »funktional
äquivalente Vorstellung« dazu entstehen lassen kann, die als solche selbst nicht
mitteilbar ist. Deshalb »steht« die Metapher nicht »für« die Vorstellung, sondern
sie ist eher »Wegweiser zur Vorstellung« und bildet »eine Brücke zwischen dem
psychischen und dem sozialen System der Kommunikation«. Gemeinsamkeiten
Imagination, Nr. 2 /2009
22
Harald Ullmann
und Unterschiede zwischen Symbol und Metapher lassen sich bereits in der ersten
Imaginationsübung einer beginnenden KIP, dem so genannten Initialen Tagtraum
(ITT) ausmachen, wenn man ihn unter diesem Gesichtspunkt betrachtet und
mitgestaltet (Ullmann 1997).
Wenn wir im ITT einer taufrischen, noch halb geschlossenen Rose begegnen,
dann steht sie in ihrer Eigenschaft als Symbol für etwas anderes und trägt dabei
mehr als nur eine mögliche Bedeutung in sich. Ihre symbolische Bedeutung ist ihr
in diesem Kontext wesenhaft eigen, unabhängig davon, wie viele Bedeutungen die
Betrachter zu erkennen meinen. Ihre Bedeutsamkeit kann gleichsam unentdeckt
bleiben, bis etwas davon im zwischenmenschlichen Dialog herausgegriffen und
»durch die Blume gesprochen« weiter vermittelt wird. Die halb geschlossene Rose
des ersten Tagtraums entfaltet sich damit zur Metapher, die erst jetzt – im Kontext
der Kommunikation – diverse aktuelle Bedeutungen gewinnt, transformiert und
transportiert über das therapeutische Gespräch.
Das Symbolische in der KIP ist über die Jahre hin gründlich beschrieben und
theoretisch erörtert worden, so dass hierzu auf eine Auswahl der einschlägigen
Literatur hingewiesen werden kann (Salvisberg 1993, 2000, Dieter 1997, 2000,
Schnell 2000, Bahrke 2005, 2007). Das Metaphorische hingegen bedarf im Zuge
unseres Themas einer genaueren Begriffsbestimmung, um die sich daran anknüpfenden Argumente nachvollziehbar zu machen. Der Begriff Metapher (griech.
»metapherein« = übertragen, verschieben) geht auf den griechischen Philosophen
Aristoteles zurück, der damit die Übertragung eines fremden Nomens auf eine
Gegebenheit bezeichnete (Retzer 1993). Indem die ursprüngliche Bedeutung
»ver-rückt« (!) wird, öffnet sich der Blick für andere Perspektiven, die unsere
Wirklichkeit um weitere Lesarten bereichern, andere Bereiche derselben aber
auch verschleiern können. Buchholz (1998) unterscheidet zwei Kategorien von
Metaphern. Die manifeste Metapher hat mit dem Symbol – wie schon gesagt – das
»doppelte Sprechen« gemeinsam. Doch während das Symbol für etwas anderes
steht, das in all seiner vielfach codierten Bedeutung vielleicht grundsätzlich doch
noch auf den wesentlichen Kern dieses ursprünglichen Anderen zurückzuführen
wäre, kommt durch die Metapher eine »Idee« zur Darstellung und in den Dialog,
die »nicht übersetzbar« ist. Mit deren Übertragung in eine platte Prosa wäre die
poetische Potenz der Metapher (Ullmann 2001 a) ein für alle mal erloschen. Durch
das Abschleifen ihrer Bedeutungsvielfalt im alltäglichen Gebrauch verlieren viele
Wörter unserer Sprache mit der Zeit an Prägnanz und Sinngehalt. So entstehen
»tote« Metaphern (Lakoff u. Johnson 1998), die mit Gewinn als Sprachbilder
aufzugreifen und – einer Anregung von Seithe (1997 a, 1997 b) folgend – über
eine Motivvorgabe im Tagtraum zu neuem Leben zu erwecken sind. Das kann
ein einzelnes Wort mit in Vergessenheit geratener, »übertragener« sinnlicher
Bedeutung sein (z. B. »begreifen«, »unterstützen«, »aushalten«) oder eine abgenützte Redewendung (z. B. »auf der Stelle treten« – s. Fallbeispiel A1).
Imagination, Nr. 2 /2009
Die metaphorische und narrative Dimension der Katathym Imaginativen Psychotherapie
23
Die konzeptuelle Metapher ist nicht so unmittelbar sinnlich fassbar wie die
manifeste. Sie ist vielmehr erst durch einen Vorgang der Abstraktion aus den
verwendeten Redeformen oder als ein Prinzip zu erschließen, das »die Art und
Weise, wie wir die Dinge erleben«, steuert und ein »Sehen als …« erzeugt, das
ein »Handeln als …« und ein »Fühlen als …« einschließt (Buchholz 1998). Die
konzeptuelle Metapher stellt demnach mit anderen Worten eine Art von übergeordneter Metapher oder Meta-Metapher dar, ein semantisches Konzept, das
Bestandteil unterschiedlichster Wirklichkeits-Konstruktionen sein kann, vom
Weltbild bis hin zu den therapeutischen Konzepten und zu dem Bild, das sich
Therapeut oder Patient 1 von dem machen, was Therapie sein soll. Alle »konzeptuellen« Modelle, die wir uns über unser therapeutisches Tun machen, fungieren
darüber hinaus zugleich als handlungsleitende Metaphern. Doch sollte Therapie
nicht besser möglichst weitgehend als »leeres« Konzept im oben angeführten
Sinne betrachtet werden, das sich in einer je einmaligen Situation zwischen je
einmaligen Menschen unwiederholbar auf je einmalige Weise füllt? Die Vertreter
einer nomothetischen Position, die auf Gesetzmäßigkeiten und Regeln aus ist,
werden gegenüber einer radikal idiographischen Position stets gute Argumente
ins Feld führen können. Doch gibt es, wie sich abzuzeichnen beginnt, auch
gute Argumente für eine Orientierung an der je individuellen Geschichte eines
Menschen und des in ihm herangereiften subjektiven Weltbildes. Metaphernvielfalt bringt für beide Partner im therapeutischen Prozess die Chance einer
Vielfalt an Optionen des theoretischen Denkens und des praktischen Handelns
mit sich (s. auch Abs. 8).
In diesem Sinne könnte auch eine Chance darin bestehen, eine althergebrachte,
aus der Mode kommende Bezeichnung der Tagtraummethode noch einmal etwas
näher in Augenschein zu nehmen, bevor sie wohlmöglich als »überkommener«
Begriff in die Rumpelkammer der KIP-Geschichte verbannt wird. Der Begriff
»Symboldrama« scheint mir geeignet, metaphorische und narrative Aspekte
der Psychotherapie mit dem Tagtraum begreiflich zu machen, wenn man ihn
beherzt in die Hand nimmt, in seine Bausteine zerlegt und mit diesen zu spielen
beginnt: Symbol und Drama und noch mehr … (Man beachte hier den Versuch
eines »griffigen« sprachlichen Umgangs mit einem »Begriff«, der als konzeptuelle
Metapher der KIP aus guten Gründen nicht »tot« gesagt werden sollte.)
1 Unter Hinweis auf die nicht zu vernachlässigenden Gender-Aspekte der KIP (Hauler &
Ullmann 2008) werden nachfolgend durchgängig männliche Formen benutzt, um den Text
möglichst flüssig lesbar zu halten.
Imagination, Nr. 2 /2009
24 Harald Ullmann
2. Symbolische, dramatische und metaphorische Elementen der KIP
Aus dem Wort Symboldrama lässt sich, wenn man so will, ein Dreieck entfalten,
dessen Ecken (s. Abb.) verschiedene, klinisch bedeutsame Elemente des Tagtraumgeschehens repräsentieren. Da ist zum einen das symbolische, zum anderen
das dramatische und schließlich das metaphorische Element. Während dem
Symbol, seiner Nähe zum Primärprozess entsprechend, etwas Zeitloses eigen ist,
fächert sich das dramatische Element in unterschiedliche Zeitmodalitäten auf.
Das Drama selbst, dessen Zeuge, Mitakteur oder Regisseur wir werden, spielt
im Hier-und-Jetzt. Sprachlich gehört zu ihm deshalb der Modus des Präsens.
Zur Narration, d. h. zu der Erzählung, die sich darauf bezieht, gehört dagegen
der Modus des Imperfekt oder
Perfekt. Das Drama konnte noch
Drama
Symbol
auf der Bühne des Tagtraums
»live« miterlebt und mitgestaltet
Narration
werden, die Narration dagegen
erzählt von Geschehnissen, die
bereits »passé« sind, aber durchaus
noch wirksam sein können. Denn
die Narration blickt zwar einerseits auf das gewesene Geschehen
Narrativ
zurück, andererseits entwickelt
Metapher
sie aber auch aus diesem heraus
Vorstellungen über regelhafte
Abb: Interdependenz symbolischer, dramatischer und
Abläufe und Erwartungen an die
metaphorischer Elemente der KIP
Zukunft. Sie hat damit das Zeug,
zu einem Narrativ zu mutieren, das im Modus von Konjunktiv oder Futur neue
Möglichkeiten aufzeigt. Die Metapher hingegen enthält poetisch zu nennende
Betrachtungsweisen, die in ihrer Vieldeutigkeit, Zeitlosigkeit und Verankerung im
Unbewussten bereits dem Symbol nahe stehen. Hier schließt sich der Kreis, und
so weiter und so fort. Denn Symbol und Metapher gehen in der KIP gleichsam
»Hand in Hand«.
Man sehe mir diese anthropomorphe Darstellung der Interdependenz von
Symbol, Drama und Metapher nach. Handelt es sich doch dabei um nichts
weniger als um eine ontologische Metaphorisierung (Lakoff u. Johnson 1998), wie
wir sie als Psycho­therapeuten oder Didaktiker gerne und durchaus mit Gewinn
einsetzen. So entspricht es einer bewährten tiefenpsychologischen Tradition,
bestimmte Vorgänge zu metapsychologischen Begriffen zu verdichten und diese
Metaphern sprachlich wie leibhaftige Wesen zu behandeln. Dadurch entstehen
sinnfällige Mythologien, in denen »das Unbewusste« einem dann etwas zu
»sagen« hat oder »das Über-Ich« mit dem »Ich« in einen »Konflikt« geraten kann.
Imagination, Nr. 2 /2009
Die metaphorische und narrative Dimension der Katathym Imaginativen Psychotherapie
25
Derartige Metaphern mögen im einen Fall heuristisch und therapeutisch hilfreiche Konzepte sein, im anderen Fall mögen sie den Blick für das verstellen,
was wirklich geschieht oder geschah. Aus wissenschaftstheoretischer und neurobiologischer Warte heraus wurden deshalb auch Argumente aufgeführt, die
den klinischen Wert metapsychologischer Konzepte überhaupt in Frage stellen
und einer Haltung den Vorzug geben, die sich an der je einmaligen Geschichte
des Patienten orientiert, um im mitfühlenden Nacherzählen das Gewordensein
seiner inneren Bilder und Strukturen individuell zu erkunden (Deneke 2001). Ein
solcher Umgang mit erzähldramatischen Lebenslinien, Narrationen, Narrativen
und Metaphern ergibt sich für das Symboldrama eigentlich fast wie von selbst.
Denn die imaginative, affektgetragene Aktivierung von relevanten Episoden führt
auf symbolischem Weg zu den Dramen, die das jeweilige Leben mitgestalten,
um von dort aus Möglichkeiten für Verständnis und Neubeginn zu eröffnen
(s. Abs. 5 ). Das ursprüngliche Drama wäre demnach im Symbol verdichtet und
konserviert, zugleich aber auch über die erneute Begegnung mit dem Symbol
aufzulösen oder zu verändern. Dieses Zusammenspiel von Symbol und Drama sei
an einer Legende über die Entstehung des Symbols deutlich gemacht.
Es gab einmal – so will es die Überlieferung – im Land der Griechen einen schönen
Brauch zwischen Menschen, die für eine Weile unter dem Dach der Gastfreundschaft
gelebt hatten. Im Moment des Abschieds pflegten sie ein Tontäfelchen in zwei Hälften
zu zerbrechen, um sich dann eines Tages, wenn das Schicksal es wollte, gegenseitig
daran zu erkennen, dass beide Hälften ineinander passten. Im Moment des Wiedersehens ergaben diese Hälften wieder eine Einheit, wenn man sie zusammen warf: als
»Symbolon«. Das Symbol ginge demnach letztlich auf ein Drama zurück, nämlich das
Urdrama von Trennung und Abschiednehmen. Dies wäre der vergangenheitsorientierte
Blick. Das im Auseinandergehen geschaffene Symbol wird hier zur konkreten Verdichtung des gemeinsam erlebten und gestalteten Prozesses. Doch gleichzeitig gibt es
eine Vision der möglichen Wiederannäherung. Denn hinter der Erzählung scheint ein
Narrativ auf. Im Modus des Konjunktivs oder Futurs verweist es auf die Möglichkeit
oder Gewissheit einer erneuten Begegnung und Wiedervereinigung der im symbolischen Akt getrennten Hälften.
Lässt man diese Geschichte auf sich wirken oder spricht über sie, dann kann
sich über den Aspekt des Symbolischen und Dramatischen hinaus ein dritter
Aspekt einstellen, der ihr einen metaphorischen Gehalt verschafft. In einen therapeutischen Bedeutungsrahmen gerückt, mag das Geschehen auf unterschiedliche
Sichtweisen von Trennung und Wiederannäherung anspielen, in denen Trennung
etwa als Promotor der Progression erscheint oder Getrenntsein als Voraussetzung
für das eigentliche Erkennen des Anderen und für die Individuation des eigenen
Selbst. Im therapeutischen Kontext mögen darüber hinaus Symbole und bildhafte
Metaphern entstehen, in denen das Auseinanderbrechen und Zusammenfügen
der Tonscherben mit Wanderburschen in Verbindung gebracht wird, mit den
Imagination, Nr. 2 /2009
26 Harald Ullmann
auf‑ und abwärts schlagenden Flügeln von Zugvögeln oder dem natürlichen Einund Ausatmen in einem gesunden Körper. Durch solche Metaphern getröstet und
ermutigt, mag der Gast von damals in schweren Zeiten den Rückweg antreten,
seinen Gastgeber wiederfinden und ihm als Erkennungszeichen die andere Hälfte
der Tonscherbe überreichen. Innerlich als Bild bewahrt und real wieder zusammengefügt, ist das Tontäfelchen ein Symbol für Gastfreundschaft, erneuert und
bestärkt. Es »steht für« diese Gastfreundschaft. Beide Freunde können es stumm
in der Hand halten und mit allen Sinnen als ihr Symbol empfinden. Spricht man
dagegen später über die Geschichte von den Tontäfelchen, dann kann sie zur
Metapher für andere Geschichten der Begegnung werden, die »so ähnlich wie«
diese ablaufen. Auch auf Therapiegeschichten träfe dieser Vergleich zu. Die in einer
Psychotherapie entstandenen bzw. gemeinsam geschaffenen Symbole werden in
der verbalen therapeutischen Kommunikation zur Metapher. Metaphern können
als Sprachbilder ihrerseits wieder zur Kreation von Symbolen Anlass geben. In
der Psychotherapie mit dem Tagtraum findet sich reichlich Gelegenheit für ein
solches Wechselspiel zwischen Metapher und Symbol (Ullmann u. Teichmann
2001).
3. Konturen einer raum-zeitlichen vierten Dimension
Am Anfang unserer Tage war nicht das Wort und nicht das Bild, nicht die
Metapher und nicht das Symbol. Am Anfang ist Bewegung, die sich in dramatisch
zu nennenden Spannungsbögen auf- und abbaut, getragen von vital wichtigen
und vorantreibenden Affekten. Die Entwicklung geht also von der zeitlich zu
skalierenden Bewegung zum räumlich zu verortenden Begriff, vom Drama zum
Symbol und von dort aus weiter zur sprachvermittelten Metapher (vgl. Schema
in Abs. 2).
In den für die Psychotherapie mit dem Tagtraum beschriebenen drei Dimensionen ihrer Wirksamkeit (Leuner 1994) pointiert die erste den symbolischen
Pol des Verfahrens, während in der zweiten die Funktion der Affekte betont
wird, die den Prozess tragen und voranbringen. Die dritte Dimension, in der es
um die Förderung von Kreativität und kreativen Problemlösungen und damit
nicht zuletzt um eine spielerische Komponente geht, baut sich in einem intermediären Raum zwischen Therapeut und Patient auf. Dieser imaginäre Raum
oder Vorstellungsraum kann als Pendant zu jenem Übergangsraum betrachtet
werden, den Winnicott als neu geschaffenes Drittes zwischen Kind und Mutter
ansiedelt. Dort ist auch die spielerische Komponente der Tagtraumtherapie
anzusiedeln und jener »Spielraum«, der sich in ihr und durch sie entfaltet. In
früheren Arbeiten (Ullmann 1988 a, 1988 b, 1992) habe ich den »Spielraum« und
die »Übergangsphänomene« – beides Metaphern, mit denen Winnicott (1973)
Imagination, Nr. 2 /2009
Die metaphorische und narrative Dimension der Katathym Imaginativen Psychotherapie 27
ein kreativitätsförderndes ­­Raum‑Zeit-Kontinuum zwischen Mutter und Kind
dichterisch zu beschreiben versucht – mit den Wirkfaktoren des therapeutischen
Prozesses einer Behandlung mit dem Tagtraum in Verbindung gebracht. Die
Übergangsfunktionen der KIP wurzeln zum einen in der zweiten Dimension, wenn
es um die Erfahrung von Geborgenheit geht, zum anderen begründen sie über die
Entfaltung der Kreativität eine dritte Dimension.
In der KIP bedienen sich beide Partner des therapeutischen Prozesses metaphorischer und narrativer Strukturen, die über die beschriebene dritte Dimension
des Verfahrens hinausweisen. Schon das Konzept der »Übergangsfunktionen«
(Ullmann 1988a) enthält ja im Kern raum-zeitliche Strukturen, die sich mit
Anleihen aus der zweiten und dritten Dimension im Laufe der Zeit zu einer
vierten entwickeln, die nach ihrer anfänglichen Formulierung meist als narrative
Dimension der KIP (Ullmann 1998, 2002) bezeichnet wird. Betrachtet man
darüber hinaus das Wechselspiel von Geschichten und Sprachbildern als einen
dialektischen Prozess zwischen Handlungsabfolgen und ihrer metaphorischen
Verdichtung bzw. neuen Entfaltung in weiteren Handlungsabfolgen, dann wäre
eigentlich dem Ausdruck metaphorisch-narrative Dimension der Vorzug zu
geben (Ullmann 2001a).
Die metaphorisch-narrative Dimension hat – idealtypisch betrachtet – zwei
Kom­ponenten. Die eine kann man als eine intrinsische Komponente bezeichnen,
weil sie dem Tagtraumerleben des Patienten von Anfang an inhärent ist und sich
auch in dem bildnerischen Gestalten des Materials ausdrückt. Durch seine Interventionen trägt der Therapeut nun seinerseits – quasi von außen – eine extrinsische Komponente zur narrativen Dimension bei, die ihre eigene Geschichte
hat und an der Erschaffung einer neuen Wirklichkeit maßgeblich beteiligt ist.
Was aus heuristischen und didaktischen Gründen idealtypisch in zwei narrative
Ausrichtungen getrennt erscheint, wird natürlich sehr schnell zu einem gemeinsamen Ganzen, in dem sogar der diagnostische und der therapeutische Teil des
Geschehens ineinander wirken. Denn Therapeut und Patient sind innerhalb
ihres gemeinsamen Kontextes in einem zirkulär ablaufenden Dialog miteinander
verbunden, der in gewisser Weise mit dem Mutter-Kind-Dialog vergleichbar ist.
4. Zur Ontogenese der metaphorisch-narrativen Dimension
Die frühe Interaktion des Säuglings mit seiner Umwelt zeichnet sich durch »Synchronie, Aktivität, Eingestimmtheit, Wechselseitigkeit« (Dornes 1993) aus. Man
denkt dabei an die von Bartl geprägte Trias »Wärme, Rhythmus und Konstanz«
(Bartl 1990) und andere Empfehlungen zur Behandlung psychosomatisch Kranker
(Wilke 1990, Ullmann 1990). Der Ablauf der Handlung wird offenbar von
beiden Partnern kontrolliert, reguliert und ausgehandelt. Man kann phasenhafte
Imagination, Nr. 2 /2009
28
Harald Ullmann
Abfolgen der Begegnung beobachten, die wie eine Rahmenhandlung abläuft –
von der Initiierung und Begrüßung über den Spieldialog bis zur Beendigung
der ganzen Interaktionssequenz. Was dann verinnerlicht wird, schließt wechselseitig regulierte Abfolgen von mütterlichen und kindlichen Handlungen ein, die
eine bestimmte zeitliche Strukturierung aufweisen. Liegt es da nicht nahe, die
»Be-Handlung« mit dem KB als Rahmenhandlung innerhalb eines Spieldialogs
aufzufassen, der den Patienten neue, gesündere Geschichten von Spielsequenzen
»erfahren« lässt?
Wenn »die alltägliche, oft undramatische und relativ spannungsfreie Interaktion von ebenso großer Bedeutung ist, ja vielleicht von größerer als die kurzen
Augenblicke hoher Spannung« (Dornes 1993), dann mag das zum Abwägen der
Balance zwischen zwei verschiedenen Vorgehensweisen beitragen – zwischen dem
Herstellen einer stillen Atmosphäre der Geborgenheit und dem Laut-werdenlassen des Konflikts, zwischen »Guided Affective Imagery« und »Symbol Drama«,
den beiden Spielarten der KB-Therapie und ihrer erzählerischen Dimension.
Unter Baby-Watchern kennt man neben dem Lernen mittels dynamischer Highlights auch das »low-tension-learning« und weiß inzwischen, dass »ein guter Teil
der normalen und auch der pathologischen Interaktion zwischen Mutter und
Kind, aber auch ein guter Teil der explorativen Aktivität des Kindes, in solchen
Zuständen niedriger Spannung stattfindet« (Dornes 1993).
Schon in den ersten Lebenswochen gibt es den »Spielraum« als besonders
wichtiges Segment im Interaktionszyklus zwischen Mutter und Kind – »ein
›privater Raum in der Zeit‹ (Sander), in dem das Kind eine Wahlmöglichkeit hat
und nicht von innen oder außen determiniert ist. Es kann seinen Interessen und
seiner Aufmerksamkeit nachgehen. Es kann eigene Handlungen in Gang setzen,
Initiativen entwickeln und deren Wirkung beobachten. Es kann die Erfahrung
von Kontingenz, von Wechselseitigkeit machen. Wir stehen an einer Schwelle des
Selbst als Agenten …« (Köhler 1985). Im KB entspräche das der Selbsterprobung
auf dem Boden und im Schutze jenes »Übergangsraums«, von dem zuvor die
Rede war. Mit der Entfaltung eines solchen Spielraums geht eine Weiterentwicklung des Selbsterlebens einher, die Stern (1992) in fünf Entwicklungsstufen
bzw. Phasen einteilt.
Für die Belange unseres Themas wird es mit der dritten Phase erst richtig
spannend, und zwar dann, wenn das »subjektive Selbstempfinden« eine erste
Ahnung davon vermittelt, ein eigenes Wesen zu sein, das seine eigenen psychi­
schen Zustände mit anderen Wesen austauschen und mit diesen gemeinsame,
mitteilbare Zustände erleben kann. Damit ist der Beginn eines intersubjektiven
Dialogs eingeleitet, der aber erst in der nächsten, der vierten Phase metaphorische
bzw. symbolische Qualitäten annehmen kann, dann nämlich, wenn auf der Entwicklungsstufe des verbalen Selbstempfindens ein gemeinsames und symbolisch
kommuniziertes Wissen um gefühlsmäßige Zustände existiert, um eigene wie
Imagination, Nr. 2 /2009
Die metaphorische und narrative Dimension der Katathym Imaginativen Psychotherapie 29
gemeinsam erlebte. Die fünfte Entwicklungsstufe schließlich bringt die Fähigkeit
mit sich, »persönliche Erlebnisse und Motive in einer erzählenden, kohärenten
Geschichte zu organisieren« (Dornes 1993).
Mit dem Erwerb der Sprache und dem allmählichen Wirksamwerden einer
Kompetenz, die man – in Anlehnung an die von Lichtenberg (1983) beschriebene,
ihr vorausgehende »imaging capacity« – als »facultas narrativa« bezeichnen könnte,
folgt nun in der Phase des narrativen Selbst die Fähigkeit, Bilder wieder in einen
zeitlichen Fluss zu bringen. Durch das Belegen mit Wörtern war ja zuvor das
ganzheitliche, mit allen Sinnen verflochtene Erleben der vorherigen Phasen zu
Ende gegangen – ein schmerzlicher Verlust, der nur in besonderen Augenblicken
der Erleuchtung, der unio mystica oder des empathischen Gleichschwingens in
einer Psychotherapie aufgehoben erscheinen mag. Gleichzeitig aber hatte uns die
Sprache mit der Möglichkeit ausgestattet, Analogien und Metaphern zu finden,
die unsere Befindlichkeit beschreiben und von unmittelbarem Leid distanzieren
helfen. In der fünften Phase kommt nun die komplexe Fähigkeit hinzu, symbolische Brücken zwischen Vergangenheit und Zukunft zu bauen, Erlebtes zu
konservieren, Zukünftiges durchzuspielen, Gegenwärtiges mitzuteilen und eine
narrative Kontingenz herzustellen, die unser Selbstempfinden stabilisiert und
das Identitätsgefühl in der Tradition verankert, der individuellen, familiären
und kulturellen. Der »Spielplatz«, von dem vorhin die Rede war, ist damit zu
einem kulturellen Raum geworden, der »Übergangsfunktionen« (vgl. Abs. 3) zu
übernehmen vermag, indem er an guten gemeinsamen Erfahrungen anknüpft,
die Phantasie beflügelt und auf die Suche nach inneren Kraftquellen schickt,
die – unerschöpflich aus dem Inneren fließend – Trost spenden, Kränkungen
heilen und neue Wege aufzeigen können (Ullmann 2001 c).
5. Klinische Phänomene und deren neurobiologische Korrelate
Die metaphorisch-narrative Arbeit mit symbolischem Material baut auf drei
einzelnen Komponenten auf, die sich in mehrfacher Hinsicht unterscheiden.
Zu den dargestelltem entwicklungspsychologischen Aspekten kommen weitere
hinzu, die den Blick auf die verwendeten Sprachmuster und die bildlich zu beobachtenden Phänomene sowie auf die anzunehmenden mentalen und neurobiologischen Korrelate richten.
Beginnen wir mit dem Eigenschaftswort »narrativ«. Dieser Ausdruck bezeich­­net einen innerseelischen Vorgang, der dem, was in der »Realität« ge­schieht,
eine bestimmte Bedeutung zuweist. Das entspricht der üblichen Auf­fas­sung
vom konstruktivistischen Wesen des Narrativs und zeigt zugleich Aspekte der
metaphorischen Perspektive. Doch der eigentlich tragende Vorgang des narrativen Geschehens gründet in einer erzähldramatischen Komponente, die einen
Imagination, Nr. 2 /2009
30 Harald Ullmann
­Spannungsbogen von Erwartung und Lösung aufbaut. Dabei handelt es sich
um jene schon erwähnten präsymbolischen dramatischen Spannungsbögen der
frühen Entwicklungsphasen, die unserem sprachlich vermittelten Empfinden
zeitlebens unterlegt sind. Säuglingsforscher benutzen hier gern den dramaturgischen Ausdruck »Plot« (Stern 1998).
Sprachliche Muster, die auf das Wirken eines narrativen Vorgangs hinweisen,
bedienen sich regelhaft der Worte »weil« und »dann«. Die narrative Konstruktion
liebt es, ganz einfache Ursache-Wirkungs-Beziehungen herzustellen. »Weil ich
in meiner Kindheit …« Und schon ist die Herkunft des Symptoms erklärt, und
schon findet man sich in der Welt wieder zurecht. Der dem narrativen Vorgang
unterlegte erzähldramatische Modus dagegen spannt sich gerne zwischen den
Worten »dann« und »dann« auf. Lebhafte und spannende Imaginationen unterscheiden sich in diesem Punkt von solchen, in denen eine beschaulich betrachtende
Modalität überwiegt.
»Narrative« Vorgänge bauen auf den folgenden Prinzipien auf. Zuerst wird
das Geschehen, um das es geht, unter Gesichtspunkten des angestrebten Wohlbefindens und der ästhetischen Stimmigkeit neu bewertet. Die Fragen dahinter
sind: Fühle ich mich mit dieser Sicht der Wirklichkeit hinreichend wohl? »Macht«
sie auch wirklich »Sinn«? Dann wird die passende Version von Geschichte konstruiert. Um sie weiter zu erzählen, bedarf es eines Zuhörers, der in der Lage
ist, Verständnis für diese, meine Geschichte aufzubringen. Hier wird aus dem
innerseelischen Vorgang ein zwischenmenschlicher.
Auf der Ebene der Gehirnfunktionen korrespondieren nun Vorgänge in
verschiedenen neuronalen Netzen, die sich von genetisch früh angelegten zu
höher ausdifferenzierten Netzwerken aufbauen – aus tieferen Hirnregionen
heraus, von unten nach oben oder neudeutsch »bottom-up«. Da gibt es nun zu
unterst die Netzwerke für Spannung und Bewegung. (Sie sind hauptsächlich über
Stammhirn, Kleinhirn und Basalganglien verteilt.) Dann kommen die Netzwerke
für die Bewertung der Valenz, mit den Fragen »gut für mich?« und »macht’s
Sinn?« (Sie finden sich in verschiedenen Bereichen des limbischen Systems.) Und
weiter geht es in Netzwerke, die für Mitgefühl und Zeiterleben zuständig sind,
bis es schließlich im Großhirn zur Weiterbearbeitung und zur Bewusstwerdung
kommt.
Das Eigenschaftswort »symbolisch« bezeichnet – auf eine kurze Formel
gebracht – nichts anderes als einen innerseelischen Vorgang, bei dem Erlebnisinhalte an Bedeutungsträger von sinnlicher Prägnanz gebunden werden. Dabei ist
es unerheblich, ob diese Bedeutungsträger mit den Augen zu sehen sind oder nur
in der Vorstellung existieren. In jedem Falle stehen sie »für etwas«, das »durch sie«
repräsentiert wird. »Symbolische« Vorgänge zeichnen sich dadurch aus, dass sie
vielfach codiert sind und somit vielfache Bedeutungen in sich tragen. Darüber
hinaus wurzeln sie tief im Empfinden für Körpervorgänge und Emotionen.
Imagination, Nr. 2 /2009
Die metaphorische und narrative Dimension der Katathym Imaginativen Psychotherapie
31
Der Aufbau der neuronalen Netze entspricht – von unten nach oben, also
bottom-up, betrachtet – der Geschichte ihrer Entwicklung. Körperliche Vor­­
gänge – vegetative und motorische – machen den Anfang. Über das limbische
System und bestimmte Bereiche des rechten Temporalhirns kommen sie mit
Emotionen und Interpretationen zusammen, bis sie am Ende in symbolischer
Form repräsentiert sind. Die Übersetzungshilfe kommt von der primären Bezugsperson und deren eigenen, gleichschwingenden Netzwerken für Mitgefühl und
Identifikation (Bauer 2005, 2008).
An dritter Stelle sei nun als »metaphorisch« ein kreativer Akt der sprachlichen
Neuschöpfung bezeichnet, bei dem in der Interaktion mit äußeren oder inneren
Gesprächspartnern andere Varianten von Bedeutung geschaffen und kommunikativ vermittelt werden. Sprachlogisch besteht der Unterschied zum Symbolischen in der Zuordnung der Inhalte. Das Symbol stand »für etwas« dahinter
Liegendes. Die Metapher dagegen stellt einen Vergleich an, bei dem der zweite der
Gegenstände so ähnlich »ist wie« der erste, und das »macht« den Unterschied.
Die zentralen Prinzipien, nach denen Metaphern funktionieren, bestehen
darin, aus der Vielfalt möglicher Bedeutungen eine Auswahl zu treffen oder aber
auf Ähnlichkeiten abzuheben und quasi künstlich eine bestimmte Bedeutung zu
schaffen. Durch »Ver-rückung« entstehen andere Perspektiven der Betrachtung
von Zusammenhängen – bis hin zu dem Kontext, in dem sich ein bestimmtes
Geschehen ereignet. Die beteiligten neuronalen Netzwerke überschneiden sich
teilweise mit denen der Symbolfunktion. (Dann nämlich, wenn sich der metaphorische Vorgang eines schon bereit liegenden Symbols bedient.) Zusätzlich
kommen auch noch andere Netzwerke zum Tragen, die für das Sprachverständnis,
für raum-zeitliche Perspektiven und für die Einbindung in Kontexte zuständig
sind. Im Zusammenspiel zwischen dem Präfrontalen Cortex und der Hippocampus-Formation werden Inhalte des episodischen Gedächtnissystems aktualisiert und mit alternativen Informationen über den gerade aktuellen Kontext
abgeglichen. Theoretisch und klinisch haben sich besonders Salvisberg (2005)
und Dieter (2006) mit solchen Vorgängen befasst, während Stigler u. Pokorny
(2000, 2008) sich seit langem um die Erforschung primärprozessnaher Wirkfaktoren auf der Ebene der Mikronarrative bemühen. In der Episodenaktivierung
(s. u.) kommen implizit und explizit engrammierte narrative Entwicklungslinien
und metaphorische »Weltbilder« zusammen. Die Trias von Vergegenwärtigen, Episodenaktivierung und Rekontextualisierung kann damit als Dreh- und Angelpunkt
für den metaphorisch-narrativen Umformungsprozess der KIP angesehen werden,
komplettiert durch Konsolidierung über Wiederholungsschleifen.
Narrative, symbolische und metaphorische Vorgänge sind einerseits – wie wir
festgestellt haben – prinzipiell voneinander zu unterscheiden. Andererseits sind
sie aber auch aufs innigste miteinander vernetzt, beeinflussen sich gegenseitig
und gehen ineinander über. Von der Geschichte zum Symbol und von dort zur
Imagination, Nr. 2 /2009
32
Harald Ullmann
Metapher – wie zuvor an jenem alten griechischen Brauch der Gastfreundschaft
illustriert.
Die Psychotherapie mit dem Tagtraum kann als ein Austausch von Metaphern
und Geschichten verstanden werden. Wer als Patient kommt, bringt seine gesammelten Erzählungen mit: seine Lebensgeschichte und die Geschichte seiner Beziehungen, seine Leidens- und Krankengeschichte und in dieser die Problem- und
Symptomgeschichte. Als Herausgeber dieser Rahmenerzählung ist er metaphorisch zu Werke gegangen. Denn er hat bestimmte Ereignisse in ihrer Bedeutung so
verschoben, dass sie zu seinem dominierenden Weltbild passen. Zugleich hat der
Patient aber auch unter der Vielfalt der erlebten Geschichten solche ausgewählt,
die ihn in der Einengung des Krankseins dominieren, in steter Wiederholung
und gespurt wie seine »Gehirnloipen«. Deshalb tun wir gut daran, wachsam auf
Geschichten zu achten, die irgendwie aus dem Rahmen fallen und solche gezielt
zu fördern (vgl. Abs. 6). Und schließlich bringt der Therapeut ja ebenfalls sein
ganzes Repertoire an Geschichten mit. Wir sprechen da sonst üblicherweise von
»Gegenübertragung«. Mit der Brille der Metaphern und Narrative betrachtet
interagieren hier zwei Menschen im Symboldrama als Mitregisseure und zugleich
Protagonisten eines einmaligen Theaterstückes. Angeleitet werden sie von inneren
Repräsentanzen, in denen ihre jeweiligen Beziehungsschicksale weiterleben.
Der therapeutische Rahmen, den die KIP zur Verfügung stellt, enthält als zentral
wirksames Element den Tagtraum, der hier als eine von mehreren Geschichten in
eine Art Rahmenhandlung eingebunden ist. Wie kommt es nun, dass die Einbildungskraft, die sich in der Psychotherapie mit dem Tagtraum entfaltet, auf das
Gehirn so ungemein »prägnant« wirkt? Die basalen neurobiologischen Voraussetzungen werden von Autoren unterschiedlicher Provenienz im Grunde ähnlich
dargestellt, seien es nun psychodynamisch orientierte Kliniker (Deneke 2001,
Beutel 2002, Beutel u. Huber 2006) oder Verhaltenstherapeuten (Grawe 2000,
2004, Storch u. Krause 2007). Bei der Prägnanz ima­ginativer Geschichten haben
wir es mit sechs basalen Vorgängen oder Prinzipien zu tun, die zwischen den
men­ta­­len Prozessen und deren
neuro­biologischem Korrelat
Neurobiologische Prinzipien für die
vermitteln (s. 
Tabelle). Das
Prägnanz imaginativer Geschichten:
erste Prinzip besteht in der
grundsätzlichen Äquivalenz
• Äquivalenz von Erleben und Vorstellen
von Erleben und Vorstellen. Hier
• Vergegenwärtigen aller Zeitmodalitäten
geht es darum, dass es für Lern • Episodenaktivierung und Rekon­­tex­­tu­al­i­und ­Veränderungsprozesse
sierung
weitgehend unerheblich ist,
• Konsolidierung von Gedächt­nisin­­hal­ten
ob ihre bedeutsame »Realität«
• Neuroplastizität
in der Vergangenheit durch • Erfahrungsabhängiges Lernen 
­lebt, in der Gegenwart »live«
Imagination, Nr. 2 /2009
Die metaphorische und narrative Dimension der Katathym Imaginativen Psychotherapie
33
erfahren oder in die Zukunft projiziert wird. Denn dem Gehirn ist es fast egal,
wohin sich der Blick richtet, ob nach außen oder nach innen, nach rückwärts
oder nach vorwärts. Es baut ohnehin jede »Wirklichkeit« in der Gegenwart auf.
Hier greift das Vergegenwärtigen aller Zeitmodalitäten als zweites Prinzip. In der
gegebenen Situation werden Inhalte des episodischen Gedächtnissystems jetzt
»prozessual aktiviert« (Grawe 2000) und zugleich in Abhängigkeit vom jeweiligen Kontext aufs Neue bearbeitet. Die Episodenaktivierung und Rekontextualisierung ist als drittes Prinzip auf der Ebene der Hirnfunktionen eng mit einem
vierten Prinzip verzahnt, das als Konsolidierung bekannt ist. An dieser Stelle hat
die Hippocampus-Formation nicht nur wesentlichen Anteil an der Kontexterkennung und -markierung, sondern sorgt zugleich durch ihren Anteil an den
Wiederholungsschleifen des mnestischen Prozesses und der damit verbundenen
allmählichen Abspeicherung im Format des Langzeitgedächtnisses für ein nachhaltiges Implementieren des umgeformten oder neu geschaffenen metaphorischnarrativen Repertoires. Für uns ist das in sofern relevant, als sich die zentrale
Stellung des Tagtraums damit auch wieder relativiert. Schließlich tragen doch alle
Phasen der KIP ihren Teil zum Konsolidieren durch Wiederholung bei. Fünftens
werden nunmehr die nachmodellierten und neu formierten Gedächtnisinhalte als
strukturelle Veränderungen in neuronalen Netzen verankert. Dieses Prinzip nennt
sich Neuroplastizität. Die strukturell im Gehirn verankerten Vorerfahrungen und
Gedächtnisinhalte steuern ab jetzt ihrerseits die Optionen für Wahrnehmung und
Handeln. Dieses sechste Prinzip wird als erfahrungsabhängiges Lernen bezeichnet.
Huether u. Sachsse (2007) haben eine Reihe von situativen Voraussetzungen
für therapeutische Veränderungen und deren neurobiologische Implementierung
aufgeführt und dabei auf die Aktivierung innerer Zustände (»states«) hingewiesen. In metaphorisch-narrativer Hinsicht ist hinter den verschiedenen IchZuständen bzw. States letztlich ein Repertoire an unterschiedlichen Versionen von
Geschichten auszumachen, die in der gegenwärtigen Situation aktiviert, relativiert und umgestaltet werden können. Prekär ist nun, dass ausgerechnet die ganz
früh angelegten, subcortical verankerten »Vor-Geschichten« und Erlebnisspuren
besonders löschungsresistent bleiben. Sie sind der rationalen Korrektur durch
Großhirnleistungen nur bedingt zugänglich (Roth 2007). Psychotherapie kann
offenbar die dauerhaft im Bereich tiefer gelegener Schaltkreise eingebrannten
Primitivgeschichten nicht löschen, wohl aber in begrenztem Ausmaß »top-down«
zügeln und durch metaphorische Prozesse »toppen«. Zum anderen vermag Psychotherapie »katathym imaginativ« auf einer tieferen, emotions- und primärprozessnahen Ebene korrigierende emotionale Erfahrungen zu vermitteln. All dies
geschieht auf dem Boden eines vertrauenswürdigen Rahmens, in dem es möglich
wird, sich dem kritischen Erleben zu nähern, um es zu entaktualisieren, durch
neue Narrationen zu ersetzen und metaphorisch in einen neuen, übergeordneten
Kontext einzubinden. Und damit entstehen neue, hilfreiche Narrative.
Imagination, Nr. 2 /2009
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Harald Ullmann
6.Die KIP als metaphorisch-narrativer Prozess
In der KIP sind Metaphern und Narrative in verschiedenen Phasen des therapeutischen Prozesses wirksam – vom Tagtraum zum Nachgespräch und darüber
hinaus. Stark emotional eingefärbte, symbolträchtige Passagen, in welchen – auf
der Ebene der basalen dramatischen Spannungsbögen, von denen die Säuglingsforscher berichten – neue Narrationen entstehen können, finden sich im
Tagtraum und im Nachgespräch. Hingegen dominieren metaphorische Passagen,
die mehr auf die kognitive Veränderung von Perspektiven ausgerichtet sind,
eher bei der Bildbesprechung und in den weiteren Gesprächen. Betrachtet man
den therapeutischen Prozess unter dem Aspekt der Auswahl und des Aufbaus
von narrativem Material, dann erweist sich eine Unterscheidung in zwei Kategorien von Geschichten hilfreich. Die familientherapeutischen Autoren White u.
Epston (1998) beschreiben auf der einen Seite einen Typus von althergebrachter
oder beherrschender Geschichte, die eingeschliffen und mit Tabus abgestützt ist.
Diese dominierende Geschichte kann unterminiert und mehr oder weniger abgelöst
werden durch einen anderen Typ von Geschichte, der als spontane oder therapeutisch induzierte Ausnahmeerscheinung auftritt. Doch gerade einmalige Ereignisfolgen dieser Art, die aus dem Rahmen des Gewohnten fallen, können – wenn
man auf sie zu achten und angemessen mit ihnen umzugehen weiß – künftig zum
Träger des Neuen werden. In der KIP findet sich dieser Typus von Geschichte
zuhauf, von der Übertragungsgeschichte bis zum Tagtraum.
Man begegnet ihnen in einem Interview, das sich auf minimale narrative
Sequenzen (Stern 1998) oder auf signifikante Szenen in einem psychoanalytisch
orientierten Erstinterview (Argelander 1970) konzentriert. Wir können einmalige
Ereignisfolgen grundsätzlich in jeder Phase einer KIP entdecken, aufgreifen oder
initiieren, beginnend mit dem Initialen Tagtraum (Ullmann 1997). Zwischen
dem Purzelbaum neben der Couch, von dem der Psychoanalytiker Balint (1970)
berichtet, und dem Purzelbaum auf einer im Tagtraum imaginierten Wiese
besteht demnach in dieser Hinsicht prinzipiell kein Unterschied. Balints Frage
»Na und jetzt?«, die sich schließlich als »ein wahrer Durchbruch« erwies, wird
in der KIP des öfteren gestellt. »Agieren und Neubeginn« werden damit auf die
Bühne des Tagtraums gebracht. So eröffnen sich vielfältige Möglichkeiten für ein
aktives Experimentieren und Üben des Patienten im Hier-und-Jetzt der Psychotherapie mit dem Tagtraum. Thomä (1984) betont aus psychoanalytischer Perspektive
die »innovative Seite« des so genannten »acting in« für den Behandlungsprozess.
Man kann dabei sicherlich nicht voraussetzen, dass der Patient seine unbewussten
inneren Konflikte übersichtlich und brav auf der Tagtraum-Ebene abhandeln
und davon absehen wird, sie auch in der Übertragung zu re-inszenieren. Er wird
vielmehr anfänglich und zwischenzeitlich immer wieder auch Konflikte »aus­
agieren« müssen, d. h. in Handlungen umsetzen: als »acting out« außerhalb und
Imagination, Nr. 2 /2009
Die metaphorische und narrative Dimension der Katathym Imaginativen Psychotherapie
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als »acting in« innerhalb des Behandlungszimmers. Im »acting in« bekommen wir
sie in der aktuellen Szene sozusagen »live« zu spüren. Thomä und Kächele (1985)
betrachten ein solches Agieren in der Übertragung als willkommenes Material,
mit dem die typischen Konfliktabläufe und Beziehungsmuster »ad oculos« geführt
werden. Darüber hinaus sind im Rahmen des Enactment und der wechselseitig
miteinander korrespondierenden projektiven Identifizierungen von Patient und
Therapeut notwendigerweise Agiergeflechte zu erwarten, auf die besonders Dieter
(2006) und Nohr (2006) hingewiesen haben.
Wenn Leuner (1994) zwischen einer »Übertragungsneurose« und einer für
das KB spezifischen »Projektionsneurose« unterschied, in welcher die inneren
Konflikte auf dem Bildschirm des Tagtraums erscheinen und imaginativ bearbeitbar werden, hatte er wohl einen Idealfall vor Augen. Dieser entspräche dem
Ideal einer hinreichend kooperativen Übertragungs- und Arbeitsbeziehung, die
nicht selten erst einmal hergestellt und stets aufs Neue restituiert werden muss.
Wir haben es also in der Regel mit einer Ergänzungsreihe zu tun, die vom Actingout über das Acting-in bis zu imaginativen Inszenierungen im Tagtraum reicht,
die ich als Acting-inside bezeichnen möchte (Ullmann 2001 a). In dieser Variante
des Agierens bzw. Enactments nehmen nicht nur die gleichsam »mitgebrachten«
inneren Tendenzen des Patienten und des Therapeuten Gestalt an, sondern auch
und gerade die in der Interaktion zwischen beiden aufkommenden, aus denen in
dem miteinander geteilten und geschaffenen imaginativen Raum eine Art von
Agier-Melange wird. Das szenische »acting inside« kann es also in sich haben.
Warum auch sollte sich der »Wiederholungszwang« zur interpersonellen Inszenierung von inneren Konflikten (Freud 1914) grundsätzlich aus dem Symboldrama
heraushalten? Dem Imaginieren auf der Tagtraum-Ebene hat demnach eine Phase
des Durcharbeitens vorauszugehen oder zu folgen, denn sonst könnte die imaginäre
Landschaft gleichsam zum verminten Terrain werden. Andererseits ist es wohl mit
dem Durcharbeiten allein nicht getan. Die in der KIP neurobiologisch wirksame
Trias aus Vergegenwärtigen, Episodenaktivierung und Rekontextualisierung (s.
Abs.5) legt im Zusammenhang mit einem therapeutischen Konzept, das vor allem
neue, weiterführende Geschichten und Versionen von Geschichte im Visier hat,
eine Revision klassischer psychoanalytischer Positionen nahe. Zum »Erinnern,
Wiederholen und Durcharbeiten« (Freud 1914) käme dann unter dem Arbeitstitel
»Vergegenwärtigen, Ausprobieren und Durchspielen« ein alternativer Ansatz hinzu,
der mit neurobiologischen, verhaltenstherapeutischen und neueren psychodynamischen Ansätzen kompatibel ist.
Jede KIP-Sequenz trägt drei Phasen eines Neuschöpfungsprozesses in sich:
die Tagtraumübung mit Vor- und Nachgespräch, das bildnerische Gestalten
des Erlebten und die gemeinsame Bildbesprechung. Der Tagtraum selbst, das
»Katathyme Bilderleben« im eigentlichen Sinne, birgt zunächst einmal eine starke
»intrinsische« Potenz in sich: der Patient erzählt uns darin aus »seiner« Geschichte
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Harald Ullmann
(vgl. Abs. 3). Die Symbole, die er findet, sind zugleich Metaphern für bisherige
Lösungsversuche, auf die wir – im Rahmen der »extrinsischen« Komponente der
metaphorisch-narrativen Dimension – mit neuen Eingaben und Vorgaben ant­
worten können.
Wenn eine Patientin von Klessmann (1998) im Zuge des Dialogs mit dem
inneren Kind ihr Pferd vor einer Mauer stehen sieht, die einen bestimmten
Konflikt repräsentiert, dann wäre das eine Herausforderung, diese im Sinne der
ersten Dimension des KB symbolisch zu überwinden. Die zweite Dimension, also
die der archaischen Bedürfnisbefriedigung, bietet sich an, wenn ein Patient von
Wilke (1998) den Staudamm brechen lässt, der seine Tränen zurückhielt. Und
neue Dimensionen kündigen sich an, wenn eine meiner Patientinnen, die »mal
wieder im Regen stehen gelassen« wurde, sich assoziativ an einen bestimmten Film
erinnert, in welchem zwei Menschen, die im Regen stehen, zu tanzen anfangen,
zu singen, sich auf ein neuartiges Erlebnis einlassend und mit ihm spielend. Da
tanzt jemand gleichsam in die kreative, dritte Dimension hinein.
Hier beginnt nun, wenn man als Therapeut mitspielt, die metaphorischnarrative Dimension der Methode zu wirken. Was lässt sich nicht alles in solchen
Bildern und mit diesen machen? Welche metaphorischen Möglichkeiten bieten
sich dem Patienten von Wilke, wenn sein Tränensee imstande ist, die Wüste im
Hinterland fruchtbar zu machen? Welche narrativen Möglichkeiten des Aufbaus
einer anderen Geschichte des Lebens schlummern in einer solchen Metapher?
Welche erzählerische Potenz hat die Patientin von Klessmann entwickelt, die sich
während der vorherigen Klinikbehandlung noch »irgendwas« ausdachte, weil sie
die anderen nicht »um ihre schönen Geschichten beneiden« wollte? Und wie viele
Optionen verwirft sie mit ihrem Pferd, bis eines Tages, im Fortgang der Therapie,
endlich an einem anderen Objekt (einem Tisch, an dem ein Bein pferdefüßig
wirkt), der Weg der Operation am Symbol beschritten wird? Und was wird aus
dem Tanz meiner Patientin, wenn die Sonne alle Wolken vertrieben hat?
7.Polaritäten auf verschiedenen Ebenen des therapeutischen
Geschehens
Die metaphorisch-narrative Dimension der KIP bewegt sich auf verschiedenen
Ebenen zwischen Polaritäten, sei es im Wechsel der Focussierung, in den Regieprinzipien oder in den Interventionstechniken. Der narrative Focus der vierten
Dimension richtet sich von Anfang an auf etwa noch nicht ausprobierte Spielarten
des Lebens, während der metaphorische Focus den Kontext beleuchtet, in welchem
sich die bisherigen Lösungsversuche bewegen. Mit der Methode des Reframing
wird alsdann versucht, den zunächst frucht- und ausweglos erscheinenden
Konstellationen jene andere Seite abzugewinnen, die als alternative ­Sicht‑ oder
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Die metaphorische und narrative Dimension der Katathym Imaginativen Psychotherapie
37
Handlungs-Option in ihnen enthalten ist – sei es nun im Tagtraum oder in den
anderen Phasen des therapeutischen Prozesses.
Beispiel A1: Betriebswirt (35):
Der schon erwähnten Sprachfloskel »auf der Stelle treten«, mit der einer meiner Patienten
den Stillstand in seiner Lebenssituation und in der Therapie beschrieb, war auf zweifache
Weise eine neue Wendung zu geben. Die metaphorische Wendung bestand darin, den
Stillstand als Warteposition vor dem nächsten Fortschritt aufzufassen und im KB in
Szene zu setzen. Im Kneippbecken (vgl. Abb.) konnte er, auf der Stelle tretend, die Kraft
seiner Füße spüren und die Tendenz erkennen, mit unbedachten Schritten vorschnell
an den Rand eines Waldes zu geraten, der Ängste barg, denen er noch nicht gewachsen
war. Die narrative Wendung bestand schließlich darin, lustvoll größere Etappen zu
bewältigen, auf dem Weg ins Dorf und zu den Beziehungskonflikten, die dort auf
ihn warteten. (Über die Biographie und die auch unter Gender-Gesichtspunkten
interessante Dynamik dieser KIP kann an anderer Stelle nachgelesen werden: Hauler
u. Ullmann 2008)
Neben eine gleichsam »beschauliche« metaphorische Komponente, die neue Sichtweisen erschließen kann, gibt es im Tagtraum immer auch eine dramaturgische,
narrationsfördernde Komponente die nicht weniger an Aufmerksamkeit verdient.
Kindt hat dazu aus linguistischer Perspektive zwei sprachliche Modalitäten der
Tagtraumführung herausgearbeitet: eine beschreibende und eine erzählende
(Kindt 1997). Bezüglich des hier zur Anwendung kommenden Interventionsstils
können wir ein retardierendes und ein akzelerierendes Moment unterscheiden.
Korrespondierend zu den beschriebenen Vorgehensweisen lassen sich unter den
Metaphern, die wir als Therapeut aufgreifen oder einbringen, reflexionsfördernde
und narrationsfördernde unterscheiden. Reflexionsfördernde Metaphern haben
ihren Platz eher in jenen Phasen des Prozesses, die mehr kognitiv orientiert sind
und der deutendenden bzw. verstehenden Bearbeitung des Erlebten dienen.
Narrationsfördernde Metaphern dagegen sind dazu angelegt, die Dramaturgie des
frischen Erlebens voranzubringen und narratives Material zu erschaffen. Diese
Aufteilung in verschiedene Typen von Metaphern dürfte zu dem Konzept der
»strukturierenden Faktoren« passen, in welchem innerhalb der KIP für das Bearbeiten und Erleben unterschiedliche »Räume« vorgesehen sind (Kottje-Birnbacher
1992).
Die dem Patienten zu Beginn einer Imaginationsübung vorgegebenen Motive
wären unter dem Gesichtspunkt der Produktion von erzähldramatischem Material
nichts anderes als eine Sonderform der narrationsfördernden Metapher. In diesem
Sinne lässt sich das Motiv als ein Symbol mit Aufforderungscharakter auffassen,
das in der Gegenübertragung bzw. in einem gemeinsamen Vorstellungsraum
herangereift ist, um schließlich im Moment der Motivvorgabe als Metapher eine
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Harald Ullmann
Abb.: »Auf der Stelle
treten.« Und dann?
sprachliche Form anzunehmen und narrative Potenzen zu entfalten, vom unmittelbaren katathymen Bilderleben bis zu den narrativen Versionen der danach zu
erzählenden Geschichte und neuen Metaphern, die daran anknüpfen. Im Lauf
des Tagtraums entsteht ein verbal vermittelter Dialog auf der Bildebene, der symbolische und ganzheitliche Qualitäten des unmittelbaren Erlebens mit sprachlichdiskursiven Qualitäten auf gleichsam poetische Weise in der Schwebe hält. Die
in der Imagination erschaffenen Symbole können hernach innerpsychisch oder in
Form von gemalten Bildern und anderen künstlerischen Produkten überdauern.
Sie können aber auch über das Medium der Sprache kommuniziert werden und
interaktive Metaphern (Fabregat u. Krause 2008) werden, welche sich als konkret
gehaltene Themen durch den therapeutischen Prozess hindurchziehen und diesen
mitgestalten.
Beispiel A2:
In einer fortgeschrittenen Phase seiner Therapie trat unser Beispiel-Patient erneut
auf der Stelle. Doch gleich zu Anfang der KIP hatte er schon begonnen, Bilder zu
kreieren, die als Symbole oder Metaphern thematisch um Füße, Fußstapfen, Spuren
und Schritte kreisten. Im Erstgespräch war die Rede vom »Auftreten« im Beruf und
von den »Auftritten« einer früheren Freundin. Mit dem Initialen Tagtraum meinte er,
»Neuland betreten« zu haben und brachte mir zur nächsten Stunde ein Bild mit, auf
dem er Spuren in den Sand gezeichnet hatte. »Sehen Sie meine Fußstapfen?« Die werden
hinfort auf fast allen weiteren Bildern zu sehen sein (vgl. Abb.). Und Metaphern wie
»bodenständig« oder »raumgreifend« werden bis in die Tagträume hinein symbolbildend
wirksam sein, um von dort aus erneut Eingang in Metaphern zu finden. Symbol und
Metapher gehen also in dieser KIP – wie so oft – gleichsam »Hand in Hand«.
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Die metaphorische und narrative Dimension der Katathym Imaginativen Psychotherapie
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8. Mit kleiner und größer werdender Optik
Beide Betrachtungsweisen im Symboldrama, die metaphorische und die narrative,
stellen sich jeweils auf eine Makro-Ebene und auf eine Mikro-Ebene ein, korrespondierend zu passenden Regieprinzipen und Interventionsstilen, die andernorts
eingehender erläutert werden (Ullmann 2001a, 2001c, 2002). In der Makro-Ebene
etwa kann es darum gehen, sich auf das jeweilige Problem oder Symptom, einen
Mangel oder einen Konflikt einzustellen und zugleich auf die Kehrseite all
dessen – im Sinne eines Ansatzes, der die bisherigen Bewältigungsversuche positiv
konnotiert, Ressourcen aufzuspüren versucht und symptomatisches Verhalten in
einen anderen Betrachtungsrahmen hinein ver-rückt (metaphorischer Fokus).
Auf der Mikro-Ebene dagegen lässt sich unmittelbar an den sich einstellenden
Spannungsbögen, protonarrativen Strukturen und inneren Schemata arbeiten.
Man kann eine solche mikroskopische Perspektive als eine Art von Lupe oder
Zeitlupe dazu verwenden, direkt auf der Bildebene nachmodellierend zu intervenieren (Beispiele bei: d’Arcais-Strotmann u. Ullmann 2002, Ullmann 2001 b).
Unter dieser Art von Lupe zeigt sich im jeweiligen Fall nicht selten im Kleinen,
was auch im größeren Zusammenhang der individuellen Beziehungsschicksale
aktuell ist. Dies wiederum kann aufgegriffen und auf der Makro-Ebene weiter
bearbeitet werden, sei es deutend oder alternative Möglichkeiten anregend. Im
Wechsel der Optik zwischen beiden kann die KIP eine Fülle von metaphorischen
und narrativen Potenzen entfalten (Beispiel-Fall: Ullmann 2001 b).
Eine Sonderform des Spiels mit Metaphern, deren Grundmuster aus dem in
der Hypnotherapie entwickelten Story-Telling entlehnt sind, führt – unter sorgfältigem Achten auf die Gegenübertragung – gezielt extrinsisches Material in den
therapeutische Prozess ein. Das spezifische KB-Element besteht dann darin, die
Spuren der eingebrachten Metaphern auf der Ebene des »Symbol-Dramas« weiterzuverfolgen und mit ihnen nach den Regeln unserer Kunst zu arbeiten. Dieser
Ansatz, der Klienten-Metaphern von Therapeuten-Metaphern (Krause u. Revenstorf
1997) unterscheidet, eignet sich besonders für zwei Gruppen von Klienten bzw.
Patienten. Zum einen profitieren von diesem Vorgehen jene Patienten, die bisher
oder zeitweilig über wenig Phantasie verfügen, z. B. solche mit Psychosomatischen
Erkrankungen oder Burnout-Syndrom. Zum anderen können Erzähl-Metaphern
helfen, Entwicklungsschritte zu tun oder Hürden zu überwinden, mag es sich um
ältere Menschen handeln, die phasentypische Krisen zu meistern haben, oder um
Heranwachsende, die vor einer Prüfung zurückscheuen.
Beispiel B: Student (29):
Schier endlos und ohne vorzeigbaren Erfolg studierte er Jura, jenes Fach, in dem sein
Vater eine große Karriere gemacht hatte. Selbst stets aufs Neue entmutigt, »wie vor
einem Riesenberg« stehend, und vom Vater als »Langeweiler« gedemütigt, machte er
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inzwischen einen Bogen um die ferner gerückte Uni und wählte lieber den knappen
Weg in die Kneipe. Nachdem der Vater die Familie wegen einer jungen Liebe verlassen
hatte, ist unser Patient als ältester Sohn in sein Elternhaus heimgekehrt, das zum
Verkauf ansteht. Während der Vater jetzt in einer anderen Stadt zur High Society gehört,
versumpft der Sohn im Souterrain, umgeben von ungelesenen Stapeln an Skripten, still
trinkend und gelegentlich in den Streitereien mit der Mutter lauter werdend. Mutter ist
es schließlich, die ihn in die Therapie schickt.
Von Therapie will er zunächst genau so wenig wissen wie vom Studium, aber der
Therapeut scheint ihm doch irgendwie auf einer gemeinsamen Wellenlänge zu liegen,
wenn von Bukowski, Suff und Underground die Rede ist. Manche der Geschichten, die
der zum Besten gibt, sind auch wirklich »nicht ganz ohne«: Diverse Versager-Mythen
fährt er auf, von Prinz Charles bis zu Herostrat, der wenigstens ein großes Feuer
zustande brachte, umrahmt von Underground-Stories, die den Patienten in einem
eigentümlichen Bewusstseinszustand erreichen. Unser ewiger Student hört schließlich
in einer Art von akademischer Telemach-Version der Odyssee eine Geschichte, die ihn
sichtlich berührt und damit einen Bezugsrahmen herstellt, in dem er sich verstanden
und angenommen fühlt: als loyaler, treuer Sohn, der wie ein Held im Wartestand lange
durchhalten kann. Das ist endlich mal etwas anderes als ein »Langeweiler«! Im ITT
zeigt sich eine mickerige Margerite, die vor dem Hintergrund der großen Buchsbaumhecke ziemlich verloren wirkt. Beim ersten Berg-Motiv macht sich Resignation breit,
denn dieses Bergmassiv, das da plötzlich vor ihm steht, ist einfach zu steil. Beim Blick
aus gemessener Entfernung, neben einem Freund auf der Bank sitzend, relativierten
sich die Größenverhältnisse der zwei sehr unterschiedlich hohen Berge. Der Therapeut
erwähnt später Bergwanderungen auf halber Höhe und weiß von den kleinen Schritten
zu berichten, in denen der angehende Wildwasser-Kanute die Eskimo-Rolle üben
muss, bis sich eines Tages, oben bleibend, beim stolzen Aufrichten des Körpers, dieses
unglaubliche Hochgefühl einstellt. Die weiterhin eingestreuten Underground-Stories
beginnen unseren Dauerstudenten allmählich zu nerven. Beim zweiten Berg-KB übt er
sich im Wechsel von Aufsteigen und Ausruhen, genießt die Pausen und entwickelt die
Zuversicht, irgendwann auch einmal den Gipfel zu erreichen. Beim dritten Berg-KB soll
es um nichts anderes gehen als die Vorgabe, das Hochgefühl einer gelungenen Bergbesteigung auszukosten. Der Körper strafft sich. Die Freunde kommen hinzu. Durst wird
durch Bier erst schön. Im gemalten Bild ist der Bergaufstieg mit Paragraphen gepflastert.
Am Ende einer KIP, die ihn auch an andere Orte der katathymen Landschaft führt,
steht für unseren lernfreudig gewordenen Studenten erneut ein Berg an. Diesmal liegt
er im Mittelgebirge. Die Etappen sind gut machbar. Auf der Höhe angekommen, wird
er von einigen Freunden begrüßt und beglückwünscht. – Von jetzt an beginnen die
Examensvorbereitungen …
Hinter dem berichteten Gang der Handlung mag man systemische Ansätze
(positive Konnotation, Umdeutung, paradoxe Intervention) oder hypnotherapeutische Techniken im Umfeld der »eingebetteten Metaphern« entdecken. Aber
am Ende war das doch wohl eine ganz normale KIP, oder? Was von alledem wurde
symbolisch oder metaphorisch bedeutsam? Was trug zu Veränderungen in der
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Die metaphorische und narrative Dimension der Katathym Imaginativen Psychotherapie
41
Gestaltung von Narrativen und aktuellen Lebenslinien bei? Durch welche Untersuchungsdesigns werden die Wirkungen der mataphorisch-narrativen Dimension
wohl zu erklären sein? Wie ist ihre Effizienz zu beweisen oder gar zu messen? Sind
therapeutische Konzepte, die sich auf das individuelle Weltbild des Einzelnen
konzentrieren und an einer je einzigartigen Geschichte interessiert sind, vor dem
Hintergrund der Forderungen nach diagnosespezifischen Therapieansätzen und
Effizienzstudien überhaupt »zeitgemäß«?
»Mir erscheint die Idee vollständiger Erklärbarkeit als eine Hoffnung, die das
Staunen befriedigt und beseitigt. Man kann nun in einer Welt leben, in der es
das Wunder und das Unwissbare nicht mehr gibt; das ist das Ergebnis unserer
Erklärungsversuche.« So heißt es in den Gesprächen für Skeptiker (v. Foerster
u. Pörksen 1999). Der Erklärbarkeit der Welt durch theoretische Konzepte
und Untersuchungen mit wissenschaftlichem Anspruch werden auch und
gerade für psychotherapeutische Belange Grenzen gesetzt bleiben. Denn unsere
Theorien (griech.: »Anschauungen«) sind letztlich nichts anderes als wirklichkeits­
konstruierende und handlungsleitende konzeptuelle Metaphern. Im günstigen Fall
haben sie sich in der klinischen Praxis bewährt. Im ungünstigen Fall verstellen sie
den Blick für alternative Sicht- und Handlungsweisen.
In der KIP scheint es nicht selten so, als würden sich mentale Vorgänge auf
dem Projektionsschirm des Tagtraums abbilden. Wenn dem so wäre, hätte dieses
Verfahren gegenüber anderen den Vorzug, dass die gängigen Theorien somit (im
griechischen Wortsinn) mit anschaulicher Evidenz vor Augen träten. Nur wäre
das wohl zu schön, um wahr zu sein. Denn Theorien sind modellhafte Konstrukte,
die allenfalls brauchbar und in bestimmten Bereichen gültig sein können, aber
nicht wahrer werden, wenn sie anschaulich zu sein scheinen.
Die Optik der metaphorisch-narrativen Dimension erlaubt klinisch praktikable Mikro- und Makro-Einstellungen auf den therapeutischen Prozess. Doch
geht es dabei eben nicht um die eine oder einzige Wahrheit, sondern um nichts
anderes als Optionen für Sicht- und Handlungsweisen. Über ein großes und flexibles
Repertoire derselben zu verfügen, könnte sogar ein erstrebenswertes therapeutisches Ziel sein. Die Maxime der Metaphernvielfalt mag dazu beitragen, dass die
Einstellungen unserer Optik vielfältig bleiben und der KIP auch in Zukunft ein
buntes, mehrdimensionales Kaleidoskop zugestanden wird.
Imagination, Nr. 2 /2009
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Imagination, Nr. 2 /2009
Die metaphorische und narrative Dimension der Katathym Imaginativen Psychotherapie
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Winnicott, D. W. (1973): Vom Spiel zur Kreativität. Stuttgart: Klett-Cotta
Zusammenfassung:
Die Katathym Imaginative Psychotherapie (KIP) stützt sich von Anfang an auf
dramatische Spannungslinien und metaphorische Strukturen. Sie reichen vom
Symbol bis zu seiner Entfaltung in der Interaktion und von der Motivgestaltung
bis zur Gestaltung des therapeutischen Prozesses. Dabei greifen symbolische,
dramatische und metaphorische Elemente ineinander, die unter entwicklungspsychologischen, neurobiologischen und psychodynamischen Gesichtspunkten
zu betrachten sind. Sie alle bündeln sich auf der Ebene des Tagtraumgeschehens
in der Trias Vergegenwärtigen – Episodenaktivierung – Rekontextualisierung, komplettiert durch den Vorgang der Konsolidierung über Wiederholungsschleifen.
Für einen kreativen Umgang mit dem agierenden Moment des Verfahrens sollte
künftig neben klassischen klinischen Konzepten, die auf die Notwendigkeit
des Durcharbeitens von Übertragungswiderständen und Wiederholungszwang
abheben, zunehmend auch ein Vorgehen praktiziert werden, das vom episodi­
schen Vergegenwärtigen zum Ausprobieren und wiederholten Durchspielen
neuer Options- und Handlungsweisen führt. Der diesbezügliche, als narrative
Dimen­sion bekannt gewordene Verständnisrahmen ist im Sinne einer metaphorisch-­narrativen Dimension zu erweitern.
Autor:
Dr. med. Harald Ullmann
Arzt für Neurologie und Psychiatrie
Facharzt für Psychotherapeutische Medizin
Psychoanalyse
Nowackanlage 15
D – 76137 Karlsruhe
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46 Leonore Kottje-Birnbacher
Die Liebe in der Paartherapie mit KIP
Leonore Kottje-Birnbacher
Die Anlässe für eine Paartherapie sind vielfältig. Oft sind es permanente Auseinandersetzungen aus Enttäuschung aneinander, weswegen sich Paare irgendwann
fragen, ob sie so weiterhin ihr Leben verbringen wollen, ob es noch einen besseren
Weg miteinander gibt, oder ob sie sich besser trennen. Oft möchte auch einer die
Beziehung weiterführen und der andere nicht, weil er sich heftig in jemanden
anders verliebt hat, oder weil er seinen Partner einfach nicht mehr liebt und
sich eine Beziehung ohne Liebe auf die Dauer nicht vorstellen kann, oder einer
fühlt sich vom andern schlecht behandelt, dem ist aber nicht klar, was er dem
andern konkret antut. Es gibt auch Paare, die mit einer Lebensumstellung nicht
gut zurecht kommen, sie sagen, nach der Geburt des ersten Kindes hätte sich die
Beziehung sehr verändert, sie seien sexuell nicht mehr recht zusammen gekommen
und emotional auch nicht; oder den dritten berufsbedingten Umzug in eine
andere Stadt habe die Frau emotional nicht mehr verkraftet und sei depressiv
geworden. Oder beide sind völlig erschöpft nach einem Hausbau, der viel mehr
Geld verschlungen hat als geplant, oder genervt durch die anstrengenden Kinder
oder durch Eltern bzw. Schwiegereltern, die sich einmischen oder allein nicht
mehr zurecht kommen und Pflege brauchen o. Ä.
Die Situationen und die sich in ihnen entfaltenden Gefühle sind sehr komplex,
und man hat es immer mit zwei Personen gleichzeitig zu tun, denen man
gerecht werden sollte. Daher braucht man gute theoretische Konzepte, um die
wesentlichen Strukturen entdecken und viele andere Informationen ausblenden
zu können, und ein breites Repertoire an Interventionstechniken, um Veränderungen anregen zu können. Für das theoretische Verständnis hat sich m. E. die
Integration von psychodynamischem und systemischen Denken sehr bewährt,
verändernde Interventionen findet man in unterschiedlichen methodischen
Ansätzen, vor allem in der systemischen und lösungsorientierten, aber auch in
der Verhaltenstherapie und nicht zuletzt in der KIP.
Psychodynamische Konzepte ermöglichen ein Verständnis der Entwicklungsgeschichte jedes Partners, was entlastend wirkt, denn die jeweiligen Prägungen
und Beziehungserwartungen haben natürlich Auswirkungen sowohl auf das
eigene Verhalten dem Partner gegenüber als auch auf die Interpretationen des
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Die Liebe in der Paartherapie mit KIP 47
Verhaltens des Partners. Gerade bei Paaren finden sich wegen der hohen Intensität der Beziehung viele übertragungsbedingte Wahrnehmungsverzerrungen, die
wahrgenommen und korrigiert werden müssen. Systemische Konzepte ermöglichen dagegen ein Verständnis der interaktionellen Zirkel, Eskalationen und
Verfestigungen, die sich aus den persönlichen Eigenarten der Partner im Umgang
miteinander entwickelt haben und die leider, auch wenn man sie verstanden
hat, zunächst bestehen bleiben, entweder weil sie unterschwellig eine wichtige
Funktion für das Lebensgleichgewicht haben, oder schlicht deswegen, weil sie
sich verfestigt haben und keiner weiß, wie er hinauskommen kann. – Watzlawick
hat dafür seinerzeit eine schöne Metapher gefunden: Wenn ein Boot Schlagseite
hat, versucht man, es zu stabilisieren, indem man sich zu der Seite, die zu wenig
Gewicht hat, hinauslehnt. Wenn der andere aber findet, dass durch dies Hinauslehnen die andere Seite jetzt zu viel Gewicht bekommen hat, wird er sich zu seiner
Seite hinauslehnen, um die Balance zu halten. So kann es sein, dass sich jeder
immer weiter hinauslehnt, um den andern zu kompensieren, keiner kann sich
entspannen und zurücklehnen, das ist sehr anstrengend. In dieser Situation einer
gegenseitigen Polarisierung finden sich viele Paare: Wenn z. B. der Mann findet,
dass die Frau den Kindern zu gewährend ist, wird er mehr von ihnen verlangen
und strenger sein als sie, das wiederum findet die Frau dann zu viel und beginnt,
die Kinder vor ihm zu schützen, d. h. jeder kompensiert den andern, und der
Konflikt miteinander vergrößert sich dabei immer mehr.
Im Folgenden möchte ich speziell auf die Gefühlsbeziehung der Partner zueinander fokussieren, auf ihr Gefühl von Liebe zueinander, möchte einige theoretische Konzeptionen und empirische Ergebnisse dazu vorstellen und dann auf die
Möglichkeiten der KIP eingehen, Gefühle zu verdeutlichen und zu verändern.
Leitvorstellungen von Beziehungen
In den letzten Jahrzehnten haben sich die inneren Leitvorstellungen von Beziehungen sehr verändert, was man deutlich an den zunehmend emotionalen Anliegen
der Paare in der paartherapeutischen Praxis merkt. Schmidt und von Stritzky
(2004) bestätigten in einer großen empirischen Längsschnittuntersuchung, dass
Beziehungen heute primär aus gefühlsmäßigen Gründen eingegangen werden
und auch nur so lange aufrecht erhalten werden, solange sich beide darin wohl
fühlen. Dadurch sind sie prinzipiell instabil, und serielle Beziehungen, die mit
seriellen Single-Phasen abwechseln, sind bei den Jüngeren zum gängigen Muster
geworden: Die heute 30-Jährigen haben mehr feste Beziehungen hinter sich als
die 60-Jährigen. Aber 95 % der heute 30-Jährigen empfinden die feste Zweierbeziehung weiterhin als die ideale Art, das Leben einzurichten. Die 29 % Singles sind
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48 Leonore Kottje-Birnbacher
»gerade mal wieder Single«. Die Instabilität der heutigen Beziehungen ist letztlich
eine Konsequenz des hohen Stellenwertes, der Beziehungen für das persönliche
Glück beigemessen wird. Und das glückliche, stimmige Lebensgefühl in einer
Beziehung ist weitgehend von dem Vorhandensein oder Nicht-Vorhandensein
des Gefühls von Liebe für den Partner abhängig. Dies Gefühl ist letztlich dafür
maßgeblich, ob Paare weiter miteinander leben und in die Beziehung investieren
wollen oder nicht.
Astrid Riehl-Emde hat den zentralen Stellenwert der Liebe in einer Befragung
von 900 Züricher Paaren belegt: als wichtigster Faktor für den Zusammenhalt
und das Sich-Wohlfühlen miteinander wurde »Liebe« genannt (Riehl-Emde 2003).
Andere wichtige Faktoren waren: die Identifikation mit der Partnerschaft (also ein
Gefühl von Zusammenhalt durch die gemeinsame Geschichte und das Wissen,
dass man zueinander steht, egal was passiert), der Austausch im gemeinsamen
Gespräch und die persönliche Entwicklung im Umgang miteinander. – Zärtlichkeit rangierte erst an 10., Erotik an 12. und Sex an 14. Stelle. – Es mag sein,
dass die Gewichtung der einzelnen Faktoren in andern Gegenden Europas etwas
anders ausfiele, aber in allen westlichen Industriegesellschaften gilt die Liebe
zur Zeit als wichtigstes Fundament einer Beziehung, obwohl meist etwas unklar
bleibt, was damit gemeint ist.
Was wissen wir über die Liebe?
Was man als liebevolle Beziehung empfindet, kann je nach Temperament offenbar
sehr verschiedene Tönungen haben. Gottman (1994) fand in umfangreichen empirischen Untersuchungen an lange verheirateten Paaren drei deutlich verschiedene
Typen von zufriedenen stabilen Paaren, die von sich sagten, dass sie sich liebten.
Er nannte diese Typen: impulsiv, wertschätzend und vermeidend. Die Paare
unterschieden sich sehr in der Art und der Intensität ihres Umgangs miteinander,
gemeinsam war aber bei allen ein günstiges Verhältnis von positiven zu negativen
Äußerungen dem andern gegenüber (5 : 1), d. h. die Partner signalisierten sich
gegenseitig, dass sie sich akzeptierten. – Liebe impliziert also offenbar notwendig
eine intensive positive Verbundenheit miteinander, aber die Verbundenheit kann
sich je nach Temperament sehr verschieden äußern, Streit ist für manche Paare
absolut kompatibel mit Liebe, für andere schwer aushaltbar.
Für die Differentialdiagnostik der gefühlsmäßigen Beziehung ist die Dreieckstheorie der Liebe von Sternberg (1986) sehr nützlich. Sternberg geht von drei
Komponenten der Liebe aus, die durch ihre spezifischen Mischungsverhältnisse
unterschiedliche Liebesstile ergeben. Die drei Komponenten sind:
1. Intimität (Gefühle von Nähe, Verbundenheit, Zusammengehören)
2. Leidenschaft (Romantik, physische Anziehung und sexuelle Erfüllung)
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Die Liebe in der Paartherapie mit KIP 49
3. Entscheidung /Selbstverpflichtung (Treueversprechen und formelle
Bin­­­­­dungs­­schritte)
Eine erfüllte Liebe wird alle drei Aspekte umfassen, eine romantische Liebe nur
Intimität und Leidenschaft, aber keine Verpflichtung, eine kameradschaftliche
Liebe nur Intimität und Verpflichtung, aber keine Leidenschaft.
Die drei Komponenten entwickeln sich über die Zeit hin unterschiedlich,
wodurch sich Beziehungen immer über die Zeit hin verändern: die Leidenschaft
pflegt zu Beginn hoch zu sein, sie kann rasch entflammen, aber auch rasch wieder
abklingen; die Verpflichtung wächst allmählich bis auf ein bestimmtes Niveau, das
dann gehalten wird. Durch Entscheidungen (zusammenzuziehen, miteinander
Kinder zu haben, zusammen ein Haus zu bauen) steigt die Verbindlichkeit auf ein
höheres Niveau; die Intimität wächst langsam und stetig über lange Zeit – solange
sich die Partner gegenseitig zuhören. Sie kann auch verflachen.
Eine weitere wichtige Unterscheidung, die den Paaren hilft, ihre Erwartungen
aneinander besser zu verstehen, ist die zwischen Partnerschaft und Liebe (Retzer
2004). Die Liebe ist eine Art Himmelsmacht, man wird von ihr ergriffen oder
auch nicht, sie ist willentlich nicht beeinflussbar, kann nicht hergestellt oder
beendet werden. Sie lässt die Persönlichkeit in Fluss geraten, macht Veränderungen
möglich und gibt Schwung für einen Neubeginn. Sie kann auch in Konflikt zu
andern Werten stehen, moralische und emotionale Konflikte auslösen, kann die
Persönlichkeit reifen lassen, kann sie auch ins Verderben führen. Sie ist nicht
harmlos, sondern voll Risiko, führt in mitten in das Abenteuer des Lebens hinein,
ist ein Sinnangebot voll Erlösungshoffnungen und Apokalypse-Befürchtungen.
Sie wird in der Poesie besungen (Hohelied Salomos, Hafis) und in der Literatur
dargestellt mit ihrer ganzen Sprengkraft, die Ausbrüche und Verzweiflungstaten
bis zum Selbstmord und Mord verursacht (Romeo und Julia, Anna Karenina,
Woyzeck). – Partnerschaft dagegen ist ein Verfahren zur Risikominimierung,
sie wird durch die Vernunft und den Willen gesteuert. Man vereinbart Geben
und Nehmen und erwartet Fairness (Retzer 2004, 76) und dauerhafte Kooperation. Die Partnerschaft stellt die unverzichtbaren Rahmenbedingungen her, die
Liebesbeziehung gibt dem Leben Sinn und Inhalt (Willi und Limacher 2005),
ermöglicht Geborgenheit, Zuhausesein, Miteinander-Vertrautsein.
In Paar­therapien wurde bis vor ca. 10 Jahren primär die Ebene der Partnerschaft
fokussiert, besonders in der verhaltenstherapeutischen Paartherapie wurde an der
Verbesserung der Kommunikation und der Klärung der beiderseitigen Bedürfnisse gearbeitet, man gab Anregungen für ihre Befriedigung, suchte negative
Interaktionsverläufe zu unterbrechen und Regeln zu erarbeiten, um Beziehungsgerechtigkeit und Ausgewogenheit zu fördern. Das sind alles wichtige Aspekte,
denn Störungen in diesen Bereichen bedingen viele ungute Gefühle, aber damit
geht es nur um die technischen Skills, um Vorbedingungen einer liebevollen
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Leonore Kottje-Birnbacher
Beziehung, aber das ist nicht alles. Die Frage nach Liebe und Intimität eröffnet
den Blick auf das Zusammenspiel der widerstreitenden existenziellen Strebungen
mit der Sehnsucht nach Einssein und dem Wunsch nach Freiheit, Unabhängigkeit
und Abwechslung und auf die Angst vor Abhängigkeit und Selbstverlust in der
Beziehung. Damit geht es um persönliche Weiterentwicklung in der Beziehung
(Willi 1985).
Unvermeidliche Veränderungen in dauerhaften Beziehungen
Beziehungen verändern sich notwendig im Lauf der Zeit. Äußere Veränderungen
verlangen Neuanpassungen (Zusammenziehen in eine gemeinsame Wohnung,
Geburt eines Kindes, Veränderungen im Beruf, Umzüge, Krankheiten etc.), aber
auch innere Veränderungen sind unvermeidlich: die eigenen Bedürfnisse verändern
sich beim Älterwerden und bei längerer Dauer der Beziehung, man nimmt immer
wieder innerlich Stellung zu der Art des bisherigen Lebens miteinander, ob man
so weitermachen möchte oder nicht. Immer wieder sind partnerschaftliche Verhandlungen miteinander notwendig darüber, wie man miteinander leben möchte,
dadurch gibt es zyklisch wiederkehrende Phasen der Auseinandersetzung und
Neuadaptation und solche des harmonischen Miteinanders.
In den ersten Jahren einer Beziehung verändern sich besonders spürbar die
Kommunikation und die Sexualität. In der Anfangsphase nutzen Paare die
Sexualität gern und oft, um Intimität miteinander zu erleben, auszudrücken und
aufzubauen. Etablierte Paare dagegen spüren ihre Zusammengehörigkeit sowieso
durch die gemeinsame Lebensgestaltung, sie brauchen dazu die Sexualität nicht.
Diese bleibt aber wichtig für die Definition des Paares als Liebespaar (Clement
2004 und 2005) und für das Selbsterleben als Mann und als Frau.
Nach empirischen Ergebnissen von Schmidt 2004, der umfangreiche Befragungen von 30-, 45- und 60-jährigen Großstadtbewohnern über ihre aktuelle
Sexualität und ihre sexuelle Geschichte durchführte, kommt es in den ersten 5
Jahren zu einer deutlichen Abnahme der Frequenz (das entspricht dem Rückgang
der Leidenschaftskomponente der Liebe), danach bleibt die sexuelle Aktivität
meist über lange Jahre konstant auf dem dann etablierten Niveau.
Dieser erste Übergang von der Verliebtheit zu einer etablierten Partnerschaft
wird von vielen Paaren als sehr beunruhigend empfunden, denn nicht nur die
Quantität, auch die Qualität der Sexualität verändert sich dabei: das Überschäumende, das Kribbeln im Bauch geht verloren, gewonnen wird Offenheit und
Sensibilität (die Intimitätskomponente wird höher, sofern die Liebe lebendig
bleibt). – Und in der Verliebtheitsphase wollen Männer und Frauen etwa gleich
viel Sex und Zärtlichkeit, bei etablierten Paaren wollen oft die Männer mehr Sex,
die Frauen mehr Zärtlichkeit (Schmidt 2004). Das heißt, die Verantwortung für
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Die Liebe in der Paartherapie mit KIP
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die sexuelle und die nicht sexuelle Seite der Intimität wird sozusagen aufgeteilt.
Dabei kommt es oft zu Kämpfen, die der Liebe schaden.
Auch die Kommunikation der Partner miteinander verändert sich oft dramatisch im Lauf der ersten Jahre. Schnarch fragt in seinem Buch »Psychologie
der Leidenschaft« (2006) provozierend: Woran erkennt man in einem Restaurant,
dass ein Paar am Nebentisch verheiratet ist? Dass sie nicht miteinander reden.
Und woran erkennt man Paare, die sich gerade erst gerade erst kennengelernt
haben? Dass sie ständig miteinander reden und sich gegenseitig anschauen. Und
warum reden verheiratete Paare nicht miteinander? Sie wollen nicht hören, was
der andere zu sagen hat. Sie glauben zu wissen, was er sagen möchte, glauben ihn
zu kennen und möchten sich nicht mit ihm auseinandersetzen. – Intimität miteinander verlangt aber sowohl Einfühlung und Bestätigung als auch Auseinandersetzung sowohl mit sich selbst als auch mit dem Partner. Eine lebendige Beziehung
verlangt Pflege und Exklusivität und auch Konfrontation und Offenheit.
Verarbeitung von Enttäuschungen je nach psychischem
Funktionsniveau
In der Verliebtheitsphase wird eine intensive positive Gegenseitigkeit entwickelt,
der andere ist wichtig, man selbst ist wichtig, man fühlt sich glücklich und
verbunden miteinander, sucht und findet Verständnis und Unterstützung. Auf
die Dauer lässt sich diese nur positive Bezogenheit nicht halten, eine Ent‑Täuschung als Zusammenbruch der gegenseitigen Idealisierungen tritt zwangsläufig
ein, Interessengegensätze, unterschiedliche Reaktionsweisen und gelegentliches
Befremden über das Verhalten des andern sind unausweichlich. Die Frage ist
dann, wie das Paar damit umgeht.
1. Bei gutem psychischen Funktionsniveau kann jeder Partner den andern
als eigenständige Person sehen mit bestimmten Eigenschaften, Vorlieben und
Schwächen, die teils gut, teils weniger gut zu den eigenen Eigenschaften, Vorlieben
und Schwächen passen. Enttäuschungen aneinander können dann verarbeitet
werden durch die Entwicklung von realistischer Ambivalenz im Rahmen einer
ganzheitlichen, positiven Beziehung.
2. Bei niedrigerem Funktionsniveau können Enttäuschungen meist nicht
so gut bewältigt werden, weil die innere Abhängigkeit vom Partner als einem
idealen Objekt größer ist und die reiferen Verarbeitungsmöglichkeiten weniger
stabil verfügbar sind.
2.1. Es kommt daher zunächst häufig zu einer Verleugnung von negativen
Anteilen mit Entwicklung einer Pseudoharmonie (es wird alles unter den Teppich
gekehrt, jeder sucht sich seine Phantasie von totaler Einigkeit zu erhalten).
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2.2. Danach kann es zu einem Kippen der Beziehung in negative Gegenseitigkeit und offenen Machtkampf kommen (der andere ist nur böse und gemein –
während zu Anfang die schwierigen Aspekte abgespalten waren, können nun die
befriedigenden wegen der Spaltung nicht gesehen werden).
2.3. Oder es entwickelt sich durch Druck auf den andern bzw. die Anpassung
an die heftig vorgetragenen Wünsche des andern eine relativ starre polarisierte
Rollenverteilung, also eine Stabilisierung auf niedrigerem Niveau,
2.4. oder es kommt zu einer Trennung.
Viele Paare, die in Paartherapie kommen, stecken in einer dieser Sackgassen:
entweder haben sie eine Pseudoharmonie entwickelt, die sich langweilig und
unverbunden anfühlt, oder sie bekämpfen sich heftig, ohne voneinander los zu
kommen, oder sie haben eine Kollusion mit starrer Rollenverteilung entwickelt,
in der sie sich nicht gut fühlen: ausgenutzt oder dominiert oder in Abhängigkeit
gehalten oder klein gemacht oder in übertriebene Verantwortung gedrängt. Das
Gefühl von Liebe ist ihnen dabei verloren gegangen.
Bei Vorliegen einer Pseudoharmonie ist die Förderung der Differenz auf einer
sicheren Basis notwendig, denn beide fürchten die Unterschiedlichkeit, weil sie
fälschlicherweise unterschiedliches Empfinden mit Sich-nicht-genug-Lieben oder
Nicht-zueinander-Passen und Sich-trennen-Müssen assoziieren.
Bei chronischen Auseinandersetzungen geht es um das Aufzeigen der Verklammerung miteinander und deren Neukonnotation: beide sind dauernd auf den
andern fixiert, offenbar weil sie sich zu sehr lieben, zu viel voneinander wollen
und zu leicht enttäuscht sind, wenn der andere nicht perfekt ist.
Bei festgefahrenen Kollusionen mit komplementärer Rollenaufteilung kann
man das Ineinandergreifen des Verhaltens aufzeigen, wie jeder das Verhalten des
andern mit seinem eigenen Verhalten quasi herausfordert und sie sich so immer
wieder gegenseitig in ihrem Weltbild bestätigen. Jeder wehrt sich ständig gegen
den andern und setzt sich zu wenig mit sich selbst auseinander.
Diese Interventionen verändern die Sichtweise der Situation miteinander,
auch das Selbstbild und das Bild des andern, sie schaffen damit Raum für weiterführende Interventionen. Bei diesen geht es dann sowohl um die Verbesserung
von Basisfertigkeiten (Kommunikationstechniken) als auch um eine Sichtung der
gemeinsamen Geschichte mit Fokussierung auf der Partnerwahl (wie haben sie
sich kennen gelernt, was mochte jeder am andern besonders), den gemeinsamen
Lebensthemen und dem bisher gemeinsam Bewältigten, als auch um die Entwicklung von Beziehungsvisionen für die Zukunft und um die Gestaltung der
Beziehung in der Gegenwart. Hier ist die Etablierung geschützter Paar-Räume
wichtig, Geben und Bemerken von kleinen Gesten der Liebe im Alltag und der
Umgang mit Kränkungen und Ambivalenz.
Bei der Etablierung eines geschützen Entwicklungsraums für die Beziehung
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und bei der Entwicklung von Beziehungsvisionen sind gemeinsame Imaginationen sehr hilfreich. Imaginationen eignen sich als Projektionsfläche für die
Beziehungsdynamik, Bedürfnisse, Ängste und Abwehrmechanismen beider
Partner, so dass man durch sie leichter versteht, worum es emotional geht, auch
dem Paar selbst wird die eigene Beziehungsdynamik meist spontan verständlich.
Das führt zu einer gewissen Betroffenheit und der Unmöglichkeit, einfach so
weiterzumachen wie bisher. Wegen der Verschiebung auf die Symbolebene rasten
in Imaginationen nicht so unvermeidlich die eingespielten Verhaltensabfolgen
ein, man hat die Chance, den Prozess zu verlangsamen und die Suche nach Ressourcen und kreativen Lösungen anzuregen.
Das konkrete Vorgehen sieht so aus, dass der Therapeut ein Motiv vorgibt, das
es den gerade anstehenden Beziehungsthemen ermöglicht, sich metaphorisch darzustellen. Man kann dann entweder eine stille Imagination durchführen, bei der
man Anregungen gibt und Zeit zum Imaginieren lässt und sich dann anschließend
die beiden Imaginationen berichten lässt und sie miteinander bespricht. Man
kann auch eine gemeinsame Imagination beider Partner durchführen, bei der erst
der eine und dann der andere schildert, was er sich vorstellt, wobei der Therapeut
nachfragt und dann wieder zum andern Partner übergeht, bis beide in einem
Dialog ihre Imaginationen weiterführen wie in einem Gruppen-KB.
Fallbeispiel
Um das Vorgehen konkret darzustellen, möchte ich im Folgenden Ausschnitte
eine Paartherapie darstellen. Das Paar kam in einer verfestigten kollusiven Verstrickung mit inzwischen offenem Machtkampf. Es fanden 24 Sitzungen über zwei
Jahre hin statt, die ersten beiden im Abstand von 14 Tagen, dann in monatlichem
Abstand, gegen Ende noch seltener.
Anfangsphase: Entwicklung einer gemeinsamen Problemdefinition
Die beiden meldeten sich in einer akuten Krise. Beide sind Mitte 40 und seit 15
Jahren verheiratet, sie haben drei Kinder im Schulalter und haben seit 10 Jahren
zusammen eine Firma aufgebaut. Die Krise besteht darin, dass der Mann seit
einiger Zeit seine Arbeit kaum mehr ertragen kann, er fürchtet in der Hektik
»kaputt­zugehen«, er will die Firma verkaufen und irgendwo eine Stelle annehmen,
um mehr Ruhe zu haben. Das beunruhigt die Frau sehr, denn sie will das auf
keinen Fall, da sie wegen der Kinder nicht außerhalb des Hauses arbeiten kann
und sehr gern arbeitet. Der Konflikt ist heftig eskaliert, jeder hat den Eindruck,
dass der andere total egoistisch ist und ihm das eigene Befinden offenbar völlig
egal ist. Die Stimmung ist feindselig und angespannt, die Frau trägt vehement
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ihre Anklagen vor, der Mann mauert eisern. Er will in Ruhe gelassen werden, sie
fühlt sich allein gelassen und übergangen.
Es geht in den Gesprächen zunächst um die Herstellung eines tragfähigen
Kontaktes zu jedem Partner, ich möchte verstehen, wie jeder die Situation empfindet
und wie er sie sich wünschen würde, und bitte die beiden, die Entscheidung, wie es
beruflich weitergehen soll, zu vertagen, da sie zur Zeit nicht in der Lage sind, gute
gemeinsame Entscheidungen zu treffen. Ich akzentuiere, wie verantwortungsbewusst, fleißig und tüchtig beide sind, um ihr Selbstwertgefühl wieder zu stabilisieren.
Durch die ständige Kritik des andern sind beide sehr verunsichert und daher primär
auf Selbstschutz und Abwehr eingestellt. Durch diese Positivierung entsteht eine
gewisse Beruhigung, jeder fühlt sich von mir ernst genommen und angenommen.
Gegen Ende der zweiten Sitzung können wir uns auf eine erste gemeinsame
Problemdefinition einigen, die die Bedürfnisse beider aufeinander bezieht und
nebeneinander gelten lässt: Die Dosierung von Nähe und Abgrenzung ist miteinander schwierig, denn der Mann hat gewisse mönchische Tendenzen, er braucht
genügend Ruhe, und Nähewünsche mobilisieren bei ihm allergische Abwehrreaktionen, aber bei zu wenig Nähe und Austausch wird die Frau depressiv und
fordernd. Dadurch verstärkt sich dann seine Abwehr noch weiter und ihr Gefühl
von Alleingelassensein auch, so dass sie miteinander in einen Teufelskreis geraten.
Es wäre gut, ein Gleichgewicht zu finden, das für beide lebbar ist.
Positivierung des Bildes vom eigenen Selbst und vom Bild des andern
In der 4. Sitzung, 3 Monate nach Beginn der Therapie, schlage ich zum ersten
Mal eine gemeinsame Phantasie vor. Um diese einzuführen, bitte ich die beiden,
eine kleine Übung zu machen. Jeder soll sich entspannen und sich für innere
Bilder und Vorstellungen öffnen und sich dann irgendeinen Baum vorstellen und
den beschreiben. – Damit bekommt jeder die Möglichkeit, dem andern in einem
Symbol etwas von sich zu zeigen. Bäume eignen sich als Selbstrepräsentanzen,
sie können groß oder klein sein, kräftig oder schwächlich oder verletzt, gut oder
weniger gut verwurzelt, allein stehend oder in Gesellschaft. Mit dieser Übung
wird die Fixierung auf den andern unterbrochen, jeder ist aufgefordert, sich auf
sich selbst zu konzentrieren und nach innen zu schauen.
Die Frau sieht einen Pflaumenbaum mit vielen Früchten (also eine positive,
weiblich-spen­den­de Selbstrepräsentanz), der Mann hat zunächst Schwierigkeiten,
sein Bild ist unscharf, er meint, sein Baum sei wohl eine große Buche auf einer
weiten Wiese (er hat Mühe damit, ein inneres Bild zu entwickeln, weiß nicht so
genau, wie es ihm geht).
Dann bitte ich beide, eine Landschaft zu suchen, in der beide Bäume einen
guten Platz finden können, bitte also jeden darum, dem andern einen Platz in
der eigenen inneren Landschaft zuzuweisen. Beide können leicht den Baum des
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andern in das eigene Bild mit hinein nehmen, und beide sind sich darin einig,
dass sie meinen, die Buche brauche viel Platz. Der Mann sieht den Pflau­menbaum
seiner Frau in einem Garten stehen neben anderen Obstbäumen. Die Frau sieht
die Buche ihres Mannes auf einer Wiese an einem Weg und meint, ihr Pflaumenbaum stehe auch auf einer offenen Wiese, nicht in einem Garten. Sie widerspricht damit der Zuschreibung ihres Mannes, sie wolle sicher einen umhegten
Raum (Garten mit Zaun) und Geselligkeit (andere Bäume um sich herum), und
definiert sich damit als ihm ähnlicher, als er angenommen hat. Ich frage, was sie
sonst noch möchten, oder ob das Bild so gut sei. Sie meint daraufhin, es flögen
Vögel zwischen den beiden Bäumen hin und her, und ein Maulwurf grabe im
Zwischenraum an seinem Bau. (Sie will Kontakt zu ihm, nicht zu andern, das
ist eine Antwort auf sein Bild: andere Bäume stünden in der Nähe ihres Baums).
Ich frage den Mann, ob ihm das so recht sei. Er meint, das müsse man jeweils
sehen, ob Besuch willkommen sei oder nicht. – Im Nachgespräch identifizieren
sich beide spontan mit den Eigenarten ihrer Bäume und betonen beide, dass sie
genügend Platz um sich herum bräuchten.
Durch solche Imaginationen entsteht ein neuer Beziehungsraum, der nicht
durch die chronischen Konflikte miteinander kontaminiert ist, sondern in dem
sich jeder Partner mit seinen Vorlieben und Besonderheiten darstellen kann und
respektiert wird. Der Therapeut sorgt dabei dafür, dass jeder Raum erhält, um
sein Bild zu entwickeln (beim Mann sind dafür einige klärende Nachfragen
notwendig) und dass jeder über sein Bild verfügen darf (die Frau bemächtigt sich
sofort des Zwischenraums zwischen den beiden Bäumen durch Maulwurf und
Vögel – ich spreche den Mann dann explizit darauf an, so dass er entscheiden
kann, ob er Besuch haben möchte oder nicht).
In der nächsten Sitzung einen Monat später schlage ich nach den obligatorischen anfänglichen Klagen relativ schnell wieder ein KB vor, um damit wieder
neben dem chronischen Konflikt jedem eine Darstellung der eigenen Ressourcen
und Wünsche zu ermöglichen und den Entwicklungsraum miteinander weiter zu
gestalten. Diesmal soll sich jeder ein Haus vorstellen und es beschreiben, so dass
praktisch jeder dem andern sein Haus zeigt.
Die Frau beschreibt ein reetgedecktes weißes Haus. Es steht in den Dünen und
hat schönen Blick aufs Meer. Im Flur brennt eine bunte Lampe, das Wohnzimmer
wirkt gemütlich mit vielen Blumen und Bildern. In der Küche dampft die Suppe,
im Keller sind Vorräte. Im ersten Stock sind Schlafzimmer und Kinderzimmer,
auf dem Dachboden stehen Kisten mit alten Büchern, Kleidern und Weihnachtsbaumschmuck. Eine Katze wohnt da auch.
Dies Haus kann man wie den Pflaumenbaum als lebendiges weibliches
Selbstbild ansehen.
Der Mann sieht ein großes Haus, das er aus Nachtträumen kennt. Es liegt am
Hang, hat eine große Glasfront mit Blick über das Tal, der Eingang ist auf der
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Bergseite. Unten ist ein riesiges, kaum eingerichtetes Wohnzimmer, daneben eine
Küche, dahinter ein großer leerer Saal. In der oberen Etage ist rechts ein Raum,
vollgestopft mit »altem Krempel«, links ein eigenartiger Raum, dunkel und kühl,
in den er sich nicht recht hinein traut. Es ist unklar, was für Herausforderungen
dort warten und ob er stark genug dafür ist. Unten gibt es noch einen Gewölbekeller. Keller und Obergeschoß wirken alt, die Etage dazwischen modern.
Sein Haus wirkt auf beide merkwürdig in seiner Heterogenität, mit dem
vielen ungenutzten Raum und den unheimlichen Ecken. Er möchte gern mit
ihr in ihr Haus gehen, das er sehr schön findet, sie würde gern seinen Keller
irgendwann genauer untersuchen und würde auch gern mit ihm in den dunklen
Raum hineingehen.
In den Imaginationen ist der Umgang miteinander deutlich anders als sonst
im Gespräch, beide sind neugierig auf die Bilder des andern und äußern sich
positiv. Er fühlt sich in der warmen Atmosphäre ihres Hauses deutlich wohl, und
sie findet seine Andersartigkeit und seine dunklen Seiten irgendwie faszinierend.
Damit kommen Aspekte der Beziehung wieder zum Vorschein, die im täglichen
Kleinkrieg vergessen waren.
Analyse des Umgangs miteinander:
Unterschiedlichkeit der Bedürfnisse, kommunikative Missverständnisse
Parallel zu dieser emotionalen Entwicklungsarbeit müssen wir in den Sitzungen
immer wieder kommunikative Basisfertigkeiten einüben und Streitigkeiten klären.
Es geht beim Streit immer wieder um Unterschiedlichkeit im Empfinden, und es
gilt, symbiotische Verklammerungen zu lösen.
So hatte z. B. die Frau einen Bagatellunfall mit dem Auto und ärgerte sich
über den Unfall­gegner. Ihr Mann schlug ihr vor, sich nicht aufzuregen, sondern
die Sache einem Anwalt zu übergeben. Sie empfand das als einen Versuch, ihre
Gefühle wegzubügeln, und wurde wütend. Er wusste gar nicht, wie ihm geschah,
denn er wollte sie mit diesem Vorschlag eigentlich unterstützen. Wir arbeiten
heraus, dass ihr das Beobachten und Fühlen wichtig ist, ihm das aktive Bewältigen.
Sie können sich damit gut ergänzen, sie können sich damit aber auch gegenseitig
kritisch in Frage stellen und nerven, besonders, wenn sie sich nicht darüber
austauschen, was jeder gerade braucht. Sie will ihre Gefühle haben und äußern
dürfen, das ist für sie Ausdruck von Lebendigkeit. Er will möglichst wenig durch
Gefühle gestört werden und empfiehlt ihr daher Lösungsansätze, die für sein Ziel
einer Beruhigung brauchbar wären, für ihr Ziel des Sich-Spüren-Wollens aber
nicht. So geht die Kommunikation oft aneinander vorbei und jeder fühlt sich
vom andern dann nicht gesehen.
In den Gesprächen entsteht durch meine klärenden Nachfragen allmählich
eine wohlwollende Atmosphäre, in der beide ihre Sicht darstellen und dem
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andern zuhören können und lernen, ihre Unterschiedlichkeit zu ertragen und zu
antizipieren. Durch meine Fragen werden ihnen auch die Lücken in ihrer Kommunikation deutlich, und sie drücken sich allmählich klarer und vollständiger
aus.
Erstes spontanes positives Miteinander und Bewältigung kleiner Krisen
In der 8. Stunde schlage ich wieder ein KB vor, jeder soll sich ein Tier vorstellen
und es beschreiben. – Auch Tiere eignen sich als Selbstrepräsentanzen, aber im
Unterschied zu Bäumen und Häusern können sie sich bewegen. Mit diesem Motiv
ist also erstmals eine Einladung zur Interaktion verbunden, während es bisher nur
darum ging, das eigene Symbol darzustellen und das des andern auf sich wirken
zu lassen. Direkte Interaktion ist bei Streitpaaren zu Beginn nicht empfehlenswert,
weil dann eben gestritten wird. Erst wenn im Gespräch ein gewisser Respekt für
den andern wieder hergestellt ist, besteht auf der Symbolebene die Möglichkeit,
miteinander einen freundlichen Umgang zu probieren. – Der Mann sieht einen
kleinen Braunbären, der allein durch den Wald streift, die Frau eine schwarze
Katze, die sich räkelt. Ich frage die beiden, ob die Tiere sich vielleicht treffen
könnten. Die Tiere gehen aufeinander zu. Die Frau meint, die Katze hätte dem
Bären Nüsse mitgebracht, die breite sie jetzt vor ihm aus. Der Bär ist verwundert,
dass er etwas geschenkt bekommt, und überlegt, wie er sich revanchieren könnte.
Er bietet an, der Katze Honig zu besorgen. Sie gehen zusammen in den Wald, der
Bär steuert einen Bienenstock an, den er kennt. Die Katze entdeckt unterwegs
eine Höhle, würde die gern untersuchen, aber der Bär will erst mal zum Honig,
sie kommt mit. Er holt mit seiner Tatze den Honig aus dem Stock und bietet ihr
seine Tatze zum Abschlecken an. Sie streift den Honig mit einem Blatt ab, er leckt
dann den Rest von der Tatze. Sie sitzen nebeneinander im Gras. Nach einer Weile
möchte sie wieder nach Hause. Er ist betroffen, denn er wollte eigentlich jetzt mit
ihr zu der Höhle gehen, die sie entdeckt hatte, und ist ganz irritiert, dass sie da
jetzt nicht mehr hin will. Er versucht fast, ihr die Höhle aufzudrängen, und sagt
auf Nachfragen, weshalb ihm denn jetzt ihre Höhle so wichtig sei, er wisse jetzt
nicht, ob er Schuldgefühle haben müsste, wenn sie jetzt gar nicht mehr in ihre
Höhle käme. Ihr ist die Höhle im Moment aber nicht wichtig.
Im Nachgespräch versuchen wir die typische Interaktionssequenz, die sich in
dem Bild zeigte, besser zu verstehen. Auch im Alltag ist der Mann meist zielorientiert, will alles der Reihe nach erledigen, so wie er sich das vorgenom­men
hat oder wie sie es miteinander vereinbart haben. Die Frau dagegen schätzt Spon­
taneität, sie lässt die Pläne von gestern gern zugunsten einer neuen Idee fallen.
Er betrachtet Pläne als feste Absprachen, für sie sind es nur Augen­blicksideen.
Dadurch ergeben sich oft Missstimmungen, wenn er sich für ihre alten Pläne
einsetzt und sie nicht mehr mitmachen will. Sie nehmen sich vor, in Zukunft
Imagination, Nr. 2 /2009
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Leonore Kottje-Birnbacher
nicht so selbstverständlich davon auszugehen, der andere empfände genauso wie
man selbst, sondern konkreter nachzufragen.
Auf andere Aspekte des KB gehe ich im Nachgespräch bewusst nicht ein:
Die Tiere waren einander sehr zugewandt, der Mann war ganz gerührt über die
Geschenke seiner Frau, ihre Freundlichkeit tat ihm offen­sichtlich gut, und er war
sehr dankbar dafür, wodurch sie sich wiederum geschätzt fühlte. Im KB konnten
sich diese freundlichen Gefühle füreinander szenisch zeigen, ohne dass man sich
eindeutig zu ihnen bekennen musste, sie konnten sozusagen inoffiziell auftauchen
und schauen, wie sie beantwortet wurden.
In den folgenden Monaten ging es den beiden schon besser, und sie machten
manches anders als in der Vergangenheit, fuhren z. B. erstmals getrennt in
die Sommerferien und trugen damit der Unterschiedlichkeit ihrer Vorlieben
Rech­nung, statt immer Kompromisse zu suchen, wodurch wichtige individuelle
Wünsche auf der Strecke blieben. Aber dann gab es plötzlich eine heftige Krise,
in der die Frau extrem wütend war, sich am liebsten trennen wollte, die ich
überhaupt nicht verstand. Ich fühlte mich in einer Stunde völlig überrumpelt,
ausgegrenzt und ohnmächtig, versuchte ohne jeden Erfolg zu klären, worum
es eigentlich ging, und fürchtete, dass die Therapie dabei sei zu scheitern. Die
Stunde danach musste ich wegen einer Grippe absagen, so dass wir uns erst nach
acht Wochen wieder sahen. Ich rechnete mit einer Absage der Stunde, aber sie
kamen und waren sehr vorsichtig miteinander. Ich hatte den Eindruck, dass
auch sie einen Schrecken bekommen hatten, sowohl über die eigene Aggressivität als auch über meine Krankheit, und dass wir nun erst wieder miteinander
in Kontakt kommen mussten. Da ich wenig Lust hatte, über die merkwürdige
letzte Sitzung zu reden und mich dabei vielleicht wieder in Unverständlichkeiten
zu verfangen, schlug ich ihnen vor, über ein KB wieder miteinander in Kontakt
zu kommen, und zwar schlug ich ihnen vor, um das Unbewusste zu aktivieren,
im Meer zu tauchen. Beide waren sofort im Bild und intensiv bei der Sache, der
Vorschlag war offenbar auch für sie erleichternd: Die Frau sieht sich bei einem
Korallenriff in der Südsee und ist ganz begeistert von den bunten Farben und
exotischen Formen. Der Mann taucht ganz tief und kommt dann wieder hoch
zu ihr. Beide tauchen zusammen ein Stück tiefer, bis sie auf Grund stoßen. Da
unten ist Sand, und die Frau entdeckt ein Schiffswrack, daneben eine Marmor­
statue von einem schönen jungen Mann mit lockigen Haaren (ihr Mann hat
lockige Haare). Sie setzt sich neben die Statue, fühlt sich traurig, aber fügt hinzu,
das sei ein gutes Gefühl. Er taucht mal nach oben, dann wieder tief nach unten,
genießt die Weite des Meeres, entdeckt Fische, kleine, große, schwimmt zur
Sonne, kommt dann wieder hinunter zu ihr. Er ist ganz euphorisch in einem
intensiven Freiheitsgefühl und würde seine Frau gern in den Arm nehmen. Ich
frage die Frau, ob ihr das recht sei. Sie möchte nicht umarmt und damit festgehalten werden, er könne sich aber gern neben sie setzen oder Rücken an Rücken,
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Die Liebe in der Paartherapie mit KIP
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dass sie die Köpfe aneinander lehnen könnten. Das mag er aber nicht. Er will
ihre Haut spüren und mag keine Halbheiten. Schließ­lich einigen sie sich, dass
er sich neben sie setzt und seine Hand auf ihren Schenkel legt und sie ihren
Kopf an seinen lehnt. – In dem KB herrschte unvermittelt eine ganz intensive
Stimmung, die auch im Nachgespräch anhält. Er war ganz glücklich, dass sie
seinen Bewegungs­drang akzeptierte, denn er fürchtet immer, seine Extreme
sollten »auf ein vernünftiges Maß« beschnitten werden. Sie mag aber Extreme
auch, bloß nicht ausschließlich, sie vermisst bei ihm oft den Mittel­bereich, der
für sie auch positiv besetzt ist, und betont den dann. Er wundert sich, wie
ähnlich ihre Vorstellungen sind. Dadurch, dass jeder die Position betonte, die
seiner Meinung nach vom andern nicht akzeptiert wurde, entstand bei jedem
das Gefühl, der andere wolle grundsätzlich etwas anderes als man selbst. – Beim
Abschied sage ich noch, das letzte Mal, als sie sich miteinander gut gefühlt
hätten, hätten sie anschließend zu Hause heftig gestrit­ten. Ich sei neugierig, was
diesmal passieren würde, ob sie Nähe nur durch Streit dosieren könnten oder
noch andere Möglichkeiten fänden.
Das nächste Mal (19. Sitzung) berichten sie schmunzelnd, sie hätten drei Tage
nach der letzten Sitzung angefangen zu streiten, es dann aber wieder gelassen. Sie
haben im Moment sehr viel Arbeit. So scheint es sinnvoll zu sein, diesmal die
Arbeitssituation im KB einzustellen. Ich schlage ihnen als Motiv vor: Zwei Pferde
gehen im Geschirr und ziehen einen Wagen. Der Mann sieht zwei sehr unterschiedliche Pferde, ein kräftiges dunkles Kaltblut und ein leichter gebautes schönes
braunes Pferd. Sie zögen zusammen einen sehr soliden, aber sehr schweren Wagen.
Unterstützt durch Nachfragen schildert er weiter seine Vorstellungen: Es geht
bergauf und bergab. Zu fressen gibt es zwischendurch am Wegesrand. Die beiden
Pferde sind gut gehalten, sie haben auch einen Tag pro Woche frei und dürfen
dann auf die Weide. Der Wagen hat keinen Kutscher, die Pferde können das
allein. – Die Frau dagegen sieht zwei braune Pferde, die einen leichten offenen
Wagen ziehen. Auf dem Wagen steht eine tibetische Hochzeitstruhe. Ein erfahrener
Kutscher lenkt den Wagen, es geht durch den Wald, an einer Quelle wird Rast
gemacht. Die Pferde haben einen Tag pro Woche frei und dürfen vier Wochen im
Sommer in den Bergen herumstreunen. Die Pferde sind ganz zufrieden, sie sind
stolz auf ihre Aufgabe, ohne Arbeit wäre es ihnen langweilig. Es beun­ruhigt sie
nur, dass der Wagen so offen und schutzlos ist: Wenn die Truhe geraubt würde,
wäre das ganz schlimm.
Beide haben schon während des KB geschmunzelt, weil die Parallelität zu
ihrem Alltag so augenfällig war. Im Nachgespräch geht es hauptsäch­lich um die
unterschiedlichen Wagen: Ihrer ist extrem leicht gebaut, wodurch die kostbare
Ladung völlig ungeschützt ist, er hält seinen für eine Fehlkonstruktion, denn er ist
so schwer, dass die Pferde ihn gerade so ziehen können, jede zusätzliche Ladung
wäre zu schwer. Insgesamt fänden beide ein Mittelding am besten – sie ist durch
Imagination, Nr. 2 /2009
60 Leonore Kottje-Birnbacher
ihre Offenheit und Durchlässigkeit sehr angreifbar, er durch seine Abschottung
und Kompliziertheit äußerst schwergängig im Alltag.
Endphase: Verselbständigung, Selbstberuhigung und Intimität
Sie gehen inzwischen durchgängig freundlich und wertschätzend miteinander um.
Er meint, sie hätten schon lange keine heftige schlechte Phase mehr gehabt, sie
könnten Eskalationen inzwischen besser abbremsen. Sie meint, sie würde immer
noch manches herunterschlucken, aber die Spannungen würden inzwischen zwei
Stunden dauern und nicht mehr Tage. Beide sind inzwischen in den Gesprächen
bei mir konstant ansprechbar, auch wenn sie in Ärger geraten, das ist anders als
früher. Offenbar haben sie eine stabile Erwartung ausgebildet, dass sich die Dinge
im Gespräch miteinander klären lassen. Wir überlegen, wie lange die Gespräche
noch weitergehen sollen. Sie möchten ihre Angelegenheiten allein regeln lernen
und denken darüber nach, wie die Gespräche auch zu zweit konstruktiv verlaufen
können (mit vorheriger Ankündigung, gutem Rahmen mit genügend Zeit und
etwas Verwöhnung, gegenseitigem Zuhören, Aufschub von Stellungnahmen,
Antworten und Entscheidungen lieber erst beim nächsten Treffen, Stoppsignale,
wenn die Belastungsgrenze erreicht ist, etc.).
In den nächsten Sitzungen (22 – 23) besprechen wir wieder prototypische
Streitszenen aus der Zwischenzeit und arbeiten ihre Struktur heraus. Es geht
eigentlich immer darum, dass sie sich in ihren Wünschen unterscheiden und
jeder annimmt, der andere müsse doch einsehen, dass die eigene Position die
richtigere sei. Beispielsweise genießt die Frau es am Wochenende, weniger diszipliniert zu sein als wäh­rend der Woche und trödelt gern herum, während er
findet, dass Verlässlichkeit generell wünschenswert ist, weil dadurch Reibungen
verhindert werden, er ärgert sich, wenn er auf sie warten muss. Beide Positionen
sind gut nachvollziehbar, man kann nicht sagen, die eine ist richtiger als die
andere, es ist nur die Frage, wie sie sich von Fall zu Fall einigen könnten – Ich
habe den Eindruck, dass sie die Auseinandersetzung um solche Alltagsthemen
immer wieder zur Abgrenzung benötigen und frage sie, was wohl passieren würde,
wenn sie eine ganze Serie guter Tage hätten, ohne Krach. Sie vermuten beide, dass
dann die Wünsche nach Intimität steigen würden. Durch Ärger hält sich jeder ein
Rückzugs­türchen offen.
Beide haben das Gefühl, dass Streit bei ihnen manchmal einfach so ausbricht,
ohne großen Anlass, ohne Vorboten. Ich schlage ihnen vor, sie sollten in den
nächsten Wochen versuchen, immer morgens beim Zähneputzen eine stille
Voraussage darüber zu treffen, ob es heute Streit geben werde oder nicht. Der
Mann vermutet daraufhin, es könnte zu Streit kommen, wenn sie lange nicht
miteinander geschlafen hätten (d. h. seine Frau suche auf diese Weise Kontakt zu
erzwingen), die Frau meint dagegen, Streit entwickle sich besonders dann, wenn
Imagination, Nr. 2 /2009
Die Liebe in der Paartherapie mit KIP
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sie gerade miteinan­der geschlafen hätten (d. h. ihr Mann grenze sich dadurch
ab). – Die Hausaufgabe haben sie nicht gemacht, aber ich nehme an, dass sie
trotzdem wirksam war, indem sie die Aufmerksamkeit auf das Thema Intimität
lenkte, das sie bis dahin eher umgangen hatten. Es wurde klar, dass jeder den
andern für den Streit verantwortlich machte und dass beide den Streit als Hilfsmittel zur Regulation von Intimität ansahen. Von da aus kann man sich dann
fragen, ob man Intimität vielleicht auch anders regulieren könnte.
Wir machen noch ein KB, und zwar bitte ich jeden, sich ein Tor vorzustellen
(also eine Öffnung innerhalb einer Grenze). Die Frau sieht eine bemooste, alte
Mauer zwischen zwei Feldern, in die ein von Rosen umrankter Torbogen eingelassen ist, so dass man sich gegenseitig besuchen kann. Der Mann sieht ein großes
Eingangstor, in das noch eine kleinere Tür für den täglichen Gebrauch eingelassen
ist. Es ist der Eingang zu einem gepflegten alten Bauernhof. Er geht durch die Tür
in einen schönen viereckigen Innenhof, der von Ställen, Scheune und Wohnhaus
begrenzt ist. In der Mitte des Hofs ist ein Brunnen. Er ist ganz stolz auf diesen
schönen wohnlichen Hof, der sich ja wirklich von seinem Haus im Anfang sehr
unterscheidet. – Ich denke, in dieser Imagination wird unmittelbar spürbar, dass
die beiden inzwischen ihre Liebe wiedergefunden haben, beide Bilder enthalten
eine emotional intensive stimmungsvolle Beziehungsvision, die Frau fokussiert
auf die Begegnung miteinander unter Rosen bei Respektierung des jeweils eigenen
Raums, der Mann gestaltet einen wohlgeordneten gemeinsamen Raum und setzt
seine Frau symbolisch als Brunnen in seine Mitte.
Zusammenfassende Diskussion
Das Paar kam in einer akuten Krise, in der beide hochgradig erregt waren und eine
Trennung genauso wahrscheinlich zu sein schien, wie zusammen zu bleiben. Daher
galt es zuerst, die beide zu stabilisieren und eine Problemdefinition zu erarbeiten,
die Veränderungsoptionen enthielt (Regulierung von Nähe und Distanz). Das KB
war in der Anfangsphase wichtig, um die inneren Bilder vom eigenen Selbst und
vom Partner zu korrigieren, insofern es eine ressourcenorientierte Selbstdarstellung
ermöglichte (Motive »Baum« und »Haus«). Nachdem eine gewisse Beruhigung
gelungen war, konnte inhaltlich an der Klärung der unterschiedlichen Bedürfnisse
und an möglichen Einigungen gearbeitet werden. Aufgabe der Therapeutin war
dabei, in der Position eines engagierten, aber neutralen Vermittlers zu bleiben und
für eine wertschätzende Atmosphäre zu sorgen. Im KB erprobten sie in dieser Zeit
ein erstes Miteinander (z. B. Tiere, es gab dazu noch mehr KBs), wobei sich typische
Beziehungsschwierigkeiten plastisch darstellten und bearbeitet werden konnten.
Dann folgte die heftige, von mir völlig unverstandene Krise, die an die plötzlichen Auseinandersetzungen zu Hause erinnerte, als ob sie diese Art Szene in
der Therapie inszeniert hätten, um sie mich spüren zu lassen. Sie wurde ertragen
Imagination, Nr. 2 /2009
62 Leonore Kottje-Birnbacher
und überlebt. Danach ließen sich beide mit viel größerer Innigkeit aufeinander
ein als vorher (KB Tauchen im Meer), sie schienen sich entschieden zu haben,
doch zusammen bleiben zu wollen. Sie begannen, selbst die Verantwortung für
ihre Beziehung übernehmen und freundlicher mit ihrer Unterschiedlichkeit
umzugehen. In den Gesprächen als auch im KB ging es danach um ihre konkrete
Alltagsbewältigung und um ihre Dosierung von Intimität.
Bei der therapeutischen Haltung waren Neutralität und Respekt entscheidend
wichtig. Ich beschränkte mich auf Beobachtungen, Klarifikationen und positivie­
rende Akzentuierungen, vermied alle Deutungen. Das KB ermöglichte immer
wieder einen Blick nach innen, schaffte Distanz zu den Standardklagen und Routineproblemen und führte in eine existentiellere Dimension, wobei das intensive
Spüren der Situation mit innerem Begreifen der Symbolik zu spontanen Veränderungen im Umgang miteinander führte.
Literatur
Clement, U. (2004): Systemische Sexualtherapie. Stuttgart: Klett-Cotta
Clement, U. (2005): Erotische Entwicklung in langjährigen Partnerschaften. In: Willi, J.,
Lim­acher, B. (Hrsg.): Wenn die Liebe schwindet. Möglichkeiten und Grenzen der Paar­
therapie. Stuttgart: Klett-Cotta. S. 170 – 183
Gottman, J. M. (1994): What predicts divorce? Hillsdale, NJ: Erlbaum
Retzer, A. (2004): Systemische Paartherapie. Stuttgart: Klett-Cotta
Riehl-Emde A (2003) Liebe im Fokus der Paartherapie. Stuttgart: Klett-Cotta
Schmidt, G. (2004): Das neue Der Die Das. Über die Modernisierung des Sexuellen. Gießen:
Psychosozial-Verlag
Schmidt, G., von Stritzky, J. (2004): Beziehungsbiographien im sozialen Wandel. Ein Vergleich
dreier Generationen. Familiendynamik 29: S. 78 – 100
Sternberg, R. J. (1986): Triangular theory of love. Psychological Review, 93. S. 119 – 135
Schnarch, D. (2006): Die Psychologie sexueller Leidenschaft. Stuttgart: Klett-Cotta. Engl. 1997
Watzlawick, P., Weakland, J. H., Fisch, R. (1974): Lösungen. Zur Theorie und Praxis menschlichen Wandels. Bern: Huber
Willi, J. (1985) Koevolution. Die Kunst gemeinsamen Wachsens. Reinbek: Rowohlt
Willi, J., Limacher, B. (2005): Wenn die Liebe schwindet. Möglichkeiten und Grenzen der
Paar­therapie. Stuttgart: Klett-Cotta
Zusammenfassung:
In dem Artikel werden zunächst einige empirische Ergebnisse und theoretische
Weiterentwicklungen referiert, die für die Paartherapie in den letzten Jahren
Imagination, Nr. 2 /2009
Die Liebe in der Paartherapie mit KIP
63
wesentlich waren. Dann wird der therapeutische Ansatz der Paartherapie mit KIP
in seinen Grundzügen dargestellt und anhand eines Fallbeispiels veranschaulicht.
Keywords:
Paartherapie – Liebe – Beziehungsentwicklung – Beziehungsdynamik
Autorin:
Dr. Leonore Kottje-Birnbacher
Düsseldorfer Str. 55
D – 40545 Düsseldorf
Imagination, Nr. 2 /2009
64 Barbara Hauler
Geschlechtsunterschiede
im therapeutischen Prozess
Barbara Hauler
Die Geschlechtlichkeit gehört wesenhaft zum Menschsein, wird aber aus meiner
Sicht in ihrer Bedeutung für den therapeutischen Prozess zu wenig berücksichtigt.
In meinem Beitrag geht es mir um die Frage, ob wir uns als Psychotherapeutinnen
und -therapeuten »geschlechtsneutral« verhalten können oder ob nicht vielmehr
bzw. wie sich unsere Geschlechtsidentität auf das Geschehen in der Therapie,
auf unsere therapeutische Haltung und das Übertragungs-GegenübertragungsGeschehen auswirkt.
Während es in den Gesellschaftswissenschaften eine intensive Diskussion
über Geschlechtsrollen und »Gender-Mainstreaming« gibt, scheinen im Diskurs
der verschiedenen Psychotherapieformen »Sex und Gender« kein Thema zu
sein. Fragen der Geschlechtsidentität des Therapeuten bzw. der Therapeutin
werden eher selten thematisiert. Sollte sich in dieser Gleichgültigkeit, in diesem
fehlenden Interesse ein unbewusstes Festhalten an den von Freud entworfenen
Theorien zur Weiblichkeit bzw. zur weiblichen Sexualität manifestieren, obwohl
das psychoanalytische Verständnis der psychosexuellen Entwicklung und der
Ausbildung der Geschlechtsidentität inzwischen gründlich revidiert wurde? Oder
wird das Geschlecht des Patienten, der Patientin bzw. des Therapeuten und der
Therapeutin als »naturgegeben« hingenommen, so dass darüber nicht mehr nachgedacht werden muss?
Das diagnostische Instrument der Operationalisierten Psychodynamischen
Diagnostik (OPD) gilt weithin als »Goldstandard« einer objektiven und damit
auch geschlechtsneutralen Diagnostik. Stefani Schmitz-Moormann untersuchte
2005 in ihrer Dissertation zum Thema »Mann und Frau in der OPD – der
›kleine Unterschied‹« den Einfluss des Geschlechts von Patienten/Patientinnen
und Diagnostikern/Diagnostikerinnen. Sie fand heraus, dass männliche und
weibliche Diagnostiker zwar in vielen Bereichen übereinstimmen, sich jedoch
in der Beurteilung von »Typisch Männlichem« und »Typisch Weiblichem« im
Imagination, Nr. 2 /2009
Geschlechtsunterschiede im therapeutischen Prozess
65
Beziehungsverhalten signifikant unterscheiden. Die Beurteilung des Beziehungsverhaltens scheint eigenen geschlechtsspezifischen Wahrnehmungen, Rollenerwartungen und geschlechtsstereotypen Annahmen der DiagnostikerInnen zu
unterliegen. Verhaltensmuster, die den geschlechtstypischen Rollenerwartungen
entsprechen, werden von männlichen bzw. weiblichen Diagnostikern in Hinsicht
auf ihre Angemessenheit bzw. Dysfunktionalität unterschiedlich beurteilt. Bereits
1958 äußerten Chodoff und Lyons die Vermutung, dass »männliche Kliniker ein
Konzept von hysterischer Psychopathologie entwickelt haben, das hauptsächlich
jene Charakterzüge von Frauen hervorhebt, die Männer bei ihnen nicht schätzen«.
(Zitiert nach Klöß-Rotmann 1992, S. 117)
Auch auf der Konfliktachse gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede. So überwiegen bei Frauen Konflikte um Versorgung und Autarkie sowie um Autonomie
und Abhängigkeit. Bei Männern hingegen werden häufiger Selbstwert­konflikte
und Konflikte um Unterwerfung und Kontrolle diagnostiziert. Es handelt sich
also um Konflikte, die mit jeweils geschlechtsstereotypen Annahmen über Männer
und Frauen übereinstimmen: dass nämlich Macht- und Dominanzstreben,
Abgrenzung und Unabhängigkeit für Männer typisch sei, für Frauen hingegen
die Beziehungsorientierung.
Insgesamt scheint die OPD eine sog. Gender-Bias aufzuweisen, d. h. »Fehlbeurteilungen und Urteilsverzerrungen, die in der klinischen Beurteilung von
Männern und Frauen in Abhängigkeit von ihrem Geschlecht auftreten« (SchmitzMoormann 2005, S. 27). Diese könnten darauf zurückzuführen sein, dass die
OPD überwiegend von männlichen Diagnostikern (mit einem Verhältnis von
zwanzig Männern zu fünf Frauen) erarbeitet wurde.
Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch eine Studie von Lang, Pokorny und
Kächele (2009), die sich mit dem Zusammenhang von Geschlechterkonstellation
zwischen Therapeut/in und Patient/in und gestellten Diagnosen beschäftigt.
Dabei wurden die Abschlussarbeiten von DPV-AusbildungskandidatInnen im
Zeitraum von 1969 bis 2006 ausgewertet. Auch hier stellte sich heraus, dass die
Diagnose »Hysterie« statistisch signifikant häufiger an Frauen als an Männer
vergeben wurde, und zwar insbesondere von männlichen Therapeuten, was
auf »androzentrische Klischeebestandteile« des Konzepts der Hysterie (Schmerl
2002) hinweisen könnte. »Das Gegenstück zur Hysterie, nämlich die Narzisstische Störung« (Lang, Pokorny, Kächele 2009, S. 395) wurde »interessanterweise
überwiegend bei männlichen Patienten diagnostiziert« – allerdings am häufigsten
von Frauen bei Männern, so dass auch hier die Vermutung erlaubt sei, dass es
sich bei dieser Diagnose um ein geschlechtsspezifisches Klischee handeln könnte
in dem Sinn, dass »mit der narzisstischen Persönlichkeitsstörung … allgemein
eine selbstherrliche Inszenierung eigener Fähigkeiten und Talente, die rastlose
Suche nach Erfolg und Bewunderung sowie Egozentrismus assoziiert« werden
(Herpertz, Habermeyer und Habermeyer 2007, S. 219).
Imagination, Nr. 2 /2009
66 Barbara Hauler
Geschlechtsstereotypien sind natürlich weit verbreitet und trotz aller Umbrüche
und Veränderungen der gelebten Geschlechtsrollen weitgehend unverändert
wirksam. So konnte die Wochenzeitschrift »Die Zeit« im Mai 2007 mit einem
­vielerorts verbreiteten Plakat für ihr neues Magazin »Leben« werben, auf dem
auf der linken Seite der ehemalige deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt,
abgeklärt-staatsmännisch an einer Zigarette ziehend, die Bildunterschrift »Denken«
illustriert, während auf der rechten Seite eine erotische Blicke geradezu anziehende weibliche Schönheit den Begriff »Fühlen« verkörpert. »Denken« wird hier
mit dem männlichen Geschlecht in Verbindung gebracht, mit Dominanz, Macht
und einsamer Stärke, die an den in der Zigarettenwerbung gerne eingesetzten
»lonesome cowboy« erinnern, »Fühlen« hingegen durch eine weibliche, in rote
Seide gewandete Gestalt repräsentiert, die weitaus weniger als Helmut Schmidt in
ihrer Individualität sichtbar wird, sondern eher durch ihre Brüste als wichtigstem
weiblichem Geschlechtsattribut, durch Hingabebereitschaft und Schwärmerei zu
charakterisieren ist. Stellen diese beiden Aufnahmen nicht die typischen Rollenklischees von der »emotionalen Frau« und dem »rationalen Mann« dar?
Von derartigen Rollenklischees sind auch wir Psychotherapeuten und Psychotherapeutinnen nicht unbedingt frei. Doch auch die verinnerlichten, mehr oder
weniger schulspezifischen Theorien beeinflussen den Erkenntnisprozess und
bestimmen das Erleben gegenüber dem Patienten. Damit meine ich in diesem
Kontext ganz besonders die Theorien über die Entwicklung weiblicher und
männlicher Geschlechtsidentität. Die Festschreibung einer »typisch weiblichen
Identität« entsprechend den von Freud entworfenen Theorien ist heute nicht
mehr haltbar. Sie waren schon immer von gewissen Widersprüchlichkeiten
geprägt, die Freud nicht auflösen konnte. So spricht Freud 1905 zwar von der
grundsätzlichen Bisexualität des Menschen und der Existenz von männlichen
und weiblichen Anteilen der Persönlichkeit, orientiert sich dann aber in seiner
Theorie der Weiblichkeit (1925, 1931, 1933) an einem männlichen Modell der Entwicklung. Für die Freud’sche Psychoanalyse ist nach Rohde-Dachser (2003, S. 52)
ein »doppelter Weiblichkeitsentwurf« charakteristisch, in dem die Frau zum einen
als Mängelwesen, als »kastrierte Frau«, und zum anderen als »furchtbare Frau«, als
das Unheimliche, das abgespaltene bzw. verleugnete Dunkle auftritt. In beiden
Bildern taucht die Frau nicht als Subjekt auf, als die Andere, die Autonome.
Denn auch der idealtypische Verlauf der Individuation orientiert sich bei Freud
an einem männlich gedachten Modell, das insbesondere in der »forcierten
Loslösung von der Mutter, mit einer begleitenden Entwertung des Weiblichen
und umgekehrter Hochschätzung von Männlichkeit« (Rohde-Dachser 1991, S. 51),
besteht. Weibliche Entwicklung ist in diesem Sinn nach Rohde-Dachser (ebd.)
eine »Theorie der Nicht-Individuation, die – wenn auch indirekt und sicherlich
unbeabsichtigt – der Anpassung der Frau an die ihr zu jener Zeit angesonnene
Geschlechtsrolle dient«.
Imagination, Nr. 2 /2009
Geschlechtsunterschiede im therapeutischen Prozess 67
Folge der sexuellen Revolution und des Feminismus war auch eine Revision
der Psychologie der Frau. Im Zentrum der Theorierevision stehen das Konzept der
primären Feminität, ein verändertes Verständnis der Bisexualität und die Eigenständigkeit der weiblichen Entwicklung, die nicht mehr als defizitär betrachtet
wird.
Entsteht bei Freud Weiblichkeit in Auseinandersetzung mit der Wahrnehmung
des Geschlechtsunterschiedes und dem Penisneid und müssen Frauen nach Freud
gleichsam »von der Männlichkeit zur Weiblichkeit fortschreiten« (Zimmermann
2007, S. 259), so wird heute davon ausgegangen, dass die weibliche Identitätsbildung von Geburt an stattfindet. Auch Jungen identifizieren sich zunächst
mit der Mutter. Man spricht daher von »primärer Feminität« (Horney 1933,
Stoller 1976).
Bei Mädchen äußert sich eine gelingende primäre Weiblichkeit in der Zufriedenheit am Besitz eines weiblichen Körpers. Sie wird zur Quelle von Selbstvertrauen, da die Ähnlichkeit mit dem Körperbild der Mutter und die intensive,
von wechselseitiger Einfühlung geprägte Beziehung Sicherheit vermitteln.
Gleichzeitig erschwert dies dem Mädchen jedoch die Ablösung von der Mutter
und die Autonomieentwicklung. Auch Jungen entwickeln aus der erfahrenen
mütterlichen Fürsorge »primäre Feminität«, auch sie identifizieren sich in den
»klassischen« Familienkonstellationen zunächst mit der Mutter. Daraus erwächst
ihnen aber die Notwendigkeit, sich von der Mutter zu unterscheiden, um ihre
männliche Geschlechtsidentität zu festigen. Dies macht den oft lebenslangen
Kampf mancher Männer gegen die eigene Weiblichkeit verständlich.
Theorien zur Geschlechterdifferenz haben die Tendenz, entweder auf die
Bedeutung der Mutter oder des Vaters zu fokussieren und die Bedeutung des
jeweils Anderen zu relativieren. Wir können patrizentrische (oder phallozentrische)
Theorien zur Entwicklung der Geschlechtsidentität – prototypisch bei Freud und
bei Lacan, der sagen konnte: »La femme n’existe pas« – von matrizentrischen
Theorien unterscheiden. Letztere wurden bereits von Freud-Schülern und -Schülerinnen formuliert – ich möchte nur an Karen Horney, Joan Rivière, Otto Rank,
Sándor Ferenczi und Melanie Klein erinnern. Mir erscheint es sinnvoll, diese
unterschiedlichen Theorien als Facetten einer komplexen Dynamik anzusehen,
die keinen Ausschließlichkeitsanspruch erheben dürfen.
Irene Fast beschreibt mit ihrer »Theorie der Geschlechterdifferenzierung«
(1984) einen dreiphasigen Prozess der psychosexuellen Entwicklung, der diesem
Gedanken am nächsten kommt. Danach glauben Kinder bis zur Entdeckung des
Geschlechtsunterschieds, dass sie alles haben und alles sein können und identifizieren sich mit beiden Eltern. Zwischen dem 18. und 24. Lebensmonat wird
dann die naturgegebene Notwendigkeit der Differenz der Geschlechter und ihrer
Beschränkung durch bisexuelle Phantasiespiele ausgelotet. Jungen müssen realisieren, dass sie nicht dazu in der Lage sind, Kinder zu gebären, während Mädchen
Imagination, Nr. 2 /2009
68 Barbara Hauler
anerkennen müssen, dass sie keinen Penis besitzen. Das Erkennen der Zugehörigkeit zu einem Geschlecht löst eine narzisstische Krise aus, in der unter Protest
und Trauer die Begrenzung der realen Möglichkeiten verarbeitet werden muss.
Geschlechtsgrenzen überschreitende Identifizierungen – des Mädchens mit
dem Vater, des Jungen mit der Mutter – eröffnen beiden Geschlechtern »symbolische Freiräume« (Rohde-Dachser 2006, S. 959) bei der Ausgestaltung ihrer
Geschlechtsidentität. Diese geschlechtsübergreifenden Identifizierungen und
Symbolbildungen sind mit der ödipalen Phase nicht abgeschlossen, sie finden
einen weiteren Höhepunkt in der Adoleszenz und setzen sich bis ins Erwachsenenalter hinein fort.
Dies möchte ich anhand einer kurzen Fallvignette verdeutlichen.
Es handelt sich um eine Patientin, die 41-jährig psychotherapeutische Hilfe
suchte, da sie wiederkehrend an schweren depressiven Verstimmungen litt. Frau
H. konnte sich nur schlecht
abgrenzen und wurde rasch von
Stress und Versagensängsten
überwältigt. Die Mutter der
Patientin hatte ihrer Tochter
keinen Raum für eine eigenständige Entwicklung gelassen
und die Ablösung der Tochter
weitgehend sabotiert. Der
Vater war wenig präsent und
wurde von Frau H. wegen
Bild 1
seiner Unberechenbarkeit und
fehlenden Empathie eher gefürchtet. Frau H. entwickelte ein überaus strenges,
rigides Über-Ich, dessen Forderungen sie nicht gerecht werden konnte. In einer
fortgeschrittenen Phase der Therapie schlug ich ihr das Motiv »Muschel« vor.
Frau H. sah eine zunächst geschlossene schöne Muschel (Bild 1), in die sie, so
klein wie ein Däumling, hineinklettern konnte. Ich ermutigte
sie, sich dort so einzurichten,
dass sie sich sicher und
geborgen fühlen konnte. Dies
führte zu der Einsicht, dass
sie für ihr Wohlbefinden noch
einen Stock benötigte. Dieser
sollte die Muschel offen halten,
damit sie sich darin nicht eingeBild 2
sperrt fühlte (Bild 2). Nachdem
Imagination, Nr. 2 /2009
Geschlechtsunterschiede im therapeutischen Prozess 69
der Stock eingesetzt war, empfand sie große Befriedigung, »die »Muschel
gebändigt« zu haben. Weiblichkeit hat für Frau H. einerseits positive Seiten
wie Emotio­nalität und Geborgenheit vermittelnde Mütterlichkeit, andererseits
auch bedrohliche verschlingende Züge. Um sich davor zu schützen, benötigt
sie ein phallisches Symbol, das für die Fähigkeit, sich abzugrenzen und eigene
Bedürfnisse wahrzunehmen und zu verfolgen, stehen könnte, d. h. also für
instrumentelle, traditionell eher männliche Fähigkeiten. In dieser Imagination
könnten wir eine individuelle Lösung für die Ausbalancierung weiblicher und
männlicher Aspekte sehen, zu der die Patientin im Verlauf der intensiven
Therapie gefunden hatte.
In der therapeutischen Beziehung zwischen Frau H. und mir hatte sich
zunächst eine enge mütterliche Übertragung mit überwiegend idealisierender
Tönung entwickelt. In dieser Phase wurden inhaltlich insbesondere die heftigen
Ablösungskonflikte mit der Mutter und die Konflikte um Autonomie und
Abhängigkeit bearbeitet. Die Patientin zeigte in ihren Imaginationen über weite
Strecken die Tendenz, sich in schwierigen Situationen, etwa der Bergbesteigung,
männlichen Führern anzuvertrauen. In meiner Gegenübertragung wurden
dabei durchaus ambivalente Gefühle spürbar: Frau H. schien dem männlichen
Geschlecht mehr Kompetenz zuzutrauen! Die intensive Auseinandersetzung mit
ihrem eher angepassten inneren Bild weiblicher Identität ermöglichte Frau H. mit
der Zeit die Integration eigener männlicher Anteile. Diese Entwicklung war die
Voraussetzung dafür, dass sie die bislang ausgesparten negativen Gefühle in der
Übertragung allmählich wahrnehmen und damit dann auch die frühen Konflikte
mit ihrer Mutter bearbeiten konnte.
Dieser kurze Einblick in den Prozess einer Patientin zeigt auf, wie eine individuelle Lösung für die Ausbalancierung männlicher und weiblicher Anteile bei
einer Frau aussehen kann.
Was meint nun aber eigentlich der Begriff »Bisexualität« jenseits biologischer
Konnotationen? Psychische Bisexualität äußert sich zunächst in einer Offenheit
der Phantasie und der Kreativität im kindlichen Spiel. Dabei richten sich bisexuelle Phantasien auf die geschlechtliche Differenz und beinhalten die Vorstellung
bzw. den Wunsch, so sein zu können wie das andere Geschlecht. Die Lust an der
eigenen Weiblichkeit schließt den Wunsch, ein Junge zu sein, (und umgekehrt)
nicht aus. Bisexuell zu sein bedeutet »in Möglichkeitsformen zu existieren«
(Sellschopp 1999, S. 1045). »Durch die Schaffung bzw. Nutzung von Symbolen
diesseits und jenseits der eigenen Geschlechtsidentität« kann nach Bassin (1996,
S. 180) »›ein innerer Freiraum‹ für unbewusste und bewusste Phantasieszenarien
entstehen«, die »in den Einfühlungsprozessen zu einem tieferen Verständnis des
anderen beitragen« (Sellschopp 1999, S. 1045).
Welche Faktoren haben nun einen Einfluss auf die Entwicklung der Bi­sexua­lität
und die Vielfalt der in einem Individuum vereinten Aspekte von ­Männlichkeit
Imagination, Nr. 2 /2009
70 Barbara Hauler
und Weiblichkeit? Wenn wir davon ausgehen, dass im allgemeinen die Mutter das
primäre Objekt ist, ist für beide Geschlechter die Anwesenheit des Vaters – und
damit die Möglichkeit zur Identifizierung mit seinen »phallischen« Aspekten  – von
Geburt an von enormer Bedeutung.
Mädchen können zunächst das ungestörte Zusammensein mit der Mutter
noch sehr viel länger genießen als Jungen und ihre Beschäftigungen imitieren
(beispielsweise im Puppenspiel). Bei ungestört verlaufender Entwicklung müssen
die frühen Erfahrungen mit der Mutter vom Mädchen weniger intensiv verdrängt
werden als von Jungen. Die Verbundenheit mit der Mutter gefährdet die gerade
erworbene Geschlechtsidentität nicht und ist gut vereinbar mit der gesellschaftlich
etablierten Geschlechtsrolle. Die Sprache des Mädchens (und der Frau) ist daher
im Allgemeinen auch gefühlsnäher, weniger entfremdet und eher in der Lage, die
Beziehungserfahrungen symbolisch zu kodieren.
Jungen müssen sich hingegen viel früher innerlich von der Mutter lösen, um
eine sichere Geschlechtsidentität aufzubauen. Da diese erste geschlechtliche Differenzierung so konflikthaft ist, wird das in diesem Zusammenhang entwickelte
Mutterbild im typischen Fall stärker aggressiv aufgeladen und reaktiv auch stärker
entwertet und/oder idealisiert. Gleichzeitig sind die Beziehungserfahrungen des
Jungen mit der Mutter aus der vorsprachlichen Zeit wegen der damit verbundenen Erinnerung an die körperliche Nähe zur Mutter vermutlich eher tabuisiert
als bei Mädchen. Sie werden daher möglicherweise auch in geringerem Umfang
symbolisiert bzw. sprachlich zum Ausdruck gebracht.
Aber hat all dies wirklich eine Bedeutung für den therapeutischen Prozess?
Dass die Gegenübertragung stark von unserer persönlichen Gleichung, von
den persönlichen Lebenserfahrungen, den Lernprozessen in Kindheit, Jugend
und Erwachsenenleben, vom Schicksal unserer inneren Konflikte und von den
Grenzen unserer eigenen Persönlichkeitsentwicklung mitbedingt ist, ist wohl
unstrittig. Doch sind hier nicht auch unsere geschlechtgebundenen Erfahrungen
von Bedeutung?
Darauf gibt es nach Klöß-Rotmann (1992, S. 116 f.) in der Psychotherapieforschung zwei Antworten. Der idealtypisch-normative Ansatz geht von der bisexuellen Natur des Menschen aus und bejaht diese Frage unter der Voraussetzung
einer hinreichend guten Lehranalyse. Der klinisch-empirische Ansatz verweist
auf geschlechtstypische Phänomene in Behandlungen, die in der Beschreibung
von Behandlungsbeziehungen deutlich werden, und weist nach, dass der
Spielraum unserer Phantasie nicht unbegrenzt ist und dass es Hinweise für eine
geschlechtstypische Begrenzung der Einfühlung und des Verständnisses gibt. So
empfand auch Freud Schwierigkeiten, sich als Objekt einer mütterlichen Übertragung zu empfinden, und Melanie Klein zentrierte die Analyse völlig auf die
Mutter – Hinweise dafür, wie schwierig und wie kränkend es sein mag, in der
Übertragung mit dem Gegengeschlecht identifiziert zu werden!
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Geschlechtsunterschiede im therapeutischen Prozess
71
Nachfolgend möchte ich von einigen Untersuchungen berichten, die diese
zweite These belegen, dass Therapeuten und Therapeutinnen sich nicht auf eine
geschlechtsneutrale Position zurückziehen können.
Lisbeth Klöß-Rotmann beschäftigte sich 1988 in einer empirischen Untersuchung mit geschlechtstypischen Sprachmerkmalen von Psychoanalytikern. Ihre
Forschungsergebnisse seien im Folgenden kurz zusammengefasst. Klöß-Rotmann
unterschied dabei drei Ebenen, auf denen sich die Geschlechtszugehörigkeit
auswirkte, und fand
1. auf der Ebene der Gegenübertragungsphantasien »Hinweise dafür, dass der
Gegenübertragungsspielraum des Therapeuten oder der Therapeutin nicht potentiell unbegrenzt, sondern begrenzt ist« (ebd. S. 120). Sie beobachtete, dass die
Einfühlung dann besonders gut gelingt, wenn das Geschlecht von Therapeut/in
und Patient/in übereinstimmt. Nach Wisdom (1983) können sich Frauen leichter
in Männer einfühlen als Männer in Frauen, da bei Männern Kastrationsängste
geweckt würden, wenn sie sich in Frauen einfühlten, während Frauen ohne Angst,
ihre Weiblichkeit zu verlieren, sich in Männer einfühlen oder männliche Aktivitäten verfolgen könnten.
Auch in Gegenübertragungsträumen finden sich nach Klöß-Rotmann
geschlechts­typische Unterschiede. So beinhalten die Träume männlicher Therapeuten häufiger erotisch-sexuelle Themen, während Therapeutinnen eher davon
träumen, dass Patienten in ihre privaten Bereiche eindringen.
Eine weitere wichtige Ebene ist 2. die der Arbeitsbeziehung. Männliche The­
ra­peuten bevorzugen einen konfrontierend-deutenden Arbeitsstil und aktive
Behandlungstechniken, auf die der Patient reagiert, strukturieren die Sitzungen
und setzen auf Kompetenz und Autorität. Therapeutinnen sind in ihrem Arbeitsstil
eher abwartend, gehen mit und bevorzugen behutsame Behandlungstechniken,
um den Patienten, die Patientin zu aktivieren.
Hier werden Aspekte des sog. »Doing Gender« erkennbar. Um das Gefühl
von Geschlechtsidentität zu erlangen, müssen wir die eigene Geschlechtlichkeit
immer wieder in Szene setzen. Das Geschlecht ist in dieser Sicht nicht etwas, das
wir haben oder sind, sondern etwas, das wir tun – in prägnantem Englisch: »Doing
Gender«. Dabei ist das männliche Rollenstereotyp durch Aktivität, Kompetenz,
Leistungsstreben und Durchsetzungsfähigkeit gekennzeichnet, während das
weibliche Stereotyp Eigenschaften wie Emotionalität, Einfühlsamkeit, Hilfsbereitschaft, Passivität und praktische Intelligenz enthält.
Das heißt in diesem Kontext: Männliche Therapeuten werden durch ihre Sozialisation darauf vorbereitet, Kompetenz und Autorität auszustrahlen, bespielsweise
indem sie das Setting festlegen und entscheiden, was sie wann inhaltlich deutend
aufgreifen. In der Gesprächsführung sind sie nach Klöß-Rotmann eher kritisch
sachorientiert und fokussieren gerne auf die konflikthaften Seiten des Lebens
und auf Gefühle, die vom Objekt trennen. Bei Frauen wird hingegen in der
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72 Barbara Hauler
­Sozialisation die Fähigkeit zur Empathie und zu mütterlicher Fürsorge gefördert.
Therapeutinnen bevorzugen Begriffe mit starken Gefühlsqualitäten, betonen
häufiger harmonische Zustände und objektverbindende Gefühle und konzentrieren sich eher auf die Beziehungen in der Kernfamilie, insbesondere auf die
Mutter-Kind-Beziehung. Man könnte nach Cremerius (1979) daher idealtypisch
auch zwischen einer »paternistischen Einsichtstherapie« (Freud) und einer »mütterlichen Holding-Technik« (Ferenczi) unterscheiden (Zimmermann 2007, S. 276).
Natürlich gibt es 3. auch auf der Ebene der Realbeziehung geschlechtsspezifische Unterschiede im Verhalten, beispielsweise Höflichkeitsregeln. Nicht zuletzt
ausgelöst durch solche Rollenzuweisungen, aber natürlich insbesondere bedingt
durch die unterschiedlichen Übertragungsbereitschaften der Patientinnen und
Patienten gegenüber männlichen bzw. weiblichen Therapeuten entwickeln sich
spezifische Übertragungsbeziehungen in Abhängigkeit vom Geschlecht des Psychotherapeuten, die ich im folgenden genauer schildern möchte. Aus Gründen der
Begrenzung kann ich dabei jedoch nicht auf die spezifischen Konstellationen bei
Menschen mit gleichgeschlechtlicher sexueller Orientierung eingehen, sondern
beschränke ich mich auf einen heterosexuellen Personenkreis.
Ganz grundsätzlich kann man sagen, dass es bei gemischtgeschlechtlicher
Konstellation – sei es Patientin und Therapeut oder Patient und Therapeutin – zu
Beginn der Behandlung häufige Übertragungs- und Gegenübertragungsmuster
gibt, die von beiden Seiten initiiert werden, nämlich mütterliche Übertragungsmuster bei Therapeutinnen und väterliche und ödipale Übertragungsmuster eher
bei Therapeuten. Zwischen männlichen Therapeuten und weiblichen Patientinnen
entwickelt sich häufig ein heterosexuelles Spannungsfeld, während sich zwischen
Therapeutinnen und männlichen Patienten zumeist eine entwicklungsbedürftige
Mutter-Kind-Beziehung einstellt.
Die Konstellation »hilfsbedürftige Frau wendet sich an einen männlichen
Therapeuten« ist uns aus der Literatur (und der Realität) wohlbekannt. Die
Zuneigung in der sich meist entwickelnden Vaterübertragung kann sich zu einer
intensiven Übertragungsliebe steigern, in der jedoch nicht nur kindliche Beziehungswünsche zum Ausdruck kommen, sondern durchaus auch erwachsene
Phantasien und Wünsche mitschwingen können. Insbesondere bei Frauen, die
in ihrer Mutterbeziehung und damit in ihrer primären Feminität schwer gestört
sind, erweist sich dieses heterosexuelle Spannungsfeld im Rahmen einer ödipalen
Konstellation jedoch unter Umständen als Falle, wenn es der Abwehr der Bearbeitung der frühen Konflikte mit der Mutter dient, und kann zum Scheitern der
Behandlung führen. Denn ohne die Auseinandersetzung mit der Ambivalenz
gegenüber der Mutter bleibt die Patientin unter Umständen abhängig von
der narzisstischen Bestätigung durch idealisierte väterliche Objekte und kann
damit auch in der Therapie keine stabile und unabhängige weibliche Identität
entwickeln.
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Geschlechtsunterschiede im therapeutischen Prozess
73
Doch auch in der Frau-zu-Frau-Konstellation können behandlungstechnische
Probleme auftreten. Bei meiner Patientin, Frau H., diente die Idealisierung (der
Therapeutin bzw. der Mutter) auch der Abwehr oral-aggressiver Phantasien und
der unbewussten Ambivalenz, die in ihrem Bild in der Imagination zum Motiv
»Muschel« (vgl. Bild 1) in dem gezackten, an Zähne erinnernden Rand und den
verschlingenden Aspekten der Muschel symbolisiert sind. Erst nach der sicheren
Aneignung phallischer Aspekte – symbolisiert im Stock in der Muschel bzw. in der
darauf folgenden Imagination zum Motiv »Werkzeug« in einem Gummihammer, 
den Frau H. dazu benutzte, Holzpflöcke in den Boden zu schlagen (Bild 3) –
wurde es möglich, die negativen Gefühle
und Phantasien hinsichtlich unserer therapeutischen Beziehung durchzuarbeiten.
Bei gleichgeschlechtlicher Konstellation
überwiegen bei Patientinnen Themen
um Nähe und Distanz zum mütterlichen
Objekt und der Kontrolle darüber. Ohne
die Integration der gegen die Mutter
gerichteten »schwierigen« Gefühle und
Impulse wie Aggression, Neid und Rivalität
und ohne die Erlaubnis zur Integration
auch phallischer Qualitäten kann jedoch
die ersehnte reife Identifikation mit der
Mutter nicht erfolgen.
Die Patient-Therapeut-Konstellation
bietet dem Patienten die Möglichkeit
zur Identifikation mit einem präsenten
Bild 3
Vater, weckt jedoch oft auch bedrohliche
homoerotische Gefühle und Rivalitätskonflikte, die häufig durch sachliche, intellektualisierende Gespräche abgewehrt werden. So beobachtete bereits Freud, dass
männliche Patienten eher dazu neigten, ihm gegenüber feindselige Gefühle zu
entwickeln, als weibliche Patientinnen.
In Dyaden zwischen Patient und Therapeutin sind erotische, v. a. sexuelle Phantasien seltener als in der Konstellation Patientin-Therapeut. Das hängt sicherlich
mit der »Asymmetrie der Geschlechtsrollen« (Kottje-Birnbacher 1994, S. 26)
zusammen, die dem Mann insbesondere bei der Werbung die dominante Position
zuschreiben. Stattdessen herrschen mütterliche Erwartungen vor, die ja auch dem
weit verbreiteten Rollenverständnis der Therapeutinnen entsprechen (vgl. Mann
1999). Dies führt häufig zur Konzentration auf die Bearbeitung der Defizite der
frühen Mutterbeziehung, der frühen präödipalen Sehnsüchte und Ängste und
erfüllt die regressiven Bedürfnisse des Patienten. Es könnte sich aber um eine
Flucht in eine verharmlosende reparative Mutter-Kind-Beziehung handeln, die
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74 Barbara Hauler
dazu dient, verdrängte sexuelle Wünsche und die damit verbundenen Aggressionen zu vermeiden. In dieser Konstellation bleibt also die sexuelle Übertragung
und die zwar spürbare, aber dissoziierte Aggression gegenüber Frauen unbewusst.
Auf diese Weise kann jedoch das Problem des Patienten mit der Anerkennung der
primären Identifikation mit der Mutter nicht gelöst werden, weil der Lösungsversuch durch Abwehr ihrer Weiblichkeit nicht bearbeitet wird.
Auch hierzu möchte ich kurz von einem Patienten berichten, der etwa 40-jährig
wegen Gefühlen der inneren Leere und der Depressivität zu mir in die Praxis kam.
Er fühlte sich zeitweise wie gelähmt und in sich eingeschlossen, grübelte ständig
und konnte die zahlreichen Ideen, die er im Kopf hatte, nicht umsetzen. Herr
M. war in einem sozialen Beruf tätig und zeigte dort ausgesprochen mütterliche
Qualitäten. Er lebte alleine, war aber mit einer deutlich jüngeren, weit entfernt
lebenden Frau befreundet. Als Kind hatte er sich für seine an Angstzuständen
leidende Mutter zuständig gefühlt. Seine große Kindheitsenttäuschung bestand
darin, dass auch sein Vater, den er als streng und verbissen schilderte, nur ein
gewöhnlicher, nicht unfehlbarer
und allmächtiger Erwachsener
war, der im Winter einmal auf
Glatteis ausgerutscht war. Herr
M. hatte sich schon als Kind
innerlich zurückgezogen und in
einer Phantasiewelt gelebt.
Im Verlauf der Katathym
Imaginativen Psychotherapie
bot ich Herrn M. auch das
Motiv Berg an (Bild 4). Herr M.
stellte sich einen kegelförmigen
Bild 4
Berg vor, der durch vier Zinnen
wie durch eine Krone abgeschlossen wurde und dadurch einerseits geheimnisvoll
und anziehend, andererseits bedrohlich wirkte. Herr M. stand sofort auf dem
Gipfel und schaute mit einer Mischung aus Befriedigung, hinaufgestiegen zu sein,
Faszination und Erschaudern in einen tiefen, dunklen Krater hinein. Der feste,
kantige Fels vermittelte ihm ein Gefühl von Halt und Sicherheit, das es ihm
erlaubte, in die Tiefe zu blicken. Dort sah er eine Treppe, die an bemoosten, von
Wasser glänzenden Wänden vorbei hinunter führte.
Herr M. war erfüllt von einer tiefen Sehnsucht nach einer »nur guten« mütterlichen Beziehung, die jedoch sofort eine verschlingende Qualität anzunehmen
drohte – ein hochaggressiver oraler Vorgang, den wir in der zahnähnlichen Form
symbolisiert finden. Der Berg symbolisiert aus meiner Sicht eine mächtige frühe
präödipale mütterliche Repräsentanz mit aggressiven Zügen, die vom Patienten
selbst dem Objekt zugeschrieben werden, aber sicherlich auch eigene (nicht
Imagination, Nr. 2 /2009
Geschlechtsunterschiede im therapeutischen Prozess
75
­integrierte) aggressive Regungen repräsentieren. Um sich von einem derartigen
Objekt abzulösen, bedarf es eigener instrumenteller Fähigkeiten, die dem
Patienten nicht ausreichend zur Verfügung standen (»er konnte die zahlreichen
Ideen, die er im Kopf hatte, nicht umsetzen«). Es ging in der Therapie also neben
der Auseinandersetzung mit der Mutter auch darum, seine männlichen Identifikationen zu stärken. Schließlich fühlte sich Herr M. soweit gekräftigt, dass er in
einer Imagination den Abstieg in die tiefe Höhle im Inneren des Berges wagen
konnte (Bild 5). Sie erwies sich als eine
Art Brunnenschacht, in dem eine Treppe
in die immer enger werdende Tiefe führte.
Herr M. überlegte noch, ob es besser
wäre, zum Abstieg Steigeisen zu benutzen
(männliche Attribute, die ihm helfen
sollten, nicht so auszurutschen wie der
Vater), und erreichte schließlich das klare
Wasser am Grund des Schachtes. Dort
fühlte er sich geborgen und akzeptiert.
Wir finden hier vielerlei Hinweise für
frühe, präödipale Konflikte, die in der
Therapie intensiv bearbeitet wurden. Was
mir nach und nach jedoch bewusst wurde,
war, dass es auch eine untergründige idealisierend-erotische Tönung der Mutter-Übertragung gab, die jedoch nicht ansprechbar
Bild 5
war. Gegen Ende der Therapie tauchten
erstmals ärgerliche Gefühle auf, die vordergründig die zeitliche Begrenzung der
Therapie betrafen. Als dann auch noch sichtbar wurde, dass ich schwanger war,
wurden die abgewehrten negativen Gefühle gegenüber der ödipalen Mutter, die
offenbar einen »anderen« Mann hatte, zugänglich. Dies auszuhalten fiel auch mir
nicht leicht. Doch erwies es sich als unabdingbar wichtig, dass wir diese Gefühle
anerkannten, verstanden und durcharbeiteten. So konnte die Therapie zu einem
guten Abschluss gebracht werden, der sich für mich – katamnestisch – auch darin
zeigte, dass Herr. M. die Beziehung zu seiner Freundin intensivieren und mit
ihr schließlich eine Familie gründen konnte – Ausdruck seiner stabileren Männlichkeit und seiner gewachsenen Fähigkeit zur Vaterschaft.
Wie wir an all diesen Konstellationen sehen, kann die Geschlechtszugehörigkeit
des Psychotherapeuten zum Kern eines unter Umständen kaum zu bearbeitenden
Widerstands werden, insbesondere bei Patienten mit ausgeprägten Frühstörungsanteilen und nicht-triangulierter psychischer Struktur.
Insgesamt ist nach Untersuchungen von Almuth Sellschopp (1999, S. 1053f.)
»der Einfluss des realen Geschlechts … in kurzen Psychotherapien am größten«
Imagination, Nr. 2 /2009
76 Barbara Hauler
und bei langen Psychoanalysen nur am Anfang wirksam. Auch scheint der
Schweregrad der Störung den Einfluss des Geschlechts zu verstärken. Umso
wichtiger erscheint daher gerade bei kürzer dauernden Therapien eine besonders
sorgfältige Indikationsstellung, die solche dyadenspezifischen, geschlechtsabhängigen Aspekte berücksichtigt. Bei Behandlungsstillständen könnte es ratsam sein,
nach Möglichkeit gegengeschlechtliche Kollegen zu konsultieren oder aber einen
Behandlerwechsel hin zum anderen Geschlecht in Erwägung zu ziehen.
Denn auch die Begrenzung der Fähigkeit des Therapeuten, die mit jenem
Geschlecht, das er nicht besitzt, verbundene Übertragung und Gegenübertragung
zu erdulden, zu deuten und theoretisch zu erfassen, darf nicht unterschätzt
werden. Kernberg hatte bereits 1965 vermutet, dass es ganz allgemein schwieriger
sei, sich auf Probe mit dem jeweils anderen Geschlecht zu identifizieren. Das liegt
daran, dass die frühzeitig erworbene Geschlechtsidentität die Phantasien und
Reaktionen der Therapeuten prägt. Nach Sellschopp besteht eine Voraussetzung
für erfolgreiches therapeutisches Arbeiten darin, dass »eine rigide Etablierung der
Geschlechtsidentität … soweit wie möglich rückgängig gemacht wird zugunsten
der Fähigkeit fluktuierender bisexueller Identifizierungen und ihrer phantasievollen spielerischen Übergänge« (A. Sellschopp 1999, S. 1046).
Die psychische Bisexualität muss aufgrund der spezifischen weiblichen
Entwicklung von Frauen weniger verdrängt werden – sie haben und behalten
dasselbe Geschlecht wie die Mutter und dürfen sich bzw. sollten sich auch mit
väterlichen/phallischen Aspekten identifizieren, um eine eigenständige Persönlichkeit zu entwickeln. Dies ermöglicht auch die oben beschriebene oft größere
Fähigkeit von Frauen, sich in Männer einzufühlen. Männer hingegen müssen sich
in ihrer Entwicklung schon früh vom primären Objekt, der Mutter, desidentifizieren, um eine stabile männliche Geschlechtsidentität zu entwickeln. Dabei wird
bedauerlicherweise oft »das Kind mit dem Bade ausgeschüttet«, mit der Folge
der weitest gehenden Abgrenzung vom Weiblichen bzw. der Ausgrenzung und
Ablehnung eigener weiblicher Aspekte.
Psychische Bisexualität bedeutet jedoch nicht eine »Vergleichgültigung« beider
Geschlechter (Molfino 1993, S. 571), sondern beinhaltet den inneren Zugang zu
den Möglichkeiten des jeweils anderen Geschlechts. Damit meine ich auf einer
allgemeinen Ebene die individuelle Ausgestaltung der eigenen Geschlechtsrolle,
die männliche und weibliche Anteile, instrumentelle und expressive Fähigkeiten
umfassen kann. Für den therapeutischen Bereich ist nach Chasseguet (1988) zum
einen die Fähigkeit zur Mutterschaft von Bedeutung, die beiden Geschlechtern
den präverbalen Austausch von Unbewusstem zu Unbewusstem ermöglicht,
ähnlich wie eine Mutter ein »Gespür« für den Zustand des Säuglings hat. Diese
mütterlichen Qualitäten äußern sich auch in der Fähigkeit abzuwarten, wie
sich eine Beziehung entwickelt, vergleichbar einer Schwangerschaft, als die der
therapeutische Prozess betrachtet werden kann. Gleichzeitig bedarf es jedoch
Imagination, Nr. 2 /2009
Geschlechtsunterschiede im therapeutischen Prozess 77
auch väterlicher Elemente in Form des therapeutischen Rahmens, die verhindern,
dass dieses regressionsfördernde Angebot der Therapeutin oder des Therapeuten
gleichsam verschlingende und damit bedrohliche Züge annimmt.
Die selbstreflexive Wahrnehmung der eigenen weiblichen und männlichen
Anteile und die Sensibilisierung für geschlechtstypische Phänomene in der therapeutischen Arbeit erweisen sich aus meiner Erfahrung als ungemeine Bereicherung, nicht zuletzt deshalb, weil wir damit an die Freude anknüpfen können,
mit der unsere kindlichen Phantasiespiele im Raum der nahezu unbegrenzten
Möglichkeiten verbunden waren.
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Zusammenfassung:
Die Geschlechtlichkeit gehört wesenhaft zum Menschsein, wird aber in ihrer
Bedeutung für den therapeutischen Prozess zu wenig berücksichtigt. Der Beitrag
möchte das Verständnis für die Auswirkungen der Geschlechtszugehörigkeit des
Therapeuten, der Therapeutin auf die therapeutische Haltung und das Übertragungs-Gegenübertragungs-Geschehen vertiefen. Dazu werden zum einen verschiedene Untersuchungen zur Frage der Bedeutung des Geschlechtsunterschieds
im diagnostischen Bereich und für den Behandlungsverlauf referiert. Zum anderen
werden die neueren Konzepte zur Ausbildung der Geschlechtsidentität und zur
Ausgestaltung der Geschlechtsrollen dargestellt, um damit die Grundlage für ein
Verständnis geschlechtstypischer Aspekte der therapeutische Rolle und Haltung,
Imagination, Nr. 2 /2009
Geschlechtsunterschiede im therapeutischen Prozess 79
von Übertragung und Gegenübertragung zu schaffen. Zwei Fallbeispiele illustrieren die Thematik. Die Autorin plädiert für eine selbstreflexive Wahrnehmung
der eigenen weiblichen und männlichen Anteile wie auch für eine Sensibilisierung
für geschlechtstypische Phänomene in der therapeutischen Arbeit.
Keywords:
Geschlechtsidentität – Bisexualität – Übertragung-Gegenübertragung
Autorin:
Dr. med. Barbara Hauler
D – 88250 Weingarten, Reschenstraße 12
E-Mail: [email protected]
Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin. KIP-Therapeutin.
In eigener Praxis tätig. Dozentin der AGKB.
Arbeitsschwerpunkt: Gender-Aspekte in der Psycho­therapie.
Imagination, Nr. 2 /2009
80 Nachruf
Nachruf auf Univ.-Prof. univ. med.
Dr. Alois Moritz Becker
Am 5. Februar dieses Jahres starb, 91-jährig, Prof. Dr. Alois Moritz Becker,
Psychia­
ter, Psychoanalytiker, mit Prof. Hans Strotzka einer der wichtigsten
Pioniere der Tiefenpsychologie im Nachkriegsösterreich.
Er war eine der wichtigsten Persönlichkeiten der ÖGATAP, ursprünglich
»Österreichische Gesellschaft für ärztliche Hypnose und Autogenes Training«.
Ohne ihn wäre vor allem das wissenschaftliche Wachstum, wären die
Programme der Gasteiner Psychotherapiewochen, des International College
für Autogenes Training und allgemeine Psychotherapie usw. gar nicht denkbar
gewesen. Es waren die Teilnehmer »seines« psychotherapeutischen Seminars der
Wiener Psychiatrischen Klinik (Prof. Hans Hoff, Prof. Hans Strotzka), die die
ersten Mitglieder wurden, als mich I. H. Schultz mit der Leitung der Landesstelle
Österreich der Deutschen Gesellschaft für ärztliche Hypnose und Autogenes
Training betraute, und es waren ebendiese Kollegen die ersten Mitglieder der
österreichischen Gesellschaft gleichen Namens. Ich gründete damals die heutige
ÖGATAP, weil wir – auch unter dem Beifall Prof. Beckers – nicht wieder »angeschlossen« sein wollten.
Es war mit seiner Hilfe, dass wir an der Klinik und im Neurologischen
Institut von Prof. Seitelberger anfangs jährlich rund 200 Ärzte, später Ärzte
und Psychologen und angehende Psychotherapeuten, ausbilden konnten. Mit
seinem immer kritischen und nüchternen Blick hat er so manches überschießende Ziel in vernünftige Bahnen gelenkt. Er wusste sehr wohl, dass sich der
Analytiker nicht hinter einer grauen Wand verstecken konnte und machte immer
wieder deutlich, dass Psychotherapie eine »menschliche« Angelegenheit ist: So
schrieb er: »Abstinenz meint durchaus nicht kalte, starre Distanziertheit, wie
Unkenntnis zuweilen vermutet, sondern, im Gegenteil, vernünftig – wohltemperiertes Verhalten, das ermöglicht, mit dem gesunden Teil der Persönlichkeit
des Patienten ein tragfähiges Verhältnis aufzubauen, das unter dem Begriff des
Arbeitsbündnisses behandelt wird.«
Und es war noch ein letztes Ereignis, an dem die alten Mitglieder der Gesellschaft eine besondere Freude erleben konnten: Ali Becker ergriff noch einmal zu
einem Hauptthema der Gesellschaft das Wort. Es war sein letzter öffentlicher­
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Nachruf
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Auftritt. Eine Veranstaltung des ehrwürdigen Vereins für Neurologie und
Psychia­trie (Mitglied war u. a. Sigmund Freud) unter Leitung von Prof. Lenz am
17. November 2003 im Hörsaal der Kliniken im Südgarten: »Vom Autogenen
Training zur Autogenen Psychotherapie.« Es sprachen unter anderen Prof.
Henriette Walter und Dr. Marianne Martin. Besonders im Vordergrund stand
die analytische Oberstufe, an der er auch nicht unbeteiligt war.
Mit Ali Becker verband mich noch ein weiteres Band: Wir waren beide
(wie übrigens auch Prof. Berner) »Marinekinder«, das heißt Söhne eines k. u. k.
Seeoffiziers. Und die kaiserlich und königliche Kriegsmarine war – trotz ihres
Untergangs im Jahre 1918 – bis lang über den zweiten Weltkrieg hinaus ein Band,
das sie Angehörigen in einer heute kaum mehr praktizierten Weise miteinander
verband.
Es leben nicht mehr viele seiner Schüler und Freunde die um ihn trauern,
er und seine Gedanken werden aber sicher auch in den Schülern dieser Schüler
weiterleben.
Heinrich Wallnöfer
Imagination, Nr. 2 /2009
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Hinweise für AutorInnen
Hinweise für AutorInnen
1) Eine Zeitschrift ernährt sich von dem, was die LeserInnen erfreut (frei nach Augustinus).
2) Manuskripte schicken Sie bitte zum einen ausgedruckt in einfacher Ausfertigung an die
Schrift­leitung: Dr. Josef Bittner, Landhausgasse 2/44, A-1010 Wien, zum ­anderen als E-Mail
oder auf Datenträger an das Sekretariat der ÖGATAP, Kaiserstraße 14/13, A-1070 Wien
(E-Mail: [email protected]). Hinweise zu den möglichen Formaten finden Sie im
Anschluss in den technischen Hinweisen.
3) Die Schriftleitung gibt eingesandte Manuskripte in ein Peer-Review-System. AutorInnen
erhalten nach der Begutachtung der vorgelegten Manuskripte eine Benachrichtigung
bezüglich der Annahme zum Abdruck in der Imagination.
4) Bitte fügen Sie Ihrem Beitrag eine Zusammenfassung von maximal 10 Zeilen hinzu.
5) Kennzeichnen Sie bitte Ihren Artikel durch maximal 3 Schlüsselwörter.
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8) Korrektes Zitieren in der Zeitschrift »Imagination« (Autorinnen und Autoren bitte unbedingt
Zitiervorschriften für Literaturangaben beachten!):
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Text soll die Jahreszahl der Originalpublikation angegeben werden. Im Literaturverzeichnis
dann auch Jahreszahl einer Übersetzung oder einer Neuauflage.
Beispiel (im Text): (Kohut 1971).
Beispiel (im Text mit Seitenangabe): (Kohut 1971, S. 83)
Beispiel (im Text mit Angabe einer Seite und der folgenden): (Kohut 1971, S. 83 f )
Beispiel (im Text mit Angabe einer Seite und mehreren folgenden): (Kohut 1971, S. 83 ff )
Beispiel (im Text mit Angabe von – bis): (Kohut 1971, S. 83 – 87)
Beispiel (im Literaturverzeichnis, mit Angabe des Erscheinungsjahres der deutschen Ausgabe):
Kohut, H. (1971): Narzissmus. Frankfurt/Main: Suhrkamp. Dt. 1973
Beispiel (im Literaturverzeichnis, mit Angabe der Auflage): Ermann, M. (1999): Psychosomatische und Psychotherapeutische Medizin. Stuttgart: Kohlhammer, 3. Aufl.
Erstellen des Literaturverzeichnisses:
Beispiel (Zitieren eines Buches):
Winnicott, D. W. (1958): Von der Kinderheilkunde zur Psychoanalyse. München:
Kindler. Dt. 1983
Ullmann, H. (Hrsg.) (2001): Das Bild und die Erzählung in der Psychotherapie mit
dem Tagtraum. Bern: Huber: 158 – 166.
Beispiel (Zitieren einer Zeitschrift):
Dornes, M. (2004): Über Mentalisierung, Affektregulierung und die Entwicklung des
Selbst. Forum Psycho Anal 20: 175 – 199. Heidelberg: Springer
Fischer-Kern, M. (2004): Psyche – Z Psychoanal 52: 681 – 706. Stuttgart: Klett-Cotta
9) Am Ende Angabe von Namen, Adresse und Schwerpunkte der Tätigkeit.
10) Prinzipiell sollten neue Manuskripte nach der neuen deutschen Rechtschreibung verfasst sein.
Für die Einhaltung dieser Richtlinien bedanken wir uns herzlich.
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Hinweise für AutorInnen
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Technische Hinweise
Stand: Juni 2009
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Textdateien: .DOC oder .DOCX aus MS Word (Windows oder Macintosh – alle Versionen)
.RTF – Rich Text Format In jedem Fall aber bitte auch einen Ausdruck mitsenden!
Grafikdateien:Anstelle von eingescannten Fotos oder Grafiken wäre es uns lieber, wenn Sie
uns die Originale zum Scannen zu Verfügung stellen könnten. Ande­ren­falls ist
bei Farb- und Graustufenbildern eine Auflösung von ca. 300 dpi notwendig
(bezogen auf die Größe, in der das Bild abgedruckt wird). Farbbilder kön­nen
nur in Graustufen gedruckt werden. Für reine Strichgrafiken (schwarzweiß) ist
eine Auflösung von ca. 1000 bis 1200 dpi notwendig.
Binden Sie die Bilder bitte keinesfalls in das Textdokument ein, sondern legen
Sie sie als getrennte Dokumente bei.
Formate: TIF (möglichst LZW-komprimiert), JPG (mit minimaler Kom­pres­sion,
Auflösung s. o.), evtl. auch: BMP, PIC, PICT. Für dem Druck nicht geeignet: GIF.
Vektorgrafiken aus CorelDraw (bis 10.0), Adobe Illustrator (bis CS4), FreeHand
(bis MX) können meistens problemlos übernommen werden, bitte aber ­unbedingt
die verwendeten Schriften beilegen oder die Schriften in Kurven umwandeln!
Beachten Sie bitte beim Verwenden fremder Bilder und Grafiken unbedingt
das Urheberrecht der jeweiligen Bildquellen. Sowohl aus Büchern eingescannte
Bilder als auch Bilder aus dem Internet dürfen nur mit ausdrücklicher (schriftlicher) Genehmigung des Rechteinhabers verwendet werden (bei Büchern und
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Imagination, Nr. 2 /2009
ISSN 1021-2329
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