Ratgeber zur Antibiotikatherapie Teil 4: Infektionen der unteren Atemwege (Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Wilfried Bautsch, Dr. phil. Martina Scharlach) Die Ärztekammer Niedersachsen und das Niedersächsische Landesgesundheitsamt informieren über rationale orale Antibiotikatherapie. Teil 4: Infektionen der unteren Atemwege Mikrobiologische Diagnostik Indikationen für mikrobiologische Untersuchungen Allgemeine Hinweise zur Antibiotikatherapie Akute Bronchitis Keuchhusten (Pertussis) Ambulant erworbene Pneumonie Akute Exazerbation der chronisch obstruktiven Bronchitis (AECOPD) Tuberkulose Literatur Mikrobiologische Diagnostik Gram-Färbung von Bordetella pertussisBakterien. <br>Foto: Wikimedia Commons / CDC (PHIL #2121), 1979 Senden Sie nur makroskopisch eitrige Sputumproben oder andere tiefe Atemwegsmaterialien ein – Abstriche und Speichel sind ungeeignet! Das Sputum sollte am besten morgens - durch kräftiges Abhusten gewonnen werden. Entnehmen Sie Proben möglichst vor Beginn einer antimikrobiellen Therapie und achten Sie auf eine kurze Transportzeit ins Labor: am besten innerhalb von zwei Stunden (bis maximal vier Stunden)! Ein mikroskopischer Nachweis von Leukozyten ist ein wichtiger Hinweis auf eine bakterielle Infektion. Bei Verdacht auf Legionellen-Pneumonie den Antigennachweis aus dem Harn führen! Bei Verdacht auf Mycoplasmen-Pneumonie kann der Erregernachweis gegebenenfalls mittels PCR geführt werden (fordern Sie hierzu im Labor Spezialbesteck an und erfragen Sie Abnahmedetails). Bei Verdacht auf Pertussis kann der Erreger (Bordetella (B.) pertussis) bis circa vier Wochen nach Erkrankungsbeginn mittels PCR aus tiefen Nasenabstrichen nachgewiesen werden. [nach oben] Indikationen für mikrobiologische Untersuchungen Mikrobiologische Untersuchungen sind indiziert bei Personen mit Risikofaktoren (chronische Begleiterkrankungen, antibiotische Vortherapie, hohes Alter) sowie bei akuten Exazerbationen einer chronisch-obstruktiven Bronchitis, wenn diese häufiger als 3-mal pro Jahr auftreten und / oder Verdacht auf eine Infektion durch multiresistente Erreger besteht und / oder Therapieversagen vorliegt. Bei der ambulant erworbenen Pneumonie kann bei Personen ohne Risikofaktoren auf einen Erregernachweis verzichtet werden. Bei einer akuten Bronchitis (meist viral bedingt) ist in der Regel keine mikrobiologische Untersuchung notwendig. Sie sollten immer einen Erregernachweis führen bei rezidivierenden Pneumonien, strukturellen Lungenerkrankungen und / oder Therapieversagen. [nach oben] Allgemeine Hinweise zur Antibiotikatherapie Keine Antibiotikatherapie bei viraler Genese! Bloße Sputumverfärbungen sind keine Indikation für eine Antibiotikatherapie. Die klinische Trias "Husten, reduzierter AZ (einschließlich Fieber), eitriger Auswurf" ist keine Indikation für eine Antibiotikatherapie, wenn eine Pneumonie ausgeschlossen wurde; Studien haben gezeigt, dass solche Patienten (einschließlich Senioren und Raucher) nachweislich nicht von einer Antibiotikatherapie profitieren. Die im Beitrag angegebenen Antibiotika werden in der Regel für die empirische Therapie empfohlen, das heißt ohne beziehungsweise vor Vorliegen von mikrobiologischen Testergebnissen. Bei älteren Patienten und bei Patienten mit antibiotischer Vortherapie ist verstärkt mit multiresistenten Erregern zu rechnen. Bei Patienten mit strukturellen chronischen Lungenerkrankungen kommen als Infektionserreger verstärkt Haemophilus (H.) influenzae, Staphylococcus (S.) aureus, Enterobakterien sowie Pseudomonas (P.) aeruginosa in Frage. [nach oben] Akute Bronchitis Klinik Husten, gegebenenfalls Fieber, Atemnot, Auswurf, grippale Symptome wie Kopfschmerzen, Muskelschmerzen, allgemeine Schwäche. Bei klinischem Anhalt für Pneumonie (zum Beispiel durch Auskultationsbefund und bei Risikopatienten) muss eine Röntgen-Thoraxaufnahme durchgeführt werden. Häufigste Erreger: respiratorische Viren. Therapie Symptomatische Therapie ist ausreichend, keine Antibiotikatherapie! Bei chronischem Verlauf umfassendere Differenzialdiagnostik durchführen. [nach oben] Keuchhusten (Pertussis) Klinik Charakteristisch sind anhaltende Hustenattacken ab der zweiten / dritten Krankheitswoche, gehäuft nachts. Häufigste Erreger B. pertussis / B. parapertussis Keuchhusten tritt zunehmend auch bei Erwachsenen auf – die Symptome sind bei Erwachsenen unspezifisch. Nach durchgemachter Infektion besteht keine Immunität! Es treten häufig Komplikationen auf wie zum Beispiel Synkopen, Otitis media, Pneumonie, Rippenbrüche, Pneumothorax, Inkontinenz oder Leistenhernien. Beginnen Sie eine Therapie immer erst nach Erregernachweis (PCR oder Kultur; Labor kontaktieren) oder bei klarer epidemiologischer Indikation ("Keuchhustenausbruch") – Serodiagnostik ist zur Früherkennung ungeeignet! Prävention Erwachsene sollen bei der nächsten fälligen Td-Impfung einmalig den TdapKombinationsimpfstoff erhalten; zu Präventivmaßnahmen vor und / oder nach der Geburt und in Gemeinschaftseinrichtungen siehe RKI-Ratgeber "Pertussis". * Die in den Tabellen angegebenen mittleren Tagesdosen gelten für Erwachsene (gegebenenfalls Kontraindikationen und individuelle Dosisanpassungen - zum Beispiel Nieren- oder Leberinsuffizienz - beachten!) [nach oben] Ambulant erworbene Pneumonie Elektronenmikroskopische Aufnahme von<br>Streptococcus pneumoniae. Foto: Wikimedia <br>Commons / CDC/Janice Carr (PHIL #262) Klinik Husten, gegebenenfalls Fieber, Atemnot, eitriger (gelb-grüner) Auswurf, grippale Symptome wie Kopfschmerzen, Muskelschmerzen, allgemeine Schwäche; gegebenenfalls typische Auskultations- und Perkussionsbefunde. Führen Sie bei einer ambulant erworbenen Pneumonie immer einen Röntgen-Thorax durch! Des Weiteren ist zu beachten, dass eine ambulant erworbene Pneumonie als Komplikation einer Influenza auftreten kann. Eine Entscheidung zur stationären Einweisung fällen Sie gemäß S3-Leitlinie ab CRB-65Index >= 1: Häufigster Erreger Streptococcus (S.) pneumoniae Resistenzsituation von S. pneumoniae (ARMIN 2014: niedergelassener Bereich, untere Atemwegsmaterialien; intermediärer und resistenter Anteil zusammengefasst): 6 Prozent gegen Penicilline 15 Prozent gegen Erythromycin 18 Prozent gegen Tetrazykline < 1 Prozent gegen Chinolone der 3. Generation Geben Sie bei einer ambulant erworbenen Pneumonie kein Ciprofloxacin, da es gegenüber S. pneumoniae schlecht wirksam ist! Fluorchinolone der 3. beziehungsweise 4. Generation (Levofloxacin, Moxifloxacin) sind nicht Mittel der ersten Wahl bei oben genannter Indikation. Sinnvoll sind Impfungen (Influenza, Pneumokokken) zur Prävention bei über 60-Jährigen, Patienten mit chronischen Erkrankungen oder Immunsuppression sowie Patienten mit besonderer Exposition (zum Beispiel medizinisches Personal): Influenzaimpfung jährlich auffrischen, Pneumokokkenimpfung einmalig mit Polysaccharidimpfstoff, gegebenenfalls nach fünf Jahren auffrischen, Simultanimpfung ist möglich. [nach oben] Akute Exazerbation der chronisch obstruktiven Bronchitis (AECOPD) Klinik vermehrter Husten, zunehmende Atemnot, Zunahme der Sputummenge, eitriges Sputum (gelb-grün). Bei mittlerer bis schwerer Verlaufsform (Zyanose, starke Atemnot, periphere Ödeme, kardiale Probleme, rasche Progression, Bewusstseinseintrübung, schlechter AZ und / oder schwere Komorbiditäten) muss immer eine Klinikeinweisung erfolgen! Wichtigste Maßnahme bei der oben genannten Erkrankung ist die Unterstützung der Atemfunktion (zum Beispiel Sauerstoffgabe, Gabe von Bronchodilatoren und gegebenenfalls Glukocortikoiden, Bronchialtoilette). Häufigste Erreger Respiratorische Viren (bis zu 75 Prozent); Bakterien (unter anderem H. influenzae, S. pneumoniae, Moraxella (M.) catarrhalis, Enterobakterien, P. aeruginosa). Resistenzsituation (ARMIN 2014: niedergelassener Bereich, untere Atemwegsmaterialien; intermediärer und resistenter Anteil zusammengefasst): S. pneumoniae siehe "Ambulant erworbene Pneumonie" H. influenzae 16 Prozent gegen Amoxicillin 1 Prozent gegen Ampicillin/Sulbactam < 1 Prozent gegen Cefuroxim-Axetil < 1 Prozent gegen Chinolone der 3. Generation M. catarrhalis (PEG 2010: niedergelassener Bereich, intermediärer und resistenter Anteil zusammengefasst) 0 Prozent gegen Cefuroxim-Axetil 3 Prozent gegen Clarithromycin P. aeruginosa 25 Prozent gegen Ciprofloxacin Eine generelle Antibiotikatherapie ist bei der AECOPD nicht indiziert; sie wird im ambulanten Bereich nur bei folgender klinischer Konstellation empfohlen: Vorliegen einer leichtgradigen AECOPD der GOLD-Stadien III oder IV, (das heißt FEV1 < 50 Prozent auch ohne Exazerbation) und Vorliegen einer leichtgradigen AECOPD vom Stockley Typ II (das heißt Zunahme der Dyspnoe, gegebenenfalls der Sputummenge und Vorliegen eitrigen (= gelb-grünen) Sputums. Hilfreich für oder gegen eine Entscheidung ist die Bestimmung des Procalcitonin (PCT)Wertes: bei PCT-Wert < 0,1 µg/ml ist keine Antibiotikatherapie indiziert. Bei antibiotischer Vortherapie innerhalb der letzten drei Monate sollte das Antibiotikum gewechselt werden. Auch bei inkomplettem Therapieerfolg sollte eine antibiotische Therapie länger als zehn Tage vermieden werden, da sonst die Gefahr der Resistenzbildung besteht! Prävention Influenza- und Pneumokokkenimpfung (siehe „Ambulant erworbene Pneumonie“) [nach oben] Tuberkulose Nahaufnahme einer Mycobacterium tuberculosis-Kultur, <br>die die Kolonienmorphologie des Organismus aufzeigt. <br>Die farblose, rauhe Oberfläche ist ein typisches<br> morphologisches Charakteristikum im Wachstum <br>von M. tuberculosisKolonien. Foto: Wikimedia Commons <br>/ CDC/Dr. George Kubica (PHIL #4428) Klinik Jedes Organ kann betroffen sein, am häufigsten die Lunge. Symptome In der Frühphase meist uncharakteristische B-Symptomatik (Schwäche, Nachtschweiß, subfebrile Temperaturen, Gewichtsverlust, Hüsteln ohne viel Auswurf); in der späteren Phase Verschlimmerung der Symptome, ständiger produktiver Husten. Bei länger als drei Wochen anhaltendem Husten sollten Sie Tuberkulose differenzialdiagnostisch einbeziehen (Röntgen-Thorax, Sputumuntersuchung auf säurefeste Stäbchen). Außerdem immer einen Lungenfacharzt hinzuziehen. Erreger Mycobacterium (M.) tuberculosis-Komplex (M. tuberculosis, M. bovis, M. africanum, M. microti, M. canettii, M. pinnipedii) Therapie Initial immer Vierfach-Therapie und immer einen Facharzt hinzuziehen! Resistenzsituation (Robert Koch-Institut 2015) In Deutschland 14,1 Prozent gegen mindestens eines der Erstrangmedikamente, 3,4 Prozent Multiresistenz. Risikofaktoren für vorhandene Resistenz: Herkunft aus Hochprävalenzland Vorbehandelte Tuberkulose Meldepflichtig gemäß Infektionsschutzgesetz (IfSG) sind die Behandlung, die Erkrankung sowie der Tod an einer Tuberkulose, auch wenn ein bakteriologischer Nachweis nicht vorliegt; Therapieverweigerung oder ein Behandlungsabbruch; auch Resistenzentwicklungen unter Therapie sollen dem Gesundheitsamt gemeldet werden. Exponierte Kontaktpersonen ermittelt das zuständige Gesundheitsamt zur Diagnose einer erfolgten Ansteckung mittels Interferon-Gamma Release Assay (IGRA) – der TuberkulinHauttest wird für Personen über 15 Jahre nicht mehr empfohlen, da häufig falsch positiv; für latent infizierte Personen wird eine Chemoprävention empfohlen; differenzierte Empfehlungen unter www.dzk-tuberkulose.de. Exponierte Kinder unter fünf Jahren sollten immer eine Chemoprophylaxe erhalten. Autoren: Professor Dr. med. Dr. rer nat. Wilfried Bautsch Institut für Mikrobiologie, Immunologie und Krankenhaushygiene, Städtisches Klinikum Braunschweig (für das Hygienenetzwerk Südostniedersachsen) Dr. phil. Martina Scharlach (ARMIN-Daten und Redaktion), Niedersächsisches Landesgesundheitsamt [nach oben] Literatur Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft: Empfehlungen zur Therapie akuter Atemwegsinfektionen und der ambulant erworbenen Pneumonie. Arzneiverordnung in der Praxis, Band 40, Sonderheft 1 (Therapieempfehlungen), 2013 Deutsches Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose: Neue Empfehlungen für die Umgebungsuntersuchungen bei Tuberkulose. Pneumologie 2011;65(6):359-378 und Gesundheitswesen 2011;73(6):369-388 Deutsches Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose: Empfehlungen zur Therapie, Chemoprävention und Chemoprophylaxe der Tuberkulose im Erwachsenen- und Kindesalter. Pneumologie 2012;66(3):133-171 Kresken M et al.: Resistenzsituation bei klinisch wichtigen Infektionserregern aus dem ambulanten Versorgungsbereich gegenüber Antibiotika. Bericht über die Ergebnisse einer multizentrischen Studie der Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie e.V. aus dem Jahre 2010. Antiinfectives Intelligence, Rheinbach 2013 Leitlinie AWMF-Register-Nr. 053/013: Husten. DEGAM-Leitlinie Nr. 11. Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. 02/2014 Little P et al.: Amoxicillin for acute lower-respiratory-tract infection in primary care when pneumonia is not suspected: a 12-country, randomised, placebo-controlled trial. Lancet Infect Dis 2013;13(2):123-9 Mitteilung der Ständigen Impfkommission am Robert Koch-Institut. Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut / Stand: August 2015. Epidemiologisches Bulletin 34/2015 Riffelmann M et al.: Pertussis – nicht nur eine Kinderkrankheit. Dtsch Arztebl Int 2008;105(37):623-8 Robert Koch-Institut: Eckdaten zur Tuberkulose in Deutschland für das Jahr 2013. Epidemiologisches Bulletin 2015(11/12):85 Robert Koch-Institut: Pertussis (Keuchhusten). RKI-Ratgeber für Ärzte. 29/2014 S3-Leitlinie AWMF-Register-Nr. 020/003: Diagnostik und Therapie von erwachsenen Patienten mit akutem und chronischem Husten. Deutsche Gesellschaft für Pneumologie. 02/2010 (in Überarbeitung) S3 + IDA-Leitlinie AWMF-Register-Nr. 082/001: Epidemiologie, Diagnostik, antimikrobielle Therapie und Management von erwachsenen Patienten mit ambulant erworbenen tiefen Atemwegsinfektionen (akute Bronchitis, akute Exazerbation einer chronischen Bronchitis, Influenza und andere respiratorische Virusinfektionen) sowie ambulant erworbener Pneumonie. Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin, der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie und des Kompetenznetzwerks CAPNETZ. 07/2009 (in Überarbeitung) [nach oben] Weitere Teile der Reihe "Ratgeber zur Antibiotikatherapie" Teil 1: Borreliose (Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Wilfried Bautsch, Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Helmut Eiffert) Teil 2: Antibiotikagabe bei Harnwegsinfektionen (Dr. med. Jutta Esser, Dr. phil. Martina Scharlach) Teil 3: MRSA - Infektion, Hygiene, Sanierung (Dr. med. Katja Claußen, Dr. phil. Martina Scharlach, Dr. med. Matthias Pulz) Teil 5: Infektionen der oberen Atemwege (Dr. med. Thomas Lehners, Dr. phil. Martina Scharlach) Teil 6: Bakterielle Durchfallerkrankungen (Dr. med. Katja Clausen, Dr. phil. Martina Scharlach, Dr. med. Matthias Pulz) Die Veröffentlichung ist Teil einer Ratgeber-Reihe zur oralen Antibiotikatherapie der Ärztekammer Niedersachsen (ÄKN) und des Niedersächsischen Landesgesundheitsamtes (NLGA). Der vollständige Ratgeber kann gegen eine Schutzgebühr von 10 Euro über die Internetseite des NLGA (www.nlga.niedersachsen.de) bestellt werden.