Arbeitssucht im helfenden Dienstleistungssektor

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Katholische Hochschule Nordrhein-Westfalen
Abteilung Köln
Postgradualer Masterstudiengang Suchthilfe M.Sc.
Arbeitssucht im helfenden Dienstleistungssektor
Masterthesis
vorgelegt von:
Christina Vicario
Matrikel-Nr.:
504602
Erstgutachter:
Herr Dr. Thorsten Köhler
Zweitgutachter:
Herr Prof. Dr. Wolfgang Schwarzer
Abgabedatum: Mai 2013
Einleitung
I
Zusammenfassung
Fragestellung: Die vorliegende Arbeit verfolgt das Ziel, das Ausmaß der
Verbreitung von Arbeitssucht im helfenden Dienstleistungssektor zu identifizieren.
Ein weiterer Fokus liegt auf der Erfassung berufspezifischer Belastungen und
individueller Merkmale der Helfer und deren Zusammenhang mit pathogenem
Arbeitsverhalten. Ebenso werden mögliche Folgen der Arbeitssucht eruiert.
Methodik: Im Rahmen der Studie wurden 438 Personen aus dem helfenden
Dienstleistungssektor
anhand
eines
Online-Fragebogens
befragt.
Die
Identifizierung von arbeitssüchtigen (AS) und nicht-arbeitssüchtigen Helfern (NonAS) erfolgt über das Messinstrument „Skala für Arbeitssucht“ (Schneider, 2001).
Anschließend wurden durch die Unterteilung in Quartile künstliche Extremgruppen
gebildet,
die
Vergleiche
zwischen
Berufstätigen
aus
dem
helfenden
Dienstleistungssektor mit tendenziell arbeitssüchtigem Verhalten und Helfern mit
nicht-arbeitssüchtigem Verhalten ermöglichen.
Ergebnisse:
Die
Grundannahme,
dass
Berufstätige
aus
dem
helfenden
Dienstleistungssektor stärker zu einem arbeitssüchtigen Verhalten tendieren als der
Bundesdurchschnitt, kann bestätigt werden. In der Untersuchung zeigen sich
signifikante Unterschiede zwischen Arbeitssüchtigen und Nicht-Arbeitssüchtigen
hinsichtlich
ihres
Berufsrollenverständnisses
und
des
Erlebens
von
berufsspezifischen Stressoren, wie Stress im Umgang mit Patienten, uneindeutige
erufsrollen und Zielvorgaben, mangelnde Kontrollmöglichkeiten und mangelnde
Honorierung ihrer Arbeitstätigkeit. Weiterhin sind Arbeitssüchtige im Vergleich zu
Nicht-Arbeitssüchtigen mit verschiedenen Lebensaspekten, wie z.B. Arbeit,
Gesundheit,
Freizeit
und
sozialen
Beziehungen,
unzufriedener,
zeigen
unproduktiveres Arbeitsverhalten und weisen höhere Burnout-Werte auf.
Schlussfolgerungen:
Berufsspezifische
Stressoren
des
helfenden
Dienstleistungssektors und ein idealistisches Rollenverständnis der Helfer können
die Entstehung einer Arbeitssucht fördern oder ihre Folgen sein, so dass die
Gruppe der Helfer zukünftig als potenzielle Risikogruppe angesehen werden sollte.
Präventions-
und
Interventionsmaßnahmen
sollten
berufsspezifische
und
arbeitsorganisatorische Faktoren bei ihrer Konzeption berücksichtigen und
Risikogruppen gezielt ansprechen. Gleichzeitig bedarf es öffentlicher Diskussionen
über den Stellenwert von Arbeit und die Folgen einer Arbeitssucht.
Inhalt
II
Inhalt
Zusammenfassung .....................................................................................................I
I Einleitung ............................................................................................................... 1
II Theoretischer Hintergrund .................................................................................... 4
1
Arbeit ..................................................................................................... 4
1.1
Etymologie und Entwicklung des Begriffs Arbeit ................................. 4
1.2
Definition von Arbeit............................................................................. 6
1.3
Bedeutung von Arbeit ............................................................................ 7
2
Sucht .................................................................................................... 11
2.1
Definition von Sucht ............................................................................ 11
2.2
Ätiologie und Kriterien einer Sucht ..................................................... 11
2.3
Stoffgebundene Sucht vs. Verhaltenssucht .......................................... 15
3
Arbeitssucht ......................................................................................... 18
3.1
Etymologie und Entwicklung des Begriffs Arbeitssucht ..................... 18
3.2
Definition von Arbeitssucht ................................................................. 19
3.3
Epidemiologie ...................................................................................... 20
3.4
Symptome, Typologien und Verlauf von Arbeitssucht........................ 21
3.5
Ätiologie der Arbeitssucht ................................................................... 27
3.6
Folgen der Arbeitssucht ....................................................................... 33
4
Arbeitssucht in helfenden Berufen....................................................... 38
4.1
Definition von helfenden Berufen........................................................ 38
4.2
Persönlichkeitszentrierte Bedingungen der helfenden Berufe ............. 40
4.3
Soziale, arbeitsorganisatorische und gesellschaftliche Bedingungen der
helfenden Berufe.................................................................................. 42
4.4
Gesundheitliche Situation der helfenden Berufe.................................. 46
III Empirischer Teil ................................................................................................ 55
5
Herleitung der Fragestellung und Formulierung von Hypothesen....... 55
6
Methodik .............................................................................................. 59
6.1
Untersuchungsdesign und Untersuchungsdurchführung...................... 59
6.2
Operationalisierungen der Konstrukte und
Beschreibung der
Messinstrumente .................................................................................. 62
7
6.3
Stichprobe ............................................................................................ 68
6.4
Verfahren der Datenauswertung .......................................................... 70
Ergebnisse ............................................................................................ 72
Inhalt
III
7.1
Deskriptive Angaben zur Gesamtstichprobe........................................ 72
7.2
Arbeitssucht im helfenden Dienstleistungssektor ................................ 75
7.3
Arbeitssucht und die Berufsmotivation der Helfer .............................. 85
7.4
Arbeitssucht und die spezifischen Arbeitsbelastungen bei Helfern ..... 88
7.5
Arbeitssucht und Arbeitsverhalten....................................................... 96
7.6
Arbeitssucht und Zufriedenheit.......................................................... 100
8
Diskussion.......................................................................................... 106
8.1
Interpretation der Ergebnisse ............................................................. 106
8.2
Diskussion der Methodik und deren Limitierungen........................... 112
8.3
Ausblick ............................................................................................. 114
Literaturverzeichnis .............................................................................................. 117
Selbstständigkeitserklärung .................................................................................. 129
Anhang.................................................................................................................. 130
Abbildungsverzeichnis
IV
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 3-1 Die Entwicklung von Arbeitssucht und ihre Folgen für das
Individuum, seine Familie und Arbeitgeber (Städele & Poppelreuter, 2009, in
Anlehnung an Piotrowski und Vodanovich 2006) .................................................. 34
Abbildung 3-2 Stadienverlauf der Arbeitssucht ( Bühler & Schneider, 2002, in
Anlehnung an Fassel, 1991) ................................................................................... 36
Abbildung 7-1 Vergleich Arbeitssucht und Überstunden....................................... 80
Abbildung 7-2 Vergleich Arbeitssucht und Berufsanfänger................................... 82
Abbildung 7-3 Vergleich Arbeitssucht und Geschlecht.......................................... 84
Abbildung 7-4 Q-Q-Diagramm und trendbereinigtes Q-Q-Diagramm von Index
Identifikation /Idealismus zur Testung der Normalverteilung ................................ 86
Tabellenverzeichnis
V
Tabellenverzeichnis
Tabelle 2-1 Diagnostische Kriterien der stoffgebundenen Sucht bzw. Abhängigkeit
von psychotropen Substanzen nach DSM-IV-TR (Saß et al., 2003) und ICD 10
(Dilling et al., 2000) ............................................................................................... 14
Tabelle 4-1 Symptome einer Burnout-Erkrankung nach Schaufeli (1992, zitiert
nach Reiners-Kröncke et al., 2010, S. 13) .............................................................. 48
Tabelle 6-1 Abhängige und unabhängige Variablen der vorliegenden Studie....... 60
Tabelle 7-1 Demografische Merkmale der Gesamtstichprobe (N= 438) ............... 73
Tabelle 7-2 Differenz zwischen vertraglich vereinbarten Wochenarbeitsstunden
und tatsächlich geleisteten Stunden........................................................................ 75
Tabelle 7-3 T-Test zur Überprüfung des Mittelwerts der Variable Arbeitssucht in
Bezug auf die Grundgesamtheit.............................................................................. 76
Tabelle 7-4 Einteilung der Stichprobe in Quartile ................................................ 77
Tabelle 7-5 Demografische Merkmale der Arbeitssüchtigen (n =89) und der NichtArbeitssüchtigen (n = 131) ..................................................................................... 78
Tabelle 7-6 Kreuztabelle Arbeitssucht und Überstunden ....................................... 80
Tabelle 7-7 Kreuztabelle Arbeitssucht und professionelle Hilfe ............................ 81
Tabelle 7-8 Kreuztabelle zwischen den Variablen Arbeitssucht und Berufsanfänger
................................................................................................................................ 82
Tabelle 7-9 Korrelation zwischen Arbeitssucht und Berufsjahre ........................... 83
Tabelle 7-10 Kreuztabelle zwischen den Variablen Arbeitssucht und Geschlecht. 84
Tabelle 7-11 Testung der Normalverteilung der abhängigen Variable Index
Idealismus/ Identifikation ....................................................................................... 85
Tabelle 7-12 Mittelwertberechnung Arbeitssucht und Identifikation/Idealismus... 86
Tabelle 7-13 Signifikanzberechnung zur Überprüfung der Unterschiede in der
zentralen Tendenz bzgl. Arbeitssucht und Identifikation/Idealismus...................... 87
Tabelle 7-14 Korrelation Arbeitssucht und Identifikation/ Idealismus .................. 87
Tabelle 7-15 Mittelwertberechnung Arbeitssucht und Stress im Umgang mit
Patienten................................................................................................................. 89
Tabelle 7-16 Signifikanzberechnung zur Überprüfung der Unterschiede in der
zentralen Tendenz bzgl. Arbeitssucht und Stress im Umgang mit Patienten .......... 89
Tabelle 7-17 Korrelation zwischen Arbeitssucht und Stress im Umgang mit
Patienten................................................................................................................. 90
Tabellenverzeichnis
VI
Tabelle 7-18 Mittelwertberechnung Arbeitssucht und uneindeutige Berufsrollen/
Zielvorgaben........................................................................................................... 91
Tabelle 7-19 Signifikanzberechnung zur Überprüfung der Unterschiede in der
zentralen Tendenz bzgl. Arbeitssucht und uneindeutige Berufsrollen/Zielvorgaben
................................................................................................................................ 92
Tabelle
7-20
Korrelation
zwischen
Arbeitssucht
und
uneindeutige
Berufsrollen/Zielvorgaben...................................................................................... 92
Tabelle 7-21 Mittelwertberechnung Arbeitssucht und mangelnde Kontrolle......... 93
Tabelle 7-22 Signifikanzberechnung zur Überprüfung der Unterschiede in der
zentralen Tendenz bzgl. Arbeitssucht und mangelnder Kontrolle .......................... 93
Tabelle 7-23 Korrelation zwischen Arbeitssucht und mangelnde Kontrolle .......... 94
Tabelle 7-24 Mittelwertberechnung Arbeitssucht und mangelnde Honorierung ... 95
Tabelle 7-25 Signifikanzberechnung zur Überprüfung der Unterschiede in der
zentralen Tendenz bzgl. Arbeitssucht und mangelnde Honorierung ...................... 95
Tabelle 7-26 Korrelation zwischen Arbeitssucht und mangelnde Honorierung .... 96
Tabelle
7-27
Mittelwertberechnung
Arbeitssucht
und
unproduktives
Arbeitsverhalten...................................................................................................... 97
Tabelle 7-28 Signifikanzberechnung zur Überprüfung der Unterschiede in der
zentralen Tendenz bzgl. Arbeitssucht und unproduktivem Arbeitsverhalten .......... 97
Tabelle
7-29
Korrelation
zwischen
Arbeitssucht
und
unproduktiven
Arbeitsverhalten...................................................................................................... 98
Tabelle 7-30 Mittelwertberechnung Arbeitssucht und Burnout.............................. 99
Tabelle 7-31 Signifikanzberechnung zur Überprüfung der Unterschiede in der
zentralen Tendenz bzgl. Arbeitssucht und Burnout ................................................ 99
Tabelle 7-32 Korrelation zwischen Arbeitssucht und Burnout............................. 100
Tabelle 7-33 Mittelwertberechnung Arbeitssucht und Zufriedenheit Beruf,
Gesundheit, Leben, Freizeit und soziale Beziehungen ......................................... 102
Tabelle 7-34 Signifikanzberechnung zur Überprüfung der Unterschiede in der
zentralen Tendenz bzgl. Arbeitssucht und der Zufriedenheit zum Beruf, Gesundheit,
Leben, Freizeit und sozialen Beziehungen............................................................ 103
Tabelle 7-35 Korrelation zwischen Arbeitssucht und Zufriedenheit bzgl. Beruf und
Gesundheit ............................................................................................................ 104
Tabelle 7-36 Korrelation zwischen Arbeitssucht und Zufriedenheit bzgl. Leben,
Freizeit und soziale Beziehungen ......................................................................... 104
Einleitung
1
I Einleitung
In Anbetracht von 41,6 Millionen Erwerbstätigen in Deutschland im Jahr 2012
(Statistisches Bundesamt, 2012) liegt es nahe, dass Arbeit eine zentrale Rolle im
Leben fast der Hälfte der deutschen Bevölkerung spielt.
Dabei bewirkt eine Arbeitstätigkeit nicht nur, dass der Tagesablauf strukturiert,
sozialer Kontakt und Anerkennung erlebt wird und sich Identität und
Kompetenzerleben entwickeln, sondern vielmehr stellt Arbeit auch eine
entscheidende gesellschafts- und gesundheitsrelevante Größe dar.
Insbesondere populäre Begriffe wie Burnout suggerieren derzeit eine Verstärkung
der psychosozialen Belastungen jedes Einzelnen, sowie deren mangelnde
Bewältigung im Arbeitskontext.
Dennoch verhindert der hohe kulturelle Stellenwert der Arbeit vielfach eine
kritische Auseinandersetzung und führt zu einer gesellschaftlichen Verleugnung
der Existenz von pathogenem bzw. süchtigem Arbeitsverhalten (Städele, 2008;
Poppelreuter, 1997). Die Bewertung des süchtigen Verhaltens ist dabei stets von
gesellschaftlich
vorherrschenden
Normen
und
Werten
abhängig.
Das
wissenschaftliche Forschungsinteresse ist bis heute weiterhin als gering zu
bezeichnen, was sich auch im fehlenden wissenschaftlichen Konsens über
Arbeitssucht manifestiert.
Bewegt man sich in der Literatur zur Thematik der gesundheitlichen Situation der
Berufstätigen in helfenden Berufen, so findet man immer wieder Verweise auf die
hohen berufsspezifischen Belastungen und deren gesundheitlicher Folgen. Die
Problematik einer Arbeitssucht wird jedoch nicht beschrieben, obwohl bei
Mitarbeitern im Gesundheitswesen verstärkt psychische Störungen auftreten
(Burgess, Burke & Oberklaid, 2006; Spence & Robbins, 1992).
Lediglich Schneider (2001) betont, dass spezifische Berufe und deren
Arbeitsbedingungen besonders gefährdet sind, eine Arbeitssuchterkrankung zu
entwickeln. „Insbesondere fallen unter diese Kategorie Berufe, in denen sich
Menschen oft sehr stark mit ihrer Arbeit identifizieren (z.B. Ärzte, Pfarrer,
Wissenschaftler, etc.) (…). Eine große Gefahr geht in diesen Berufen oft von der
nicht exakt definierten Arbeitsvorgabe bzw. einem idealistischen Arbeitsziel aus.“
(Schneider, 2001, S.23) Da bisher keine Signifikanz zwischen dem Auftreten der
Arbeitssucht und bestimmten Berufsgruppen nachgewiesen werden konnte und es
Einleitung
2
an empirischen Untersuchungen diesbezüglich mangelt, soll in der folgenden
Arbeit empirisch untersucht werden, ob Berufstätige aus dem helfenden
Dienstleistungssektor stärker zu einem arbeitssüchtigen Verhalten tendieren als der
Bundesdurchschnitt.
Dabei soll der Fokus auf den berufsspezifischen Belastungen und den individuellen
Merkmalen der Helfer liegen, wobei bestehende Ressourcen und wirksame
Coping-Mechanismen aufgrund des eingeschränkten Umfangs der Studie
weitestgehend unbeachtet bleiben müssen. Dennoch soll somit ein erster Einblick
in die Thematik sichergestellt werden.
Der theoretische Teil der Arbeit beschäftigt sich zunächst mit den zwei
Komponenten des Terminus Arbeitssucht, Arbeit und Sucht. Um das ArbeitssuchtPhänomen tiefergehend untersuchen zu können, bedarf es neben der Beleuchtung
der Arbeitsaspekte und der heutigen gesellschaftlichen Bedeutung von Arbeit im
ersten Kapitel auch der Eruierung der wichtigsten Suchtaspekte. Dem folgend
grenzt das zweite Kapitel den Sucht-Begriff definitorisch ein, analysiert
Erklärungsmodelle zur Entstehung und beschreibt verschiedene Suchtkriterien.
Schließlich wird die grundlegende Unterscheidung zwischen stoffgebundenen und
stoffungebundenen Süchten diskutiert.
Im dritten Kapitel soll die Synthese zwischen Arbeit und Sucht zur Arbeitssucht
dargestellt und das Phänomen der Arbeitssucht einschließlich seiner Symptome
und seiner Epidemiologie näher beleuchtet werden. Der Schwerpunkt liegt auf der
Erfassung der verschiedenen Symptomatiken und den möglichen Folgen eines
pathogenen Arbeitsverhaltens. Aufgrund des begrenzten Umfangs der Arbeit
wurde
auf
die
Darstellung
und
Diskussion
der
Behandlungs-
und
Therapiemöglichkeiten einer Arbeitssucht verzichtet. Vielmehr soll das Phänomen
in seinen akuten Erscheinungsformen definiert und somit erkennbar und sichtbar
gemacht werden.
Schließlich wird im letzten Kapitel des Theorieteils der Zusammenhang zwischen
Arbeitssucht und Berufstätigkeit im helfenden Dienstleistungssektor dargestellt.
Hierfür wird die Schwierigkeit einer Definition der helfenden Berufe formuliert,
um schließlich spezifische persönlichkeitszentrierte und strukturelle Bedingungen
des Berufes darzustellen.
Einleitung
3
Im empirischen Teil werden die forschungsleitenden Hypothesen (fünftes Kapitel)
und das Untersuchungsdesign eruiert, mit Darstellung der Erhebungsinstrumente,
der Durchführungsplanung, der Operationalisierung der Konstrukte und der
Rekrutierung der Stichprobe (sechstes Kapitel). Im siebten Kapitel folgt die
Darstellung der gewonnenen Ergebnisse, die im weiteren Verlauf interpretiert und
diskutiert werden. Es folgt eine kritische Auseinandersetzung mit potenziellen
Limitierungen dieser Untersuchung. Die Arbeit schließt mit einem Ausblick auf
verschiedene Schwerpunkte in der zukünftigen Forschung.
Arbeit
4
II Theoretischer Hintergrund
1 Arbeit
1.1
Etymologie und Entwicklung des Begriffs Arbeit
Im Laufe der Geschichte ist der Begriff Arbeit und seine Bedeutung und Bewertung
vielfach einem Wandel unterzogen worden. Um zu zeigen, welche historischen
Arbeitsverständnisse auch auf die Moderne Auswirkungen haben, werden die
Arbeitsauffassungen der verschiedenen relevanten Epochen und Traditionen kurz und
ohne Anspruch auf Vollständigkeit nachgezeichnet. Dabei muss Arbeit immer im Kontext
mit gesellschaftlich vorherrschenden Werten und dem geschichtlich vollzogenen Wandel
verstanden werden (Jungkurth, 2005; Poppelreuter, 1997; Rosenstiel, 2006; Städele,
2008).
Unser heutiges Wort Arbeit leitet sich aus dem lateinischen arvum, welches mit
Ackerland übersetzt werden kann, sowie aus dem griechischen ponos ab, welches Not
oder Mühsal bedeutet (Forschner, 1997; Greif, 1998). Demnach basiert die begriffliche
Entwicklung und Interpretation des Wortes Arbeit vorwiegend auf dem durch Mühe
gekennzeichneten Modell der Bearbeitung von Grund und Boden (Forschner, 1997).
In der Antike wurde Arbeit als überlebensnotwendiges Übel verstanden, wobei ihr
keinerlei Selbstzweck zuerkannt wurde (Breitsameter & Reiners-Köncke, 1997). Statt
dessen galt diese als Feind des unabhängigen Geistes und verhinderte geistige
Tätigkeiten, welche als lobenswert gesehen wurden (Matthey, 2011; Rohrlich, 1984). Die
Griechen zeigten Verachtung insbesondere für körperliche Arbeit und verstanden diese
ausschließlich als Notwendigkeit des Lebens. Arbeit war eine Tätigkeit der Sklaven oder
Abhängigen und der Grad an Freiwilligkeit bei der Ausführung der Arbeit entschied über
das Maß an gesellschaftlicher Anerkennung. Die höchste Daseinsform und damit die
größtmögliche Freiheit war gegeben, wenn man sich der Muße und dem Denken
hingeben konnte (Arendt, 1967; Bellebaum, 1990; Frambach, 1999; Jungkurth, 2005;
Matthey, 2011; Voigt, 2006).
Auch die frühen Christen und die Juden lehnten einen inneren Wert der Arbeit ab. Zwar
hatte der Mensch schon im Paradies den göttlichen Auftrag, den Garten zu bebauen, aber
mit der Erbsünde wurde die Arbeit zu einer Mühsal. Die Schwere und das häufige
Misslingen der Arbeit wurden als Folge und Strafe der Erbsünde verstanden
Arbeit
5
(Popppelreuter, 1997; Rohrlich, 1984). Der Sinn des Lebens bestand nicht im Arbeiten.
Arbeit bezog sich daher auf eine religiöse Akzeptanz des Leids mit Blick auf das Jenseits
(Matthey, 2011; Poppelreuter, 1997; Städele, 2008; Voigt, 2006).
Durch die Reformation im 16. Jahrhundert erlebte der Blick auf die Arbeitstätigkeit einen
erheblichen Wandel. Luther, als Mönch des Augustinerordens, vertrat ein Arbeits- und
Berufsverständnis, welches die Gleichwertigkeit aller Arbeit vor Gott betonte und somit,
entgegen der damaligen katholischen Kirchenlehre, nicht nur Priester und Mönche in
ihrer göttlichen Berufung anerkannte. Dies begründete einen neuen Arbeitsethos, welcher
jeden Beruf als göttliche Berufung deklarierte und die Arbeit als Dienst an Gott und
seinen Nächsten formulierte. Diese protestantische Arbeitsauffassung beinhaltete zum
einen die Arbeitspflicht, zum anderen wies sie eine deutlich positivere Konnotation von
Arbeit auf, da Arbeit nicht nur dem persönlichen, sondern auch dem gesellschaftlichen
Wohl diente (Bellebaum, 1990; Jungkurth, 2005; Weber, 2010).
Doch während Luther in der Arbeit noch ein Mittel zum Leben sah, wurde sie im
Verständnis des Calvinismus und der neuzeitlichen Ökonomisierung im 17. und 18.
Jahrhundert zum einzigen Lebenszweck (Poppelreuter, 1997). Calvin interpretierte die
Arbeit nicht mehr als Auftrag, sondern als Gebot Gottes und definierte Arbeitserfolg als
Gnadenerweis, der belegte, dass die Person für das ewige Leben auserwählt sei
(Bellebaum, 1990). Muße und damit einhergehende Verschwendung von Zeit galt als
Gefährdung der erhofften Erlösung. Weber sieht die Entstehung einer neuen
Arbeitsmoral, die sich schließlich bis zum Kapitalismus entwickeln konnte, begründet in
dieser protestantisch-calvinistischen Ethik (2010).
In der Zeit der Industrialisierung und der bürgerlichen Revolutionen des 18. und 19.
Jahrhunderts verlor die religiöse Bewertung von Arbeit zunehmend an Bedeutung,
stattdessen stand der ökonomische Wert der Arbeit im Mittelpunkt. Arbeit wurde zu
einem ökonomisch bestimmenden Produktionsfaktor, einer wertschöpfenden Tätigkeit
und zugleich Quelle des menschlichen Wohlstands (Städele, 2008). Die Entwicklung
neuer Technologien, die zunehmende Automatisierung und die Ermöglichung von
Produktionsprozessen innerhalb von Fabriken führten zu einer Abwanderung der
Landbevölkerung in die Städte, um dort Arbeit zu finden. Also Folge dessen trennten
sich nun deren Lebensbereiche Wohnen, Arbeit und Freizeit. Außerdem resultierte daraus
ein Überangebot an Arbeitskräften, welches sich in niedrigem Lohnniveau und schlechten
Arbeitsbedingungen verdeutlichte. Arbeit war existenzielle Notwendigkeit. Die Arbeiter
begleiteten dabei nur noch einen Teil des Produktionsprozesses, welches nach Karl Marx
(1818-1883) zu einer zunehmenden Entfremdung des Industriearbeiters von sich selbst
und seinem Produkt führte (Poppelreuter, 1997). Diese kritisierte Arbeitsteilung
verdeutlicht die neue Bewertung der Arbeitstätigkeit als sinnstiftende Tätigkeit, in der der
Arbeit
6
Mensch sich idealerweise verwirklichen soll. Der Mensch ist damit nach Hegels (17701831) Verständnis das Resultat seiner Arbeit, er konstituiert sich selbst durch seine Arbeit
(Matthey, 2011).
Diese Idee der Selbstverwirklichung durch Arbeit hat bis in die Gegenwart Bestand.
1.2
Definition von Arbeit
Der Begriff Arbeit ist durch die verschiedensten gesellschaftlichen und historischen
Entwicklungen geprägt.
Während die Arbeit früher als Überlebensnotwendigkeit galt, wird sie heute zunehmend
zur Selbstverwirklichung genutzt (Voigt, 2006). Obwohl es individuell stark differierende
Auffassungen von Arbeit gibt, hat Arbeit meist über ihre Funktion der Existenzsicherung
hinaus auch eine sinnstiftende und eine identifikationsvermittelnde Bedeutung (Rössner,
2004).
Nach Jahoda (1995) werden heute der Arbeit überwiegend folgende Funktionen
zugeschrieben:
Sicherung
des
Einkommens,
Aktivität
und
Kompetenz,
Zeitstrukturierung, Kooperation und Kontakt, soziale Anerkennung und persönliche
Identität. Damit ist Arbeit ein positiv besetzter Begriff, wobei sich nicht nur der Einzelne
sondern die Gesellschaft insgesamt über ihre Arbeit definiert (Ribolits, 1997) und durch
ihre Arbeitstätigkeit für das Individuum und das Kollektiv das Fortbestehen der
Gesellschaft sichert (Semmer & Udris, 1995). Arbeitslosigkeit dagegen beinhaltet
zumeist eine gesellschaftliche und soziale Degradierung und wird oft in Verbindung mit
psychischen und physischen Erkrankungen gebracht.
Rohrlich (1984) unterscheidet zwischen Arbeit als Tätigkeit und Arbeit als
Geisteshaltung. Diese sei „die erlernte Organisation, Handhabung und Steuerung der
äußeren und inneren Umwelt, um ein angestrebtes Ziel so tüchtig und wirksam zu
erreichen wie möglich“ (S.30). Rohrlich beschränkt Arbeit dabei nicht nur auf die
erwerbstätige, bezahlte Arbeit, sondern umfasst auch die Arbeit in der Freizeit (1984).
Diese Auffassung ist in Hinblick auf die Arbeitssucht-Thematik relevant, da danach
bedingt, nicht nur Erwerbstätige, sondern auch Arbeitslose, Hausfrauen, Ehrenamtler etc.
arbeitssüchtiges Verhalten definitorisch aufweisen können (Meißner, 2005; Poppelreuter,
1997). Ulich (2004) kritisiert, dass diese geforderte definitorische Erweiterung des
Arbeitbegriffes über die reine Erwerbstätigkeit hinaus im Rahmen der Arbeitspsychologie
noch nicht ausreichend Beachtung gefunden hat.
Arbeit
7
1.3
Bedeutung von Arbeit
Menschliche Arbeit wird seit jeher ambivalent -zwischen notwendigen Übel und zentraler
Lebensäußerung- bewertet (Poppelreuter, 1997; Rohrlich, 1984; Semmer & Udris, 1995).
Diese erlebte Dualität menschlicher Arbeitserfahrung manifestiert sich in einer
Auffassung
von
Arbeit
„einerseits
als
Existenzgrundlage
zur
Befriedigung
physiologischer Bedürfnisse, andererseits als ein Bereich zur Befriedigung ideeller
Bedürfnisse“
(Breitsameter
&
Reiners-Köncke,
1997,
S.42)
und
der
Selbstverwirklichung.
Die Arbeit wird als zentrale Basis der Identitätsentwicklung, des Kompetenzerlebens, des
sozialen
Kontaktes,
der
sozialen
Anerkennung,
der
Tagesstrukturierung
und
Lebensplanung und als Fundament für Wohlstand und Konsum beschrieben
(Poppelreuter, 1997; Semmer & Udris, 2007).
Jahoda (1985) sieht neben den offensichtlich notwendigen Funktionen einer
Erwerbstätigkeit, wie Erwirtschaftung des Lebensunterhaltes, auch die latente Funktion
der regelmäßigen Aktivierung als besonders relevant. Diese Aktivierung sieht er als
Grundlage für den Erwerb von Qualifikationen und der persönlichen Weiterentwicklung.
Ruiz Quintanilla & Wilpert (1985) betonen ebenso den hohen Stellenwert von Arbeit
für die Identität und die psychosomatische Gesundheit des Individuums, für die
Art seiner sozialen Integration in Primärgruppen und die Angemessenheit seiner
Auseinandersetzungen mit Alltagsproblemen …. Die subjektive Erfahrung der
Arbeit und der Sinn, der ihr vom Individuum zugeschrieben wird, sind für den
einzelnen von fundamentaler Entwicklungsrelevanz. (S. 119)
Zwar ist gerade in den letzten Jahren eine zunehmende Sensibilisierung für die
Überbetonung der Arbeit, geprägt durch Begriffe wie Work-Life-Balance zu konstatieren,
doch „trotz mancher gegenteiliger Behauptungen des Wertezerfalls nimmt die (Erwerbsoder Berufs-)Arbeit auch heute noch eine zentrale Stellung im Leben vieler, wenn nicht
der meisten Menschen ein“ (Semmer & Udris, 2007, S.160).
Dabei hat eine Verschiebung von der protestantischen Leistungsethik hin zu Werten der
Selbstentfaltung und persönlichen Erfüllung stattgefunden, welches sich zum einen in der
mangelnden Bereitschaft äußert, der Arbeit alle anderen Lebensbereiche überzuordnen,
gleichzeitig aber der Anspruch steigt, sich in der Arbeit verwirklichen zu können
(Matthey, 2011; Semmer & Udris, 2007). Es wird in unserer Leistungsgesellschaft die
soziale Stellung des einzelnen elementar durch seine Arbeit bestimmt (Schneider, 2001).
„Das Produkt der Arbeit ist symbolisch. Es ist eine greifbare, gesonderte, genau
umschriebene Erweiterung eines Menschen“ (Rohrlich, 1984, S.35). Arbeit fungiert als
Arbeit
8
Statussymbol, wobei derjenige der am meisten Überstunden macht und unter Stress und
Zeitdruck steht, als unverzichtbar und wichtig wahrgenommen wird.
Diese immense immaterielle Bedeutung manifestiert sich darin, dass sich bei vielen
Ruheständlern und Arbeitslosen eine zunehmende individuelle Verunsicherung und ein
Gefühl der Nutzlosigkeit einstellt, trotz sichergestellter materieller Existenz (Hank, 1995;
Liessmann, 2000; Peter, 2003; Unger & Kleinschmidt, 2006). Arbeitslos zu sein bedeutet
in unserer Kultur soziale Degradierung und Entwertung (Eisenberg, 1999; Schandl,
1999).
Lediglich Sandjaja (2007) beschreibt zeitgleich einen neuen parallelen Trend der
Freizeitgesellschaft, in der Arbeit eher als Nebenerscheinung betrachtet wird und
vielmehr dem Zweck dient, die arbeitsfreie Zeit zu gewährleisten.
Trotz des hohen kulturellen Stellenwertes von Arbeit, findet gleichzeitig laut Wolf &
Meins (2004) eine zunehmende Entwertung des Faktors Arbeit in der westlichen
Gesellschaft statt. Stärkere Konkurrenz, Kostenreduktionsprogramme der Unternehmen,
erhöhtes Risiko des Arbeitsplatzverlustes und Mehrbelastungen der Arbeitnehmer durch
Erweiterung der Verantwortungsbereiche und Handlungsspielräume werden als
zunehmende destruktive Trends formuliert. Die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit
verschwimmen immer mehr und Arbeit wird mit nach Hause genommen. Auch nach Voß
(1998) führt die aktuelle Veränderung der Organisationsbedingungen von Arbeit zur
Entgrenzung der Arbeitsverhältnisse. Arbeitszeiten gestalten sich flexibler und
individueller,
und
Entstandardisierung
es
der
erfolgt
eine
Arbeitsmittel.
Dezentralisierung
„Die
bisherige
der
Arbeitstätten
und
Fremdorganisation
wird
zunehmend durch die Selbstorganisation bei der Arbeitsführung ersetzt, woraus sich eine
verstärkte individuelle Verantwortlichkeit innerhalb neuer Organisationsformen (z.B.
Teamarbeit, abgeflachte Hierarchien) ergibt“ (Städele, 2008, S. 7). Dieser Zwang zur
selbstverantwortlichen Strukturierung verlangt vom Arbeitnehmer fundierte und stets
aktualisierte Fachkenntnisse, sogenannte Meta-Kompetenzen, wie Fähigkeiten zum
Erwerb und Anwendung der prozessspezifischen Kenntnisse, eine hohe Selbstkontrolle
und -motivation und ein alltagspraktisches Selbstmanagement. Diese Vorraussetzungen
können zur Überbelastung und Überforderung führen (Sandjaja, 2007; Städele, 2008;
Voß, 1998).
Ribolits (1997) sieht die Gefahr der sinkenden Löhne und Gehälter bei steigendem
Kapitalgewinn, wobei die Entlohnung meist nicht einmal die grundsätzlichen
Lebenserhaltungskosten abdeckt. Lediglich Baumgartner und Korff (1999) erkennen in
dem Wandel positive Aspekte. Durch den erhöhten Differenzierungsgrad der Arbeit kann
Arbeit
9
eine fortschreitende Vervielfältigung der Möglichkeiten stattfinden, so dass sich für das
Individuum neue Chancen der Selbstverwirklichung eröffnen.
Seit Mitte des 19. Jahrhunderts kann eine ständige Abnahme der durchschnittlichen
Wochenarbeitszeit bei gleichzeitiger Zunahme der Urlaubstage und der freien Zeit
festgestellt werden (Poppelreuter, 1997; Voigt, 2006).
Trotz dieser Zunahme sind vielfach gesundheitliche Auswirkungen feststellbar. Wolf &
Meins (2004) beschreiben den Anstieg von stressbedingten Störungen, wie HerzKreislauferkrankungen, erhöhten Blutdruck und Rückenbeschwerden und erhöhten
Konsum von Nikotin, Koffein, Alkohol und Medikamenten. Auch Voigt (2006)
deklariert, dass, bedingt durch starke und lang anhaltende Belastungen, ein
Erschöpfungszustand eintreten kann, der sich neben somatischen Erkrankungen auch
mental und psychisch auswirken kann. Jungkurth (2005) erkennt die Arbeit zum einen als
krankheitsförderlichen Stresspool mit Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und unzähligen
physischen und psychischen Belastungen, zum anderen betont sie aber auch die
Polarisierung des heutigen Begriffs der Arbeit und knüpft damit an die Diskussion der
positiven Bewertung der Arbeit an, die die Berufstätigkeit als Chance zur
Selbstentfaltung versteht. Rohrlich (1984) unterstreicht, dass es für Arbeitende wichtig
ist, dass sie in ihrem Arbeitsbereich ein Gefühl der Selbständigkeit, der Verantwortung
und Macht benötigen. Je mehr ein Angestellter aufgrund von starker Überwachung oder
Mobbing demoralisiert wird, desto mehr sinkt sein Selbstvertrauen und steigt sein
Minderwertigkeitsgefühl.
Subjektiver
Zeitdruck,
quantitative
und
qualitative
Überforderung, Arbeitsplatzunsicherheit und Angst vor zukünftiger Arbeitslosigkeit,
Dauer und Zeitpunkt der Arbeitszeit (Schichtarbeit),
konfliktreiche Verhältnisse zu
Arbeitskollegen, falsche Behandlung durch den Vorgesetzten und die berufliche Stellung
und ihre gesellschaftliche Anerkennung stehen laut Seibel & Lühring (1984) im
Zusammenhang mit einer überdurchschnittlichen Beeinträchtigung der psychischen
Gesundheit. Allmer (2002) vermutet sogar, dass das Mehr an vorhandener Freizeit nicht
stressmindernd, sondern zusätzlich belastend wirkt. „Dysfunktionaler Umgang mit Stress
umfasst und tangiert alle Lebensbereiche und kann zu korrumpierenden Effekten und
Synergismus führen, da das hieraus resultierenden Erholungsdefizit gravierende
Gesundheitsstörungen evozieren kann“ (Allmer, 2002, S.120). Auch Büssing (1999)
konstatiert, dass der berufliche Stress vermehrt in den privaten Lebensbereich getragen
wird und somit die erhoffte Erholung und Regeneration nicht eintreten kann.
Poppelreuter (1997) weist darauf hin, dass bei der Betrachtung von Arbeitssucht der
gesellschaftliche Wandlungsprozess berücksichtigt werden muss. Dabei gilt es,
Arbeit
10
Verabsolutierungen der positiven Bewertung von Arbeit und ein rigides Festhalten an
Vorstellungen von normaler Arbeit, zu hinterfragen, um so eine Auseinandersetzung mit
der
Arbeitssuchtproblematik
zu
fördern.
Bestehende
individuelle
und
gesamtgesellschaftliche Werte und Normen haben einen erheblichen Einfluss auf die
Einschätzungen im Bereich der klinischen Diagnostik, wobei Begriffe wie Sucht sich
nicht objektivieren lassen, sondern nur im Zusammenhang mit personalen, situativen und
kulturellen Gegebenheiten, wozu auch individuelle Werte und soziale Normen zählen,
gesehen werden können (Becker, 1981; Herwig-Lempp, 1987; Poppelreuter, 1997).
Die Ausführungen verdeutlichen, dass Arbeit eine zentrale menschliche Verhaltensweise
ist und somit auch nicht jede Vielarbeit mit dem Begriff der Arbeitssucht in
Zusammenhang gebracht werden darf. Wie die Begriffe der Sucht und der Arbeitssucht
abgegrenzt werden sollen und welche Kriterien erfüllt sein müssen, um von einer
Suchterkrankung zu sprechen, wird im Folgenden erklärt.
Trotz der Forderung der Forschung, den Arbeitsbegriff über die Erwerbsarbeit
auszudehnen, ist in der vorliegenden Arbeit eine klare Ein- und Abgrenzung zur NichtErwerbsarbeit dringend erforderlich. Mit dem Ziel, süchtiges Arbeitsverhalten von
Berufstätigen aus dem helfenden Dienstleistungssektor zu erforschen, bezieht sich diese
Studie auf eine erwerbstätige Zielgruppe.
Daher soll der Begriff Arbeit im Folgenden als zielgerichtete, berufsbezogene Tätigkeit
verstanden werden.
Sucht
11
2 Sucht
2.1
Definition von Sucht
Gemäß Werner Gross (2002) kann Sucht als „unabweisbares Verlangen nach einem
bestimmten (veränderten) Gefühls-, Erlebnis- und Bewusstseinszustand„ (S. 511)
definiert werden. „Das Ziel von süchtigen Verhalten ist entweder, Lustgefühle
herbeizuführen und/oder Unlustgefühle (Unruhe, Trauer, Wut, Entzugssymptome etc.) zu
vermeiden“ (Gross, 2002, S.511). Gemäß Jungkurth (2005) und Meißner (2005) kann
Sucht rein phänomenlogisch als Besessenheit durch ein Suchtmittel betrachtet werden,
wobei das Suchtmittel kompensatorisch als ein Ersatzobjekt, z.B. für einen
wahrgenommen Mangel oder auf der Suche nach Anerkennung, eingesetzt wird.
„Bezeichnend für die Sucht ist deren Zwanghaftigkeit, Intensität und Maßlosigkeit“
(Voigt, 2006, S.29), wobei sie eine Eigendynamik entwickeln kann, bei der die
ursprünglichen
Ursachen
für
das
Suchtverhalten
in
den
Hintergrund
treten.
Willensfreiheit und die Fähigkeit zu wählen, gehen verloren und die Zwanghaftigkeit ist
manifest (Voigt, 2006).
Obwohl im Jahr 1964 durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) der Begriff der
Sucht eigentlich aus der wissenschaftlichen Sprache zugunsten des Fachterminus
Drogenabhängigkeit verbannt wurde, hat der Sucht-Begriff laut Städele (2008) und
Schneider (2001) im heutigen deutschen Sprachgebrauch weiterhin vielfältige
Bedeutungen: zum einen dient der Begriff der Beschreibung von normabweichenden
Konsumverhalten, das zum größten Teil außerhalb der Kontrolle des Handelnden liegt
und gleichzeitig einer medizinischen/ therapeutischen Behandlung bedarf (z.B. wie bei
der Alkohol- und Drogensucht); zum anderen beschreibt Sucht normabweichende,
auffällige und exzessive Verhaltensweisen (z.B. wie bei der Arbeits-, Online- und
Sportsucht) (Holden, 2001; Poppelreuter, 1997; Städele, 2008). Dieser Unterteilung folgt
auch Gross (2003), indem er Sucht definiert als „Verlangen nach einer Droge (z.B.
Heroin, Alkohol, Tabletten) oder einem bestimmten Verhalten (z.B. Spielen, Essen,
Arbeiten, Sex) mit dem Ziel, vor dem gegenwärtigen unerwünschten Erlebnis- und
Bewusstseinszustand in einen anderen gewünschten zu fliehen“ (S. 27).
2.2
Ätiologie und Kriterien einer Sucht
Aufgrund der Komplexität und der Vielschichtigkeit des Suchtphänomens und der
wechselseitigen Beeinflussung durch verschiedene Faktoren kann eine einfache UrsacheWirkungs-Erklärung nicht hinreichend zur Erfassung der Suchtentstehung sein
(Jungkurth, 2005; Städele, 2008). Es gibt zahlreiche Erklärungsansätze zur Ätiologie der
Sucht
12
Sucht in der Wissenschaft, wobei Modelle der Multikonditionalität vorrangig exploriert
werden (Jungkuth, 2005; Städele, 2008).
Das Modell der Multikonditionalität nach Gross (2003), auch als Modell des
Suchtdreiecks bezeichnet, sieht für die Entstehung der Sucht drei Bedingungskomplexe
ausschlaggebend, die sich in unterschiedlichem Ausmaß auswirken können. Das
Individuum stellt mit seinen spezifischen Merkmalen, wie psychische und physiologische
Eigenarten, die persönliche Entwicklung und Reife, das Eingebundensein im sozialen
Kontext, die Zufriedenheit mit dem eigenen Leben, die erlebte Diskrepanz zwischen
Ideal- und Real- Ich und genetischen Faktoren, einen Bedingungsfaktor dar. Als zweites
Merkmal ist die spezifische Wirkung des Suchtmittels von Bedeutung. Hierbei sind
Faktoren,
wie
Verfügbarkeit,
Verträglichkeit,
Dosis
und
Missbrauchs-
und
Abhängigkeitspotential des Suchtmittels relevant. Als letztes und drittes Merkmal kann
das soziale und gesellschaftliche Umfeld die Entstehung einer Sucht beeinflussen. Dabei
handelt es sich vor allem um die Kultur und die Lebenssituation, die das Individuum
umgeben, und die den Gebrauch von Suchtmitteln fördern und akzeptieren oder bedingt
durch strukturelle Bedingungen der Gesellschaft diesen hemmen. Dabei wird betont, dass
für jede Art der Sucht und für jeden Einzelfall jeweils andere Bedingungskonstellationen
bestehen können (Grüsser, 2005; Schulz, 2000; Städele, 2008).
Weitere Erklärungsmodelle zur Entstehung einer Suchterkrankung sollen im Kapitel 3.5
näher, insbesondere in Bezug auf die Entstehung einer Arbeitssucht, differenziert werden.
Nach Gross (2002) geben folgende acht Kriterien Hinweis darauf, ob ein Verhalten
süchtig entgleist ist: Kontrollverlust, Abstinenzunfähigkeit, Entzugserscheinungen,
Wiederholungszwang,
Dosissteigerung,
Interessenabsorption
und
-zentrierung,
gesellschaftlicher Abstieg und psychischer und körperlicher Verfall. Dabei bezieht sich
die Sucht immer auf drei Ebenen: körperliche, psychische Abhängigkeit und zunehmende
Beeinträchtigung der alltäglichen und sozialen Lebensführung.
Nach den aktuellen Klassifikationssystemen ICD 101 (Dilling, Mombour & Schmidt,
2000) und DSM-IV-TR2 (Saß, Wittchen, Zaudig & Houben, 2003) wird Sucht mittels
empirischer Kriterien durch eine operationalisierbare Diagnostik ermittelt. Beide
1
ICD 10 ist die Abkürzung für „Internationale Klassifikation psychischer Störungen“. Diese
Abkürzung wird in der folgenden Arbeit verwendet.
2
DSM-IV-TR ist die Abkürzung für „Diagnostisches und Statistisches Manual psychischer
Störungen“. Auch diese Abkürzung wird in den weiteren Ausführungen genutzt.
Sucht
13
Klassifikationssysteme
sprechen
dabei
von
Abhängigkeit
bzw.
Störungen
im
Zusammenhang mit psychotropen Substanzen und verzichten auf den Begriff der Sucht,
wobei der Begriff der Substanzabhängigkeit nicht definiert, sondern als „eine
überzufällige
häufige
Kombination
von
einzelnen
Symptomen
beschrieben“
(Poppelreuter, 1997, S. 25) wird. Aussagen über die Ätiologie der Suchterkrankung sind
dabei für die Erstellung der Diagnosen nicht relevant (Städele, 2008).
Die
Weltgesundheitsorganisation
(WHO)
beschreibt
im
ICD
10
das
Abhängigkeitssyndrom als
eine Gruppe körperlicher Verhaltens- und kognitiver Phänomene, bei denen der
Konsum einer Substanz … für die betroffene Person Vorrang hat gegenüber
anderen Verhaltensweisen, die von ihr früher höher bewertet wurden. Ein
entscheidendes Charakteristikum der Abhängigkeit ist der oft starke, gelegentlich
übermächtige Wunsch, psychotrope Substanzen oder Medikamente…, Alkohol
oder Tabak zu konsumieren. ( Dilling et al., 2000, S.92)
Die Diagnose von substanzgebundener Abhängigkeit erfolgt nach den internationalen
Diagnosemanualen DSM-IV-TR und ICD 10. Diese wird attestiert, wenn von den dort
benannten sieben bzw. sechs Kriterien innerhalb des letzten Jahres mindestens drei
gleichzeitig beim Individuum aufgetreten sind (vgl. Tabelle 2-1).
Bei einer Abhängigkeit wird nach Tretter und Müller (2001) und Saß et al. (2003)
zwischen psychischer und physischer Abhängigkeit unterschieden, wobei die physische
Abhängigkeit
den
Zustand
der
Toleranzentwicklung
mit
einhergehendem
Entzugssyndrom bei ausbleibendem Konsum beschreibt, die psychische Abhängigkeit
den kognitiven Wunsch nach erneuter Einnahme der Droge mit der Intention, gehobene
Stimmung zu erzeugen oder Unbehagen zu vermeiden, definiert.
Des Weiteren wird zwischen einer vorliegenden Abhängigkeit und Missbrauch (DSM-IVTR)/ schädlichen Konsum (ICD 10) unterschieden. Während Abhängigkeit als eine
anerkannte Krankheit durchaus mit Sucht gleichgesetzt werden kann, handelt es sich bei
dem schädlichen Konsum um ein fehlangepasstes Konsumverhalten psychotroper
Substanzen, das deutlich nachteilige körperliche oder psychische gesundheitliche Folgen
hat (Städele, 2008; Voigt, 2006).
Sucht
14
Tabelle 2-1 Diagnostische Kriterien der stoffgebundenen Sucht bzw. Abhängigkeit von
psychotropen Substanzen nach DSM-IV-TR (Saß et al., 2003) und ICD 10 (Dilling et al., 2000)
Substanzabhängigkeit
Abhängigkeitssyndrom
nach DSM-IV-TR
nach ICD 10
- Häufiger Konsum der Substanz in großen
- Starker Wunsch bzw. Zwang, psychotrope
Mengen oder länger als beabsichtigt
Substanzen zu konsumieren
- Anhaltender Wunsch oder erfolglose Versuche,
-
den Konsum der Substanz zu verringern oder zu
Kontrollverlust im Umgang mit der Substanz
Verminderte
Kontrollfähigkeit
bzw.
kontrollieren
- Substanzspezifische Entzugssymptome bzw.
-
Körperliches
Entzugssyndrom,
Aufnahme der Substanz zur Milderung der
substanzspezifische
Entzugssymptome
Aufnahme der Substanz zur Milderung der
Entzugssymptome
bzw.
Entzugssymptome
- Toleranzentwicklung, verminderte Wirkung bei
- Toleranzentwicklung , Dosissteigerung
fortgesetzter Einnahme bzw. Verlangen nach
Dosissteigerung
- Aufgabe oder Einschränkung wichtiger sozialer,
-
beruflicher oder Freizeitaktivitäten
Aktivitäten
-
Fortschreitender
Kenntnis
eines
Vernachlässigung
sozialer
und
beruflicher
Substanzkonsum
trotz
- Anhaltender schädlicher Substanzkonsum trotz
anhaltenden
oder
Auftretens eindeutiger Schäden
wiederkehrenden substanzbedingten körperlichen
oder psychischen Problems
- Hoher Zeitaufwand für die Beschaffung oder
Einnahme der Substanz bzw. zur Erholung von
deren Wirkungen
Anmerkungen ICD 10 ist die Abkürzung für „Internationale Klassifikation psychischer Störungen“, DSM-IVTR für „Diagnostisches und Statistisches Manual psychischer Störungen“.
Zweck des Konsums, Häufigkeit und Umfang des Konsums bestimmen, inwiefern von
einer Sucht gesprochen werden kann, wobei die Übergänge zwischen Normalität und
klinisch bedeutsamer Abweichung fließend sind und meist erst von einer psychischen
Störung gesprochen wird, wenn ein subjektives Leiden des Betroffenen oder antisoziales
Verhalten auftritt (Fiedler, 2007; Gross, 2003; Poppelreuter, 2002). Die Gesellschaft
definiert aufgrund ihres existierenden Wertesystems, welche Süchte angemessen oder als
inakzeptabel anzusehen sind, und bestimmt, ab wann der Konsum bzw. das Verhalten als
exzessiv und somit als pathologisch zu bewerten ist (Voigt, 2006).
Sucht
2.3
15
Stoffgebundene Sucht vs. Verhaltenssucht
Seit Mitte des 20. Jahrhunderts, insbesondere seit Ende der 1980er Jahre wird in der
Wissenschaft diskutiert, ob ein klinisch bedeutsames, exzessives Verhalten, bei dem kein
Substanzkonsum vorliegt, auch als Sucht bzw. stoffungebundene Sucht bezeichnet
werden kann (Grüsser & Thalemann, 2006; Städele, 2008). Dies ist zu bejahen, wenn
davon ausgegangen wird, dass gemäß von Gebsattel (1954; zitiert nach Poppelreuter,
1997) jede menschliche Tätigkeit süchtig entarten kann. Die stoffgebundene Sucht/
Substanzabhängigkeit beschreibt den pathologischen Konsum von psychotropen
Substanzen, wohingegen bei der Verhaltenssucht/stoffungebundenen Sucht keine
psychotropen Substanzen von außen zugeführt werden. Durch ein exzessives Verhalten
stellt sich ein psychotroper Effekt durch körpereigene biochemische Veränderungen ein
(Grüsser & Thalemann, 2006; Poppelreuter & Gross, 2000; Thalemann, 2009).
Gemeinsames Merkmal der verschiedenen Formen der Verhaltenssüchte sind dabei die
exzessiven Ausführungen des jeweiligen Verhaltens über das normale Maß hinaus
(Grüsser & Rosemeier, 2004) und das unabweisbare Verlangen nach einem bestimmten
psychischen Zustand (Städele, 2008).
Nach Grüsser und Thalemann (2006) können Betroffene durch exzessives Verhalten (wie
z.B. durch exzessives Arbeiten, pathologisches Glücksspiel, intensive Internetnutzung
etc.), analog dem Gebrauch von psychotropen Substanzen schnell und effektiv Gefühle
wie Angst, Unsicherheit, Frustration regulieren und verlernen damit eine aktive
Auseinandersetzung mit den eigenen Problemen. Somit erfüllt das Verhalten die
Funktion, das Leben für den Betroffenen erträglicher zu machen und Stress effektiv,
jedoch inadäquat, zu bewältigen.
Grundsätzlich
wird
nichtstoffgebundenen
zwischen
stoffgebundenen
Suchtformen
differenziert,
versus
wobei
die
stoffungebundenen/
Arbeitssucht
als
handlungsbezogene Suchtform der zweiten Kategorie zugehörig ist.
Dabei folgen die Klassifikationssysteme ICD 10 und DSM-IV-TR bislang noch nicht
dieser
Kategorisierung
und
weisen
Verhaltenssüchte
nicht
als
eigenständiges
Störungsbild auf, sondern ordnen spezielle Verhaltensüchte wie Pathologisches
Glücksspiel zu den Störungen der Impulskontrolle (Grüsser & Thalemann, 2006;
Jungkurth, 2005; Poppelreuter, 1997; Poppelreuter & Gross, 2000; Städele, 2008). Somit
ist es gegenwärtig nur möglich, die verschiedenen Formen der Verhaltenssucht in
Anlehnung an die Einordnung des Pathologischen Glücksspiel als „Sonstige abnorme
Gewohnheiten und Störungen der Impulskontrolle“ (ICD 10) bzw. „Nicht näher
bezeichnete Störung der Impulskontrolle“ (DSM-IV-TR), welche Verhaltensstörungen
Sucht
16
beschreiben, die einen unkontrollierbaren Impuls umfassen, zu diagnostizieren. Laut
Poppelreuter & Gross (2000) ist diese Einordnung der Verhaltenssüchte aber
unzureichend und kann in der Praxis verhindern, dass geeignete Elemente der
Behandlung von substanzabhängigen Patienten in der Therapie angewendet werden.
Gegenwärtig besteht in der Literatur Uneinigkeit bezüglich der Konzeptualisierung der
exzessiven Verhaltensweisen mit klinischer Relevanz. Zwar herrschen überwiegend
einheitliche Kriterien, die Bezeichnungen und Zuordnungen der Störungsbilder gestalten,
sich aber voneinander abweichend:
„Als Störungen der Impulskontrolle werden Verhaltensweisen bezeichnet, bei denen der
Betroffene nicht in der Lage ist, dem Impuls, Trieb oder der Versuchung zu widerstehen,
eine Handlung auszuführen, die für die Person selbst oder andere schädlich ist“ (Grüsser
& Thalemann, 2006, S.21). Laut Grüsser & Rosemeier (2004) scheint dabei aber eine
Konzeptualisierung
der
exzessiven,
belohnenden
Verhaltensweisen
als
Impulskontrollstörung unzureichend, da Impulsivität auch als ein Kernpunkt einer
Abhängigkeitserkrankung gesehen werden kann, und somit eine klare und eindeutige
Differenzierung nicht gewährleistet ist. Des Weiteren werden laut Städele (2008) und
Gross (2004) grundlegende Symptome, wie der Toleranzentwicklung, die Zentrierung der
Lebensinhalte auf das Verhalten und die Entzugssymptomatik, bei dieser Zuordnung
vernachlässigt.
Als zweite Konzeptualisierung wird die Zuordnung der exzessiven Verhaltensweisen zu
den Zwangsstörungen beschrieben. Zwangstörungen umfassen Störungen, die durch
einen intensiven Drang gekennzeichnet sind, ein spezifisches Verhalten durchzuführen.
Dieser Drang wird von den Betroffenen meist als unangenehm empfunden (Grüsser &
Thalemann, 2006). Das ICD 10 (Dilling et al., 2000) sieht diese Zuordnung als wenig
zutreffend, da das Verhalten weder im engeren Sinne zwanghaft sei, noch mit einer
Zwangsneurose in Verbindung stehe.
Eine dritte vorherrschende Konzeptualisierung (Verhaltenssucht) ordnet exzessive,
belohnende Verhaltensweisen den Merkmalen von Abhängigkeitserkrankungen zu und
erkennt
die
eindeutigen
Parallelen
zu
den
diagnostischen
Kriterien
der
3
Substanzabhängigkeit (Gross, 2003; Grüsser & Thalemann, 2006; Holden, 2001;
Lejoyeux, McLoughlin & Adés, 2000; Poppelreuter & Gross, 2000). Hervorgehoben
werden die eingeschränkte Kontrolle über das Suchtverhalten, die Dosissteigerung des
3
Siehe dazu auch Kap.2.2, Tabelle 2-1.
Sucht
17
Verhaltens, das starke Verlangen, dieses fortzusetzen (Wiederholungszwang), die
Interessenabsorption, der körperliche und psychische Zerfall und das auftretende
körperliche und psychische Unbehagen und die Nervosität, wenn die Durchführung des
Verhaltens verhindert wird (Entzugssymptomatik/Abstinenzunfähigkeit). „Des Weiteren
wird von einer homöostasegeleiteten kompensatorischen Reaktion des Organismus
(Toleranzentwicklung) bei der Ausübung des Verhaltens ausgegangen“ (Grüsser &
Thalemann, 2006, S. 23). Dabei schließen sich neueste neurobiologische Forschungen
dieser Kategorisierung an, indem sie z.B. auch bei der Theorie des Suchtgedächnisses
stoffungebundene Abhängigkeiten miteinbeziehen (Springer, 2009).4
Somit ist es der Wissenschaft bislang nicht gelungen, die Verhaltenssüchte einheitlich in
einem Krankheitsbild festzuhalten, und es besteht weiterhin die Schwierigkeit der
Etikettierung der stoffungebundenen Suchtformen, da die Quantität des gezeigten
Suchtverhaltens allein für eine Diagnose nicht ausreicht und es bisher wenig evaluierte
Diagnoseinstrumente gibt (Städele, 2008). Ebenso treten die negativen Folgen einer
Verhaltenssucht meist extrem zeitverzögert auf und die Intensität der Selbstzerstörung ist
meist weniger massiv, was eine Identifizierung der Sucht zusätzlich erschwert (Voigt,
2006).
In der vorliegenden Arbeit soll in Anlehnung an die Definition von Gross (2003) Sucht
als eine zwanghafte Befriedigung eines Bedürfnisses oder als ein unabweisbares
Verlangen nach einem bestimmten Erlebniszustand verstanden werden. Dabei kann jede
Form menschlicher Tätigkeit süchtig entarten (v. Gebsattel, 1954; zitiert nach
Poppelreuter, 1997).
Sucht ist als psychologischer Terminus zu verstehen, der die psychiatrischen
Diagnosekriterien von Abhängigkeit teilweise einbezieht, aber auch darüber hinaus gehen
kann (Poppelreuter, 1997; Poppelreuter & Gross, 2000). Damit wird auch im Rahmen
dieser Arbeit die begriffliche Differenzierung zwischen dem diagnostischen Begriff der
Substanzabhängigkeit
und
dem
psychologischen
Begriff
der
Verhaltenssucht/
stoffungebundenen Sucht im Allgemeinen und der Arbeitssucht im Speziellen
beibehalten.
4
Siehe dazu auch Kap. 3.5.
Arbeitssucht
18
3 Arbeitssucht
3.1
Etymologie und Entwicklung des Begriffs Arbeitssucht
Arbeitssucht wird in der Psychologie zunehmend seit den 1970er Jahren wissenschaftlich
diskutiert.
Schon sehr früh finden sich in der Belletristik durch z.B. Wilhelm Busch (1832-1908)
und in der Wissenschaft durch Lefargue im Jahr 1883 und dem Psychoanalytiker Sandor
Ferenci im Jahr 1919 Beschreibungen von arbeitssüchtigem Verhalten (Gross, 2003;
Poppelreuter, 2002; Voigt, 2006; Weimar, Braakmann, Gelo & Schiava-Winkler, 2009).
Der Begriff Workaholism, als englische Version des Begriffs Arbeitssucht, wurde
erstmalig 1968 durch Wayne Oates geprägt (Voigt, 2006). Im deutschsprachigen Raum
sprach Mentzel 1979 von der „Droge Arbeit“, wobei sowohl Mentzel als auch Oates enge
Parallelen zwischen Arbeitssucht und Alkoholismus erkannten (Städele & Poppelreuter,
2009).
Obwohl sich seit der Deklarierung von Arbeitssucht durch Oates im Jahre 1968 die
Thematik an viel Popularität in den Medien erfreute, fand eine wissenschaftliche
Auseinandersetzung mit systematischen und qualitativen empirischen Studien verstärkt
erst in den 1990er Jahren durch Forschungsarbeiten von Spence und Robbins im Jahr
1992 im englischen Sprachraum und durch Poppelreuter im Jahr 1996 im
deutschsprachigen Raum statt (Städele & Poppelreuter, 2009). Zwar erfolgten zuvor
bereits Studien in den USA und Japan, diese zeichneten sich jedoch durch unpräzise
Forschungsmethoden aus (Kleine, 2007). Bis heute ist festzustellen, dass das Thema
Arbeitssucht nur wenig wissenschaftlich aufgearbeitet wurde (Schneider, 2001; Städele,
2008). Burke (1999), Poppelreuter (2002), Schneider und Bühler (2001) sehen die noch
sehr junge Grundlagenforschung im Bereich der stoffungebundenen Süchte, die
mangelnden empirischen Daten, die begrifflichen Unklarheiten und mangelnde
operationale Definitionen, mangelnde valide Maßstäbe und den fehlenden intra- und
interdisziplinären Konsens als Ursache für die geringe wissenschaftliche Forschung. Als
weiteren Grund vermutet Poppelreuter (2002) den hohen kulturellen Stellenwert von
Arbeit und die darin begründete Vermeidung einer kritischen Auseinandersetzung.
Innerhalb der Forschung bestehen weiterhin immer noch Uneinigkeiten bezüglich der
Terminologie (Dieckmann, 2007; Voigt, 2006). Sonnenmoser (2005), Breitsameter und
Reiners-Kröncke (1997) formulieren arbeitssüchtiges Verhalten in der Begrifflichkeit als
pathologischen Arbeitens, während andere Autoren wie Poppelreuter (1997), Städele
Arbeitssucht
19
(2008), Grüsser und Thalemann (2006) von Arbeitssucht sprechen. Auch laut Weimar et
al. (2009) und Schneider (2011) werden die Begriffe der Arbeitssucht und Workaholismus
oft gegensätzlich verwendet. „Während Arbeitssucht als negativ im Sinne einer
Erkrankung bewertet wird, gilt Workaholismus als positiv konnotiert.“ (Weimar et al.,
2009, S. 167).
In der vorliegenden Arbeit wird der Begriff Arbeitssucht angewendet.
3.2
Definition von Arbeitssucht
Es existiert derzeit keine einheitliche Definition des Störungsbildes Arbeitssucht. Damit
wird die Arbeitssucht, wie die meisten stoffungebundenen Süchte, in den gängigen
Klassifikationssystemen nicht berücksichtigt (Grüsser & Thalemann, 2006).5
Auch nach Poppelreuter und Evers (2000) gibt es bisher keine deckungsgleiche
Bestimmung von Arbeitssucht, lediglich kann als allgemeines Definitionsmerkmal
formuliert werden, dass arbeitssüchtige Menschen in einem exzessiven Maß arbeiten und
andere Lebensbereiche vernachlässigen. Nach Schneider (2001) und Schwochow (1997)
kann dabei nicht im Gegensatz zu anderen Suchtformen aus der Intensität und Quantität
des Missbrauchs der Grad der Sucht geschlussfolgert werden. Süchtiges Arbeitsverhalten
zeigt
sich
insbesondere
in
den
negativen
gesundheitlichen
Folgen,
den
Beeinträchtigungen im sozialen Bereich und den Einschränkungen im Wohlbefinden des
Betroffenen (Schneider, 2001).
Bei Arbeitssucht handelt es sich laut Poppelreuter (1997) vielmehr um eine spezifische
Geisteshaltung, die sich durch die kognitive Zentralität (Schwochow, 1997) und
Exklusivität der Arbeit auszeichnet. Schneider (2001) konstatiert die starke psychische
Abhängigkeit vom Arbeitsprozess als wesentliches Merkmal einer vorliegenden
Arbeitssucht, wobei der Betroffene aus einem Zwang heraus übermäßig viel arbeitet und
sogar Schuldgefühle hat, sobald er einmal untätig ist.
In Anlehnung an Wehner (2006) definiert Städele (2008) Arbeitssucht als eine Form
pathologischen Arbeitsverhaltens, als „einen unkontrollierbaren, inneren Zwang sowohl
in der berufstätigen Arbeitswelt als auch in der Freizeit tätig zu werden, wobei
gleichzeitig alle anderen Verhaltensoptionen dem Arbeiten untergeordnet und zumindest
einige der den stoffgebundenen Abhängigkeiten ähnlichen Suchtverhaltensweisen gezeigt
werden“ (S. 25).
5
Siehe dazu auch Kap. 2.3
Arbeitssucht
20
Wolf (2003) und Gross (2003) sehen die krankhafte Fixierung auf die eigene
Arbeitstätigkeit insbesondere in der Funktion der Verdrängung psychischer Probleme und
der Abwehr gegen die Auseinandersetzung mit den eigenen Gefühlen begründet.
Heide (1999, zitiert nach Voigt, 2006) sieht neben dem inneren Zwang, auch ein äußeren
Zwang, verursacht durch Druck, den Unternehmen auf ihre Angestellten ausüben,
auslösend für ein pathologisches Arbeitsverhalten und zieht damit Vergleiche zu den
asiatischen Kulturen. Auch Wolf und Meins (2004) sehen in der Angst, den betrieblichen
und eigenen Ansprüchen nicht mehr gerecht werden zu können, eine Ursache für eine
krankhafte Fixierung auf das Arbeiten. Schaef und Fassel (1994) gehen sogar von einer
die Arbeitssucht stützenden und fördernden Gesellschaft aus und gehen damit in ihrer
Definition noch stärker auf situationsbedingte Faktoren ein. Sie vermuten, durch die
zunehmende Vernetzung unserer heutigen Kommunikationsgesellschaft bedingt, dass es
immer einfacher wird, den Beruf mit dem Privaten zu vermengen, welches als Einstieg
zur Arbeitssucht dienen könne.
Laut Poppelreuter und Evers (2000) ist aufgrund der wenig aussagekräftigen
Forschungsergebnisse derzeit nur eine operationale Definition der Arbeitssucht möglich,
die sich an den allgemeinen Indikatoren nicht-stoffgebundener Süchte orientiert.
In Anlehnung an Schneider (2001) und Städele (2008) soll in dieser Arbeit Arbeitssucht
als ein Begriff verstanden werden, der sowohl das unkontrollierte Bedürfnis nach Arbeit,
als auch Aspekte des süchtigen Verhaltens in seiner Ausprägung berücksichtigt.
Wie bereits im Kapitel 1.3 dieser Arbeit beschrieben, gilt es aber bei der Betrachtung des
Arbeitssuchtphänomens, die hohe gesellschaftliche Anerkennung der Arbeit zu
berücksichtigen. Die Gesellschaft negiert Arbeit, als Tugend definiert, in Verbindung mit
Krankheit zu bringen. Selbst in wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit der
Thematik der Arbeitssucht lassen sich Meinungen finden, die Arbeitssüchtige als Segen
für ein Unternehmer sehen, da diese viel und produktiv arbeiten würden (Machlowitz,
1978, zitiert nach Poppelreuter & Evers, 2000). Sonnenmoser (2005) beschreibt daher die
Arbeitssucht als „Sucht, der andere Beifall spenden“ (S. 160), Poppelreuter und Windholz
(2005) bezeichnen sie als eine „saubere Sucht“ (S.114).
3.3
Epidemiologie
Eine genaue Bestimmung der Prävalenz von Arbeitssucht in der deutschen Bevölkerung
wird durch die zahlreichen unterschiedlichen Operationalisierungen des Störungsbildes,
die verschiedenen diagnostischen Kriterien und die uneinheitlich verwendeten
Diagnoseinstrumente erschwert und erscheint somit unmöglich (Grüsser & Thalemann,
Arbeitssucht
21
2006; Städele & Poppelreuter, 2009). Somit kann konstatiert werden, dass es zur
Epidemiologie der Arbeitssucht derzeit keine konkreten Angaben gibt. In der Literatur
finden sich lediglich Schätzungen über die Ausmaße des Störungsbildes, diese reichen
von 5 Prozent (Machlowitz, 1981, zitiert nach Grüsser & Thalemann, 2006) über 10
Prozent der amerikanischen Bevölkerung (Cherrington, 1980, zitiert nach Grüsser &
Thalemann, 2006), bis hin zu 49 Prozent nach Burke (1999). Poppelreuter und Wind
(2001) untersuchten im deutschen Sprachraum zwei große Unternehmen und bewerteten
13 Prozent der Stichprobe als arbeitssuchtgefährdet bzw. arbeitssüchtig. 2004 schätzt
Poppelreuter (2004 a), dass von ca. 200 000 bis 300 000 Betroffenen in Deutschland
auszugehen ist.
Poppelreuter (2004 b) erkennt dabei in der Arbeitssucht ein universelles Phänomen,
welches jeder, ungeachtet seines Alters, Familienstands oder des Berufstatus, entwickeln
kann (Poppelreuter, 1997; Schneider, 2001; Städele, 2008). Damit stehen diesen
empirischen Erkenntnissen Aussagen gegenüber, die von Arbeitssucht als „Leiden der
Leitenden“ (Gross, 2003, S. 124) sprechen und das Phänomen hauptsächlich auf der
Ebene der Topmanager und Karrieristen vermuten (Burke, 1999; Robinson, 2000).
Nach Poppelreuter (1997) findet die Arbeitssucht in der Erwerbs- und Berufsarbeit ihren
prägnantesten Ausdruck, wobei Schneider (2001) betont, dass spezifische Berufe und
deren Arbeitsbedingungen besonders gefährdet sind, eine Arbeitssuchtserkrankung zu
entwickeln.
Insbesondere fallen unter diese Kategorie Berufe, in denen sich Menschen oft
sehr stark mit ihrer Arbeit identifizieren (z.B. Ärzte, Pfarrer, Wissenschaftler,
etc.) und in denen die Arbeitszeit nicht genau festgelegt ist (…). Eine große
Gefahr geht in diesen Berufen oft von der nicht exakt definierten Arbeitsvorgabe
bzw. einem idealistischen Arbeitsziel aus. (Schneider, 2001, S.23)
Obwohl bisher keine Signifikanz zwischen dem Auftreten der Arbeitssucht und
bestimmten Berufsgruppen nachgewiesen werden konnte, soll in der folgenden Arbeit,
Bezug nehmend auf Schneider, untersucht werden, ob sich helfende Berufe aufgrund
eines hohen Idealismus als besonders arbeitsuchtgefährdet zeigen.
3.4
Symptome, Typologien und Verlauf von Arbeitssucht
Die Vielfalt in der Literatur berichteter Symptome, die unterschiedlichen Typen von
Arbeitssüchtigen und die verschiedenen Folgen eines pathologischen Arbeitsverhaltens
erschweren die Entwicklung eines einheitlichen Symptomkatalogs enorm (Poppelreuter,
2007). Wie bereits im Kapitel 3.2 beschrieben, kann daher derzeit lediglich eine
operationale Definition der Arbeitssucht formuliert werden, die sich an ausgewählten
allgemeinen Indikatoren stoffungebundener Süchte orientiert.
Arbeitssucht
22
Danach ist unter Arbeitssucht nach Poppelreuter und Evers (2000) eine Symptomatik zu
verstehen, die sich primär kennzeichnen lässt durch

den Verfall an das Arbeitsverhalten (die Zentrierung des gesamten
Vorstellungs- und Denkraumes auf die Arbeit),

den
Kontrollverlust
(die
Unfähigkeit,
Umfang
und
Dauer
des
Arbeitsverhaltens zu bestimmen),

die Abstinenzunfähigkeit (es wird subjektiv als unmöglich erlebt, kürzere
oder längere Zeit nicht zu arbeiten),

das Auftreten von Entzugserscheinungen bei gewolltem oder erzwungenem
Nicht-Arbeiten (bis hin zu vegetativen Symptomen),

die Toleranzentwicklung (zur Erreichung angestrebter Gefühlslagen/
Bewusstseinszustände muss immer mehr gearbeitet werden),

das Auftreten psychosozialer und/oder psychoreaktiver Störungen. (S.74)
Dabei ist für eine Diagnoseerstellung noch nicht ausreichend geklärt, wie viele
Indikatoren in welcher Intensität und über welchen Zeitraum auftreten müssen, um
diagnostisch von einer vorliegenden Arbeitssucht sprechen zu können (Poppelreuter &
Evers, 2000). Breitsameter und Reiners-Kröncke (1997) betonen, dass zu erwarten ist,
dass der Betroffene keine Störungseinsicht zeigen wird, da es sich bei Arbeitssucht um
eine ich-syntone Störung handelt, wobei der Betroffene sein deviantes Verhalten selbst
eher selten als störend empfindet oder als abweichend erlebt (Städele, 2008). Dies
erschwert eine Diagnoseerstellung zusätzlich. Fiedler (2007) formuliert einschränkend,
dass diese Ich-Syntonie nicht im absoluten Sinne verstanden werden kann, da der
Betroffene die Folgen in Form von z.B. zwischenmenschlichen Schwierigkeiten und
körperlicher Erschöpfung deutlich wahrnimmt, aber die kausale Ursache in seinem
eigenen Verhalten nicht erkennen kann.
Wie bereits in Kapitel 2.3 beschrieben kann Arbeitssucht als Verhaltenssucht derzeit
aufgrund seiner mangelnden Diagnostik nicht als eigenständige Diagnose gestellt werden,
sondern es bedarf einer Zuordnung zu den Störungen der Impulskontrolle (ICD 10 oder
DSM-IV-TR) oder nach dem ICD 10 zu den Faktoren, die den Gesundheitszustand
beeinflussen und zur Inanspruchnahme des Gesundheitswesens führen (Z00-Z99 ICD 10)
können. Sandjaja (2007) macht auf die Möglichkeit aufmerksam, Arbeitssucht unter Z73
ICD 10 als Probleme verbunden mit Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung
einzuordnen, wozu auch Probleme wie Zustand der totalen Erschöpfung (Burn-out-
Arbeitssucht
23
Syndrom), körperliche und psychische Belastungen, unzulängliche soziale Fertigkeiten,
etc. zählen.
In der Diagnostik verdeutlichen sich folglich die aufgrund der definitorischen Vielfalt von
Arbeitssucht beschriebenen Schwierigkeiten. So existieren eine Vielzahl von Fragebögen
und Checklisten zur Erhebung einer Arbeitssucht, die aber den wissenschaftlichen
Mindestanforderungen an die Konstruktion eines psychologischen Messinstrumentes
nicht erfüllen. So fehlt es oftmals an einer theoretischen Fundierung und an der
Überprüfbarkeit von Items- und Testgütekriterien, welches als Voraussetzungen für eine
reliable und valide Erfassung gilt (Grüsser & Thalemann, 2006; Poppelreuter, 1997;
Poppelreuter, 2007; Städele, 2008). Dabei beanspruchen die meisten Testverfahren gar
nicht eine sichergestellte diagnostische Erhebung, sondern sollen lediglich als
Selbsteinschätzungsfragebogen oder allenfalls als diagnostisches Hilfsmittel neben
anderen Informationsquellen bei der Diagnose verstanden werden (Poppelreuter, 2002).
Die in der Literatur vorzufindenden Charakterisierungen von Arbeitssüchtigen lassen sich
zusammenfassend als Menschen mit einem Hang zum Perfektionismus beschreiben. Sie
stellen an sich und ihre Umwelt hohe Anforderungen, oftmals bis hin zur eigenen
Überforderung oder bis hin zu sozialen Konflikten. Zeitgleich zeigen die Betroffenen ein
ausgeprägtes
Kontrollbedürfnis,
Delegationsfähigkeit,
Unflexibilität,
eine
zwanghafte
starke
Arbeitsweise,
Versagensängste
und
mangelnde
ein
schwach
ausgeprägtes Selbstbewusstsein, welches sie durch ihre Arbeitstätigkeit auszugleichen
versuchen. Dabei erleben sie ihre Arbeit meist nicht positiv, sondern weisen vielmehr
aufgrund der Selbstzweifel und Ängste eine negative emotionale Grundhaltung auf. Die
Anonymen Arbeitssüchtigen (2012) und Heide (2001, zitiert nach Voigt, 2006) gehen
davon aus, dass auch eine aktive Arbeitsvermeidung als arbeitssüchtiges Verhalten
gesehen werden kann, wenn sie aus der Angst heraus, den eigenen perfektionistischen
Ansprüchen nicht mehr genügen zu können, geschieht. Diese Haltung bleibt aber in der
Literatur umstritten.
Da aufgrund des zunehmenden Egoismus des Arbeitssüchtigen dessen Welt sich nur noch
um ihn selbst und seine Arbeit dreht, verliert der Betroffene seine Kommunikations- und
Empathiefähigkeiten. Dies führt oftmals zu einer starken Unbeliebtheit, sozialer Isolation
und zwischenmenschlichen Schwierigkeiten. Der Betroffene kann seine Freizeit kaum
genießen, da er unter Schuldgefühlen aufgrund seiner Untätigkeit leidet. Er dehnt seine
Arbeitszeiten zunehmend aus. Dieses dysfunktionale Verhalten wird zwanghaft und bis
zur völligen Erschöpfung wiederholt. Weiterhin leidet der Betroffene oft unter mehreren
Süchten (wie z.B. Alkohol- und Nikotinsucht) und weist oft auch ein ausgeprägtes Typ-
Arbeitssucht
24
A6- und selbstschädigendes Verhaltensmuster auf. Arbeitssüchtige sind generell
unzufriedener als Nicht-Arbeitssüchtige. Neben der Arbeit empfinden sie auch ihre
Gesundheit, Partnerschaft und Beziehung zu Freunden und Verwandten deutlich
negativer. Sie leiden deutlich mehr unter gesundheitlichen Beschwerden und sind nach
ihrer subjektiven Einschätzung einer quantitativ höheren Arbeitsbelastung ausgesetzt
(Breitsameter & Kröncke, 1997; Gross, 2003; Matthey, 2011; Poppelreuter, 1997;
Robinson, 2000; Schwochow, 1997; Städele, 2008; Weimar et al., 2009).
Obwohl die Wissenschaft sich einig ist, dass es keine typischen Arbeitssüchtigen gibt und
Arbeitssucht eher ein Syndrom mit unterschiedlichen Ausprägungen beschreibt (Gross,
2003; Poppelreuter, 2002; Schwochow, 1997), gibt es eine Reihe von Versuchen,
verschiedene Kategorien von Arbeitssüchtigen zu bestimmen.
Poppelreuter (1997) unterscheidet vier Typen von Arbeitssüchtigen:

der entscheidungsunsichere Arbeitssüchtige erlebt oftmals einen Arbeitsstau
und neigt dazu, aufgrund einer mangelnden Entscheidungsfähigkeit für einen
Lösungsweg
mehr
als
notwendig
zu
tun.
Er
weist
wenig
Arbeitssuchtmerkmale auf, im Vergleich zu Nicht-Arbeitssüchtigen zeigen
sich jedoch Unterschiede im Freizeiterleben, der Zentralität der Arbeit und
den perfektionistischen Ansprüchen.

der überfordert- zwanghafte Arbeitssüchtige hat einen ausgeprägten Hang
zum Perfektionismus und leidet unter Entscheidungsschwierigkeiten, Angst
und Überforderungsgefühlen. Dies hindert ihn daran, effektiv zu arbeiten.
Die Arbeit hilft ihm, negative Gefühle und Sozialkontakte zu verdrängen.

der verbissene Arbeitssüchtige kann sich in seine Arbeit vertiefen, bis diese
gelöst ist. Er weist einen rücksichtslosen Arbeitsstil auf, weil er seine
Überzeugungen bedingungslos durchsetzen will. Er lehnt es kategorisch ab,
Verantwortung oder Arbeit zu delegieren.

Der überfordert- unflexible Arbeitssüchtige ist nicht in der Lage, flexibel auf
verschiedene Ansprüche und Anforderungen zu reagieren, und ist deshalb
schnell durch seine Arbeit überfordert. Durch exzessives Arbeiten,
6
Persönlichkeitsfaktor, der das Risiko einer koronaren Herzerkrankung erhöht. Typ A-Menschen
zeichnen sich durch extremes Konkurrenzverhalten, Aggressivität, Ungeduld, große Hast und
Feindseligkeit aus.
Arbeitssucht
25
Kontrollieren und Perfektionismus versucht der Betroffene, die Angst vor
den Anforderungen zu unterdrücken. Aufgrund seiner gedanklichen
Vereinnahmung durch die Arbeit löst Untätigkeit bei ihm Schuldgefühle aus.
Nach Gross (2003) sind die von Poppelreuter entwickelten Kategorien allerdings nicht
trennscharf.
König (1998) und Berger (2000) beschreiben in Anlehnung an Rohrlich (1984) folgende
für eine Arbeitssucht gefährdete Arbeitsstile:

der egozentrisch-narzisstische Arbeitsstil - Suche nach anerkennender
Aufmerksamkeit, Überwertung der eigenen Leistungen bei gleichzeitiger
Abwertung der Leistungen anderer.

der einsam-schizoide Arbeitsstil - starke Sachlichkeit, misstrauische
Wachheit und mangelndes Einfühlungsvermögen gegenüber Kollegen.

der abhängig-depressive Arbeitsstil - Konflikt vermeidend, Harmonie
bedürftig, Angst vor Zurückweisung
und mangelnde Abgrenzungs- und
Einforderungsfähigkeit. Oft findet sich dieser Arbeitsstil in helfenden
Tätigkeiten.

der
kontrolliert-zwanghafte
Arbeitsstil
-
Disziplin,
Pünktlichkeit,
Selbstbeherrschung und mangelnde Spontanität und Impulsivität. Neue
Ideen werden aufgrund eines überbewerteten Sicherheitsbedürfnisses und
Sorge vor Kontrollverlust vermieden.

der wetteifernd-rivalisierende Arbeitsstil - Drang nach einer möglichst
effektvollen Darstellung der Arbeitsergebnisse, um sich Respekt zu
verschaffen. Im Arbeitsalltag bedeutet dies, Kollegen oft als Konkurrenten
zu erleben und bei Arbeitsprojekten nur anfänglich eine hohe Begeisterung
zu zeigen, da ein mangelndes Durchhaltevermögen vorherrscht.
Gemeinsam ist allen formulierten Typen die Unfähigkeit das Leben ohne ein Übermaß an
Arbeit genießen zu können (Gross, 2003, Grüsser & Thalemann, 2006; Kleine, 2007;
Schwochow, 1997).
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass Arbeitsucht sich in unterschiedlichen
Erscheinungsformen äußert und verschiedenen Subgruppen zugeordnet werden kann.
Somit ist kein typisches Arbeitssuchtprofil erkennbar. Sie ist eher als ein Syndrom mit
unterschiedlich starken Ausprägungen oder auch Phasenverläufen verstehbar (Jungkurth,
2005; Poppelreuter, 2002; Robinson, 2000). Dennoch können sich Typologien für die
Praxis als nützlich erweisen, indem sie als Abgrenzung zwischen gesundem Vielarbeiten
und
pathologischem
Arbeitsverhalten
dienen,
sie
als
Grundlage
für
neue
Arbeitssucht
26
Interventionsmöglichkeiten hinzugezogen werden, oder, indem sie verdeutlichen, dass
eine einzelfallorientierte Vorgehensweise in Diagnostik und Therapie aufgrund der
Vielschichtigkeit des Störungsbildes unbedingt notwendig erscheint ( Breitsameter &
Reiners-Kröncke, 1997; Poppelreuter & Mierke, 2005; Poppelreuter & Windholz, 2001).
Gemäß Poppelreuter (1997) kann Arbeitssucht als sich stetig veränderndes Verhalten, bei
dem sich die Einstellungs- und Verhaltensmuster zunehmend auf die Arbeit fokussieren,
verstanden werden. Obwohl die individuellen Suchtverläufe von vielen Faktoren
abhängen, und es sich somit immer um einen spezifischen Einzelfall handelt
(Breitsameter & Reiners-Kröncke, 1997), finden sich in der Literatur unterschiedliche
Phasenmodelle der Arbeitssucht.
Schwochow (1997) unterscheidet in Anlehnung an die Psychologin Diane Fassel drei
Phasen einer Arbeitssuchterkrankung. Die erste Phase beschreibt er als frühes Stadium,
welches sich durch ständige Hetze und Geschäftigkeit, der Unfähigkeit, Aufgaben
abzulehnen, das ständige Denken an die Arbeit und die Überschätzung der eigenen
Fähigkeiten äußert. Im mittleren Stadium ist eine Zunahme anderer Süchte, die Abnahme
des sozialen Lebens und die Vernachlässigung von sozialen Beziehungen neben ersten
somatischen Erschöpfungserscheinungen und Phasen der Apathie festzustellen. Im
Endstadium treten schwere körperliche und psychische Krankheiten und ein Verlust vom
Emotionen und Moral auf.
Mentzel (1979, zitiert nach Städele, 2008) dagegen unterteilt den Arbeitssucht-Verlauf in
vier Phasen, die Prodromal- bzw. Einleitungsphase, die kritische Phase, die chronische
und die Endphase. In der Einleitungsphase wird die Arbeit durch den Betroffenen
zunehmend als Genuss erlebt, welches dazu beiträgt, dass dieser sein Arbeitspensum
erhöht. Die Gedanken beginnen verstärkt um die Arbeit zu kreisen und erste psychische
Probleme, wie Erschöpfungsgefühle, leichte Depressionen und Ängste treten auf. In der
zweiten Phase wird Arbeit zunehmend zur Flucht vor Konflikten missbraucht und erste
Kontrollverlusterlebnisse treten auf. In der chronischen Phase ist eine fortschreitende
Selbstzerstörung, bedingt durch ständiges Arbeiten, festzustellen. Die letzte und
Endphase zeichnet sich aus durch eine irreparabel geminderte Leistungsfähigkeit und
starke psychische und physische Symptome, die bis zum Tod führen können (Sandjaja,
2007; Städele, 2008; Voigt, 2006).
Der Verlauf der Arbeitssucht ist demnach nicht starr, sondern verläuft in Phasen mit
jeweiligen Merkmalen, wobei der Betroffene mit dem Übergang in die nächste Phase
zunehmend mehr Kontrolle über sein Verhalten verliert. Poppelreuter (2007) betont dabei
die Gefahr einer Vereinheitlichung des Krankheitsverlaufs, erkennt aber in den
Arbeitssucht
27
Verlaufsmodellen mit ihren beschriebenen Symptomen eine Orientierungshilfe für die
Praxis.
3.5
Ätiologie der Arbeitssucht
Zur Erklärung der Ursachen und Entstehung von Arbeitssucht können viele verschiedene
Erklärungsmodelle der unterschiedlichen psychologischen Schulen angeführt werden.
Allerdings liegt noch keine spezifische Arbeitssucht-Theorie vor (Voigt, 2006) und auch
nach Poppelreuter (2000) fehlt es noch an einer aussagekräftigen theoretischen
Auseinandersetzung
mit
der
Thematik
Arbeitssucht,
um
einen
ätiologischen
Erklärungsversuch davon ableiten zu können.
Vielmehr werden bis dato hauptsächlich Annahmen der allgemeinen Suchtforschung oder
der Alkoholismusforschung auf das Phänomen der Arbeitssucht übertragen, wobei eine
empirische Überprüfung bisher fehlt (Poppelreuter & Evers, 2000; Städele, 2008). „Die
Hintergründe der Arbeitssucht sind so vielfältig wie die Menschen, die darunter leiden“,
summiert Gross (2003, S.116) treffend.
Da in der vorliegenden Arbeit die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der
Ätiologie der Arbeitssucht eher eine untergeordnete Rolle spielt und vielmehr die
Häufigkeiten, Auswirkungen, Folgen und Zusammenhänge des arbeitssüchtigen
Verhaltens zentral sind, sollen hier die verschiedenen Erklärungsmodelle nur kurz
skizziert werden. Es wird dabei kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben.
Suchttheoretische Modelle erklären das Phänomen Arbeitssucht entweder aus der
medizinischen oder aus der psychologischen Sicht. Rein phänomenologisch betrachtet,
weisen
stoffungebundene
Süchte
ähnliche
Symptome
(z.B.
Zwanghaftigkeit,
Kontrollverlust, Entzugssymptome, Toleranzentwicklung etc.) wie substanzabhängige
Süchte auf 7, so dass Arbeitssucht als Suchtverhalten verstanden werden kann (Rohrlich,
1984; Städele, 2008).
Medizinische/neurobiologische
Erklärungsmodelle
gehen
bei
stoffungebundenen
Suchtformen davon aus, dass der Organismus selbst Suchtmittel, sogenannte
„körpereigene Endorphine“ (Gross, 2004, S.138), produziert, die zu Veränderungen des
Erlebens und Bewusstseins führen. D.h. nicht nur psychotrope, von außen zugeführte
Substanzen sondern auch Verhaltensweisen können durch körpereigene biochemische
Veränderungen einen psychotropen Effekt beim Menschen auslösen. Diese Endorphine,
7
Siehe dazu auch Kap. 2.3 und 3.4
Arbeitssucht
28
die zur Gruppe der endogenen Opiate gehören, verhelfen bei stoffungebundenen Formen
der Sucht zu massiven Rauscherlebnissen. Das Grundgefühl, die Stimmung und
Motivation eines Menschen, ist unter anderem abhängig von seiner Endorphinproduktion.
Die Endorphine gehören zu den Neurotransmittern, die die Aktivität der Neuronen im
Gehirn modulieren, indem sie durch die synaptische Übertragung Nervenzellen
stimulieren bzw. hemmen und somit elektrische Impulse übertragen (Gross, 2004;
Schandry, 2003; Städele, 2008). Dadurch beeinflussen sie nicht nur die Wahrnehmung
sondern auch die Gedanken und Gefühle des Menschen. Sie reduzieren die Schmerz- und
Stresswahrnehmung, verursachen Euphorie und beeinflussen das kardiovaskuläre System.
Endorphine werden auch als „Substrat des Glücks“ und als „hausgemachte Drogen“
(Gross, 2004, S.138) bezeichnet, da sie dem Morphium biochemisch sehr ähnlich sind
und durch den Körper selbst produziert werden. Die Gemeinsamkeit der Endorphine mit
den von außen zugeführten Opiaten besteht darin, dass sie auf die gleiche Weise im
limbischen System aufgenommen und verarbeitet werden. Dabei machen die Endorphine
grundsätzlich nicht süchtig, da sie nicht in regelmäßigen Abständen und vor allem in
Ausnahmesituationen wie bei Angstgefühlen ausgeschüttet und schnell wieder abgebaut
werden. Wird allerdings das auslösende Verhalten, die Aufregung ständig wiederholt,
kann dieses ein übersteigertes Verlangen danach auslösen (Gross, 2004).
Thalemann (2009) definiert das in verschiedenen Strukturen des menschlichen Gehirns
lokalisierte und für Lust-/Unlustgefühle bedeutsame Belohnungssystem als zentral für die
Suchtentstehung. Dieses wird durch die Botenstoffe Dopamin, Noradrenalin und
Serotonin sowie durch die körpereigenen Opiate moduliert, wobei sowohl Substanzen als
auch abhängige Verhaltensweisen in der Lage sind durch die Stimulation von
Dopaminrezeptoren im Nucleus accumbens ein Glücksgefühl hervorzurufen, welches
einem natürlichen Belohnungsprozess im Gehirn nahekommt (Grüsser & Thalemann,
2006;
Thalemann,
Verhaltensweisen
2009).
kommt
Nach
es
mehrfacher
zu
einer
Durchführung
Sensitivierung
der
des
belohnenden
dopaminergen
Belohnungssystems, „wobei sich die Veränderungen sowohl neurobiochemisch als auch
im Verhalten manifestieren und so das langfristige morphologische Korrelat von
Verlangen (Craving) und Rückfall bilden“ (Thalemann, 2009, S. 11).
Durch die Sensitivierung des zentralen dopaminergen verhaltensverstärkenden Systems
wird eine konditionierte Aufmerksamkeitszuwendung gegenüber den Verhaltensassoziierten
Reizen ausgelöst (Grüsser & Rosemeier, 2004). Die durch diesen
Attributionsvorgang
ausgelöste
sogenannte
Anreizhervorhebung
gegenüber
arbeitsrelevanten Stimuli stellt eine eigene Komponente der Motivation und Verstärkung
dar.
Die
Möglichkeit
der
Selbststimulation
durch
Ausführen
bestimmter
Verhaltensweisen, welche entsprechende vom Menschen positiv erlebte biochemische
Arbeitssucht
29
Prozesse auslösen, führt dazu, dass dieses Arbeitsverhalten vermehrt ausgeführt wird
(Poppelreuter, 2007; Städele, 2008). Die Erinnerung an die positive Wirkung des
durchgeführten
Verhaltens
gilt
als
zentraler
Motivator
für
eine
erneute
Verhaltensdurchführung (Thalemann, 2009). Der Attributionsvorgang läuft dabei
wahrscheinlich unbewusst ab und führt unter anderem zur Bildung eines so genannten
impliziten Gedächtnisses, das der bewussten Verarbeitung nicht zugänglich ist (Grüsser
& Rosemeier, 2004). Thalemann (2009) beschreibt weiterhin, dass im Laufe der
Suchtentwicklung das belohnende Verhalten immer mehr die Funktion der inadäquaten
Stressbewältigung übernimmt und somit dysfunktional eingesetzt wird, um ein
Wohlbefinden sicherzustellen. Das süchtige Verhalten ist das einzige noch wirkungsvolle
Verhalten und dient damit der Selbstmedikation und der Wiederherstellung der
Homöostase (Grüsser & Thalemann, 2006).
Die psychologische Perspektive der suchttheoretischen Modelle ist inhaltlich eng mit den
lerntheoretischen Ansätzen verbunden. Hierbei entsteht Sucht aufgrund der positiven
Effekte eines Verhaltens unter Ausblendung möglicher negativer Langzeiteffekte
(Jungkurth, 2005; Städele, 2008). Der Betroffene fokussiert sich auf die Wahrnehmung
der positiven Auswirkungen seines Verhaltens, wie z.B. die erreichte soziale
Anerkennung oder aber auch den vermiedenen Konflikt (Poppelreuter, 2007).
Verhaltens- und lerntheoretische Erklärungsmodelle von arbeitssüchtigem Verhalten
gehen davon aus, dass sich jedes Verhalten, inklusive des pathogenen Arbeitsverhaltens,
auf der Basis allgemeiner Lerngesetze entwickelt, aufbaut, erhält und/oder verändert.
Sowohl süchtiges, als auch normales Arbeitsverhalten kommt durch lerntheoretische
Prozesse zustande, wobei sie lediglich verschieden verlaufen. Dabei ist die Entstehung als
auch der Erhalt der spezifischen Verhaltensweisen durch Lernen am Modell oder durch
verstärkende und belohnende Prozesse bedingt.
Eine Verstärkung stellt einen Reiz dar, die einer Reaktion folgt und somit die
Wahrscheinlichkeit des Verhalten erhöht. Dadurch werden ursprünglich neutrale Reize
mit der Reaktionswirkung assoziiert und als konditionierte Reize (CS) lösen diese das
Verlangen nach dem süchtigen Arbeitsverhalten, als konditionierte Reaktion (CR) aus
(klassische Konditionierung). Dies motiviert schließlich zur weiteren Arbeitstätigkeit
(Grüsser & Rosemeier, 2004; Thalemann, 2009). Die über klassische und operante
Konditionierung erworbene Sensitivierung des Belohnungssystems führt zu einer
konditionierten
Aufmerksamkeit
gegenüber
Reizen,
die
mit
dem
exzessiven
Arbeitsverhalten assoziiert werden. Der Betroffene wird sozusagen anfällig für die beim
Suchtverhalten relevanten Hinweisreize, welches z.B. das Phänomen der Rückfälligkeit
erklärt (Grüsser & Rosemeier, 2004; Städele, 2008).
Arbeitssucht
30
Poppelreuter (2002) beschreibt, dass Arbeitssüchtige oftmals schon in frühester Kindheit
mit Verhaltensmustern und Einstellungen konfrontiert werden, die eine enge Beziehung
zwischen Leistung und Produktivität aufweisen. Zeigt das Kind entsprechend
produktives, also gewünschtes Verhalten wird es belohnt, d.h. das gezeigte Verhalten
positiv verstärkt (operante Konditionierung). Arbeitssüchtiges Verhalten entsteht
demnach dadurch, dass ein gezeigtes Verhalten fortführend wiederholt wird, wenn seine
Folgen erwünscht sind und zu Wohlbefinden führen (Poppelreuter, 2007). Aber nicht nur
Belohnungen, sondern auch der Wegfall von Bestrafung oder unangenehmen Gefühlen,
kann als negative Verstärkung wirken, ein Verhalten aufrechterhalten und somit
ursächlich sein. Die Arbeit wird dann als Fluchtmittel genutzt, um z.B. eine
Auseinandersetzung mit Problemsituationen, eigenen Schwächen und Ängsten und
unangenehmen Gefühlen zu vermeiden und/oder sein Selbstwertgefühl zu stärken
(Grüsser & Thalemann, 2006; Poppelreuter, 2002; Städele, 2008; Thalemann, 2009).
Auch nach Gross (2003) benutzt der Arbeitssüchtige seine Arbeit zum Zweck der Flucht
vor Konflikten oder eigener innerer Leere. Je weniger der Betroffene über alternative
Belohnungsquellen verfügt, wie z.B. eine harmonische Beziehung, abwechselungsreiche
Freizeit etc. desto mehr wird die Arbeit/das exzessive Verhalten als Quelle der
Befriedigung relevant. Arbeitssüchtige haben dabei im Rahmen ihrer Lerngeschichte
keine
positiv
bewerteten
alternativen
Verhaltensmuster
als
Copingstrategien
kennengelernt (Poppelreuter, 2002).
Das Modelllernen stellt einen Lernprozess dar, der das menschliche Verhalten von
Kindheit an maßgeblich prägt. Auch Mentzel (1979, zitiert nach Rentrop, 1989) sieht die
ausgeprägte Identifikation mit einem besonders tüchtigen Elternteil als ursächlich für die
Entwicklung einer Arbeitsstörung. „Sozialisation erfolgt durch Anleitung und
Anforderung, Information und Belehrung, durch Beobachtung und Nachahmung von
Vorbildern, durch Strafen und Belohnungen“ (Montada, 2002, S. 39). Primäre
Bezugspersonen, wie Eltern, Freunde, aber auch Schule und Medien beeinflussen von
Kindheit an im wesentlichen Ausmaß die individuelle Persönlichkeitsentwicklung des
Kindes (Voigt, 2006). Im Fall von Arbeitssüchtigen wird angenommen, dass diese bereits
ab frühester Kindheit Verhaltensweisen und Einstellungen gelernt haben, die in enger
Beziehung zu Leistung und Produktivität stehen (Poppelreuter & Windholz, 2005). Aus
verhaltenstheoretischer Sicht wird Arbeitssucht somit einerseits von langfristigen,
individuell-biographischen
und
durch
Konditionierungsprozesse
erworbenen
Bedingungen (Werte, Einstellungen, genetische Dispositionen etc.), andererseits durch
nachfolgende Bedingungen/ Konsequenzen (soziale Anerkennung, Reduktion negativer
Gefühle etc.) als Verstärker des Verhaltens geprägt (Poppelreuters & Evers, 2000).
Arbeitssucht
31
Bei den psychoanalytischen Erklärungsmodellen der Arbeitssucht ist laut Poppelreuter
(2002) kein einheitliches und ausschließliches Erklärungsmodell identifizierbar. Vielmehr
zeigen sich unterschiedliche theoretische Ansätze zur Suchtproblematik.
Besonders bedeutend ist dabei die Narzissmustheorie, die davon ausgeht, dass es dem
Betroffenen nicht genügend gelungen ist, sein Selbst bis hin zu einer stabilen Identität zu
entwickeln, so dass er in seinem grandiosen Selbst verhaftet bleibt. Das Arbeitsverhalten
dient dazu, das krankhaft übersteigerte Erleben eigener Großartigkeit aufrecht zu
erhalten, wobei beruflicher Erfolg als Beweis für die eigenen Genialität und die
besonderen eigenen Fähigkeiten bewertet wird. Damit dient das übersteigerte Selbstbild
als Selbstschutz, da es den Betroffenen gegenüber als frustrierend und feindlich erlebten
Umwelt abschirmt (Poppelreuter, 2007; Städele, 2008; Weimar et al., 2009). Die Sucht ist
damit das Ergebnis eines Defektes in der Persönlichkeitsstruktur (Poppelreuter, 1997).
Familiendynamische und systemtheoretische Erklärungsmodelle sehen das Verhaltensund Interaktionsmuster der Betroffenen in ihrer Kindheit und in den Wurzeln der
Ursprungsfamilie begründet (Poppelreuter & Evers, 2000). „Arbeitssucht wird als
Symptom eines gestörten Familiensystems in der Kindheit betrachtet, das später in der
eigenen Familie fortgesetzt wird und sich auf die eigenen Kinder überträgt“
(Poppelreuter, 2002). Ist in einer Familie ein Mitglied arbeitssüchtig, so werden
gegenüber den Kindern häufig unrealistisch hohe Ansprüche formuliert und
Wertschätzung nur in Verbindung mit Leistung formuliert. Die perfektionistischen
Ansprüche des Elternteils und die emotionale Distanz übertragen sich somit auf die
Kinder, welche meist unter Minderwertigkeitsgefühlen und Versagensängsten leiden, da
sie stets den Ansprüchen der Eltern nicht ausreichend genügen können und Zuneigung nie
vorbehaltlos gewährt wird (Wolf & Meins, 2004). Die Kinder versuchen dann mit
Leistung ihre Versagensängste zu kompensieren (Poppelreuter, 2002; Machlowitz, 1976,
zitiert nach Rentrop, 1989). Somit entwickeln die Kinder ebenso eine perfektionistische
Haltung, die sich in Überzeugungen und Gewohnheiten widerspiegelt, die häufig
unbewusst am Arbeitsplatz weiter praktiziert werden (Poppelreuter, 2002).
Persönlichkeitsorientierte Ansätze gehen davon aus, dass bei Arbeitssüchtigen eine
spezifische Konstellation stabiler Persönlichkeitsmerkmale vorliegt, die eine Entwicklung
arbeitssüchtigen Verhalten begünstigt (Poppelreuter, 2007). Laut König (1998) gehört
dabei zu jeder Charakterstruktur ein bestimmter Arbeitsstil, wobei dieser sich je nach
Aufgabe und Arbeitskontext als förderlich oder auch als hinderlich erweisen kann. Die
persönlichkeitsorientierten Ansätze beschreiben vermehrt eine für die Suchtentstehung
prädisponierende Suchtpersönlichkeit, die Gross (2003) mit Merkmalen wie starke
Arbeitssucht
32
gefühlsmäßige Labilität, geringe emotionale Integration, Stimmungslabilität, depressive
Grundstruktur,
geringe
Selbstachtung,
hohes
persönliches
Anspruchsniveau,
Wettbewerbsorientierung und Suche nach veränderten Gefühls- und Bewusstseinszustand
definiert. Poppelreuter (2007) und Weimar et al. (2009) kritisieren, dass diese Ansätze
meist willkürlich Persönlichkeitsmerkmale beschreiben, ohne theoretisch und empirisch
fundierte Erklärungsmodelle zu liefern.
Bei den kognitiven Erklärungsansätzen spielen für die Entwicklung einer Arbeitssucht
die speziellen intraindividuellen Strukturen und Schemata des Betroffenen eine zentrale
Rolle. Diese individuellen Schemata, wie eine geringe Selbstwirksamkeit, hohe
Wirkungserwartungen, dysfunktionale Grundannahmen, erlaubniserteilende Annahmen,
Kausalattributionen und Entscheidungsprozesse (Thalemann, 2009) bestimmen sowohl
die Affekte, die kognitive Weltansicht und auch das Verhalten des Menschen und führen
zu kausalen Verhaltensmustern und automatischen Gedankenmustern (Jungkurth, 2005).
„Jedes gezeigte Verhalten ist dabei das Ergebnis eines Entscheidungsprozesses.“
(Thalemann, 2009, S. 8) Bei Arbeitssüchtigen können Kognitionen wie „ohne Fleiß kein
Preis“ und perfektionistische Selbstkonzepte vorherrschen, die dazu führen, dass die
Betroffenen ihre Identität vorwiegend über ihre Arbeit definieren (Poppelreuter, 2007;
Robinson, 2000; Rössner, 2004; Städele, 2008). Problematisch werden derartige
Grundeinstellungen, wenn sie „immer handlungsrelevanter werden und letztlich zu
eindimensionalen Sichtweisen und Reaktionsmustern führen“ (Poppelreuter, 2007, S.
178).
Integrative Erklärungsmodelle beschreiben in ihren Theorien zusammenfassend eine
Vielzahl der dargestellten Erklärungsansätze. Beispielhaft kann auf das Modell von Ng,
Sorensen und Feldmann (2007) verwiesen werden, welches drei Ebenen - die
Vorbedingungen, die Arbeitssuchtdimensionen und die Folgen - formuliert. Dabei sind
insbesondere
die
Vorbedingungen,
d.h.
die
Dispositionen
(Selbstwertgefühl,
leistungsorientierte Werte), die sozio-kulturellen Erfahrungen (Familienerfahrungen etc.)
und
die
eigene
Lerngeschichte
des
Betroffenen
für
die
Entwicklung
einer
Arbeitssuchtproblematik relevant. Diese haben Auswirkungen auf affektiver, kognitiver
und behavioraler Ebene und können zur Ausprägung eines exzessiven Arbeitsverhaltens
führen.
Weitere Ansätze sehen z.B. in Arbeitssucht die Folge eines individuellen Traumas
(Heide, 2003) oder titulieren „Arbeitssucht als Massenphänomen“ (Heide, 2003, S.43), da
die Unternehmer die Arbeitnehmer direkt mit dem Marktzwang konfrontieren und damit
Arbeitssucht
33
die Verantwortung für die Arbeitsverhältnisse oftmals an die Arbeitnehmer abgeben. Dies
erhöht den individuellen Zwang zur Erzielung von Profit. Auch Fassel (1991, zitiert nach
Matthey, 2011) spricht von arbeitssuchtfördernden Organisationen und sieht damit die
Ursache für Arbeitssucht auch in den Arbeitsbedingungen und den Unternehmen selbst
begründet. Insbesondere die drohende Angst vor einem Arbeitsplatzverlust führt dazu,
dass die Angestellten sich den arbeitssuchtfördernden Strukturen unterwerfen. Matthey
(2011) sieht eine Gefahr durch die neuen Kommunikationsmittel wie Handys, E-Mails,
etc., da das Arbeitsverhalten zunehmend entgrenzt stattfindet. Gross (2003) betont
ergänzend eine gesellschaftliche Verantwortung für Arbeitssucht, die er in der hohen
gesellschaftlichen Anerkennung von arbeitssüchtigem Verhalten sieht.
Schwochow (1997) und Schneider (2001) sehen die Ursache einer Arbeitssucht
berufsspezifisch bedingt. Insbesondere Berufe, in denen sich Menschen sehr stark mit
ihrer Arbeit identifizieren (Ärzte, Pfarrer, etc.) und somit idealistische Arbeitsziele
verfolgen, deren Arbeitszeit nicht genau festgelegt ist, sind besonders für die Entwicklung
einer Arbeitssucht prädestiniert.
Grundsätzlich ist anzumerken, dass alle hier aufgeführten Erklärungsansätze Teilaspekte
der Arbeitssucht nur theoretisch beleuchten und weiterer empirischer Überprüfung
bedürfen. Dabei ist in Anlehnung an das Konzept der Multikonditionalität8 nach Gross
(2003) die individuelle Konstellation der Bedingungsfaktoren zur Erklärung der
Entwicklung einer Arbeitssucht am besten geeignet.
3.6
Folgen der Arbeitssucht
Die Folgen einer Arbeitssucht können vielfältiger Art sein und reichen von
gesundheitlichen, über sozialen bis hin zu wirtschaftlichen Problemen, wobei die
spürbaren Auswirkungen erst nach Jahren oder Jahrzehnten auftreten können
(Breitsameter & Reiners-Kröncke, 1997; Kleine, 2007; Städele & Poppelreuter, 2009).
Arbeitssucht kann nicht als individuelles Problem verstanden werden, sie hat
Auswirkungen auf das gesamte soziale Netzwerk der Betroffenen, wie Familie, Freunde,
Bekannte, Arbeitgeber und Kollegen (Fassel, 1991).
Städele und Poppelreuter (2009) verdeutlichen anhand eines übergreifenden Modells (vgl.
Abbildung 3-1), in Anlehnung an die Autoren Piotrowski und Vodanovich (2006), die
8
Siehe dazu auch Kap.2.2
Arbeitssucht
34
zahlreichen Auswirkungen einer Arbeitssucht auf der individuellen, familiären und
Arbeitsebene.
Abbildung 3-1 Die Entwicklung von Arbeitssucht und ihre Folgen für das Individuum, seine
Familie und Arbeitgeber (Städele & Poppelreuter, 2009, in Anlehnung an Piotrowski und
Vodanovich 2006)
Arbeitssucht ist als eine Mehrzahl von progressiven, maladaptiven Verhaltensweisen zu
verstehen. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass zwischen dem betroffenen
Individuum und seiner Familie und Arbeit zahlreiche, intensive Wechselwirkungen
bestehen, werden arbeitssüchtige Verhaltenweisen dann problematisch, wenn die Arbeit
als primäre Quelle für Verstärkungen gilt und damit höchste Priorität für den Betroffenen
genießt.
Der Kontrollverlust (Berger, 2000) und die „Unfähigkeit, sich von der Arbeit zu
distanzieren, führt zu einer Loslösung bzw. Entfremdung von der Familie und vom
sozialen Netzwerk“ (Städele & Poppelreuter, 2009, S. 153). Es kommt zu Problemen im
familiären Umfeld, wobei Gross (2003) und Sandjaja (2007) betonen, dass die Partner
und Kinder unter den Einstellungs- und Verhaltensmustern ihrer arbeitssüchtigen
Angehörigen wie Desinteresse, mangelnde Verfügbarkeit und Verantwortungsübernahme
besonders leiden. Rentrop (1989) und Robinson (2000) beschreiben, dass diese oftmals
ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse denen der Arbeitssüchtigen unterordnen und co-
Arbeitssucht
35
abhängiges Verhalten9 aufweisen. „In der Regel hat der Arbeitssüchtige sein gesamtes
Umfeld, seine sozialen Beziehungen, sein Freizeitverhalten um die Arbeit herum
organisiert.“ (Berger, 2000, S.94) Städele und Poppelreuter (2009), sowie Grüsser und
Thalemann (2006) beschreiben als negative Auswirkungen im sozialen Bereich
ineffektive Problemlöse- und Kommunikationsfähigkeiten, eine geringe affektive
Einbindung, emotionale Distanz, Affektlosigkeit gegenüber den Gefühlen anderer,
unklare Familienrollen, Partnerschaftskonflikte, abnehmenden Geschlechtsverkehr,
Scheidungen und vergessene Freundschaften.
Im Arbeitskontext weisen Arbeitssüchtige eine geringe Delegationsfähigkeit, mangelnde
Teamkompetenz, geringe Kreativität und mangelnde Bereitschaft auf, sich an
Arbeitsteilungen und Kompetenzzuweisungen zu halten und im Team zu arbeiten. Dies
führt dazu, dass Arbeitssüchtige in ihrer Aufgabenerfüllung beeinträchtigt sind und eine
geringe Leistungsfähigkeit aufweisen, gleichzeitig aber davon ausgehen, dass sie alles
besser als Kollegen und Vorgesetzte können (Poppelreuter, 1997, Robinson, 2000). Auch
Fassel (1991) und Schneider (2001) betonen die Nachteile von arbeitssüchtigen
Angestellten, da ihre Arbeit oftmals Fehler beinhaltet, die zeitliche, emotionale,
finanzielle und hohe volkswirtschaftliche Kosten und eine verringerte Produktivität nach
sich ziehen. Perfektionismus, Pedanterie und Streitigkeiten über das genaue Einhalten
von Regeln und Kompetenzbereichen führen zu Problemen mit Kollegen und zu
Schwierigkeiten im Umgang mit der Arbeitszeit (Berger, 2000). Hinzu kommen
krankheitsbedingte Ausfallzeiten, längere Arbeitsunfähigkeit oder sogar Frühinvalidität
(Bühler & Schneider, 2002; Meißner, 2005; Voigt, 2006; Wolf & Meins, 2004).
Auch die psychische und physische Gesundheit des Individuums und Betroffenen leidet
(vgl. Abbildung 3-2).
9
Co-Abhängigkeit wird nach Fengler (2002) bezeichnet als „Haltungen, Verhaltensweisen und
Status von Personen, Gruppen und Institutionen, die durch Tun und Unterlassen dazu beitragen,
dass der süchtige oder suchtgefährdete Mensch süchtig oder suchtgefährdet bleibt“ (S. 100). Zum
Beispiel stellt sich die gesamte Familie auf die Suchterkrankung des betroffenen Familienmitglieds
ein und stellt Regeln für innerfamiliäre Umgangsformen auf, um dem Suchtkranken zu helfen,
wobei das Gegenteil erzielt wird (Voigt, 2006).
Arbeitssucht
36
Abbildung 3-2 Stadienverlauf der Arbeitssucht ( Bühler & Schneider, 2002, in Anlehnung an
Fassel, 1991)
Mentzel (1979, zitiert nach Städele & Poppelreuter, 2009) bezeichnet Arbeitssucht als
progrediente Erkrankung, die über psychovegetative Beschwerden bis hin zu starken
psychosomatischen Störungen, welche bis zur Leistungsunfähigkeit oder gar bis zum
frühzeitigen Tod führen können, reichen kann. Im Endstadium der Sucht können sich die
psychischen und physischen Symptome derart verschlimmern, dass z.B. durch einen
Hirn- oder Herzschlag der Betroffene an Überarbeitung stirbt. In Japan wird diese
Todesursache, bedingt durch Überarbeitung als Karoshi bezeichnet (Dieckmann, 2007).
Rentrop (1989) und Cox (1982, zitiert nach Schneider, 2001) sehen die BurnoutErkrankung als relevanteste Folgererkrankung einer Arbeitssucht. Arbeitssüchtige weisen
eine generell geringere Zufriedenheit mit den verschiedensten Aspekten ihres Lebens
(Arbeit, Karriere, Familie, soziales Umfeld, Gesundheit) auf und berichten in stärkerem
Maße von psychosomatischen Symptomen (Poppelreuter, 1997; Städele, 2008).
„Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Arbeitssucht massive physische und psychische
Schäden hervorrufen kann, zu sozialer Isolation … führt, die Produktivität und
Effektivität einschränkt und der Allgemeinheit schadet.“ (Breitsameter & ReinersKröncke, 1997)
Arbeitssucht
37
Da es sich bei Arbeitssucht um eine Krankheit mit schwerwiegenden gesundheitlichen,
psychischen und sozialen Folgen handelt, sind Interventions- und Präventionsmaßnahmen
von erheblicher klinischer, als auch von gesellschaftlicher Bedeutung. Da aber eine
dauerhafte Abstinenz vom Arbeiten unmöglich ist, aus Gründen der Existenzsicherung
und des menschlichen Grundbedürfnisses (Poppelreuter, 1997; Voigt, 2006), kann eine
therapeutische Behandlung nur einen kontrollierten und maßvollen Umgang mit Arbeit
als Ziel verfolgen (Gross, 2003; Meißner, 2005, Schwochow, 1997).
Aufgrund des begrenzten Umfangs der vorliegenden Arbeit wird im Folgenden leider auf
die Darstellung der Behandlungs- und Therapiemöglichkeiten verzichtet.
Abschließend kann zusammengefasst werden, dass insbesondere die mangelnde
Wahrnehmung des süchtigen Verhaltens als Gefahr zu formulieren ist. Die hohe
gesellschaftliche Anerkennung von Arbeit und die damit einhergehende mangelnde
Erkenntnis von Arbeit und Sucht als pathogen relevante Symptomatik und die meist
zeitlich stark verzögert auftretenden Folgen der Arbeitssucht verhindern eine zeitnahe
notwendige Intervention. Mangelnde Definitionen und einheitliche wissenschaftliche
Abgrenzungen des Arbeitssuchtbegriffes, fehlende eindeutige Diagnosemöglichkeiten
und
die
mangelnde
Klassifikationssystemen
Berücksichtigung
haben
zusätzlich
von
zur
Arbeitssucht
Folge,
dass
in
den
gängigen
Arbeitssucht
im
Krankheitssystem kaum erscheint.
Somit können die weitreichende Folgen eines arbeitssüchtigen Verhaltens, die nicht nur
die Betroffenen beeinträchtigen, sondern auch ihr gesamtes soziales Umfeld, den
Arbeitgeber und die Gesellschaft, nicht frühzeitig präventiv verhindert oder therapeutisch
behandelt werden.
Arbeitssucht in helfenden Berufen
38
4 Arbeitssucht in helfenden Berufen
In den vorherigen Kapiteln10 wurde dargestellt, dass sowohl bei der Entwicklung, als auch
beim Verlauf eines arbeitssüchtigen Verhaltens das soziale Umfeld, die Normen der
Leistungsgesellschaft,
die
eigene
Erziehung, der
Umgang
mit
Personen
mit
Modellfunktion und das Arbeitsumfeld starken Einfluss auf den Betroffenen ausüben.
Das pathogene Verhalten wird akzeptiert, wertgeschätzt und somit der Arbeitssüchtige in
seiner Sucht bestärkt.
Daher wird es auch erforderlich sein, das Umfeld von Berufstätigen aus dem helfenden
Dienstleistungssektor zu untersuchen und die spezifischen Arbeitssituationen und bedingungen, die individuellen Motive der Helfer, die gesellschaftliche Wertschätzung
ihrer Arbeit und deren Zusammenhang zu ihrem Arbeitsverhalten zu eruieren. Im weitern
Verlauf dieser Studie soll untersucht werden, in welchem Ausmaß Arbeitssucht im
helfenden Dienstleistungssektor verbreitet ist und, ob die helfenden Berufsfelder
möglicherweise einen „idealen“ Nährboden für arbeitssüchtiges Verhalten darstellen.
4.1
Definition von helfenden Berufen
Helfende Berufe sind solche Berufe, in denen Menschen gepflegt, behandelt, beraten oder
betreut werden (Marquard, Runde & Westphal, 1993). „Unter Helferinnen und Helfern
verstehe ich alle Personen, die sich im Haupt-, Neben- oder Ehrenamt anderen Menschen
unterstützend, beratend, erziehend, therapeutisch, pflegend, lehrend und versorgend
widmen.“ (Fengler, 2001, S. 13) Fengler (2001) umfasst dabei neben den professionellen
Helfern auch informelle Helfer, mit denen Menschen in Not über ihre Sorgen reden.
Dieser umfassenden Definition wird in der vorliegenden Studie nicht gefolgt, sondern
ausschließlich professionelle, d.h. ausgebildete Helfer als Bestandteil der helfenden
Berufe definiert.
Der Ausdruck Patient11 wird sehr weit gefasst: er impliziert alle Individuen, die
Auftraggeber oder Leistungsempfänger spezifischer Dienstleistungsträger sind (Krämer,
2011).
10
11
Siehe dazu auch Kap. 3.5 und 3.6
Aus Gründen der vereinfachten Lesbarkeit wird im Folgenden einheitlich die Bezeichnung
"Patient" genutzt, welches synonym für Klient, Kunde, Kind etc. verwendet wird.
Arbeitssucht in helfenden Berufen
39
Es ist zu konstatieren, dass es in der Literatur an einer anerkannten Definition der
„helfenden Berufe“ mangelt. Es werden meist nur helfende Berufe beispielhaft aufgelistet
oder die verschiedenen Arbeitsfelder beschrieben (Burisch, 2006; Enzmann & Kleiber,
1989; Hoffman et al., 2005; Krämer, 2011; Marquard et al, 1993).
So sehen Fengler (2001), Hoffman, Küng und Leuenberger (2005) und Marquard et al.
(1993) folgende Berufe als helfende12: Arzt, Notarzt, Krankenpfleger, Rettungssanitäter,
Sozialarbeiter, Suchtberater, Altenpfleger, Psychotherapeut, Psychologe, Ergotherapeut,
Heilerziehungspfleger, Sozialpädagoge, Erzieher, Lehrer, Polizist, Seelsorger. Es wird
aber angemerkt, dass diese Aufzählung nicht abschließend ist. Fengler (2001) betont, dass
in
vielen
Forschungsarbeiten
eine
Spezifizierung
der
befragten
Helfer
nach
Berufsgruppen nicht erfolgt, da die Masse an unterschiedlichen Berufsbezeichnungen
dies verhindert.
Die unterschiedlichen Berufe zeigen sich in differenzierten Arbeitsfeldern. Diese reichen
inhaltlich über Prävention, Beratung bis hin zu Therapie. Typische Arbeitsfelder stellen
alle medizinischen Arbeitsfelder, Gesundheits- und Rehabilitationsbereiche, Krankenund Altenpflege, Sozialarbeit, Suchtarbeit, Behindertenhilfe, Kinder- und Jugendarbeit,
Frauenarbeit, Bildungsarbeit, Altenarbeit und Seelsorge dar (Reiners-Kröncke, Röhrig &
Specht, 2010). Lediglich Reiners-Kröncke et al. (2010) spezifizieren dabei die
Funktionen von helfenden Berufen, welche neben dem Dienst am Patienten auch der
Gesellschaft dienen, durch Behebung von Missständen zur Stabilisierung beitragen,
soziale Probleme aufdecken und an der Realisierung und Durchsetzung der Grundrechte
eines menschenwürdigen Lebens arbeiten.
Helfende Berufe werden den personenbezogenen/sozialen Dienstleistungen zugeordnet
(Finis Siegler, 1997; Marquard et al., 1993), welche meist im karitativen, Bildungs- oder
Gesundheitsbereich zu finden sind, oftmals von Nonprofit-Organisationen13 angeboten
und hauptsächlich öffentlich, im Sinne eines Kollektivgutes, bereitgestellt werden. Ein
zentrales Merkmal dieser Dienstleistungen ist das uno-actu-Prinzip. Im Gegensatz zur
Sachleistung fallen Produktion und Konsum zeitlich zusammen. Damit ist eine
12
Aus Gründen der vereinfachten Lesbarkeit wird im Folgenden einheitlich die männliche Form
der helfenden Berufe verwendet. Natürlich sollen dabei auch die weiblichen Helferinnen
inbegriffen sein.
13
„Primäres Charakteristikum eines Nonprofit-Unternehmens ist das Fehlen der klassischen
Gewinnorientierung“ (Finis Siegler, 1997, S. 40).
Arbeitssucht in helfenden Berufen
40
Kundenpräsenz meist unerlässlich und der Kunde bzw. Patient wirkt als Mitproduzent
(Finis Siegler, 1997; Marquard et al., 1993).
Badura, Walter und Hehlmann (2010) betonen, dass es in hochentwickelten
Gesellschaften zu einer zunehmenden Bedeutung des Dienstleistungssektors und einer
Abwanderung der Beschäftigten aus der Güterproduktion kommt. „Zwischenmenschliche
Arbeit wird für große Teile der Wirtschaft immer wichtiger.“ (Badura et al., 2010, S. 16)
Dabei können die Auswirkungen dieser Entwicklung auf Gesundheit und Wohlbefinden
bisher aufgrund mangelnder sozialepidemiologischer Langzeitstudien kaum verlässlich
beurteilt werden (Badura et al., 2010).
Zur Erklärung und Beschreibung der berufsspezifischen Belastungen der helfenden
Berufe wird im Folgenden zwischen den individuellen, persönlichkeitszentrierten
Bedingungen14 und den sozial-, arbeits- und organisationsbezogenen Belastungen15
differenziert.
Aus Sicht der Systemtheoretiker wie z.B. Luhmann (2004) kann der helfende Beruf und
seine verschiedenen Berufsfelder als soziales System verstanden werden, das sich selbst
organisiert,
reproduziert,
seine
eigenen
Gesetzmäßigkeiten
hat,
seine
Handlungsstrukturen aus sich selbst heraus generiert, und in denen bestimmte
Rollenerwartungen vorherrschen, die die Helfer verinnerlichen und von diesen sozialisiert
werden.
Anhand dieser systemtheoretischen Ansätze kann überlegt werden, ob helfende Berufe
und ihre Arbeitsfelder arbeitssuchtfördernde Systeme darstellen, die durch ihre
bestimmten Arbeitsbedingungen, typischen Handlungsweisen und Rollenerwartungen
zur Entwicklung der Arbeitssucht bei Helfern beitragen.
4.2
Persönlichkeitszentrierte Bedingungen der helfenden
Berufe
Als individuelle und persönlichkeitszentrierte Bedingungen eines Helferberufes wird in
der Literatur der hohe Idealismus als prägnantestes Persönlichkeitsmerkmal des Helfers
tituliert (Burisch, 2006; Enzmann & Kleiber, 1989; Hoffman et al., 2005; Krämer, 2011;
Marquard et al, 1993; Reiners-Kröncke et al., 2010; Ruhwandl, 2009) Dieser Idealismus,
anderen Menschen helfen zu wollen (Nitzsche, Driller, Kowalski & Pfaff, 2010), kann zu
14
Siehe dazu Kap. 4.2
15
Siehe dazu Kap 4.3
Arbeitssucht in helfenden Berufen
41
einer hohen Arbeitsmotivation führen, bis hin zu einem „missionarischen Eifer“
(Edelwich & Brodsky, 1984; zitiert nach Reiners-Kröncke et al., 2010, S. 32).
Burisch (2006) beschreibt Helfer als oftmals zielstrebige Persönlichkeiten, die verführt
sind, Ziele so hoch zu stecken, dass diese entweder gar nicht oder nur mit
unverhältnismäßig hohem Energieeinsatz erreicht werden können. Infolgedessen
entspricht die erhaltene Belohnung vielfach nicht dem vorher betriebenen Aufwand. Der
ausgeprägte vorherrschende Idealismus birgt die Gefahr, unrealistische Erwartungen an
den Beruf zu formulieren, bei gleichzeitiger unangemessener Belohnungserwartung
(Freudenberger, 1981; zitiert nach Reiners –Kröncke et al., 2010; Köppl, 2006) und kann
zu einer erlebten Diskrepanz zwischen Helferideal und Wirklichkeit des Helfens führen
(Driller, 2008; Reiners-Kröncke et al., 2010). Cherniss (1980, zitiert nach Hoffman et al.,
2005) sieht die Ursache in dem in die Öffentlichkeit getragenen, verklärten Bild der
helfenden Berufe, dem „professionellen Mystizismus“ (Hoffmann et al., 2005, S. 39).
Gesellschaft und Politik erhofft sich von den Helfern die Lösung sämtlicher
gesellschaftlicher Probleme, was zu überhöhten Erwartungen auf Seiten der
Auftraggeber, der Helfer selbst und bei den Patienten führt.16 Insbesondere Helfer, die
Gefahr
laufen,
in
einen
Burnoutprozess
zu
geraten,
zeigen
vermehrt
eine
Überidentifikation mit den Bedürfnissen der Patienten, wobei es zu einer mangelnden
Wahrnehmung und Befriedigung der eigenen Bedürfnisse kommt. Edelwich & Brodsky
(1984; zitiert nach Reiners-Kröncke et al., 2010) sehen als Merkmale einer idealistischen
Begeisterung
des
Helfers
Selbstüberschätzung,
hochgesteckte
Ziele,
Omnipotenzphantasien, Optimismus, hohen Energieeinsatz und Überidentifikation mit
Patienten und Arbeit allgemein.
Driller (2008), Nitzsche et al. (2010) und Reissner (2008)
beschreiben weiter als
relevantes Persönlichkeitsmerkmal von Helfern deren internale Kontrollüberzeugung,
d.h. die Überzeugung, schwierige Herausforderungen oder hohe arbeitsbezogene Ziele
auch mit entsprechendem persönlichem Einsatz bewältigen zu können bzw. deren hohe
Selbstwirksamkeitserwartung, d.h. den Glauben in die eigene Fähigkeit Handlungen zu
organisieren und auszuführen und Probleme lösen zu können. „Glaubt das Individuum
daran, eine Situation effektiv in seinem Sinne verändern zu können, so wird es einen
höheren Aufwand betreiben, um das Ziel zu erreichen.“ (Reissner, 2008, S.65) Dies birgt
die Gefahr, dass äußere Umstände, wie z.B. bürokratische Hindernisse in ihrer
16
Sieh dazu Kap. 4.3
Arbeitssucht in helfenden Berufen
42
verhindernden Wirkung unterschätzt werden. Dabei sehen die Helfer die Gründe für
Misserfolge in sich selbst begründet und definieren diese als persönliche Misserfolge
(Driller, 2008; Poulsen, 2007).
Als weitere disponierende Persönlichkeitsmerkmale benennen Bergner (2010), Burisch
(2006), Driller (2008), Enzmann und Kleiber (1989) und Hoffmann et al. (2005) die
besondere Sensibilität für mitmenschliches Leiden, klientenzentrierte Orientierung,
labiles Selbstwertgefühl, hohe Erwartungen an sich selbst, Zwanghaftigkeit und hohe
Abhängigkeit von äußeren Bestätigungen.
Schmidbauer (2008) vermutet bei den Helfern in seiner Theorie des Helfersyndroms ein
unersättliches Bedürfnis nach Anerkennung als zentrales Hilfe-Motiv vermutet. Dieses
Bedürfnis, entstanden durch frühkindliche, primär narzißtische Störungen, versucht der
Helfer durch die Rolle des Hilfeleistenden und des Überlegenen zu befriedigen. Er
benötigt die Rolle des Gebenden, weil er selbst „tiefe Ängste vor eigener Abhängigkeit,
vor den eigenen, kindlichen Bedürfnissen nach Zuwendung und Bestätigung hat“
(Schmidbauer, 2008, S. 163).
Die durch den ausgeprägten Idealismus entwickelte hohe Arbeitsmotivation der Helfer
könnte eine Ursache für arbeitssüchtige Tendenzen in helfenden Berufen sein.
Gleichzeitig kann jedoch die erwünschte hohe Anerkennung in der Rolle des Helfers ein
Hinweis dafür sein, dass Menschen, die zur Arbeitssucht neigen, helfende Berufe als
anziehend erleben. Denn Arbeitssüchtige neigen zu einem schwach ausgeprägten
Selbstbewusstsein und versuchen ihre eigenen Identität und Selbstachtung über ihre
Arbeitstätigkeit zu erreichen (Schneider, 2001). Auch nach Gross (2003) steht hinter einer
Arbeitssucht eine Sucht nach Ehre und Anerkennung.
Dabei soll in dieser Studie untersucht werden, inwieweit ein Zusammenhang zwischen
hohen idealistischen Berufszielen und Arbeitssucht besteht und welche individuellen
Einstellungen Helfer aufweisen, die zu Arbeitssucht neigen.
4.3
Soziale, arbeitsorganisatorische und gesellschaftliche
Bedingungen der helfenden Berufe
Es können im Arbeitskontext helfender Berufe verschiedene Stressoren konstatiert
werden. Diese reichen über soziale, arbeitsorganisatorische, physische, gesellschaftliche
bis hin zu organisationalen Stressoren (Bartholdt & Schütz, 2010).
Im Rahmen dieser Studie sollen exemplarisch einige besonders spezifische Stressoren
der helfenden Berufe genauer betrachtet und später in ihrem Erleben durch die Helfer
Arbeitssucht in helfenden Berufen
43
erfasst werden. Dabei soll herausgearbeitet werden, ob die in der Theorie beschriebenen
Stressoren auch in der Praxis als Belastung erlebt werden? Eine Erfassung der objektiven
Arbeitsbelastungen ist bei den vielen verschiedenen Arbeitstätigkeiten der helfenden
Berufe zu variabel und somit nicht Thema dieser Studie. Vielmehr sollen mögliche
subjektiv empfundene Belastungen in den helfenden Berufen skizziert werden und deren
Zusammenhang zu einem arbeitssüchtigen Verhalten untersucht werden. Da im folgenden
Text nur ein exemplarischer Anteil der Stressoren beschrieben werden kann, erhebt diese
Darstellung der Stressoren keinen Anspruch auf Vollständigkeit und schließt bewusst
große Anteile aus. Es bedarf hierbei einer weiteren Untersuchung, um eine differenzierte
und
umfassende
Darstellung
der
verschiedenen
Stressoren
im
helfenden
Dienstleistungssektor erfassen zu können.
Als relevantester Stressor in helfenden Berufen wird in der Literatur die „emotionale
Überstimulation“ (Enzmann & Kleiber, 1989, S. 37), der emotional beanspruchende und
erschöpfende Umgang mit Patienten (Hoffman et al., 2005; Köppl, 2006; Krämer, 2011;
Nübling, Stößel, Hasselhorn, Michaelis & Hofmann, 2005; Perrar, 1995; ReinersKröncke et al., 2010) bzw. die Personenbezogenheit der helfenden Berufe (DAK, 2005;
Enzmann
&
Kleiber,
1989)
formuliert.
„Durch
die
Anforderungen
an
die
Empathiefähigkeit, die emotionale Konfrontation und durch intensives Engagement ist
der Stress für Menschen, die diesen Beruf gewählt haben, häufig emotionaler Natur“
(Aronson , Pines & Kafry, 1983; zitiert nach Reiners-Kröncke et al., 2010) Dabei droht
die Gefahr, dass Schwierigkeiten im Umgang mit emotionalem Stress in erster Linie auf
das eigene Versagen zurückgeführt werden (Enzmann & Kleiner, 1989; Hoffman et al.,
2005; Reiners-Kröncke et al., 2010). Burisch (2006) sieht in dem „Auseinanderklaffen
von empfundenen und kommunizierten Gefühlen“ (S. 97), welches die Essenz der
helfenden Berufe beschreibt, einen relevanten Stressor. Badura (1990, zitiert nach Perrar,
1995) bezeichnet dies als Interaktionsstress, wobei zum einen eine erzwungene
Selbstbeherrschung des Helfers, d.h. die Unterdrückung eigener negativer Gefühle
gegenüber der Umwelt, zum anderen eine erzwungne Rücksichtnahme auf die Gefühle
anderer bzw. der Zwang zum Ausdruck positiver Gefühle gegenüber Menschen, mit
denen man keine positive Gefühle verbindet, vorliegen muss. Diese Emotionsarbeit, d.h.
die Überbrückung der Diskrepanz zwischen realen und erzwungenen Gefühlen, erfordert
vom Helfer eine umfangreiche Kompetenz und verfolgt das Ziel, nicht in Konflikt mit
sich selbst und seinem eigens definierten Rollenbild oder in Konflikt mit wichtigen
Rollensendern zu kommen (Burisch, 2006; Hoffman et al, 2005). Krämer (2011) und
Hoffmann und Hofmann (2008) formulieren, dass die Überlast an Klienten-Kontakten
und die interpersonellen Belastungen, wie fehlende Distanz zu Schicksalen der Patienten,
Arbeitssucht in helfenden Berufen
44
Mit-Leiden der Helfer und Aktivierung unangenehmer Erinnerungen bei den Helfern,
verursachend für auftretende Veränderungen der Einstellungen und des Verhaltens bei
professionellen Helfern sind. Des Weiteren ist die Rückmeldung durch berufsbedingte
Interaktionspartner meist nicht gegeben und deren Kooperation und Therapiemotivation
häufig sehr gering (Krämer, 2011). Fengler (2001), Hoffmann und Hoffmann (2008),
Köppl (2011) und Marquard et al. (1993) beschreiben die Konfrontation mit emotionalen
Belastungen
wie
Krisen,
Tod,
Krankheit
und
Schmerzen,
Therapieabbrüche,
Rückschläge, Aggressionen und Suizid der Patienten als besonders belastend und betonen
die notwendige Kompetenz der Helfer, diesen Krisen durch Einfühlung, beraterischer
Konzeption und hoher Frustrationstoleranz adäquat begegnen zu können. Die Beziehung
zum Patienten gestaltet sich dabei asymmetrisch (Hoffman et al., 2005).
Ein zweiter, prägender Stressor ist die mangelnde Honorierung und Würdigung der
helfenden Arbeitstätigkeit durch Gesellschaft, Arbeitgeber, Kostenträger und Patienten,
einhergehend mit der Gefahr einer Gratifikationskrise17 (Bartholdt & Schütz, 2010;
Enzmann & Kleiber, 1989; Fengler, 2001; Köppl, 2011; Reiners-Kröncke et al., 2010).
Diese mangelnde Honorierung verdeutlicht sich politisch und gesellschaftlich durch
Kostenreduktionsprogramme, Einsparungen im sozialen Bereich und mangelnder
Finanzierungen. Auch Edelwich, Brodsky (1984, zitiert nach Reiners-Kröncke et al.,
2010) und Köppl (2011) beschreiben als spezifische Arbeitsbedingungen der helfenden
Berufe deren geringe Honorierung, u.a. verdeutlicht durch die geringe Bezahlung und
dem niedrigen Status der Helfer, die nicht adäquate Verteilung der Mittel und die
bürokratischen
und
politischen
Einschränkungen
der
Dienstleistungen.
Ebenso
formulieren sie die Undankbarkeit und mangelnde Anerkennung durch die Patienten und
deren oftmals fehlende Reaktion als belastend (Edelwich & Brodsky, 1984; zitiert nach
Reiners-Kröncke et al., 2010; Köppl, 2011) und schließen sich damit Freudenberger
(1981, zitiert nach Reiners-Kröncke et al., 2010; Krämer, 2011; Perrar, 1995; Ruhwandl,
2009) an, der die erlebte Diskrepanz zwischen Erwartungen der Helfer an die Arbeit und
der mangelnden Anerkennung und Belohnung als spezifisch formuliert.18 Schmidbauer
(2002) ergänzt, dass sowohl die geringe Anerkennung durch die Gesellschaft, als auch
das mangelnde politische Gewicht häufig dazu führen, dass Helfer sich selbst als hilflos
erleben und frustriert aufgeben. Eine Ausnahme bildet hier lediglich der Arztberuf
17
Siehe dazu auch Kap. 4.4
18
Siehe dazu auch Kap. 4.2
Arbeitssucht in helfenden Berufen
45
(Bergner, 2010). Gleichzeitig steigt für die sozialen und helfenden Berufe der
Rechtfertigungsdruck (Köppl, 2006). „Angehörige dieser Berufsgruppen werden auch mit
Forderungen nach einer ökonomischen Legitimation ihres Tuns konfrontiert. Sie sollen
nicht nur effektiv, d.h. wirksam, sondern auch effizient, d.h. wirtschaftlich handeln.“
(Finis Siegler, 1997, S. 9) Dabei wird die helfende Arbeitstätigkeit als ökonomischer
Produktionsprozess begriffen, der betriebswirtschaftlichen Rationalitätskriterien folgen
muss. In Folge dessen werden neue Führungs- und Steuerungskonzepte (wie z.B.
Qualitätssicherung) sowie Managementkonzepte (wie z.B. Controlling, Marketing)
eingeführt (Köppl, 2006). Insbesondere Gesellschaft und Politik titulieren dabei die
helfenden Arbeitsbereiche als primär nur kostenverursachend und der Wirtschaft
Ressourcen entziehend, wohingegen Finis Siegler (1997) diese als funktional zur
Stabilisierung
des
gesellschaftlichen
Systems
definiert
und
den
helfenden
Dienstleistungssektor selbst als einen Produktionsfaktor gesellschaftlicher Wohlfahrt
sieht.
Mangelnde Kontrollmöglichkeiten in der helfenden Arbeitstätigkeit, erlebt durch
mangelnde Autonomie und geringe Handlungs- und Entscheidungsspielräume (Aronson
et al., 1983; zitiert nach Reiners-Kröncke et al., 2010; Hoffman et al., 2005; Marquard et
al., 1993), mangelnde Wirkung und Steuerung des Ergebnisses der Arbeit bei
gleichzeitiger hoher Verantwortung (Bergner, 2010; Fengler, 2001; Köppl, 2011),
mangelnde Kontrolle des Auftretens von negativen Ereignissen (Krämer, 2011), hohe
Unbestimmtheit (Marquard et al., 1993) und unklare Erfolgskriterien (Ruhwandl, 2009)
werden weiterhin als berufsspezifische Belastungsfaktoren benannt. Enzmann und
Kleiber (1989) und Fengler (2001) erkennen als charakteristische Probleme helfender
Berufe die Einschätzung der Helfer, nicht grundsätzlich helfen zu können, und die damit
verbundenen Ohnmachts- und Hilflosigkeitsgefühle. Auch Krämer (2011) formuliert die
verspürte „Hilflosigkeit in Anbetracht einer unveränderlich erscheinenden Situation“ (S.
24) als zentrale Frustrationsquelle in helfenden Berufen.
Als weitere prägende arbeitsorganisatorische Stressoren sind Rollenkonflikte und
Rollenambiguität zu nennen, welche sich u.a. durch uneindeutige Berufsrollen und
Zielvorgaben durch Gesellschaft, Patient und Arbeitgeber verdeutlichen (Bartholdt &
Schütz, 2010; Burisch, 2006; Enzmann & Kleiber, 1989, Marquard et al., 1993). Jeder
Position innerhalb einer Organisation
ist eine Menge potentieller Tätigkeiten und
Verhaltensweisen zugeordnet. Neben diesen Rollenzuschreibungen sind Erwartungen
relevant, die von Seiten der Vorgesetzten, Kollegen, Mitarbeitern, Patienten und
Kostenträgern
an
den
Rolleninhaber
herangetragen
werden
(Burisch,
2006).
Arbeitssucht in helfenden Berufen
Rollenkonflikte
entstehen
46
dann,
wenn
einem
Rollenträger
inkompatible
Rollenerwartungen übermittelt werden. Diese verlangen vom Rollenträger immense
psychosoziale Anstrengungen (Krämer, 2011). Als weitere stressauslösende Bedingung
beschreibt Burisch (2006) die Rollenunklarheit, welche dann auftritt, wenn der
Rollenträger über zu wenig Informationen verfügt und er somit seine funktionalen
Aufgaben als nicht zu bewältigen beurteilt. Enzmann und Kleiber (1989) und Hoffman et
al. (2005) erkennen die Rollenüberforderung, charakterisiert durch hohe Verantwortung
für die Patienten bei gleichzeitigem Zeitmangel, sowie den Konflikt zwischen Hilfe und
Kontrolle als vorherrschende Konflikte in den helfenden Berufen. Im helfenden
Dienstleistungssektor ist als
Tauschbeziehungen“
(Finis
spezifisches Kriterium vermehrt „nicht-schlüssige
Siegler,
1997,
S.
110)
zu
finden,
wobei
der
Leistungsempfänger/Konsument nicht mit dem Käufer und damit dem Finanzier der
Leistung identisch ist. Dies führt dazu, dass das Angebot der Dienstleistung nicht am
Patienten selbst, sondern eher am Finanzierer der Leistung, meist staatliche Stellen,
orientiert ist (Finis Siegler, 1997). Es droht die Gefahr, dass die unterschiedlichen
Bedürfnisse von Gesellschaft/Staat und Patienten in widersprüchlichen Zielvorgaben
münden und eine „Dehumanisierung der Arbeit“ (Krämer, 2011, S. 29) resultiert, mit
denen sich der Leistungserbringer in seiner Arbeit konfrontiert sieht.
Als weitere relevante Stressoren sind zu nennen: hohe Klientenzahlen, Zeitdruck, lange
Arbeitszeiten, Überforderung durch zu viele Aufgaben, Unterforderung, schlechte
Rahmen- und Arbeitsbedingungen, geringe Flexibilität der Organisation, problematische
institutionelle Vorgaben und Strukturen, mangelnde Ressourcen (wie z.B. Personal),
befristete
Arbeitsverträge,
Teilzeitbeschäftigungen,
drohender
Arbeitsplatzverlust,
finanzielle Einsparungen, fehlende soziale Unterstützung und mangelndes Feedback
durch Kollegen und Vorgesetzte, Belastungen im Team, kollegiale Konflikte und
schlechte Berufsausbildung (Bartholdt & Schütz, 2010; Bergner, 2010; Fengler, 2001;
Köppl, 2011; Krämer, 2011; Marquard et al., 1993; Reiners-Kröncke et al., 2010). Diese
können aber in der folgenden Befragung aufgrund der notwendigen inhaltlichen
Beschränkung keine Berücksichtigung finden.
4.4
Gesundheitliche Situation der helfenden Berufe
Die gesundheitliche Situation der Berufstätigen im helfenden Dienstleistungssektor wird
in der Wissenschaft insbesondere im Rahmen der Burnout-Forschung vielfach
thematisiert (Burisch, 2006; Reiners-Kröncke et al., 2010).
Burnout ist dabei ein weit verbreitetes Phänomen in der Arbeitswelt. Eine Studie der
WHO (World Health Organization) und der ILO (International Labour Organization) im
Arbeitssucht in helfenden Berufen
47
Jahr 2000 geht von 37 Millionen betroffenen Menschen in Europa aus, die an den Folgen
psychischer Arbeitsbelastungen leiden (Driller, 2008). Nach Angaben deutscher
Arbeitsmediziner leiden dabei in Deutschland etwa 5 Prozent der 25- bis 40jährigen in
Gesundheitsberufen Tätigen an der chronischen Erschöpfung (Driller, 2008).
Damit sind die Burnout-Raten in den helfenden Berufen besonders hoch. Ruhwandl
(2009) beschreibt, dass jede dritte Krankenschwester oder Erzieherin einmal in ihrem
Leben an Burnout-Syndrom erkrankt, bei Lehrern sind es sogar bis zu 50 Prozent.
Bergner (2010) geht sogar von 30 Prozent bis 50 Prozent aller Ärzte aus, die von Burnout
betroffen sind.
Der Begriff Burnout wurde durch den Psychoanalytiker Herbert J. Freudenberger 1974
geprägt und diente der Beschreibung von ursprünglich engagierten Helfern, die oftmals
nach kurzer Arbeitstätigkeit Symptome wie Erschöpfung, Müdigkeit und Zynismus
aufzeigen (Köppl, 2006). Der Begriff Burnout soll somit als eine körperliche, emotionale
und geistige Erschöpfung mit reduzierter Leistungsfähigkeit nach völliger Verausgabung
und Verbrauch der eigenen Reserven aufgrund beruflicher Überlastung verstanden
werden (Hoffman et al., 2005; Krämer, 2011; Perrar, 1995; Reiners-Kröncke et al., 2010).
Obwohl die Thematik des Burnout sowohl in der Wissenschaft, als auch in den Medien
große Präsenz zeigt, konnte bis dato keine eindeutige Klärung der Begrifflichkeiten und
keine einstimmigen Definition- und Abgrenzungsmöglichkeiten installiert werden
(Krämer,
2011;
Reiners-Kröncke
et
al.,
2010).
„Vielmehr
kann
bei
der
Literaturdurchsicht ein Spektrum an nebeneinander stehenden und heterogenen
Definitionsvorschlägen mit Modellen, Konzepten und Symptomauflistungen festgestellt
werden, welche in bestimmten Aspekten sogar widersprüchliche Positionen aufweisen.“
(Krämer, 2011, S. 7) So ist das Burnout-Syndrom bislang nicht als anerkannte Krankheit
im Leistungskatalog der Krankenkassen und als Differenzialdiagnose in den
Internationalen Diagnosemanualen, wie ICD-10 oder DSM-IV-TR, verankert.19
Burnout kann sich durch vielschichtige und zum Teil gegensätzliche Symptome äußern.
Diese können von Konzentrationsstörungen, über häufiges Fehlen am Arbeitsplatz, bis
hin zu verminderter Empathie reichen (Enzmann & Kleiber, 1989; Hoffman et al., 2005;
19
Burnout wird in der „Internationalen Klassifikation der Erkrankungen“ (ICD-10) als
„Ausgebranntsein“ und „Zustand der totalen Erschöpfung“ mit dem Diagnoseschlüssel Z73.0
erfasst. Er gehört zum übergeordneten Abschnitt Z73 und umfasst „Probleme mit Bezug auf
Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung“. Nach dieser Einstufung ist der Burnout eine
Rahmen- oder Zusatzdiagnose und keine Behandlungsdiagnose (Reiners-Kröncke etal., 2010).
Arbeitssucht in helfenden Berufen
48
Reiners-Kröncke et al., 2010). Um diese unterschiedlichen Phänomene systematisieren zu
können, bedienen sich Reiners-Kröncke et al. (2010) der Klassifikation von Schaufeli
(1992), der die Symptome in fünf Kategorien einteilt: psychisch, physisch,
verhaltensbezogen, sozial und einstellungsbezogen (vgl. Tabelle 4-1). Die psychischen
Symptome beinhalten emotionale, kognitive und motorische Beeinträchtigungen, die
physischen dagegen psychosomatische und somatische Erkrankungen und physiologische
Reaktionen.
Verhaltensbezogene
Symptome
äußern
sich
individuell
oder
im
Arbeitsverhalten, wohingegen sich soziale Symptome in der Interaktion mit Patienten,
Kollegen, Familie und sozialem Umfeld bemerkbar machen. Ebenso kann es bei BurnoutBetroffenen zu problematischen Einstellungen im Kontakt mit Klienten kommen, wie
z.B. bei Zynismus, bei einem vorherrschenden Verlust an Idealismus (Reiners-Kröncke et
al., 2010).
Tabelle 4-1 Symptome einer Burnout-Erkrankung nach Schaufeli (1992, zitiert nach ReinersKröncke et al., 2010, S. 13)
Burnout wird als langwieriger und schleichend einsetzender Prozess beschrieben
(Burisch, 2006; Enzmann & Kleiber, 1989; Reiners-Kröncke et al., 2010), wobei jedoch
Uneinigkeit über die Dauer, Abfolge und Ursache besteht (Burisch, 2006; Fengler, 2001;
Gusy, 1995; zitiert nach Reiners-Kröncke et al., 2010).
Das Dreiphasenmodell von Maslach und Jackson (1981, zitiert nach Ruhwandl, 2009),
welches in der Fachliteratur am häufigsten zitiert wird, definiert drei Phasen, wobei die
erste Phase durch eine emotionale Erschöpfung des Betroffenen geprägt ist. Diese äußert
sich durch Gefühle des Ausgebranntseins und der Müdigkeit und Leere, Verlust der
Fähigkeit, sich zu regenerieren und durch hohe Frustration. Die zweite Phase beschreibt
Arbeitssucht in helfenden Berufen
49
die Depersonalisation, die sich in Gefühllosigkeit und Zynismus gegenüber Mitarbeitern
und Patienten, der Kontaktvermeidung und Gefühlen der allgemeinen Gereiztheit
verdeutlicht und somit das Kernsymptom von Burnout darstellt. Entscheidend ist hierbei,
dass die betroffene Person die eigene Gefühlkälte gegenüber den Patienten als
persönliches Versagen und Unzulänglichkeit erlebt und daraus resultierend unter einer
negativen subjektiven Leistungseinschätzung leidet (Krämer, 2011). Eine allgemeine
Leistungseinschränkung definiert schließlich die dritte Phase. Sie ist gekennzeichnet
durch einen Verlust an Selbstvertrauen, einer negative Selbsteinschätzung, einer
reduzierte Produktivität und kann bis hin zum Rückzug und einer Kündigung des
Arbeitsverhältnisses führen (Ruhwandl, 2009).
Bezüglich
der
Ursachen
von
Burnout
bestehen
vielfache
wissenschaftliche
Erklärungsmodelle, die entweder den persönlichkeitszentrierten (Burisch, 2006; Edelwich
&
Brodsky,
1984;
Freudenberger,
1981)
oder
den
sozial-,
arbeits-
und
organisationspsychologischen Ansätzen (Cherniss, 1980; Enzmann & Kleiber, 1989;
Maslach & Jackson, 1984; Pines, Aronson & Kafry, 1983), die die Ursachen von Burnout
vornehmlich in der Umwelt und den extrinsischen Faktoren und nicht in der
Persönlichkeit des Betroffenen suchen, zuzuordnen sind.20 Maslach und Jackson (1981,
zitiert nach Krämer, 2011) betonen, das das Phänomen vorrangig in Berufen auftritt, in
denen mit Individuen interagiert wird. Es ist daher als Reaktion auf interpersonelle
Belastungen bei der Arbeit zu verstehen, wobei eine Überlast an Patienten-Kontakten zu
Veränderungen der Einstellungen und des Verhaltens bei professionellen Helfern führen
kann. „Dieser enge, kontinuierliche Kontakt mit Klienten schließt ein chronisches Niveau
emotionalen Stresses ein, und es ist die Unfähigkeit, diesen Stress erfolgreich zu
bewältigen, was sich in der emotionalen Erschöpfung und dem Zynismus des Burnout
manifestiert.“ (Maslach & Jackson, 1978; zitiert nach Enzmann & Kleiber, 1989, S. 32).
Enzmann und Kleiber (1989) nennen weitere Ursachen: sie sehen Überforderung, unklare
Erfolgskriterien und mangelndes Feedback als ursächlich für emotionale Erschöpfung.
Überforderung und fehlende Handlungsspielräume führen zu einer mangelnden
persönlichen Leistungsfähigkeit, wohingegen das Kontrollerleben in Form von
empfundener Fremdkontrolle zur Depersonalisierung führt.
20
An dieser Stelle muss darauf hingewiesen werden, dass aufgrund der Seitenzahlbegrenzung die
breitgefächerte Thematik des Konstrukts Burnout hier nur im geringen Anteil elaboriert werden
kann.
Arbeitssucht in helfenden Berufen
50
Die Folgen einer Burnout-Erkrankung sind ein schlechterer Gesundheitszustand und
reduzierte
Lebensqualität,
Funktionsfähigkeit
und
Beeinträchtigungen
körperliche
körperlicher
Erkrankungen
wie
und
Diabetes,
sozialer
Herz-
Kreislauferkrankungen etc., Depressionen und ein vermindertes Selbstwertgefühl, Angst
und Hilflosigkeit (Nitzsche et al., 2010). Des Weiteren zeigen Studien, dass Mitarbeiter
mit psychischen Erkrankungen ein doppelt so hohes Risiko haben, langfristig am
Arbeitsplatz auszufallen (Chisholm, Diehr, Knapp, Patrick, Treglia & Simon, 2003; zitiert
nach Driller, 2008) oder zu Präsentismus neigen, d.h. Anwesenheit am Arbeitsplatz trotz
Erkrankung, welches zu Produktivitätseinbußen führt, bedingt durch die eingeschränkte
Arbeitsfähigkeit des Mitarbeiters (Nitzsche et al., 2010). Dies führt zu immensen
Folgekosten für Wirtschaft und einzelne Unternehmen. „Zudem stellt der vermutete
Verlust an Produktivität durch Burnout ein zentrales Problem für Unternehmen im
sozialen Sektor dar. Gesunde Betriebe brauchen gesunde Beschäftigte -so die allgemeine
Annahme- um wettbewerbsfähig zu sein und eine hohe Dienstleistungsqualität anbieten
zu können.“ (Driller, 2008, S. 5)
In Abgrenzung zu Burnout beschreiben einige Autoren (Fengler, 2001; ) ergänzend das
Phänomen der beruflichen Deformation, welches vermehrt in helfenden Berufen auftritt.
Dies
soll
nach
Fengler
(2001)
alle
Schädigungen,
Fehlentwicklungen,
Verschleißerscheinungen, Fehlorientierungen, Entfremdungen, Verkennungen im Erleben
und Verhalten bezeichnen, die durch die Berufstätigkeit bedingt im Laufe dieser
auftreten. Gründe einer beruflichen Deformation erkennt Fengler (2001) in einer
beruflichen Dauerbelastung, der Überidentifikation mit dem Beruf und der selektiven,
fast ausschließlich auf den Beruf bezogenen Wahrnehmung. Diese Deformation kann sich
im Umgang mit Klienten durch mangelnde Einfühlungsfähigkeit und Gleichgültigkeit des
Helfers, durch Distanziertheit und mangelnde Authentizität und der pauschalen
Anwendung von übergeneralisierten Problemlösungen äußern.
Enzmann & Kleiber (1989) konnten in einer Untersuchung von 1984 feststellen, dass
Berufstätige aus helfenden Berufen vermehrt Gefühle wie Distanzierungswünsche
gegenüber Klientenproblemen und der Arbeit, Zynismus gegenüber Klienten,
Ohnmachts- und Hilflosigkeitsgefühle, Kompetenzprobleme mit dem Gefühl der eigenen
Unfähigkeit und der Einschätzung, nicht grundsätzlich helfen zu können, schwindendes
Engagement, Depressivität, Erschöpfung, Schlafprobleme und Arbeitsunlust aufwiesen.
Rucinski und Cybulska (1985, zitiert nach Enzmann & Kleiber, 1989) beschreiben die
hohe psychische Morbidität von Ärzten, die signifikant höhere Raten für Alkoholismus,
Drogenabhängigkeit und affektive Störungen im Vergleich zum restlichen Klinikpersonal
Arbeitssucht in helfenden Berufen
51
aufwiesen. Bergner (2010) spricht von 10-15 Prozent der Ärzte, die einmal in ihrem
Leben eine Substanzabhängigkeit, und bis zu 42 Prozent aller Ärzte, die ein Suizidrisiko
aufweisen.
Allgemein wird in der Forschung ein neuerlicher Wandel beschrieben: Es kann eine
deutliche Zunahme von psychischen Erkrankungen konstatiert werden, wobei diese
inzwischen die vierthäufigste Ursache für Fehlzeiten in deutschen Unternehmen
darstellen (Badura et al., 2010). Dabei geht aus der Arbeitsunfähigkeitsstatistik der
Krankenkasse AOK aus dem Jahr 2008 hervor, dass neben den Arbeitslosen und den
Beschäftigten aus dem Verkehrswesen, insbesondere Beruftätige aus dem Gesundheits-,
Bildungs- und Sozialwesen dem stärksten Risiko ausgesetzt sind, von einer psychischen
Erkrankung betroffen zu sein (Badura et al., 2010). Der DAK-Gesundheitsreport von
2005 konstatiert ebenfalls, dass Berufstätige aus dem Gesundheitswesen die höchste Zahl
der Arbeitsunfähigkeitstage aufgrund psychischer Störungen - bis zu 55 % mehr als der
DAK-Bundesdurchschnitt - aufweisen. Damit lag der Anteil psychischer Diagnosen am
Gesamtkrankenstand im Gesundheitswesen bei 13 %. Somit treten psychische
Erkrankungen bei den Beschäftigten im Gesundheitswesen überproportional oft auf.
Trotz der vielfältigen Belastungen der helfenden Berufe, zeigen Studien, dass nicht alle
Helfer Belastungsfolgen bzw. die gleichen Belastungsfolgen erleben (Bull, 2005;
Enzmann & Kleiber, 1989). Vielmehr kann konstatiert werden, dass es keine unmittelbare
Wirkung von Belastungen und Stressoren auf die Person gibt, sondern vielmehr weitere
Faktoren auf diesen Prozess Einfluss nehmen. Nach dem transaktionalen Stressmodell
von Lazarus und Launier (1981, zitiert nach Krämer, 2011; Perrar, 1995; Reissner, 2008)
tritt eine Stressreaktion vorwiegend dann auf, wenn ein Individuum eine Situation
dahingehend einschätzt, dass entweder die Anforderungen aus der Umwelt oder interne
Anforderungen die eigenen verfügbaren Copingressourcen übersteigen. Damit verfolgt
das Modell die These, dass verschiedene Personen in gleichartigen Situationen nicht die
gleichen Stresszustände erleben. Das Vorhandensein eines Stressors führt nicht
zwangsläufig zu einer Stressreaktion, vielmehr ist die kognitive Einschätzung des
Individuums relevant (Driller, 2008).
Das Belastungs-Beanspruchungskonzept folgt inhaltlich der transaktionalen Stresstheorie,
indem es ebenso davon ausgeht, dass gleiche Belastungen nicht zu gleichen
Beanspruchungen und individuellen Stresserleben führen müssen (Bartholdt & Schütz,
2010).
Die
individuellen
Leistungsmerkmale,
wie
z.B.
vorhandene
Bewältigungsmechanismen spielen eine entscheidende Rolle, wobei das Erleben von
Stress schwerwiegende kurz-, mittel- und langfristige Auswirkungen auf die mentale,
Arbeitssucht in helfenden Berufen
52
psychische und physische Gesundheit und das soziale und individuelle Verhalten der
Beschäftigten haben kann (Bartholdt & Schütz, 2010; Bull, 2005). Die Folgen von Stress
können sich dabei in vielfältigen Erkrankungen widerspiegeln. Diese reichen über
kardiovaskuläre Erkrankungen, Einschränkungen der kognitiven Leistungsfähigkeit und
Gedächtnisfunktion, über Atemwegserkrankungen, Hauterkrankungen, Erkrankungen der
Muskulatur, der Schilddrüse, der Verdauungsorgane, des Stoffwechsels und des
Immunsystems.
Weitere
Folgen
können
Schlafstörungen,
Leistungsabfall
im
Arbeitskontext und psychische Erkrankungen, wie z.B. Depressionen, sein (Bartholdt &
Schütz, 2010).
Modelle, wie z.B. die gesundheitspsychologischen Ansätze des Salutogenese Modells
von Antonovsky von 1997, greifen den Aspekt der Ressourcen auf und untersuchen
Faktoren, die trotz Belastungen gesund halten (Bull, 2005; Hoffman et al., 2005).
Arbeitszufriedenheit beschreibt den Grad der Übereinstimmung zwischen Ansprüchen des
Arbeitenden einerseits, und der Erfüllung dieser, die aus seiner beruflichen Tätigkeit
resultiert andererseits (Reiners-Kröncke et al., 2010). Empirische Untersuchungen der
Burnout-Forschung zeigen, dass je höher das Engagement und die emotionale Beteiligung
an der Arbeit ist, desto geringere Werte finden sich bei der Arbeitszufriedenheit der
Betroffenen (Reiners-Kröncke et al., 2010). Auch konnte belegt werden, dass
Berufstätige mit höheren Burnout-Werten eine niedrigere Arbeitszufriedenheit und
Selbstwirksamkeitserwartung aufwiesen (Reissner, 2008). Rollenambiguität21 stellt eine
zentrale Ursache für Arbeitsunzufriedenheit dar (Bartholdt & Schütz, 2010). Driller
(2008) konnte in ihrer Studie belegen, dass Mitarbeiter mit einem gering
wahrgenommenen Tätigkeitsspielraum zweifach häufiger dazu neigen, ihre eigene Arbeit
als wenig bedeutsamer einzuschätzen und somit eine geringe Arbeitszufriedenheit
aufweisen.
Als
weitere
spezifische
Arbeitsbelastungen
wird
Folge
in
der
einer
helfenden
Literatur
das
Berufstätigkeit
Phänomen
der
und
deren
externalen
Kontrollüberzeugung beschrieben. Durch die Erkenntnis der Helfer, dass die Lösung von
Problemen nicht nur durch sie selbst kontrollierbar ist (internale Kontrollüberzeugung)
und die Sichtung der äußeren Einflussfaktoren kann es zu einer gegensätzlichen
Entwicklung, der Entwicklung einer externalen Attribution
21
Siehe dazu auch Kap. 4.3
kommen (Enzmann &
Arbeitssucht in helfenden Berufen
53
Kleiber, 1989). Dies bedeutet, dass Misserfolge den äußeren Umständen zugeschrieben
werden, wodurch die Selbstwirksamkeitserwartung und die Kontrollerwartung sinken.
Eine geringe Selbstwirksamkeitserwartung, in Anlehnung an die Theorie von Bandura
von 1977, korreliert dabei mit Depressionen, Ängsten, Hilflosigkeit
und Burnout
(Burisch, 2006; Reissner, 2008). Als weitere Folgen können zunehmende Passivität,
defensive Copingmeachnismen und Gefühle der Hilflosigkeit beschrieben werden
(Enzmann & Kleiber, 1989). Driller (2008) beschreibt in ihrer Studie, dass die
untersuchten Mitarbeiter mit einer hohen externalen Kontrollüberzeugung ein fast
dreifach erhöhtes Risiko aufzeigten, emotionale Erschöpfung aufzuweisen und die
Bedeutung der eigenen Arbeit anzuzweifeln.
Eine berufliche Gratifikationskrise kann sich bei den Helfern insbesondere dann
entwickeln, wenn sie den Eindruck gewinnen, dass ihre Anstrengungen nicht ausreichend
belohnt und sie selbst nicht gerecht behandelt werden (Knesebeck, Grosse Frie, Klein,
Blum & Siegrist, 2009). „Im Falle eines (subjektiv wahrgenommenen) Ungleichgewichts
zwischen den eigenen Anstrengungen und den als Gegenwert erhaltenden Belohnungen
ist die als selbstverständlich angenommene Norm der sozialen Reziprozität gestört. Das
Missverhältnis zwischen Verausgabung und Belohnung führt zu Stress und geht in
besonderem Maße mit intensiven negativen Emotionen einher.“ (Bartholdt & Schütz,
2010, S. 76) Damit können Helfer mit den vielfach beschriebenen spezifischen
Stressoren,
wie
mangelnde
Honorierung
und
hohes
Anstrengungsniveau,
als
Risikogruppe identifiziert werden. Knesebeck et al. (2009) kommen dabei in ihrer Studie
zu dem Ergebnis, dass bei chirurgisch tätigen Krankenhausärzten, die eine niedrige
Position und eine hohe Arbeitszeit haben, konsistent signifikant höhere Risiken für
psychosoziale Arbeitsbelastungen durch das bestehende Ungleichgewicht zwischen
Verausgabung und Belohnung bestehen.
„Etwa ein Viertel der chirurgisch tätigen
Krankenhausärzte ist von einer beruflichen Gratifikationskrise betroffen.“ (Knesebeck et
al.,2009, S. 79) Bödecker und Dragano (2005) konstatieren, dass Berufe aus dem
Gesundheits-, Bildungs- und Sozialwesen die höchsten Werte bzgl. des VerausgabungsBelohnungs-Ungleichgewichts aufzeigen.
In der Literatur findet man viele Verweise auf die hohen berufsspezifische
Belastungssituationen und deren gesundheitlichen Folgen der Helfer. Die Problematik
einer Arbeitssucht wird dabei nicht beschrieben.
Da bisher keine Signifikanz zwischen dem Auftreten der Arbeitssucht und bestimmten
Berufsgruppen nachgewiesen werden konnte, soll in der folgenden Befragung empirisch
Arbeitssucht in helfenden Berufen
54
untersucht werden, inwieweit die Hypothese zutrifft, dass Berufstätige aus dem helfenden
Dienstleistungssektor stärker zu einem arbeitssüchtigen Verhalten tendieren als der
Bundesdurchschnitt.
Herleitung der Fragestellung und Formulierung von Hypothesen
55
III Empirischer Teil
5 Herleitung der Fragestellung und Formulierung von
Hypothesen
Wie die theoretischen Ausführungen in Kapitel II zeigen, handelt es sich bei Arbeitssucht
um ein bisher wissenschaftlich wenig untersuchtes, dabei sehr facettenreiches Phänomen.
Neben den mangelnden, empirisch belegten Erklärungsansätzen zur Entstehung von
Arbeitssucht besteht derzeit noch Unklarheit darüber, ob spezifische Berufsfelder die
Entwicklung einer Arbeitssuchtproblematik fördern.
Dabei stellt sich die Frage, ob diese spezifischen Belastungen auch mögliche Ursachen
für ein arbeitssüchtiges Verhalten sind? Ist die Gruppe der helfenden Berufe daher
besonders Sucht gefährdet? Oder führen eine hohe Motivation, ein starker Idealismus
und
ein
daraus
resultierendes
hohes
Engagement
und
somit
disponierende
Persönlichkeitsfaktoren zu einem pathogem Arbeitsverhalten? Ist das vielfache
beschriebene Burnout-Syndrom nur eine Folge des Kontrollverlustes über sein eigenes
Arbeitsverhalten? Kann ein arbeitssüchtiges Verhalten der Betroffenen ursächlich für ihre
vielfachen Erkrankungen sein?
Diese empirische Untersuchung soll deshalb hinterfragen, ob die helfenden Berufe
tatsächlich eine Berufsgruppe darstellen, die in besonderem Maße von der Arbeitssucht
betroffen sind (vgl. H 0 - H 1). Außerdem soll eruiert werden, welche Zusammenhänge
zwischen der Arbeitsmotivation und dem Rollenselbstverständnis (vgl. H 4), den
berufsspezifischen Arbeitsbedingungen und -belastungen (vgl. H 5 – H 8) und der
Arbeitssucht bestehen und die Entwicklung dieser fördern, sowie die möglichen Folgen
(vgl. H 9 – H 15) einer Arbeitssucht beschreiben.
Dabei können aufgrund des begrenzten Umfangs des Fragebogens nicht alle
berufsspezifischen Belastungen und deren erlebte Beanspruchungen, die verschiedensten
Symptome einer Arbeitssucht und alle erlebten Folgen erfragt werden.
Aus den forschungsleitenden Fragen werden folgende Hypothesen postuliert, die auf der
Grundlage der empirisch gewonnenen Daten verifiziert oder falsifiziert werden:

H 0: Berufstätige aus dem helfenden Dienstleistungssektor tendieren nicht
stärker zu arbeitssüchtigem Verhalten als der Bundesdurchschnitt.

H 1: Berufstätige aus dem helfenden Dienstleistungssektor tendieren stärker
zu arbeitssüchtigem Verhalten als der Bundesdurchschnitt.
Herleitung der Fragestellung und Formulierung von Hypothesen
56
Beide Hypothesen spezifizieren sich, aus der Literaturrecherche ergebend, in weiteren 14
Hypothesen.
Insbesondere in der Burnoutforschung wird die erhöhte Gefahr des Ausbrennens für
Berufsanfänger beschrieben (Driller, 2008; Enzmann & Kleiber, 1989; Reissner, 2008),
bezüglich des Geschlechts besteht jedoch Uneinigkeit (Reissner, 2008). Dennoch
beschreiben einige Studien, dass weibliche Helfer einem stärkerem Risiko ausgesetzt sind
(Driller, 2008; Matthey, 2011). In den folgenden zwei Hypothesen soll untersucht
werden, ob Berufsanfänger und weibliche Helfer im Vergleich öfter an Arbeitssucht
erkranken:

H 2: Berufstätige aus dem helfenden Dienstleistungssektor mit Arbeitssucht
sind öfter Berufsanfänger (< 2 Jahre Berufserfahrung) als ihre nichtarbeitssüchtigen Kollegen.

H 3: Berufstätige aus dem helfenden Dienstleistungssektor mit Arbeitssucht
sind öfter weiblich als ihre nicht-arbeitssüchtigen Kollegen.
Wie bereits in Kapitel 4.2 beschrieben, weisen Helfer vermehrt einen starken Idealismus
auf, der sie zu einer hohen Arbeitsmotivation führt. Ein signifikantes Merkmal von
Arbeitssüchtigen spiegelt sich in ihrer zwanghaften Arbeitsweise. Daher kann vermutet
werden, dass diese Zwanghaftigkeit aus dem hohen Idealismus und der Motivation
resultiert. Dies soll anhand folgender Hypothese überprüft werden:

H 4: Berufstätige aus dem helfenden Dienstleistungssektor mit Arbeitssucht
identifizieren sich stärker mit ihrer Arbeit und zeigen mehr idealistische
Berufsziele.
Wie im Kapitel 4.3 erläutert, können verschiedenen Arten der Stressoren, soziale,
arbeitsorganisationsspezifische und organisationale Stressoren im Arbeitskontext,
unterschieden werden. Als besonders prägend und spezifisch für die helfenden Berufe
werden in der Literatur folgende vier Stressoren formuliert: der emotional
beanspruchende und erschöpfende Umgang mit Patienten und die Personenbezogenheit
der helfenden Berufe, die mangelnde Honorierung und Würdigung der helfenden
Arbeitstätigkeit, die erlebte mangelnde Autonomie und Kontrolle, und schließlich die
oftmals vorzufindenden Rollenkonflikte und Rollenambiguität. Es soll in den folgenden
vier Hypothesen überprüft werden, ob arbeitssüchtige Helfer angeben, diese
berufsspezifischen Belastungen wahrzunehmen:

H 5: Berufstätige aus dem helfenden Dienstleistungssektor mit Arbeitssucht
erleben mehr Stress im Umgang mit Patienten.
Herleitung der Fragestellung und Formulierung von Hypothesen

57
H 6: Berufstätige aus dem helfenden Dienstleistungssektor mit Arbeitssucht
erleben
uneindeutige
Berufsrollen
und
Zielvorgaben
in
ihrem
Arbeitskontext.

H 7: Berufstätige aus dem helfenden Dienstleistungssektor mit Arbeitssucht
erleben
in
ihrem
Beruf
mangelnde
Kontrollmöglichkeiten
ihrer
Arbeitstätigkeit.

H 8: Berufstätige aus dem helfenden Dienstleistungssektor mit Arbeitssucht
erleben in ihrem Beruf mangelnde Honorierung ihrer Arbeit.
Wie im Kapitel 3.5 formuliert können die Folgen eines arbeitssüchtigen Verhaltens von
körperlichen
bis
hin
zu
psychischen
Beeinträchtigungen
reichen,
wobei
die
Auswirkungen verschiedenster Art sein können. Insbesondere im Arbeitskontext leiden
die Betroffenen unter Versagens- und Überforderungsängsten und unter ihrer
Zwanghaftigkeit, was zu einer geringen beruflichen Zufriedenheit führen kann. Durch
Stress
und
Konflikte
mit
Arbeitskollegen,
mangelnde
Delegationsfähigkeit,
Zwanghaftigkeit im Arbeitsverhalten und starkes Vermeidungsverhalten weisen die
arbeitssüchtigen
Berufstätigen
ein
unproduktiveres
Arbeitsverhalten
auf.
Dementsprechend lauten die nächsten Hypothesen:

H 9: Berufstätige aus dem helfenden Dienstleistungssektor mit Arbeitssucht
sind mit ihrer beruflichen Situation weniger zufrieden als ihre nichtarbeitssüchtigen Kollegen.

H 10: Berufstätige aus dem helfenden Dienstleistungssektor mit Arbeitssucht
zeigen unproduktiveres Arbeitsverhalten als ihre nicht-arbeitssüchtigen
Kollegen.
Im Kapitel 4.5 konnte beschrieben werden, dass insbesondere in den helfenden Berufen
ein hohes Risiko besteht, an Burnout zu erkranken. Durch die folgende Hypothese soll
überprüft werden, ob arbeitssüchtige Helfer höhere Burnout-Werte als Folge ihrer
Arbeitssucht (Schneider, 2001) als ihre nicht-arbeitssüchtigen Kollegen aufweisen:

H 11:
Berufstätige aus dem helfenden Dienstleistungssektor mit
Arbeitssucht haben höhere Burnout-Werte als ihre nicht-arbeitssüchtigen
Kollegen.
Als Folgen einer Arbeitssucht weisen die Betroffenen oftmals Versagens- und
Überforderungsängste, eine affektive Verflachung und eine emotionale Distanz nahen
Bezugspersonen und ihren Patienten gegenüber auf. Da Arbeitssüchtige in der Regel
sowohl die Probleme in ihrem Umfeld, als auch ihre eigenen extrem ausgeprägten
Herleitung der Fragestellung und Formulierung von Hypothesen
Einstellungen
und
Verhaltenweisen
und
deren
gesundheitliche
58
Auswirkungen
wahrnehmen, ist anzunehmen, dass sie eine niedrigere Zufriedenheit mit den
verschiedenen Lebensbereichen schildern (Poppelreuter, 1997; Städele, 2008). Durch die
Hypothesen H12 bis H15 soll überprüft werden, ob diese Unzufriedenheiten auch bei
arbeitssüchtigen Helfern auftreten:

H 12: Berufstätige aus dem helfenden Dienstleistungssektor mit Arbeitssucht
sind mit ihrer Gesundheit weniger zufrieden als ihre nicht-arbeitssüchtigen
Kollegen.

H 13: Berufstätige aus dem helfenden Dienstleistungssektor mit Arbeitssucht
haben eine niedrigere generelle Lebenszufriedenheit als ihre nichtarbeitssüchtigen Kollegen.

H 14: Berufstätige aus dem helfenden Dienstleistungssektor mit Arbeitssucht
sind mit ihrem vorhandenen Freizeitkontingent und ihrer Freizeitgestaltung
weniger zufrieden als ihre nicht-arbeitssüchtigen Kollegen.

H 15: Berufstätige aus dem helfenden Dienstleistungssektor mit Arbeitssucht
sind mit ihren sozialen Beziehungen (Partnerschaft, Ehe, Kinder, Freunde,
Bekannte, Verwandte) weniger zufrieden als ihre nicht-arbeitssüchtigen
Kollegen.
Methodik
59
6 Methodik
6.1
Untersuchungsdesign und Untersuchungsdurchführung
Bei der vorliegenden Studie kann das Forschungsdesign dem Untersuchungsansatz der
korrelativen Studien zugeordnet werden. Da die Versuchsgruppen erst nach der
Datenerhebung anhand eines künstlichen Kriteriums festgelegt wurden, handelt es sich
bei der Untersuchung um eine Ex-post-facto-Studie, bei der ein Vergleich von
Extremgruppen durchgeführt wird (Städele, 2008).22 Daraus resultiert, dass eine Kontrolle
der Störvariablen durch z.B. eine Randomisierung nicht möglich ist. Es werden lediglich
unabhängige als auch abhängige Variablen gemessen (Amelang & Batussek, 2004).
Somit kann die vorliegende Studie keine kausalen Ursache-Wirkungs-Ketten im Hinblick
auf Arbeitssucht im helfenden Dienstleistungssektor aufdecken. Vielmehr werden die
Zusammenhänge und Korrelationen zwischen Arbeitssucht bei helfenden Berufen und
den weiteren verschiedenen Variablen untersucht und beschrieben.
Tabelle 6-1 gibt einen detaillierten Überblick über die in dieser Studie erhobenen
unabhängigen und abhängigen Variablen. Als unabhängige Variable gilt immer die
Gruppenzugehörigkeit der Versuchspersonen entweder zu den arbeitssüchtigen Helfern
oder den nicht- arbeitssüchtigen Helfern. Weitere Indikatoren wie Dauer der
Berufstätigkeit, Geschlecht, Arbeitsmotivation, Arbeitsbedingungen und -belastungen
sowie berufliche Zufriedenheit, Produktivität des Arbeitsverhaltens, Burnout-Erkrankung,
gesundheitliche und allgemeine Lebenszufriedenheit und schließlich Zufriedenheit mit
Freizeit und sozialen Beziehungen beschreiben die abhängigen Variablen.
Im Rahmen der vorliegenden Studie wurde ein Online-Fragebogen mit Hilfe der Software
von limesurvey.com entwickelt und für einen Zeitraum von 12 Wochen ins World Wide
Web gestellt. Als Vorraussetzungen zur Teilnahme an der Befragung wurden die aktuelle
Berufstätigkeit der Befragten und ihre bestehende Zugriffsmöglichkeit zum Internet
formuliert. Die Online-Umfrage wurde als Link per E-Mail verschickt.23 Im Anschreiben
wurden die Untersuchungsteilnehmer zudem darum gebeten, den Fragebogen an andere
22
Siehe dazu Kap. 6.2
23
Siehe dazu im Anhang A den formulierten Einladungstext der E-Mail.
Methodik
60
ihnen bekannte Berufstätige aus dem helfenden Arbeitssektor weiterzuleiten. Somit sollte
sich die Untersuchungsgruppe im Schneeballsystem teils selbst generieren.
Tabelle 6-1 Abhängige und unabhängige Variablen der vorliegenden Studie
Unabhängige Variable
Variablen
Hypothese
arbeitssüchtige vs. nicht-arbeitssüchtige
H0 bis H1
Helfer
Abhängige Variablen
H2
Dauer
der Berufstätigkeit
Geschlecht
H3
Arbeitsmotivation
H4
Arbeitsbedingungen und -belastungen
H 5 bis H 8
Berufliche Zufriedenheit
H9
Produktivität des Arbeitsverhaltens
H 10
Burnout-Erkrankung
H 11
allgemeine
H 12 bis H 13
Zufriedenheit mit Freizeit und sozialen
H 14 bis H 15
Gesundheitliche
und
Lebenszufriedenheit
Beziehungen
Um eine möglichst heterogene Stichprobe zu gewinnen, hat die Autorin gezielt viele
verschiedene Professionen und Berufsfelder angesprochen und somit auch aktiv die
Stichprobe rekrutiert. Anschriften und Kontaktdaten geeigneter Ansprechpartner bzw.
Institutionen fanden sich durch

Teilnahme an Arbeitskreisen des Ambulant betreuten Wohnens Kölns und
der regionalen Suchthilfe

durch Auswertung des Internets

aus der hinzugezogenen Literatur

aus eigener Arbeitstätigkeit bestehenden Kooperationskontakte, wie zur
Bewährungshilfe Köln, LVR Kliniken Köln Merheim, diversen Arztpraxen
und weiteren Krankenhäusern

durch Hinweise von Untersuchungsteilnehmer/-innen

durch Posten des Links in sozialen Netzwerken
Der erhebliche Nachteil dieser Vorgehensweise lag darin, dass durch die teilweise
stattfindende Selbst-Generierung des Fragebogens unklar blieb, wer tatsächlich mit
welcher Profession und in welchem beruflichen Wirtschaftssektor arbeitend den
Methodik
61
Fragebogen ausgefüllt hat und ob es zu einer mehrfachen Ausfüllung des Fragebogens
kam. Die Verlässlichkeit einer solchen Datenerhebungsmethode ist daher grundsätzlich
mit Skepsis zu betrachten.
Deshalb können die Stichprobe und die Ergebnisse nicht als repräsentativ bezeichnet
werden.
Der offizielle Titel der Untersuchung lautete „Arbeit im helfenden Dienstleistungssektor.
Selbstverständnis und Einstellungen gegenüber Arbeit und deren Auswirkungen auf das
menschliche
Wohlbefinden“.
Es
wurde
also
explizit
auf
den
Hinweis
des
Forschungsgegenstandes der Arbeitssucht bei Helfern verzichtet, um potenziellen
Primingeffekten vorzubeugen, die das Antwortverhalten der Studienteilnehmer
beeinflussen und verzerren hätten können. Erst am Ende des Fragebogens erschien ein
Hinweis auf die Thematik der Arbeitssucht.
Alle Probanden wurden darauf hingewiesen, dass ihre Angaben streng vertraulich
behandelt und anonymisiert verarbeitet werden.
Vor der Durchführung der eigentlichen Befragungen wurde der Fragebogen in Form von
acht Probebefragungen (Pretest) getestet. Diese Befragungen verliefen zeitlich versetzt,
so dass nach den ersten vier erfolgten schriftlichen Beantwortungen der erstellte
Fragebogen durch die neu gewonnenen Erkenntnisse optimiert werden konnte. Größere
Verständnisprobleme oder Mängel des Fragebogens konnten dabei nicht festgestellt
werden, lediglich einzelne Items wurden umformuliert.
Die erneute Testung durch vier weitere Beantwortungen bestätigte den optimierten
Fragebogen. Die kleine Stichprobengröße von N= 8 im Pretest resultiert aus der Absicht,
jeweils
Angehörige
von
Dienstleistungssektor
vorab
verschiedenen
Professionen
zu
um
befragen,
besonders
aus
dem
helfenden
professionsgebundene
Formulierungen zu vermeiden und allen befragten Professionen die formulierten Items
zugänglich zu machen. So wurden zwei praktizierende Ärzte, eine Krankenschwester,
eine Heilerziehungspflegerin, zwei Sozialarbeiterinnen und zwei praktizierende
Therapeuten/ Psychologen im Vortest befragt.
Um die möglichen Probleme bei der Beantwortung der Items zu eruieren, wurden zwei
Pretester direkt bei der Bearbeitung des Fragebogens durch die Autorin beobachtet, die
anderen Pretester erhielten die Möglichkeit, über beigefügte Textfelder Kritik und
Anmerkungen äußern zu können.
Die Bearbeitungsdauer des Fragebogens betrug im Durchschnitt 16,2 Minuten.
Methodik
6.2
62
Operationalisierungen der Konstrukte und Beschreibung
der Messinstrumente
Bevor die eigentliche Untersuchung begonnen werden konnte, bedurfte es zum einen der
Operationalisierung der aufgestellten Hypothesen, um diese messbar machen zu können,
und zum anderen der Entwicklung der Methoden zur Messung.
Die Erfassung sämtlicher Konstrukte erfolgte über einen Online-Fragebogen, welcher aus
verschiedenen verfügbaren Erhebungsinstrumenten, in Kombination mit eigens
entwickelten Items zusammengestellt wurde.
Zunächst wird auf die Messung der Arbeitssucht eingegangen, wobei das Ziel darin
bestand, arbeitssüchtige Probanden von nicht-arbeitssüchtigen zu unterscheiden. Zwar ist
arbeitssüchtiges Verhalten vielfach beobachtbar, allerdings ist zu beachten, dass für eine
sinnvolle Operationalisierung eine Beobachtung allein nicht ausreichend ist. Dabei wird
berücksichtigt, dass ein Verhalten durch zwei Faktoren, dem sozialen und dem
psychischen Faktor, bestimmt ist (Kroeber & Weinsberg, 2003). Unter dem sozialen
Faktor ist der Einfluss auf eine Person, bedingt durch den Kontakt mit anderen
Individuen, zu verstehen, während aktivierende Prozesse, wie Emotionen, Einstellungen
etc. und kognitive Prozesse dem psychischen Faktor zuzuordnen sind (Kroeber &
Weinsberg, 2003). Zur Messung des Vorhandenseins einer Arbeitssucht liegt der
Schwerpunkt des Interesses auf dem psychischen Faktor, womit Rückschlüsse auf die
Motivation und die vorhandene Einstellung gegenüber der eigenen Arbeitstätigkeit
gezogen werden können.
Um die Hauptfrage zu klären, ob Arbeitssucht eine Phänomen ist, das im helfenden
Dienstleistungssektor stärker vertreten ist als im Bundesdurchschnitt, erschien eine
quantitative Befragung in Form eines standardisierten Fragebogens als die am besten
geeignete Methode.
Der Vorteil einer schriftlichen Befragung in Form eines Fragebogens ist die
Standardisierung und die damit erreichte Vergleichbarkeit der Probanden.
Es ist zu bedenken, dass der Fragebogen eine subjektive Forschungsmethode darstellt, der
als Selbstbericht-Instrument durch seine standardisierte Form aufgrund der Bildung von
Items nur bestimmte Antworten der Probanden zulässt. Somit können Unsicherheiten und
mögliche neue Aspekte gegebenenfalls nicht ausreichend erfasst werden. Um diesem
Manko zu begegnen, gilt es, zukünftig in anderen Forschungsarbeiten beispielsweise
halbstrukturierte Interviews als qualitative ergänzende Verfahren einzusetzen. Ebenso
liegt der Nachteil der Befragung generell in dem Problem, dass nicht soziales Verhalten
sondern ausschließlich verbales Verhalten als Teilaspekt erfasst wird und somit die
Methodik
63
Ergebnisse nur eine eingeschränkte Erfassung des Komplexes Arbeitssucht bei Helfern
widerspiegeln können (Matthey, 2011).
Dennoch bleibt das persönliche Interview als Alternative uninteressant, da aufgrund der
hohen Tabuisierung des Themas eine Bereitschaft zur Teilnahme häufig nur in
Verbindung mit der Zusicherung der Anonymität erreicht werden kann. Des Weiteren ist
den Betroffenen zumindest im Anfangsstadium ihre eigene Arbeitssuchtproblematik oft
nicht bewusst, so dass es schwierig erscheint, diese für eine Befragung zu gewinnen. Es
besteht weiterhin die Gefahr der mangelnden Kontrolle über zu erwartende
Antwortverzerrungen aufgrund des Effektes der sozialen Erwünschtheit, gleichzeitig wird
diese Problematik durch die Anonymität, die eine Online-Befragung bietet, deutlich
entschärft (Scholl, 2009). „Die hohe subjektive Anonymität der Online-Befragung führt
zu einer Verminderung von Verzerrungen durch sozial erwünschte Antworten und einer
erhöhten Offenheit bei den Studienteilnehmern, auf persönliche Fragen ehrlich zu
antworten.“ (Städele, 2008, S. 68) Ebenso konnte laut Bortz und Döring (2002) durch
Vergleichsstudien die Vermutung widerlegt werden, dass Studienteilnehmer bei OnlineBefragungen mehr Falschangaben machen als bei anderen Befragungsarten. Nach Zerr
(2003) führt dieses Entfallen von Intervieweffekten zu einer erhöhten Gütequalität,
nämlich der Reliabilität und Validität.
Da es bisher keine verlässliche Diagnose von Arbeitssucht gibt und es sich um eine ichsyntone Störung handelt, ist es besonders wichtig, eine große Stichprobe zu erhalten, um
potentiell Arbeitssüchtige überhaupt anhand eines künstlichen Kriteriums identifizieren
zu können. Hierzu eignete sich gerade aufgrund ihrer hohen Reichweite insbesondere die
Online-Befragung. Des Weiteren bietet sie aufgrund ihrer hohen Ökonomie, der hohen
Akzeptanz der Methodik bei den Befragten und ihrer Alokalität, also der verbesserten
Ansprechbarkeit von schwer erreichbaren Personenkreisen, diverse Vorteile (Thielsch,
2008). Auch kann durch die lange zeitliche und räumliche Verfügbarkeit des OnlineFragebogens eine höhere Teilnahmebereitschaft erzielt werden. Durch höhere
Selbstbestimmtheit bzgl. des Beantwortungszeitpunktes und der Beantwortungsdauer
kann auch eine intensivere Auseinandersetzung des Untersuchungsteilnehmers mit der
Thematik ermöglicht werden (Städele, 2008). Diese hohe Flexibilität kann sich attraktiv
für die Studienteilnehmer gestalten, so dass möglicherweise auch schwer erreichbare
Zielgruppen erleichtert rekrutiert werden können. Durch die digitale Datenerhebung und verarbeitung kann es zu einer Senkung der Fehlerquote kommen. Gleichzeitig steigt die
Objektivität, da die Befragung automatisiert erfolgt (Zerr, 2003).
Die Konstruktion und Entwicklung des Fragebogens erfolgte auf der Grundlage einer
Literaturrecherche, eines Experteninterviews mit Herrn Dr. Poppelreuter, der seit 1996
Methodik
64
federführend in der Erforschung der Arbeitssuchtproblematik in Deutschland ist, und
nach zahlreichen Gesprächen über das eigene Arbeitsverhalten mit Berufstätigen aus dem
helfenden Dienstleistungssektor.
Der Fragebogen enthielt hauptsächlich geschlossene Fragen, allerdings hatten die
Teilnehmer vereinzelt die Möglichkeit, insbesondere durch das offene Textfeld am Ende
der Befragung, offene Angaben zu machen und damit auch Aspekte zu benennen, die im
Fragebogen nicht berücksichtigt wurden. Ca. 10 Prozent der Befragten nutzen die
Möglichkeit, ergänzende Anmerkungen zu äußern. Bei allen Fragestellungen und
Antwortvorgaben wurde darauf geachtet, diese verständlich, eindeutig und neutral zu
formulieren. Ebenso wurden 2 Kontrollfragen zur Überprüfung der Aufmerksamkeit der
Probanden und der Wahrheitskontrolle eingesetzt.
Der Fragebogen bestand insgesamt aus 137 Fragen, die sich thematisch in 5 Blöcke
unterteilten:

Arbeitssucht und Arbeitsverhalten

Berufsverständnis und Motivation

Berufsspezifische Arbeitsbedingungen

Allgemeine und berufliche Zufriedenheit bzgl. des Arbeitsverhaltens, der
eigenen Leistungsfähigkeit, der psychisch erlebten Belastbarkeit und
emotionalen Erschöpfung und des sozialen Umfelds

Demografische Daten
Grundlage für die Erhebung der Arbeitssucht stellt die reliable und valide Skala für
Arbeitssucht (SEA) von Schneider (2001) dar, welche durch die Beantwortung von 20
dichotomen (Ja-/Nein-) Items für jede Befragungsperson einen Arbeitssucht-Wert
ermittelt. Dabei wird jede Ja-Antwort einer Versuchsperson auf der SEA-Skala als
Indikator für Arbeitssucht mit einem Punkt bewertet und anschließend durch Summation
aller Ja-Antworten der SEA-Skalen-Rohwert ermittelt.
Die Reliabilität der SEA-Skala kann als gut eingestuft werden. Die interne Konistenz
beträgt r = .87 (Cronbachs Alpha), die Split-Half-Reliabilität nach Spearman-Brown liegt
r = .71 und Retest-Reliabilität erreicht r = .92. (Schneider, 2001) „Die Skala umfasst die
20 trennschärfsten der ursprünglichen 174 Items, die anhand einer Literaturrecherche zum
Thema Arbeitssucht entwickelt wurden, woraus sich die inhaltlich-logische Validität des
Fragebogens ergibt.“ (Städele, 2008, S. 70) Des Weiteren können kaum alternative
Messinstrumente, die den psychometrischen Anforderungen entsprechen oder das gleiche
definitorische Verständnis von Arbeitssucht aufweisen (Städele, 2008), benannt werden.
Methodik
65
Lediglich die englischsprachigen Arbeitssucht-Skalen von Spence und Robbins (1992)
stellen ein reliables Messinstrument dar, wobei eine Normierung dieser ArbeitssuchtSkalen an einer repräsentativen deutschen Stichprobe bisher nicht erfolgt ist (Städele,
2008).
Die SEA-Skala kann somit als Messinstrument verwendet werden, um das Phänomen
Arbeitssucht zu quantifizieren, und sie liefert zugleich Normwerte (5,8) für die
Beantwortung der Skala durch die Gesamtbevölkerung (Schneider, 2001; Städele, 2008).
Die Nullhypothese und ihre Alternativhypothese wurden anhand der SEA-Skala von
Schneider (2001) überprüft. Lag demnach der gewonnene Durchschnittswert auf der
Skala für Arbeitssucht über 5,80, tendierte der Befragte zu einem arbeitssüchtigen
Verhalten. Da aber eine Vergleichbarkeit zu den benannten Normwerten von Schneider
nur hergestellt werden konnte, wenn die Befragten alle Items beantworteten, sollte mit
Hilfe einer technischen Funktion alle diesbezüglichen Items als Pflichtangaben markiert
werden, so dass sich die Teilnehmer gezwungen sahen, diese vollständig zu beantworten.
Die SEA-Skala von Schneider (2001) wurde in der vorliegenden Arbeit übernommen,
lediglich ein Item wurde leicht modifiziert.24
Beachtet werden musste aber, dass die Skala keinen exakten Wert vorgibt, anhand dessen
eine Arbeitssucht diagnostiziert werden könnte (Schneider, 2001). Somit konnte auch
innerhalb der Stichprobe nur ein relativer Vergleich zwischen Teilnehmern mit niedrigen
und solchen mit hohen Werten auf der Skala für Arbeitssucht gezogen werden. Um die
weiteren aufgestellten Hypothesen überprüfen zu können, wurde die Stichprobe (N =
438) anhand der T-Werte der Arbeitssuchtskala in Quartile unterteilt. Durch diese
künstliche Unterteilung in Extremgruppen ließen sich dann Vergleiche zwischen
Berufstätigen aus dem helfenden Dienstleistungssektor mit den höchsten Werten auf der
Skala für Arbeitssucht (oberes Quartil; N = 89) und damit der Zuordnung zu einen
tendenziell arbeitssüchtigen Verhalten und denjenigen mit den niedrigsten Werten
(unteres Quartil; N = 131)
und der Zuordnung zu nicht-arbeitssüchtigen Verhalten
ziehen. Die restlichen ca. 50 Prozent der Stichprobe, deren SEA-Ausprägungen im
mittleren Bereich lagen, wurden für die weiteren Untersuchungen nicht mehr
berücksichtigt. Somit waren die untersuchten Ausprägungsunterschiede zwischen
24
Das Item „Meine Frau sagt, ich opfere mich zu sehr für meinen Beruf auf“ wurde aufgrund des
eingeengten Fokusses umformuliert in „Mein Partner/-in sagt, ich opfere mich zu sehr für meinen
Beruf auf“. Möglicherweise leidet dadurch die Vergleichbarkeit in geringem Maße.
Methodik
66
klassifizierten Arbeitssüchtigen und Nicht-Arbeitssüchtigen25 relevant und nicht die
tatsächlichen Ausprägungen der einzelnen Personen auf der Arbeitssucht-Skala.
Außerdem
konnten
so
Merkmalsausprägungen
Arbeitsverhaltens,
etc.)
deutlicher
(Einstellungen,
und
der
Zusammenhänge
Motivation,
Zugehörigkeit
zwischen
Sichtweisen
zur
Gruppe
bestimmten
des
der
eigenen
tendenziell
arbeitssüchtigen und nicht-arbeitsüchtigen Berufstätigen dargestellt werden.
Mangels empirisch bewährter Vorbilder beruhten die 46 Items aus den beiden
Frageblöcken zum Thema Selbstverständnis und berufsspezifische Arbeitsbedingungen,
2. und 3. Fragenblock des Fragebogens, ausschließlich auf Items, die von der Autorin
nach intensiver Literaturrecherche selbst entwickelt wurden. Diese Items wurden in
Statements formuliert, zu denen die Befragten in sogenannten Rating-Skalen Stellung
beziehen sollten. Um die bestehende Tendenz, Extrempositionen zu vermeiden und stets
mittlere Skalenwerte anzugeben, zu verhindern, wurde eine vierstufige Ordinalskala
verwendet. Jede Antwortmöglichkeit wurde einer Zahl zugeordnet (1 = trifft überhaupt
nicht zu, 2 = trifft eher nicht zu, 3 = trifft eher zu, 4 = trifft voll und ganz zu) und somit
codiert. Zur Auswertung wurden für jeden Probanden die Punkte einzeln addiert und
mithilfe des Mittelwertes, der aus allen dazugehörigen Items, die von der Versuchsperson
beantwortet wurden, errechnet wurde, erfolgte eine Einteilung in zwei Kategorien (hohe
vs. niedrige Zustimmung).
Im 4. Fragenblock zur Thematik der Zufriedenheit finden sich dabei 28 Items aus dem
reliablen und validen Fragebogen zur Lebenszufriedenheit (FLZ) von Fahrenberg,
Myrtek, Schuhmacher und Brähler (2000). Der FLZ dient der Erfassung relevanter
Aspekte der Lebenszufriedenheit, wobei in der vorliegenden Arbeit lediglich 5 Bereiche
der vom FLZ ursprünglich angebotenen 10 Lebensbereiche, teilweise stark verkürzt,
berücksichtigt
wurden.
Die
abgefragten
Bereiche
umfassten
die
allgemeine
Lebenszufriedenheit, die Zufriedenheit mit der beruflichen Situation, der eigenen
Gesundheit, mit der Freizeitgestaltung und mit ihren sozialen Beziehungen. Eine
25
Im nun folgenden Text wird die Bezeichnung „Nichtarbeitssüchtige“ als Synonym für die
Befragten mit den niedrigsten Arbeitssucht-Werten (unteres Quartil) verwendet. Dies dient der
sprachlichen Vereinfachung. Dabei muss beachtet werden, dass nicht mit Sicherheit gesagt werden
kann, dass diese Befragten definitiv nicht arbeitssüchtig sind, sondern sie lediglich
verhältnismäßig zu den anderen Befragten nicht-arbeitssüchtig sind.
Methodik
67
Erhebung weiterer Lebensbereiche wurde aus ökonomischen und inhaltlichen Gründen
nicht angestrebt. Jede der Subskalen umfasste eine unterschiedliche Anzahl von Items,
welche die Studienteilnehmer auf einer vierstufigen Likert-Skala, die von „unzufrieden (4
Punkte) bis „zufrieden“ (1 Punkt) reichte, beurteilten. Dabei wurde der Gesamtscore der
Zufriedenheit über alle erfassten Lebensbereiche hinweg als Mittelwert aus allen
beantworteten Items errechnet. Für die Auswertung der Daten wurden also einheitlich die
Skalen-Mittelwerte als Indikatoren für die Zufriedenheit in den verschiedenen
Lebensbereichen verwendet, da es primär um die Feststellung von höherer oder niedriger
Lebenszufriedenheit ging. Die anhand der Skalenmittelwerte ermittelte Zufriedenheit
konnte dabei in genügendem Maße zur Testung der Hypothesen H 9, H 12 bis H 15
dienen, da im Rahmen der ex-post-facto Studie keine kausalen Rückschlüsse auf die
Gesamtpopulation möglich sind und die Vergleiche sich nur auf die beiden
Extremgruppen beziehen.
Der FLZ ist ein reliables Erhebungsinstrument. Die internen Konsistenzen (Cronbachs
Alpha) liegen für die einzelnen Skalen zwischen r = .82 und r = .95, so dass die
Reliabilität als gut einzustufen ist.
Zur Erfassung der Produktivität des Arbeitsverhaltens der Befragten wurden aufgrund
fehlender empirischer Vorlagen 8 Items von der Autorin eigens entwickelt. Die Items
wurden in Statements formuliert, zu denen die Befragten in sogenannten Rating-Skalen
Stellung beziehen sollten. Ebenso, wie bei der Erfassung der Zufriedenheit wurden dabei
eine vierstufige Ordinalskala und der Skalen-Mittelwert als Indikator für ein
unproduktives Arbeitsverhalten zur Auswertung verwendet.
Außerdem wurde der Maslach Burnout Inventory Test (MBI) von Maslach & Jackson
(1981, zitiert nach Institut für angewandte Sozialwissenschaften, 2012), der laut Burisch
(2006) und Hoffman et al. (2005) zu 90 Prozent in der empirisch quantitativen BurnoutForschung als Messinstrument verwendet wird, zur Erfassung der Einschätzung der
eigenen Leistungsfähigkeit und der erlebten Erschöpfung in modifizierter Form
eingesetzt. „Nach Angaben von Maslach und Jackson entspricht der Fragebogen den
geforderten Gütekriterien wie Retest-Reliabilität, konvergenter und diskriminanter
Validität.“ (Reiners-Kröncke et al., 2010, S. 21) Der Test besteht aus 22 Items und
unterteilt sich in 3 Frageblöcke bzw. Dimensionen der emotionalen Erschöpfung,
Depersonalisation und reduzierten Leistungsfähigkeit, wobei zur Auswertung die Summe
der Ja-Antworten in den ersten beiden Blöcken und die Summe der Nein-Antworten aus
dem dritten Block entscheidend sind. Die Ja-Antworten der ersten beiden Blöcke und die
Nein-Antworten des dritten Blocks wurden jeweils mit dem Wert 1 codiert. Dabei kann
der Test keine verbindlichen Kriterien zur Bestimmung eines individuellen BurnoutGrades formulieren, sondern nur die erlebte Belastung der einzelnen Dimensionen über
Methodik
68
die erfolgte Selbsteinschätzung der Befragten konstatieren (Enzmann & Kleiber, 1989;
Reiners-Kröncke et al., 2010). Für die Auswertung der Daten wurde also auch hier
einheitlich der Skalen-Mittelwert als Indikator für Burnout verwendet, da es primär um
die Feststellung von höherer oder niedriger Belastung ging.
Im 5. Fragenblock wurden die demografischen Daten der Untersuchungsteilnehmer durch
12 formulierte Items erhoben. Die Teilnehmer machten Angaben zu Alter, Geschlecht,
Familienstand, Schul- und Berufsausbildung, Berufstätigkeit und zu derzeitigen
beruflichen Arbeitsfeldern. Weiterhin wurden die vertraglich vereinbarten und die
tatsächlich geleisteten Wochenarbeitsstunden der Befragten erfasst und die Jahre an
Berufserfahrungen
quantitativ
erhoben.
Auch
wurde
erfragt,
ob
die
Untersuchungsteilnehmer bereits aufgrund ihres Arbeitsverhaltens professionelle Hilfe in
Anspruch genommen haben.
6.3
Stichprobe
Sowohl die Durchführung einer Totalerhebung als auch das Ziehen einer repräsentativen
Stichprobe aller Berufstätigen im helfenden Dienstleistungssektor ist aufgrund des
zeitlichen Rahmens der Masterarbeit und der mangelnden Definition und Abgrenzung der
Berufsgruppen des helfenden Dienstleistungssektors, und somit der mangelnden
Eruierung der Grundgesamtheit, nicht möglich.
Deshalb wurde als Stichprobendesign die Ad-hoc-Stichprobe gewählt, welche dazu dient,
einen ersten Einblick in das Problemfeld zu bekommen. Die Ad-hoc-Stichprobe gehört
dabei
zu
den
nicht-probabilistischen
Stichproben,
was
bedeutet,
dass
die
Auswahlwahrscheinlichkeit der Elemente einer Stichprobe nicht bekannt ist, vielmehr ist
die Auswahl durch die gerade zur Verfügung stehenden Elemente bedingt. Diese
Stichprobe ist damit nicht repräsentativ und durch eine mangelnde Randomisierung nicht
zufällig. Das methodologische Problem von Ad-hoc-Stichproben liegt darin, dass man
ihre Ergebnisse nur schwierig verallgemeinern kann. Ad-hoc-Stichproben erfordern daher
die Definition einer Grundgesamtheit im Nachhinein aus den Daten in der Stichprobe
(Kirchhoff, Kuhnt, Lipp & Schlawin, 2010; Raab-Steiner & Benesch, 2012).
Somit ergibt sich aus dem Untersuchungsdesign eine selbstselektierte Stichprobe
(Städele, 2008), da die Internetuser bzw. durch E-Mails angesprochenen Personen eher
zufällig auf die Studie stießen und selbst entscheiden konnten, ob sie an dieser teilnehmen
Methodik
69
wollten26. Somit fand sowohl eine passive Rekrutierung durch Weiterleitung der E-Mails
z.B. in örtlichen Arbeitskreisen der Suchthilfe als auch eine aktive Rekrutierung durch
direkte Ansprache von Kooperationskontakten per E-Mail statt. Allerdings dürften im
Rahmen dieser Studie die auf passivem Wege rekrutierten Befragungsteilnehmer
zahlenmäßig überwiegen.
Der Online-Fragebogen wurde insgesamt 746mal aufgerufen. Zur Stichprobe zugeordnet
wurden allerdings nur Teilnehmer, die den Fragebogen vollständig ausgefüllt haben.
Somit konnten 438 vollständig beantwortete Fragebögen und 308 abgebrochene
Befragungen differenziert werden, welches eine Rücklaufquote von ca. 59 Prozent ergibt.
Letztendlich konnten somit 438 Fragebögen in die Stichprobe aufgenommen werden.
Kirchhoff et al. (2010) beschreiben, dass insbesondere bei schriftlichen Befragungen eine
Rücklaufquote von über 15 Prozent als „bemerkenswert hoch“ (S.35) zu titulieren ist. Die
hohe Rücklaufquote dieser Studie ist wahrscheinlich durch die aktive Rekrutierung von
beruflichen
Kooperationskontakten
und
des
damit
bestehenden
persönlichen
Verhältnisses zur Autorin der Studie einerseits und anderseits durch die hohe Akzeptanz
und Nutzung der Untersuchungsteilnehmer von sozialen Netzwerken wie Facebook
erklärbar. Ebenso kann aufgrund von Rückmeldungen der Befragten vermutet werden,
dass die Thematik des beruflichen Selbstverständnisses des Helfers und dessen
Auswirkungen auf die eigene Gesundheit von den Teilnehmern als interessant beurteilt
und die Befragung als Raum zur Selbstreflexion genutzt wurde.
Die 438 Versuchspersonen wurden für alle Berechnungen in zwei Extremgruppen und
eine breite unauffällige Gruppe aufgeteilt27, wobei diejenigen Personen, die eine mittlere
Ausprägung auf der SEA-Skala aufwiesen, nicht in weitere Berechnungen der
Hypothesenüberprüfungen
eingingen.
Für
den
Extremgruppenvergleich
wurde
ausschließlich ein Vergleich zwischen den Versuchspersonen, die die höchsten SEAWerte und somit der Gruppe der potenziell Arbeitssüchtigen (N = 89) zugeordnet werden
konnten, und denjenigen, die die niedrigsten SEA-Werte erzielten (N = 131),
unternommen.
26
Siehe dazu auch Kap.6.1
27
Siehe dazu Kap.6.2
Methodik
6.4
70
Verfahren der Datenauswertung
Für die statistische Auswertung wurden die Daten mit Hilfe des Programms Limesurvey
in das Softwareprogramm SPSS 20 importiert und dort quantitativ analysiert.
Zunächst wurden die Daten für die Auswertung gesichtet und aufbereitet, wobei falsche
Werte ausgeschlossen, neue Variablen für die weitere Berechnung gebildet und die
Kontroll-Items umgepolt wurden. Ebenso wurden die Angaben der Probanden überprüft,
ob diejenigen, die z.B. als Familienstand „Single“ angaben, auch bei der
Zufriedenheitsbewertung der sozialen Beziehungen, die Fragen zum Partner ausgelassen
hatten.
Zur Beschreibung der Stichprobe hinsichtlich der demographischen Variablen wurden
deskriptive Analysen durchgeführt und anhand Häufigkeitsverteilungen analysiert, ob
Unterschiede und Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Variablen und deren
Ausprägungen bestehen.
Mit Hilfe des Einstichproben-t-Test wurde überprüft, ob der aus der gegebenen
Stichprobe gewonnene Mittelwert sich von dem vorgegebenen Mittelwert von 5,8
(Schneider, 2001) unterscheidet.
Kreuztabellen dienten vereinzelt zur genauen Gegenüberstellung von arbeitssüchtigen
und nicht-arbeitssüchtigen Helfern hinsichtlich einzelner Variablen (Berufsanfänger,
Geschlecht). Anhand des Chi-Quadrat-Tests nach Pearson wurden die Unabhängigkeit
beider Variablen der Kreuztabelle und ein möglicher Zusammenhang der beiden
Variablen überprüft. Die Formel zur Berechnung des Wertes nach Pearson lautet:
„Der Chi-Quadrat-Wert stellt somit die Summe der Quadrate der standardisierten
Residuen dar, die über alle Felder der Kreuztabelle gebildet wird. Die Felder der
Kreuztabelle mit hohen standardisierten Residuen liefern demnach einen hohen Beitrag
zum Chi-Quadrat-Wert und damit zu einem signifikanten Ergebnis.“ (Bühl, 2012, S.300)
Ein großer Chi-Quadrat-Wert gibt damit einen Hinweis auf einen großen Zusammenhang
zwischen den Variablen. Die untersuchten Variablen sind dann unabhängig voneinander,
wenn die beobachteten Häufigkeiten (fo) mit den erwarteten Häufigkeiten (fe)
übereinstimmen. Zusätzlich wird der Freiheitsgrad (df) bestimmt. Dieser wird zur
Berechnung der Irrtumswahrscheinlichkeit (p) benötigt. Liegt p ≤ 0.05 vor, so ist das
Ergebnis signifikant (p ≤ 0.01 sehr signifikant; p ≤ 0.001 höchst signifikant). Dies
bedeutet, dass die Wahrscheinlichkeit, die Alternativhypothese angenommen zu haben,
obwohl sie falsch ist, kleiner 5 Prozent liegt (Bühl, 2012).
Methodik
71
Des Weiteren wurden zwischen verschiedenen Variablen Korrelationen berechnet, wobei
der zu berechnende Korrelationskoeffizient (r) zwischen -1 und +1 liegen kann. Je näher
der Betrag bei +/-1 liegt, desto stärker ist der Zusammenhang bzw. desto schwächer,
wenn der Wert nahe bei 0 liegt. Hat der Korrelationskoeffizient ein negatives Vorzeichen,
so besteht ein gegenläufiger Zusammenhang zwischen beiden Variablen (Bühl, 2012). Da
bei den Berechnungen eine der beiden Variablen immer ordinalskaliert war, wurde die
Rangkorrelation nach Spearman Rho zur Berechnung der Korrelation verwendet (Bortz &
Schuster, 2010).
Zur Überprüfung der Hypothesen H4 bis H15 konnten die arithmetischen Mittelwerte
zweier unabhängigen Stichproben (ASs und Non-ASs) nicht mit Hilfe eines T-Testes für
unabhängige Stichproben verglichen werden, da die Vorraussetzungen der normal
verteilten Grundgesamtheiten und das Vorliegen eines Intervallskalenniveaus nicht erfüllt
wurden. Stattdessen musste auf nicht-parametrische Verfahren zurückgegriffen werden
(Bühl, 2012), so dass die Überprüfung der Hypothesen anhand des Mann-Whitney-UTest, der dem Vergleich von zwei unabhängigen Stichproben dient, erfolgte. Ergänzend
wurden weitere Korrelationsberechnungen durchgeführt.
Ergebnisse
72
7 Ergebnisse
7.1
Deskriptive Angaben zur Gesamtstichprobe
Insgesamt
umfasst
die
Stichprobe
438
Probanden
aus
dem
helfenden
Dienstleistungssektor. Da aus der Gesamtstichprobe (N = 438) für die hauptsächliche
Hypothesentestung zwei Extremgruppen abgeleitet wurden, d.h. nur ca. 50 Prozent in die
weiteren Berechnungen mit eingingen, werden im Folgenden nur die wichtigsten Aspekte
der demografischen Merkmale der Gesamtstichprobe beschrieben. Tabelle 7-1 gibt dazu
einen Überblick.
72 Prozent der Gesamtstichprobe (N = 438) waren Frauen und lediglich 28 Prozent
Männer. Das Durchschnittsalter der Probanden betrug 37 Jahre, wobei der jüngste
Befragte 16 Jahre und der älteste 64 Jahre alt waren. Die Mehrheit der Studienteilnehmer
war jünger als oder 40 Jahre (67 Prozent) und lebte in einer festen Partnerschaft oder war
verheiratet (77 Prozent). Lediglich 36 Prozent gaben an, Kinder zu haben. Die Mehrheit
von 63 Prozent war kinderlos. Es liegt eine hoch gebildete Stichprobe vor, denn 73
Prozent der Untersuchungsteilnehmer verfügen über eine Hochschulreife oder sogar über
ein abgeschlossenes Studium. Die Mehrheit der Probanden (52 Prozent) gaben als Beruf
Sozialarbeiter/-in, Sozialpädagoge/-in und Pädagoge/-in an; als zweithäufigste Nennung
mit 10 Prozent erfolgte die Berufsangabe Psychologe/-in und Therapeut/-in. Zusätzlich
wurden durch die Inanspruchnahme eines offenen Textfeldes (String- Variable) weitere
Berufe, wie Rettungsassistenten/Feuerwehr (N = 10), Suchttherapeut (N = 11), Lehrer (N
= 6) und die Ausführung einer leitenden Tätigkeit (N = 9) benannt. Als häufigste
Arbeitsfelder wurden ambulante Einrichtungen mit 35 Prozent beschrieben, stationäre
Einrichtungen und Krankenhäuser wurden bei 31 Prozent als Arbeitsfeld benannt. Auch
hier nutzen einige Befragte die Option, weitere Arbeitsfelder durch ein offenes Textfeld
zu ergänzen. Als zusätzliche Arbeitsfelder wurden die Kinder- und Jugendarbeit (N = 17),
die Behindertenhilfe (N = 3), die Drogenhilfe (N = 2), die Schul- und Bildungsarbeit (N =
9)
und
die
aufsuchende
Tätigkeit
(N
=
9)
beschrieben.
87
Prozent
der
Untersuchungsteilnehmer gaben an, in Festanstellung zu arbeiten. Nur 7 Prozent
titulierten ihre Arbeitstätigkeit als freiberufliche bzw. selbständige Tätigkeit. Die
Mehrheit der Befragten (60 Prozent) arbeitete Vollzeit, nur 27 Prozent gingen Teilzeit
arbeiten.
Im Mittel arbeiteten die Befragten seit 9,21 Jahren im helfenden Dienstleistungssektor,
wobei die Standardabweichung mit 8,12 relativ hoch ist und sie somit auf eine starke
Streuung hinweist. Mehr als die Hälfte der Befragten gaben aber an, erst bis zu 10 Jahren
Ergebnisse
73
als Helfer tätig zu sein. Mit steigender Dauer der Berufszugehörigkeit sank die Anzahl
der Teilnehmer.
Tabelle 7-1 Demografische Merkmale der Gesamtstichprobe (N= 438)28
Merkmal
Kategorie
Häufigkeit
Prozente
Kumulierte
Geschlecht
weiblich
318
72 %
72 %
männlich
120
28 %
100 %
3
1%
1%
zwischen 21 und 30 Jahren
151
34 %
35 %
zwischen 31 und 40 Jahren
140
32 %
67 %
zwischen 41 und 50 Jahren
92
21 %
88 %
zwischen 51 und 60 Jahren
45
10 %
98 %
Prozente
Alter
jünger als 20 Jahre
älter als 60 Jahre
Familienstand
Single
verheiratet/eingetragene
7
2%
100 %
90
21 %
21 %
140
32 %
53 %
199
45 %
98 %
9
2%
100 %
Partnerschaft
in einer festen Partnerschaft lebend
(ohne Heirat)
fehlende Angaben
Anzahl der Kinder
Bildungsstatus
279
63 %
63 %
1 Kind
57
13 %
76 %
2 Kinder
78
18 %
94 %
3 Kinder
21
5%
99 %
4 Kinder
1
0,2 %
100 %
5 Kinder
2
0,5 %
100 %
Hauptschulabschluss
4
1%
1%
Realschulabschluss
4
1%
2%
2
0,5 %
2,5 %
26
6%
8,5 %
69
16 %
24,5 %
249
57 %
81,5 %
0
0%
81,5 %
fehlende Angaben
84
19 %
100 %
Arzt /Ärztin
12
3%
3%
Krankenschwester/-pfleger;
31
7%
10 %
226
52 %
62 %
Psychologe/-in; Therapeut/-in
45
10 %
72%
Erzieher/-in, Heilerziehungspfleger/-
25
6%
78 %
keine Kinder
Hauptschulabschluss
mit
abgeschlossener Berufsausbildung
Realschulabschluss
mit
abgeschlossener Berufsausbildung
Gymnasium/ Abitur
abgeschlossenes Studium
kein Schulabschluss
Beruf
Arzthelfer/-in; Altenpfleger/-in
Sozialarbeiter/-in; Sozialpädagoge/in; Pädagoge/-in
28
Die Prozentwerte sind gerundet, so dass Rundungsungenauigkeiten auftreten können.
Ergebnisse
74
in
Arbeitsfeld
Art der Anstellung
Vollzeit /Teilzeit
Berufsjahre
Fehlende Angaben
99
22 %
100 %
Krankenhaus
44
10 %
10 %
Praxis
19
4%
14 %
stationäre Einrichtung
91
21 %
35 %
teilstationäre Einrichtung
15
3%
38 %
ambulante Einrichtung
152
35 %
73 %
Fehlende Angaben
117
27 %
100 %
Festanstellung
382
87 %
87 %
freiberufliche /selbständige Tätigkeit
29
7%
94 %
Anstellung auf 400 €-Basis
14
3%
97 %
ehrenamtliche Tätigkeit
4
1%
98 %
Ausbildung
9
2%
100 %
Vollzeit (35-40 Stunden/Woche)
263
60 %
60 %
Teilzeit
119
27 %
87 %
Fehlende Angaben
56
13 %
100 %
bis 2 Jahre Berufserfahrung
78
18 %
18 %
2 bis 5 Berufsjahre
83
19 %
37 %
6 bis 10 Berufsjahre
78
18 %
55 %
11-20 Berufsjahre
89
20 %
75 %
21 bis 30 Berufsjahre
38
9%
84 %
31 bis 40 Berufsjahre
8
2%
86 %
über 40 Berufsjahre
1
0,2 %
86 %
Fehlende Angaben
63
14 %
100 %
Auf die Frage, wie viele Wochenarbeitsstunden mit dem Arbeitgeber vertraglich
vereinbart und wie viele Arbeitsstunden tatsächlich wöchentlich geleistet wurden, ergab
sich ein Mittelwert von 4,2 Überstunden die Woche. 1,4 Prozent gaben an, wöchentlich
weniger Stunden als vereinbart zu arbeiten, wobei das Minimum hier bei -10 Stunden lag.
Das Maximum (N = 1) betrug 30 Überstunden die Woche. Wie in der Tabelle 7-2
verdeutlicht, gaben ca. 24 Prozent der Befragten an, die vertraglich vereinbarten
Wochenstunden auch genau zu leisten; 46 Prozent allerdings beschrieben, bis zu 10
Überstunden die Woche regelmäßig zu leisten.
Insgesamt beantworteten alle Teilnehmer (N = 438) am Ende des Fragebogens die Frage,
ob sie bereits professionelle Hilfe bezüglich ihres Arbeitsverhaltens in Anspruch
genommen hätten, wobei 23 Prozent (N = 99) diese Frage mit ja und 77 Prozent (N =
339) mit nein beantworteten.
Ergebnisse
75
Tabelle 7-2 Differenz zwischen vertraglich vereinbarten Wochenarbeitsstunden und tatsächlich
geleisteten Stunden
Häufigkeit Prozent Gültige Prozente
Kumulierte
Prozente
Minusstunden (maximal -10
6
1,4
1,8
1,8
Keine Über- oder Minusstunden
107
24,4
31,5
33,2
bis zu 10 Überstunden/Woche
200
45,7
58,8
92,1
bis zu 20 Überstunden/Woche
23
5,3
6,8
98,8
bis zu 30 Überstunden/Woche
4
,9
1,2
100,0
Gesamt
340
77,6
100,0
Fehlend System
98
22,4
438
100,0
Stunden/Woche)
Gültig
Gesamt
Zusammenfassend kann die Stichprobe als heterogen bezeichnet werden. Ein Vergleich
zu einer Grundgesamtheit kann aufgrund mangelnder Daten zu der Berufsgruppe der
helfenden Dienstleister leider nicht gezogen werden, so dass das Sample nicht als
repräsentativ gelten kann.
7.2
Arbeitssucht im helfenden Dienstleistungssektor
Um die Arbeitssucht-Werte der Stichprobe erfassen zu können, sollten die Befragten auf
einer Skala aus 20 dichotomen Items die dort beschriebenen Aussagen bejahen oder
verneinen. Der Arbeitssucht-Wert der 438 befragten Helfer, der sich aus der Summe der
„Ja“-Antworten errechnete, liegt im Durchschnitt bei 6,23, der Median beläuft sich auf
sechs. Dabei ist die Spannweite sehr groß, da sowohl keine Aussage (Minimum = 0), als
auch alle 20 Aussagen (Maximum = 20) bejaht wurden. Die Standardabweichung liegt
bei 4,01.
Der von Schneider (2001) ermittelte Normwert auf der Skala für Arbeitssucht beträgt
5,80. Somit weisen die befragten Helfer mit 6,23 einen höheren Arbeitssucht-Wert auf als
die repräsentative Stichprobe Schneiders, die den Bundesdurchschnitt darstellt.
Hypothesenüberprüfung H0 und H1
Die Nullhypothese, „Berufstätige aus dem helfenden Dienstleistungssektor tendieren
nicht stärker zu arbeitssüchtigem Verhalten als der Bundesdurchschnitt. Demnach weisen
sie auf der Skala für Arbeitssucht nach Schneider (2001) einen Durchschnittswert auf, der
nicht über 5,80 liegt.“, soll mithilfe eines Einstichproben-t-Testes überprüft werden.
Ergebnisse
76
Die Tabelle 7-3 zeigt das Ergebnis des durchgeführten T-Tests bei einer Stichprobe.
Dieser weist ein signifikantes Ergebnis mit p ≤ 0.05* auf. Der beobachtete Mittelwert der
Variable Arbeitssucht ist um 0,426 größer als der Testwert und der Mittelwert in der
Grundgesamtheit ist mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 Prozent 0,05 bis 0,8 größer als
der Testwert. Somit kann die Nullhypothese abgelehnt und im Umkehrschluss die
Alternativhypothese als bestätigt angesehen werden. Berufstätige aus dem helfenden
Dienstleistungssektor tendieren damit stärker zu einem arbeitssüchtigen Verhalten als der
Bundesdurchschnitt.
Tabelle 7-3 T-Test zur Überprüfung des Mittelwerts der Variable Arbeitssucht in Bezug auf die
Grundgesamtheit
Testwert = 5.8
T
df
Sig. (2-seitig)
Mittlere Differenz
95% Konfidenzintervall der
Differenz
Untere
Arbeitssucht
2,22
437
,02
,42
Obere
,05
,80
Für eine weitere Überprüfung der folgenden Hypothesen wurden die Arbeitssucht-Werte
der Helfer, wie in Tabelle 7-4 dargestellt, in Quartile unterteilt.
Die Gruppe mit den niedrigsten Werten (1.Quartil, N = 131) wies im Vergleich zum
ermittelten Bundesdurchschnitt (Schneider, 2001) unterdurchschnittliche ArbeitssuchtWerte auf, wohingegen die Gruppe mit hohen Arbeitssucht-Werten (4.Quartil, N = 89)
deutliche überdurchschnittlich hohe Werte (≥ 10) zeigte.
Nach der Bildung der beiden Extremgruppen umfassten diese eine Personenanzahl von N
= 220, welches ca. 50 Prozent der Gesamtstichprobe (N = 438) entsprach. Zu der Gruppe
der Arbeitssüchtigen (AS) wurden 89 Personen zugeteilt, wohingegen 131 Personen als
Nicht-Arbeitssüchtige (Non-AS) identifiziert wurden.
Ergebnisse
77
Tabelle 7-4 Einteilung der Stichprobe in Quartile
3,0
Gültige
Prozente
3,0
Kumulierte
Prozente
3,0
41
9,4
9,4
12,3
29
6,6
6,6
18,9
3
48
11,0
11,0
29,9
4
38
8,7
8,7
38,6
5
33
7,5
7,5
46,1
6
41
9,4
9,4
55,5
7
45
10,3
10,3
65,8
8
36
8,2
8,2
74,0
9
25
5,7
5,7
79,7
10
31
7,1
7,1
86,8
11
14
3,2
3,2
90,0
12
11
2,5
2,5
92,5
13
8
1,8
1,8
94,3
14
7
1,6
1,6
95,9
15
6
1,4
1,4
97,3
16
4
,9
,9
98,2
17
5
1,1
1,1
99,3
18
2
,5
,5
99,8
20
1
,2
,2
100,0
438
100,0
100,0
„Ja“ - Antworten
1. Quartil:
0
Häufigkeit
13
1
2
(< = 3)
(N = 131)
2. Quartil:
3. Quartil:
4.Quartil:
(> = 10)
(N = 89)
Gesamt
Prozent
Tabelle 7-5 gibt eine detaillierte Übersicht über die demografischen Merkmale der beiden
Gruppen. Bei beiden Gruppen ist dabei eine deutliche Überzahl an weiblichen Probanden
(weibliche Non-AS 65 Prozent, weibliche AS 78 Prozent) zu konstatieren, wobei beachtet
werden muss, dass auch in der erhobenen Gesamtstichprobe das weibliche Geschlecht mit
72 Prozent dominiert.
In der Gruppe der AS waren 46 Prozent der Teilnehmer unter 31 Jahre, wohingegen bei
den Non-AS nur 25 Prozent dieser Alterseinstufung folgten. In beiden Gruppen lebten die
Mehrzahl der Befragten in einer festen Partnerschaft oder waren verheiratet (79 Prozent
vs. 74 Prozent), hatten keine Kinder (58 Prozent vs. 70 Prozent), verfügten über eine
Hochschulreife oder ein abgeschlossenes Studium (68 Prozent vs. 72 Prozent), waren von
Beruf Sozialarbeiter/-in, Sozialpädagoge/-in, Pädagoge/-in (53 Prozent vs. 45 Prozent)
und arbeiteten festangestellt (88 Prozent vs. 88 Prozent) in Vollzeit (58 Prozent vs. 66
Prozent).
Ergebnisse
78
Tabelle 7-5 Demografische Merkmale der Arbeitssüchtigen (n =89) und der NichtArbeitssüchtigen (n = 131)29
Merkmal
Kategorie
Nicht-Arbeitssüchtige
Arbeitssüchtige
(Non-AS)
Häufigkeit/
Geschlecht
Alter
(AS)
Prozent/
Häufigkeit/
Prozent/
Kumulierte Prozente
Kumulierte Prozente
weiblich
85
65 %
65 %
69
78 %
78 %
männlich
46
35 %
100 %
20
22 %
100 %
1
0,7 %
0,7 %
1
1%
1%
zwischen 21 und 30 Jahren
31
24 %
24,7 %
40
45 %
46 %
zwischen 31 und 40 Jahren
51
39 %
63,7 %
25
28 %
74 %
zwischen 41 und 50 Jahren
32
24 %
87,7 %
12
13 %
87 %
zwischen 51 und 60 Jahren
15
11 %
98,7 %
7
8%
95 %
jünger als 20 Jahre
1
0,7 %
100
4
5%
100 %
Familien-
Single
27
21 %
21 %
23
26 %
26 %
stand
verheiratet/eingetragene
46
35 %
56 %
29
32%
58 %
58
44 %
100 %
37
42 %
100 %
keine Kinder
76
58 %
58 %
62
70 %
70 %
1 Kind
20
15 %
73 %
9
10 %
80 %
2 Kinder
27
21 %
94 %
14
15 %
95 %
3 Kinder
7
5%
99 %
4
5%
100 %
4 Kinder
1
0,8 %
100 %
0
0%
100 %
älter als 60 Jahre
Partnerschaft
in einer festen Partnerschaft
lebend (ohne Heirat)
Anzahl
der
Kinder
5 Kinder
0
0%
100 %
0
0%
100 %
Bildungs-
Hauptschulabschluss
2
1,5 %
1,5 %
0
0%
0%
status
Realschulabschluss
Hauptschulabschluss
0
0%
1,5 %
2
2%
2%
mit
0
0%
1,5 %
2
2%
4%
mit
9
7%
8,5 %
9
10 %
14 %
abgeschlossener
Berufsausbildung
Realschulabschluss
abgeschlossener
Berufsausbildung
Gymnasium/ Abitur
19
14,5 %
23 %
17
19 %
33 %
abgeschlossenes Studium
69
53 %
76 %
47
53 %
86 %
0
0%
76 %
0
0%
0%
32
24 %
100 %
12
14 %
100 %
kein Schulabschluss
fehlende Angaben
Beruf
Arzt /Ärztin
2
1,5 %
1,5 %
1
1%
1%
Krankenschwester/-pfleger;
8
6%
7,5 %
12
13 %
14 %
70
53 %
60,5 %
40
45 %
59 %
18
14 %
74,5 %
7
8%
67 %
5
4%
78,5 %
9
10 %
77 %
Arzthelfer/-in; Altenpfleger/-in
Sozialarbeiter/-in;
Sozialpädagoge/-in;
Pädagoge/-in
Psychologe/-in; Therapeut/-in
29
Die Prozentwerte sind gerundet, so dass Rundungsungenauigkeiten auftreten können.
Ergebnisse
79
Erzieher/-in,
Heilerziehungspfleger/-in
25
Fehlende Angabe
Arbeitsfeld
Art
der
Anstellung
3
19 %
97,5 %
20
23 %
100 %
2, 5 %
100 %
0
0%
100 %
7%
7%
13
14,5 %
14,5 %
Krankenhaus
9
Praxis
4
3%
10 %
5
stationäre Einrichtung
26
20 %
30 %
14
teilstationäre Einrichtung
4
3%
33 %
5
5,5 %
ambulante Einrichtung
51
39 %
72 %
29
32,5 %
74 %
Fehlende Angabe
37
28 %
100 %
23
26 %
100 %
Festanstellung
116
88%
78
88%
88 %
9
7%
4
4%
92 %
Anstellung auf 400 €- Basis
3
2%
4
4%
96 %
ehrenamtliche Tätigkeit
1
0,8 %
2
2%
98 %
Ausbildung
2
1,5 %
1
1%
99 %
76
58 %
58 %
59
66 %
66 %
Teilzeit
40
31 %
89 %
19
22 %
88 %
Fehlende Angabe
15
11 %
100 %
11
12 %
100 %
bis 2 Jahre Berufserfahrung
15
12 %
12 %
20
22 %
22 %
2 bis 5 Berufsjahre
22
17 %
29 %
12
13 %
35 %
6 bis 10 Berufsjahre
32
24 %
53 %
17
19 %
54 %
11-20 Berufsjahre
33
25 %
78 %
11
12 %
66 %
21 bis 30 Berufsjahre
8
6%
84 %
10
11 %
77 %
31 bis 40 Berufsjahre
3
2%
86 %
2
2%
79 %
über 40 Berufsjahre
6
5%
91 %
1
1%
80 %
12
9%
100 %
16
18 %
98 %
freiberufliche
/selbständige
5,5 %
16 %
20 %
36 %
41,5 %
Tätigkeit
Vollzeit
Vollzeit /
/Teilzeit
(35-40 Stunden/Woche)
Berufsjahre
Fehlende Angabe
Bezogen auf die Frage, wie viele Wochenarbeitsstunden mit dem Arbeitgeber vertraglich
vereinbart und wie viele Arbeitsstunden tatsächlich wöchentlich geleistet wurden, konnte
nach der Bildung der Extremgruppen ein höchst signifikanter (p ≤ 0.001 ***)
Zusammenhang zwischen dem Arbeitsverhalten (Non-AS vs. AS) und der Bereitschaft
zur Leistung von wöchentlichen Überstunden festgestellt werden (vgl. Tabelle 7-6).
Ergebnisse
80
Abbildung 7-1 Vergleich Arbeitssucht und Überstunden
Tabelle 7-6 Kreuztabelle Arbeitssucht und Überstunden
Kreuztabelle Arbeitssucht * Differenz zwischen vertraglich vereinbarten Wochenarbeitsstunden und
tatsächlich geleisteten Stunden
Arbeitssucht
Non-AS
Anzahl
Minusstunden
Gesamt
AS
3
1
4
2,4
1,6
4,0
67
12
79
46,5
32,5
79,0
17
15
32
18,8
13,2
32,0
10
28
38
22,4
15,6
38,0
3
13
16
9,4
6,6
16,0
100
70
170
100,0
70,0
170,0
Erwartete
Anzahl
Anzahl
Keine Über- oder
Erwartete
Minusstunden
Anzahl
Differenz zwischen
vertraglich vereinbarten
Anzahl
< =10
Wochenarbeitsstunden
Erwartete
Überstunden/Woche
und tatsächlich
Anzahl
geleisteten Stunden
Anzahl
> 10
Erwartete
Überstunden/Woche
Anzahl
Anzahl
>20
Erwartete
Überstunden/Woche
Anzahl
Anzahl
Gesamt
Erwartete
Anzahl
Chi-Quadrat: 51,50 (df = 5); p = 0.000
Ergebnisse
81
Wie in Abbildung 7-1 und Tabelle 7-6 sichtbar, leistet die Gruppe der AS deutlich mehr
Überstunden als erwartet, wohingegen die Gruppe der Non-AS häufiger angibt, nur die
vereinbarten Wochenarbeitsstunden zu leisten.
Die
Frage,
ob
die
Teilnehmer
bereits
professionelle
Hilfe
bezüglich
ihres
Arbeitsverhaltens und den daraus resultierenden Folgen in Anspruch genommen haben,
bejahten lediglich 44 Personen (20 %), wohingegen 176 Personen (80%) diese Frage
verneinten (vgl. Tabelle 7-7). Dennoch ist auffällig, dass insbesondere in der Gruppe der
AS deutlich mehr als erwartet, professionelle Hilfe bezüglich ihres Arbeitsverhaltens
aufgesucht haben. Der Chi-Quadrat-Test hat dabei ergeben, dass es einen höchst
signifikanten Unterschied (p ≤ 0.001 ***) zwischen den beiden Gruppen hinsichtlich
ihrer Inanspruchnahme von professioneller Hilfe gibt.
Tabelle 7-7 Kreuztabelle Arbeitssucht und professionelle Hilfe
Kreuztabelle Arbeitssucht * professionelle Hilfe
Arbeitssucht
Non-AS
Gesamt
AS
Ich habe mir schon mal
Anzahl
Arbeitsverhaltens und den
daraus resultierenden Folgen
professionelle Hilfe geholt.
14
30
44
Erwartete Anzahl
26,2
17,8
44,0
Anzahl
117
59
176
104,8
71,2
176,0
131
89
220
131,0
89,0
220,0
Ja
wegen meines
Nein
Erwartete Anzahl
Anzahl
Gesamt
Erwartete Anzahl
Chi-Quadrat: 17,55 (df = 1); p = 0.000
Hypothesenüberprüfung H 2
Um die Hypothese, „Berufstätige aus dem helfenden Dienstleistungssektor mit
Arbeitssucht (UV) sind öfter Berufsanfänger (< 2 Jahre Berufserfahrung) (AV) als ihre
nicht-arbeitssüchtigen Kollegen“ überprüfen zu können, wurden die metrischen
Antworten in zwei Kategorien (Berufsanfänger/ keine Berufsanfänger) eingeteilt (vgl.
Abbildung 7-2).
Ergebnisse
82
Abbildung 7-2 Vergleich Arbeitssucht und Berufsanfänger
In einer Kreuztabelle (Tabelle 7-8) wurden diese mit den Teilnehmern, die in AS und
Non-AS eingeteilt wurden, gegenübergestellt. Der Chi-Quadrat-Test hat ergeben, dass es
einen signifikanten Unterschied (p ≤ 0.05 *) zwischen den beiden Gruppen hinsichtlich
ihrer Berufsjahre und somit ihrer gesammelten Berufserfahrung gibt.
Tabelle 7-8 Kreuztabelle zwischen den Variablen Arbeitssucht und Berufsanfänger
Kreuztabelle Arbeitssucht * Berufsanfänger
Berufsjahre über und unter 2 Jahre
Gesamt
Berufsanfänger
Kein
(< 2 Jahre
Berufsanfänger
Berufserfahrung)
Anzahl
Erwartete Anzahl
15
116
131
20,8
110,2
131,0
42,9%
62,7%
59,5%
20
69
89
14,2
74,8
89,0
57,1%
37,3%
40,5%
35
185
220
Non-AS
% innerhalb von Berufsjahre über und
unter 2 Jahre
Anzahl
Erwartete Anzahl
AS
% innerhalb von Berufsjahre über und
unter 2 Jahre
Anzahl
Gesamt
Chi-Quadrat: 4,81 (df = 1); p = 0.02
Die Nullhypothese, welche besagt, dass beide Merkmale Arbeitssucht und Berufsdauer
unabhängig voneinander sind, wird damit verworfen, und man kann davon ausgehen, dass
die Berufsdauer einen Einfluss auf die Arbeitssucht hat.
Ergebnisse
83
Um weiter zu überprüfen, welch ein Zusammenhang zwischen der Arbeitssucht und der
vorliegenden Berufserfahrung besteht, wurde ergänzend der Korrelationskoeffizient nach
Spearman-Rho berechnet. Diese Berechnungsart wurde ausgewählt, da eine Variable
ordinalskaliert ist und deshalb eine Berechnung des Korrelationskoeffizienten nach
Pearson
ausgeschlossen
ist.
In
Tabelle
7-9
sind
die
Ergebnisse
dieser
Korrelationsberechnung dargestellt.
Tabelle 7-9 Korrelation zwischen Arbeitssucht und Berufsjahre
Korrelationen
Arbeitssucht
Berufsjahre über und
unter 2 Jahre
Korrelationskoeffizient
*
1,000
-,14
.
,02
220
220
SpearmanArbeitssucht
Sig. (2-seitig)
Rho
N
*. Die Korrelation ist auf dem 0,05 Niveau signifikant (zweiseitig).
Bei dem Testverfahren besteht eine sehr geringe negative Korrelation zwischen der
Arbeitssucht und den Berufsjahren unter und über 2 Jahren. Der Korrelationskoeffizient
ist signifikant (p ≤ 0.05 *). Je kürzer die Helfer also in ihrem Beruf arbeiten, umso höher
sind ihre Arbeitssucht-Werte. Bei dieser Ausführung muss aber beachtet werden, dass
eine Korrelation nur einen kausalen Zusammenhang zwischen zwei Merkmalen
beschreibt und keine Aussagen über die Ursachen treffen kann.
Aufgrund der oben dargestellten Ergebnisse ist anzunehmen, dass der Zusammenhang
zwischen der Arbeitssucht bzw. der Berufserfahrung sehr gering negativ ausgeprägt ist.
Da er jedoch signifikant ist, wäre eine weitere Überprüfung des Zusammenhangs an einer
größeren Stichprobe sinnvoll.
Hypothesenüberprüfung H 3
Um die Hypothese „Berufstätige aus dem helfenden Dienstleistungssektor mit
Arbeitssucht (UV) sind öfter weiblich (AV) als ihre nicht-arbeitssüchtigen Kollegen“ zu
überprüfen, wurden die Geschlechter mit Hilfe einer Kreuztabelle (vgl. Tabelle 7-10) mit
den Teilnehmern, die in AS und Non-AS eingeteilt wurden (vgl. Abbildung 7-3),
gegenübergestellt.
Ergebnisse
84
Abbildung 7-3 Vergleich Arbeitssucht und Geschlecht
Der Chi-Quadrat-Test hat ergeben, dass es einen signifikanten Unterschied (p ≤ 0.05 *)
zwischen den beiden Gruppen hinsichtlich ihres Geschlechts besteht.
Tabelle 7-10 Kreuztabelle zwischen den Variablen Arbeitssucht und Geschlecht
Kreuztabelle Arbeitssucht * Geschlecht
Geschlecht
Anzahl
Non-AS
Erwartete Anzahl
% innerhalb von Geschlecht
Anzahl
AS
Erwartete Anzahl
% innerhalb von Geschlecht
Gesamt
Anzahl
Gesamt
weiblich
männlich
85
46
131
91,7
39,3
131,0
55,2%
69,7%
59,5%
69
20
89
62,3
26,7
89,0
44,8%
30,3%
40,5%
154
66
220
Chi-Quadrat : 4,03 (df =1); p = 0.04
Man kann also davon ausgehen, dass bei Personen mit unterschiedlichen arbeitssüchtigen
Verhalten auch deren Geschlecht unterschiedlich ausgeprägt ist. Die Kreuztabelle lässt
den Eindruck gewinnen, dass sich weibliche Probanden mehr als erwartet in der Gruppe
der AS und weniger in der Gruppe der Non-AS befinden, so dass die Hypothese als
bestätigt und die Nullhypothese als verworfen vermutet werden kann. Die zwei
nominalen Messniveaus der Variablen verhindern eine weitere Testung der bestehenden
Zusammenhänge.
Ergebnisse
7.3
85
Arbeitssucht und die Berufsmotivation der Helfer
Hypothesenüberprüfung 4
Die Befragten, unabhängig von ihrer Einteilung in die Gruppen der Non-AS oder AS,
zeigten vermehrt eine sehr hohe intrinsische Motivation für ihren Beruf. Items wie „Ich
helfe aufgrund meiner sozialen Überzeugung“, „Ich sehe mich als Fürsprecher für die
Bedürfnisse und Rechte meiner Patienten“ oder „Meine Tätigkeit gibt mir das Gefühl,
etwas Sinnvolles zu tun“ wurden von der Mehrzahl Teilnehmer stark oder sehr stark
befürwortet. So stimmten 93 Prozent der Befragten aus den beiden Extremgruppen der
Aussage, „In meiner Arbeit ist es mir wichtig, benachteiligten Menschen zu helfen“ und
96 Prozent der Aussage „Ich bin stark motiviert für meine Arbeit“ zu. Dennoch zeichnete
sich im direkten Vergleich der Befragten eine Diskrepanz hinsichtlich der Gruppen der
AS und der Non-AS ab: die Teilnehmer der Gruppe der AS befürworteten Items wie „Ich
fühle mich verantwortlich für das Wohlergehen und die bestmögliche Versorgung meiner
Patienten“ mit 49 Prozent, wohingegen aus der Gruppe der Non-AS nur 17 Prozent dieses
Item mit „trifft voll und ganz zu“ bejahten. Ebenso beantworteten aus der Gruppe der AS
das Item „Meine Arbeit hat eine große Bedeutung in meinem Leben“ 57 Prozent mit
„trifft voll und ganz zu“, wohingegen nur 22 Prozent der Non-AS dieser Auffassung
folgten.
Um die Hypothese „Berufstätige aus dem helfenden Dienstleistungssektor mit
Arbeitssucht (UV) identifizieren sich stärker mit ihrer Arbeit und zeigen mehr an
idealistischen Berufszielen (AV)“ überprüfen zu können, wurde zunächst mithilfe des
Kolmogorov-Smirnov-Test die Normalverteilung der abhängigen Variable überprüft (vgl.
Tabelle 7-11 und Abbildung 7-4). Aufgrund des signifikanten Ergebnisses (p ≤ 0.001
***) (vgl. Tabelle 7-11), kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Variable in der
Grundgesamtheit normalverteilt ist. Somit ist eine Vorraussetzung zur Durchführung
eines T-Tests bei unabhängigen Stichproben nicht erfüllt.
Tabelle 7-11 Testung der Normalverteilung der abhängigen Variable Index Idealismus/
Identifikation
Tests auf Normalverteilung
Kolmogorov-Smirnov
Statistik
Index Identifikation/ Idealismus
a. Signifikanzkorrektur nach Lilliefors
df
,07 438
a
Shapiro-Wilk
Signifikanz Statistik
,000
df
,97 438
Signifikanz
,000
Ergebnisse
86
Abbildung 7-4 Q-Q-Diagramm und trendbereinigtes Q-Q-Diagramm von Index Identifikation
/Idealismus zur Testung der Normalverteilung
Es erfolgte anschließend mithilfe des Mittelwertes, der aus allen dazugehörigen Items (12
x) errechnet wurde, eine Einteilung in zwei Kategorien (hoher vs. niedriger Idealismus
und Identifikation mit dem Beruf). Tabelle 7- 12 verdeutlicht, dass die Gruppe der NonAS durchschnittlich den Wert 35,29 bei der Beantwortung der Items erzielen und die
Gruppe der AS einen höheren Wert von 37,96 durchschnittlich erreichen und somit einen
höheren Idealismus und Identifikationsindex aufweisen. Zu beachten ist hierbei aber der
geringe Mittelwertsunterschied.
Tabelle 7-12 Mittelwertberechnung Arbeitssucht und Identifikation/Idealismus
Bericht
Index Identifikation/ Idealismus
Arbeitssucht
Mittelwert
N
Standardabweichung
Minimum
Maximum
Median
Non-AS
35,29
131
4,47
22
44
35,00
AS
37,96
89
4,28
27
44
39,00
Insgesamt
36,37
220
4,57
22
44
37,00
Mithilfe des Mann-Whitney-U-Test (vgl. Tabelle 7-13) wurde anschließend untersucht,
ob der beschriebene Unterschied zwischen der Gruppe der Non-AS und der AS auch
statistisch bedeutsam ist.
Wie in der Tabelle 7-13 sichtbar, liegt der durchschnittliche Range bei der Gruppe der
Non-AS deutlich niedriger als bei den AS (95,06 vs. 133,22). Da das Ergebnis höchst
signifikant (p ≤ 0.001 ***) ist, kann die
Nullhypothese somit verworfen und die
Alternativhypothese angenommen werden. Dies bedeutet, dass der Idealismus und die
Identifikation mit dem Beruf bei der Gruppe der AS stärker ausgebildet sind und ein
signifikanter Unterschied in der Ausprägung besteht.
Ergebnisse
87
Tabelle 7-13 Signifikanzberechnung zur Überprüfung der Unterschiede in der zentralen Tendenz
bzgl. Arbeitssucht und Identifikation/Idealismus
Ränge
Arbeitssucht
N
Non-AS
Mittlerer Rang
Rangsumme
131
95,06
12453,00
89
133,22
11857,00
Index Identifikation/
AS
Idealismus
Gesamt
220
a
Statistik für Test
Index Identifikation/ Idealismus
Mann-Whitney-U
3807,00
Wilcoxon-W
12453,00
Z
-4,37
Asymptotische Signifikanz (2-seitig)
,000
a. Gruppenvariable: Arbeitssucht Extremgruppen
Um weiter zu überprüfen, welch ein Zusammenhang zwischen Arbeitssucht und
Idealismus und hoher Identifikation existiert, wurde der Korrelationskoeffizient nach
Spearman-Rho berechnet. Diese Berechnungsart wurde ausgewählt, da eine Variable
ordinalskaliert ist und deshalb eine Berechnung des Korrelationskoeffizienten nach
Pearson ausgeschlossen ist.
In Tabelle 7-14 sind die Ergebnisse dieser Korrelationsberechnung dargestellt. Bei dem
Testverfahren besteht eine geringe positive
Korrelation zwischen Arbeitssucht und
Idealismus. Dies bedeutet, dass je höher die Arbeitssucht-Werte sind, desto höher sind die
Idealismus- und die Identifikationswerte. Der Korrelationskoeffizient ist höchst
signifikant (p ≤ 0.001 ***). Somit kann die Hypothese als bestätigt angesehen und die
Nullhypothese verworfen werden.
Tabelle 7-14 Korrelation Arbeitssucht und Identifikation/ Idealismus
Korrelationen
Arbeitssucht
Index Identifikation/
Idealismus
Korrelationskoeffizient
Spearman-Rho
Arbeitssucht
Sig. (2-seitig)
N
**. Die Korrelation ist auf dem 0,01 Niveau signifikant (zweiseitig).
1,00
,29
**
.
,000
220
220
Ergebnisse
88
Aufgrund der oben dargestellten Ergebnisse ist anzunehmen, dass der Zusammenhang
zwischen Arbeitssucht und Idealismus gering ausgeprägt ist. Da er jedoch signifikant ist,
wäre eine weitere Überprüfung des Zusammenhangs an einer größeren Stichprobe
sinnvoll.
7.4
Arbeitssucht und die spezifischen Arbeitsbelastungen bei
Helfern
Für die weitere Überprüfung der Hypothesen wurde die Prüfung der abhängigen
Variablen auf Normalverteilung vorausgesetzt. Da der Kolmogorov-Smirnov-Test zur
Überprüfung der Verteilungsform bei allen abhängigen Variablen signifikant wurde und
daraus folgend keine Normalverteilung der Variablen vorlag und die verwendeten Skalen
vorwiegend Ordinalskalenniveau besaßen, musste zur weiteren Datenauswertung bzw.
Hypothesentestung auf nicht-parametrische Verfahren zurückgegriffen werden. Daher
erfolgte die Überprüfung der Hypothesen anhand des Mann-Whitney-U-Test.
Hypothesenüberprüfung 5
Die fünfte Hypothese lautete: „Berufstätige aus dem helfenden Dienstleistungssektor mit
Arbeitssucht (UV) erleben mehr Stress im Umgang mit Patienten (AV)“.
91 Prozent der Befragten aus beiden Extremgruppen gaben an, dass sie sich „emotional
eingebunden in ihre Arbeit fühlen“. 79 Prozent erlebten „unrealistische und
widersprüchliche Patientenwünsche“ und 51 Prozent „fühlten sich durch die
unangemessene Anspruchshaltung der Patienten oft verärgert“. 30 Prozent beschrieben,
dass sie „nach Dienstende gedanklich nicht abschalten können“ und 23 Prozent
bemerkten, dass sie „den Schicksalen der Klienten gleichgültiger gegenüber werden“.
Im direkten Vergleich zeigten sich aber bei den Gruppen der AS und Non-AS erhebliche
Unterschiede: So stimmten nur 5 Prozent der Non-AS, im Gegensatz zu 29 Prozent der
AS, dem Item „Die täglich erlebten Schicksale berühren mich emotional“ voll zu. Ebenso
bejahten nur 1,5 bzw. 3 Prozent der Non-AS, im Gegensatz zu 17 Prozent der AS, die
Aussagen „Ich befürchte, dass mich die Arbeit emotional abstumpfen lässt“ und „Durch
das Verhalten meiner Patienten fühle ich mich oft gestresst“.
Die Auswertung der Hypothese erfolgte mithilfe des Mittelwertes, der aus allen
dazugehörigen Items (15 x) errechnet wurde und eine Einteilung in zwei Kategorien
(hoher vs. niedriger Stress im Umgang mit Patienten) ermöglichte. Tabelle 7-15
verdeutlicht, dass die Gruppe der Non-AS durchschnittlich den Wert 36,37 bei der
Ergebnisse
89
Beantwortung der Items erzielen und die Gruppe der AS einen höheren Wert von 41,82
durchschnittlich erreichen und somit einen höheren Stress aufweisen.
Tabelle 7-15 Mittelwertberechnung Arbeitssucht und Stress im Umgang mit Patienten
Bericht
Index Stress im Umgang mit Patienten
Arbeitssucht
Mittelwert
N
Standardabweichung
Minimum
Maximum
Non-AS
36,37
131
4,67
26
52
AS
41,82
89
5,62
30
60
Insgesamt
38,57
220
5,73
26
60
Mithilfe des Mann-Whitney-U-Test (vgl. Tabelle 7-16) wurde anschließend untersucht,
ob der beschriebene Unterschied zwischen der Gruppe der Non-AS und der AS
hinsichtlich ihrer Stress-Werte im Umgang mit Patienten auch statistisch bedeutsam ist.
Wie in der Tabelle 7-16 sichtbar, liegt der durchschnittliche Range bei der Gruppe der
Non-AS deutlich niedriger als bei den AS (85,87 vs. 146,76). Da das Ergebnis höchst
signifikant (p ≤ 0.001 ***) ist, kann die Nullhypothese somit zunächst verworfen und die
Alternativhypothese angenommen werden. Dies bedeutet, dass das Stresserleben im
Umgang mit Patienten bei der Gruppe der AS stärker ausgebildet ist und ein signifikanter
Unterschied in der Ausprägung besteht.
Tabelle 7-16 Signifikanzberechnung zur Überprüfung der Unterschiede in der zentralen Tendenz
bzgl. Arbeitssucht und Stress im Umgang mit Patienten
Ränge
Arbeitssucht
N
Mittlerer
Rangsumme
Rang
Non-AS
Index Stress im Umgang mit Patienten
AS
Gesamt
131
85,87
11248,50
89
146,76
13061,50
220
a
Statistik für Test
Index Stress im Umgang mit Patienten
Mann-Whitney-U
Wilcoxon-W
Z
2602,50
11248,50
-6,97
Asymptotische Signifikanz
,000
(2-seitig)
a. Gruppenvariable: Arbeitssucht
Ergebnisse
90
Um weiter zu überprüfen, welch ein Zusammenhang zwischen Arbeitssucht und
Stresserleben im Umgang mit Patienten besteht, wurde der Korrelationskoeffizient nach
Spearman-Rho berechnet. Diese Berechnungsart wurde ausgewählt, da eine Variable
ordinalskaliert ist.
In Tabelle 7-17 sind die Ergebnisse dieser Korrelationsberechnung dargestellt. Obwohl
die Rangkorrelation nach Spearman nur gering positiv ausgeprägt ist, ist der
Korrelationskoeffizient höchst signifikant (p ≤ 0.001 ***), was für einen zumindest
statistisch bedeutsamen korrelativen Zusammenhang zwischen Gruppenzugehörigkeit
und dem Stresserleben im Umgang mit Patienten spricht.
Die berichteten Ergebnisse bestätigen daher die in der Hypothese 5 formulierten
Zusammenhänge und die Nullhypothese kann verworfen werden.
Tabelle 7-17 Korrelation zwischen Arbeitssucht und Stress im Umgang mit Patienten
Korrelationen
Arbeitssucht
Index Stress im
Umgang mit
Patienten
Korrelationskoeffizient
Spearman-Rho
Arbeitssucht
Sig. (2-seitig)
N
1,00
,47
**
.
,000
220
220
**. Die Korrelation ist auf dem 0,01 Niveau signifikant (zweiseitig).
Hypothesenüberprüfung 6
Um die Hypothese „Berufstätige aus dem helfenden Dienstleistungssektor mit
Arbeitssucht (UV) erleben uneindeutige Berufsrollen und Zielvorgaben (AV) in ihrem
Arbeitskontext“ überprüfen zu können, erfolgte mithilfe des Mittelwertes, der aus allen
dazugehörigen Items (8 x) errechnet wurde, eine Einteilung in zwei Kategorien
(uneindeutige vs. eindeutige Berufsrollen und Zielvorgaben).
46 Prozent der Teilnehmer beider Extremgruppen erlebten sich in ihrer Arbeit „in der
Rolle des Kontrolleurs, ebenso 79 Prozent „in der Rolle des fürsorglichen Helfers“. 62
Prozent beschrieben ihr Erleben von „unklaren Zielvorgaben und widersprüchlichen
Anforderungen in ihrer Arbeit“, wobei 36 Prozent der Gruppe der AS und lediglich nur 9
Prozent der Gruppe der Non-AS dieses Erleben stark bejahten. 46 Prozent der Befragten
beider Extremgruppen betonten „die Unvereinbarkeit zwischen dem gesellschaftlichen
Ergebnisse
91
Fürsorgeauftrag und den Wünsche der Patienten“. 56 Prozent der AS, im Gegensatz zu 19
Prozent der Non-AS, formulierten ihre starke Zustimmung zu der erlebten
„Eingeschränktheit des Helfens durch z.B. fehlende Finanzierungen und mangelnde
Auftraggeber“
und
24
Prozent
der
AS
(vs.
6
Prozent)
erkannten
„ihren
Zuständigkeitsbereich in der Arbeit nicht klar definiert“.
Tabelle 7- 18 verdeutlicht, dass die Gruppe der AS im Vergleich zu den Non-AS
durchschnittlich einen höheren Wert für uneindeutige Berufsrollen und Zielvorgaben
aufweisen (18, 29 vs. 22,43).
Tabelle 7-18 Mittelwertberechnung Arbeitssucht und uneindeutige Berufsrollen/ Zielvorgaben
Bericht
Index uneindeutige Berufsrollen/Zielvorgaben
Arbeitssucht
Mittelwert
N
Standardabweichung
Minimum
Maximum
Non-AS
18,29
131
3,54
11
28
AS
22,43
89
3,66
14
30
Insgesamt
19,96
220
4,12
11
30
Der Mann-Whitney-U-Test (vgl. Tabelle 7-19) wurde anschließend durchgeführt, um zu
überprüfen, ob der beschriebene Unterschied zwischen der Gruppe der Non-AS und der
AS bezüglich des Erlebens von uneindeutigen Berufsrollen und Zielvorgaben auch
statistisch bedeutsam ist.
Wie in der Tabelle 7-19 sichtbar, liegt der durchschnittliche Rang bei der Gruppe der
Non-AS deutlich niedriger als bei den AS (85,02 vs. 148,01). Da das Ergebnis höchst
signifikant (p ≤ 0.001 ***) ist, kann die Nullhypothese somit zunächst verworfen und die
Alternativhypothese angenommen werden.
Um weiter zu überprüfen, welch ein Zusammenhang zwischen Arbeitssucht und dem
Erleben von uneindeutigen Berufsrollen und Zielvorgaben besteht, wurde der
Korrelationskoeffizient nach Spearman-Rho berechnet. Diese Berechnungsart wurde
ausgewählt, da eine Variable ordinalskaliert ist.
Ergebnisse
92
Tabelle 7-19 Signifikanzberechnung zur Überprüfung der Unterschiede in der zentralen Tendenz
bzgl. Arbeitssucht und uneindeutige Berufsrollen/Zielvorgaben
Ränge
Arbeitssucht
Index uneindeutige
Non-As
Berufsrollen und
AS
Zielvorgaben
Gesamt
N
Mittlerer Rang
Rangsumme
131
85,02
11137,00
89
148,01
13173,00
220
a
Statistik für Test
Index uneindeutige Berufsrollen und Zielvorgaben
Mann-Whitney-U
2491,00
Wilcoxon-W
11137,00
Z
-7,22
Asymptotische Signifikanz (2-seitig)
,000
a. Gruppenvariable: Arbeitssucht Extremgruppen
Bei dem Testverfahren (vgl. Tabelle 7-20) besteht eine geringe positive Korrelation
zwischen Arbeitssucht und dem Erleben von uneindeutigen Berufsrollen. Dies bedeutet,
dass je höher die Arbeitssucht-Werte sind, desto höher ist das Erleben von uneindeutigen
Berufsrollen und Zielvorgaben. Dieses Ergebnis ist höchst signifikant (p ≤ 0.001 ***).
Somit kann die Hypothese als bestätigt angesehen werden.
Tabelle 7-20 Korrelation zwischen Arbeitssucht und uneindeutige Berufsrollen/Zielvorgaben
Korrelationen
Arbeitssucht
Index uneindeutige
Berufsrollen und
Zielvorgaben
Korrelationskoeffizient
Spearman-Rho
Arbeitssucht
Sig. (2-seitig)
N
1,00
,48
**
.
,000
220
220
**. Die Korrelation ist auf dem 0,01 Niveau signifikant (zweiseitig).
Hypothesenüberprüfung 7
„Berufstätige aus dem helfenden Dienstleistungssektor mit Arbeitssucht (UV) erleben in
ihrem Beruf mangelnde Kontrollmöglichkeiten ihrer Arbeitstätigkeit (AV)“.
83 Prozent der Befragten, unabhängig von der Einteilung der Teilnehmer in die Gruppen
der Non-AS oder AS, verneinten die Aussage „Ich habe großen Einfluss auf das Ergebnis
meiner Arbeit“ und 56 Prozent schilderten, dass „sie oft nicht wissen, welche
Arbeitsaufgaben sie am Tag erwarten“. Im Vergleich zeigte die Gruppe der AS aber bei
Ergebnisse
93
Items, wie „Ich fühle mich den Situationen der Patienten oft ausgeliefert“, eine deutlich
höhere Zustimmung (11 % vs. 0,8%).
Mithilfe der Errechnung des Mittelwertes aus den dazugehörigen Items (5 x) wurde eine
Klassifizierung in zwei Gruppen (mangelnde vs. vorhandene Kontrolle) sichergestellt, um
die oben genannte Hypothese überprüfen zu können.
Tabelle 7- 21 verdeutlicht, dass die Gruppe der AS im Vergleich zu den Non-AS
durchschnittlich einen höheren Wert (10,20 vs. 11,36) für mangelnde Kontrolle
aufweisen. Zu beachten ist hierbei aber der geringe Mittelwertsunterschied.
Tabelle 7-21 Mittelwertberechnung Arbeitssucht und mangelnde Kontrolle
Bericht
Index mangelnde Kontrolle
Arbeitssucht
Mittelwert
N
Standardabweichung
Minimum
Maximum
Non-AS
10,20
131
2,12
5
19
AS
11,36
89
2,76
5
18
Insgesamt
10,67
220
2,46
5
19
Mithilfe des Mann-Whitney-U-Test (vgl. Tabelle 7-22) wurde anschließend geprüft, ob
der beschriebene Unterschied zwischen der Gruppe der Non-AS und der AS bezüglich
des Erlebens von mangelnder Kontrolle im Berufsalltag auch statistisch bedeutsam ist.
Tabelle 7-22 Signifikanzberechnung zur Überprüfung der Unterschiede in der zentralen Tendenz
bzgl. Arbeitssucht und mangelnder Kontrolle
Ränge
Arbeitssucht
N
Non-AS
Index mangelnde Kontrolle
AS
Gesamt
Mittlerer Rang
Rangsumme
131
98,86
12951,00
89
127,63
11359,00
220
a
Statistik für Test
Index mangelnde Kontrolle
Mann-Whitney-U
Wilcoxon-W
Z
Asymptotische Signifikanz (2-seitig)
4305,00
12951,00
-3,32
,001
a. Gruppenvariable: Arbeitssucht Extremgruppen
Wie in der Tabelle 7-22 sichtbar, liegt der durchschnittliche Range bei der Gruppe der
Non-AS deutlich niedriger als bei den AS (98,86 vs. 127,63). Da das Ergebnis höchst
Ergebnisse
94
signifikant (p ≤ 0.001 ***) ist, kann die Nullhypothese somit zunächst verworfen und die
Alternativhypothese angenommen werden.
Obwohl die Rangkorrelation nach Spearman nur sehr gering bis knapp gering positiv
ausgeprägt ist (vgl. Tabelle 7-23), ist der Korrelationskoeffizient höchst signifikant (p ≤
0.001 ***), was für einen zumindest statistisch bedeutsamen korrelativen Zusammenhang
zwischen der Gruppenzugehörigkeit und dem Erleben von mangelnder Kontrolle spricht.
Die resultierenden Ergebnisse bestätigen daher die in der Hypothese 7 formulierten
Zusammenhänge und die Nullhypothese kann verworfen werden.
Aufgrund der Ergebnisse ist also anzunehmen, dass der Zusammenhang zwischen
Arbeitssucht und dem Erleben mangelnder Kontrolle im Beruf gering ausgeprägt ist. Da
er jedoch höchst signifikant ist, wäre eine weitere Überprüfung des Zusammenhangs an
einer größeren Stichprobe sinnvoll.
Tabelle 7-23 Korrelation zwischen Arbeitssucht und mangelnde Kontrolle
Korrelationen
Arbeitssucht
Index mangelnde
Kontrolle
Korrelationskoeffizient
Spearman-Rho
Arbeitssucht
1,00
Sig. (2-seitig)
N
,22
**
.
,001
220
220
**. Die Korrelation ist auf dem 0,01 Niveau signifikant (zweiseitig).
Hypothesenüberprüfung 8
Auch die Hypothese, „Berufstätige aus dem helfenden Dienstleistungssektor mit
Arbeitssucht (UV) erleben in ihrem Beruf mangelnde Honorierung ihrer Arbeit (AV)“,
soll zunächst mit Hilfe eines Vergleichs der aus den dazugehörigen Items (6 x)
errechneten Mittelwerten und der Bildung von zwei Gruppen (mangelnde vs. vorhandene
Honorierung) überprüft werden.
76 Prozent der Befragten beider Extremgruppen gaben an, dass „sie sich durch ihre
Bezahlung“ und 52 Prozent „durch ihren Arbeitgeber und seiner fehlenden Anerkennung
nicht angemessen honoriert fühlten“. 23 Prozent (vs. 4 Prozent der Non-AS) und 10
Prozent (vs. 4 Prozent der Non-AS) der Gruppe der AS betonten, dass sie sich durch ihr
soziales Umfeld und durch die Patienten nicht ausreichend honoriert sehen.
Dabei zeigen die AS im Vergleich zu den Non-AS durchschnittlich höhere Werte bei dem
Erleben von mangelnder Honorierung im Beruf (vgl. Tabelle 7- 24).
Ergebnisse
95
Tabelle 7-24 Mittelwertberechnung Arbeitssucht und mangelnde Honorierung
Bericht
Index mangelnde Honorierung
Arbeitssucht
Mittelwert
N
Standardabweichung
Minimum
Maximum
Non-AS
15,55
131
2,75
9
24
AS
18,44
89
2,80
11
24
Insgesamt
16,72
220
3,11
9
24
Mithilfe des Mann-Whitney-U-Test (vgl. Tabelle 7-25) wurde anschließend untersucht,
ob der beschriebene Unterschied zwischen der Gruppe der Non-AS und der AS bezüglich
des Erlebens von mangelnder Honorierung auch statistisch bedeutsam ist.
Der durchschnittliche Range liegt bei der Gruppe der Non-AS deutlich niedriger als bei
den AS (86,29 vs. 146,13). Da das Ergebnis höchst signifikant (p ≤ 0.001 ***) ist, kann
die Nullhypothese verworfen und die Alternativhypothese angenommen werden. Dies
bedeutet, dass das Erleben von mangelnder Honorierung bei der Gruppe der AS stärker
ausgebildet ist und ein signifikanter Unterschied in der Ausprägung besteht.
Tabelle 7-25 Signifikanzberechnung zur Überprüfung der Unterschiede in der zentralen Tendenz
bzgl. Arbeitssucht und mangelnde Honorierung
Ränge
Arbeitssucht
Non-AS
Index mangelnde Honorierung AS
Gesamt
N
Mittlerer Rang Rangsumme
131
86,29
11304,50
89
146,13
13005,50
220
a
Statistik für Test
Index mangelnde Honorierung
Mann-Whitney-U
Wilcoxon-W
Z
Asymptotische Signifikanz (2-seitig)
2658,50
11304,50
-6,87
,000
a. Gruppenvariable: Arbeitssucht Extremgruppen
Mithilfe der Korrelationsberechnung (vgl. Tabelle 7-26) wird deutlich, dass eine geringe
positive Korrelation zwischen Arbeitssucht und dem Erleben von mangelnder
Honorierung besteht. Dies bedeutet, dass je höher die Arbeitssucht-Werte sind, desto
höher ist das Erleben von mangelnder Honorierung.
Der Korrelationskoeffizient ist
Ergebnisse
96
höchst signifikant (p ≤ 0.001 ***). Somit kann von einem statistisch bedeutsamen
korrelativen Zusammenhang zwischen der Gruppenzugehörigkeit und dem Erleben von
mangelnder Honorierung gesprochen werden. Die erwähnten Ergebnisse bestätigen daher
die in der Hypothese 8 formulierten Zusammenhänge und die Nullhypothese kann
verworfen werden.
Tabelle 7-26 Korrelation zwischen Arbeitssucht und mangelnde Honorierung
Korrelationen
Arbeitssucht
Index mangelnde
Honorierung
Korrelationskoeffizient
Spearman-Rho
Arbeitssucht
Sig. (2-seitig)
N
1,00
,46
**
.
,000
220
220
**. Die Korrelation ist auf dem 0,01 Niveau signifikant (zweiseitig).
7.5
Arbeitssucht und Arbeitsverhalten
Hypothesenüberprüfung 10
„Berufstätige aus dem helfenden Dienstleistungssektor mit Arbeitssucht (UV) zeigen
unproduktiveres Arbeitsverhalten (AV) als ihre nicht-arbeitssüchtigen Kollegen.“
Alle Items wie z.B. „Ich habe Schwierigkeiten, Arbeiten zu delegieren“, „Ich neige dazu,
ungeliebte Aufgaben zu verschieben und zu vermeiden“ und „Ich leide unter Zweifeln
und Unsicherheit, etwas nicht zufriedenstellend abgeschlossen zu haben“ wurden von der
Gruppe der AS im Vergleich zur Gruppe der Non-AS deutlich öfter bejaht. 12 Prozent der
AS (vs. 0,8 Prozent der Non-AS) beschrieben, dass „sie durch Konflikte mit Patienten
und Kollegen oft von der Arbeit abgehalten werden“ und 28 Prozent (vs. 8 Prozent der
Non-AS) formulierten, dass „sie nicht genügend Zeit haben, um alle Aufgaben zu
erledigen“.
Auch die 10. Hypothese wurde mithilfe eines Mittelwertsvergleichs und der daraus
resultierenden Bildung von zwei Gruppen (unproduktiveres vs. produktiveres
Arbeitsverhalten) zunächst getestet. Der Mittelwert wurde aus der Summe der Items zur
Thematik der Produktivität des Arbeitsverhaltens errechnet. Wie in der Tabelle 7-27
deutlich wird, zeigt die Gruppe der AS im Vergleich zu den Non-AS deutlich höhere
Mittelwerte (15,42 vs. 19,40).
Ergebnisse
97
Tabelle 7-27 Mittelwertberechnung Arbeitssucht und unproduktives Arbeitsverhalten
Bericht
Index unproduktives Arbeitsverhalten
Arbeitssucht Mittelwert
N
Standardabweichung Minimum Maximum
Non-AS
15,42 131
3,64
8
23
AS
19,40
89
4,59
8
32
Insgesamt
17,03 220
4,49
8
32
Mithilfe des Mann-Whitney-U-Test (vgl. Tabelle 7-28) wurde anschließend geprüft, ob
der beschriebene Unterschied zwischen der Gruppe der Non-AS und der AS bezüglich
der Produktivität ihres Arbeitsverhaltens auch statistisch bedeutsam ist.
Der durchschnittliche Range liegt bei der Gruppe der Non-AS deutlich niedriger als bei
den AS (88,58 vs. 142,76). Da das Ergebnis höchst signifikant (p ≤ 0.001 ***) ist, kann
die Nullhypothese somit zunächst verworfen und die Alternativhypothese angenommen
werden.
Tabelle 7-28 Signifikanzberechnung zur Überprüfung der Unterschiede in der zentralen Tendenz
bzgl. Arbeitssucht und unproduktivem Arbeitsverhalten
Ränge
Arbeitssucht
N
Non-AS
Mittlerer Rang Rangsumme
131
88,58
11604,00
89
142,76
12706,00
Index unproduktives
AS
Arbeitsverhalten
Gesamt
220
a
Statistik für Test
Index unproduktives Arbeitsverhalten
Mann-Whitney-U
Wilcoxon-W
Z
Asymptotische Signifikanz (2-seitig)
2958,00
11604,00
-6,21
,000
a. Gruppenvariable: Arbeitssucht Extremgruppen
Durch die nachfolgende Korrelationsberechnung (vgl. Tabelle 7-29) wird deutlich, dass
eine geringe positive Korrelation zwischen Arbeitssucht und der Unproduktivität des
Arbeitsverhaltens besteht. Dies bedeutet, dass je höher die Arbeitssucht-Werte sind, desto
höher ist die Unproduktivität des Arbeitsverhaltens. Der Korrelationskoeffizient ist
höchst signifikant (p ≤ 0.001***). Somit kann die Hypothese und die dort beschriebenen
Zusammenhänge als statistisch relevant und daher als bestätigt angesehen werden.
Ergebnisse
98
Tabelle 7-29 Korrelation zwischen Arbeitssucht und unproduktiven Arbeitsverhalten
Korrelationen
Arbeitssucht
Index unproduktives
Arbeitsverhalten
Korrelationskoeffizient
Spearman-Rho
Arbeitssucht
1,00
Sig. (2-seitig)
N
,42
**
.
,000
220
220
**. Die Korrelation ist auf dem 0,01 Niveau signifikant (zweiseitig).
Hypothesenüberprüfung 11
Die 11. Hypothese lautet: „Berufstätige aus dem helfenden Dienstleistungssektor mit
Arbeitssucht (UV) haben höhere Burnout-Werte (AV) als ihre nicht-arbeitssüchtigen
Kollegen.“
Die Befragten, unabhängig von ihrer Einteilung in die Gruppen der Non-AS oder AS,
wiesen vermehrt eine relativ geringe Belastung durch potentielle Burnout-Gefährdung
auf. Dennoch zeigte sich im Vergleich die starke vorherrschende Diskrepanz zwischen
den Gruppen: die Teilnehmer der Gruppe der AS bejahten folgende Items, wie „Ich fühle
mich durch meine Arbeit emotional erschöpft“ (66 Prozent der AS vs. 14 Prozent der
Non-AS), „Ich fühle mich am Ende eines Arbeitstages verbraucht“ (83 Prozent vs. 26
Prozent)
und „Ich fühle mich durch meine Arbeit ausgebrannt“ (36 Prozent vs. 4
Prozent), deutlich öfter als die Non-AS. 54 Prozent der AS, im Gegensatz zu 18 Prozent
der Non-AS verneinten, dass sie „bei der Arbeit sehr gelassen mit den emotionalen
Problemen umgehen“ könnten. Lediglich bei den Items, welche eine drohende
Depersonalisation
abfragten,
konnte
eine
geringe
Differenz
bezüglich
der
Beantwortungsmuster beider Gruppen konstatiert werden.
Die Auswertung der Hypothese erfolgte mithilfe des Mittelwertes, der aus allen
dazugehörigen Items (22 x) errechnet wurde, und eine Einteilung in zwei Kategorien
(hohe Burnout-Werte vs. geringe Burnout-Werte) ermöglichte.
Tabelle 7- 30 verdeutlicht, dass die Gruppe der Non-AS durchschnittlich den Wert 3,53
bei der Beantwortung der Items erzielten und die Gruppe der AS einen deutlich höheren
Wert von 7,11 durchschnittlich erreichten und somit deutlich höhere Burnout-Werte
aufwiesen.
Ergebnisse
99
Tabelle 7-30 Mittelwertberechnung Arbeitssucht und Burnout
Bericht
Index Burnout
Arbeitssucht
Mittelwert
N
Standardabweichung
Minimum
Maximum
Non-AS
3,53
131
3,14
0
19
AS
7,11
89
4,08
0
18
Insgesamt
4,98
220
3,96
0
19
Der Mann-Whitney-U-Test (vgl. Tabelle 7-31) überprüft schließlich, ob der beschriebene
Unterschied zwischen der Gruppe der Non-AS und der AS bezüglich ihrer Burnout-Werte
auch statistisch bedeutsam ist. Dabei liegt der durchschnittliche Range bei der Gruppe der
Non-AS deutlich niedriger als bei den AS (87,14 vs. 144,88). Das Ergebnis ist höchst
signifikant (p ≤ 0.001 ***).
Tabelle 7-31 Signifikanzberechnung zur Überprüfung der Unterschiede in der zentralen Tendenz
bzgl. Arbeitssucht und Burnout
Ränge
Arbeitssucht
Non-AS
Index Burnout AS
Gesamt
N
Mittlerer Rang Rangsumme
131
87,14
11415,50
89
144,88
12894,50
220
a
Statistik für Test
Index Burnout
Mann-Whitney-U
Wilcoxon-W
Z
Asymptotische Signifikanz (2-seitig)
2769,50
11415,50
-6,63
,000
a. Gruppenvariable: Arbeitssucht Extremgruppen
Obwohl die Rangkorrelationen nach Spearman nur gering positiv ausgeprägt ist (vgl.
Tabelle 7-32), ist der Korrelationskoeffizient höchst signifikant (p ≤ 0.001 ***), was für
einen zumindest statistisch bedeutsamen korrelativen Zusammenhang zwischen der
Gruppenzugehörigkeit und Burnout spricht.
Die erzielten Ergebnisse bestätigen daher die in der Hypothese 11 formulierten
Zusammenhänge und die Nullhypothese kann verworfen werden.
Ergebnisse
100
Tabelle 7-32 Korrelation zwischen Arbeitssucht und Burnout
Korrelationen
Arbeitssucht
Korrelationskoeffizient
Index Burnout
1,00
,44
**
Arbeitssucht
Spearman-Rho
Sig. (2-seitig)
.
,000
220
220
Extremgruppen
N
**. Die Korrelation ist auf dem 0,01 Niveau signifikant (zweiseitig).
7.6
Arbeitssucht und Zufriedenheit
Hypothesenüberprüfung 9, 12, 13, 14 und 15
Die folgenden Hypothesen beziehen sich auf bestehende Zusammenhänge innerhalb der
Gruppe der AS und der Zufriedenheit mit verschiedenen einzelnen Lebensbereichen.
Die Hypothese 9 lautet: „Berufstätige aus dem helfenden Dienstleistungssektor mit
Arbeitssucht sind mit ihrer beruflichen Situation weniger zufrieden als ihre nichtarbeitssüchtigen Kollegen.“
Die Hypothese 12 formuliert: „Berufstätige aus dem helfenden Dienstleistungssektor mit
Arbeitssucht sind mit ihrer Gesundheit weniger zufrieden als ihre nicht-arbeitssüchtigen
Kollegen.“
Die Hypothese 13, „Berufstätige aus dem helfenden Dienstleistungssektor mit
Arbeitssucht haben eine niedrigere generelle Lebenszufriedenheit als ihre nichtarbeitssüchtigen Kollegen.“, beschreibt den Zusammenhang zwischen der Gruppe der AS
und einer generell niedrigen Lebenszufriedenheit.
Die Hypothese 14, „Berufstätige aus dem helfenden Dienstleistungssektor mit
Arbeitssucht sind mit ihrem vorhandenen Freizeitkontingent und ihrer Freizeitgestaltung
weniger
zufrieden
als
ihre
nicht-arbeitssüchtigen
Kollegen.“,
erkennt
einen
Zusammenhang zwischen der Unzufriedenheit bezüglich des eigenen Freizeitkontingents
und der Freizeitgestaltung und der Gruppe der AS, wohingegen die Hypothese 15 einen
möglichen Zusammenhang zwischen dieser Gruppe und der Unzufriedenheit mit ihren
sozialen Beziehungen formuliert:
„Berufstätige aus dem helfenden Dienstleistungssektor mit Arbeitssucht sind mit ihren
sozialen Beziehungen (Partnerschaft, Ehe, Kinder, Freunde, Bekannte, Verwandte)
weniger zufrieden als ihre nicht-arbeitssüchtigen Kollegen.“.
Insgesamt konnte konstatiert werden, dass sich bei den Befragten eine deutliche
Diskrepanz zwischen den Gruppen der AS und der Non-AS bezüglich ihrer
Zufriedenheiten abzeichnet. Alle Zufriedenheitsbereiche betreffend, zeigte die Gruppe
Ergebnisse
101
der AS deutlich höhere Unzufriedenheitswerte. 40 Prozent der AS, im Vergleich zu 8
Prozent der Non-AS, sind mit „ihrer Position an der Arbeitsstelle“ und 56 Prozent (vs. 8,5
Prozent der Non-AS) sind mit „ihrer seelischen Verfassung“ unzufrieden. Auch beklagten
69 Prozent der AS, im Gegensatz zu 18 Prozent der Non-AS, den mangelnden
„Erholungswert der Feierabende und Wochenenden“ und 18 Prozent (vs. 5 Prozent der
Non-AS) beschrieben eine hohe Lebensunzufriedenheit. Ebenso zeichnete sich diese
Unzufriedenheit im Bereich der sozialen Beziehungen ab: 32 Prozent der AS (vs. 9
Prozent der Non-AS) sind nicht zufrieden „mit den Anforderungen, die meine
Ehe/Partnerschaft an mich stellt“ und 19 Prozent (vs. 4 Prozent der Non-AS) sind „mit
der Hilfe und Unterstützung durch Freunde und Bekannte“ unzufrieden.
Um diese formulierten Hypothesen überprüfen zu können, erfolgte mithilfe des
jeweiligen Mittelwertes, der aus allen dazugehörigen Items (6 x, 4 x, 1x, 7x, 10x)
errechnet wurde, eine Einteilung in jeweils zwei Kategorien (hohe vs. niedrige
Zufriedenheit).
Tabelle 7- 33 verdeutlicht, dass die Gruppe der AS im Vergleich zur Gruppe der Non-AS
durchschnittlich immer höhere Werte und somit niedrigere Zufriedenheiten in den
verschieden Bereichen aufwiesen. Bei der beruflichen Zufriedenheit weist die Gruppe der
Non-AS einen Mittelwert von 10,67 auf, wohingegen die Gruppe der AS einen höheren
Mittelwert von 14,04 zeigt. Ähnlich verhält es sich bei den weiteren abgefragten
Bereichen: Zufriedenheit Gesundheit 6,99 vs.10,20; Zufriedenheit Freizeit 13,58 vs.
18,91; Zufriedenheit mit den sozialen Beziehungen 15,43 vs. 18,52 und schließlich die
empfundene Zufriedenheit mit dem eigenen Leben 1,55 vs. 1,99, wobei hier die geringe
Höhe des Mittelwertes durch die geringe Anzahl eines Items entsteht.
Mithilfe des Mann-Whitney-U-Test (vgl. Tabelle 7-34) wurde anschließend geprüft, ob
der beschriebene Unterschied zwischen der Gruppe der Non-AS und der AS bezüglich
ihrer Zufriedenheiten auch statistisch bedeutsam ist.
Ergebnisse
102
Tabelle 7-33 Mittelwertberechnung Arbeitssucht und Zufriedenheit Beruf, Gesundheit, Leben,
Freizeit und soziale Beziehungen
Bericht
Arbeitssucht
Index
Index
Index
Index
Index
Zufriedenheit
Zufriedenheit
Zufriedenheit
Zufriedenheit
Zufriedenheit
Beruf
Gesundheit
Leben
Freizeit
soziale
Beziehungen
Mittelwert
10,67
6,99
1,55
13,58
15,43
131
131
131
131
44
3,11
2,31
,59
4,51
4,13
Minimum
6
4
1
7,00
10,00
Maximum
22
13
3
25,00
30,00
Mittelwert
14,04
10,20
1,99
18,91
18,52
89
89
89
89
21
3,74
2,92
,76
5,14
5,39
Minimum
6
4
1
7,00
10,00
Maximum
23
16
4
28,00
28,00
Mittelwert
12,04
8,29
1,73
15,73
16,43
220
220
220
220
65
3,76
3,01
,70
5,44
4,76
Minimum
6
4
1
7,00
10,00
Maximum
23
16
4
28,00
30,00
N
Non-
Standard-
AS
abweichung
N
StandardAS
abweichung
N
InsStandardgesam
abweichung
t
Die durchschnittlichen Range-Werte liegen bei der Gruppe der Non-AS deutlich niedriger
als bei der Gruppe der AS und sind im Detail, der Tabelle 7-34 zu entnehmen. Da aber
alle Ergebnisse höchst signifikant (p ≤ 0.001 ***) sind, eine Ausnahme stellt lediglich
das nur signifikante (p ≤ 0.05*) Ergebnis des Unterschiedes bezüglich der Zufriedenheit
mit sozialen Beziehungen dar, können die Nullhypothesen somit zunächst verworfen
und die Alternativhypothesen angenommen werden.
Ergebnisse
103
Tabelle 7-34 Signifikanzberechnung zur Überprüfung der Unterschiede in der zentralen Tendenz
bzgl. Arbeitssucht und der Zufriedenheit zum Beruf, Gesundheit, Leben, Freizeit und sozialen
Beziehungen
Ränge
Arbeitssucht
N
Non-AS
Index Zufriedenheit Beruf
Mittlerer Rang
Rangsumme
131
87,50
11463,00
89
144,35
12847,00
AS
Gesamt
220
Non-AS
131
83,77
10974,00
89
149,84
13336,00
Index Zufriedenheit
AS
Gesundheit
Index Zufriedenheit Leben
Index Zufriedenheit Freizeit
Gesamt
220
Non-AS
131
96,54
12647,00
89
131,04
11663,00
AS
Gesamt
220
Non-As
131
85,66
11222,00
89
147,06
13088,00
AS
Gesamt
220
Non-AS
44
29,34
1291,00
AS
21
40,67
854,00
Gesamt
65
Index Zufriedenheit soziale
Beziehungen
a
Statistik für Test
Index
Index
Index
Index
Index
Zufriedenheit
Zufriedenheit
Zufriedenheit
Zufriedenheit
Zufriedenheit
Arbeit
Gesundheit
Leben
Freizeit
Soziale
Beziehungen
Mann-Whitney-U
Wilcoxon-W
Z
2817,00
2328,00
4001,00
2576,00
301,00
11463,00
10974,00
12647,00
11222,00
1291,00
-6,52
-7,59
-4,38
-7,03
-2,26
,000
,000
,000
,000
,02
Asymptotische
Signifikanz (2-seitig)
a. Gruppenvariable: Arbeitssucht Extremgruppen
Bei der Korrelationsberechnung (vgl. Tabelle 7-35), wobei der Korrelationskoeffizient
nach Spearman-Rho berechnet wurde, wird deutlich, dass sowohl zwischen Arbeitssucht
und Berufszufriedenheit, als auch zwischen Arbeitssucht und Zufriedenheit mit der
eigenen Gesundheit eine geringe positive Korrelation besteht. Obwohl die Korrelationen
absolut gesehen nur gering ausgeprägt sind, weil die Korrelationskoeffizienten unter 0.50
liegen (Bühl, 2012), werden die einzelnen Koeffizienten auf allen Skalen
höchst
signifikant (p ≤ 0.001***), welches für einen zumindest statistisch bedeutsamen
Ergebnisse
104
korrelativen Zusammenhang zwischen der Gruppenzugehörigkeit und der Zufriedenheit
mit Arbeitsstelle und Gesundheit spricht. Die berichteten Ergebnisse bestätigen damit die
in den Hypothesen 9 und 12 formulierten Zusammenhänge.
Tabelle 7-35 Korrelation zwischen Arbeitssucht und Zufriedenheit bzgl. Beruf und Gesundheit
Korrelationen
Arbeitssucht
Korrelationskoeffizient
Index Zufriedenheit
Index Zufriedenheit
Arbeit
Gesundheit
1,00
,44
**
,51
**
SpearmanArbeitssucht
Sig. (2-seitig)
.
,000
,000
220
220
220
Rho
N
**. Die Korrelation ist auf dem 0,01 Niveau signifikant (zweiseitig).
Durch weitere Korrelationsberechnungen (vgl. Tabelle 7-36) verdeutlicht sich ebenso,
dass auch zwischen Arbeitssucht und genereller Lebenszufriedenheit, als auch zwischen
Arbeitssucht und Zufriedenheit mit der eigenen Freizeit und der Zufriedenheit mit den
bestehenden sozialen Beziehungen geringe positive Korrelationen bestehen. Dies
bedeutet, je höher die Arbeitssucht-Werte sind, desto höher sind die generelle
Lebensunzufriedenheit und die Unzufriedenheit bezüglich der eigenen Freizeit und den
sozialen Beziehungen. Die Korrelationskoeffizienten bezüglich der Lebens- und
Freizeitunzufriedenheit sind beide höchst signifikant (p ≤ 0.001 ***). Das Ergebnis
bezogen auf die Unzufriedenheit mit den sozialen Beziehungen ist signifikant (p ≤ 0,05
*). Somit können alle drei Hypothesen als bestätigt angesehen werden und die
entsprechenden Nullhypothesen verworfen werden.
Tabelle 7-36 Korrelation zwischen Arbeitssucht und Zufriedenheit bzgl. Leben, Freizeit und
soziale Beziehungen
Korrelationen
Arbeitssucht
Index
Index
Index
Zufried-
Zufrieden-
Zufriedenheit
enheit
heit Freizeit
Soziale
Leben
Korrelationskoeffizient
1,00
,29
Beziehung-en
**
,47
**
,28
*
SpearmanArbeitssucht
Sig. (2-seitig)
.
,000
,000
,02
220
220
220
65
Rho
N
**. Die Korrelation ist auf dem 0,01 Niveau signifikant (zweiseitig).
*. Die Korrelation ist auf dem 0,05 Niveau signifikant (zweiseitig).
Ergebnisse
105
Aufgrund der beschriebenen Ergebnisse ist also anzunehmen, dass die beschriebenen
Zusammenhänge nur gering ausgeprägt sind. Da die Ergebnisse jedoch höchst signifikant
bzw. signifikant sind, wäre eine weitere Überprüfung der Zusammenhänge in größeren
Stichproben sinnvoll.
Diskussion
106
8 Diskussion
8.1
Interpretation der Ergebnisse
Arbeitssucht ist geprägt durch den Mangel an Wahlfähigkeit und Willensfreiheit. Das
gesamte Denken und Handeln des Arbeitssüchtigen bezieht sich mehr oder minder
ständig auf seine Arbeitstätigkeit. Das Konstrukt Arbeitssucht umfasst zum einen das
unkontrollierbare Bedürfnis nach Arbeit zum anderen aber auch die Folgen des süchtigen
Verhaltens (Schneider, 2001). Diese Indikatoren für Arbeitssucht wurden mit einer
empirisch erprobten Skala von Schneider (2001) erfasst. Damit konnte die Hauptannahme
der vorliegenden Studie bestätigt werden: die teilnehmenden Berufstätigen aus dem
helfenden Dienstleistungssektor tendieren stärker zu einem arbeitssüchtigen Verhalten als
der Bundesdurchschnitt (5,8). Sie weisen im Mittel einen deutlich höheren ArbeitssuchtWert als die bundesdeutsche Allgemeinbevölkerung auf. Poppelreuter (2004a) geht von
ca. 5 Prozent Arbeitssüchtigen bei 41 Millionen Erwerbstätigen in Deutschland aus.
Jungkurth (2005) kommt zu dem Ergebnis, dass 27 Prozent ihrer Probanden aus dem
deutschen Sprachraum ein Arbeitssuchtprofil haben, und Poppelreuter und Wind (2001)
erkennen
13
Prozent
ihrer
Studienteilnehmer
als
arbeitssuchtgefährdet
bzw.
arbeitssüchtig.
Die Mehrheit der hier befragten Helfer (N = 438) zeigen einen Arbeitssuchtwert > 5,8
und sind somit als tendenziell Arbeitssüchtige zu klassifizieren. Trotz dieser Daten ist
aufgrund mangelnder Studien und deren uneinheitlich verwendeten Operationalisierungen
und Diagnosekriterien eine genaue Bestimmung der Prävalenz von Arbeitssucht in der
deutschen Bevölkerung und eine Vergleichbarkeit der Untersuchungen derzeit nicht
möglich. Spezifisch für den helfenden Beruf beschreibt Fengler (2001) die
Überidentifikation der Helfer mit ihrem Beruf und deren selektive und fast ausschließlich
auf den Beruf bezogene Wahrnehmung. Auch Beerlage und Kleiber bemerken 1990 in
ihrer Untersuchung von Berufstätigen der Aids-Hilfe deren Unfähigkeit, nach der Arbeit
gedanklich abschalten zu können. Ob diese beschriebenen Phänomene aber aus einem
arbeitssüchtigen Verhalten resultieren, bleibt unklar. Dennoch kann aufgrund der
vorliegenden Studie ein vermehrtes Auftreten von Arbeitssucht im helfenden
Dienstleitungssektor vermutet werden, welches jedoch anhand repräsentativer Studien
weiterer Verifizierung bedarf.
Hinsichtlich der demographischen Daten unterscheiden sich die Gruppen der Non-AS
und der AS nicht wesentlich, was sich mit den Ergebnissen der Studien von Matthey
Diskussion
107
(2011), Poppelreuter (1997) und Städele (2008) deckt. Somit kann nicht davon
ausgegangen werden, dass eine Risikogruppe aufgrund ihrer demografischen Merkmale
zu identifizieren ist. Die Gruppen scheinen eine relative Homogenität aufzuweisen,
lediglich bei Alter und Geschlecht lassen sich Differenzen erkennen, wobei die Gruppe
der AS insgesamt geringfügig jünger (46 Prozent vs. 25 Prozent unter 30 Jahren) ist.
Aufgrund der progredienten Entwicklung der Arbeitssuchterkrankung könnte sich der
geringe Anteil älterer AS durch ihren bereits krankheitsbedingten Jobausstieg als Folge
der Arbeitssucht, erklären lassen. Es muss hier letztendlich jedoch offen bleiben, welche
Einflussfaktoren zu der Altersverteilung der vorliegenden Stichprobe geführt haben.
Ebenso wie bei den Studien von Jungkurth (2005) und Matthey (2001) kann in der
vorliegenden Arbeit eher von einem weiblichen Charakteristikum der Arbeitssucht
gesprochen werden. 78 Prozent der klassifizierten AS waren weiblich, wobei bereits in
der Grundgesamtheit der vorliegenden Studie das weibliche Geschlecht mit 72 Prozent
deutlich überrepräsentiert war. Die vorliegende Untersuchung zeigt einen signifikanten
Zusammenhang zwischen dem weiblichen Geschlecht und einer klassifizierten
Arbeitssucht. Auch Wolf (2003) vermutet, dass Frauen „diejenigen sind, die in einem
weitaus größeren Maß von Arbeitssucht betroffen sind“ (S. 98). Als Gründe für die
geschlechtspezifische Differenz werden die unterschiedlichen Anforderungen an Frauen
aus Beruf und Privatleben, wie Familie, Kindererziehung, Pflege Angehöriger und
Haushalt, betont (Städele & Poppelreuter, 2009). Auch Burke (1999) und Robinson
(2000) vermuten in der häufigeren Doppelbelastung der Frauen durch Familie und Beruf
die höhere Gefährdung der Frauen. Derartige Urteile sind jedoch vorerst nur
Mutmaßungen, da die fehlende Repräsentativität, das Untersuchungsdesign und die
mangelnden Daten derartige Schlüsse nicht verifizieren lassen.
Anlehnend an die Arbeitssucht-Studie von Matthey (2011) lassen sich im vorliegenden
Helfer-Sample signifikante Zusammenhänge zwischen Arbeitssucht und den Berufsjahren
nachweisen. Die Anzahl der Berufsjahre korreliert gering negativ mit Arbeitssucht. Je
kürzer die Helfer in ihrem Beruf arbeiten, umso höher sind ihre Arbeitssuchtwerte.
Arbeitssucht ist dieser Erkenntnis nach folgend, nicht ausschließlich als eine
Verhaltensweise zu verstehen, die sich die Helfer im Laufe der Interaktion mit Kollegen
angeeignet haben. Vielmehr können andere Gründe, wie hoher Idealismus und hohe
Arbeitsmotivation, mangelnde Abgrenzungsfähigkeit und berufliche Unsicherheit,
ausschlaggebend für ein arbeitssüchtiges Verhalten sein. Insbesondere die BurnoutForschung (Driller, 2008; Enzmann & Kleiber, 1989; Reissner, 2008) betont diese
Zusammenhänge und erkennt die erhöhte Gefahr für Berufsanfänger. Dennoch bedarf
diese Interpretation weiterführender Untersuchungen.
Diskussion
108
Hinsichtlich der Überstundenbereitschaft der arbeitssüchtigen Helfer entsprechen die
vorliegenden Ergebnisse den Erkenntnissen der allgemeinen Arbeitsforschung (Matthey,
2001, Poppelreuter, 1997; Städele, 2008). So leistet die Gruppe der AS deutlich mehr
Überstunden als erwartet, wohingegen die Gruppe der Non-AS häufiger angibt, nur die
vereinbarten Wochenarbeitsstunden zu leisten. Dennoch bleibt zu beachten, dass eine
Arbeitssucht-Diagnose nicht ausschließlich anhand des quantitativen Arbeitsverhaltens
erfolgen kann.
Im Rahmen der Untersuchung wurden die Zusammenhänge zwischen Arbeitssucht und
Rollenverständnis der Helfer als persönlichkeitszentrierte Bedingung der helfenden
Berufe beschrieben. Eine starke Identifikation mit der Arbeit und hohe idealistische
Berufsziele der Helfer sind signifikant zusammenhängend mit einem arbeitssüchtigen
Verhalten. Ähnliches wurde im Rahmen der Burnout-Forschung von Burisch (2006),
Edelwich und Brodsky (1984), Hofman et al. (2005), Perrar (1995) und Ruhwandl (2009)
festgestellt, wobei der hohe Idealismus, insbesondere bei den helfenden Berufen, als
persönlichkeitsbezogener Faktor vielfach als Ursache und Voraussetzung einer BurnoutErkrankung gesehen wird. Dieser Idealismus, anderen Menschen helfen zu wollen, kann
zu einer hohen Arbeitsmotivation führen (Nitzsche et al., 2010) und ein zwanghaftes
Arbeiten hervorrufen, wobei unrealistische Erwartungen an die eigene Arbeitstätigkeit
und internale Kontrollüberzeugungen verhindern, die eigene Arbeitstätigkeit angemessen
zu regulieren. Auch Jungkurth (2005) beschreibt in ihrer Studie das Profil eines
Enthusiastic Workaholics, der eine signifikant höhere Arbeitsinvolviertheit aufweist.
Diese Interpretation bedarf nachfolgender Untersuchungen. Es kann durch die Ergebnisse
dieser Studie nicht geklärt werden, ob der Idealismus die Ursache oder die Folge einer
Arbeitssucht-Erkrankung darstellt.
Die folgenden Ergebnisse verdeutlichen die bestehenden Zusammenhänge zwischen
Arbeitssucht und den vier eruierten systemimmanenten Arbeitsbedingungen der
helfenden Berufe:
Die Studie zeigt, dass sich die Gruppen der Non-AS und der AS signifikant im Erleben
von Stress im Umgang mit Patienten unterscheiden. Ähnliches wird auch in der BurnoutForschung beschrieben. Maslach und Jackson (1981, zitiert nach Krämer, 2011) betonen,
dass Burnout vorrangig in Berufen auftritt, in denen mit Individuen interagiert wird,
wobei der kontinuierliche Kontakt mit den Klienten ein chronisches Niveau emotionalen
Stresses verursacht. Die Gefahr, die Hoffmann et al. (2005) und Reiners-Kröncke et al.
(2010) betonen, dass Schwierigkeiten im Umgang mit emotionalem Stress in erster Linie
auf das eigene Versagen zurückgeführt werden, könnte als verursachend für ein
Diskussion
109
pathogenes Arbeitsverhalten interpretiert werden. Der Betroffene versucht sein subjektiv
empfundenes Versagen durch intensivere Arbeit auszugleichen.
Ebenso wie in den Studien von Bartholdt und Schütz (2010), Burisch (2006) und
Marquard et al. (1993) erlebten die Helfer dieser Studie vermehrt Rollenkonflikte und
Rollenambiguitäten. Im Vergleich zwischen den Gruppen der Non-AS und der AS zeigte
sich ein signifikanter Zusammenhang zwischen Arbeitssucht und dem Erleben von
Rollenkonflikten. Die stressauslösenden Bedingungen, hervorgerufen durch unklare
Zielvorgaben, keine eindeutigen Berufsrollen im Konflikt zwischen Hilfe und Kontrolle
und Rollenüberforderung bei hoher Verantwortung für Klienten und gleichzeitiger
Zeitmangel können Ursache für ein pathogenes Arbeitsverhalten sein. Ebenso kann
Rollenambiguität eine zentrale Ursache für Arbeitsunzufriedenheit darstellen (Bartholdt
& Schütz, 2010). Diese Interpretation bedarf jedoch weiterer Untersuchungen zur
Überprüfung.
Im Rahmen der Untersuchung wurde deutlich, dass die Gruppen der Non-AS und der AS
sich signifikant im Erleben der mangelnden Kontrollmöglichkeiten ihrer Arbeitstätigkeit
unterscheiden. Wie in den Studien von Hoffman et al. (2005) und Marquard et al. (1993)
beschrieben, bezeichnen Helfer ihr Erleben von mangelnder Steuerungsmöglichkeit der
Arbeitsergebnisse und die mangelnde Kontrolle des Auftretens von negativen Ereignissen
als belastend. Insbesondere die Gruppe der AS wies deutlich höhere Werte beim Erleben
der mangelnden Kontrolle auf. Als arbeitsspezifischer Stressor könnte dieses
Kontrollverlust-Erleben ursächlich für ein arbeitssüchtiges Verhalten oder Folge einer
zwanghaften Arbeitsweise sein.
Anlehnend an die Studien von Köppl (2011), Edelwich und Brodsky (1981, zitiert nach
Reiners-Kröncke et al., 2010) und Ruhwandl (2009) erleben die Helfer dieser Studie in
ihrem Beruf eine mangelnde Honorierung durch Gesellschaft, Arbeitgeber, soziales
Umfeld und Patienten. Im Vergleich der Gruppen der Non-AS und der AS konnte dabei
ein signifikanter Unterschied festgestellt werden, wobei die Gruppe der AS deutlich
stärker die mangelnde Honorierung erlebte. Unklar bleibt, ob die Unzufriedenheit bzgl.
der Anerkennung der Arbeitstätigkeit Folge von Arbeitssucht und allgemeiner
Unzufriedenheit ist oder ob die mangelnde Honorierung als berufsspezifischer Stressor
verursachend für ein pathogenes Arbeitsverhalten interpretiert werden kann. Bartholdt
und Schütz (2010) sehen in der Wechselwirkung von Verausgabung und geringer
Belohnung die Ursache für Gratifikationskrisen. Durch den zunehmenden äußeren Druck,
durch betriebswirtschaftliche Anforderungen der Rationalisierungen (Finis Siegler, 1997)
und die mangelnde Anerkennung erhöht sich der Druck auf den Helfer, welcher durch
zwanghaftes Arbeiten versucht, diesen zu bewältigen. Auch Wolf und Meins (2004)
erkennen in der mangelnden Möglichkeit den eigenen und betrieblichen Ansprüchen
Diskussion
110
gerecht zu werden, die Ursache für Arbeitssucht. Derartige Interpretationen sind jedoch
vorerst
nur
Mutmaßungen,
da
die
fehlende
Repräsentativität
und
das
Untersuchungsdesign der Studie derartige Schlüsse nicht erlaubt. Es bleibt in weiteren
Untersuchungen die Frage zu klären, ob der helfende Dienstleistungssektor durch seine
berufsspezifischen
Stressoren
zumindest
in
Teilen
eine
arbeitssuchtfördernde
Organisation darstellt.
Wie in den Studien von Matthey (2011), Poppelreuter (1997), Spence und Robbins
(1992) und Städele (2008) zeigen die Ergebnisse vorliegender Untersuchung, dass
arbeitsüchtige Helfer signifikant weniger mit ihrer beruflichen Situation zufrieden sind
als ihre nicht-arbeitssüchtigen Kollegen. Dieses Ergebnis bestätigen die Ausführungen
von Breitsameter und Kröncke (1997), Gross (2003), Robinson (2000) und Schwochow
(1997), die als Symptome und Folgen einer Arbeitssucht eine negative emotionale
Grundhaltung zur eigenen Arbeitstätigkeit und eine subjektiv empfundene höhere
Arbeitsbelastung beschreiben. Gründe dieser negativen Attribution könnten starke
Versagensängste, mangelndes Selbstbewusstsein und die durch die Betroffenen
wahrgenommene Zwanghaftigkeit des Arbeitens sein. Ebenso könnten zu hohe
Leistungsanforderungen, hohes Engagement und starke emotionale Beteiligung an der
Arbeit eine Verringerung der Arbeitszufriedenheit bewirken (Reiners-Kröncke et al.,
2010).
Als weitere Folge eines pathogenen Arbeitsverhaltens konnte die Annahme bestätigt
werden, dass die Gruppe der AS im Vergleich zu den Non-AS ein unproduktiveres
Arbeitsverhalten zeigt. Die arbeitssüchtigen Helfer weisen eine geringe Delegations- und
Teamfähigkeit, Unflexibilität bei Lösungsprozessen, starkes Vermeidungsverhalten und
starke Selbstzweifel auf. Dies entspricht den Erläuterungen von Robinson (2000) und
Schneider (2001). Gegensätzlich kommt Jungkurth (2005) zu dem Ergebnis, dass
Arbeitssüchtige sich hinsichtlich der Skala Nondelegation nicht bedeutsam von den
Nichtarbeitssuchtprofilen unterscheiden, räumt aber hinzufügend ein, dass dieses
Ergebnis sich deutlich von bisherigen Studien (Poppelreuter, 1997; Spence & Robbins,
1992) unterscheidet.
Im Rahmen der Studie konnte weiterhin bestätigt werden, dass die Gruppe der AS im
Vergleich zu den Non-AS höhere Burnout-Werte aufweist. Ein Vergleich der Ergebnisse
dieser Studie mit weiteren Untersuchungen über Burnout in helfenden Berufen gestaltet
sich jedoch schwierig, da die Ergebnisse stark variieren: Driller (2008) kommt zu dem
Ergebnis, dass jeder 3. Arbeitnehmer der Behindertenhilfe burnout-gefährdet ist. Von
einer Burnout-Gefahr kann laut Maslach und Jackson (1981, zitiert nach Ruhwandl,
2009) ausgegangen werden, wenn die Testwerte > = 10 sind. In der vorliegenden Studie
Diskussion
111
zeigten lediglich 13 Prozent der Gesamtstichprobe (N = 438) eine potentielle BurnoutGefährdung. Dies widerspricht anderen Angaben, die von 30 bis 50 Prozent Betroffenen
ausgehen (Bergner, 2010; Ruhwandl, 2009). Andererseits zeigen weitere Studien deutlich
niedrigere Werte. Nach Angaben deutscher Arbeitsmediziner leiden in Deutschland etwa
5 Prozent der 25- bis 40 jährigen in Gesundheitsberufen Tätigen an Burnout (Driller,
2008). Das vorliegende Sample zeigte in dieser Altersklasse eine Burnout-Belastung von
ca. 14 Prozent und liegt damit deutlich höher. Ob Burnout eine Folgeerscheinung von
Arbeitssucht darstellt oder gegebenenfalls auch ursächlich für die Entstehung einer
Arbeitssucht sein kann, bleibt aufgrund des Untersuchungsdesign weiterhin unklar. Es
kann jedoch gesagt werden, dass in der vorliegenden Studie ein Zusammenhang zwischen
den beiden Konstrukten besteht und dahingehend weitere Untersuchungen benötigt
werden.
Bezug nehmend auf die Ergebnisse der Studie von Städele (2008) zeigen die
arbeitssüchtigen Helfer im Vergleich zur Gruppe der Non-AS ebenso durchgängig
deutlich
höhere
Unzufriedenheitswerte
in
Bezug
auf
ihre
Gesundheit,
Lebenszufriedenheit, Freizeitgestaltung, vorhandenes Freizeitkontingent und im Hinblick
auf ihre sozialen Kontakte. Als Folgen ihres pathogenen Arbeitsverhaltens weisen die
Betroffenen
oftmals
Verhaltensweisen,
gesundheitliche
Einschränkungen,
extrem
ausgeprägte
Versagensängste und eine affektive Verflachung auf, dessen
Auswirkungen die Betroffenen in der Regel wahrnehmen und aufgrund dessen sie über
eine geringere Zufriedenheit berichten. Arbeitssüchtige erleben sich selbst in ihrer
Freizeit und im Kontakt mit Mitmenschen als zwanghaft und nicht genussfähig
(Poppelreuter, 1997). Im Gegensatz dazu deklariert Jungkurth (2005) in ihrer Studie, dass
das Konstrukt erlebte soziale Unterstützung bei den Arbeitssüchtigen keinen bedeutsamen
Unterschied hinsichtlich seiner Ausprägung im Vergleich mit den Nicht-Arbeitssüchtigen
aufzeigt. Dies kann zwar in der vorliegenden Studie nicht bestätigt werden, dennoch zeigt
sich, dass die Gruppe der AS die erfahrene Unterstützung durch Freunde und Bekannte
mit 81 Prozent eher zufriedenstellend als grundsätzlich eher positiv bewertet. Jungkurth
(2005) schlussfolgert, dass die AS aber die eigene Bedürftigkeit nach sozialer
Unterstützung und die tatsächlich fehlende Hilfe nicht wahrnehmen bzw. negieren, um
bewusst die oftmals als bedrohlich erlebte Nähe der Angehörigen zu vermeiden. Durch
zukünftige Studien mit ergänzenden Fremdbeurteilungen könnten Antwortheterogenitäten
untersucht werden. Da die soziale Unterstützung aber als wichtigste Komponente des
gesundheitsbezogenen Verhaltens beschrieben wird (Jungkurth, 2005), muss davon
ausgegangen werden, dass Arbeitssüchtige unter gesundheitsschädlichen Einflüssen
stehen.
Diskussion
112
Auch wenn aufgrund der methodischen Vorgehensweise und der Operationalisierung der
erfassten psychologischen Konstrukte keine Kausalaussagen möglich sind, kann
festgehalten werden, dass Arbeitssucht bei Helfern mit erheblichen psychischen und
gesundheitlichen Beeinträchtigungen einhergeht.
8.2
Diskussion der Methodik und deren Limitierungen
Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurde zur Erhebung der Daten ein OnlineFragebogen eingesetzt. Neben den bereits beschriebenen Vorteilen dieses Instruments30
ergeben sich jedoch auch Probleme bei dieser Erhebungsart. Zum einen findet ein
potenzieller Selektionsprozess statt, da bei der Datenerhebung nur interessierte
Internetuser erreicht und somit andere Personengruppen systematisch exkludiert werden
(Bortz & Döring, 2002; Städele, 2008). Ebenso könnte, bedingt durch weitere Merkmale,
wie dem höheren Interesse an der Thematik der Studie, dem höheren Bildungsstatus und
einer höheren Intelligenz der Befragungsteilnehmer gegenüber den nicht teilnehmenden
Menschen, eine Selektionsbias entstehen (Bortz & Döring, 2002; Zerr, 2003).
Auch sind die Ergebnisse dieser Studie nicht repräsentativ, weil die Grundpopulation der
Internetuser und der Berufstätigen im helfen Dienstleistungssektor weitestgehend
unbekannt ist, und es zusätzlich an Diagnostikmöglichkeiten für Arbeitssüchtige mangelt.
Diese Stichprobe ist nicht repräsentativ und durch eine mangelnde Randomisierung nicht
zufällig. Somit können die Daten nicht per se auf die Gesamtpopulation übertragen
werden. Städele (2008) ergänzt dazu kritisch, dass eine Erhebung einer echten
Zufallsstichprobe im Internet grundsätzlich nicht realisierbar ist, da es an Listen oder
Registern aller Internetuser fehle.
Die vorliegenden Ergebnisse erlauben weiterhin keine Aussagen über die Gründe und
Ursachen der Entwicklung arbeitssüchtigen Verhaltens und über Zusammenhangsstärke
und
Beeinflussungsrichtung
bzgl.
der
erhobenen
Konstrukte.
Die
ermittelten
Unterschiede in Einstellungen und Verhaltensweisen von AS und Non-AS können ebenso
Ursache wie Folge arbeitssüchtigen Verhaltens sein.
Einen
weiteren
Nachteil
der
Online-Befragung
stellt
die
unkontrollierbare
Erhebungssituation dar. Auf offene Fragen und Verständnisfragen der Studienteilnehmer
kann nicht reagiert werden, da keine Kontaktperson anwesend ist (Bortz & Döring, 2002;
Zerr, 2003), welches gleichzeitig aber auch die geforderte Anonymität zusichert. Ebenso
bleibt durch die teilweise stattfindende Selbst-Generierung des Fragebogens unklar,
30
Siehe dazu auch Kap. 6.2
Diskussion
113
welche Profession tatsächlich und in welchem Wirtschaftssektor arbeitend den
Fragebogen ausgefüllt hat. Hinzukommend können technische Probleme auftreten, wie
z.B. die Browser-Inkompatibilität oder ungewollte Mehrfachteilnahmen.
Die vorliegende Untersuchung beschränkt sich ausschließlich auf die Erforschung des
Phänomens Arbeitssucht im Zusammenhang mit der Ausübung einer Erwerbs- oder
Beruftätigkeit. Dennoch besteht hier ebenso das Risiko der fehlenden Kontrolle der
Erhebungssituation.
Eine Untersuchung anhand des Instruments eines Fragebogens bietet den Vorteil einer
Standardisierung und sichert somit die Möglichkeit der Vergleichbarkeit, gleichzeitig
stellt sie oftmals aber nur eine Momentaufnahme der jeweiligen Situation der Probanden
dar, was insbesondere unter dem Aspekt, dass es sich bei Arbeitssucht um eine
progrediente Problematik handelt, Berücksichtigung finden sollte. Die Beantwortung der
Items erfolgt durch festgelegte Raster und Schemata und engt damit die Probanden in
ihrer Beantwortungsmöglichkeit ein. Unsicherheiten, Ambivalenzen und Entwicklungen
können in diesem Zusammenhang nicht abgebildet werden. Ebenso werden individuelle
Graduierungen hinsichtlich der Bedeutsamkeit einzelner Items bei der Erfassung von
Arbeitssucht nicht berücksichtigt.
Eine exaktere Abgrenzung der einzelnen Merkmalsbereiche und der dazu formulierten
Items wäre insgesamt wünschenswert gewesen. Die teilweise hohen Korrelationen und
inhaltlichen Überschneidungen deuten darauf hin, dass der Fragebogen zum Teil
redundante Informationen enthält.
Ein weiterer Einflussfaktor auf die statistischen Ergebnisse besteht im Kriterium der
sozialen Erwünschtheit. Diesem Effekt soll durch Zusicherung von Anonymität möglichst
entgegengewirkt werden, dennoch wird man auch in dieser Untersuchung eine
unkalkulierbare Störung der Testergebnisse mit hoher Wahrscheinlichkeit vorfinden
(Jungkurth, 2005). Die kulturell positive Bewertung von hohem Arbeitsengagement kann
sich dabei in der Beantwortung der Items ausdrücken.
Andererseits ist kritisch anzumerken, dass es sich bei Arbeitssucht um eine ich-syntone
Störung handelt, so dass Städele (2008) für die Diagnostik von Arbeitssucht die
Einbeziehung der Einschätzung anderer Personen, als Ergänzung zur Selbsteinschätzung
des Probanden, vorschlägt. In der vorliegenden Studie wurde versucht, die
psychologischen Konstrukte anhand reliabler und valider Messinstrumente zu erfassen.
Dennoch bleibt unklar, ob nach der Bildung der Extremgruppen in AS und Non-AS die
Teilnehmer tatsächlich von Arbeitssucht betroffen sind. Beachtet werden muss hierbei,
dass die verwendete Skala zur Messung von Arbeitssucht keinen exakten Wert vorgibt,
anhand dessen eine Arbeitssucht diagnostiziert werden könnte (Schneider, 2001). Somit
konnte auch innerhalb der Stichprobe nur ein relativer Vergleich zwischen Teilnehmern
Diskussion
114
mit niedrigen und solchen mit hohen Werten auf der Skala für Arbeitssucht gezogen
werden.
Kritisch könnte ebenso die Länge des Fragebogens betrachtet werden. Für einige
Untersuchungsteilnehmer kann die Bearbeitungszeit von ca. 15 bis 20 Minuten ein
Kriterium gewesen sein, nicht an der Umfrage teilzunehmen. Insbesondere die anvisierte
Zielgruppe der Arbeitssüchtigen könnte diesen Zeitaufwand als Arbeitszeitverlust
interpretieren. Dabei wurde aber bewusst auf den Einsatz von Incentives zur Förderung
der Teilnahmebereitschaft verzichtet.
Die
Auswahl
der
Stichprobe,
das
Untersuchungsdesign,
das
Verfahren
zur
Datenauswertung und weitere verschiedene unkalkulierbare Einflussfaktoren (wie z.B.
die Zentrale Tendenz beim Einsatz von Rating-Skalen,
der Hawthorne-Effekt etc.)
beeinflussen die Ergebnisse und Schlussfolgerungen dieser Forschungsarbeit (Bortz &
Döring, 2002).
Dennoch kann resümiert werden, dass trotz der oben beschriebenen Einschränkungen die
Online-Befragung die beste Möglichkeit darstellt, die Zielgruppe der Arbeitssüchtigen
und die beschriebenen Konstrukte in einem kurzen Zeitraum bei einer größtmöglichen
Stichprobe zu erfassen. Schwierig gestaltete sich jedoch die Diagnostik und die
Kontaktierung Betroffener aufgrund definitorischer Probleme und Tabuisierung dieser
Erkrankung.
Auch wenn keine repräsentative Stichprobe untersucht werden konnte, sind die
Ergebnisse dennoch aufschlussreich und geben Hinweise darauf, in welche Richtungen
zukünftig geforscht und diskutiert werden sollte.
8.3
Ausblick
Wie die bisherigen Ausführungen gezeigt haben, ist Arbeitssucht nicht nur eine
individuelle, sondern eine gesamtgesellschaftlich relevante Problematik, die allerdings
bisher nicht ausreichend wissenschaftlich erforscht wird. Daher erscheinen noch heute die
Handlungsempfehlungen
Schwerpunkte
nennt:
Arbeitssuchtproblematik,
von
die
die
Poppelreuter
(1996)
weiterführende
empirische
aktuell,
der
theoretische
Forschung,
die
vier
relevante
Fundierung
der
gesamtgesellschaftliche
Diskussion und die Weiterentwicklung von Präventions- und Interventionsmaßnahmen.
Zukünftig ist eine weitere theoretische Fundierung der Arbeitssuchtproblematik
hinsichtlich ihrer Ätiologie, Epidemiologie, Nosologie und Diagnostik relevant
(Poppelreuter & Evers, 2000; Städele, 2008). Dabei ist es generell notwendig, dass
Verhaltenssucht bzw. stoffungebundene Sucht im Allgemeinen und Arbeitssucht im
Speziellen in die gängigen Klassifikationssysteme integriert werden (Grüsser et al.,
2007), wobei durch eine reliable Diagnostik erfolgreich Abgrenzungen zu nicht
Diskussion
115
pathologischen Arbeitsstilen erfolgen und der inflationäre Gebrauch des Suchtbegriffes
verhindert werden soll.
Neben der theoretischen Präzisierung der Arbeitssuchtproblematik sollte zukünftig auch
die empirische Forschung intensiviert und verbessert werden (Poppelreuter, 2000).
Wünschenswert wäre eine interdisziplinäre Forschung angelehnt an einheitliche
diagnostische Kriterien einer Arbeitssucht, welche die Vergleichbarkeit der Ergebnisse
sowie die Weiterführung der Untersuchungen ermöglicht und bestehende theoretische
und
methodische
Heterogenitäten
überwinden
würde.
Ebenso
sollten
neben
Längsschnittstudien zur Erforschung der Ätiologie und des Verlaufs von Arbeitssucht
auch Untersuchungen anvisiert werden, die ergänzend zu den Selbstbeschreibungen der
Betroffenen
auch
Fremdbeurteilungen z.B.
durch
Angehörige
oder
Kollegen,
Beobachtungsdaten und anamnestische Daten umfassen (Poppelreuter & Evers, 2000).
Neben der Untersuchung großer Stichproben können Einzelfallstudien ergänzende
Hinweise auf relevante Zusammenhänge geben. Feldstudien können weiterhin helfen,
familiäre,
organisationspsychologische,
arbeitsspezifische
und
gesellschaftliche
Bedingungen zu identifizieren (Meißner, 2005; Poppelreuter & Evers, 2000; Städele,
2008), was insbesondere unter Berücksichtigung der verschiedenen berufsspezifischen
Bedingungen und deren Differenz relevant ist. Diese Studie hat dabei einen ersten
Versuch unternommen, diese berufsspezifischen Bedingungen in helfenden Berufen zu
präzisieren.
Dennoch
sind
weiterführende
Untersuchungen
zur
differenzierten
Darstellung von objektiven, subjektiven, sozialen, arbeitsorganisatorischen und
gesellschaftlichen Bedingungen und Stressoren im helfenden Dienstleistungssektor
notwendig.
Ein weiterer Schwerpunkt der zukünftigen Forschung sollte im gesundheitspolitischen,
präventiven und therapeutischen Bereich gesetzt werden. Prävention, Aufklärungs- und
Öffentlichkeitsarbeit sollten intensiviert werden, um das Bewusstsein für eine
Arbeitssuchtproblematik zu schärfen (Poppelreuter, 1996), Tabuisierung zu vermeiden
und eine Entstehung der Arbeitssucht möglichst frühzeitig zu verhindern. Durch
zunehmende Sensibilisierung soll ein angemessenes und ausgewogenes Verhältnis
zwischen Arbeit und Freizeit und ein eigenverantwortliches Verhalten propagiert werden.
Therapeutische und intervenierende Maßnahmen zur Behandlung von Arbeitssucht
sollten auf Grundlage von fundierten Therapiekonzepten, empirischer Forschung und
reflektierter Erfahrung optimiert und weiter ausgearbeitet werden (Städele, 2008). Dabei
sind sowohl individuumszentrierte als auch arbeitsorganisatorische Ansätze, welche die
berufsspezifischen Bedingungen aufgreifen, weiterzuverfolgen. Zudem sollte eine
Sicherstellung der Finanzierung therapeutischer Maßnahmen durch die jeweiligen
Kostenträger initiiert werden. Die wirtschaftspolitische Relevanz der Behandlung von
Diskussion
116
Arbeitssucht ergibt sich aus der derzeitigen Wirtschaftslage, da Unternehmen nur durch
gesunde und leistungsstarke Arbeitnehmer langfristig wirtschaftlich erfolgreich und
konkurrenzfähig bestehen können (Jungkurth, 2005).
Auf gesamtgesellschaftlicher Ebene benötigt es weiterhin zahlreiche Diskussionen über
die Rolle und den Stellenwert von Arbeit und die Folgen einer Arbeitssuchtproblematik.
Anlehnend an bereits stattfindende Überlegungen zu neuen Arbeitszeitmodellen und
alternativen Arbeitsformen besteht die Chance, eine offenere Problematisierung der
gesamten Thematik zu erreichen (Poppelreuter, 1996; Städele, 2008).
Insbesondere der helfende Dienstleistungssektor leidet unter der Diskrepanz zwischen
übersteigerten Erwartungen und Ansprüchen der Öffentlichkeit (Krämer, 2011) bei
gleichzeitigem Erleben der mangelnden öffentlichen Honorierung. Diese erlebte
Diskrepanz und der daraus resultierende unklare öffentliche Stellenwert der helfenden
Arbeitstätigkeit sollte vermehrt gesellschaftlich und politisch diskutiert werden.
Resümierend kann festgestellt werden, dass es sich bei Arbeitssucht um eine ich-syntone
Störung handelt, die oftmals unerkannt bleibt und dabei massive Auswirkungen auf die
Betroffenen selbst, ihr soziales Umfeld, auf den Arbeitgeber und die Gesellschaft hat, was
einen wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Handlungsbedarf begründet.
Institutionen des helfenden Sektors benötigen gesunde und involvierte Arbeitskräfte, die
eine „hochwertige Dienstleistung am Menschen“ (Krämer, 2011, S. 30) erbringen
können. Die tatsächlich vorzufindende hohe gesundheitliche Belastung der helfenden
Berufe31 und die berufsspezifischen Belastungen können die Entstehung einer
Arbeitssucht fördern oder deren Folgen sein, so dass die Gruppe der Helfer als potenzielle
Risikogruppe weiterhin beobachtet werden sollte, um eine dauerhafte Gesundheit am
Arbeitsplatz sicherstellen zu können.
31
Siehe dazu auch Kap. 4.4
Literaturverzeichnis
117
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Gabler
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Grundlagen und praktische Erfahrungen (2.Aufl.) (S.7-26). Wiesbaden: Gabler/GWV
Fachverlag.
Selbstständigkeitserklärung
129
Selbstständigkeitserklärung
Ich erkläre, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und nur unter Benutzung der
angegebenen Literatur und Hilfsmittel angefertigt habe. Sämtliche Entlehnungen und
Anlehnungen sind unter Quellenangabe kenntlich gemacht. Die Arbeit hat in gleicher
oder ähnlicher Form noch keiner anderen Prüfungsstelle vorgelegen.
_____________________
Ort, Datum
______________________
Unterschrift
Anhang
Anhang
A Einladungstext der versendeten E-Mails
B Online-Fragebogen
130
Anhang
131
A Einladungstext der versendeten E-Mails
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich bin Diplom Sozialarbeiterin und studiere nebenberuflich im Masterstudiengang „Suchthilfe“ an
der katholischen Fachhochschule Köln.
Im Rahmen dieses Studiums absolviere ich derzeit eine Masterarbeit zu dem Thema „Arbeit im
helfenden Dienstleistungssektor“, wobei ich insbesondere die bestehenden Einstellungen zur
eigenen Arbeit und deren Auswirkungen auf das eigene Wohlergehen und die Gesundheit erfragen
möchte.
Dabei liegt mein Forschungsinteresse vor allem darin, möglichst viele Menschen aus
unterschiedlichen Berufsgruppen des helfenden Dienstleistungssektors zu befragen, um heraus zu
finden, in welchen Aspekten sich diese unterscheiden oder ähneln.
Dabei benötigte ich Ihre Unterstützung.
Falls ich Ihr Interesse und Bereitschaft geweckt habe, bitte ich Sie folgenden Link anzuklicken,
um zu dem Fragebogen zu gelangen.
http://arbeit-in-helfenden-berufen.de/limesurvey/index.php?sid=18475&lang=de
Ich bitte Sie ebenso diesen Link oder die E-Mail an Ihre Kollegen weiterzuleiten, um eine
möglichst große Anzahl von Befragten zu erreichen.
Alle Berufsgruppen (Ärzte, Krankenschwestern und- pfleger, Pädagogen, Psychologen,
Sozialarbeiter, Seelsorger etc.), die im helfenden Dienstleistungssektor tätig sind, werden dabei
von mir angesprochen und um Unterstützung gebeten.
Die Befragung erfolgt absolut anonym, so dass keinerlei Rückschlüsse auf Ihre Person gezogen
werden können. Damit soll Ihnen gewährleistet werden, dass Sie sich frei und unbefangen äußern
können.
Die erhobenen Daten werden ausschließlich im Rahmen der Studie verwendet und unterliegen
dem Datenschutz.
Ich danke Ihnen für Ihre Mühen und Ihre Teilnahmebereitschaft.
Wenn Sie an den Ergebnissen der Studie interessiert sind, bitte ich Sie mich persönlich
anzusprechen. Ich werde Ihnen dann selbstverständlich die Ergebnisse zukommen lassen.
Mit freundlichen Grüßen
Christina Vicario
Diplom Sozialarbeiterin
Perspektive Selbständiges Leben
Venloer Straße 341
50823 Köln
Tel: 0176-32019934
E-Mail: [email protected]
Anhang
B Online –Fragebogen
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Anhang
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Anhang
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Anhang
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Anhang
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