Verletzungsprophylaxe im Laufsport Von Dipl. Sport-Physiotherapeut Hubert Pilser Laufen ist nach dem Gehen die älteste und natürlichste Fortbewegungsform des Menschen. Daher kann man davon ausgehen, dass Laufen, mit wenigen Ausnahmen (vorwiegend orthopädisch- organischer Natur) gesund ist, sofern es richtig betrieben wird. Und genau hier liegt das Problem. Jeder Mensch ist anders, von seiner „Bauart“ (orthopädisch) und seinem internen „Ablauf'“ (Physiologie) her. So wie es verschiedene Autotypen gibt (Klein- Mittelklasse- oder Sportwagen) gibt es verschiedene Menschen mit unterschiedlichen körperlichen Voraussetzungen. Auf dem Punkt gebracht bedeutet dies, dass das Training individuelle, sinnvoll mit entsprechendem Körpergefühl abgestimmt werden muss! Das bedeutet den eigenen Körper wahrzunehmen und seine individuelle Belastung und Leistungsgrenze zu kennen bzw. kennenzulernen um die entsprechende Konsequenz zu ziehen. Auf das Training bezogen heißt das: wie viel Km kann ich, wie oft, mit welcher Intensität laufen und wie viel Pause brauche ich zwischen den einzelnen Einheiten um nicht verletzungsbedingt oder aufgrund eines Übertrainings eine Zwangspause einlegen zu müssen? Dabei spielt Alter, Geschlecht, Kraft, Beweglichkeit, Lauftechnik, Lauferfahrung, Körpergewicht, Untergrund, Laufschuhe, soziales Umfeld und Arbeit usw. eine zusätzliche Rolle. Bei Missachtung dieser grundsätzlichen Gesetzmäßigkeiten kommt es zu Fehlbelastung bzw. Überlastungsschäden. Dabei werden die eigenen Grenzen der Belastbarkeit überschritten, es kommt zu Anpassungsdefiziten. So brauchen unterschiedliche Strukturen (Bänder, Sehnen, Muskeln, Knochen, usw.) unterschiedliche Zeiten um sich der Belastung anzupassen. Ein zu schnelles Steigern von Umfang und Intensität bei zu geringer Regeneration ist wohl der am häufigsten gemachte Fehler beim Laufen. Hervorheben möchte ich den Zusammenhang von: => Wahrnehmung und Gleichgewicht => Kraft und Stabilität => Koordination => Beweglichkeit Wahrnehmung und Gleichgewicht Als Wahrnehmung ist hier das Spüren von Druck, Bewegung und (Gelenk-) Positionen usw. gemeint. Je besser und schneller ich z.B. den Untergrund (weich, hart, instabil, … ) erspüren kann, um so schneller kann ich reagieren und eine eventuelle Verletzung z.B. Umknicken, verhindern oder minimieren. Eine gute Wahrnehmung verbessert auch das Gleichgewicht. Dementsprechend wird der Lauf locker und entspannt. Das bedeutet wiederum, dass Verspannungen und Krämpfe weniger werden und sogar der Energieverbrauch kann sich dadurch reduzieren, was wiederum zu besseren Laufleistungen führt. Übungen dazu sind z.B.: Einbeinstand auf instabilen Unterlagen wie Wackelbrett oder Ballkissen. Notfalls tut es auch die Matratze. Man kann das ganze steigern, indem man sich noch dazu einen Ball zuwerfen lässt. Aber auch auf festem Boden mit einem Bein stehen und noch dazu die Augen schließen ist bereits für viele eine große Herausforderung. Tipp: den Einbeinstand öfter im Alltag einbauen. So z.B. auch beim Zähneputzen möglich. Diese Übungen verbessern nicht nur die Stabilität von Knie und Sprungglelenk, sie steigern auch die neuro-motorischen Fähigkeiten. Kraft (Übungsanleitung siehe Anhang) Damit der Mensch sich aufrecht bewegen kann braucht er ein Mindestmaß an Kraft. Für einen Läufer ist die Rumpfstabilität von zentraler Bedeutung. Denn der Rumpf ist Anker und „Aufhängungspunkt“ für Beine und Oberkörper und stabilisiert den ganzen Bewegungsapparat. Ist die Rumpfmuskulatur zu schwach, verschlechtert sich der Laufstil (Laufökonomie). Dadurch steigt das Verletzungsrisiko und der Energieverbrauch nimmt zu, was zwangsläufig zu schlechteren Laufzeiten führt. Häufig auftretende Probleme entstehen auch durch eine mangelhafte Beinaxenführung. Grund ist meist eine schwache Rumpf- Bein- oder Fußmuskulatur die wiederum zu Störungen im Bewegungsablauf mit den oben angeführten Problemen führt. Die Übungen zur Rumpf- und Beinaxenstabilisation sowie zur Kräftigung der Fußmuskulatur (siehe Lauf-ABC) sollten in Sätzen mit Wiederholungszahlen im Kraftausdauerbereich absolviert werden (siehe Anhang). Ideal sind 2-3 Einheiten pro Woche, an trainingsfreien Tagen oder nach Möglichkeit vor leichteren Trainingseinheiten. Koordination Eine gute Koordination dient der Ökonomisierung des Bewegungsablaufes. Das heißt energiesparendes Laufen bei Senkung des Verletzungsrisikos. Dies kommt bei einer guten Lauftechnik zum tragen. Wahrnehmungs- und Gleichgewichtsübungen spielen dabei ebenfalls eine wichtige Rolle wie das „LaufABC“ (vor allem Skippings, Kniehebelauf und Anfersen, - gibt es im Internet herunterzuladen) und Sprünge . Speziell das Lauf-ABC und die Sprünge sollten 2 mal pro Woche, entweder getrennt voneinander oder zusammen, nach dem Einlaufen eingebaut werden. Beweglichkeit/Dehnungsübungen (Übungsanleitung siehe Anhang) Sind Dehnungsübungen sinnvoll oder überflüssig? Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen und praktischen Erfahrungen kann man folgendes ableiten: =>Dehnen ist je nach Typ individuell. Wer eher ein „steifer Typ“ (hypomobil) ist und zu Muskelverkürzungen oder Krämpfen neigt sollte dehnen. =>Derjenige, der bereits gut beweglich oder sogar überbeweglich (hypermobil) ist sollte eher nicht dehnen. Stattdessen sollte er Kraft und Stabilität aufbauen. Wenn Kraft bzw. Stabilität und Beweglichkeit nicht im richtigen Verhältnis zueinander stehen, kommt es zum Ungleichgewicht (Dysbalance) zwischen den einzelnen Strukturen wie Muskeln, Sehnen, Bänder, aber auch Knorpel oder Knochen. Die Folge ist eine Verschlechterung der Koordination und Laufökonomie, was wiederum die Laufleistung reduziert und das Verletzungsrisiko ansteigen lässt. Grundsätzlich gilt folgendes: => vor Wettkämpfen nicht dehnen. Sonst verliert der Muskel die notwendige Spannkraft. Was Zeitverlust bedeutet. Vor allem bei kurzen, schnellen Rennen; => nach einem intensiven und/oder langen Rennen ebenfalls nicht oder maximal nur ganz leicht dehnen. Vorhandene Mikrotraumen werden dadurch nur noch mehr verstärkt. Stattdessen auslaufen oder alternativ z. B. schwimmen oder radfahren. Auch eine leichte Massage tut gut und wirkt entspannend; => immer zuerst aufwärmen oder am Ende von leichteren Läufen einbauen; „Faszienrolle“ und Tennisball Eine Faszienrolle ist nichts anders als eine spezielle Styroporrolle, vorwiegend zur Bearbeitung von Faszien. Das sind Bindegewebsstrukturen die sich durch den ganzen Körper ziehen. Sie sind ein eigenständiges Organ, formen unseren Körper und halten ihn zusammen. Muskeln werden z.B. von Faszien umhüllt. Wäre das nicht der Fall, würden sie lose auseinanderfallen. Und genau dieses Bindegewebe kann Probleme machen. Es kann sich verhärten, verfilzen oder verkleben. Daraus können dann unangenehme Schmerzen entstehen. Damit es erst gar nicht zu diesen Schmerzen kommt, kann man diese Faszienrolle und Tennisball wunderbar nutzen. Selbst wenn bereits erste Symptome vorhanden sind ist der Einsatz dieser „Geräte“ sehr hilfreich. Bei der Durchführung ist folgendes zu beachten: => aufspüren von schmerzhaften Punkten durch sehr langsames Abrollen; => auf dem Punkt verweilen (ca. eine halbe Minute) bis sich eine Linderung einstellt; => anfänglich das Ganze mit mittlerem Druck durchführen, später Druck erhöhen. Schmerz soll noch gut aushaltbar sein. => nach anfänglicher Gewöhnung sind mehrere Wiederholungen möglich; So eignet sich der Tennisball gut für die Bearbeitung der Fußsohle (Plantarfaszie). Dabei soll vor allem das Quer- und Längsgewölbe bearbeitet werden. Zudem kann auch eine Art Greifbewegung mit dem Ball durchgeführt werden. Vorausgesetzt der Fuß ist groß genug. Ansonsten auf etwas kleineres ausweichen wie z.B. ein kurzes Stück Rundholz. Dabei wird die Zehenkraft trainiert und zusätzlich kann dadurch auch eine leichte Zehenfehlstellung (Halux Valgus) verbessert werden. Die Faszienrolle hingegen eignet sich gut für die Behandlung von größeren Flächen wie man sie z.B. bei den Beinen findet. Sehr gut geeignet ist hierfür der Tractus iliotibialis. Das ist diese breite Faszienstruktur an der Außenseite des Oberschenkels (von Hüfte bis Knie) die häufig Probleme macht. Dabei legt sich der Läufer seitlich mit dem Oberschenkel auf die Rolle und rollt, wie oben bereits beschrieben, langsam den Schenkel entlang. Das andere Bein wird vor der Rolle abgestützt. Auch die Hände stützen ab, damit der Druckschmerz durch das Körpergewicht nicht zu groß wird. PECH gehabt? Passiert es doch mal, dass man sich verletzt z.B. den Fuß umknickt (Suppinationstrauma), die Achillessehne oder das Knie plötzlich schmerzt, so sollte als Akutmaßnahme das PECH-PRINZIP angewandt werden. Dabei steht „P“ für Pause, „E“ für Eis, was soviel bedeutet wie rasche Kühlung. „C“ steht für Compression um eine Zunahme der Schwellung zu verhindern und „H“ für Hochlagern, was ebenfalls zur Vermeidung von Schwellungen dient. Sollten die Schmerzen weiter anhalten oder sich sogar verstärken ist der Gang zum Arzt unvermeidlich. Das Training muss bis auf weiteres auf „Eis“ gelegt werden. Grundsätzliche Empfehlungen: => Langfristige Ziele planen und Prioritäten festlegen; => Entlastungsphasen einplanen (Umfang und Intensität kurzfristig etwas reduzieren) => Zwischendurch Alternativsportarten einstreuen z.B. radfahren oder schwimmen; => Übungsprogramm ausführen, v. a. in der Vorwettkampfzeit sehr gut geeignet zur Verletzungsprophylaxe. In der Hauptwettkampfzeit Übungen etwas reduzieren; => Ernährung dem Training anpassen. Wichtig ist je nach Intensität und Umfang vor allem das Verhältnis Kohlenhydrate und Proteine. Tendenziell wird eher zu wenig Eiweiß gegessen. Wichtig ist Eiweiß vor allem für die Regeneration und für den Aufbau von qualitativ hochwertigem Bindegewebe, aber auch für das Immunsystem ist Eiweiß wichtig! Eiweißhaltige Lebensmittel sind z.B. Fisch, Fleisch, Milchprodukte, Eier, Hülsenfrüchte (Bohnen, Linsen, Erbsen), Getreide wie vor allem Kamut, Amaranth, Quinoa, Hafer oder Soja und Sojaprodukte wie z.B. Tofu; => Auf den Körper hören und richtige Selbsteinschätzung. Sich nicht durch falschen Ehrgeiz und Übermotivation treiben lassen. => Flexibel bleiben. Fühlt man sich vor dem Training nicht besonders gut (eventuell ist eine Infektion schuld), dann nur leicht trainieren oder das Training ausfallen lassen und stattdessen Übungen machen, aber auch hier nicht übertreiben. => Und bitte nicht „Versäumtes“ auf „Biegen und Brechen“ nachholen wollen. Verletzungen sind dabei schon vorprogrammiert! Viel Erfolg und eine verletzungsfreie Zeit ☺ © DIPL.- SPORTPHYSIOTHERAPEUT PILSER HUBERT Schlanders Hinweis in eigener Sache: Das vorliegende Skript, inklusive Übungsanleitungen, wurden dem Rennerclub Vinschgau, kostenlos zur Verfügung gestellt. Dazu zählt auch unser Treffen in Mals.