FUNKTIONELLE GYMNASTIK Philipp Hausser/Jens Babel GluckerSchule DEHNDISKUSSION Überblick über verschiedene Dehnmethoden, ihre Wirkung und Anwendung Dehndiskussion Das Dehnen gehört zu den am kontrovers behandeldsten Themen in der Sportwissenschaft/Trainingslehre. Es ist mit vielen Mythen belegt, denen klare wissenschaftliche Ergebnisse entgegen stehen. Es entwickelten sich im Laufe der 1980-er Jahre zwei Gruppen (bis dahin spielte das Dehnen im Sport eine untergeordnete Rolle) Die Anwender und die Forscher Dehndiskussion Ohne wirkliche Datenlage wurde das wippende Dehnen als verletzungsgefährdend abgestempelt und das statische, langsame, „gesunde“ Stretching gewann überall an Bedeutung. Schon damals war aber klar, das zur Verbesserung der Beweglichkeit, dem eigentlichen Ziel des Dehnens, die dynamische („böse“) Methode dem statischen („guten“) Dehnen überlegen ist (Freiwald, 2013). Dehndiskussion Dem (statischen) Dehnen wurden von der Gruppe der Anwender fast wundersame Wirkung unterstellt. Parallel untersuchte die universitäre Forschung ab den 1990-er Jahren unter objektiven Kriterien, die Sinnhaftigkeit und Wirkungsweise der jeweiligen Dehntechniken. Mit dem Ergebnis, dass die Thematik Dehnen immer sportart- u. indikationsspezifisch anzusehen ist und jede Methode ihren Sinn hat (Freiwald, 2013). Dehnen und Beweglichkeit Definition der Begrifflichkeiten: Dehnen hat das Ziel der Verbesserung der Beweglichkeit. Beweglichkeit: ist die Fähigkeit ein Gelenk über eine möglichst große Amplitude zu bewegen . Ein Ansatz zur Unterscheidung: „Flexibilität meint die Dehnfähigkeit der Muskeln und Sehnen im Aktionsgebiet, Mobilität definiert wie beweglich ein Gelenk ist“. Definition von Beweglichkeit Ist die Fähigkeit, die mögliche Schwingungsweite der Körpergelenke im Laufe von Bewegungen der Alltags- und Sportmotorik auszunutzen Allgemeines Die Beweglichkeit gehört zu den wichtigsten konditionellen Leistungskomponenten bzw. zu den motorischen Grundeigenschaften (Weineck 1994, Martin 1979) Beweglichkeitseinschränkung Neurophyiologische Faktoren: - - - - Mechanische Irritationen der Nozizeptoren (Schmerzrezeptoren) der Muskeln, Gelenkkapsel, Knochen. Direkte Nervenkompression (Schwellung, Trauma, Verknöcherungen) Einklemmungen und Verwachsungen von Nervengewebe Reaktive Schmerzen durch Gelenkverschleiß Arthrose Nervös gesteuertes Einsteifen von Gelenken als Schutzmechanismus, nach Verletzungen, Operationen, oder durch gleichzeitige Aktivierung von Agonist und Antagonist, sogenannte Kokontraktion. Beweglichkeitseinschränkungen Muskuläre und bindegewebige Faktoren - - - - Verkürzung der Muskulatur (?!) Gleitstörungen (Verklebungen) des Muskelgewebes (Faszien) sog. Cross-Links, Bindegewebes und Nervengewebes - Verdickung des Bindegewebes (z.B. Kompartementsyndrom in der Wade), i.d.R. entzündlich bedingt, durch chronische Fehl- u. Überlastung Massenhemmung (Adipositas, unnatürliche Muskelmasse beim Bodybuilding) Beweglichkeitseinschränkungen Bindegewebige, knöcherne und mechanische Faktoren - Anlagebedingte Voraussetzungen (Strukturelle Beschaffenheit von Sehnen, Bändern, Knochen) - Erworbene knöcherne Veränderungen (arthrotische Veränderungen an Gelenken) Narbenbildung Einklemmungen von Menisken, Band-, Kapselapparat, Bandscheiben) Beweglichkeitseinschränkungen Sonstige Ursachen - - - Venöse und lymphatische Rückflussstörungen Gelenkerguss, Kapselschwellungen (Arthrose, nach Verletzungstrauma) Nichtgebrauch des vorhandenen Bewegungsausmaßes „if you don´t use it, you loose it“ Schädigung durch Überlastung Geschlecht und Kulturkreis Alterseinflüsse Körpergewicht/Zusammenstellung Medikamente Temparatur, körperlicher Zustand Beweglichkeitseinschränkung Dehnen verbessert die Beweglichkeit?! Einschränkungen in der Beweglichkeit sind von verschiedenen Faktoren abhängig, wovon nur einer durch „Dehnen“ etwas an der Ursache der Beweglichkeitseinschränkung (positiv) verändert. Mobilisieren und das Bewegen von Gelenken ist von daher von größerer Bedeutung. Die klassischen Dehnmethoden In den letzten 20 Jahren haben sich fünf „klassische Dehnmethoden“ durchgesetzt (Hoster 1987) Die klassischen Dehnmethoden 1. Das dynamische Dehnen (DD o. DS) 2. Das statische Dehnen (SD o. SS) 3. Das AC-Streching (Antagonist-Contract) 4. Das CR-Streching (Contract-Relax) 5. Das CR-AC-Streching Die klassischen Dehnmethoden Zu 1. DD o. DS: − Intermittierendes Dehnen − Rhythmisch, schwingendes oder ballistisches Dehnen Die klassischen Dehnmethoden Zu 1. DD o. DS: Bild: zimbio.com Die klassischen Dehnmethoden Zu 2. SD o. SS: − Die Dehnposition wird längere Zeit unbeweglich beibehalten Die klassischen Dehnmethoden Zu 2. SD o. SS: Bild: n24.de Die klassischen Dehnmethoden Zu 3. AC-Streching: − Während des Dehnens wird der Antagonist (Gegenspieler) des Zielmuskels kontrahiert und die Dehnposition vertieft − Reziproke Vorwärtshemmung Die klassischen Dehnmethoden Zu 4. CR-Streching: − Anspannungs-Entspannungs-Methode − Max. isometrische Kontraktion des Zielmuskelskurze Entspannungsphase-statische Dehnung − Autogene Hemmung Die klassischen Dehnmethoden Zu 5. CR-AC-Streching: − Verknüpfung des CR- und des AC-Streching − Wirkung der reziproken Vorwärtshemmung und autogenen Hemmung Die klassischen Dehnmethoden Des Weiteren unterscheidet man die Erzeugung der Dehnungsspannung − Aktives Dehnen − Passives Dehnen Die klassischen Dehnmethoden Passives Dehnen Bild: sportbild.bild.de Anwendung Warum Dehnen? − Vorbereitung auf anstehende Beanspruchungen − Verbesserung der Beweglichkeit − Verletzungsprophylaxe − Muskelkaterprophylaxe Anwendung Dehnen zur Vorbereitung auf bevorstehende Beanspruchungen: − Berücksichtigung der bevorstehende Beanspruchung − Beispiel: Ein statisches Streching in der Aufwärmphase von einem Schnellkraftsportler macht weniger Sinn Anwendung Dehnen zur Verbesserung der Beweglichkeit: − Es gibt klare Hinweise − Veränderung der Sarkomer Anzahl − Verbesserte Dehnbelastungsfähigkeit ( Klee u. Wiemann 2005) Anwendung Dehnen zur Verletzungsprophylaxe: − Die Effekte sind eher unklar − Welche Art von Verletzung? − Eher keine Verletzungsprophylaxe − Vielleicht erhöht sich sogar das Verletzungsrisiko (J. Freiwald 2009) Anwendung Dehnen zur Muskelkaterprophylaxe: − Man konnte durch Dehnen sogar eine Verstärkung des Muskelkaters nachweisen (Wiemeyer 2002, Wiemann u. Kamphöfner 1995) Anwendung − Dehnen in Aufwärmprogrammen fördert eher das Auftreten von Muskelkater − Vielleicht auch von Muskelverletzungen (Klee u. Wiemann 2005) Effektivität der Dehnmethoden − Welche Methode ist die effektivste um kurzfristig/langfristig die Beweglichkeit/Dehnfähigkeit zu verbessern??? Effektivität der Dehnmethoden − Das CR-AC-Streching ist vermutlich die effektivste Methode, hinsichtlich Beweglichkeit/Dehnfähigkeit − Des weiteren scheint das dynamische Dehnen auch sehr effektiv zu sein Effektivität der Dehnmethoden − Statisches Dehnen scheint nicht so effektiv zu sein, hinsichtlich Beweglichkeit/Dehnfähigkeit − Auch in Bezug auf Schnellkraftsportarten ist diese Methode anscheinend kontraproduktiv Dehndiskussion Literatur: − Andreas Klee/ Klaus Wiemann Beweglichkeit/ Dehnfähigkeit. Hoffmann Verlag 2005 − F. Diemer, V. Sutor, Praxis der medizinischen Trainingstherapie. Georg Thieme Verlag 2007 − J. Freiwald, Optimales Dehnen. Spitta Verlag 2009