FOTO: PETER OPPERMANN Eine einf ache und häuf ige Ar t des Hörscreenings ist das Messen der otoakustischen Emissionen (OAE): Von einer kleinen Sonde im Ohrstöpsel wird ein Klickgeräusch in den Gehörgang abgegeben. Ein Mikrofon, das ebenf alls im Stöpsel sitzt, registrier t die Schwingungen der Sinneszellen im Innenohr. So lässt sich feststellen, ob diese normal auf das Geräusch reagieren. Nie zu jung für einen Hörtest Ein gutes Gehör in den ersten Lebensjahren ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass ein Kind richtig sprechen lernt. Um Hörstörungen frühzeitig zu erkennen und zu behandeln, kann bereits beim Neugeborenen ein einfacher Hör test durchgeführ t werden. von Therese Schwender* V or zwei Tagen hat die kleine Sarah das Licht der Welt erblickt. Es geht ihr gut, gerade wurde sie von ihrer Mutter gestillt, und nun schläft sie ruhig in ihrem warmen Bettchen. In ihrem rechten Ohr steckt ein kleiner Stöpsel, der über ein Kabel mit einem Messgerät verbunden ist. Bei Sarah wird gerade ein so genanntes Hörscreening durchgeführt, das heisst, es wird untersucht, ob sie an einer angeborenen Hörstörung leidet. Der Test ist schmerzlos und dauert ein paar wenige Minuten. Eine von Geburt an normale Funktion Routinetests bei Neugeborenen Kurz nach der Geburt werden Neugeborene genau untersucht, um eventuell vorhandene Geburtsverletzungen oder Fehlbildungen festzustellen. Eine ausführliche Untersuchung durch eine Kinderärztin oder einen Kinderarzt findet zwischen dem dritten und siebten Tag nach der Geburt statt, auf jeden Fall aber, bevor das Kind mit seinen Eltern nach Hause darf. Immer wird den Neugeborenen eine kleine Blutprobe entnommen und diese auf verschiedenste Stoffwechselkrankheiten untersucht. In den meisten Kliniken wird zudem eine Ultraschalluntersuchung der Hüftgelenke durchgeführt. des Gehörs ist wichtig für die Entwicklung des Kindes. Denn wenn Säuglinge ihren Eltern beim Sprechen zuhören, merkt sich ihr Gehirn die verschiedenen Laute, Rhythmen und Tonfolgen der Sprache. Dies ist eine Voraussetzung dafür, um selbst sprechen zu lernen. Da die Sprachentwicklung in den ersten zwei bis drei Lebensjahren die grössten Fortschritte macht, ist es wichtig, Hörstörungen bereits früh zu erkennen und gegebenenfalls entsprechend zu behandeln. Es «klickt» – und die Sinnenszellen schwingen Bei der häufigsten Hörscreening-Variante werden so genannte otoakustische Emissionen (OAE) gemessen. Dazu wird von einer kleinen Sonde im Ohrstöpsel ein Geräusch, ähnlich einem Klicken, in den Gehörgang abgegeben. Die Schallwellen dieses Geräusches bringen die Haarzellen, die Sinneszellen im Innenohr, zum Schwingen. Ein Mikrofon, das ebenfall im Stöpsel sitzt, registriert die Schwin- SPRECHSTUNDE 28 HÖRTEST gungen der Haarzellen. Anhand der ermittelten Werte kann festgestellt werden, ob die Zellen im Innenohr normal auf das Klickgeräusch reagieren oder nicht. Der Test gilt als bestanden, wenn mindestens ein Ohr normale Werte aufweist. Dies war auch bei der kleinen Sarah der Fall. Findet man auf Anhieb keine normalen Reaktionen, wird am gleichen oder folgenden Tag eine zweite Messung durchgeführt. Wird der Test auch beim zweiten Mal nicht bestanden, bedeutet das noch nicht, dass der Säugling eine Hörstörung hat. Es heisst lediglich, dass mit dieser Methode eine normale Funktion des Gehörs nicht festgestellt werden konnte. In einem solchen Fall raten die ÄrztInnen den Eltern, innerhalb der ersten drei Lebensmonate ihres Kindes weitere Abklärungen vornehmen zu lassen. Peter Oppermann ist leitender Arzt für Kinderaudiologie an der Hals-NasenOhren-Klinik des Kantonsspitals Luzern. Kann bei einem Säugling durch das OAE-Verfahren keine normale Hörfunktion bestätigt werden, führt er als weitere Hörscreening-Variante eine Hirnstamm-Audiometrie durch. Dabei misst er über Sensoren am Kopf des Kindes die Reaktion des Gehirns auf verschiedene Geräusche. Für diese Untersuchung müssen die Kinder ganz ruhig sein, sodass gelegentlich eine leichte Narkose notwendig ist. Peter Oppermann erklärt: «Ich untersuche viele Kinder, deren Gehör schliesslich ganz normal ist. Eine angeborene Hörstörung tritt nur bei etwa einem von 1000 Kindern auf. Es ist aber wichtig, das OAE-Hörscreening und allenfalls die Hirnstamm-Audiometrie konsequent durchzuführen. Denn nur so können Hörstörungen zuverlässig entdeckt werden. Das Beobachten der Reaktionen eines Säuglings auf normale Alltagsgeräusche ist unzuverlässig und reicht leider nicht aus.» Hörgerät oder Cochlea-Implantat Wird eine Hörstörung festgestellt, hängt die Behandlung davon ab, wie stark das Gehör beeinträchtigt ist. Ist ein Teil des Hörvermögens erhalten, genügt es oft, die Schallwellen mit einem Hörgerät zu verstärken. Dazu 29 SPRECHSTUNDE I L L U S T R AT I O N : P E T E R WA N N E R Der Hörvorgang 1) Gehörgang, 2) Trommelfell, 3) Mittelohr, 4) Hammer, 5) Amboss, 6) Steigbügel, 7) Bogengänge (Sitz des Gleichgewichtorgans), 8) Innenohr, 9) Schnecke, 10) Hörnerv Die Schallwellen gelangen von der Ohrmuschel über den äusseren Gehörgang zum Trommelfell. Dadurch wird das Trommelfell in Schwingung versetzt. Diese Schwingungen werden über die Gehörknöchelchen im Mittelohr (Hammer, Amboss, Steigbügel) ans Innenohr weitergeleitet. Das schneckenförmige Innenohr ist mit Flüssigkeit gefüllt, welche durch wird den Kindern meist innerhalb des ersten Lebensjahres beidseits ein entsprechendes Gerät angepasst. Bei stärkeren Schädigungen oder gar vollständiger Taubheit besteht die Möglichkeit, ab einem Alter von etwa zwölf Monaten ein Cochlea-Implantat einzusetzen. Dieses spezielle Hörsystem wird operativ in das Innenohr eingelegt und stimuliert direkt den Hörnerv. Über ein Mikrofon und einen Sprachprozessor am Ohr werden die Geräusche aufgenommen, verarbeitet und an das Implantat weitergeleitet. Die Einstellungen des Geräts müssen am Anfang mehrmals angepasst werden. Das Kind hat mit entsprechender Sprachschulung eine sehr gute Chance, dass es später normal sprechen kann und seine Hörstörung kaum mehr auffällt. Zukunft: Hörtest für jedes Kind Ein Hörscreening wird oft nur bei «Risikokindern» durchgeführt. Zu den Risikofaktoren für eine Hörschädigung gehören beispielsweise eine Erkrankung an Röteln oder eine Toxoplasmose** während der Schwangerschaft, eine Frühgeburt, ein zu niedriges Geburtsgewicht, bestimmte Blutwerte die Schwingungen in wellenförmige Bewegungen versetzt wird. Die Wellen werden über eine Membran auf die Haarzellen, die Sinneszellen des Innenohrs, übertragen. Diese geben die Impulse als elektrische Reize an die Nervenfasern des Hörnervs weiter. Über die Fasern gelangen die elektrischen Impulse schliesslich zum Gehirn. des Neugeborenen oder mehrere Fälle von angeborenen Hörstörungen in der Familie. Dorothe Veraguth, Hals-Nasen-Ohren-Ärztin am Universitätsspital Zürich, ist Mitglied einer Arbeitsgruppe, die sich für ein routinemässiges Screening aller Neugeborenen einsetzt. «Anhand einer Umfrage habe ich festgestellt, dass 2003 lediglich knapp zwei Drittel der Kinder untersucht worden sind. Das ist zu wenig», erklärt sie. «Eltern empfehle ich deshalb, konkret den Wunsch nach der Untersuchung ihres Kindes zu äussern. Die Kosten des Screenings, etwa 20 bis 30 Franken, werden im Moment noch nicht von den Krankenkassen übernommen. Es laufen aber bereits Bemühungen, damit sich das in Zukunft ändert. Denn schliesslich lassen sich durch die frühe Erkennung und Behandlung einer Hörstörung viele Folgekosten sparen.» *Therese Schwender ist ausgebildete Tierärztin und arbeitet heute als Medizinjournalistin. Sie lebt in Hünenberg (ZG). **Toxoplasmose: Infektionskrankheit, die unter anderem durch den Genuss von rohem Fleisch übertragen wird.