Das Christentum und die Dynamik der Säkularisierung

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Rolf Peter Sieferle
Helga Breuninger (Hg.)
Das Christentum und die
Dynamik der Säkularisierung
Reinhard Falter
Der Europäische Sonderweg
Ein Projekt der Breuninger Stiftung
Band 5
Stuttgart 2000
›Der Europäische Sonderweg‹
Eine Schriftenreihe der Breuninger Stiftung GmbH, Stuttgart
Herausgeber: Rolf Peter Sieferle, Helga Breuninger
© Breuninger Stiftung GmbH, Stuttgart 2000
Umschlaggestaltung: Volker Hann
Herstellung: Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISSN 1616-1602
Projektleitung ›Europäischer Sonderweg‹
Breuninger Stiftung
Prof. Dr. Rolf Peter Sieferle
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Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
3
VORWORT ................................................................................................................................ 5
EINLEITUNG ........................................................................................................................... 7
I. Auseinandersetzung mit der Literatur ..................................................................8
1. Die Ankläger des Christentums ............................................................................................ 8
1.1. Lynn White
8
1.2. Parallelen zu White bei anderen Autoren
13
1.2.1. Vorläufer
13
1.2.2. Toynbee und Maurer
19
1.2.3. Drewermann
20
1.2.4. Carl Amery
23
1.2.5. Wolfgang Giegerich
23
1.2.6. Philip Sherrard
26
1.3. Kritik vom Standpunkt außerchristlicher Religionen
27
1.3.1. Islam
27
1.3.2. Die asiatische Perspektive
35
1.4. Neuheidnische Kritik
36
2. Gegenargumente ................................................................................................................. 41
2.1. Alternative Theorien
41
2.2. Christliche Argumente gegen White
43
2.2.1. Apologeten, die eine Schuld des Christentums negieren
44
2.2.2. Apologeten, die ein anderes Christentum wollen
49
2.2.3. Anthroposophische Apologeten
51
2.3. Apologeten der Moderne
57
3. Einzelstudien zu den historischen Hintergründen............................................................. 61
3.1. Die Wirkungsgeschichte des Dominium terrae
61
3.2. Das Christentum als Wurzel der Individualisierung
62
3.3. Der Naturbegriff im christlichen Kontext
64
3.4. Bettelorden und mittelalterliche Mobilisierung
68
3.5. Handwerkerparadigma und Mechanisierung
69
3.6. Fortschrittsvorstellung und Säkularisierungsprozesse
71
II. Erste Ansätze zu einer Geschichte der abendländischen Dynamik ...............73
1. Ausgangsimpulse................................................................................................................. 73
Negierung des Kerns der Erfahrungsreligion
73
Außerweltliche Heimat des Menschen und Verlichtung
74
Historisierung der Natur und Anthropozentrismus
75
Fortschritt
77
Universalismus
78
Individualisierung
79
Introjektion
80
2. Interferenzen ....................................................................................................................... 81
Propfreligion – Dualismus als Erfahrung
81
Negierung des Werdenden und damit der Natur
82
Unverstehbarwerden der Natursprache
83
Kontrafaktische Setzung und Dogma
85
3
3. Dynamik............................................................................................................................... 86
Rationalisierung
86
Säkularisierung als Zu-sich-selbst-Kommen des Christentums
87
Auslaufen in Machtvergötterung
88
Selbstzerstörung als Signum
89
4. Praxis ................................................................................................................................... 90
Schaffung einer Lebensform jenseits der Scheidung von Herr und Knecht
90
Zusammengehen von Empirie und Mathematisierung
91
Vorläufiges Fazit ..................................................................................................................... 92
Historische Fragen
93
Literatur ................................................................................................................................... 95
4
"Wenn ein CSU Mann "christlich" sagt, meint er nicht das und das glauben, sondern
Selbstverantwortlichkeit" (W. Thiem)
VORWORT
Die heute weltumspannende Zivilisation hat ihre Fundamente in einer Sonderentwicklung des
"Abendlandes" gegenüber vergleichbaren Großkulturen (Ostasien, Islam). Fragt man nun
nach den Faktoren dieser Sonderentwicklung, so liegt es nahe, auch den Faktor einzubeziehen, in dem sich diese Kulturen ganz offensichtlich unterscheiden: die Religion. So ist es
nicht verwunderlich, daß auch in neuerer Zeit immer wieder das Christentum für die Geschichte des Abendlandes, insbesondere für das hier entstandene Projekt wissenschaftlich
technischer Naturbeherrschung, verantwortlich gemacht wurde.
Inhalt der Studie ist die Prüfung der bisher von sehr unterschiedlichen Autoren aufgestellten
Thesen. Die Argumentationsmuster sind dabei weitgehend unabhängig von der subjektiven
Bewertung des Prozesses und seines Ergebnisses durch die jeweiligen Autoren.
Zum einen wird immer wieder die Naturfeindschaft der "Wüstenreligion", zum andern die
Individualisierung - im Gefolge der Vorstellung von einer unmittelbaren Gottesbeziehung des
einzelnen Menschen - genannt. Beide Erklärungen sind aber zumindest einseitig. Wüstenreligion und Religion städtischer Händlerkultur ist ja auch der Islam. Wie die arabische, hatte
zudem die chinesische Kultur bis ins Mittelalter einen zivilisatorischen Vorsprung. Die entscheidenden Faktoren scheinen also -wenn auch vielleicht älteren Ursprungs- zumindest erst
in der Neuzeit zur Wirkung gekommen zu sein.
Es hat sogar eine gewisse Plausibilität, das Christentum als Verzögerer des Fortschritts darzustellen, wie dies seit der Aufklärung immer wieder geschah und um 1900 seinen Höhepunkt
erreichte. Spiegelbildlich zu dieser Christentumskritik gibt es eine christlich-apologetische
Tradition, die die Dechristianisierung für alle negativen Seiten der Moderne verantwortlich
macht.
Auf den ersten Blick scheint es sehr seltsam, was für unterschiedliche Schilderungen sich aus
dem selben Faktenmaterial entwickeln lassen. Dennoch handelt es sich wohl nicht nur um
ideologisch gefärbte Einseitigkeiten. Die beiden zunächst so konträr scheinenden Auslegungen – Christentum als Motor und Verzögerer der Moderne – lassen sich verbinden, wenn man
im Christentum eine selbstaufhebende Tendenz nachweisen kann, das heißt, wenn ihm Säkularisierung immanent ist.
5
Die Spezifika des Christentums gegenüber anderen Monotheismen lassen sich nur als Geschichte seiner eigenen Metamorphosen herausarbeiten, die mit dem grundstürzenden Wandel
von der Naherwartungsreligion des ersten zu der Reichsreligion des vierten Jahrhunderts keineswegs zu Ende ist. Man könnte geradezu die Frage stellen, was dem Christentum seine unglaubliche Wandlungsfähigkeit beschert.
Hier fangen freilich bereits Definitionsschwierigkeiten an. Was soll Christentum genannt
werden? Der Glaube einer bestimmten Kirche oder nur das Gemeinsame aller Konfessionen,
die sich auf Jesus von Nazareth als Erlöser oder auch nur als Vorbild beziehen? Christliche
Apologeten neigen im Zeichen der Umweltkrise dazu, jeweils ihre eigene Konfession freizusprechen und die Verantwortung auf "Fehlentwicklungen" anderer Konfessionen oder Sekten
zu schieben (so etwa von katholischen Autoren unter Hinweis auf Max Webers "Protestantismusthese"). Aber auch eine neutralere Betrachtung muß differenzieren: Der amerikanische
Historiker Lynn White, der entscheidene Anstöße für die Diskussion der hier entwickelten
Fragestellung gab, hat z.B. das orthodoxe Christententum (Ostkirche) ausdrücklich als andersartig charakterisiert.
Bei unserer Studie steht wie bei White die Frage im Mittelpunkt, ob es im Christentum Wurzeln des spezifisch abendländischen Naturverhältnisses und des Projekts technischer Naturbeherrschung gibt. Dabei wäre es zu wenig, nur einzelne Motive des Naturverhältnisses oder gar
des Dogmas herauszugreifen (etwa das vielfach überbewertete Motiv "Macht euch die Erde
untertan!"). Wir befragen vielmehr einzelne Elemente nach ihrer Beziehung zum Glaubenssystem, innerhalb dessen sie Nahrung fanden. Das bedeutet für das Definitionsproblem: wir
bezeichnen zunächst als abendländisches Christentum die Summe jener Ideen, Einstellungen
und Motive, die kulturbildend waren. Uns interessiert damit zunächst allein das "realexistierende" Christentum und nicht, inwiefern dieses durch heilige Texte gedeckt ist. Nicht
um Ideen und ihre logischen Folgerungen geht es, sondern um Ideen, die zu Triebkräften
wurden, weil sie Anliegen konzeptualisieren.
Ideen sind austauschbar, aber die entsprechenden "Nischen" im Bewußtsein müssen – wenn
sie einmal entstanden sind – neu gefüllt werden. Man kann sagen, es geht nicht um Kontinuität der Inhalte und Antworten, sondern um Kontinuität der Attitüden und Fragen. Dabei ist zu
beachten, daß eben die Fragestellungen nicht Anthropina sind. Die Frage nach einer Entwicklung der Menschheit in die Zukunft hinein, der Wunsch nach Unsterblichkeit, ist nicht allgemein-menschlich, sondern gewinnt im mediterranen Raum in den ersten Jahrhunderten nach
Christus eine neue Virulenz. Man kann unterschiedlicher Meinung sein, ob dabei das Christentum umkonstellierend gewirkt hat, oder ob seine Durchsetzung und Durchformung selbst
6
eher Produkt einer Umkonstellierung ist, für die andere Ursachen gesucht werden müssen
(Trend zur Individualisierung, Introjektion, etc.). Aber auch dann ist es berechtigt, den Komplex nach der Gestalt zu benennen, in der er sich verdichtet hat, nämlich Christus.
Herangezogen werden sollen für die Analyse des Christentums auch moderne kritische Positionen der außereuropäischen Kulturen (insbesondere des Islam), weil sie eine Außenperspektive vermitteln, die zunächst recht befremdlich, aber sehr anregend ist, auch wenn natürlich die
Frage berechtigt ist, ob es sich dabei nicht einfach um Polemik und Apologetik zwischen
Großreligionen handelt, und inwiefern angebote Alternativkonzepte tragfähig sind, z.B. wie
weit es mit einem pfleglichen Umgang mit Natur in islamischen Ländern her ist.
EINLEITUNG
Das Christentum, insbesondere in seiner protestantischen Betonung der jüdischen gegenüber
den griechischen Wurzeln ist von so unterschiedlichen Autoren wie Max Weber1 und Ludwig
Klages als eine der Triebkräfte des europäischen Sonderwegs identifiziert worden. Zum einen
wird dabei immer wieder die Naturfeindschaft der Wüstenreligion, zum andern die Individualisierung am Band der Gottesunmittelbarkeit genannt. Das Wirkungsgefüge ist, wie bereits im
Vorwort andgedeutet, komplex. Zu unterscheiden sind:
1. Ausgangsimpulse die in der Moderne zum Tragen kamen
-
Universalismus, Individualisierung, Dualismus als Erfahrung
-
Negierung des Kerns der Erfahrungsreligion
-
Vergeschichtlichung
-
Introjektionsschub
2. Nebenfolgen
-
Naturentheiligung, kontrafaktische Setzung und Dogma
3. Metamorphosen
-
Rationalisierung, Säkularisierung als Zu-sich-selbst-Kommen des Christentums
4. Praxis
-
Schaffung einer Lebensform jenseits der Scheidung von Herr und Knecht
-
Verbindung von Platonismus und Aristotelismus
Problematisch ist, daß weder Moderne noch Christentum eindeutig definiert sind. Aufzählend
könnte man mit Böckenförde (1986) als Züge der Moderne benennen:
1
Webers These vom Zusammenhang von Calvinismus und Kapitalismus ist auch heute noch wirkmächtig, auch
wenn sie vielfach als überholt dargestellt wird (dazu Münk 1987, 188).
7
1. Die Mittelpunktstellung des Einzelmenschen
2. Der Zug zur instrumentellen Rationalität und zum Abbau traditioneller Bindungen
3. Das Fortschrittsdenken
4. Die Anfälligkeit für Totalitarismen infolge von Orientierungsproblemen jenseits der instrumentellen Rationalität
Besonders christliche Apologeten bezeichnen die jeweils zur Debatte stehenden Varianten
und Säkularisate als Abweichungen vom eigentlichen Christentum. Tatsächlich ist das Christentum ein "dynamischer Synkretismus"2 (Bendrath), in dem sich einzelne Stränge, die für die
Naturdebatte interessant sind (etwa Fortschrittsvorstellung, Naturentheiligung, Anthropozentrik) in wechselnden Konstellationen und wechselnden Gewichten mischen. Wir müssen
uns am Schluß der Studie fragen, ob es nicht besser ist, einzelne Stränge der Christentumsdebatte jeweils einzeln zu untersuchen und eher vorsichtig mit der Verwendung eines Gesamtbegriffs zu sein.
I. Auseinandersetzung mit der Literatur
1. Die Ankläger des Christentums
1.1. Lynn White
Lynn Whites (1967) essayistische Darstellung des Christentums als wesentliche Voraussetzung unserer ökologischen Krise hat eine Diskussion ausgelöst, die seit 30 Jahren nie mehr
ganz abgerissen ist. Sie hat eine apologetische Reaktion provoziert, deren Autoren meist ein
historisches Christentum von dessen eigentlich gemeintem Kern unterscheiden wollen. Diese
Denkfigur ist aus der Apologetik gegenüber anderen "gnadenlosen Folgen des Christentums"
(etwa Intoleranz) bekannt.
Der Frage nach ideologisch-religiösen Ursachen des abendländischen Sonderweges wendet
sich White erst nach langen, mehr faktischen Fragen der Technikentwicklung im Mittelalter
gewidmeten Forschungen zu. Whites technikgeschichtliches Lebenswerk ist der neuen Wahrnehmung mittelalterlicher Technik gewidmet, eines Fortschrittes dieser Technik, die die byzantinische und islamische Zivilisation hinter sich läßt und mit der chinesisches gleichzieht
(1978, 218). White sieht die Grundlage vor allem in einer besonderen Aufnahmefähigkeit des
Abendlandes (1978, 235) für importierte Techniken, sei es das aus China über die islamische
Region kommende Papier, das in Europa mit wasserradgetriebener Schöpfung kombiniert
wird, während es in Byzanz Importartikel bleibt (1978, 226 f.), sei es der Bogen für Streichin-
8
strumente aus Indien. All dies fiel im Abendland auf fruchtbaren Boden und gewann z.T. ganz
neue Bedeutung: Das perpetuum mobile blieb in Indien Symbol des Karma, im Islam eine
Kuriosität, der der weltanschauliche Kontext fehlte, im westlichen Christentum wurde es zur
Leitidee.
Erst nach Jahrzehnten sammelnder Forschung geht White vorsichtig an die Frage nach den
Ursachen. Keinesfalls glaubt er an monokausale Zusammenhänge: "Many forces shaped the
Middle Ages, but of these the most powerful was religion" (1978, 252). Das kommt mit dem
gängigen Mittelalterbild überein, in das White seine Entdeckung einer beachtlichen technischen Entwicklung implantieren möchte. Für die These einer religiösen Prägung beruft er sich
auf Benz, Forbes, Sambursky (1978, 236 f.).
In seinem populären Aufsatz, zuerst veröffentlicht im März 1967 in der Zeitschrift "Science",
faßt er seine Grundthesen zusammen. Zum einen betont er, daß die technische Überlegenheit
des Westens nicht erst in der Neuzeit einsetzt (1974, 20), zum anderen, daß sie nur aus religiösen Gründen erklärt werden kann. Für ersteres führt er die über Getreidemühlen hinausgehende Nutzung von Wasser und Windkraft nach der Jahrtausendwende an, sowie den schweren, von acht Ochsen gezogenen Pflug seit dem 7. Jahrhundert, der seiner Meinung nach ein
ganz neues Naturverhältnis mit sich bringt. Die Subsistenzlandwirtschaft, deren Produktionsgrößen auf die Familie abgestellt sind, werde abgelöst durch landwirtschaftliche Einheiten,
die acht Ochsen aufbringen können. "Thus, distribution of land was based no longer on the
needs of a family but, rather, on the capacity of a power machine to till the earth. Man‘s relation to the soil was profundly changed. Formerly man had be part of nature; now he was the
exploiter of nature. Nowhere else in the world did farmers develop any analogous agricultural
implement" (1974, 22 f.). White sucht nun dafür keineswegs nach direkten Gründen ideologischer Art, vielmehr gibt er als Ursache die Differenz zwischen leichten mediterranen und
schweren nordischen Böden an. Aber er stellt Entwicklungen, wie sie sich beispielsweise in
der Ikonographie finden, die das Weltbild der Oberschichten darstellen, als Parallelen dar, so
etwa den Übergang von den Monaten als passiven Personifikationen zu Monatsdarstellungen,
die menschliche Tätigkeiten zeigen (1974, 23).
Relativ unvermittelt folgt der Satz: "The victory of christianity over paganism was the greatest psychic revolution in the history of our culture" (1974, 23). Als Auswirkungen angeführt
werden die Vorstellung eines geschichtlichen Fortschritts, die dem griechisch-römischen Altertum und dem Orient fremd sei, die Entheiligung der Naturwesen, die Spaltung von außerweltlichem Gott und materieller Natur und die Anthropozentrik, die den Menschen sogar als
2
So Christian Bendrath in einem Vortrag „Christentum heute“ vom 12.4.1999 in der Seidlvilla München.
9
Ebenbild Gottes betrachtet. Er ist von daher auch in der Lage, Gottes Gedanken nachzudenken. Nur im Westen freilich entsteht daraus die Vorstellung, daß der Mensch Fortsetzer
von Gottes Schöpfung sein könne.
White betont den Unterschied zur Ostkirche. Als mögliche Ursache gibt er an, daß im byzantinischen Reich eine weltliche Tradierung der antiken Kultur erhalten und vom Mönchtum
getrennt geblieben sei, während im Westen das Mönchtum zum Träger der gesamten Zivilisation geworden sei und damit sowohl Wissenschaft und Technik als auch Handarbeit und Askese vereint worden seien (1978, 243). Die These, daß Arbeit Gottesdienst sein könne, bezeichnet White freilich als "orginally jewish" (1978, 241). Die orthodoxe Theologie sei intellektualistisch, die westliche voluntaristisch, erstere sehe in der Sünde einen Mangel an Einsicht, letzter einen Mangel an Stärke (1974, 25 f.).
Dem entspreche, daß es in der Naturbetrachtung des frühen Christentums und der Ostkirche
um symbolische, im westlichen Christentum aber um Funktionszusammenhänge gehe (1974,
26). Der Regenbogen ist auf der einen Seite Zeichen des Bundes, auf der anderen Seite ein
interessantes optisches Phänomen. Bezüglich des Unterschieds zur Ostkirche könnte man natürlich auch romanisch-germanische und griechisch-slawische Mentalitäts- und Traditionsunterschiede heranziehen.3 White sieht eher umgekehrt die Slaven durch die byzantinische Mission geprägt (1978, 244).
Die Frage nach dem Unterschied von Ost- und Westkirche kann dazu führen, griechische und
römische Attitüden gegenüber der Natur in den ersten drei Jahrhunderten der römischen Kaiserzeit einander gegenüberzustellen. Zweifellos liegt die Vorstellung, die Natur wolle umgestaltet sein, der römischen Mentalität näher als der griechischen, aber auch bei Demokrit findet
sie sich schon (Lämmli 1960, 63). Der Text des Antipater, wonach die Nymphen die Arbeit
von Sklavinnen übernehmen, widerspricht eigentlich griechisch-aristokratischem Empfinden,
das sich kaum um das Schicksal von Sklavinnen sorgt.4
Nun stellt White seine beiden Thesen von den mittelalterlichen Ursprüngen und den christlichen Wurzeln des abendländischen Sonderwegs aber in einen aktuellen Kontext, nämlich den
einer ökologischen Krise, die er von der "normalen" Überformung der Natur durch Großzivilisationen absetzt. Den Assuanstaudamm hält er nur für die letzte Stufe eines langen Prozes3
White erwähnt einmal die besondere Erfindungsfreudigkeit der Kelten (1978, 228).
White 1978, 237 führt ihn als Beleg an, daß Befürwortung von Technik aus Mitleid nicht auf das Christentum
beschränkt ist. Ich habe eine Deutung vorgeschlagen, wonach das Treiben der Nymphen nicht als Sklaverei
anstelle der Sklavinnen, sondern als ihr anmutiges Spiel empfunden worden sein könnte, ja, wonach es in dem
Gedicht um einen Wechsel der Nymphen vom artemisischen in den demetrischen Charakter geht (Natur als
Landschaft und als Gott, in: Rolf Peter Sieferle/Helga Breuninger (Hg.): Natur-Bilder - Wahrnehmungen von
Natur und Umwelt in der Geschichte, Frankfurt/M. 1999, 137-179 hier 152 f.
4
10
ses, der bereits seit 6000 Jahren die Ufer des unteren Nil zu einem "human artefact" gemacht
habe (1974, 16). Ganz neue Dimensionen sieht er aber mit Entwicklungen wie der globalen
Luftverschmutzung, der Bedrohung des gesamten Genpools der Erde durch die Freisetzung
von Radioaktivität und der globale Überbevölkerung gegeben. Diesen Entwicklungen gegenüber hält er Einzelfalllösungen wie "ban the bomb, tear down the billboards, give the Hindus
contraceptivs and tell them to eat their sacred cows" (1974, 18) für unangemessen.
Vielmehr müsse auf die Wurzeln der Entwicklungen zurückgegangen werden. Zunächst formuliert er interessanterweise das Problem noch nicht als eines der christlichen, sondern der
"demokratischen" Kultur: "Our ecologic crisis is the product of an emerging, entirely novel,
democratic culture. The issue is whether a democratized world can survive its own implications" (1974, 19): Das ist die Frage nach der Nachhaltigkeit dieser Kultur nicht nur im Materiellen, sondern auch, ob sie ihre eigenen geistigen Ressourcen reproduzieren kann.5
Erst im Schlußteil seines Aufsatzes sucht er auch die Lösung des Umweltproblems auf religiösem Feld: Die Probleme könnten nicht durch mehr Wissenschaft und mehr Technik gelöst
werden (1974, 28). Weil die Wurzeln des Problems religiöse seien, müsse auch das Heilmittel
"essential religious" sein (1974, 31). So sehr White heidnische Naturfrömmigkeit 6 und christliche bzw. postchristliche Naturverachtung einander gegenüberstellt – für letztere führt er den
Ausspruch des damaligen Gouverneurs von Kalifornien an, "when you‘ve seen one redwood
tree you‘ve seen them all" und bemerkt "To a Christian a tree can be no more than a physical
fact" – so wenig schlägt er doch eine Wiederbelebung des Heidentums vor, eher noch sieht er
bei den "beatniks" seiner Zeit eine Affinität zum Zen.7 Vielmehr versucht er, eine christliche
Alternativ-Tradition stark zu machen, nämlich die franziskanische, auch wenn oder gerade
weil er meint, deren Wertschätzung der Tierseele habe mit dem Einfluß katharischer Reinkarnationsideen zu tun (1974, 29).
5
Dazu: Falter 1999, 17
In einer Passage wiederholt er ganz sinngemäß Ludwig Klages' Ausführungen von 1913, freilich wohl ohne ihn
zu kennen: Bei White heißt es: „In antiquity every tree, every spring, every stream, every hill had its own genius
loci, its guardian spirit. These spirits were accessible to men, but were very unlike men; centaurs, fauns and
mermaids showed their ambivalence. Before one cut a tree, mined a mountain, or dammed a brook, it was important to placate the spirit in charge of that particular situation and to keep it placated. By destroying pagan animism Christianity made it possible to exploit nature in a mood of indifference to the feelings of natural objects"(1974, 25). Bei Klages heißt es: "Wir sagten oben, die alten Völker hätten kein Interesse gehabt, die Natur
durch Versuche auszuspähen, sie in Maschinen hinein zu knechten und listig durch sich selbst zu besiegen; jetzt
fügen wir hinzu, sie hätten es als Asebeia, Verruchtheit verabscheut. Wald und Quell, Fels und Grotte waren für
sie ja heiligen Lebens voll; von den Gipfeln hoher Berge wehten die Schauer - darum, nicht aus Mangel von
Naturgefühl bestieg man sie nicht. Gewitter und Hagelschlag griffen drohend oder verheißend in das Spiel der
Schlachten ein. Wenn die Griechen einen Strom überbrückten, so baten sie den Flußgott für die Eigenmächtigkeit der Menschen um Verzeihung und spendeten Trankopfer. Baumfrevel wurden im alten Germanien blutig
gesühnt. Fremd geworden den planetarischen Strömen sieht der heutige Mensch in alledem nur kindlichen Aberglauben" (Klages 1973, 22 f.).
7
White spricht andernorts (1978, 236) von einem antitechnologischen Impuls im Zen.
6
11
Whites Thesen waren nicht neu. Daß sie ein so großes Echo fanden, hängt mit dem Aufbruch
der Ökologie-Bewegung als Teil des mit dem Datum 1968 markierten kulturellen Impulses
zusammen. Whites Aufsatz wurde unter anderem auch in "The Oracle", dem Organ der Hippie-Kultur in San Francisco, nachgedruckt. Dazu paßt der Schlußverweis auf den "AussteigerApostel" Franz von Assisi. Whites These vom Christentum als Wurzel der Krise mündet in
einen Aufruf, nach anderen spirituellen Traditionen zu suchen. White formuliert klar: "The
religious problem is to find an viable equivalent to animism" (1974, 62). Interessant ist, daß
Whites These zum Aufbruch von "Silent spring" ganz ähnlich steht wie Klages "Mensch und
Erde" zum Heimatschutz. Die Analyse von Klages wurde vom Bund Heimatschutz in diesem
Zentralpunkt abgelehnt. Man stellte als Bedingung der Veröffentlichung als HeimatschutzBroschüre die Streichung der Passagen gegen das Christentum (Schröder 1972, 662).
White kam zu seinen Thesen von der Technikgeschichte her, die ihn zu einer Höherbewertung
der mittelalterlichen Innovationen geführt hatte. Diskutiert wurden aber vor allem die von
White angesprochenen geistesgeschichtlichen Wurzeln eines ausbeuterischen Naturumgangs.
Er nannte:
- die lineare Zeitkonzeption (Fortschrittsideologie)
- der Anthropozentrismus (Dominium terrae und Imago Dei)
- die Zerstörung der Naturheiligung (Entzauberung)
- Handwerkerparadigma der Schöpfung (Artifex Mundi)
Sie sind in der Folge sehr unterschiedlich genau untersucht worden. White vermischt seine
geistesgeschichtlichen Aussagen mit einer Neubewertung der mittelalterlichen Technikentwicklung. Er stellt die mittelalterliche Technik als Vorläufer der Neuzeit dar. Damit befindet
er sich in Widerspruch zur klassischen Auffassung von der neuen Qualität neuzeitlicher
Technik 8. White bezieht sich ausdrücklich auf die westliche Form des Christentums. Dies ist
in der Folge oft übergangen worden. Das Christentum überhaupt oder sogar der Monotheismus erscheinen als ein Komplex.
1.2. Parallelen zu White bei anderen Autoren
1.2.1. Vorläufer
Der Jesuit W. Kern weist nach, daß zentrale Elemente der These eines Zusammenhangs von
Christentum, Atheismus und säkularisierter Gesellschaft sich bereits bei Hegel finden. Hegel
8
Z.B. Kurt Hübner: Art. "Technik" in HPhG V, 1477 zit Münk 1987, 193; Auch J. le Goff sieht eher ein Stagnieren der technischen Entwicklung, allenfalls quantitative Verbesserung (zit. Münk 1987, 191).
12
nimmt sowohl die Sakralisierung der Natur in der Antike und ihr Ende durch das Christentum
wahr als auch die Wurzel der Emanzipationsidee im Christentum: „Die christliche Religion ist
die Religion der absoluten Freiheit, und nur für den Christen gilt der Mensch als solcher, in
seiner Unendlichkeit und Allgemeinheit“.9 Aus der neueren Forschung referiert Kern (292),
daß es Atheismus in der Antike eigentlich nicht gegeben habe.
Ein anderer Strang der These leitet sich von Friedrich Nietzsche her, der die neuzeitliche Wissenschaft mit ihrem Wahrheitspathos auf Kosten der Stellung des Menschen als Metamorphose des christlichen Asketismus sah: "Der Wahrhaftige, in jenem verwegenen und letzten Sinne, wie ihn der Glaube an die Wissenschaft voraussetzt, bejaht damit eine andre Welt als die
des Lebens, der Natur und der Geschichte; und insofern er diese andre Welt bejaht, wie? muß
er nicht eben damit ihr Gegenstück, diese Welt, unsre Welt - verneinen? ... Es ist immer noch
ein metaphysischer Glaube, auf dem unser Glaube an die Wissenschaft ruht – auch wir Erkennenden von heute, wir Gottlosen und Antimetaphysiker, auch wir nehmen unser Feuer
noch von jenem Brande, den ein jahrtausendealter Glaube entzündet hat, jener ChristenGlaube, der auch der Glaube Platos war, daß Gott die Wahrheit ist, daß die Wahrheit göttlich
ist. (...) Von dem Augenblick an, wo der Glaube an den Gott des asketischen Ideals verneint
ist, gibt es auch ein neues Problem: das vom Werte der Wahrheit".10 An ihre Stelle müßte
konsequenterweise das Lebensdienliche treten. Dies kann man als Radikalisierung des Baconismus verstehen, aber Nietzsches Idee eines Züchtungswerts von Ideen geht darüber hinaus.
Nicht die kleine Behaglichkeit, sondern das große Individuum ist der Fluchtpunkt seiner Gedanken.
Diese Konstruktion mag relativ stark philosophisch-begrifflich und wenig historisch anmuten,
aber im Grund setzt Ludwig Klages diesen Strang fort, wenn er Logozentrismus und Biozentrismus als die beiden großen Alternativen gegeneinanderstellt. Und Klages ist es, der im
20. Jahrhundert am schärfsten die These vertreten hat, daß das Christentum bzw. der in ihm
fortwirkende Judaismus als Entgötterung der Natur Ursache eines rein instrumentellen Umgangs mit der Natur seien. Andererseits sind sie bei Klages freilich auch ideologische Überbauungen des Bemächtigungswillens. Zu Klages Zeit waren es ansonsten hauptsächlich Verteidiger des Christentums, die es vom Vorwurf einer Verzögerung der Moderne reinwaschen
wollten, die Kontinuitäten behaupteten. So Helene Duhem (vgl. Fortin 1995, 209 ff.).
In dieser Rubrik kann in mancher Hinsicht auch A N. Whitehead genannt werden, der in dem
durch die Vorstellung von einem denkenden Schöpfer vermittelten Glauben an die Rationali9
G.W.F. Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften I, § 163, Zusatz 1; vgl. Kern 1969, 311; 321
Nietzsche, Zur Genealogie der Moral § 24
10
13
tät der Welt und ihrer gedanklichen Einheit ein wichtiges Erbe des Mittelalters sieht11. Im
Praktischen entspricht dem die Aufhebung der sozialen Trennung von Kontemplation und
Arbeit, die Zerstörung des griechischen Ideals des freien Menschen und damit die Grundlegung einer auf Praxis gerichteten "Naturwissenschaft" (Whitehead 1984, 27).
Das ist die Voraussetzung und der Ausgangspunkt der Neuzeit. Die Durchsetzung der Transzendenzlosigkeit beginnt nun nicht in Auseinandersetzung mit dem Geistanspruch des Menschen, sondern gerade als dessen Verfolgung. Der Mensch versucht zur Natur in die Rolle des
Schöpfergottes zu schlüpfen (der schon in mittelalterlicher Buchmalerei als handwerklicher
Baumeister dargestellt wurde, der die Erdscheibe abzirkelt).
Verbunden damit ist gerade ein Absehen von der "natürlichen" Perspektive des Menschen als
Erdenbewohner. Die Baconsche oder Galileische Betrachtungsweise versucht gerade nicht,
den Phänomenen, wie sie sich der menschlichen Sinneswahrnehmung darbieten, gerecht zu
werden, sondern von ihnen abzusehen. Für die Augen des Menschen zieht die Sonne weiterhin am Himmel ihre Bahn. Erst von einem außerirdischen – "göttlichen" im Sinn der erdflüchtigen Erlösungsreligion – Standpunkt aus kann gesagt werden, die Erde kreise um die Sonne.
Für die menschliche Erfahrung fällt die Bleikugel schneller als die Feder. Die Feststellung
einer Fallkonstante bedarf des Absehens von einer für die menschliche Alltagserfahrung allgegenwärtigen Bedingung, des Luftwiderstandes. Damit treten erfahrbare Wirklichkeit und
nur gedanklich zugängliche, berechenbare Realität auseinander. In einer anderen Hinsicht ist
es freilich schon richtig, daß die neuzeitliche Wissenschaft auf Empirie geht und zwar zunächst gegen die mittelalterliche Vorstellung von einer deduktiv nachzuvollziehenden Logizität der Welt (Whitehead 19, 30). Insofern steckt im experimentellen Teil des neuzeitlichen
Ansatzes auch bereits das Element, das mit der Historisierung im 19. Jahrhundert zur Geltung
kam.
Nicht so eindeutig ist die apologetische oder kritische Tendenz bei dem Dreigestirn Weber,
Sombart, Troeltsch, die relativ gleichzeitig vor dem ersten Weltkrieg Zusammenhänge zwischen Judentum (hier liegt der Schwerpunkt bei Sombart) bzw. Christentum in seiner protestantischen Spielart und Kapitalismus ausmachten12. Werner Sombart, Max Weber und Ernst
Troeltsch gehören beispielsweise alle drei zu den Unterzeichnern des Aufrufs gegen die Zerstörung der Laufenburger Stromschnellen zum Zwecke der Stromgewinnung und zeigen da-
11
Whitehead 1984, .23 f. Erfahrungsreligiöse Konzeptionen kennen eher eine Zweiteilung der Welt. Es gibt
einen Bereich des regelmäßigen (etwa der Lauf der Sonne) und einen des chaotischen Geschehens (Der Wind
weht wie er will). Diese Bereiche wirken ineinander wie die uranischen und chtonischen Götter (ebd., 15).
12
Zu den Beziehungen: Hartmut Lehmann: Asketischer Protestantismus und ökonomischer Rationalismus: Die
Weber-These nach zwei Generationen in: Schluchter 1988, insbes. S. 530 ff..
14
mit eine Sensibilität für die Kosten des "Fortschritts"13. So neutral also im wissenschaftlichen
Kontext ein Begriff wie "Entzauberung" gemeint sein mag, so gehört das Herz derer, die ihn
einführen, doch der Gegenseite.14 Weber und Troeltsch arbeiten vor allem die "Bedeutung des
Protestantismus für die Entstehung der modernen Welt" heraus (so der Titel von Troeltsch
1911). Genannt werden dabei Faktoren wie Schwächung der kirchlichen Definitionsmacht,
Hereinholen des Staates und damit seiner Interessen in die Wissenschaftspflege, Pluralisierung, Weckung kritischen Geistes, Stärkung der Bedeutung des individuellen Menschen und
seines Gewissens, Entwicklung einer säkularisierten Arbeitsaskese (Troeltsch 1911, 115,
91)15.
Methodisch sind die hier genannten Arbeiten von nur geringer Präzision. Teils versuchen sie
realgeschichtliche Nachweise, daß wirtschaftliches Aufblühen und Verödung von Städten an
die Wanderbewegungen der Juden gekoppelt seien,16 teils suchen sie geistesgeschichtliche
Wurzeln von Verhaltensänderungen wie Weber im Calvinismus oder Sombart im Judentum,17
teils versuchen sie, Umweltprägungen von Charakteren zu beschreiben, wie Sombart (1911,
416 ff.) im Bezug auf die Wüstenvölker, was er aber doch wieder mit Rassentheorien und
Vererbung vermischt18.
Kern (1969, 303 f.) nennt eine ganze Reihe von Autoren, die in der Mitte des 20. Jahrhunderts
die These vertraten, Monotheismus und Naturentzauberung seien Voraussetzungen der Naturwissenschaft, so Arnold Gehlen19 oder Kurt Schilling20. Doch ist dies bei diesen Autoren
13
Vgl. Linse 1988; zu Sombarts Kulturkritik vgl. Lenger 1994, 137 ff, 166 ff. Bei Sombart herrscht ursprünglich
eine betont neutrale Haltung vor, erst nach 1909 schließt er sich zunehmend Positionen von Morris und Ruskin
oder des Kunstwart an und entwickelt seine "Antipolitik"als Haltung des Kulturmenschen, 1908 tritt er von seiner Rolle als Mitherausgeber des "Morgen" zurück, nachdem ein scharf gegen die Reklame als Symptom des
Kulturverfalls gerichteter Artikel von ihm eine Welle von Kündigungen bei den Inserenten hervorgerufen hatte,
dazu: Sombart: Ihre Majestät die Reclame, in: Die Zukunft LXIII (1908) 475-487.
14
Sombart schreibt, die Bewertung des jüdischen Beitrags zum Kapitalismus werde "ganz und gar verschieden
beantwortet werden, je nach dem persönlichen Verhältnis, das der Einzelne zur kapitalistischen Kultur hat"
(1922, XIII). Über Sombarts eigene Beurteilung konnte für den, der seine anderen Schriften kannte, kein Zweifel
sein.
15
Troeltsch 1911, 103 hält Webers Nachweis diesbezüglich für "vollständig gelungen".
16
So Sombart 1911, 13 ff; zur Kritik daran: Lenger 1994, 447, Anm 25.
17
Sombart schreibt, daß "Alle diejenigen Bestandteile des puritanischen Dogmas, die mir von wirklicher Bedeutung für die Herausbildung des kapitalistischen Geistes zu sein scheinen, Entlehnungen aus dem Ideenkreis der
jüdischen Religion" sind (zit. Lenger 1994, 190). Als Kennzeichen sieht er den Rationalismus, das Vertragsmäßige im Verhältnis zu Gott, den Gedanken einer Bewährung im Diesseits, die Tendenz zur Überwindung des
Kreatürlichen (Lenger, 195).
18
Zur Kritik: Julius Guttmann: Die Juden und das Wirtschaftsleben, ASSP XXXVI (1913) 159-212. Die Kritik
bezieht sich im Wesentlichen darauf, daß mit anthropologischen Fragestellungen der Boden des soziologisch
Gesicherten verlassen werde. Auch Max Weber, der Sombart auf dem 2. Deutschen Soziologentag in dieser
Hinsicht kritisiert, meint freilich, daß diese Fragen zwar gelöst werden müßten, aber noch Generationen von
wissenschaftlichen Vorarbeiten bedürften (Lenger 1994, 201 f.).
19
Urmensch und Spätkultur, Bonn 1956
20
Weltgeschichte der Philosophie, Berlin 1964
15
nicht negativ gemeint. Der Zusammenhang ist zwischen 1930 und 1960 fast ein Gemeinplatz,
jenseits politisch-ideologischer Fronten.
So schreibt beispielsweise Karl Jaspers (1930, 16f.) über "Entgötterung" als Produkt des
Christentums: "Im Abendland ist dieser Prozeß in einer Radikalität wie nirgends sonst vollzogen. Wohl gab es die glaubenslosen Skeptiker des alten Indien und der Antike. (...) Aber sie
taten es noch in einer Welt, die faktisch auch ihnen als Ganzes beseelt blieb. Im Abendland,
im Gefolge des Christentums, wurde eine andere Skepsis möglich. (...) Aus der Natur
schwanden die heidnischen Dämonen, aus der Welt die Götter. Das Geschaffene wurde Gegenstand menschlicher Erkenntnis, welche zuerst noch gleichsam Gottes Gedanken nachdachte. Das protestantische Christentum machte vollen Ernst; die Naturwissenschaften mit ihrer
Rationalisierung, Mathematisierung und Mechanisierung der Welt hatten zu diesem Christentum eine Affinität. Die großen Naturforscher des 17. und 18. Jahrhunderts waren fromme
Christen. Wenn dann aber am Ende der Zweifel den Schöpfergott strich, so blieb als Sein die
in den Naturwissenschaften erkennbare Weltmaschinerie, welche ohne vorherige Erniedrigung zur Kreatur nie in solcher Schroffheit erfaßt worden wäre". Jaspers' Dreischritt ist also
Numina – Kreatur – Maschine oder Polytheismus – Christentum – Nihilismus21.
Differenziert ist die Auseinandersetzung mit der Rolle des Christentums für die Moderne in
den fünfziger Jahren bei Eric Voegelin. Er sieht in der Moderne säkularen Gnostizismus, wobei Gnostizismus für ihn den Versuch bedeutet, der conditio humana zu entkommen, wofür in
den Antike primär die Mittel der Mystik, in der Moderne aber die Revolutionen standen (Jardine 1995, 586). Das bezeichnet den Polwandel, den Nolte als den von der theoretischen zur
praktischen Transzendenz bezeichnet. Wobei theoretische Transzendenz, sobald sie sich zeitlich verankert, immer bereits diesen Hang hat. Voegelin nennt nun den augustinischen Dualismus zwischen irdischem und göttlichem Reich als Ansatzpunkt für die Bildung von modernem Gnostizismus als Rechtfertigungsideen für Staaten, die im Christentum einer höheren
Weihe entbehren. Voegelin spricht hier von einem "vacuum of a de-divinized natural sphere
of political existence" (Voegelin 1952, 162), das nach Auffüllung durch säkulare Ideologeme
zur Stabilisierung von Staaten verlangte. Die Menschen der Renaissance wollten nicht ein
belangloser Annex der antiken Geschichte sein. Weil die Kirche hier keine Sinnstiftung zu
bieten hatte, begab sie sich ihrer spirituellen Führerschaft (Jardine 1995, 589). Hieran knüpfen
islamische Autoren mit ihrer Kritik an der fehlenden Sharia im Christentum als Einfallstor der
Verweltlichung an. Auch ein zweiter Strang des späteren Kausalnexus wird bei Voegelin ent-
21
Vgl. auch Jaspers 1955, 90 f. Hier nennt er Wahrhaftigkeitsethos, Schöpfungsglaube und Nichteinverstandensein mit der Welt als drei spezifisch christliche Voraussetzungen der neuzeitlichen Naturwissenschaften.
16
wickelt. Die Vorstellung, daß mit Christi Heilstat bereits eine neue Erdenentwicklung begonnen habe, verlangt, je länger sich der Zeitraum erstreckt, in dem nichts äußerlich Eindeutiges
passiert, nach Füllung. So erklärt Voegelin den Chiliasmus (Jardine 1995, 598 ff.).
Die These von der Moderne als Säkularisierung christlicher Heilserwartung ist im deutschen
Sprachraum auch als Dilthey-Löwith-These bezeichnet worden (Lauer 1996, 119), wobei Diltheys Schwergewicht vor allem auf der Herausentwicklung des Personbegriffs aus dem christlichen Kontext liegt, während Löwith vor allem auf die Fortschrittsvorstellung abhebt. Karl
Löwith schreibt griffig: "Der historische Materialismus ist Heilsgeschichte in der Sprache der
Nationalökonomie" (1953, 48).
Etwa zeitgleich mit White erschien Lewis Mumfords voluminöses Werk "Mythos der Maschine". Mumford sieht im Mönchtum die treibende Kraft für den Übergang von der menschenfressenden zur technisch geölten Megamaschine. Das Mönchtum entsteht mit dem Zerfall der alten Staatsmaschinerie vom Typ der orientalischen Despotie. Der Mönch erlegt sich
einerseits freiwillig die Zwänge auf, denen der Sklave der Despotie unterworfen war, andererseits werden ein kleiner Sozialverband und interne Gerechtigkeit und Gleichheit in der Art
voragrarischer Gesellschaften wiederhergestellt, freilich um den Preis der Asexualität (Mumford 1977, 304 f.). Eine Rationalisierung (Uhr unabhängig von Helligkeit) und Militarisierung
(Schlafen in der Kutte, um jederzeit bereit zu sein), sind neue Elemente. Achtung des Individuums und technischer Fortschritt (Mühlen) zusammen bedingen einen Rückgang von Sklaverei und Leibeigenschaft zugunsten von Lohnarbeit. Mumford sieht die Wurzeln des Kapitalismus nicht im Protestantismus, sondern im Mittelalter. Der Kapitalist verbindet die Enthaltsamkeit des Mönchs und die Abenteuerlust des Soldaten. Durch die Vereinigung von Herr
und Sklave in einer Person wird der Anreiz größer, geistlose oder geisttötende Arbeiten zu
mechanisieren (Mumford 1977, 306-314).
Die eigentliche Prosperitätsphase des modernen Geistes verbindet Mumford allerdings mit
einer "Wiederkehr des Sonnengottes". Diese Deutung der europäischen Neuzeit als Machtergreifung des Sonnengottes hat durchaus mythische Substanz. Mit dem Sonnengott verbunden
ist die Stilisierung seiner Diener zu einer Megamaschine, denn das, was gegenüber allen anderen Natur-numina den Sonnengott auszeichnet, ihn im griechischen Verständnis aber gerade
zurücksetzt, ist seine Uhrwerkhaftigkeit, seine sklavenhafte Präzision, Takt statt Rhythmus,
die dem schaffenden statt zeugenden Vatergott entspricht. Der Sonnengott hat am wenigsten
Seelisches. Gerade das macht der Mensch, der sich vom Seelischen emanzipieren will, zum
Ichpunkt seines Erlebens. "Im Sinne der neue Gottheit müssen alle komplexen Phänomene
17
auf das Meßbare, das Wiederholbare, das Vorhersagbare, das letztlich Kontrollierbare reduziert werden"(Mumford 1977, 367-369).
Was hier als Sonnengott begriffen wird, ist etwa ganz anderes, als was in Erfahrungsreligionen als Wesen der Sonne gilt, das im Zusammenhang zwischen Licht und Wachstum erfahrbar ist. Diese sind selbstverständlich erdzentriert. Die Sonne ist ein Sohnhaftes, deren Gebährde des Aufgehens seine-Bahn-ziehens und Untergehens alles Lebendige mitvollzieht. Die
tendenziell dualistische, den Nachtpol verabscheuende neue Sonnenreligion führt mittelbar
zum Heliozentrismus, in dem die Sonne als ein an sich Seiendes gesehen wird. Trotz Galilei
gibt es hier eine Verbindung zur abendländischen Theologie, die Gott als Seiendes denken
will.
Die Machtergreifung des Sonnengottes in einer Teilkultur ist nichts historisch Neues. Mircea
Eliade schrieb: "Wo die Geschichte dank Königen oder Imperien im Vormarsch ist, herrscht
die Sonne" (zit Mumford 1977, 375). Zu nennen wären fast alle Pyramidenkulturen (von Ägypten bis zu den Inkas) und natürlich das römische Imperium des 3. Jahrhunderts. Damit
verbunden ist immer die Herabwürdigung des Menschen zum Rädchen. Im Fall des römischen Imperiums zeigt sich auch der Zusammenhang zur Astrologisierung der Religion und
damit zum Determinismus. Die Triebfeder scheint ein Sicherheitsbedürfnis.
Man könnte insofern sagen: das Christentum setzt sich gerade durch, weil in ihm der Sonnendämon in der Maske des guten Menschen auftritt. In der Neuzeit fällt diese Maske. Die neue
Heilsbotschaft zeichnet sich nun durch das Pathos der Unsentimentalität aus, gerade die Herabwürdigung der Menschheit zum kosmischen Mückenschwarm, die angebliche Kränkung
des menschlichen Selbstwertgefühls, erscheint als Ausweis der Objektivität.
Der littauische Kulturphilosoph Vincent Vycinas geht von der mangelnden kulturellen Bindekraft als Zeitphänomen aus und macht dafür wesentlich das Christentum verantwortlich. Vycinas sieht noch nicht in der Umweltkrise, sondern in der Kulturkrise die wesentliche Herausforderung, doch diese sieht er nur behebbar durch Wiederzuwendung zu einer numinos begriffenen Natur als Objekt aller Kultur (Vycinas 1973, 157).
Alle genuinen Kulturen seien mythisch und das Grundthema der mythischen Welt ist die Natur und ihr Spiel (119 f.), demgegenüber sei das Grundthema des Christentums die übernatürliche Welt. Die Tragik des Christentums sei, daß es einen Kampf gegen die notwendig mythische Welt der Kultur begonnen habe. Das Christentum hatte keine eigene Kultur, sondern war
zunächst ein Pfropfphänomen der jüdischen (135) dann der griechisch-römischen, aber es war
generell kulturfeindlich, weil es in der Naturzuwendung eine Konkurrenz vermutete (131).
18
Daher rührt, was Vycinas die Theozide der christlichen Religion nennt (149), was wesentlich
schlimmer sei als die Ermordung der Menschen (152). Im 2. Vaticanum sieht er eine Tendenz
angelegt, daß das Christentum nicht nur dem demokratischen Anthropozentrismus (129), sondern auch den Göttern ihr Recht läßt.
1.2.2. Toynbee und Maurer
Eine modifizierte Neuauflage der Position Whites hat Arnold Toynbee 1972 vorgelegt – erstaunlicherweise ohne White zu erwähnen. Seine Schuldzuweisung zielt auf den Monotheismus überhaupt. Ulrich Berner (in: Kessler 1996, 38 f.) vermutet, daß deshalb das Echo geringer gewesen sei, weil nicht das Christentum direkt herausgefordert wurde.
Toynbees Aufsatz ist aber auch merkwürdig flach und unprofiliert. Die These ist zudem weniger präzis, da sie die Unterschiede zum Islam und dem östlichen Christentum vernachlässigt.22 Toynbee ist viel zu sehr Liberaler und Gläubiger der Grunddogmen der Moderne, als
daß ein Appell zu einer Rückorientierung auf die Mächte der Erfahrungsreligion (er erwähnt
ausdrücklich die griechischen Götter) bei ihm glaubwürdig wirken würde. Respiritualisierung
mag ihm nützlich erscheinen, aber sie hat keine Kraft.
Auch ein deutscher Historiker hat außerhalb des kirchlichen Disputs die These von White
erweitert. Maurer (1982, 464) stellt zunächst heraus, daß der abendländische Sonderweg weder in der Entwicklung der Produktivkräfte oder Klassengegensätze gelegen haben könne,
denn die wich seiner Meinung nach nicht wesentlich von anderen Großzivilisationen ab, die
technologisch sogar weiter entwickelt waren. Was dagegen von ihnen unterscheide, sei eine
ungewöhnliche Erlösungssehnsucht. Maurer behauptet eine "Entstehung der modernen Technik aus dem Geist des Chiliasmus".
Zu zeigen wäre, daß Erlösungssehnsucht oder ein Säkularisat davon ein inneres Merkmal der
modernen Technik ist. Die Tendenz zur Säkularisierung sieht er im Christentum durch die
Naturentheiligung und die praktische Ausrichtung (Nächstenliebe) angelegt. Bereitstellung
wirtschaftlicher Güter kann als praktische Nächstenliebe erscheinen. Außerdem ist durch die
Menschwerdung Gottes die Geschichte aufgewertet, womit zumindest ein Schritt zu einen
Näherrücken der Menschheit zu Gott in der Geschichte gegeben ist, in Analogie zu dem
(wenn auch in Abwendung von der Behauptung von dessen Einzigkeit) weitere Schritte denkbar sind. Mit der zeitlich beliebig langen Trennung der Wiederkunft von der Auferstehung ist
22
dazu Nasr 1996, 214; Schmitz 1999, 42
19
ohnehin ein zweiter Schritt gegeben, mit dem 1000 jährigen Reich, das Augustinus freilich
noch mit der Auferstehung beginnen läßt, d.h. individuell versteht, ein dritter.
Maurer sieht damit bereits prinzipiell das Ziel erreicht, den europäischen Sonderweg "erklärt,
oder genauer gesprochen, aus geschichtlich-gesellschaftlicher Zieldynamik verstanden" zu
haben. In der Sehnsucht nach Totalerlösung sieht er eine Überforderung der Technik, die sie
in menschenfeindliche Dimensionen expandieren läßt. Die andere Seite, daß nämlich das
Christentum überhaupt das Selbstbewußtsein des Menschen angestachelt und die Aschermittwoch-Seite unterbetont hat, sieht er nicht. Interessant ist seine Formulierung, das Christentum
habe aus den Bedürfnissen das Bedürfnis geschaffen – analog zu Gott aus den Göttern und
einer Weltgeschichte aus den vielen kulturellen Traditionen (Maurer 1983, 467; Münk 1987,
144).
1.2.3. Drewermann
Auch innerkirchlich fand die Argumentation Whites Zuspruch. Einer der bekanntesten Vertreter ist der in linkskatholischen Kreisen als Charismatiker gefeierte Eugen Drewermann. Ihm
geht es ernsthaft um spirituelle Erneuerung, weil er meint, daß Umweltschutz zu kurz greift,
daß nur eine andere Selbsteinordnung des Menschen in den Naturzusammenhang uns retten
kann. Er begründet dies anthropologisch. Denn auch wenn es gelänge, 10-20 Milliarden Menschen auf der Erde zu ernähren, so würde dies "geistig eine Menschenrasse sein, die aus der
Selektion des Schlechtesten am heutigen Menschen hervorgeht" (Drewermann 1990, 62). Zustimmend zitiert er einen Indianer, dessen Ausage in erstaunlicher Übereinstimmung mit
Nietzsches Moralkritik ist: "Komfort macht Kulturmenschen, Kulturpflanzen und Kulturtiere
zu krankhaften Schwächlingen, und wenn eine überwiegende Mehrzahl von Menschen
Schwächlinge sind, so sehen sie den Starken als Schädling, der zum Wohl der Schwächlinge
ausgerottet werden muß, damit die Menschen noch größere Schwächlinge werden" (82 f.) Für
Drewermann ist die Selbstinstrumentalisierung des Menschen eine notwendige Folge der Instrumentalisierung der Natur, denn als konstitutiv für den Menschen erscheint in der abendländischen Perspektive seine Zweckrationalität (65).
Der katholische Dissident Drewermann untertitelt sein Buch zwar "von der Zerstörung der
Erde und des Menschen im Erbe des Christentums", doch bezeichnet er Ursprünge der Naturfeindschaft der abendländischen Kultur sowohl in der griechisch-römischen als auch in der
jüdischen Wurzel. Die griechische Wurzel ist Abstraktion der Natur in Kräfte, die jüdische
Manifestation in einem Patriarchen (72). Doch die Anthropomorphität der griechischen Götter
20
(67) hat mit Anthropozentrik gar nichts zu tun,23 und der anthropozentrische Zweckerklärungsunsinn der Stoa oder Ciceros24 ist keineswegs repräsentativ für die Antike.25 Auch in der
Antike gibt es, was Drewermann nur für außereuropäische Kulturen anführt, den Mutter-ErdeKult und die Vorbehalte gegen das Pflügen (70). Auch die Interpretation der geozentrischen
Kosmologie als anthropozentrisch ist fragwürdig, denn sie stellt den Menschen eher nach unten als in den Mittelpunkt.
Bezüglich der jüdischen Elemente ist Drewermann eher in seinem Fachgebiet. Er betont die
Ablösung der Vorstellung von der heiligen Hochzeit durch einen außerweltlichen Schöpfer,
und daß die Naturfeindschaft der Wüstenreligion auch nach der Landnahme erhalten geblieben sei. Das Bild, Gott habe dem Menschen die Natur zu Füßen gelegt, sieht er in Analogie zu
unter die Füße getretenen Feinden auf orientalischen Darstellungen.
Drewermann betont an einigen konkreten Punkten die direkte Gefolgschaft der Säkularisierungsideologie gegenüber der christlichen. So steht Feuerbach ganz in der Konsequenz des
christlichen Menschenbildes, wenn er aus dem Gefühlscharakter des Glaubens dessen Unwahrheit folgert (vgl. auch Kern 1969, 316), nachdem man Jahrtausende lang gelehrt hat, daß
der Mensch nur im Verstand und im Willen bei sich selbst sein könne (135). Die Tabula-rasaVorstellung von der Psyche ist Nachfolger der Individualschöpfung (138).
Drewermann ist sich bewußt, daß Mitleidethik à la Schopenhauer und Schweitzer nicht reicht.
Denn das Mitleid muß angesichts des ständigen Sterbens in Traurigkeit und einen metaphysischen Pessimismus führen26. Auch rechtfertigt er das heidnische Opfer27. Er bezieht sich posi23
Robert Spaemann hat deutlich gemacht, daß anthropomorphe und anthropozentrische Weltauslegung geradezu
Grundalternativen sind: Entweder wir gestehen den begegnenden "Naturen Wesenhaftigkeit" zu und Wesenhaftigkeit begreifen wir am ehesten in Analogie zu uns selbst, oder wir stellen uns als einziges Wesen in die Mitte
von Dingen, die Wert nur im Bezug auf uns haben.
24
Drewermann 1990, 68. Auf Cicero beriefen sich freilich die "Christian Virtuosi" um Boyle besonders gern, um
nicht scholastische Autoritäten für ihre teleologischen Konzepte heranziehen zu müssen (Groh 1991, 46). Die
stoische Philosophie ist andererseits in vielen Punkten mit dem östlichen Denken vergleichbar (Kessler 1996, 44;
146). Der latente Stoizismus der vorkantschen Philosophie (Leibniz, Voltaire, Quesnay) begründet die Chinabegeisterung. Interessant ist, daß die Stoa und Cicero auch Wurzeln des Gedankens der Menschenwürde haben
(Pannenberg in Kerber 1991, 64 f.). Cicero ist zudem im 2. Buch von De Divinatione ein heftiger Vertreter einer
einseitigen Kausalerklärung, die für Sinnfragen keinen Platz lassen will (besonders deutlich II,28).
25
Drewerman 1990, 76 gibt dies selbst zu.
26
Drewermann 1990, 111. Hier stößt man auf einen Widerpruch: Einerseits (111) wird Laotse zitiert: "Himmel
und Erde sind nicht gütig - Ihnen sind die Menschen wie stroherne Opferhunde" (und Laotse fährt fort: der Berufene schließt sich dieser Haltung an). Andererseits sagt ein Indianer (107): Nur der Weiße hält die Natur für
grausam, uns ist sie sanft und vertraut". D.h. das eine ist Projektion, das andere Realisierung durch sich einlassen. Man muß überhaupt nicht trauern beim Todesfall (Die Haltung der Naturwesen im irischen Märchen ist
nicht zufällig, daß es bei der Geburt traurig ist und beim Tod über die Lösung froh ist).
27
Drewermann 1990, 112. Ob er wirklich verstanden hat, worum es beim heidnischen Opfer geht, wird nicht
ganz klar. Bataille (1979, 87) formuliert es treffend. Der Sinn des blutigen Opfers in der antiken Kultur ist gerade die Rückerstattung des Einzellebens an das Alleben: "Was die äußere Gewalttätigkeit der Opferhandlung
aufdeckte, war die innere Gewaltsamkeit des Seins, gesehen im Licht des ausströmenden Blutes und der hervorquellenden Organe. Dieses Blut, diese Organe voller Leben, waren nicht das, was die Anatomie in ihnen sieht.
21
tiv auf Klages (87). Die Konsequenzen für die Abdikation des Absolutwertes des menschlichen Einzellebens will er jedoch nicht ziehen. Die absolute Geltung des Individuums bezeichnet er als"eine der wichtigsten und großartigsten Lehren, die das Christentum mitbrachte"
(75).
Zwar sieht er, daß die Vorstellung der Abhängigkeit der Natur vom Menschen (und seinem
Sündenfall) die Naturordnung auf den Kopf stellt (75). Doch interpretiert er selbst die Naturordnung naturalistisch, d.h. als immer schon des Wertaspektes beraubt. Allenfalls kann er
geltend machen, daß der Mensch sich damit abzufinden hat, aber doch nur, wenn und solange
er es nicht ändern kann, und darum, die Grenze der Änderbarkeit hinauszuschieben, geht ja
gerade das Projekt der Technifizierung. Wer wie Drewermann die Methode der Isolierung von
Dingen aus dem Kontext in Frage stellt (363 f.), müßte eigentlich auch die Ergebnisse in Frage stellen.
Drewermann kommt gar nicht auf die Idee, die Kosmosgeschichte, wie sie Naturwissenschaft
schreibt, in Frage zu stellen, seine Vorstellung ist, daß die Evolution endlos weiter gehen soll
(395). Damit ist freilich der Kern des Christentums, die Unüberbietbarkeit der Offenbarung
Gottes in Jesus von Nazareth, unhaltbar geworden. Drewermann sieht zwar den Zusammenhang zwischen der Zerstörung des eigentlich Religiösen und der des Traumbewußtseins und
sieht die Naturzerstörung als deren Auswirkung. Eine Kritik an der szientistischen Religion
gibt es bisher nur von Seiten der Tradition (Nasr, auch Steiner), aber nicht von Seiten einer
Weiterentwicklung.
1.2.4. Carl Amery
Wenig Neues findet sich bei Carl Amery (1972), der betont, es gehe ihm um die Wirkungsund Erfolgsgeschichte, nicht um Bibelexegese. Andererseits nimmt er sehr wenig auf reale
Auslegungen Bezug, sondern argumentiert mit möglichen Wirkungen von Überzeugungen.
Gegenüber White hat bei ihm das eschatologische Element und die Verheißung einer gesicherten Zukunft einen größeren Stellenwert. Er sieht durch die biblischen Verheißungen den
Menschen ausdrücklich aus dem ökologischen Zusammenhang herausgehoben (1972, 17, 21).
Nur eine innere Erfahrung, nicht die Wissenschaft könnte uns das Gefühl der Alten vermitteln. Wir können annehmen, daß sich damals die Plethora der blutgeschwellten Organe, die unpersönliche Blutfülle des Lebens enthüllte. Auf das individuelle, diskontinuierliche Sein des Tieres war mit dem Tod des Tieres die organische Kontinuität des Lebens gefolgt, die mit dem heiligen Opfermahl in das Gemeindeleben der Teilnehmer überging (...)
Es ist überhaupt das Wesen des Opfers, Leben und Tod in Übereinstimmung zu bringen: Dem Tod verleiht es
den Aspekt aufquellenden Lebens, dem Leben die Schwere den Taumel und das Offenwerden gegenüber dem
Tod.“
22
Die Besiedlung Nordamerikas erklärt Amery plausibel als Neuauflage der Landnahme in Kanaan.
Amery nimmt das Urchristentum von der Kritik aus, aus dessen Sicht wäre seiner Meinung
nach der heutige Zustand ein totaler Mißerfolg (1972, 11). Protestantismus und Gegenreformation sieht er an der Herausbildung einer Leistungsideologie gleichermaßen beteiligt.
1.2.5. Wolfgang Giegerich
Eine Konzeption des Wesens des Christentums als Verichung – und zwar in bejahender Absicht – findet sich bei Wolfgang Giegerich, einem Psychoanalytiker der Jungschen Richtung
und langjährigen Herausgeber der Zeitschrift "Symbolon". Giegerich verbindet mit Drewermann ein Interesse an der Ebene der Bilder. Seine Geschichte ist Archetypengeschichte. Er
findet den Ursprungsmythos der Moderne in der Geschichte vom sog. "goldenen Kalb" – in
Wirklichkeit einem Stierbild (1988, 292 ff.). Er interpretiert sie als archetyische Szene der
Spaltung der Welt in eine jenseitige unanschauliche Macht, die Glauben verlangt und eine
entwirklichte Materie, toter Stoff der Ausbeutung, Dinge, die aufgehört haben, göttliches Bild
– von sich her uns anspringende Phainomena – zu sein (1988,306). Giegerich betont die Ersetzung von Epiphanie und verbaler Verlautbarung, die Glauben verlangt. Er stellt auch plausibel den Grund der Wehrlosigkeit der Erfahrungsreligion dar, der nichts mit Unterlegenheit
in Geltung zu tun hat: "Das goldene Kalb schloß den unsichtbaren Gott der Höhe ja nicht aus"
es konnte vielmehr als sein Fußschemel, in dem er die Erde berührte, gelten (1988, 303). "Die
Religion der Anbeter des goldnen Kalbes kommt von unten, aus dem natürlichen Bedürfnis
(...) Die Feier ist das absichtslose Hingegebensein an eine Gegenwart". Diese ist immer schon
gestört, wenn sie sich rechtfertigen soll (304). Alternatives Setzen logischer Unvereinbarkeiten gehört zur Signatur des Nichteinverstandenseins mit der Welt.
Giegerich sieht aber auch richtig die Ambivalenz der Kirche, die von einer Instanz der Revolution zu einer der Bewahrung von Frömmigkeitsresten im alten Sinn wird (276). Der Ursprung der Erlösungsreligion aber ist das Nichteinverstandensein mit der Welt. Ihre Signatur
Wille zur Entkreatürlichung, Wille zur Macht. In Nietzsche sieht Giegerich einen Vertreter
des christlichen, wenn auch nicht christianischen Geistes (1988, 302).
Giegerich stellt die Dynamik und nicht einzelne Einflüsse in den Mittelpunkt. Er vertritt genau die Position, die Münk (1987, 199) für unmöglich hält: Die Kirchen hätten ihr eigentliches Wesen noch gar nicht erkannt und die gewöhnlichen sogenannten gläubigen Christen
würden besser Christianer genannt, da sie auf einer bestimmten historischen Phase des Christentums stehen geblieben seien. Die eigentlichen Christen (wobei er dies erstaunlich wertneut23
ral meint), nämlich diejenigen, die das Projekt der Erlösung, sprich Naturablösung, vorantreiben, seien vielmehr in Wissenschaft und Technik zu suchen. „Christen sind wir aufgrund der
unbewußten (ontologischen) Verfaßtheit unserers geschichtlich gewordenen Wesens" (1988,
278)
Wollen wir verstehen, was Christen (Christianer) im alten Sinn waren, dann müssen wir nach
Afrika oder andere Missionsgebiete schauen (1988, 276). Dort ist die 2. Phase des Prozesses,
die Verwandlung des mosaischen Willens in paulinisches Dogma, noch im nachvollziehenden
Werden begriffen und die dritte Phase noch nicht eingetreten. Von dieser sagt Giegerich: "Die
Aufklärung ist das christliche Ritual, das Ritual des zu sich selbst kommenden Christentums“
(1988, 268). Er sieht den Glauben an die Menschendienlichkeit des Baconismus als Illusion,
das Projekt Moderne ist als religiöses Unternehmen anzusehen.28 "Natürlich beruht der Glaube, daß die Technik um des Menschen willen da sei, auf dem vorgängigen Glauben, daß die
christliche Erlösung für den Menschen da sei“ (S 269).
Diese dritte Phase kann man als Ersetzung der theoretischen Transzendenz durch die praktische Herstellung eines anderen Weltverhältnisses sehen, wobei Giegerich außer Acht läßt, daß
eben das Grundverhältnis des Menschen zur Welt als Sterblicher sich nicht ändern, sondern
nur ausblenden läßt. Diesen Ausblendungszusanmenhang aber haben wir uns gewöhnt, "Aufklärung" zu nennen.
Obwohl Giegerich das Christentum – als Verwandlung der Erde in eine technische Wirklichkeit – in der Atombombe gipfeln sieht29, und obwohl er sieht, daß das Christentum letztlich
die Transzendenz des Einzelmenschen zerstört, da es "auch den natürlichen Träger der natürlichen Religiosität, den Einzelnen, metaphysisch außer Kraft setzt" (275) und das Projekt
Menschheit an deren Stelle setzt, ja obwohl er den Triebcharakter der Realität durchschaut
(268), lehnt er es nicht ab, wie etwa Klages. Dergleichen würde ihm als Hybris gegenüber
unserer eigenen Geschichtlichkeit erscheinen, die er anders als Klages als unsere Gegebenheit
anerkennt.
28
Ähnlich aber mit klar negativer Wertung Schulz-Meinen 1996.
Der christliche Glaube ist die Exegese der Atombombe und die Atombombe ist die symbolische Abreviatur
des Glaubens oder seine Verdichtung zu einem Dingsymbol (280). Die erste Kernspaltung ist die Spaltung des
Wesenskerns des Seins (300 vgl. oben). Damit ist er Klages ganz nahe; ebenso in der Beschreibung der Bildartigkeit der Seele unter Berufung auf C.G. Jung (GW 13, 75). Deshalb benutzt er auch just den Auferstehenden
Grünewalds als imaginative Vorwegnahme des atomaren Blitzes als Titelbild seines Buches von 1988. Ein Anthroposoph würde dem natürlich Verwechslung von Bild und untersinnlichem Gegenbild entgegenhalten, doch die
Analyse Giegerichs ist insgesamt plausibel.
29
24
Giegerichs Problemstellung ist allzusehr geprägt von der Perspektive der Friedensbewegung
der 80er Jahre. Die Hauptgefahr ist nicht die Bombe.30 Die Wahrscheinlichkeit einer Vernichtung alles Lebens, oder auch nur der ganzen Menschheit, ist äußerst gering. Die Hauptgefahr
ist vielmehr, was er als "weißes Massaker" bezeichnet, in dem auf ganz "friedliche, ja unmerkliche Weise" ganze Völker, ihre kulturelle Identität und sogar die neuzeitliche Errungenschaft der integrierten Persönlichkeit ausgerottet werden (1988, 211). Diese ist aber mit der
Bombe keinesfalls strukturgleich,31 es ist Chronifizierung von etwas, was akut zum Ausbruch
kommen müßte und sich eher noch in der terroristischen Abwehr der Moderne von Irland bis
Iran äußert, die Giegerich freilich als "sinnlose Gewalt, um sich dem notwendigen Untergang
in einem modernen, post-konfessionellen und post-nationalen Gemeinwesen zu widersetzen",
bezeichnet (1988, 217).
Freilich bleibt, wenn man nicht opportunistisch genug ist, jeder weltgeschichtlichen Entwicklung einen positiven Sinn abzugewinnen, das Problem, wie mit dem realitätsgemäßen, aber
doch seelisch schwer verkraftbaren Haß umgegangen werden kann. Nicht die Anliegen von
Terroristen sind von vornherein schlecht, freilich ihre Mittel unzureichend, ja oft kontraproduktiv. Giegerich gelingt es nicht, aus der Selbstmystifikation der Moderne auszusteigen. Er
bleibt den christlichen Werten verhaftet, bemüht am Schluß des 2. Bandes auch ständig Bibelzitate.
1.2.6. Philip Sherrard
Eine klare Gegenposition eines traditional verstandenen Christentums hat Philip Sherrard
(1987) entworfen. Er kommt zu einer Ablehnung der neuzeitlichen Naturwissenschaft von
Grund auf, weil sie von einer falschen Voraussetzung ausgehe, nämlich der, daß die Natur
ohne Gott zu verstehen sei, als ob der Natur keine numinose Qualität einwohnte. Auch der
Gegenbewegung gesteht er nur das Prädikat einer sentimentalen Reaktion, aber nicht einer
Erkenntnis des numinosen Gehaltes zu. Eine falsche Weltsicht führt notwendig zu einer zerstörerischen Behandlung der Welt (Sherrard 1987, 90f., 100, 114 f.).
Nun sieht aber Sherrard deutlich, daß das Christentum nicht nur vor dieser Haltung kapituliert
(101), sondern selbst zu ihr den Grund gelegt hat, und zwar durch Überbetonung der Tren30
Eigenartig ist auch, daß nach Giegerich die Bombe als "reale" Vernichtungsmöglichkeit der Welt ein absolutes
Novum darstelle, während frühere apokalyptische Schrecken mehr imaginär gewesen seien. Hierin zeigt Giegerich seine Verhaftung an den modernen Tatsachenfetischismus. Die Vernichtungsdrohung muß heute nur deshalb
technisch-machbarer Art sein, weil wir nur mehr an das Machbare glauben (vgl. Falter 1998) und nur so eine
Wiedergewinnung des mythischen Bildes des Weltbrandes möglich ist.
31
Die eine Drohung bezieht sich auf die Menschheit (eine quantitative Kategorie, die die Aufklärung zu einer
qualitativen umgelogen hat), die andere auf die Menschlichkeit (Die Anthropina).
25
nung von Natürlichem und Gott (105). Den Unterschied zwischen antik-platonischer und neuzeitlicher Naturwissenschaft sieht er darin, daß erstere sich bewußt war, daß sie von einer
idealisierten Sphäre der Regelmäßigkeit sprach, die mathematisch begriffen werden konnte
und nicht der Natur. Auch bei Augustinus bleiben die ursprünglichen Schöpfungsideen außerhalb der Dinge (105).
Sherrard sieht Thomas von Aquins Versuch, Natur und Übernatur zu trennen, als Versuch der
augustinischen Abwertung der Natur zu entkommen und dabei die Gnade als Fortsetzung,
nicht Aufhebung der Natur zu verstehen. Eine Vereinseitigung liegt darin, daß Gott einseitig
als aktiv gesehen wird (11). Dazu kommt, daß das Christentum (im Unterschied zum Judentum) kein heiliges Gesetz kennt und deshalb in der Praxis das römische Recht übernahm und
auf Dauer einem säkularen Staat Raum gab (103). Sherrards Betonung von Augustinus (vgl.
auch Voegelin) als Wegbereiter der Spaltung – und auch des cogito ergo sum, das vergißt, daß
das Denken sich immer schon auf etwas beziehen muß (96) – macht verständlich, daß der
Protestantismus, in dem Augustinisches Denken eine vorherrschende Rolle spielt, den Prozeß
der Separierung vorantrieb. Auch bei Sherrard wird deutlich, daß verschiedene Faktoren zusammen kommen müssen, um das explosive Gemisch namens abendländisches Christentum
zu bilden. Dualismus ohne Handlungswillen hätte ebenso wenig bewirkt wie Handwerkerparadigma ohne Befreiung vom Gesetz.
1.3. Kritik vom Standpunkt außerchristlicher Religionen
Eine beachtenswerte Linie stellt die Kritik von der Position nichtchristlicher Religionen dar,
die sich zwar hauptsächlich gegen den Universalanspruch der säkularen Moderne richtet, dabei aber z.T. auch das Christentum als ihre Wurzel sieht32. So hat etwa schon 1950 Daisetz
Suzuki die Vorstellung von einer Herrschaft des Gott ebenbildlichen Menschen als "the real
beginning of human tragedy" bezeichnet (Suzuki 1953, 294). Suzuki sieht als für das Abendland bezeichnend eine Zerworfenheit von Gott und seiner Schöpfung, aber auch von Mensch
und Gott sowie von Mensch und Natur (Geist und Fleisch). Auf den ersten Blick mag dies
überraschen, scheint doch auch der Buddhismus als eine weltverneinende Geisteshaltung.
Doch betont Suzuki den Unterschied der gnostischen und christlichen Vorstellung, der
Mensch sei eigentlich nicht von dieser Welt, zu der Vorstellung, der Mensch sei zwar Kind
der Natur, könne sich dieser aber entringen.
M.D. Eckel (Tucker et al. 1997, 339) weist auf eine wichtige Differenzierung hin: In Indien,
dem Ursprungsgebiet des Buddhismus, sei Natur etwas zu Transzendierendes, in Ostasien
26
dagegen selbst ein Symbol der Transzendenz. Er läßt aber keinen Zweifel daran, daß der
Buddhismus genauso wie die anderen Offenbarungsreligionen auf der Höherbewertung der
ewigen gegenüber der veränderlichen Sphäre beruht, und daß seine Paradies- bzw. NirwanaVorstellung im Bild der Stadt erscheint (ebd. 337)
1.3.1. Islam
Zu Wortführern der Verteidigung einer religiösen Wirklichkeitslehre als Gemeingut aller
Völker und Zeiten gegen den abendländischen Reduktionismus machten sich in der 2. Hälfte
des 20. Jahrhunderts vor allem islamische Gelehrte. Das paßt zu der Tradition islamischer
Interpretation der eigenen Religion als von überflüssigem Ballast gereinigtem Kern menschheitlicher Weisheit. Die Vorstellung, daß technologisches Interesse mit dem Islam unvereinbar sei, scheint schon von Al-Gazi (1058-1111) vertreten worden zu sein (Mokyr 1990, 206).
Die islamische Kritik am Christentum ist heute Teil der Kritik an einer Verwestlichung. Imperialismus, christliche Mission und Ideologie der Menschenrechte werden meist in einem
Atemzug genannt. Dabei wird betont, daß es sich bei der "Ideologie der Ideologiefreiheit"
ebenso um einen intoleranten Glauben handelt wie bei irgendeiner der Orthodoxien, gegen die
er sich richtet. Von Akhtar ist das Wort "liberal inquisition" geprägt worden (Zebiri 1998,
55f.). Säkularisierung erscheint als ein spezifisch westliches Phänomen. Sie wird erklärt als
Reaktion auf Einseitigkeiten des Christentums, vor allem Asketismus, Klerikalismus, Weltflucht und Irrationalität des Dogmas ,aber auch Trennung von Kirche und Staat, Konfessionskriege (Zebiri 1998, 54). Das Fehlen dieser Bedingungen im Islam feit ihn in dieser Sicht gegen eine interne Säkularisierung, nicht jedoch vor der Bedrohung durch den Import westlicher
Lebensmodelle.
Tiefer schürfende islamische Autoren sehen freilich in der Säkularisation nicht nur die Herausbildung eines profanen Bereichs und eine Trennung von Religion und Staat, sondern von
Wert und Welt (Zebiri 1998, 56). Die Unhaltbarkeit einer Trennung von Fakten und Werten
bildet auch den zentralen Ansatzpunkt für Versuche einer "islamischen Wissenschaft". Dabei
bezieht man sich auf konstruktivistische Ansätze: Daß Wissenschaft nicht fortschreitende
Entdeckung einer festliegenden Wahrheit ist, sondern das Ergebnis sozialer Konstruktion,
eröffnet die Möglichkeit, Alternativen der Wissenshaft zu denken (Sardar 1984, 35). Als Beispiel fungiert u.a. die Stadtplanung, die auf die islamische Familienstruktur zugeschnitten sein
müsse. Gerade das Festhalten an der Offenbarungswahrheit ermöglicht es, ein Übergreifen auf
32
Dazu Glacken 1967, 494 unter Berufung auf Suzuki.
27
den Bereich der Werte zu verhindern33. Da, wo in der Debatte um eine soziale Naturwissenschaft die demokratische Entscheidung steht, da steht das geoffenbarte Wort, oder, wenn man
es in Außenperspektive formuliert, die kulturelle (identitätsstiftende Tradition). Damit ist das
Schema der Weberschen Rationalisierung umgedreht, gerade die Fakten sind konstruiert, die
Werte aber gegeben. Nicht die Logik ist universell, und die Ethik kulturrelativ, sondern die
Ethik sakrosankt und die Logik darauf bezogen.
Die ökologische Frage wird im Zusammenhang dieser Debatte bereits seit den 60er Jahren
explizit aufgenommen34. Kritisiert wird hier von einer Warte aus, die für sich einen wesentlich umfassenderen Wissenschaftsbegriff beansprucht, nämlich eine Wissenschaft von der
Essenz der jeweiligen Naturformen zu sein35. Der Reduktionismus der neuzeitlichen Naturwissenschaften erscheint demgegenüber wie die Untersuchung eines Manadalas unter dem
Mikroskop (Nasr 1990, 264)36. Die bedeutendsten Vertreter sind Seyyed Hossein Nasr, ein
ehemaliger Professor für Wissenschafts und Philosophiegeschichte an der Universität Theheran, der von anderen islamischen Autoren als Sufi eingeordnet wird (Sardar 1984, 35) und
Fridhjof Schuon (geb. 1907 in Basel); beide leben heute in den USA. Schuon hebt hervor, daß
auch die szientistische Weltsicht nicht einer prägnanten Symbolik entbehre (schwarzer Himmel). Die Reduktionismuskritik der konstruktivistischen Wissenschaftsgeschichtsschreibung
33
Zebiri 1998, 51; 55 betont die Verwendung marxistischer Denkfiguren für die Kritik am Christentum, die
dieselben Autoren niemals auf den Islam anwenden würden.
34
Nasr (1996, 209), der sich selbst zu den Pionieren rechnet, meint, daß die außereuropäischen Religionen in den
vergangenen zwei Jahrhunderten vollauf mit dem Kampf um ihre nackte Existenz gegen die zweifache Bedrohung von christlicher Mission und westlichem Konsumismus beschäftigt waren, so daß sie erst sehr spät die
ökologische Krise als etwas anderes wahrgenommen haben als ein innerwestliches Problem, (ähnlich Sardar
1984, 27).
35
Als Beispiel für solche essenzielle Naturanschauung dienen die Wasserfälle taoistischer Gemälde, die das
Herabsteigen des Einen in die Ebene der Vielfalt darstellen (1990 S 257); zu einer wesenhaften Zoologie wird
erwähnt: "Ikhwan al Safa: der Streit zwischen Mensch und Tier, Olms 1969" (mit diesen Angaben nicht nachgewiesen).
36
Klages bringt als Bild den Chemiker, der zwecks Analyse der Farben das Landschaftsbild, das er gar nicht als
solches zu erkennen vermag, von der Wand kratzt (Werke III, 292). Neben dem Bild des verkannten Landschaftsgemäldes das Bild des verkannten Buches. Wie aber durch die Benutzung aller Bücher der Menschheit
von einem analphabetisch gewordenen Geschlecht "keineswegs die Bedeutung der Schriftzeichen widerlegt
worden wäre und ebensowenig die ihnen eigene Fähigkeit zur Bewirkung umwälzender Geschicke unter solchen, die sie hätten zu lesen verstanden, geradeso beweist es nichts gegen die außermechanische und beseelte
Natur der Bilder daß sie zerstörbar sind durch den mechanischen Eingriff". Auch sonst gibt es Parallelen zur
Erscheinungswissenschaft, etwa in der Verteidigung des geozentrischen Standpunktes (Nasr 1990 S 64): "Die
Betrachtung des gewaltigen Himmelsgewölbes in der Weise, als ob man auf der Sonne lebte, schafft ein Ungleichgewicht, das zwangsläufig zu der Zerstörung jener Erde führen muß, von der sich der moderne Mensch
abstrahierte (...). Dieses Ungleichgewicht wäre nicht unvermeidlich gewesen, wenn der Typus Mensch, der die
geozentrische Sicht des Kosmos verwarf, die Sonnengestalt, das Bild des höchsten Apollon, der pythagoreische
Weise gewesen wäre, der ja von der heliozentrischen Astronomie wußte (...). Paradoxerweise aber war dieses
Wesen, das sich von der Erde abstrahierte, um den Kosmos von der Sonne aus zu betrachten (...) der prometeische Mensch, der gegen den Himmel rebelliert hatte (...). Die Zerstörung des äußeren Symbols der traditionalen
Kosmologien zerstörte für den westlichen Menschen die hierarchische Struktur des Universums (...)". Bezüglich
dieser sind eher Parallelen zur Anthroposophie gegeben.
28
wird übernommen, allerdings diese selbst als letzter Zweig der Selbstaufhebung des Szientismus enttarnt: "Die moderne Wissenschaft glaubt zunächst, was sie sieht, und sieht am Ende,
was sie glaubt (Schuon zit. Nasr 1990, 275, 289).
Das Christentum wird zwar als Religion ernst genommen,37 erscheint aber als Spiel mit dem
Feuer und als Vereinseitigung. Bemängelt werden seine Vergeschichtlichung der Seinsordnung und seine Überbetonung der Spaltung zwischen Geist und Fleisch bzw. Gott und Natur:
"Der "Angelismus" der mittelalterlichen Theologie enthielt zwar eine tiefe Wahrheit, betrachtete aber nur einen Aspekt des traditionalen anthropos und ermöglichte die Rebellion gegen
eine solche Anschauung seitens derjenigen, die den mittelalterlichen Menschenbegriff ablehnen zu müssen glaubten, um die spirituelle Bedeutung der Natur und die positive Bedeutung
des Leibes entdecken zu können. Wenn sich der Körperkult der Renaissance durch eine Laune
der Geschichte in Indien manifestiert hätte, hätte er sich dort nicht in der selben Weise gegen
den Hinduismus richten können, wie er sich im Westen gegen das Christentum richtete" (Nasr
1990, 219 f.). Nasr weiß natürlich um christliche Konzepte, die nicht so stark dualistisch waren, er erwähnt Hildegard von Bingen, Franz von Assisi und auch Bonaventura.38
Werden hier Christentum und seine Ablösung zusammen genommen, weil eine Vereinseitigung (Abweichung von der Mitte, die der Mensch zu halten hat) für das Ausschlagen des
Pendels in der anderen Richtung verantwortlich ist, so wird eine andere Tendenz des Christentums als direkte Wurzel der westlichen Gottvergessenheit identifiziert, nämlich die Vergeschichtlichung des Seins: "Als der Weltgeist zum Zeitgeist wurde, trat die Geschichte an die
Stelle des Göttlichen" (Nasr 1990, 278)39. Dies sei eine spezifisch christliche Häresie, keine
islamische oder hinduistische (Nasr 1990, 306). In gewisser Weise betrachtet er die mit dem
Namen Hegel verknüpfte Vergöttlichung der Zeit freilich auch wieder als Rückschlag gegen
die Säkularisierung der Wissenschaft im Kosmos, die ihrerseits Folge der Naturvergessenheit
der Scholastik ist (1990, 220).
37
Als potentielle Verbündete erscheinen z.B. Theologen, die um die Wiederheiligung des Sabbaths als Insel in
der Flut von Kommerz und Konsum kämpfen (genannt wird der protestantische Theologen Jürgen Moltmann).
38
Bonaventura zitiert er mit der Sentenz, wer die Schönheit der Schöpfung nicht sehe, sei blind, wer ihr Lob
Gottes nicht höre taub usw. und fügt hinzu: "Man darf wohl annehmen, daß der heilige Bonaventura viele von
denjenigen, die im Mittelalter nach ihm kamen, auch aus den Reihen der Theologen, die weitgehend vom Nominalismus beherrscht waren, (...) als Blinde , Taube, Stumme oder Narren eingestuft hätte“ (1990, 292).
39
Der Zusammenhang mit der Machtanbetung fehlt hier, doch wird die Agressivität der Naturbeherrschgung als
Rückseite des Herausgefallenseins aus der Schöpfungsordnung gesehen (1990, 257); vgl zum Haß auf jungfräuliche Natur 1990, 27.
29
Doch der nächste Ausschlag in der Gegenrichtung ist in Nasrs Perspektive der Marxismus als
ebenfalls spezifisch christliche Häresie (1990, 306).40 Grundgelegt sei er in der Vorstellung
der Erlösung als einmaligem historischen Ereignis. Wesentliche Mißbildung des Christentums
in dieser Perspektive ist die Trennung von Naturgesetz und Menschengesetz. Dharma, Tao
und auch Sharia umfassen beide (Nasr 1990, 261). Damit einher geht die Überbetonung des
die Naturordnung durchbrechenden Wunders gegenüber "Wundern" von der Art, daß die
Sonne jeden Tag aufgeht.
Das Verhältnis von Naturgesetz (li) und Menschengesetz (fa) ist in Ostasien und im Islam so
gefaßt, daß das Menschengesetz annulliert werden muß, wenn es dem Naturgesetz oder göttlichen Gesetz widerspricht (Nasr 1996, 132 f.). Nur im Abendland ist die Vorstellung aufgekommen, das Naturgesetz sei vom Menschen (als Ebenbild Gottes) rational erfaßbar. Dadurch
kam es schließlich zu einer Umkehrung der Abhängigkeit bis zu den Formulierungen Kants,
wonach der Mensch der Natur die Gesetze vorschreibe. Die Praxis dieser Vorstellung ist das
Experiment. Die dort gefundenen Gesetze gelten aber gerade nicht für Natur als das, was von
sich selbst her ist. Ja sogar die Logik gilt ja nach Nietzsche ebenso wie Geometrie und Arithmetik nur von den Wesenheiten, die wir geschaffen haben .
Natur ist (zumindest in diesem Sinn) nicht gesetzmäßig verfaßt. Alle Gesetze sind Näherungswerte, jede umfassendere Betrachtung bringt die gesetzlichen Abläufe gegenüber den
Randbedingungen zum Verschwinden. Alle Gesetze sind nur statistischer Art. Es gibt auch
keine Atome, Gene etc. Dies sind bildliche Vorstellungen, die freilich sehr weitreichenden
prognostischen Wert haben.
Als alternative Konzeptionalisierung ist eine über Ausdrucksparallelen, Synchronizitäten,
bzw. Synchorizitäten möglich. Das Gegenmodell zum Gesetz ist die Sprache. Im einen Fall ist
Natur als unterworfen gedacht, im anderen als sich ausdrückend. Nasr will nun freilich am
Gesetzesbegriff festhalten, es wird dabei nicht ganz klar, wie sehr Gesetzgeber (Gott) und
Natur auseinanderfallen. Wenn etwa der Sonnengott Marduk Gesetzgeber des Universums ist,
dann deshalb, weil die Sonne die Regelmäßigkeit verbürgt. Auch im Griechischen gibt es aber
eine Vorstellung, wonach, wenn Helios von seiner Bahn abwiche, ihn eine Moira zur Rechenschaft ziehen würde. Doch diese Moira ist nicht außerweltlich, eher unterweltlich gedacht.
Der Gott des Islam dagegen ist ein außerweltlicher Schöpfergott.
40
Vgl. Karl Marx, Zur Judenfrage (1844), Marx-Engels Werke, Bd. 1, 376: "Das Judentum ist die gemeine
Nutzanwendung des Christentums, aber diese Nutzanwendung konnte erst zu einer allgemeinen werden, nachdem das Christentum als die fertige Religion die Selbstentfremdung des Menschen von sich und der Natur theoretisch vollendet hatte".Dies geschah, indem es "alle nationalen, natürlichen, sittlichen, theoretischen Verhältnisse dem Menschen völlig äußerlich macht".
30
Nasr stellt dem prometheischen Menschen, der sich als Erdwesen betrachtet, das gegen den
Himmel rebelliert, den "pontifikalen" Menschen gegenüber, der sich als "Brückenbauer" versteht (1990, 216 ff.). Dem säkularisierten Anthropozentrismus setzt er die spirituelle Mittelpunktstellung des Menschen entgegen, wie sie sich im Mythos vom kosmischen Urmenschen
(Adam Kadmon etc.) zeigt: "Die Welt wird nicht als Abspiegelung des Menschen als Menschen betrachtet, sondern des Menschen, der selbst die ganze und volle Abspiegelung all jener
göttlichen Qualitäten ist, deren bruchstückhafte Abspiegelung die manifeste Ordnung ist"
(1990, 222).
Der Koranvers 55,10, "Die Erde, er hat sie hingestellt für die Geschöpfe" kann als Antithese
zum Dominium terrae verstanden werden. Sehr umstritten in der Interpretation ist aber der
Koranvers 33,72 : "Siehe wir boten den Himmeln und der Erde und den Bergen das Pfand an,
doch sie weigerten sich, es zu tragen und schreckten davor zurück. Der Mensch aber lud es
auf sich, denn er ist ungerecht und unwissend". Gemeint ist mit dem Pfand wohl die Gabe des
Bewußtseins "erkennend Gutes und Böses", die großen Naturwesen sind keineswegs von Allah dessen nicht gewürdigt worden, sondern sie wollten es nicht.
Kennzeichen der wahren Religion ist nach Nasr, daß sie dem Menschen sowohl die Größe
dessen, was er sein könnte, als auch die Erbärmlichkeit und Banalität dessen vor Augen stellt,
was er in den meisten Fällen ist (1990, 225). Nasr hebt den Religionsersatzcharakter der Evolutionslehre hervor (1990, 310) und begreift sie als Horizontalisierung und Verzeitlichung der
vertikalen Stufenleiter des Kosmos (1990, 313). Schlimmer noch, sie zerschlägt jedes Gefühl
für den Eigenwert jeder inkarnierten Form als in sich vollkommen, indem es sie als Durchgangsstufe deklariert. Die New Age Bewegung ordnet er als pseudospirituellen Evolutionismus ein (1990, 318). Seit 1970 sei "environmentalism" selbst eine Art Religion geworden.
Dem Biozentrismus, den er für ein Produkt des Demokratismus hält, setzt er einen Theozentrismus entgegen (1996, 218). An den christlichen Neuansätzen einer Schöpfungsethik
einschließlich des dem Deep-ecology-Spektrums zugehörigen Matthew Fox kritisiert er, daß
sie einseitig ethisch – und nicht noetisch – ansetzen d.h. die "naturwissenschaftlich" funktionale Blickweise unangetastet lassen (1996, 199). Sie wollen, indem sie sich auf das ausgeklammerte Reich der Werte stützen, ihren Frieden machen mit einer Ideologie, die die Basis
aller Ethik unterhöhlt (1996, 219) . Als Ausnahmen im westlichen Denken nennt er Sherrard
und Milosz. Auch heute noch sei Christianisierung in Afrika und Asien ein Wegbereiter des
Konsumismus (1996, 222). In allen anderen Religionen sonst seien die Abwehrkräfte größer
(1996, 220). Das Judentum schätzt er weitgehend ähnlich dem Christentum ein, es gehört für
31
ihn zum Komplex "Verwestlichung". Aber auch für den Hinduismus beklagt er ein Überwiegen ethischer gegenüber noetischer Ansätze (1996, 211).
Fridhjof Schuon, den Nasr als radikalen Kritiker des im wahrsten Sinn des Wortes gottverlassenen Projekts Moderne häufig zitiert, sieht die westliche Zivilisation als Unkultur (1993, 34
f.)41. Er weist auf den Kernpunkt hin, wenn er die Ablehnung eines wirklichen Muslim gegenüber der modernen Zivilisation in dem ironischen Satz zusammenfaßt: "Jetzt müßt ihr nur
noch den Tod abschaffen!". Der Mensch, der seine Transzendenz auf das Absolute hin negiert, verliert seine Menschlichkeit und verwirkt seine Menschenrechte. Scharfsinnig spricht
Schuon von der Perversion des Selbsterhaltungstriebs der westlichen Zivilisation, aus dem ein
Bedürfnis erwächst, den Irrtum zu radikalisieren, um ein ruhiges Gewissen zu haben (1993,
37). Die Grundlage der Abschaffung der Transzendenz ist in der modernen Gesellschaft die
Schaffung einer Umgebung, in welcher die geistigen Dinge wie Fremdkörper erscheinen
(Schuon 1993, 43). "Mit der Bezeichnung Verantwortung schmückt man das scheinheilig
zweckgerichtete Festhalten" am Abweg des Abendlandes, obwohl doch der mit diesem Irrweg
verbundene Verfall der menschlichen Substanz in Literatur und Kunst längst zum Himmel
stinkt (1993, 42, 39).
Nasr betont: "Die traditionale Lehre vom Menschen, nicht die Vermessung von Schädeln und
Fußspuren ist der Schlüssel zum Verständnis jenes anthropos" (1990, 218). Die tiefste Erklärung der ökologischen Krise ist nach Nasr, daß sie Symptom der Selbstverfehlung des Menschen ist: Der Mensch wird zerstörerisch, wenn er sich als rein irdisches Geschöpf versteht,
weil er kein solches ist. Noch in der Zerstörungsfähigkeit zeigt sich seine außerordentliche
Stellung (1990, 225). Nasr betont auch den selbstauflösenden Charakter der Geschichtlichkeitsideologie. Sie habe "nicht nur denjenigen, die unter ihren hypnotischen Bann geraten
sind, die Möglichkeit der Ewigkeitserfahrung genommen, sondern auch eine Verdunkelung
der Bedeutung der Permanenz und historischen Kontinuität und damit ein Niedergang des
Geschichtsbewußtseins selbst herbeigeführt" (1990, 309).
Beachtenswert ist, daß Nasr auch die Rückprojektion der Naturgesetze in lang zurückliegende
Zeiträume und die darin liegende Leugnung kosmischer Rhythmen (1990, 279) anprangert.
Man könnte also sagen, es geht nicht um eine Entgegensetzung von beständigem Sein und
geschichtlichem (oder heraklitischem) Wandel, sondern die Moderne hat gerade das Wandelbare zum Sein statifiziert und das Sein geleugnet. Die Grundlage dafür liegt im Christentum,
das nur einen allzu kleinen Teil des vollständigen Zyklus der Weltentwicklung herausgegrif41
Meyer-Abich (1998, 392f.) hat zu Recht bemerkt, was Kultur von Unkultur unterscheide, sei die Frage "Was
bin ich hier schuldig?" statt der "Was ist hier zu holen?"
32
fen und verabsolutiert, sowie einer linearen Betrachtung unterworfen hat (1990, 305). Eine
Folge davon ist auch das heute herrschende Geschichtsbild des Abendlands, das die Menschheitsgeschichte auf die der Hochkulturen verkürzt.
Nasr und Schuon kritisieren gerade nicht die Anthropozentrik des Christentums, und auch
nicht sein Engagement gegen "Götzendienst", Nasr unterscheidet "Dedivinisation" und "Desacralisation" von Natur (1996. 215). Nur letztere will er bekämpfen. Auch gegenüber Weltfluchtendenzen ist ihre Kritik zurückhaltend, zwar sind diese der Auslöser der Gegenbewegung der Moderne, heute aber wäre ihre Wiedererweckung heilsam. Für die amerikanischen
Nationalparks, so Nasr (1996, 217), wäre es ein Segen, wenn ihre viel zu vielen Besucher eine
Verbindung zu dem, was größer ist als sie, in der Meditation zu Hause suchen würden. Sie
interpretieren aber die Einzigkeit Gottes als Einheit der Welt. "Es gibt keinen Gott außer
Gott" heißt dann: es gibt keine Realität außer der allumfassenden Realität (1993, 5). Das erscheint in ihrer Lesart auch als das Geheimnis der Mysterien (und z.B. der pythagoreischen
Lehre) in polytheistischen Religionen (1993, 4).
Nasr sieht nomadische Religion nicht als naturfeindlich, vielmehr begegne dem Nomaden
überall die "jungfräuliche Natur" (1993, 6). Daß Natur als Schleier zwischen Mensch und
Gott (vgl. das indische Konzept von Maja) erscheint, wird nicht negativ gewendet. Das Gefallensein der Natur wird so interpretiert, daß in der Natur nicht mehr ohne weiteres ablesbar das
Urbild durchscheint, während im Zustand der Unschuld jeder Fluß als Paradiesfluß erscheint
(1993, 3). Wogegen sie sich wenden, ist die Historisierung des Heils, der Dualismus, die Lehre von zwei Wahrheiten, Selbsterlösungsvorstellungen, Pantheismus, Evolutionismus. Damit
ist ein Gegenpol zu der Kritik von Drewermann oder Giegerich eingenommen, die gerade die
historische Dynamik glorifizieren, aber die Anthropozentrik ablehnen.
Demgegenüber weist Iqtidar H. Zaid (1981) die Kritik am Christentum von White und noch
mehr am Monotheismus von Toynbee zurück.42 Nicht die Wurzel, wohl aber die Lösung der
Umweltkrise liege in der Religion. Unter Berufung auf Yi fu Tuans Untersuchung für den
chinesischen Raum weist er die These zurück, daß philosophische und theologische Vorstellungen für das Umweltverhalten verantwortlich seien, viel mehr sei dies die allgemeine
menschliche Schwäche. Deutlicher als bei Nasr, den auch er zitiert, zeigen sich bei ihm die
Grenzen des Islam: Für wilde Natur hat er nichts übrig, ja die Zuwendung zu ihr scheint ihm
"a selfish attitude" (39). Auch der Islam erweist sich als Religion des Dienstes an einem Potentaten – unfähig Zweckfreiheit der Natur zu denken.
42
Ebenso Manzoor in Sardar 1984, 152 f.
33
1.3.2. Die asiatische Perspektive
Waitsui Tetsuro
Aus ostasiatischer Perspektive ist mir keine direkte, historisch argumentierender Kritik des
Christentums und seiner Folgen bekannt. Interessant ist der japanische Philosoph Watsuji
Tetsuro, der sowohl eine Alternative zur universalistischen Ethik aufstellen wollte, als auch
sich mit der Prägung des Menschen durch das Klima beschäftigte. Er versucht, die Ethik von
der Diskursivität und Intellektualität zu lösen und im konkreten Verhalten ("Zwischenmenschlichkeit") zu gründen. Mit der Beziehung statt der Diskursivität als Grundlage fällt ein
entscheidendes Hindernis für eine Einbeziehung der Natur weg. Entsprechend seiner Philosophie, die die Subjekt-Objekt Spaltung zu hintergehen versucht, greift Watsuij Tetsuro auch
Herders Alternativen einer Klimalehre auf:
1. Wenn Mensch und Klima getrennt betrachtet werden und versucht wird, kausale Zusammenhänge festzustellen, wird Klima zu einer vom menschlichen Lebenszusammenhang abstrahierten naturwissenschaftlichen Tatsache, die mit dem ebenso abstrahierten, zum Naturphänomen gewordenen Menschenkörper wieder zusammengebracht werden muß (Watsuji
Tetsuro 1992, 188).
2. Stattdessen sollte die Tatsache, daß der Mensch immer schon klimatisch bestimmt ist, zum
Ausgangspunkt genommen und das Klima als Strukturmomement menschlichen Daseins (geisteswissenschaftlich) betrachtet werden.
Systematisch ist der Zusammenhang von Klima und Religion in der Typologie Wüsten-, Wiesen- und Monsumklima und entsprechender Religion bei Watsui Tetsuro dargestellt. Watsui
versucht, auch den Protestantismus landschaftlich zu erklären (1992, 101).
Alan Watts
Alan Watts (1975) arbeitet heraus, daß das östliche Denken im Gegensatz zum westlichen an
dem festgehalten hat, was der Naturbegriff ursprünglich meinte, nämlich ein Tzu-jan aus sich
selbst sein. Das Bild dafür ist der "watercourse of nature" (38), nicht teleologische Entelechie.
Die Ordnung der Natur (Tao und Li) ist nicht eine gezwungene Ordnung (43). Darin liegt eine
Kritik am Begriff des Naturgesetzes. Watts wirft dem westlichen Denken vor, im Bezug auf
Natur die Regeln der Grammatik mit der Sprache zu verwechseln (42). Das Tao ist weder ein
"Boss" oder Schöpfer, noch ist es von außen gegebene Ordnung (51). Es wäre zu prüfen, ob
sich geschichtlich tatsächlich ein Zusammenhang ergibt zwischen außerweltlich schaffendem
und lenkendem Gott und dem Begriff von Naturgesetzen, die die Dinge und Wesen zwingen,
sich in bestimmter Weise zu verhalten.
34
1.4. Neuheidnische Kritik
Eine fundierte neuheidnische Kritik gibt es seit der Instrumentalisierung des Neuheidentums
durch den Nationalsozialismus kaum mehr. Die Szene ist zersplittert und klein. Gesamtdarstellungen kommen meist aus einer sich als ideologiekritisch verstehenden Richtung und sind
durch Voreingenommenheit geprägt. So reicht etwa Stefanie von Schnurbein (1992, 251) ein
Terminus wie "jüdisch-christliche Religion" in Otto Ullrichs Buch "Weltniveau" (1979), um
daraus eine "kritische Nähe zu antisemitischen Haltungen" zu diagnostizieren,43 während sie
andererseits ohne Distanz die "Allgemeine jüdische Wochenzeitung" (153) und Publikationen
der Antifa-Szene als Belege für rechte Unterwanderung der neuheidnischen Szene nimmt.
Wir können aber einige Linien der Kritik von Ludwig Klages ausziehen. Die ersten diesbezüglichen Äußerungen finden sich in der Schrift "Mensch und Erde" von 1913. Zunächst bezeichnet er als die Stichworte der Moderne "Fortschritt, Kultur und Persönlichkeit" (1973, 1).
Was aber die Zeitgenossen Kultur nennen, wird als Zivilisation, was sie Persönlichkeit nennen, als mangelnde Gemeinschaftsverbundenheit und Geist des Kapitalismus gesehen. So
heißt es dann: "Wenn schon Fortschritt, Zivilisation, Kapitalismus nur verschiedene Seiten
einer einzigen Willensrichtung bedeuten, so mögen wir uns erinnern, daß deren Träger ausschließlich die Völker der Christenheit sind. Nur innerhalb ihrer wurde Erfindung auf Erfindung gehäuft, blühte die exakte, will sagen die zahlenmäßige Wissenschaft und regte sich
rücksichtslos der Erweiterungsdrang, der die außerchristlichen Rassen knechten und und die
gesamte Natur verwirtschaften will. Im Christentum also müssen die nächsten Ursachen des
weltgeschichtlichen "Fortschritts" liegen“ (1973, 19). Die wissenschaftliche und industriell
kapitalistische Weltbemächtigung sieht er als Fortführung des christlichen Impulses, "das
Verwobensein in die bildernde Vielgestalt und unerschöpfliche Fülle des Lebens hinzuopfern
für das heimatlose Darüberstehen einer weltabscheidenden Geistigkeit".
Klages ordnet das Christentum freilich in eine die Vorgeschichte mitübergreifende Perspektive ein. Für ihn ist der Monotheismus der Wüstenreligion der entscheidende Schritt, angelegt
ist die Möglichkeit zu ihrem Einbruch aber viel früher und grundsätzlicher. Der ursprüngliche
Mensch löst sich aus der Tierheit durch "Befreiung des Schauens von der Herrschaft des
Empfindens" (1972, 369). "Erst indem die Natur – gewaltigen Anlaufs gleichsam – ein Wesen
mit Fernschaugabe erzeugte, beschwor sie die nie noch erprobte Gefahr herauf, daß zufolge
43
"Die Idee liegt nicht fern ‚jüdisches Denken‘ und schließlich Juden überhaupt verantwortlich für die moderne
Zivilisation zu machen. Dieser Gedanke wiederum ist nichts anderes als der Kern traditioneller antisemitischer
Verschwörungstheorien" (Schnurbein 251). Dieses Strickmuster antifaschistischer Verschwörungstheorien, ist
genau das, was der Kieler Wissenschaftstheoretiker W. Deppert treffend als "inflationistischer Fehlschluß" bezeichnet hat.
35
übermächtiger Spannung der Zusammenhang von Empfindung und Schauung, von Leib und
Seele lockerer werde und schuf damit einen Ermöglichungsgrund für den Eintritt des Geistes"
(1972, 841).
Solange der Willensakt bestimmt wird vom Auffassungsakt, bleibt der Geist des Menschen
vom Leben abhängig (prometheische Stufe), wird der Wille selbständig, so beginnt die Geistabhängigkeit des Lebens (herakleische Stufe) (165). Herakles befreit ja auch im Mythos Prometheus von seiner Strafe. Klages setzt die herakleische Stufe etwa mit der Entwicklung des
Christentums gleich, die er auch als Radikalisierung des Logozentrismus zum Anthropozentrismus auffaßt (1950, 210). Während vorher Vernunft, Wille, Nus, Pneuma prinzipienartige Mächte blieben, "besann sich im Christentum die Philosophie auf die Herkunft dieser
Begriffe aus dem Personsein des Menschen und projezierte in den Weltgrund den Menschen
selbst, versteht sich in der Gestalt, ausschließlich des Mannes“ (1950, 210).
Freilich nimmt der Platonismus schon viel vorweg. Die Gleichsetzung der Wende mit dem
Christentum ermöglicht es Klages allerdings, das Geschehen statt als Radikalisierung einer
bereits in der abendländischen Geschichte bestehenden Tendenz, als Einbruch von Außen,
eben als Einbruch der Wüstenreligion zu verstehen. Klages betont, daß auch schon das dualistisch leibfeindliche Denken der sog. griechischen Philosophie "nicht auf abendländischem
Boden gewachsen" ist (1950, 205). Die Stoa, meint Klages, "handhabt ihre Erkenntnisse bereits wie die Keule des zum Vorbild erkorenen Herakles" (1950, 207). Die Stoa bereits nennt
das Widernatürliche Natur, nämlich die Freiheit der Persönlichkeit und die Willkür (vgl.
1972, 517). Deutlich wird dies an dem Satz des Ariston "Von Natur gibt es kein Vaterland"
(1950, 207). Mit Natur wird hier etwas ganz Allgemeines gemeint, wie später bei den Aufklärer; es ist ja eben ganz kontrafaktisch gesprochen, daß von Natur aus alle Menschen gleich
sind. Das, was da Natur genannt wird, muß zunächst aller Qualitäten, die eben immer Besonderheiten sind, entkleidet werden. Darin liegt die Gemeinsamkeit zur Naturwissenschaft.
Klages sieht im Christentum die Vorbereitung der Moderne. Der Grundcharakter der Moderne
ist der Mammon-Leviathan. Naturwissenschaft, Ökonomie und Demokratie sind eines Geistes
(1950, 212). Man kann ihn den Geist des Reduktionismus oder der Statistik nennen, die alles
Individuelle entwirklicht. Denn Demokratie beruht auf einem soziologischen Reduktionismus
des Menschen auf Kopf und Stück, der eine historische Parallelentwicklung zum naturwissenschaftlichen Reduktionismus auf Dingliches und Quantifizierbares und dem ökonomischen
Reduktionismus auf Geldäquivalente darstellt. "Man übersieht dagegen zu oft nur, daß die
sog. demokratischen Verfassungen je demokratischer umso mehr, nie etwas anderes waren als
die geradesten Bahnen zur Herrschaft des Geldsacks" (1972, 1204).
36
"War der antike Staat auf Knechtung der Leiber gegründet, so ist es der christliche auf Knechtung der Seelen! Der Vorgang weist wiederum zwei Abschnitte auf. Das Dogma des Mittelalters verbot die Betätigung der natürlichen Triebe; sein Erbe, der Kapitalismus, räumte gründlicher auf, indem er zur Vorbedingung des Rechts auf Dasein die Arbeit im Dienste erzwungener Ziele machte. Wenn wir uns gewaltig viel darauf einbilden, keine Sklaven mehr zu dulden, so ist die Verblendung kaum noch auszumalen, die uns übersehen läßt, daß wir weit
wirksamer das Leben würgten durch die Vergöttlichung des Machinalismus" (1950, 330).
Daran ist engstens gekoppelt der Verlust der ehemals allgemeinen Gestaltungskraft aus Liebe
zur Sache – das heißt Verbindung zu ihren Elementarseelen. Klages führt hier zusammenhängend aus, wovon "Mensch und Erde“ bereits die Symptome gezeigt hatte: "Was der Naturmensch genötigt vom Triebe der Lebensfürsorge vollbrachte, geschah in unmittelbarer Beziehung auf das Befriedigungsmittel, demgemäß ohne künstliche Apparaturen und aus voller
Liebe zur Sache (...) Nun aber halte man daneben, wie im verwickelten Getriebe des Machtstaates zahllose Tausende, teils um des nackten Daseins willen, teils besessen vom Hunger
nach Macht, Tag für Tag Verrichtungen üben, die nicht den geringsten Zusammenhang haben,
weder mit den Trieben des Leibes, noch mit den Neigungen der Seele! Von jedem sinnvollen
Ziele gänzlich gelöst, ist ihr gesamtes Tun zum bloßen Mittel geworden (...). Demgemäß aber
entschläft das die Arbeit begleitende Lied, verbreitet sich wie ein erstickender Nebel der
"Ernst des Lebens" und tritt an die Stelle unablässig schwingungsbereiter Freudigkeit ein
stoßweise aufzuckendes Vergnügungsbedürfnis“ (1950, 331 f.).
Wahres Subjekt der Zerstörung ist der Wille zur Macht, der "im Zeichen jenes angeblichen
Gottes siegt, dessen angepriesene Einzigkeit nur die Kehrseite bildet seiner - Unsichtbarkeit":
"Wer Gott sucht, wird Götter niemals finden". Nach Ludwig Klages' brillianter Formulierung
ist die "Eingötterei eine bloße Übergangsform zum Siege ungöttlicher Geistigkeit über den
‚Gegenstand‘ jeglicher Seelenwallung" (1972, 1265). "Was aber jenen eigentlichen Monotheismus anbelangt, der dank einem weltgeschichtlichen Irrtum das Theion der Seele für das
Monon des Geistes in Anspruch nimmt, den siegreichen Monotheismus der israelitischen
Propheten, denen das erstaunliche Kunststück gelang, zum persönlichen Herrn der gesammten
Welt den schrankenlosen Haß auf die Göttlichkeit schlechthin dieser Welt zu erheben", so ist
dieser auch im Judentum immer gefährdet gewesen. Immer wieder mußte er seine Bannflüche
schleudern gegen jenen Teil des Volkes, der immer wieder sich zum Bilderdienst kehrte
(1972, 1265 f.). Vom Kampf des einen patriarchalen Gottes gegen die Götter der Naturfrömmigkeit stammt die abendländische Naturfeindschaft ab, die in der Hexenverfolgung und ei-
37
ner Wissenschaft gipfelt, die der Natur ihre Geheimnisse abpressen will, wie der Hexe auf der
Folter (so Bacon und Kant in recht ähnlich lautenden Formulierungen).
Der jüdische und christliche Gott gibt nicht direkt den Impuls zur Mechanisierung der Natur,
nicht etwa durch den Kultivierungsauftrag, er schafft aber den Raum für die Entgöttlichung
der Natur und gleichzeitig wirkt die Machtanbetung langfristig in Richtung Steigerung des
Beherrschungswillens. "Der christliche Gott war seiner Herkunft wegen nur wenig verstrickt
in die Naturprozesse, die christliche Religion war eben keine Naturreligion. Ihre Dogmatik
setzte deshalb der Praxis keine übergewichtigen Hindernisse entgegen. Es ist ein Beitrag
durch Abwesenheit, den sie leistet. Erst an den großen Umbruchstellen des Weltgebäudes,
wenn kanonisierte Anschauungen in Gefahr geraten, leistet sie Widerstand" (Dux 1982,
237f.). Dieser Widerstand kommt zu spät. Ein weiteres Element ist die Adelung der Arbeit,
die die Trennung der intellektuellen Oberschicht von den Bedürfnissen des Erwerbs durchbricht und damit deren Funktion unterminiert, über anderes als über Bedürfnisse nachzudenken. Wiederaufnahmen des Antijudaismus gibt es heute auch aus feministischer Sicht (Lauer
1996, 125).
Klages Rückführung der christlichen Naturfeindschaft auf seine judaistischen Wurzeln ist
nach 1945 häufig als angeblicher Antisemitismus gebrandmarkt worden. Carl Amery hat ihn
gar in seiner konfusen Schrift "Hitler als Vorläufer" unter die Ideengeber Hitlers eingereiht
(Amery 1998, 44, 122). Einen Beleg, daß Hitler Klages gelesen habe, hält Amery für überflüssig (Brief an den Verfasser 2.11. 1998). Hier bestätigt sich der gleiche fahrlässige Umgang mit historischen Wirkungszusammenhängen wie in seinen "Analysen" des Christentums.
Einen bestimmten Strang der Argumentation hat W.F. Otto vor allem in seinem Fragment
"Die Bahn der Götter" ausgeführt. Er betont hier, daß in der Erfahrungsreligion Göttlichkeit
nicht an Macht gekoppelt war. "Was sind das für Götter, die so leicht vertrieben werden können? Nun was sagst Du dazu, lieber Freund? Ist es nicht wirklich so, daß wir auch deine geliebte Felsenhöhle ohne Schwierigkeit sprengen und damit das Gefühl göttlicher Gegenwart
gründlich widerlegen könnten? So haben es ja die christlichen Missionare gemacht" (Otto,
66f).
Als neuheidnisch kann man Hermann Schmitz‘ ansonsten eher hyperwissenschaftlich daherkommende "Neue Phänomenologie" insofern bezeichnen, als sie Atmosphären als Mächte
und z.T. auch als göttliche Mächte anspricht.44 Schmitz hat nun erst in seinem neuesten Buch
eine Beschreibung des seiner Meinung nach verhängnisvollen abendländischen Geisteswegs
44
So wird etwa der heilige Geist als dionysisches Numen, das Gewissen als palladisches Numen qualifiziert.
38
vorgelegt, die auch die Rolle deutlich macht, die seiner Meinung nach das Christentum dabei
spielt. Schmitz bezeichnet Reduktionismus und Introduktionismus als die Grundentwicklung,
die er besonders gern mit der chinesischen Kultur kontrastiert. Diesen Prozeß sieht er bereits
mit der griechischen Philosophie (Parmenides und Demokrit) beginnen. Spezifisch abendländisch seien aber drei darauf aufbauende Verfehlungen. Er nennt die dynamistische Verfehlung, womit der die Neigung zu zunehmender Weltbeherrschung meint) die autistische Verfehlung und die ironistische Verfehlung (Schmitz 1999, 37, 55, 64).
Obwohl dies abendländische Sonderentwicklungen sind, die keineswegs notwendig im Gang
der Geschichte, nicht einmal des Christentums lagen, scheint sich ihm doch die Frage so zu
stellen: "Eines der größten Rätsel der europäischen Geschichte knüpft sich an die Frage, warum es nach Etablierung der psychologistisch-reduktionistisch-introjektionistischen Verfehlung zweitausend Jahre gedauert hat, bis die Chancen dieses Paradigmas für Extroversion der
dynamistischen Verfehlung, für systematische Weltbemächtigung dem intellektuellen Krafteinsatz der Kultur das Ziel vorzeichneten, bis dann abermals zwei Jahrhunderte später die
Technik aus den Ufern trat" (38).
Schmitz setzt östliches und westliches Christentum scharf gegenüber. Dem ersteren schreibt
er eine primär johanneische Orientierung zu, dem letzteren eine Akzentsetzung auf die synoptischen Evangelien, die bereits die Macht Jesu (z.B. über die Naturgewalten), das kapitalistische Prinzip (Mt 25,14 ff., Luk 19,11 ff.) und die Höllenstrafen betonen (Schmitz 1999,
117)45. Dies führe einmal zu einer westchristlichen Höllenvermeidungs- und andererseits zu
einer ostchristlichen Vergottungsreligion (134). In diesen Grundgegensatz ordnet er nun die
unterschiedlichen Konzeptionen der Trinität ein46 und stellt Augustinus und Maximus Confessor sowie Meister Eckhardt und Gregor Palamas einander gegenüber. In der Ostkirche sieht
er Natur- und Weltbejahung, der Heilige führe nach Maximus eine Art physikotheologischen
Gottesbeweis durch sein Leben, indem er wiederherstelle, wie die Natur ursprünglich gemeint
war (157). Buch der Natur und Buch der Schrift stehen gleichrangig nebeneinander (159). Die
Dinge sind Gottes Spiegelbild (159).
Hitler sieht er als Konsequenz nicht eines deutschen, sondern eines abendländischen "Sonderwegs" (377), der mit den Eleaten beginnt "Das Christentum erhitzte dieses kunstvoll aus
Psychologismus, Reduktionismus, Introjektion, Physiologismus und Rationalismus geschwungene Netzwerk der dominanten Intellektualkultur durch das Feuer der Erregung breiter
45
Er bleibt freilich die Erklärung schuldig, wie so völlig unterschiedliche Beschreibungen als Einheit verstanden
werden konnten.
46
Beide beruhen für ihn freilich auf einem Mißverständnis des Heiligen Geistes (122).
39
Volksmassen und sich exponierender Einzelner und schürte es, hauptsächlich auf weströmischem Boden mit der Wucht der Allmacht Gottes" (378).
2. Gegenargumente
2.1. Alternative Theorien
Eine prägende Rolle für das Abendland wird – weniger in der einschlägigen Literatur47 als im
verbreiteten Bewußtsein heute historisch interessierter Menschen – den Römern zugeschrieben. Ein grundlegender Unterschied der römischen etwa zur chinesischen Reichsidee ist aber
wieder nur in Verbindung mit dem Christentum auszumachen. Diese ergibt sich nicht zuletzt
aus der Auslegung der Daniel-Vision. Wenn das römische Reich das letzte ist, dann bedeutet
sein Untergang zugleich das Ende dieser Welt. Daraus leitet sich die noch bis in unser Jahrhundert (etwa bei Carl Schmitt) wirkende Denkfigur einer Hinauszögerung des Weltendes
durch Stabilisierung des Reiches ab.
Das Christentum übernimmt ein durch den Sonnenkult bereits im 3. Jahrhundert vorbereitetes
Terrain. Der Sonnenkult hatte es verstanden, einen privaten Aspekt, den der Wiederauferstehungshoffnung und einen politischen – den der Sehnsucht nach Stabilität – miteinander zu
verbinden, ohne die erfahrungseligiöse Einheit völlig zu sprengen, denn Tag- und Nachtmeerfahrt der Sonne sind zugleich ein anschaulicher Naturprozeß (daß die Darstellungen des Sonnenwegens so oft nach links weisen dürfte mit einer Betonung des Nachtmeerfahrt-Aspekts zu
tun haben). Der private wie der politische Aspekt sind Reaktionen auf die Reichskrise des 3.
Jahrhunderts, in der die Identifikation mit der Polis zerbricht und die Zentralgewalt nicht
mehr selbstverständlich ist.
Christentum als Wüstenreligion
Watsui Tetsuro hat den Gedanken vertreten, die Vorstellung von einer Beherrschbarkeit der
Natur könne weder in Monsun- noch in Wüstenregionen aufkommen. Im Gegensatz dazu
steht die Interpretation des Christentums als Wüstenreligion.48 Die Gleichsetzung von Nomadenreligion und Naturfeindschaft ist sicherlich allzu einfach. Günter Dux (1982, 237f.) hat das
Verhältnis recht genau beschrieben: "Es stimmt natürlich nicht, daß die Natur für Nomaden
von geringerer Bedeutung wäre als für Bauern. Sie sind so gut wie jede bäuerliche Kultur von
47
Vgl. allerdings Münk 1987, 157
Eine Interpretation aus der Sicht eines protestantischen Pastors liefert Frick 1936, 12 ff: "Ein echter Moslem,
ein richtiger Hindu sein, setzt das entsprechende Klima voraus, wenn nicht physisch, so doch sicherlich im geistigen Sinn eines zugehörigen Lebensstiles" Das Christentum will er freilich nicht zu diesen "Landschaftsreligionen" rechnen.
48
40
der Fruchtbarkeit des Bodens wie der Herden abhängig. Nur ist der Verbandsgott nicht der
Bodengott. Er ist durch ein anderes Objekt hindurch geformt. Und das ist bei den Nomaden
nicht an den Boden gebunden (...). Israel knüpft seine Beziehungen zu Jahwe an die großen
Ereignisse seiner Geschichte (...) In dieser Ereignissen wurde die Exstenz Israels an die Existenz Jahwes gebunden, und das in einer ganz spezifischen Weise. Israel behauptete sich gegenüber seinen Feinden, es erwies sich als ihnen überlegen. Mit ihm aber erwies sich sein
Gott als anderen Göttern überlegen (...) und es behauptete sich, indem es seinen Gott als überlegen behauptete (...). Der überlegene Gott ist der wahre Gott, der wahre ist der einzige". Das
gibt gut den Charakter des Judaismus wieder, den Klages als Machtanbetung beschrieben hat.
Eine Variante der Argumentation von der Naturfeindlichkeit der Wüstenreligion bildet die
Theorie Passarges (1922). Allerdings beschäftigt er sich kaum mit den konkreten Wirkungen
bestimmter Landschaftsformen, sondern thematisiert die Wirkung von Abhängigkeit und Unabhängigkeit von Natur überhaupt: Die Religion der landschaftlich geprägten Menschen sei
vorwiegend eine der Naturgewalten. Ein erster Bruch erfolgte seiner Ansicht nach in Deutschland bereits durch die landschaftsfremden Götter Roms. Entscheidend aber ist erst das Christentum, das die landschaftlich erlebbaren Götter durch auswendig gelernte Formeln ersetzt
und damit die Grundlage der Religiosität überhaupt untergräbt (Schule der Lüge). Die Reformation versteht er als verfehlten Versuch, statt eines Zurück zu den eigenen Wurzeln ein Zurück zu den Wurzeln des Christentums zu versuchen, sie sei auf germanische Volksgruppen
einerseits, Gebirgsbewohner andererseits konzentriert.49
2.2. Christliche Argumente gegen White
Theologen taten sich mit dem Angriff Whites deshalb schwer, weil sie gerade mühsam dabei
waren, dem Christentum einen ehrenvollen Platz in der Vorgeschichte der modernen Weltbeglückung bis zur päpstlich gesegneten Weltraumfahrt zu sichern. Darauf weist schon John
Macquarrie (in Spring/Spring 1974, 32) und eher verstohlen auch Münk (1987) hin. So betont
beispielsweise der Theologe Gerhard Rad ein "gewaltiges antimythisches Pathos" (Kern 1969,
296; Liedke 1979) der jüdischen Kosmogonie. Die Gestirngötter werden schon im Alten Testament zu Beleuchtungskörpern, Tiamat zur Urflut Tehom. Das Christentum sei nun die Fortsetzung dieser Tendenz, die Emanzipation des Menschen und technischen Fortschritt hervorbringe.
49
Passarge 1922, 103 ff.; eine andere Deutung der geographischen Gebundenheit der Reformation schlägt Watsui Tetsuro vor (1992, 101). Ähnlich schon William Falconer im 18. Jahrhundert (s.o.).
41
Sieht man einmal das Christentum als erst in allmählicher Selbstentfaltung begriffen (was
katholischen Autoren leichter fällt), dann kann man das mittelalterliche Christentum als
Durchgangsstufe sehen. Der Brixener Theologe Alfred Mitterer (1934, 29) etwa revidiert unter Beibehaltung der Methode der thomistischen Naturrechtslehre die inhaltlichen Ergebnisse
des Aquinaten sowohl im Bezug auf die Naturerkenntnis als auch die Prinzipien des Naturrechts im menschlichen Bereich und sieht nicht nur einen Zusammenhang zwischen Thomas‘
Rechtfertigung der Sklaverei und seiner Kosmologie, sondern auch dem modernen Abgehen
von beidem, ja er sieht erst durch die moderne Stellung des Menschen das christliche Verständnis vom Wert der Arbeit erfüllt. Denn heute sei der Mensch, der durch die Technik verborgene Potentiale der Schöpfung freilege, in eine Rolle hineingewachsen, die Thomas noch
den Engeln vorbehalten habe. Die menschliche Arbeit habe heute nicht nur einen Wert zur
Bedarfsdeckung und zur Zügelung der Genußsucht, sondern einen kosmischen Rang. Gerade
deshalb sei es Zeit, die egozentrische Bestimmung des Verhältnisses zu den niedriger stehenden Geschöpfen zu überwinden, und Mitterer macht sich anheischig, eine naturrechtliche Begründung von "Tierschutz, Naturschutz, Heimatschutz" (1934, 36) auf der Grundlage einer
kosmischen (und damit theozentrisch zu sehenden) Bedeutung der menschlichen Arbeit zu
liefern. Dies fällt freilich in eine Zeit, in der die Moderne auf theologische Rechtfertigung und
Absolution bereits weitgehend verzichtete.
Ansonsten wird heute immer noch gern und weitgehend ohne Bezug auf das Problem des Naturverhältnisses die These von der Abhängigkeit der Moderne vom Christentum im Bereich
der – scheinbar unproblematischen, ja zur Hauptideologie des Westens gewordenen – Menschenrechte vertreten. Pannenberg freilich vertritt die These, daß diese Säkularisierungsform
letztlich nicht "nachhaltig" ist, denn die Absolutgeltung von Menschenwürde ohne Ansehen
dessen, was der Mensch daraus macht, kann nur in einer Letztverfügung Gottes und der daraus folgenden Verfügungsauschluß des Menschen wurzeln. Neben dem Verfügungsrecht Gottes steht aber auch bei Pannenberg die Herausgehobenheit in der Schöpfung. Während alle
anderen Wesen durch das Wort geschaffen sind, ist es der Mensch durch die Tat Gottes. Pannenberg (65 f.) zitiert Theophios (bereits um 180 n.Chr), der darin den hohen Wert des Menschen und die Geringfügigkeit der anderen Geschöpfe sieht.
Die Freiheit des Christenmenschen, die in der durch Christus wiederhergestellten Ebenbildlichkeit wurzelt, ist keine Freiheit der Selbstbestimmung, sondern eine der Selbstfindung. Der
Gedanke, daß Freiheit auch die Möglichkeit der Verfehlung einschließt, ist nicht notwendig
damit verbunden. Pannenberg betrachtet Kants Versuch, den Gedanken der Menschenwürde
42
durch Herleitung aus der Vernunftautonomie zu säkularisieren, als mißlungen, wertet den
Versuch aber selbst als Moment der Wirkungsgeschichte seiner religiösen Herkunft.50
2.2.1. Apologeten, die eine Schuld des Christentums negieren
Ernst Benz ist in seiner Beschreibung des Christentums (Benz 1975, 269) davon ausgegangen,
daß der Herrschafts-Auftrag an den ungefallenen Menschen ergangen sei. Er interpretiert die
Heilstat Christi als Erlösung der ganzen Schöpfung, ja tendenziell als Erlösung von der Ausbeutung durch den Menschen. Dabei weist er darauf hin, daß diese Vorstellung besonders in
der Ostkirche lebendig geblieben sei. Demgegenüber sei er vor allem im Protestantismus immer weiter zurückgegangen, "nachdem sich seit der Zeit der Reformation der Hauptinhalt der
christlichen Botschaft auf die Frage nach dem persönlichen Verhältnis des Menschen zu Gott
reduzierte" (271).
Aber auch bei Benz wird Jes 11,6 herangezogen vom Beieinanderwohnen von Lamm und
Wolf und Kind und Otter. Das bedeutet, daß die reale Wesensart von Raubtieren als Gefallensein interpretiert wird. Ebenso ist die oft gegen den Vorwurf des ausschließlichen Interesses des Christentums am Menschen herangezogene Paulusstelle (Römer 8,18) zweischneidig.
Denn die Vorstellung von einer gefallenen Schöpfung ist immer schon ein Reflex des Nichteinverstandenseins mit der Naturordnung, wie sie vorliegt.
Die deutlichste Gesamt-Apologie vertritt Münk (1987). Zum einen betont er, die Technik sei
eine anthropologische Konstante und versucht, "Umweltzerstörung" schon in der Zeit der
Bandkeramiker nachzuweisen. Seit dem Neolithikum habe es nur noch graduelle Entwicklungen gegeben (151). Andereseits wird römische Ausbeutergesinnung gegen griechische Hemmung gestellt (157) und damit ein anderer Kandidat der Schuldzuweisung geschaffen.51
Münk stützt sich für seine Darstellung des Mensch-Umweltverhältnisses auf die Typologie
von Oldenmeyer.52 Er versucht, sich einer Verantwortung des Christentums auch dadurch zu
50
Pannenberg (Christliche Wurzeln des Gedankens der Menschenwürde, in Kerber S. 70) betont den Zirkelschlußcharakter in den Behauptungen, daß der Mensch Selbstzweck ist für die Begründung des kategorischen
Imperativs bereits voraussetzt, andererseits aber meint, daß Moralität die Bedingung ist um Selbstzweck zu sein.
51
Das scheint mir so nicht haltbar, man denke nur an Tacitus Annalen I,79. Zweifellos liegt der römischen Mentalität näher als der griechischen die Vorstellung, die Natur wolle umgestaltet sein. Aber auch bei Demokrit
findet sie sich schon (Lämmli 1968, 63).
52
Oldenmeyers Darstellung ist extrem modernelastig. Die verkürzende Darstellung macht deutlich, daß er sich
mit der Genese weder des magischen noch des mythischen Naturverhältnisses wirklich beschäftigt hat, sonst
würde er sie auch kaum so fraglos ineins setzen. Freilich ist die Grundbeobachtung wohl richtig, daß Natur kein
Gegenüber ist, sondern ein Kontext, in dem der Mensch eine Organstellung einnimmt. Umso verwunderlicher ist
die pauschale Ablehnung des Realitätsgehalts dieser Beziehungsweise (S 36). Der Ausdruck biomorphganzheitliche Bezugsweise für die zweite Form, die mit der Ausbildung einer Philosophie und eines systemischen Blicks beginnt, signalisiert, daß ein Abstieg vom anthropomorphen Betrachten stattgefunden hat. Die
anthropomorphe Betrachtungsweise von Naturwesen ist ja sinnvoll, wo der Mensch sich tatsächlich als eines
43
entwinden, daß er die fraglichen Ideologeme als nicht-christlichen Ursprungs oder als Mißverständnisse interpretiert. So setzt er dem innerweltlichen Fortschritt gerade die christliche
Jenseitshoffnung, der Selbsterlösung das Angewiesensein auf Gnade entgegen. Von einer
Kontinuität der Ideen könne keine Rede sein (Münk 185), höchstens von einer Kontinuität des
Anspruchs. Genau darum geht es aber. Ideen sind austauschbar, aber die Nischen im Bewußtsein müssen – wenn sie einmal entstanden sind – neu gefüllt werden. Man kann sagen, es geht
nicht um Kontinuität der Inhalte und Antworten, sondern der Attitüden und Fragen. Und zwar
ist zu beachten. daß eben die Fragen nicht Anthropina sind, jedenfalls nicht die Frage nach
einem Fortschritt in die Zukunft hinein oder die Frage nach personaler Unsterblichkeit. Zentral ist vielmehr die Konstellierung der Fragen im Abendland. Man könnte nun hier wieder
fragen, ob das Christentum umkonstellierend gewirkt hat oder ob seine Durchsetzung und
Durchformung selbst eher Produkt einer Umkonstellierung ist, für die andere Faktoren gesucht werden müssen (Trend zur Individualisierung, Introjektion). Aber auch dann ist es berechtigt, den Komplex nach der Gestalt zu benennen, in der er sich verdichtet hat, nämlich
Christus.
Es spielt keine Rolle, wie die Bibelauslegung Bacons sich vor dem Richtstuhl heutiger Theologie ausnimmt (172), wichtig ist, daß Bacon sich auf die Bibel und auf einen Konsens seiner
Zeitgenossen bezieht. Die Vorstellung Bacons von der Natur als Monstrum setzt die Abwertung der Daimones voraus. Etwa anders ist es beim Chiliasmus und bei der Alchemie, der
Münk die Vorstellung von einer zweiten Schöpfung zuschreibt. Es ist kein großer Sprung von
dem Gedanken, die Natur werde von Gott unter Einbeziehung des gutwilligen und rechtgläubigen Menschen als seinem Werkzeug vollendet, bis zu der Vorstellung von einer Selbsterlösung des Menschen durch Naturbeherrschung. Der entscheidende Schritt ist bereits getan,
wenn die Natur als unvollendet, aber vollendbar gedacht wird. Dies setzt jedoch die Vorstellung eines Gottes jenseits der Natur voraus, auf den kein Rekurs nötig wäre, wenn die Natur
die maßgebende Instanz sein könnte. Es ist daher verständlich, daß er als Artifex auch realgeschichtlich wieder verschwindet, nachdem die Natur von der neuzeitlichen Naturwissenschaft
als kreisläufig interpretiert werden konnte.53
unter diesen Wesen begreift. Dies entspricht aber, wie Oldenmeyer auch feststellt, nicht nur dem Wir gegenüber
der Gesamtheit, sondern auch dem Du in der je einzelnen Begegnung. Damit aber umfaßt Oldenmeyers erste
Stufe bereits zwei Personalformen und die Gliederung verliert ihre Plausibilität. Der dritte Typus (Natur als
Gegenstand und Gegenbegriff) schließlich zerfließt völlig und umfaßt vier Untertypen von denen Oldenmeyer
selbst sagt, daß sie möglicherweise vermehrbar sind und die ihrerseits in Unteruntertypen zerfallen (von Platon
über Decartes bis zur Romantik). Oldenmeyers vierter Typ ist dann einer, der eine Integration beansprucht, bezeichnenderweise aber den ersten und zweiten Typus als eigentlich abgetan ausschließt.
53
Zwischen der alten und der neuen Kreisläufigkeit liegt freilich eine Welt und das ist eben die des Christentums. Die Mechanik kann eben nicht aus der Kreisläufigkeit entstehen, solange sie noch wesenhaft gedacht ist,
44
Es ist nicht ausschlaggebend, ob Papsttum bzw. lutherische Orthodoxie chiliastische und dualistische Thesen begrüßt oder abgelehnt haben (187). Wichtig ist, daß das Christentum einen
Nährboden geboten hat, auf dem (und sei es als "Häresien") immer wieder solche Ideen entstanden ist. Die Ideengeschichte, die auf logischen Folgerungen beruht, ist zu ersetzen durch
eine Motiv- Motivations- und Mentalitätsgeschichte, die die reale Konstellation von psychischen Dispositionen zum Thema nimmt.54
Münk führt demgegenüber in idealistisch-ideengeschichtlicher Betrachtung ins Feld, daß
Selbsterlösung gerade nicht christlich genannt werden könne und die christliche Erlösungshoffnung sich nicht auf einen innerweltlichen Zustand richte. Er ist konsequent genug, die
Hoffnung auf einen neuen Himmel und eine neue Erde nicht als Einbeziehung der Schöpfung
in die Erlösung zu verstehen (wie beispielsweise Benz).55 Demgegenüber muß aber eingewandt werden, daß ein Rückgang auf das Urchristentum unmöglich ist, weil er den Rückgang
auf die Naherwartung beinhaltet. Etwas anderes wäre dies, wenn man mit Konrad Dietzfelbinger die urchristliche Rede von der Auferstehung auf ein "wahres Selbst" bezieht, und damit zu anderen antiken Mysterien parallelisiert. Zu erklären ist dann allerdings, wie diese Mysterienauffassung so völlig veräußerlicht werden konnte und zwar ohne nachweisbare Kämpfe, ohne daß auch nur einer der "Kirchenväter" sich deutlich gegen die äußerlich-historische
Auffassung der Erlösung gewehrt hätte.56
Letztlich kann man nach Münk überhaupt nicht mehr von "dem Christentum" sprechen, sondern nur von verschiedenen konfessionellen und sektiererischen Auslegungen. Demgegenüber
betont Kern (1969, 367), daß sich Prinzipien christlichen Ursprungs gegen die offiziellen Kirwas die Marginalitär des Atomismus in der Antike zeigt. Es braucht den Einbruch der Linearität. Es muß die
Natur als Norm zerschlagen werden, und das kann sie nur durch eine andere Norm, damit Normlosigkeit an ihre
Stelle treten kann (daher die zentrale Bedeutung der Spaltung von Faktum und Wert). D.h. das Christentum ist
die Antithese zum Harmoniedenken, die Moderne freilich eine Synthese, die beider Kern negiert.
54
Münk (1987, 198) kritisiert selbst an Drewermann die idealistische Ideengeschichte und fordert, mit anthropologischen Antrieben zu rechnen, doch setzt er diese konstant (Trieb zur technischen Aneignung).
55
Die ausführliche Auseinandersetzung Vögtles mit der entsprechenden Stelle (Apokalypse 21,1 f.) steht selbst
bereits im Kontext der Apologetik gegen White. Vögtle will den Vorwurf abwehren, die Christen könnten an
einer Bewahrung der Schöpfung kein volles Interesse haben, da die Vernichtung dieser Schöpfung geradezu die
Voraussetzung für das neue Jerusalem sei. Er arbeitet nun heraus, daß es dem Apokalyptiker gar nicht auf Aussagen zu einer alten oder neuen Naturordnung ankommt, vielmehr sei die Passage als Hinweis auf ein neues
Verhältnis von Himmel als Sitz Gottes und Erde als Ort des Menschen zueinander durch das nun kommende
Wohnen Gottes unter den Menschen zu verstehen. Dabei zeigt sich freilich zugleich, daß das neue Jerusalem
kein Land mehr um es herum braucht. Dies zeigt sich an dem vom Thron des Lammes ausgehenden Lebenswasser: "Der Seher denkt gar nicht daran, den Strom aus der Stadt herausfließen zu lassen, um eine außerhalb ihrer
befindliche Biosphäre zu beglücken, obwohl ihn die Ezechiel-Vorlage dazu hätte inspirieren können". Einen
vom endzeitlichen Jerusalemer Tempel entspringenden Wasserstrom läßt Ezechiel (41. 1-12) auf das Tote Meer
zufließen und ringsum in der Wüste neue Vegetation entspringen. Das bedeutet, daß die christliche gegenüber
der jüdischen Apokalyptik einen Fortschritt der Entnatürlichung darstellt.
45
chentümer durchsetzten. Es ist überdies unsinnig, als Christentum etwas anderes zu bezeichnen als das, was sich jeweils so nannte. Man kann dann einschränken und sagen, das scholastische oder das nachreformatorische Christentum habe diese oder jene Entwicklung verursacht. Das läßt die prinzipielle Möglichkeit offen, daß ein geläutertes Christentum heilend
wirken könnte. Allerdings sind durch die Kritik an der Endzeiterwartung, der Vergeschichtlichung des Heils, der Anthropozentrik und dem Arbeitsethos zentrale Punkte betroffen.
Die Ablösung des Buchs der Natur durch das Uhrwerk der Natur, des Artifex Mundi durch
den Ingenieur im Ruhestand (methodischer Atheismus der Naturwissenschaften nach Kern
1969, 313), der Vergeschichtlichung des Heils durch die Selbsterlösung sind keine logisch
zwingenden, aber menschlich plausible Tendenzen. Das Christentum war niemals stabil, seit
es von der Naherwartung lassen mußte. Eine Religion, die historische Ereignisse so zentral
setzt, wird vom weiteren Verlauf der Historie abhängig. Auch das Buch ist eben ein Artefakt
(und mit der Technik des Buchdrucks wird dies deutlicher).
Münk liefert Material für diese Prozesse, wenn er etwa konstatiert (165), daß bei Wilhelm von
Conches das Buch der Natur gegen das der Schrift aufgewertet wird, indem der an ihm geschulte Verstand zum Ausleger des zweiteren wird und wenn er gleich danach die Überlagerung der Buch- durch die Maschinenmetapher beschreibt (167 f.). Münk versucht sogar, das
Christentum als Hemmfaktor der Moderne darzustellen. Seine Erklärung der Dynamik als
menschlichem Grundtrieb (203), der selbstläufig wird, wenn erst eine bestimmte Schwelle
technischer Möglichkeiten überschritten ist, erklärt nicht, warum gerade in Europa diese Dynamik in Gang kam und müßte erklären, warum sie überall sonst aufgehalten wurde. Erklärungsbedürftig ist nach Münk, warum alle anderen Kulturen, diese – nach seiner Auffassung
in der Natur des Menschen liegende – Entwicklung nicht eingeleitet haben. Damit setzt Münk
einerseits die christliche Grundkonzeption, die menschliche Natur als unterdrückenswert anzusehen, fort und ebenso den Eurozentrismus, der den Weg aller andern Kulturen und nicht
den Sonderweg des Abendlandes als erklärungsbedürftig begreift.
Die Kritik der Apologeten kann zeigen, daß das christliche Abendland keinesfalls der einzige
Kulturkreis ist, in dem Naturzerstörung entsteht, sie mißachtet aber den qualitativen Unterschied, während sie ihn bei der Technikentwicklung gerade betont. Die normale Naturzerstörung durch agrikulturelle Megamaschinen (Entwaldung, Erosion) muß also von der spezifisch
modernen unterschieden werden. Zuzustimmen ist wohl auch dem Vorbehalt, daß theoreti-
56
Dietzfelbinger setzt diesen Prozeß sehr früh an und sieht eine Überschwemmung der durch Jesus öffentlich
gemachten Mysterien durch Menschen, die zu den entsprechenden inneren Erfahrungen nicht fähig waren, am
Werk (Vortrag vom 19.4.99 in der Seidlvilla München).
46
sche (etwa ästhetische) Hochschätzung der Natur dann nicht ausreicht, Zerstörung zu verhindern, wenn die Kultur einer Sphärenspaltung unterliegt.
Immerhin bleiben einige Fragen Münks als Herausforderung übrig. Eine Theorie, die dem
Christentum ausschlaggebende Bedeutung zuweist, muß folgendes erklären:
1. Warum hat es eine 1500 jährige Inkubationszeit gegeben? Eine mögliche Erklärung bestünde darin, daß in der Völkerwanderung eine bereits eingeleitete Dynamik zurückgeworfen
wurde oder aber, daß das Christentum erst sehr spät breitere Massen der Bevölkerung durchdrungen hat – ein Prozeß, der vielleicht erst mit der neuzeitlichen Hexenverfolgung abgeschlossen wurde.
2. Wie ging aus der christlichen Tradition eine in vielem (Jenseitsorientierung) entgegengesetzte Weltordnung hervor? Ist der Prozeß der Säkularisierung als Metamorphose zu fassen?
Beiden könnte eine gemeinsame Attitüde, eine fragekonstellierende Form zugrundeliegen.
3. Woher kommen die Elemente, die nun wirklich keine christlichen Wurzeln haben, zum
Beispiel das Experiment (etwa tatsächlich aus der Folter?)
4. Was macht den Unterschied zum Islam aus, etwa die geringere Historisierung oder eine
weniger scharfe Dualisierung durch Aufpfropfung?
Ohne jedes Argument weist der konservativ-christliche Pubblizist Rohrmoser den Vorwurf
Amerys zurück. Er sieht diesen nur als ein Symptom dafür, daß die religiöse Intention sich
heute am Christentum vorbei, auf vorgeschichtliche und außergeschichtliche Religionen zu
richten beginnt. Damit verbunden sieht er eine Verabschiedung von Vernunft und Subjektivität, die eine noch größere Herausforderung als der Säkularismus darstelle (Rohrmoser 1990,
280).
47
2.2.2. Apologeten, die ein anderes Christentum wollen
Kern (1969, 297) zählt die folgenden Bibelstellen auf, die eine Entthronung und Unterwerfung der Naturmächte postulieren: Kol 1,16 und 2, 15.; Epheser 1,21; 1. Kor 15,24 und 2,8
sowie 1 Petr 23.22. Bezüglich der Ablösung des geozentrischen durch das heliozentrische
Weltbild spricht er von einem Interferenzphänomen (314). Eigentlich hätte gleichzeitig mit
der Akzeptanz einer nicht zentralen Stelle der Erde die Vorstellung aufgegeben werden müssen, alles Existierende habe seinen ihm gemäßen Platz bzw. der physische Ort sage etwas
über das Wesen der Dinge aus. Nur so konnte die räumliche Nichtauffindbarkeit Gottes als
seine physische und damit reale Nichtexistenz begriffen werden.
Auch Speyer (1989, 466) meint, daß das wissenschaftliche Denken der Antike den Umweg
durch das Christentum brauchte, um Technik zu werden. Er sieht die Richtungsgleichheit von
Christianisierung und Renaissance als Rationalisierungs- und Emanzipationsprozesse. Er
spricht von einer Tendenz zur Spiritualisierung und Konzentration (473). Die Verwechslung
von Sinn und Zweck (Krolzik 1988, 40) ist für das Christentum konstitutiv. Vorgänger ist hier
vor allem die Stoa.
Ein Rückgriff auf einen Schöpfergott bringt keinerlei Hilfe für dieses Problem. Der Schöpfer
fügt zum Mechanismus nichts hinzu, ja er ist die Voraussetzung dafür, die Welt als Maschine
denken zu können, solange sich das Modell noch nicht verselbständigt hat und auf eine Konsistenz des Vergleichs angewiesen ist (keine Uhr ohne Uhrmacher). "Omnia in mensura et
numero et pondere disposuisti" (Sap Salom 11,21)
Es ist darauf zu verweisen, daß die Vorstellung von einer Mitarbeit des Menschen an Gottes
Schöpfungsplan in dem Augenblick in das Programm einer selbstbestimmten Ausarbeitung
übergeht, wie die Vorstellung von der Ebenbildlichkeit substituiert wird durch die Schöpfungsfähigkeit des Menschen, insofern sich nicht mehr glaubwürdig aufweisen läßt, was denn
Gottes Plan war (außer Freisetzung) und was denn Ebenbildlichkeit sein soll außer Schöpferfähigkeit. Das teleologische Denken bringt keine andere Methode der Naturbetrachtung mit
sich.
Krolzik (1979, 83) fordert, von der räumlichen Transzendenz einer Hinterwelt abzugehen in
Richtung auf eine zeitliche, also auf etwas, was sich entwickeln will. Es bleibt jedoch unklar,
woran der Plan eines – dann eher innerweltlich verstandenen – Gottes abgelesen werden sollte, wenn nicht an der Tendenz der Geschichte selbst. Eine solche affirmative Position bedeutete jedoch die Aufgabe des letzten kritischen Potentials des Idealismus. An seine Stelle könnte bei Vermeidung willkürlicher Auslegung der Apokalypse nur die schlichte Endlichkeit, der
48
apokalyptische Imperativ treten. Demgegenüber scheint es mir sinnvoller, auf einen karmischen Zusammenhang des Ausgleichs von Polaritäten zu verweisen: was man sät, das bestimmt, was man erntet: und es ist ein Unterschied, ob man Atomspaltung sät oder Gelassenheit.
Ansatzpunkt für eine Diskussion mit den Apologeten kann sein, daß noch bei Origines manche Wesen (er nennt Seeungeheuer und wilde Tiere) von der Herrschaft des Menschen ausgeschlossen sind (Krolzik 1979, 75). Sieht man von der Möglichkeit der Verteufelung ab, stehen
damit bestimmte Naturwesen auf einer Stufe mit den Menschen. Gegenüber der Vorstellung,
daß Macht im Naturverhältnis ursprünglich und erst sekundär (asiatische Despotie) und unrechtmäßig auf zwischenmenschliche Verhältnisse übergegriffen habe, betont Krolzik (1979,
62) im Ansschluß an Gigon (zit. bei Lämmli 1968, 62), daß der Wille zur Macht sich zunächst
auf den politischen Bereich beziehe. Hier kommt die Subjekt-Objekt-Spaltung in Gang, nicht
im Bereich der Natur, der sich der Mensch via Leiblichkeit bis zum Einbruch des Dualismus
verbunden weiß. Weiter geht Sherrard (1987, 111), der gegen das Handswerkerparadigma
eine Lehre von der Ausgießung Gottes in die Schöpfung vorschlägt, die an die Lehre des heiligen Geistes anknüpfen könnte. Damit nähert er sich ostkirchlicher Tradition.
Eine "Renaturierung des Christentums" in einem viel durchgreifenden Sinn hält der protestantische Theologe Christian Bendrath für angezeigt. Auch er wendet sich gegen die Kapitulation
des Christentums vor der Moderne, sei es in der Manier Bultmanns oder Barths. Barth hat ein
religionsloses Christentum proklamiert, in dem er wie Feuerbach Religion als menschliche
Projektion auffaßte und ihr einen unaussagbaren Gott gegenüberstellte. Dahinter steht letztlich
eine konstruktivistische Erkenntnistheorie, nach der es numinose Erfahrung nicht gibt.
Bendrath nun fordert konsequent, sich auf die Erfahrung aller Zeiten und Völker zu besinnen
und im Wissen darum, daß diese immer nur von einer spezifischen Kultur und Sprache getragen sein kann, die in der abendländischen Tradition hervorgebrachten Formulierungsversuche
zum Ausgangspunkt zu nehmen. Das Christentum solle sich konsequent als Religion unter
Religionen definieren, also hinter den Monopolanspruch der konstantinischen Wende zurückgehen und die staatstragende Selbstrechtfertigung als Kitt der Gesellschaft aufgeben. Wenn
stattdessen das Christentum als historische Wurzel der „westlichen Wertegemeinschaft“ und
der „modernen Wissenschaft“ legitimiert wird (Böckenförde-Axiom), dann müsse konsequenter Weise mit den Säkularisaten auch die Säkularisierung bejaht werden.
Religion für unabdingbar zu erklären, da der Säkularismus nicht nachhaltig sei, ist ein problematisches Argument, denn es definiert Religion funktional und hat ihr damit bereits die
49
Grundlage entzogen. Glauben wird dann zum ethisch notwendigen Sacrificium intellectus.
Die abendländische Unkultur als Spaltprodukt hat sich damit selbst eingeholt.
2.2.3. Anthroposophische Apologeten
Wegen der Bedeutung der Anthroposophie für die praktischen Ansätze der Ökologiebewegung (biologisch-dynamischer Landbau etc.) und des deutlich von den großen Kirchen abweichenden, aber positiven Bezugs der Anthroposophie auf Christus (eigene Kirchenbildung unter dem Namen "Christengemeinschaft") und weil die Christengemeinschaft einen bereits
existierenden Entwurf eines anderen Christentums (mit Einbeziehung von Reinkarnationsgedanken und Naturgeistern etc.) darstellt, sei hier auch noch die anthroposophische Auseinandersetzung mit der Lynn-White-These herangezogen.
Ihr zugrunde liegt die Steinersche Geschichtsbetrachtung. Steiner denkt Geschichte in einer
Parabelfigur: Abstieg in den Materialismus und Wiederaufstieg der spirituellen Verbindung
mit der Welt, wobei er den Tiefpunkt – auf 1879 datiert – knapp hinter sich wähnt.57 Steiner
wertet aus der Perspektive eines kommenden Wiederaufstiegs das Verblassen früherer Wahrnehmungsebenen (etwa der Naturgeister) als zwar tragisch, aber letztlich positiv, da nur so die
Freiheit errungen werden konnte, die nun mit der Wiedergewinnung alter Wirklichkeitsebenen verbunden werden sollten. Dies wird von fast allen anthroposophischen Autoren unbefragt übernommen. Wohin dies führt, läßt sich nicht nur an Extrembeispielen sehen, etwa
wenn Peter von Siemens die Kernkraftentfesselung als Beitrag zur Entmaterialisierung der
Erde rechtfertigt.
Steiner betont zwar programmatisch und ideologisch den Fortschritt, praktisch aber überwindet er den Evolutionismus durch einen Schritt zurück. Seine Kosmogonie gleicht im Schema
der von Nasr. Nur behauptet er, sie sei individuell schaubar und diese Schaufähigkeit auf einem von ihm angegebenen Weg methodisch entwickelbar. Dies hat sich freilich durch die
Geschichte seiner Schulbildung als problematisch erwiesen, denn keiner seiner Schüler hat
seine Schaufähigkeit auf dem von Steiner angegeben Weg so weit entwickelt, daß er ihn hätte
fortsetzen können. Es ist kennzeichnend für den größten Teil anthroposophischer Literatur,
daß der Stellenwert von Aussagen häufig im Unklaren bleibt: handelt es sich um Schauungen
Steiners, Lesefrüchte Steiners, eigene Wahrnehmung etc.
Steiner sieht als das wahre Christentum eine Unterströmung an, die das Christusereignis als
Mysterienprozeß deutet. Er knüpft damit an die Selbstauslegung sich gegen die Großkirche
50
auf Christus berufender Gruppen wie der Waldenser und Katharer und an die rosenkreuzerische Tradition an. Das Christentum der großen Konfessionen setzt er davon scharf ab und
schreibt ihm eine historische Rolle zu, die teilweise als verhängnisvoll, teilweise als notwendig, aber in Zukunft zu überwinden, dargestellt wird.58 Einer der Hauptvorwürfe in diesem
Zusammenhang lautet, die katholische Kirche habe "den Geist abgeschafft" (GA 175, 175 ff.).
Steiner bezieht sich auf fragwürdiger Textgrundlage und abhängig von Otto Willmanns "Geschichte des Idealismus" auf das 8. ökumenische Konzil, das dekretiert habe, der Mensch bestehe aus Körper und Seele und nicht aus Körper, Seele und Geist.59 Dadurch sieht er einen
Prozeß eingeleitet, der im 19. Jahrhundert auch zum Hinwegdekretieren der Seele geführt
habe60 und in der Auffassung vom Menschen als Produkt von Genen kulminiert. Damit ist
dann der notwendige Wendepunkt erreicht. "In dem Widerstand, der entwickelt werden muß
gegen die Abschaffung der Seele, wird auch die Kraft gefunden werden, den Geist wieder zu
erkennen" (GA 175, 180).
Die eigentliche Bedeutung des Christus-Ereignisses ist für Steiner nur zu erkennen, wenn man
wesentlich größere "prä- oder hyper-historische Dimensionen“ dazunimmt, die Steiner in seiner Geheimwissenschaft als frühere Verkörperungszustände der Erde beschreibt. Dazu gehört
die Vorstellung, daß der Mensch als (freilich nicht verkörpertes) Wesen älter ist als die Erde,
und die ganze Erdentwicklung wesentlich durch die Entwicklungsnotwendigkeiten des Menschen verursacht ist.61 Götter haben um der Entwicklung der dem Menschen zukommenden
Freiheit willen die Entwicklung "luziferischer" und (als ihre Gegenkräfte) "ahrimanischer"
Wesen zugelassen. Durch sie ist überhaupt erst die Verfestigungstendenz (Materie) in den
Kosmos gekommen, durch sie sind die Wesen der Natur den Naturgesetzen unterworfen.62
Diese Verfestigungstendenz bedingt nun ein zunehmendes Absterben der Lebendigkeit der
57
Das entspricht auch dem Lebensgefühl der Lebensreformbewegung der Zeit vor dem ersten Weltkrieg (vgl.
R.H. France 1913 oder Schulze Naumburg 1916).
58
Einen großen Teil dessen, was in dieser Studie als historischer Einfluß des Christentums beschrieben wird,
würde in anthroposophischen Kreisen als luziferischer Einfluß bezeichnet.
59
Steiner sieht darin eine notwendige Konsequenz der Ablehnung der Reinkarnationsidee: "Es gibt keine Möglichkeit zum Begriff des Geistes zu kommen, ohne zum Begriff der Wiederholten Erdenleben zu kommen" (GA
175, 188), gemeint ist mit Geist hier die Geisthaftigkeit des Einzelmenschen.
60
In dieser These von einem fortschreitenden Verfall der spirituellen Substanz des Kirchenchristentums kann
man eine Säkularisierungsthese sehen.
61
Das trifft sich mit traditionell christlichen Vorstellungen insoweit, als auch mittelalterliche Denker wie Thomas von Aquin (als dessen Reinkarnation Steiner von manchen seiner Anhängern angesehen wird) die übrigen
Organismen erst mit dem Menschen entstanden und auch mit ihm endend sieht (vgl. Mitterer 1934, 24).
62
Ein Steinerinterpret äußerte mir gegenüber die interessante Ansicht, daß sich in der geringeren Selbstverfehlungsmöglichkeit von Pflanzen und Tieren (die, wenn sie entarten oder krank werden, meist schnell zugrundegehen) zeige, daß es für sie gar nicht um Entwicklung unter den irdischen Bedingungen gehe, daß sie sozusagen
nur um des Menschen willen, in sie hineingebannt seien.
51
Gaia,63 und das Christusereignis als Verbindung eines Sonnenwesens mit der Erde hat gerade
auch die Bedeutung einer Verlangsamung dieses Todesprozesses, der an sich aber unabwendbar ist. Damit einher geht die Vorstellung, daß die heutige Erde einerseits allein um der
menschlichen Entwicklngsmöglichkeit willen da ist, und daß sie, wenn heute der Mensch von
ihr verschwände, noch viel schneller zugrunde ginge. Deshalb eignet anthroposophischen
Betrachtungen der ökologischen Problematik ein harscher Anhropozentrisms und eine Feindstellung gegenüber einer "menschenlosen Ökologie" (Suchantke 1993, 197 f.). Man kann sagen: Die Anthroposophen kritisieren zwar sehr viel am Christentum der großen Konfessionen,
übernehmen aber andereseits den Namen nicht ganz zu Unrecht, denn wesentliche, gerade im
Zusammenhang der hier skizzierten Debatte wichtige Merkmale, wie die wesentliche Bezogenheit auf ein überweltliches, weltjenseitiges Geschehen und die Vorstellung eines notwendigen Zugrundegehens der Natur, sowie eine damit zusammenhängende leibverachtende Tendenz, haben sie mit dem Kirchenchristentum gemein.
Steiner hat eine symptomatologische Geschichtsbetrachtung gefordert. Was er selbst bietet,
wird dem Namen kaum gerecht: Der größte Teil seiner Geschichtsbetrachtungen ist Konstruktion über ein vorausgesetztes Schema, bzw. Berufung auf "übersinnliche" Daten,64 deren
Nachprüfbarkeit an ein Stadium des "Schulungswegs" gebunden ist, das, wie bereits erwähnt,
offensichtlich keiner seiner Schüler erreichte. Die Umweltgeschichte erscheint in anthroposophischer Sicht als Funktion der Bewußtseinsgeschichte. Das Grundschema ist die erwähnte
Parabelfigur. Dem Wiederaufstieg der Menschheit entspricht, daß die ihr in der anthroposophischen anthropozentrischen Vorstellung ohnehin zukommende Zentralstellung im Kosmos
sich nun auch äußerlich immer mehr zeigt, indem wo einst Natur war, nun Kultur wird.65
63
Steiner bezieht sich dafür auf den Geographen Eduard Sueß, der in seinem Buch "Das Antlitz der Erde" die
These stärkerer Lebendigkeit in früheren Erdzeitaltern vertrat (dazu: Steiners Vorträge vom 11.2.1911 (GA 127)
und vom 30.9.1922 (GA 347). Damit ist die Anthroposophie wohl die einzige Richtung, die die "senectus mundi" Vorstellung der frühen Christen weiterpflegt (vgl. Cyprian Ad Demetrianum 3-8 unter Rückgriff auf Lukrez
II, 1150; Commodian Apol. 843 ff.; Orosius Apol. 26,4.). Die Idee einer organisch alternden Welt fanden die
Christen freilich in der zyklischen Vorstellung der Griechen bereits vor (z.B. Lukrez II, 1150 ff.), ebenso wie die
Kritik an menschlicher Mißwirtschaft (Platon Kritias 3bc) und einer Verschlechterung der menschlichen Physis
seit dem Heroenzeitalter (Pausanias I,35,5 ff. und VI,5.1 sowie christlich gewendet Arnobius adv. nat. II, 75);
vgl. dazu Demandt 1978, 37 ff.; Demandt 1984, 347 f.; 369).
64
Wo er sich auf historische Belege bezieht, herrscht meist ein unkritischer Quellenumgang vor, so wenn er sich
für die These, daß viele römische Kaiser "eingeweiht" gewesen seien und sich bemüht hätten, den Christuskult in
die Staatsreligion zu integrieren (GA 175, 280), auf Lasaulx bezieht und nicht berücksichtigt, daß dieser wiederum auf den Werken spätrömisch-christlicher Geschichtsschreiber fußt, die die "guten Kaiser" (etwa Hadrian und
Alexander Severus) christentumsfreundlich darstellen wollten. Man kann im Sinne von Lasaulx und Bachofen
durchaus manches gegen die quellenkritische Methode sagen, wenn man davon ausgeht, daß wir uns nicht anmaßen sollten, die Mentalität einer Zeit besser zu verstehen, als die, die ihr näher standen, aber hier handelt es
sich eben um Naivität.
65
Es scheint mir bemerkenswert, daß ein ähnlicher Ansatz sich auch in der katholisch neo-thomistischen Argumentation findet. Mitterer (1934, 19) revidiert die mit der modernen Naturwissenschaft nicht vereinbare Vorstellung des Aquinaten von der Rolle der Engel als Diener Gottes, die Bewegung in die Natur bringen, so daß er den
52
In jüngster Zeit hat Martin Rozumek in einer Studie zum Stand der anthroposophischen Forschung auf ökologischem Felde versucht, eine geistesgeschichtliche Einordnung der ökologischen Frage zu geben. Rozumek erhebt den Anspruch, das Schema einer Verschiebung der
Wahrnehmung vom Wesen über Offenbarung und Wirksamkeit auf das Werk66 nicht dogmatisch vorauszusetzen, sondern aus Beobachtungen herzuleiten. Das ist allerdings immer
schwierig, wenn man schon ein Ergebnis im Kopf hat, das man herausbekommen möchte. Die
Thesen von White passen nicht in sein Bild.
Rozumek meint, White seien "unbelegte Behauptungen und wissenschaftliche Mängel nachgewiesen" worden (Rozumek 1997, 72). Als schwerstwiegendes Argument der christlichen
Apologeten bezeichnet Rozumek die Unterscheidung von ursprünglich christlichen Lehren
von dem, was in der Neuzeit daraus geworden ist. Das negiert aber gerade die Fragestellung,
inwiefern die Moderne eine Metamorphose des Christentums ist. Demgegenüber lautet die
Frage der Apologeten immer, ob nicht auch ein anderes Christentum möglich gewesen wäre.
In anthroposophischer Lesart radikalisiert sich dieses Vorgehen soweit, daß Steiner sich einfach für alle seine Lehren das Attribut christlich anheftet und das real existierende Christentum als Abweg erklärt. Dennoch fühlen sich aber Anthroposophen meist bemüßigt, auch das
historische Christentum als Fortschritt zu deklarieren, und zwar sowohl mit dem Argument,
daß es zur Entmythologisierung beigetragen habe, als auch, daß es einen spirituellen Impuls
vermittelt habe. Rozumek (106) fragt rhetorisch, was wohl nach dem Verdämmern der antiken Mysterien ohne diesen neuen Einschlag aus der Menschheit geworden wäre.67 Dazu
kommt noch, daß einfach behauptet wird, das Golgathaereignis habe einen Zerfallsprozeß der
Erde aufgehalten. Das geht bis zu Spekulationen, daß sich dadurch die Naturgesetze geändert
hätten, daß es z.B. vorher keine Radioaktivität gegeben habe.
Viel mehr als bei White ist bei Rozumek offensichtlich, daß er die Fakten nach Sympathien
gewichtet. Die neolithische Revolution erscheint bei ihm als uneingeschränkter Gewinn im
Bezug auf Sicherheit etc.68 Daß Ackerbau Versalzung der Böden und Erosion hervorgerufen
Menschen an diese Stelle setzt und die Technik als Dienst des Menschen an der Entfaltung der Schöpfungspotentiale sieht. Damit wird explizit der Mensch an die alte Stelle der Engel gerückt.
66
Gewonnen aus Steiner: Anthroposophische Leitsätze GA 26, S. 76-81 und 94-99 vgl. auch Dietz zit. Rozumek
1997, 54.
67
Dabei wird erstens mißachtet, daß das Verdämmern zu erheblichen Teilen Zerstörung war, zum andern liegt
dem eine historisch unhaltbare Interpretation der Mysterienkulte zugrunde, die auf Steiners 1902 veröffentlichtem Buch "Das Christentum als mystische Tatsache" beruht. Die Mysterien der Erfahrungsreligion verkünden
nicht die Unsterblichkeit des Individuums, sondern entweder das Einverstandensein mit seinem "Eingehen" in
den Weltzusammenhang, oder aber die Fähigkeit einzelner großer Persönlichkeiten, sich eine Erinnerung für
zukünftige Leben zu behalten.
68
Demgegenüber R. P. Sieferle (1997), der die relative Stabilität der Jäger- und Sammler-Kulturen (auch was
Krankheiten angeht) herausarbeitet, ohne sie zu romantisieren. Ähnlich auch Nolte 1998, 19; 97.
53
hat, wird zwar nicht geleugnet, aber eher dem Verfall der jeweiligen Kultur zugeschrieben als
ihrer Tätigkeit selbst (44). Daß Kulturen endlich sind, gehört aber nun einmal zu ihrem Wesen, und das Problem liegt, wie bei den Atomreaktoren im Bezug auf den nächsten "völkerwanderungsartigen" Einbruch eben darin, daß das, was der Mensch einmal verändert hat, seinen kontiuierlichen Eingriff braucht.
Ebensowenig läßt sich zwischen den Folgen des Christentums und den Folgen seiner Säkularisierung (72) trennen, denn das Christentum ist von Anfang an seinem Wesen nach ReligioVernichtung. Es ist eben nicht so, als wäre der Bezug zu den Göttern der Erfahrungsreligion
von selbst verblaßt und dann das Christentum als religiöse Erneuerung aufgrund seiner Evidenzkraft (79) gekommen, sondern es ist erfolgreicher Exponent jener ichbezogenen Seelenhaltung, die den Bezug zu den Göttern nicht mehr suchte (worin sich orientalische Hybris und
griechischer Intellektualismus paaren). Es hat das Heidentum mit Gewalt besiegt, nachdem es
zur Rechtfertigungsideologie römischer und fränkischer Imperatoren geworden war.
Die rhetorische Frage, was ohne den Einschlag des Christentums aus der antiken Welt geworden wäre (106), ist dahin zu beantworten: Es hätte sich eine ähnliche Ideologie (mit einem
Mithras oder wem immer als Soter durchgesetzt). Insofern ist das Christentum nicht Ursache,
sondern Symptom. Doch ist sehr fragwürdig, ob eine andere Erlösungsreligion auch die sonstigen Bedingungen mit sich gebracht hätte, die für die Moderne nötig waren, etwa die Adelung der Handarbeit, die Fortschrittsvorstellung von Geschichte. Umgekehrt sind Formen des
Christentums nicht nur denkbar, sondern auch geschichtlich vorhanden, die keine entsprechende Dynamik entfalteten (etwa in der Ostkirche). Interessant ist die Wahrnehmung einer
Parallele von antiker und mittelalterlicher Entwicklung in Richtung Verlust des Weltbezugs
(91). Die Völkerwanderung hat den Orient, der die Spätantike weitgehend prägte, wieder auf
seinen geographischen Raum zurückgeworfen, wo er dann dem Islam anheimfiel.69
Das Verblassen der Fähigkeit, Natur auf der Wesensebene zu begreifen, wird von Rozumek
als ein naturwüchsiger Prozeß gesehen (55). Demgegenüber ist festzuhalten, daß es die Menschen waren, die sich die Wahrnehmung verbauten, indem sie in ihren Kategorien immer
mehr die Gegenständlichkeit zum Zweck der Bemächtigung dominieren ließen. Nicht eine
naturwüchsige Entwicklung des Denkens (58), sondern der Bemächtigungswille zerstört den
Bezug zur Natur. Die Frage nach dem Wahrheitsgehalt unserer Begriffe ist nicht identisch mit
der Frage nach der Möglichkeit der Bemächtigung (59).
69
Der Islam erscheint in anthroposophischer Perspektive leicht als Intellektualisierung und als der eigentliche
Nährboden der neuzeitlichen Wissenschaft. Steiner hat etwa Bacon als Reinkarnation von Harun al Rashid angesprochen (GA 239 und 240).
54
Die entscheidende Frage bleibt bei Rozumek wie auch bei White ungestellt, nämlich: was
denn überhaupt Menschen bzw. Kulturen dazu verleitet, hinter die Götter der Erfahrungsreligion zurückzufragen auf ein imaginäres beständiges Sein,also nicht bei den Phänomenen zu
bleiben, die, wie Goethe so schön sagt, selbst das Wesen sind.70 Meine These ist: Dies ist immer das Nichteinverstandensein mit der Welt, zentral mit der eigenen Sterblichkeit, und der
Wille zur Bemächtigung führt zum Versuch einer Änderung des nichtakzeptierten Zustands.
Erfahrungsreligiöses Denken und noch Anaximander lassen den Urgrund, der denknotwendig
ist, unbenannt. Jede Benennung verfehlt den ungegenständlichen Charakter und führt in einen
Dualismus. Ob der Name Maat, Tyche oder Gott ist, spielt nur insofern eine Rolle, als mit der
Benennung als Gott der Name des erfahrbaren Universalcharakters auf das Außerweltliche,
Ungestalthafte übertragen ist, das besser als Logos benannt werden sollte. Damit müssen Götter der Erfahrungsreligion (Theoi) begrifflich zu Vermittlern (Angeloi) herabgestuft werden,
wie das in der Theosophie und Anthroposophie auch geschieht.
Um dem Mangel der Unerfahrbarkeit abzuhelfen, muß ein Mittler eingeschoben werden (wie
im Kirchenchristentum), der freilich auch nicht erfahrbar ist oder es müssen sogenannte übersinnliche Erfahrungen postuliert werden (wie in der Theosophie). Was als Christuserfahrungen bezeichnet wird, sind wohl ungenau zugeschriebene Erfahrungen der erfahrungsreligiösen
Numina, darunter vor allem solche palladischer (von Pallas Athena) und dionysischer Art.71
Alles wird von Rozumek nach alt und fortschrittlich sortiert.72 So ist zwar die Bemerkung
wichtig, daß das griechische Naturverständnis, das den Naturmächten als Göttern unmittelbare Begegnungsfähigkeit zuschreibt, tiefer in den Wurzelgrund reicht als das ägyptische, mit
dem Konzept der Maat, das bereits einen Dualismus beinhaltet (54). Der Grund dafür liegt
freilich in der unterschiedlichen Naturerfahrung einer Hirten- und Ackerbauwirtschaft auf
europäischem Boden, dessen Wasser vom Himmel kommt und einer Bewässerungswirtschaft.
70
Rozumek verunmöglicht sich diese Frage durch einen platonisierenden Wesensbegriff. Der unbewegte Beweger ist nicht das Wesen der Welt, sondern ihr bloß gedachter Ausgangspunkt. Insofern ist das, was bei Eriugena
neu ist, gerade nicht eine erneuerte Wesenserkenntnis (Rozumek 1997, 76), sondern der Keim der Lebensweltzerstörung.
71
Zur Rekonstruktion des Gewissens als palladischem und des heiligen Geistes als dionysischem Numen: Hermann Schmitz: System der Philosophie Bd 3.4., 65 zum Gewissen ausführlicher Band 3,3., 639-660. Vieles, was
palladisch ist, wird in Steiners Terminologie michaelisch genannt.
72
Vgl. Falter: Fortschrittssucht als Hindernis realistischer Kulturkritik in: Jahrbuch für anthroposophische Kritik
1998, 193 ff.. Den Gipfel des Unverständnisses bildet Rozumeks (1997, 107) Bemerkung, auf der Ebene von
Entwicklungsbetrachtung gebe es keine Schuld. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: eine Entwicklungsbetrachtung, die teleologisch arbeitet, vernichtet das erfahrungsreligiöse Schuldempfinden, das auf einem zyklischen
Weltbild aufruht.
55
Dieser Unterschied ist einer von Bewirtschaftungskulturen. In den Wüstenkulturen73 ist Natur
etwas Tödliches, nicht etwas Lebenspendendes.
Die Konsequenz des bei Rozumek zu Tage tretenden Denkens ist das in anthroposophischen
Kreisen deutliche Desinteresse an freier Natur und Wildnis (Suchantke a.a.O. Jochner-Freitag
148), das Vorherrschen des landwirtschaftenden Paradigmas, d.h. auch innerchristlich des
benediktinischen im Unterschied zum franziskanischen Zugang.
2.3. Apologeten der Moderne
Lange Zeit hielt sich die Vorstellung von der Kirche als Verzögerer der Modernisierung. Das
wichtigste Beispiel hierfür sind die Prozesse gegen Galilei (1616 und 1633). Die meisten Darstellungen der Ereignisse (etwa Dijksterhuis 1956, 424 ff.) setzen die Trennung von Glauben
und Wissen immer bereits voraus, d.h. jenen Rückzug der Wertfragen in den Glauben, der die
abendländische Spaltung zementiert.74
Max Webers These einer Kontinuität von jüdischer Entzauberung und Rationalisierung und
Moderne wird nach wie vor diskutiert. Als ihren schwächsten Punkt hat Andreski das Konzept der Rationalisierung bezeichnet.75 Andreski wendet sich gegen die Skalierung von Religionen nach Rationalität und betont, daß die jüdische Religion nicht als magiefeindlich zu
bezeichnen sei, sondern daß sie nur andere Götter und rituelle Praktiken zugunsten ihrer eigenen besonders intolerant bekämpft.
Max Weber sieht den Ausgangspunkt der Entzauberung in der Frage nach der Theodizee, also
dem Leiden an der Kontingenz der Welt (dies muß freilich als ein bereits Herausgefallensein
aus der Sichtigkeit für die Schuldzusammenhänge gewertet werden). Der ethischmethodischen Rationalität jüdischer Provenienz stellt er eine wissenschaftliche griechischer
Provenienz an die Seite. Der entscheidene Schritt ist aber nicht die Begriffslogik, sondern das
Experiment, und das ist offensichtlich in der Antike gehemmt und kommt erst in der Renaissance zum Zuge. Adorno/Horkheimer dagegen sehen den Ausgangspunkt im List-Charakter
der Magie. Diese These wäre ohne weiteres von der Hand zu weisen, wenn nicht tatsächlich
der Prometheusmythos dergleichen schon nahelegen würde (Opferbetrug als Ausdruck rech73
Vgl. Stefan Brönnles (1994, 52 f.) Rede von einer Zone der Religionsstifter.
Man kann allerdings mit Marie Theres Fögen (1993, 313 ff.) die Trennung von göttlichem und menschlichem
Wissen bereits im 4. Jahrhundert ansetzen. Damit sei die antike Einheit von sapientia und scientia gesprengt
worden, einerseits habe sich damit eine Emanzipation der Religion vom Erklärungszwang, andererseits eine
Emanzipation der Wissenschaften vom Weisheitsanspruch ergeben. Als Motoren dafür sieht sie den Wunsch
nach Willensfreiheit und besonders den Wunsch des Kaisers nach Unkontrollierbarkeit.
74
56
nenden Denkens). Alexander Kojève (zit Kern 1969, 303) betont die Bedeutung des Christentums als Hintergrund der wissenschaftlichen Revolution, spricht sich aber zugleich für ein
Weiterschreiten zu einem explizit atheistischen Fundament aus.
Stellvertretend für eine Reihe von Autoren, die das Verschwinden von Natur auch heute noch
als Sieg der Aufklärung feiern,76 sei hier Simon Schama genannt. Er reiht White unter die
Bestimmer eines ökologischen Sündenfalls ein, den er mit dem schweren Pflug im 7. Jahrhundert nach Christus verortet habe. Radikale Kulturkritik wird von Schama mit dem Hinweis
ironisiert, daß sie sich nur auf die Steinzeit berufen könne, da später bereits die Dynamisierung eingesetzt habe (22), ohne die Zeitdimensionen zu erwähnen.77 Es scheint mir kein Zufall zu sein, daß der Autor seine eigene jüdische Sozialisation stark betont. In der Negierung
einer außermenschlichen Bedeutungsgeladenheit von Natur wirkt der Kampf des Wüstengottes gegen die Göttlichkeit der Naturmächte fort, auch wenn sie sich im Zeitalter eines schon
weithin gelungenen Zerstörungswerks liberal gibt. Die Parallele zwischen christlicher (Rozumek), islamischer (Zaid) und aufklärungswütiger (Hard) Wildnisnegation, zeigt noch einmal
unfreiwillig die Brisanz auch der einfachen Monotheismusthese. Was ihnen allen fehlt ist die
Möglichkeit, Zweckfreiheit zu denken.
Als typische Apologeten der Moderne, die die Anthropologie "emanzipationstheoretisch"
zurechtbiegen wollen, erkennen Ruth und Dieter Groh (1991, 104, 35) Whites mittelalterliche
"Wurzeln" der Umweltkrise nicht an: Es will ihnen nicht einleuchten, welche skurrilen Gedanken für das ihnen unumstößlich scheinende szientistische Weltbild Pate stehen. Immerhin
akzeptieren sie die Einzelelemente "Entgöttlichung der Natur", "Gottesebenbildlichkeit des
Menschen", "Artifizialismus der Schöpfung", vor allem aber das Christentum als ursprüngliche metaphysische Basis für jenen Optimismus und Fortschrittsglauben, der alle Säkularisierungen überdauerte.
75
Weber setzt tatsächlich implizit eine kulturunabhängige Rationalität voraus. Freilich ist er gegenüber manchen
seiner heutigen Kritiker, etwa Benjamin Nelson (1984), die eine völlig naive Fortschrittsgeschichte schreiben,
bemerkenswert reflektiert (zu Nelson vgl. Bily 1988, 459 ff.).
76
Der Geograph Gerhard Hard (1993, 172) spricht aus, daß die Rede von Natur immer verdächtig sei, zu einer
"Großideologie der Neuzeit" zu gehören, nämlich der "altkonservativen Kritik an der unbegrenzten Autonomie
des Menschen".
77
Ja es soll Hoffnung ohne Umkehr suggeriert werden, indem die Mythologisierung und Erhaltung der Natur als
ein Anthropinum neben der Zerstörung gesehen wird, "daß die kulturellen Gewohnheiten der Menschheit immer
Platz für eine Heilung der Natur gelassen haben" (28), ohne zu fragen, ob Tourismus und moderne Kunst, auf die
er sich bezieht, nicht historische Nova als Perversionen dieses Anthropinums darstellen. Mythos dagegen wird
selbst in der modernistischen Form von Anselm Kiefer als gefährlich betrachtet. Als Beweis muß die angebliche
Anfälligkeit großer Mythologen, wie Jung und Eliade, für autoritäre Ideologien herhalten (151). Wir haben hier
also alles beisammen, was zum Waffenarsenal der geisteswissenschaftlichen Handlanger der Zerstörung gehört:
Konstruktivismus, Kulturalismus, Totalitarismusängste und flacher Optimismus.
57
Als Apologeten der Moderne in christlicher Tradition müssen auch die Verfechter des von
Hans Küng auf den Weg gebrachten "Projekt Weltethos" bezeichnet werden. Bezeichnend ist,
daß in dem von Hans Kessler herausgegeben Band "Ökologisches Weltethos im Dialog der
Kulturen und Religionen" die Kapitel, die die nicht christlichen Religionen betreffen, nicht
von deren Vertretern, sondern von verwestlichten (Islam) oder christlich bekehrten (Japan)
Autoren geschrieben sind. Das Ergebnis ist durchgängig, daß der Islam, die chinesische oder
japanische Kultur keinen substantiellen Beitrag zu einem ökologischen Weltethos zu leisten
hätten. Dabei wird unreflektiert die Trennung von Naturphilosophie, Metaphysik und Ethik
sowie ein universaler Geltungsanspruch und Begründbarkeit vorausgesetzt und bei solchen
"gleichen" Startvoraussetzungen schneiden natürlich die nichteuropäischen Kulturen schlecht
ab.
Ich kann nicht beurteilen, ob sich die These der zum Christentum konvertierten Japanerin
Haruko K. Okano halten läßt, daß sich die Zen-buddhistische Lehre, "nach der die BuddhaNatur in allen Lebewesen sowie allen Dingen immanent vorhanden ist", später in eine allgemeine Ästhetisierung der Natur auflöste (139). Wenn ja, wäre dies ein interessanter Parallelprozeß zum Abendland. Haruko K. Okano will zeigen, daß theoretische Hochschätzung der
Natur noch nicht zu ökologischen Verhalten führt (141). Sie meint, daß angesichts der "Sündigkeit des Menschen", auf die jede Diesseitsbejahung führt, dazu eine Jenseits- und Pflichtenlehre eher in der Lage sei.
Auch in der Philosophie Watsuji Tetsuros, der sich mit seiner Philosophie der vorgängigen
Bezogenheit des Menschen auf Begegnendes gegen die individualistische Konzeption westlicher Ethik wendet, sieht sie keinen brauchbaren Ansatz. Sie verweist auf den Widerspruch
dieser Konzeption zum abendländischen Individualismus, aber auch zu der universalistischen
Konzeption der Menschenrechte, denn eine auf die konkrete Bezogenheit von Mensch zu
Mensch ("Zwischenmenschlichkeit") aufbauende Ethik binde sich nicht an absolute Werte
und könne sich daher leicht einem Wertewandel anpassen. Es wird nicht reflektiert, inwiefern
gerade die japanische Kultur nach der erzwungenen Öffnung eine gespaltene – ganz nach dem
Muster des christlichen Abendlandes – ist, wenn auch die Mission nicht mehr von der christlichen, sondern von der Ideologie der Effektivität ausgeht.
Der Sinologe Heiner Roetz bemüht sich, die Vorstellung vom chinesischen Universismus als
abendländischen Mythos zu entlarven. Auch China sei den "Weg aller Hochkulturen" mit
"ständiger Ausweitung der Nutzfläche auf Kosten der ursprünglichen Vegetation" gegangen
(150). Daraus resultieren entsprechende Umweltschäden, etwa die Erosion, die den gelben
Fluß erst gelb macht. Demgegenüber beschreibt er die chinesische Philosophie, insbesondere
58
den Taoismus, als "romantische" Reaktion, wofür das Bewußtsein für den vorgeschichtlichen
Status des Einklangs spricht. Auch er muß aber konstatieren, daß das "systematische "Stellen"
der Natur mit seinen mittlerweile apokalyptischen Dimensionen" in China fraglos fehlte
(149). Nicht richtig herausgestellt wird der a-teleologische Charakter der Natur im Taoismus,
dem als Praxis das "Wu-wei" entspricht.
Natürlich fehlt in dem Band Kesslers auch eine Auseinandersetzung mit Whites These nicht,
die bemerkenswert sachlich ist, aber auf die zentralen Fragen gar nicht eingeht, sondern - unter Rückgriff auf die Platoniker der Schule von Chartres - zeigt, daß es auch auf christlicher
Basis eine Anerkennung der Natur bis hin zu personalisierender Darstellung geben kann.
Merkwürdig ist, wie weitgehend auch religionswissenschaftliche Arbeiten (z.B. Lauer) den
Realitätsprimat der ökologischen Frage selbstverständlich nehmen und dann nur noch fragen,
ob Religion als Faktor von Nachhaltigkeit oder Nichthaltigkeit in Frage kommt. Dagegen findet eine Kritik der Nachhaltigkeitskonzeption und der Globalitätsideologie selbst nicht statt,
die ja weltanschauliche Fundamente haben, etwa daß die Weltgeschichte möglichst lang dauern soll78 oder daß das Umweltproblem ein globales sei, dem regionale Identitäten geopfert
werden müssen. Ganz naiv werden Religionen an modernen Sentimentalitätsstandards (unbegrenzter Wert des Einzellebens) und gleichzeitig an Globalitätsansprüchen gemessen (Lauer
1996, 134 f.). Die Tatsache, daß sich Religionen wie Islam und Buddhismus ökologischen
Fragen im Sinne der Nachhaltigkeitsideologie erst reaktiv gestellt haben, dient als Argument
dafür, daß sie nichts wirklich dazu zu sagen hätten. Lauer erkennt zwar den pseudoreligiösen
Charakter der Nachhaltigkeitsideologie, ist aber nicht in der Lage, sich auf den Standpunkt
echter Religion zu stellen.
3. Einzelstudien zu den historischen Hintergründen
Angesichts der Tatsache, daß bei den bisher aufgeführten Autoren zwar immer wieder Argumentationsstränge von erheblicher Plausibilität einzelne Wirkungen des Christentums und
Probleme des Naturumgangs aneinanderknüpfen, aber kein stringentes Gesamtbild entsteht, ja
sich verschiedene Interpretationen des Christentums sogar diametral widersprechen und daraus von den Apologeten ein Argument gemacht wird, man könne gar nicht von einer Wirkung
"des Christentum" sprechen, erscheinen Untersuchungen besonders erwünscht, die sich einzelnen Themen und Dynamiken zuwenden.
78
Hier ist eine Parallele zur Perspektive auf das Einzelleben, wo es in der modernen Medizin um Verlängerung
ohne Qualitätsstandards und ohne einen Begriff von Biographie geht.
59
3.1. Die Wirkungsgeschichte des Dominium terrae
Immer wieder ist aus dem Bedürfnis, die Wirkungsgeschichte des Christentums an einem
formulierten Glaubenssatz festzumachen, auf das Dominium terrae ("Macht euch die Erde
untertan") hingewiesen worden. Eine umfangreiche Studie der Interpretationsgeschichte bis
zur Reformation hat Jeremy Cohen (1989) vorgelegt. Die Studie zeigt, daß historische Entwicklungen von der Tragweite, wie sie hier zur Debatte stehen, nicht von einzelnen Geboten
abgeleitet werden können. Gen 1.28 ist im Mittelalter mehr als anthropologische denn als
ökologische Aussage genommen worden (Cohen 1989, 310), das heißt als eine Aussage über
die Stellung des Menschen in der Welt und eine Versicherung seines Überlebens, und nicht so
sehr als eine Aufforderung zu einem bestimmten Umgang mit der Natur. Freilich könnte man
gerade in dieser Gewißheit des Überlebens der Menschheit eine Wurzel dafür sehen, daß bis
weit in die Neuzeit hinein (etwa noch für Hegel) eine Zerstörung der Naturgrundlage undenkbar erschien. Dafür können aber genausogut Überlegungen als ursächlich angegeben werden,
die eher die bescheidene Stellung des Menschen betonen, dem wirkliche Neuschöpfung ebenso wie wirkliche Vernichtung entzogen sind (vgl. Buffon bei Münk 1987, 176).
Ein Ansatz in Richtung einer ökologischen Interpretation zeigt sich am Anfang des 14. Jahrhunderts im Streit von Johannes XXII mit den franziskanischen Nominalisten. Der Papst versucht, ein persönliches Besitzrecht der ersten Menschen an der Natur abzuleiten, während
Occam nur eine Überlassung zum Gebrauch für die ganze Menschheit sieht (Cohen 1989,
306). Cohen stellt dar, daß Gen 1.28 in der Interpretation Augustins nur für die ungefallene
Menschheit galt und deshalb vom Naturrecht unterschieden wurde, während die Aristoteliker
Albertus Magnus und Thomas von Aquin diese Unterscheidung fallen ließen (293). Aus der
Perspektive von Augustinus ist Naturrecht eine nachparadiesische Angelegenheit (273). Dies
gilt insbesondere, solange es paulinisch mit dem Tod als der Sünde Sold identifiziert wird,
was ja einen erfahrungsreligiösen Grundtatbestand aufnimmt. Im Decretum Gratiani ist aber
als Naturrecht gerade die goldene Regel bezeichnet, und zwar in der positiven Version, den
andern so zu behandeln, wie man selbst behandelt werden möchte.
3.2. Das Christentum als Wurzel der Individualisierung
Die gängige Vorstellung von der Spätantike ist die einer Verfallszeit des Religiösen. Die Verfallsthese ist ein merkwürdiges Produkt eines Übereinkommens von christlicher und aufklärerischer Ideologie. Die Aufklärer wollen Säkularisierung zu einem allgemeinen Humanum
machen, die Christen ihre Kultur-Zerstörungsleistung herunterspielen. Wir können in der
Spätantike aber, wenn wir uns nicht von der christlichen Überlieferungsgeschichte mit ihrer
60
Überbetonung der platonischen Tradition blenden lassen, eine Re-Chtonisierung beobachten.
Gerade viele der vermeintlich abstrakten Personifikationen wie Securitas und Fides sind erfahrbare Mächte, und zwar solche, die dem erdverbundenen Bereich angehören. Fides etwa ist
eine hermetische, Securitas eine berggotthafte Atmosphäre.
Der Historiker Peter Brown ist der Vorstellung von Verfall entgegengetreten. Statt dessen
spricht er von einem Stilwandel des Erlebens, "der die christliche Kirche ebensosehr von ihrer
Vergangenheit wie von ihren heidnischen Zeitgenossen trennte" (Brown 1995, 121). Die Analyse kommt dazu, das eigentlich Befreiende im Christentum von Anfang an als Emanzipation
des Ich zu lesen. Brown belegt, daß das, was diese Kultur ablöst, nicht primär das Christentum ist, sondern ein anderer (expressiverer ichbezogener) Lebensstil, den er als Zeitalter der
Ambition dem Zeitalter des Ausgleichs entgegenstellt. Dem entspricht im Religiösen die Ablösung der (in der Passivität gegenüber dem Anruf des Göttlichen zum Ausdruck kommenden) Gleichheit durch die Heraushebung von besonderen Menschen (Heiligen), die dem Göttlichen näher stehen, damit auch einem anderen Verständnis von Priestertum. Wenn er die
Wirkung von großen Stiftungen beschreibt als eine "Art Versicherung gegen Mißgunst und
Konkurrenz" und dies selbst als materialistische Sicht bezeichnet, dann fällt auf, daß dies
doch in erstaunlicher Weise einhergeht mit dem Zentralpunkt heidnischer Religiosität, der
Vermeidung von Hybris angesichts des Unterschiedes zwischen Sterblichen und Unsterblichen (62 ff.). Mit Recht führt er auch die Prunksarkophage an (55), in denen wir über die Individualität der Toten nichts erfahren, sondern die das Element beschreiben, in das hinein sie
sich auflösen.
Auch das Eremitentum erklärt Brown als Versuch, eine Autonomie des Subjekts zu leben, wie
dies in aufeinander angewiesenen Gemeinschaften nicht möglich war.79 Der Asket suchte
keine übernatürlichen Erfahrungen, bzw. er suchte sie nur, um sich im Kampf mit ihnen zu
messen und sich von ihnen (die Daimones waren ja nun Teufel) zu befreien. Teilweise wurden die Daimones sogar introjektionistisch als Willensregungen angesehen. "Wer sich lange
seine Gedanken nicht offenbart, bewirkt, daß sie gegen ihn aufstehen" (Isaias Asketikon).
Während der Heide das Ergriffenwerden als Beseeligung und als Befreiung vom Ich empfand,
verstand sie der Christ als Versuchung. Er will sich aus dem Spinnennetz der gleichmäßig
ausbalancierten Kräfte herauslösen, wie sie in den Konstellationen der Astrologie und der
olympischen Götter zum Ausdruck kommen (Brown 1995, 114 f. bzw 100). Demnach wäre
die sogenannte katholische Mystik eher ein Erbe der Erfahrungsreligion. Das Christentum ist
61
die Religion derer, die die herkömmlichen Bindungen ablehnen oder als Landfremde etc. sie
auch vermissen. Es macht mit seiner Betonung abstrakter genereller Werte gegenüber den
lokalen Traditionen aus der Not eine Tugend. Der Heide geht von einer Offenheit der geistigen Welt aus. Deshalb bedeutet der Stilwandel für ihn eine Krise im Verhältnis von Himmel
und Erde (Brown 1995, 123). Iamblichos spricht von der Zerstörung der Gemeinschaft zwischen Menschen und Göttern durch eine Lehre, die die physische Gegenwart der höheren Wesen an einen Ort außerhalb der Erde verlege (De mysteriis I,8). Ausdruck der Introjektion ist
auch der spätantike Geniuskult (Brown 1995, 124, 98).
Diese Art von Autarkie war nur dadurch zu gewinnen, daß der Asket der Welt abgestorben, ja
wie ein lebendig Begrabener lebte (Brown 1995, 112, 118). Was von seinen Mitmenschen als
bewundernswert empfunden wird, ist nicht ein Kontakt zu höheren Mächten, sondern eine
Unangewiesenheit auf die irdischen Bindungen, die selbst als Ausdruck von Gotterfülltheit
verstanden wird. Aus erfahrungsreligiöser Sicht aber schließt sich der Eremit gerade von der
Wirkung des Göttlichen ab und konzentriert sich ganz auf sein Ego. Dazu kommt, daß die
Konzentration auf das Ich zugleich auf die eigene Unvollkommenheit weist. Die Verdammung des "latenten Perfektionismus" eines Origines wie eines Pelagius betrachtet Brown als
Ausdruck des Stilwandels. Augustinus sieht diesen Prozess historisch als Verfall der Schaufähigkeit und kommt damit mit heidnischen Zeugnissen überein (Brown 1995, 122).
Browns Studien werfen die Frage auf, ob wir nicht die formierende Kraft von Gedankensystemen überschätzen und diese eher als Symptome zu sehen sind. Weniger prägen sie Haltungen, als daß ihre Ausprägung von diesen abhängt, aber was sind dann die formierenden Kräfte? Dennoch puscht die Doktrin etwa mit der Ausgrenzung der unsterblichen Seele aus der
Natur den Emanzipationsprozeß. Zudem läßt sich eine Tendenz zur Entkosmisierung z.B. des
Jüngsten Gerichts und Verlegung in die Geschichte jedes einzelnen Menschen beobachten
(Sprandel 1983, 256).
Daß der Monotheismus in der Theologie der Zentrierung der Seele entspricht, ist einleuchtend, geschichtlich ist er sowohl ihr Ausdruck als auch ein Faktor, der sie vorantreibt. Der
katholische Theologe Bily (1988, 693) schreibt: "Die Verteidigung der Person gegen ihre Parzellierung muß logisch in eine Verteidigung des Monotheismus münden". Daß das Christentum bis hin zu Augustinus die Willensfreiheit des Menschen betont, steht nicht zuletzt im
Kampf gegen die Astrologie. Bei Tertullian z.B. kommt eine Verachtung der "curiositas" der
79
Brown 1995, 110. Sieht man das mönchische Kolonisationsprojekt als Nachfolger davon mit der Gleichsetzung von Wald und Wüste, dann zeigt sich, daß dies ebenso wenig nachhaltig ist wie der heutige Tourismus:
Immer weitere Gebiete werden erschlossen und sind damit eben nicht mehr "weltfern".
62
antiken Bildung hinzu (Fögen 1993, 298). Hier wirkt das Christentum wissenschaftsfeindlich,
doch könnte man (mit Hogrebe 1992, 157 ff.) den Zusammenhang auch so sehen, daß die
Naturwissenschaft, die hier verneint wird , eben immer noch mit der Mantik verwoben ist und
immer auch andere als rein kausale Zusammenhänge kennt.
3.3. Der Naturbegriff im christlichen Kontext
Sprandel (1983) weist darauf hin, daß der Naturbegriff sowohl im Kontext der Christianisierung als auch der Abwehr der Dechristianisierung eine Rolle spielt. Er spricht von einer Neutralisierung der Natur im ersten und einer Moralisierung im zweiten Kontext. Wenn er behauptet, die Dechristianisierung habe eingesetzt, bevor die Christianisierung wirklich vollendet
war, ignoriert dies aber die Dialektik, daß nämlich die Kirche gerade die Verankerung des
sinnlichen Daseins in den Göttern der Erfahrungsreligion zerschlägt, aber eben nicht die Sinnlichkeit des Menschen abschaffen kann, und es dann mit einer areligiösen Renaissance der
Sinnenfreude zu tun bekommt. Die kirchlichen Autoren scheinen dafür auch kein Bewußtsein
gehabt zu haben, beides ist für sie "Heidentum".
Wesentlich ist zunächst, daß Natur von einem Begriff für das All, das vom Göttlichen durchpulst ist, zu einem Gegenstandsbereich wird, dem das Göttliche entgegengesetzt ist (Sprandel
1988, 244). Die Zerstörung der Naturheiligung durch das Christentum scheint unbestreitbar.
Selbst Münk (1987, 198) macht lediglich seinem Unmut darüber Luft, indem er von dem
"schon fast formelhaft vorgebrachten Hinweis auf die Entgötterung der Natur durch Judentum
und Christentum" spricht.
Auch da, wo alte Traditionen weiterleben, werden sie umgebogen. So wird beispielsweise die
Verehrung eines Brunnens christlich dadurch gerechtfertigt, daß ihn früher ein Drache vergiftet habe, dann sei ein Heiliger gekommen und habe den Drachen getötet.80 "Die Veränderung
betraf den Kern und führt dazu, daß die Kontinuität schließlich eine oberflächliche war"
(Sprandel 1988, 242). Bei der Moralisierung der Natur gegen die sogenannten neuheidnischen
Tendenzen, d.h. gegen eine Sinnenbejahung, der der Rückbezug auf Götter bereits fehlt, wird
vor allem teleologisch argumentiert. Bezeichnend ist, daß in Alanus ab Insulis "De planctu
naturae" ein unehelicher Sohn der Venus namens Jocus vorkommt. "Der spielerische Umgang
mit Natur erscheint als Perversion“ (Sprandel 1988, 250). Jeder Geschlechtsverkehr, der nicht
der Fortpflanzung dient, gilt als unnatürlich. In diesem Zusammenhang erscheint die offene
Aufforderung, sich an den Tieren ein Beispiel zu nehmen (Sprandel 1988, 253). Das spezi80
Solche Uminterpretationen gibt es auch bei der Durchsetzung der uranischen gegenüber der chtonischen Religion innerhalb der Erfahrungsreligion, man denke an Apoll und den Pythondrachen.
63
fisch Menschliche (die Fähigkeit zum zweckfreien Tun) wird hier im Namen des Planes Gottes geleugnet und verketzert.
Wenn Natur Zweckfreiheit nicht kennt, dann steht der Mensch in dem Maß, in dem er sich auf
sie besinnt, außerhalb ihrer. Es ist nun nicht mehr nötig, ihm eine unsterbliche Seele zuzuschreiben, um ihn aus der Natur herauszustellen. Die Erfahrung, daß der Mensch zweckfrei
handeln kann, wird gegenüber der theologisch depotenzierten Natur zur Bastion des Überlegenheitsgefühls. Freilich kann der Mensch zu einem Bewußtsein seiner Menschlichkeit nur
noch gegen die Kirche kommen. Diese versucht, ihn festzuhalten in einer maschinenmäßigen
Zweckfunktionalisierung, deren große Erfindung die Uhr ist.81 Die kapitalistischen Sekundärtugenden wurzeln hier. Das Christentum besetzt also den Naturbegriff im Sinn des Maschinenparadigmas.
Ulrich Köpf (1988, 45) hat die Verwendung des Naturbegriffs für theologische Fragen als
sowohl für die Theologie als auch die Naturphilosophie verhängnisvoll angesehen. Die Gegenüberstellung von Natur und Gnade bedeutet einen Makel der Natur. Die Gnosis eines
Markion, die den Schöpfergott als böse sieht und die Schöpfung insgesamt verwirft, konnte zu
einer viel radikaleren Ablehnung der Natur kommen, was aber keineswegs eine zerstörerische
Praxis bedeutete, sondern eher ein Desinteresse.
Demgegenüber zeigt die jüdische Tradition einer nicht völligen Trennung ein stärkeres Interesse an der Umbildung der Welt als Teil des Erlösungsweges. Auch die Askese des Christentums hat Interesse an einer Umbildung der Natur, während die gnostische lediglich Desinteresse ist (Schluchter 1985, 502). In gnostischen Texten findet sich auch keine Bezugnahme
auf Arbeit, in denen der christlichen Askese dagegen sehr wohl. Ebenso entwickeln die Gnostiker keine Soziallehre (Troeltsch) und auch keinen Begriff der universalistischen Menschheit,
da sie davon überzeugt sind, daß die Mehrheit der "menschenartigen Gesichter" gar keinen
Geistfunken haben, sondern einfach wieder zu Staub werden, aus dem sie gemacht sind. Während der gnostische Mythos ein kosmisches Drama des Abfalls vom Geist bietet, ist im biblischen Text das menschliche Drama zentral (Schluchter 1985, 500).
Besondere Aufmerksamkeit hat in der Diskussion des christlichen Naturbegriffs in jüngerer
Zeit die Personifikation von Natura im Mittelalter gefunden. Verschiedentlich ist die These
vertreten worden, das Aufkommen von Natura als Personifikation in der Schule von Chartres
sei ein Zeichen für die Möglichkeit eines anderen Naturverhältnisses auch im Christentum.
Curtius hatte 1938 dazu geschrieben: "Wie durch eine geöffnete Schleuse strömt damit in die
81
Stöcklein 1969, 65 meint, mit der Räderuhr habe sich der Mensch so etwas wie eine eigene Sonne geschaffen.
64
Spekulation des christlichen Abendlandes der Fruchtbarkeitskult ältester Zeiten wieder ein"
(zit. Modersohn 1997, 18) In jüngster Zeit hat nun Modersohn der Bildtradition eine ausführliche Arbeit gewidmet. Sie setzt sich dabei mit der White-These und ihrem Umfeld nicht explizit auseinander, liefert jedoch interessantes Material. Von der Curtius-These bleibt wenig
übrig.
Die Personifikation der Natura erscheint im Mittelalter posititiv erst im Gefolge der literarischen Bearbeitungen durch Bernhard Silvestris und Alanus ab Insulis. Modersohn (1997, 23)
findet am Ende des 11. Jahrhunderts eine einzige Miniatur, die Natura in Anlehnung an den
römischen Bildtyp der Tellus, aber gefesselt unterhalb einer Himmelsleiter zeigt. Hier geht es
um ein Bild der Naturüberwindung. Dies ändert sich mit den Darstellungen zu Texten der
Schule von Chartres. Nimmt man die Beschreibung des Sitzes der Natura aus der Cosmographia von Bernhard Silvestris aber genau, so zeigt sich, daß hier eigentlich wieder ein
Paradies und eben gerade nicht die Natur verherrlicht wird: es herrscht ewiger Frühling, die
Blüten welken nicht, die Naturgesetze scheinen aufgehoben (Modersohn 1997, 57). Entsprechend ist Zielpunkt der Schule von Chartres die Schaffung des neuen Menschen. Das ist zwar
theologisch kühn,82 da weitgehend abgelöst von der Heilstat Christi (Modersohn 1997, 43),
aber es führt nicht zu einem Annehmen der Natur, wie sie ist. Das gilt für die gesamte literarische Tradition der "Klage der Natur" bis in die Renaissance hinein. Der Klage der Natur über
Mißachtung durch den Menschen wird die Gegenklage entgegengestellt, die Natur ernähre
den Menschen nur stiefmütterlich und sei damit an der Gewaltsamkeit des Menschen selbst
schuld.
Noch interessanter sind die zwischen 1260 und 1266 entstandenen Darstellungen zu Brunetto
Latinis „Tesoretto“. Latini, der Lehrer Dantes, sucht in der Verbannung Trost bei der Natura,
ganz in Anlehnung an Boethius im Gefängnis bei der Philosophia. Hier ist nun die Natur bereits im Wechsel von Heiterkeit und Verdunkelung dargestellt.83 Aufschlußreich ist, wie in
den Brunetto-Latini-Illustrationen Elemente einer Säkularisierung und Naturalisierung einfließen. Zu erwähnen ist zunächst, daß der Mensch unter den Tieren als Produkt der Natur
erscheint (1997, 61), dann daß sich Natura, in dem Bild, wo sie auf die Paradiesflüsse verweist, quasi in ein Landschaftbild auflöst und daß die Darstellung des Mittelmeeres nicht
82
Traditionalistische Theologen des 12. Jahrhunderts wie Wilhelm von S. Therry sahen auch in der Erschaffung
der Welt durch Natura unter Beihilfe von Geistern und Gestirnen heidnische Tendenzen (Modersohn 1997, 129).
83
"Oft berührte sie den Himmel, als wäre es ihr Schleier und manchmal veränderte sie ihn und manchmal verdunkelte sie ihn" (1997, 59). Das scheint inspiriert von der antiken Darstellungsweise der Gaia mit dem geblähten Schleier. Die Darstellungsweise der Natura unter den Tieren stammt aus Schöpfungsbildern, die aber ihrerseits auf den Typus "Orpheus unter den Tieren" zurückgehen.
65
mehr von der Weltkarte, die Gottes Schöpfung darstellt, sondern von der Portolankarte, die
zur Navigation bestimmt ist, geprägt und gesüdet ist wie arabische Karten (1997, 63 f.).
Modersohns Interpretation, die dies geradezu als allegorische Darstellung des Säkularisierungs- und Entpersonifizierungsprozesses sieht, mag Überinterpretation sein. Die Richtung ist
aber deutlich. In der Brunetto Latini-Illustration liegt zum Abschied der Autor Natura zu Füßen, um von ihr einen Talisman zu empfangen und küßt ihren Fuß, was man als Bekenntnis
zur Göttlichkeit der Natur interpretieren kann, und als Affront, weil der Fußkuß dem Papst
vorbehalten war. Modersohn verweist aber darauf, daß sich das Motiv in der Renaissance gerade umkehrt, hier liegt Natura dem Prometheus zu Füßen und überreicht ihm die Materie. Sie
hat ihre schöpferische Stellung aufgegeben und eine nur noch nährende einnimmt: Sie säugt
ein Kind und ein Einhorn, der Mensch, repäsentiert durch den Erfinder der Künste, ist der
berufene Fortsetzer des Schöpfungswerkes. Das ist der asketisch christlichen Vorstellung wesentlich näher.
Die Schule von Chartres erscheint so gesehen als ein Zwischenspiel. Ihr Versuch, Natur aufzuwerten bleibt ihrer gleichzeitigen Idealisierung verhaftet. Historisch bleibend ist daran vielleicht gerade der Impuls zur Naturalisierung des Menschen. Man kann von einer merkwürdigen Verschränkung sprechen: Gerade ein idealistischer Ansatz wird wichtig für die Entwicklungslinie der Naturalisierung des Menschen, indem er die dualistische Differenz MenschNatur schwächt, und der asketisch dualistische Ansatz wird wichtig für die Entwicklungslinie
menschlicher Naturbeherrschung. Die Personifikation der Natura, weit entfernt, eine Wiederaufnahme von Fruchtbarkeitskulten zu sein, überträgt vielmehr das Handwerkerverhältnis
Gottes auf die Natur, was gut zur Wiederaufnahme aristotelischer Begrifflichkeit in dieser
Zeit paßt.
3.4. Bettelorden und mittelalterliche Mobilisierung
Bisher kaum im Zusammenhang der Debatte herangezogen ist die Rolle der Bettelorden, die
doch die Träger der theologischen Neuorientierung seit Mitte des 13. Jahrhunderts sind. Rene
Dubos (1974) stellt franziskanische und benediktinische Attitüde völlig unhistorisch einander
in der Absicht gegenüber, sie als sich ergänzende Beiträge des Christentums zur theoretischen
Wertschätzung und praktischen Pflege der Natur aufzufassen.84 Es scheint mir aber doch kein
Zufall, daß die franziskanische Theologie das occamsche Rasiermesser, das "Zeit ist Geld"Denken (Nolte 1998, 472) und die Vorstellungen eines Roger Bacon hervorgebracht hat. Auf
66
der anderen Seite geht von den Dominikanern der Impuls zur Assimilation des Aristoteles und
zur großen wissenschaftlichen Synthese aus.
Die Armutsbewegung ist eine reformatorische, sie sucht die Wiederanknüpfung an das Urchristentum über die Lebensform Christi und seiner Jünger. Damit geht eine Dynamisierung
im Wortsinn einher, die Gesellschaft kommt in Bewegung, und auch der emanzipatorische
Impuls ist – wie bei den antiken Anachoreten – deutlich zu fassen. Dies steht anfänglich in
Verbindung mit einer neuen Naherwartung (so etwa des Antichrists und des Reiches des Geistes für 1260), die nur teilweise als diesseitig beschrieben werden kann. Nach dem Zusammenbruch dieser Perspektive wird nun nicht die Dynamik zurückgefahren, sondern neu orientiert.
Salimbenes Weg ist dafür symptomatisch. Es ist zu beachten, daß der Zulauf zur Armutsbewegung von Seiten der Kaufmannsschicht kommt, die keine so starke Verankerung in der
Heilsordnung hat (Zinsverbot, Sündenbewußtsein). Sprandel (1983, 252) spricht den Bettelorden das Verdienst zu, den ersten Schub der Dechristianisierung abgefangen zu haben und
zwar dadurch, daß der positive Bezug zum Irdischen grundsätzlich anerkannt, aber im einzelnen der Prüfung und Genehmigung unterzogen wird. So wird die Ehe zu einem Sakrament.
Man kann Occams Theologie durchaus als Stärkung der Einzelwesenhaftigkeit und auch als
Wiedereinsetzung der Natur betrachten. Das Übernatürliche wird beschränkt auf die Trinität
und die Seele (Sprandel 1983, 246). Zwar ist Natur nun wieder überall, aber nicht mehr als
beseelte, sondern materielle Natur. Es ist geradezu eine Nachwirkung der starken platonischen
Tendenz, daß vom Nominalismus nur die auf die Allgemeinbegriffe bezügliche Seite rezipiert
wird und nicht die Lehre von den Eindrücken als passiones animae.
Auch das Occamsche Rasiermesser erscheint als frühe Formulierung eines Vorstellungswandels, der erst in der Neuzeit wirklich zum Tragen kommt, nämlich daß als Kennzeichen der
Natur und der Größe der Schöpfung Gottes nicht mehr ihre Fülle, sondern ihre Sparsamkeit
erscheint (Stöcklein 1969, 83, 99). Man kann dies als theoretische Wiederspiegelung des Dominantwerdens des bürgerlichen gegenüber dem adeligen Wertekodex interpretieren. Das
Gleichnis Jesu vom guten Haushalter, der mit seinem Pfund wuchert, konnte nicht nur Rechtfertigung für den frühkapitalistischen Handelsherrn sein, sondern findet sich gerade auch in
frühneuzeitlichen Mechanik-Lehrbüchern als Rechtfertigung für die Rolle des Erfinders
(Stöcklein 1969, 110).
84
Haarsträubend ist seine Gleichsetzung von franziskanischer und darwinistischer "Identifikation" mit den Tieren als unseren Verwandten; zum Nebeneinander von Kultivierung und Sinn für landschaftliche Schönheiten bei
benediktinischen Klostergründungen: Glacken 1967, 308.
67
3.5. Handwerkerparadigma und Mechanisierung
Ebenso scheint die Rolle des Handwerkerparadigmas der Schöpfung (Artifex Mundi) für die
Mechanisierung unumstritten. Allerdings wäre zu fragen, warum dies im Islam nicht so wirkte. Vorstellung und Redeweise vom fabricator mundi finden sich schon bei Cicero (De natura
deorum 2,55).
Die christliche Tradition hat aber zusätzlich die Schöpfung aus dem Flüssigen (d.h. Ungegenständlichen) konsequent zu einer creatio ex nihilo umgebogen. Ein Interesse an der creatio ex
nihilo ist die einheitliche Abstammung von Himmel und Erde, die eine unterschiedliche Wertigkeit beider Bereiche und eine Vergötterung der Gestirne verunmöglicht. Die selben Gesetze
gelten oben wie unten. Die Relevanz dieses Theologems zeigt sich an seinem Auftauchen in
relativ populären Texten wie den Homilien über das Hexameron von Basilius dem Großen
(Schluchter 1985, 500). Außerdem ist das Handwerkerparadigma die große Alternative zum
Zeugungsparadigma. In der Darstellung des Vulkanus in der Schmiede als Vordergrund für
Venus und Mars‘ Ehebruch werden beide gegenübergestellt (Modersohn 1997, 147). Demgegenüber erwähnt Mokyr (1990, 228) die in China verbreitete Vorstellung, daß außerhalb des
menschlichen Geistes keine Gesetze sind (vgl. auch Watts 1975).
Bezüglich der eigentlichen Technikgeschichte ist wohl zu sagen, daß der Sprung der Technisierung später liegt und sich nicht mehr primär aus subjektiv christlichen Quellen speist. Ein
Zusammenhang liegt hier nur via Mentalitätsgeschichte vor. Interessant ist, wie unterschiedliche Blickweisen in bezug auf die mittelalterliche Technik aufeinanderstoßen. Wer an der Artifizialität und am Komfort mißt, der wird die antike Technik – sei es die römischen Fernwasserleitungen oder die raffinierten Automaten (Antike Welt 1/99) – höher bewerten.
Auf der anderen Seite kommt Cardwell (1991, 11) zu dem Urteil, daß nur die Gigantomanie
der Antike über ihre Unproduktivität hinwegtäusche. Sein Blickwinkel ist eben ein entwicklungsgeschichtlicher, um nicht zu sagen, Geschichte als Fortschritt konzipierender. Er stellt
fest, daß ein stetiger Fortschritt einige hundert Jahre vor der industriellen Revolution begann
(9). Auch Cardwell führt übrigens das Christentum als Ursache an, es habe den Fatalismus –
damit meint er die Intention, sich in die Ordnung der Natur zu fügen – überwunden (7). Andererseits macht es das Vetrauen auf Gott überflüssig, die Folgen technischer Errungenschaften
zu bedenken, ein Jesuit, der Flugmaschinen plant, meint zwar, Gott werde deren Funktionieren wahrscheinlich nicht zulassen, weil dann ja keine Stadt mehr vor Eroberung sicher sei, das
68
hindert ihn aber gerade nicht daran weiterzuforschen, vielmehr hat Gott ja die Notbremse in
der Hand (Stöcklein 1969, 106).85
Die interessanteste Untersuchung zum Themenbereich Christentum und Mechanisierng wurde
1969 von Ansgar Stöcklein noch ohne Kenntnis von Whites These veröffentlicht. Stöcklin
untersucht die biblischen Bezüge von Werken des 16.-18. Jahrhunderts die sich mit der Erfindung von Maschinen beschäftigen. Er wendet sich mehrfach gegen die These signifikanter
konfessioneller Unterschiede (26, 43 f., 81). Das Verhältnis von Höherwertung der Arbeit
gegenüber der Antike und Mechanisierung wird als ambivalent dargestellt, denn gerade wenn
der Mensch ursprünglich nicht zu Arbeit geschaffen war, wenn Arbeit Strafe ist, ist Arbeitserleichterung ein Schritt zu einem neuen paradiesischen Zustand (39).
Deutlich wird bei Stöcklein ein Prozeß, der die mittelalterliche Trennung von Schöpferkraft
Gottes (ex nihilo), Schöpferkraft der Natur (Entbergung) und des Menschen (Neukombination) einebnet und die Gottesebenbildlichkeit des Menschen gerade in seiner Kreativität sieht
(60ff.) Damit einher geht, daß der Mensch sich nicht mehr als Mikrokosmos sehen möchte
(78), d.h. als Abbild der Schöpfung im Kleinen, sondern als Weiterführer der Schöpfung. Dabei verschiebt sich auch die Wertschätzung von solchen Künsten, deren Material besonders
vollkommen ist, auf solche, bei denen der Anteil der geistigen Leistung besonders hoch ist.
Stöckleins Arbeit enthält eine Reihe von Thesen, die freilich durch seine Quellen allein noch
nicht genügend gedeckt sind. So sieht er einen Zusammenhang von eschatologischer Zeit und
Beschleunigung des Lebens und der Arbeit (108).
3.6. Fortschrittsvorstellung und Säkularisierungsprozesse
Deutlich wird bei Stöcklein (52 f.) immerhin, daß die "senectus mundi"- Vorstellung durchaus
mit technischem Optimismus einhergehen kann. Ernst Nolte hat in seinem universalgeschichtlichen Werk nach der Herkunft der Dynamisierung, die mit dem Ende der Vorgeschichte zusammenfällt, gefragt. "Wenn das Christentum so mysterienlos gewesen wäre wie der Islam,
hätte sich diese Art von Säkularisierung nicht vollziehen können (Nolte 1998, 483). Er macht
etwas, was er "liberales System" nennt, aber nur ungenügend beschreibt, etwa als schwachen
Staat, der seine Macht mit einer unabhängigen Kirche teilen muß, für den abendländischen
Sonderweg verantwortlich.86
85
Stöcklein konstatiert eine Art christlicher Gesinnungsethik, entscheidend sei in der Vorstellung frühneuzeitlicher Erfinder die Absicht (90).
86
Schon Max Weber betont den indirekten Einfluß des Christentums auf die Wissenschaftsentwicklung, indem
er es für eine relative Autonomie der gesellschaftlichen Teilsysteme verantwortlich macht. Besonders seit der
Konfessionsspaltung sei die Kontrolle weniger effektiv gewesen.
69
Interessant ist, wie in der Radikalisierung der Ablehnung der Gnadenmittel durch Calvin im
Ergebnis eine radikalisierte Werkgerechtigkeit wieder erlangt wird. Zwar kann sich nun keiner mehr sicher sein, wirklich gerettet zu werden, doch wird empfohlen sich zu den Geretteten
zu zählen (Bily 1988, 444). Einerseits kommt dies einem Rückgang aufs Judentum gleich.
Andererseits ist diese Form der Religion am anfälligsten für Säkularisierung, da die Kirche
ohnehin keine Gnadenmittel hat. Stöcklein interpretiert interessanterweise das "christliche"
Mittelalter gerade als Überdeckung und Hintanhaltung der dynamischen Impulse des Christentums durch die Ungebrochenheit der Antikenrezption.
70
II. Erste Ansätze zu einer Geschichte der abendländischen Dynamik
Insgesamt muß die Forschungslage trotz der Vielfalt der Publikationen als unzureichend bezeichnet werden. An interessanten Thesen fehlt es keineswegs, wohl aber an gehöriger Ausarbeitung. Auf dieser Basis scheint es mir immerhin möglich, einen Gliederungsvorschlag zu
machen, der die Wirkungen verschiedener Facetten des Christentums, die in unterschiedlichen
Zeiten unterschiedlich konstelliert und gewichtet waren, in ihrer Interdependenz zu fassen
versucht. Nicht um Ideen und ihre logischen Folgerungen geht es, sondern um Ideen, die
Triebkräfte sind, weil sie Anliegen konzeptualisieren.
1. Ausgangsimpulse
Negierung des Kerns der Erfahrungsreligion
Die Gottesunmittelbarkeit entfaltet ihre Sprengkraft im Zusammenhang eines fundamentalen
Unzufriedenseins mit der bestehenden Welt. Andere Erlösungsreligionen haben nicht die Welt
als solche zu verändern versprochen, sondern nur die Stellung des Einzelnen in ihr. Während
das Judentum einen Überlebensmythos (Errettung des Volkes) zentral stellt, bildet das Christentum die Vorstellung einer endgültigen Überwindung der Welt, insbesondere des Todes aus.
Damit unvereinbar ist eine Anerkennung des Todes als zum Leben gehörig.87 Aus dieser
Quelle aber speist sich der "moralische" Impetus zur Zurückdrängung der angeblich grausamen Natur.88
Die Vorstellung von der Veränderbarkeit der Welt hängt freilich mehr am Schöpfer- als am
Erlösergott. Wobei sich dessen Radikalisierung (Gott hätte die Welt auch anders machen können) erst mit dem Nominalismus entwickelt. Das Christentum unterscheidet sich auch von den
Erlösungs- und Mysterien-Religionen der Antike durch die Betonung eines prinzipiellen
Nichteinverstandenseins mit der Verfassung der Welt und der menschlichen Sterblichkeit,
insofern diese als Ergebnis eines Fehlers (Sündenfall) erscheint.89 Darin prägt sich ein Gefühl
der Unzufriedenheit aus, das an künftige Generationen weitergegeben wird, und zu einer inneren Unruhe, einer Suchbewegung und Veränderungssucht führt. Das ist die Grundlage der
seelischen Sonderentwicklung.
87
Für die Erfahrungsreligion ist der Tod das "Mittel der Natur, viel Leben zu haben". Davon trennen den Christen Welten. In der Moderne tritt an die Stelle der Negierung der Entgültigkeit des Todes die Verdrängung des
Todes in die Unsichtbarkeit.
88
Auch Albert Schweitzer setzt das in seiner Mitleidsethik noch fort. Zu tief steht er in christlicher Tradition, um
im Stirb und Werde ein Stück Realtranszendenz und nicht eine unverstehbare Grausamkeit sehen zu können.
71
Die Vorstellung von einer Zerschlagung der Erde als heilsgeschichtlich notwendig ist Produkt
einer Vergeschichtlichung des Dualismus. Die mildere Version lautet, daß die Schöpfung vom
Menschen zu Ende geführt werden müsse. Schon Laktanz sagt, daß die Welt durch Bearbeitung des Menschen schöner geworden sei, als sie bei der Schöpfung war (Krolzik 1988, 75).90
Ihre Früchte gehen auf in der Weltflüchtigkeit der Weltraumfahrt bis "Biosphere two", in den
Weltverbesserungsversuchen der High Tech Medizin und der Gentechnik, aber auch im Bereich der Geisteswissenschaft in jenem naturvergessenen Historizismus, der die Rahmenbedingungen und absoluten Grenzen der Wandlungsfähigkeit unserer Lebensbedingungen nicht
wahrhaben will.
Der Traum eines Lebens der Menschheit unabhängig vom Schicksal der Erde ist die Signatur
der sich entfaltende Areligiosität, des Kappens der Rückverbindung zur Erde. Die offene
Formulierung, wie etwa bei dem Anthroposophen Peter von Siemens, der die Kernspaltung
als Beitrag zur notwendigen Entmaterialisierung der Erde feierte, ist freilich die Ausnahme.
Langfristig zerstört jede Religion eines außererweltlichen Gottes, die die Natur zu seinem
Fußschemel erniedrigt, nicht nur die Ehrfurcht vor den atmosphärischen Mächten der Natur,
sondern auch das Vermögen, Zweckfreiheit und Binnentranszendenz zu denken.
Außerweltliche Heimat des Menschen und Verlichtung
Das Christentum begreift den Menschen als wesensmäßig nicht von dieser Welt. Die Polarität
von Himmel und Erde wird zugunsten einer einseitigen Hochschätzung von Himmel, Tag,
Licht, etc. aus der Balance gebracht. Gerade in der Abwehr der Gnosis betont das Christentum
gegenüber dem herkömmlichen Dualismen die Wesenlosigkeit des Bösen und, da mit ihm
konnotiert, des irdischen Dunklen. Damit geht es im Zerbrechen des Polaritätsdenkens noch
über den reinen Dualismus hinaus. Die Spaltung ursprünglicher Polaritäten in Gegensätze
vollzieht sich immer durch Positivsetzung des einen und Negativierung des anderen. Aus der
ursprünglichen Polarität von Nacht und Licht, bei der sogar die Nacht die ist, die sich das
Licht gebiert,91 wird Licht und Finsternis als Abwesenheit von Licht, schließlich von Sein und
Nichtsein.
Während für die Antike die Waldwelt (Hyle) kein bloßer Schatten der Zivilisation war, bzw.
der Schatten als eigene Qualität der Unterirdischen gerade noch ergriffen werden konnte, ist
im christlichen Monotheismus dafür kein Raum mehr (wobei die Bedeutsamkeit der Identität
89
Freilich ist dies in der Gnosis noch wesentlich schärfer, und kann dort wieder zu einem Desinteresse an der
Welt führen.
90
Unklar bleibt, woran - außer wieder an menschlichen Maßstäben - der Zugewinn gemessen werden soll.
91
Daher das Zählen nach Nächten statt Tagen, wie es Caesar von den Kelten schildert.
72
von Schatten und Seele nicht zu unterschätzen ist). So wie die Seele des Menschen ohne Gott
finster gedacht wird, so entspricht der seelische Läuterungsweg der physischen Entwaldung.
Genau entgegengesetzt ist die Konnotation in China: Mengzi (372-281) vergleicht den empirischen Normalzustand der menschlichen Natur, die ursprünglich gut, aber durch menschliche
Schuld ruiniert worden sei, mit einem abgeholzten Berg (Kessler 1996, 150).
Wenn auch im volkstümlichen Christentum das zyklische Denken im Kirchenjahr seinen Platz
fand, so wirken doch auf lange Sicht Vorstellungen von einem notwendigen oder gar zu ersehnenden Untergang der Erde. "Wenn Himmel und Erde in Feuer vergehen, so wird doch ein
Gläubiger ewig bestehen" heißt es in einer Bachkantate und eine Medaille aus Breslau von
1762 zeigt eine zerborstene Erde mit der Beischrift "Mags doch sein".92
Historisierung der Natur und Anthropozentrismus
Die besondere Bedeutung der historischen Faktizität für das Christentum betont Paulus, wenn
er sagt, daß mit der Tatsache der Auferstehung des historischen Jesus der Glaube steht und
fällt. Schon das Judentum ist mit seiner Zukunftsorientierung der "Statthalter gelingender
Aufklärung" (Liedke 1997, 235). Es wehrt einerseits mit der Differenz von Gott und Welt
einer vorschnellen Versöhnung, andererseits hält es ihre Perspektive offen. Demgegenüber
erscheint für Adorno das Christentum sogar als vorschnell erzwungene Versöhnung, die in
Mythologie zurückschlägt (Liedke 1997, 237).
Es ist gerade Adorno, dessen Interpretation des Judentums deutlich gemacht hat, wie sehr das
Christentum davon abweicht. Nach Adornos Interpretation ist das Zentrale am Judentum das
radikale Annehmen der Wahrheit auch in ihrer Unerlöstheit und die Abkehr von aller falschen
Beruhigung (magischer Götterzwang, Unsterblichkeitsglaube). Das Unterpfand der Rettung
liegt gerade in der Abkehr von allem Glauben, wie Erkenntnis in der Abkehr vom Wahn. Es
geht darum, sich der Realität des unbegreiflichen Gottes zu stellen. Erlaubt ist die Hoffnung
auf Realisierung des Gegenbilds in einer Versöhnung des heute Unversöhnten (aber ohne
Gewißheit, die Gott festlegen würde) auf künftige Versöhnung. Die intendierte Versöhnung
wird durch eine überzogene Positivität der Versöhnungsidee gerade negiert (Liedke 1997,231,
234).
Demgegenüber ist die Verortung der Erlösung in der Vergangenheit in einer bestimmbaren
Tat (Golgatha) eine Verendlichung des Absoluten, deren Kehrseite eine Verabsolutierung des
Endlichen konkret die Vergottung des herrschenden Menschen ist. Liedke (1997, 241) zieht
92
Abbildung in: Auktionskatalog Peus Frankfurt 357 Nr 2752.
73
als Beleg Irenäus von Lyon93 heran, der den Menschen in den Mittelpunkt der Schöpfung
stellt. Die Haltung des Judentums ist auch im erfahrungsreligiösen Sinn Frömmigkeit, die des
Christentums dagegen Hybris.94 Religion hat klassischerweise die Funktion, Hybris zu dämpfen, das Christentum ist ihr Nahrung. Vielleicht muß die Unterscheidung der römischen Behörden der Kaiserzeit, die das Judentum als eine alte Religion – sogar einschließlich des Verbots anderen Göttern zu opfern – tolerierten das Christentum aber als staatsgefährdende Neuerung bekämpften, nicht nur als schematische Klassifizierung nach Alter betrachtet werden,
sondern als von einem erfahrungsreligiösen Empfinden inspiriert.
Das Christentum meint, den Gang der Welt zu kennen, während einige Äußerungen Jesu
(auch er wisse weder Tag noch Stunde) auf eine andere Haltung noch seines Stifters schließen
lassen. Das vermeintliche Wissen um den Gang der Geschichte bedingt ein Selbstgefühl, das
auch nötig ist für den Anspruch, die Naturgesetze erkennen zu können. Erkenntnis der Geschichte und Teilhabe an ihr ist ein Vorzug der Menschen gegenüber aller anderen Kreatur,
die im Kreislauf befangen bleibt und insofern dem Reich Gottes, das aufgeht, nicht angehört.95
In der abendländischen Tradition wird Geschichtlichkeit von Natürlichkeit abgesetzt so wie
Gott gegen Natur. Darin wurzelt noch der Gedanke, die "Humanities" oder Geisteswissenschaften durch die Geschichtlichkeit und Einmaligkeit ihrer Objekte von den Naturwissenschaften abzutrennen. Das Herausfallen aus dem Naturkreislauf wird zum Merkmal des Menschen. Individualität in der Natur dagegen wird methodisch ausgeblendet, es geht in den Naturwissenschaften nie um den besonderen Baum, den besonderen Fluß.
Wenn die Realität wesentlich geschichtlich linear ist, dann ist alles, was daran nicht teil hat,
weniger real. Das gipfelt in Descartes Maschinenauslegung von Tieren. Die Unwesentlichkeit
der Natur ist auch Voraussetzung dafür, daß ihre Vernichtung denkbar wird. Drewermann
(1990, 82) bemerkt, daß es in der Indianersprache gar keine Worte für vollständige Zerstörung
und Nimmerwiederkehr gibt (noch Buffon kann sich, wie oben bemerkt, eigentliche Zerstörung der Natur nicht vorstellen). Nun kann man sagen, diese Dinge seien aber durch den Men-
93
Wie Theophilos (vgl. Pannenberg 65) bereits Zeit des Commodus.
Adornos judaistisches Geschichtsmodell "heidnischer Aberglaube gegen jüdische Ethik" ist viel zu einseitig.
Freilich ist es richtig, daß zur begrifflichen Fassung der "Erlösung" durch Golgatha auf Opfervorstellungen sowohl heidnischer als auch volksjüdischer Provenienz (Sühneopfer, Sündenbock) zurückgegriffen werden konnte.
Umgekehrt ist aber auch deutlich, daß die spätantiken Mysterienreligionen mit ihrer Interpretation des Opfers
bereits ebenso eine Abkehr von der erfahrungsreligiösen Basis beinhalten, wie das Christentum eine Abkehr von
der Lehre Jesu. In der Erfahrungsreligion geht es ursprünglich gerade um das Akzeptierenlernen der Sterblichkeit, nicht um ihre Überwindung.
95
Der Darwinismus macht schließlich auch die Kreatur zum Teilhaber des Fortschritts, aber stärker wirkt, daß er
Fortschritt entteleologisiert.
94
74
schen real geworden und lassen sich nicht mehr aus der Welt schaffen, wichtig ist aber zu
bemerken, daß die Ideologie von der Menschenabhängigkeit der Natur (via Sündenfallvorstellung) ihrer Realisierung vorausgeht, und so auch ihre säkularisierte Radikalisierung im Wahn
von einem wirklichen Verschwinden von Natur.96
Fortschritt
Die Auslegung der Geschichte als Fortschritt ist ein Dazukommendes, liegt aber in der Konsequenz der Linearisierung. Armin Mohler (1989, 117 ff.) hat herausgearbeitet, daß die christliche Hochschätzung des Individuums an die Vorstellung linearer statt zyklischer Vorstellung
von Zeit und Geschichte geknüpft ist, aber auch an die Vorstellung von einer Perfektibilität
von Welt und Mensch, die der konservativen Vorstellung eines Gleichbleibens der Anteile
von Segen und Übel entgegensteht. Alle Erfahrungsreligion betonen das Zyklische. Es ist kein
Zufall, daß die einzige Stelle der Bibel, die klar das Zyklische hervorhebt (Prediger Salomonis
1,4-10) von modernen Theologen gern als apokryph verdächtigt wurde.
Krolzik (1979, 56 f.) weist darauf hin, daß die Vorstellung einer renovatio in melius bei den
westlichen Kirchenlehrern eher verbreitet ist als bei den östlichen.97 Während in den offiziellen Verlautbarungen noch um 1200 die Rückwendung zu den Ursprüngen dominiert, kommen
in der volkstümlichen (städtischen) Predigt zunehmend eschatologische Untertöne auf (Krolzik 1979, 59).
Die Fortschrittskonzeption ist Entendlichung und Abstrahierung der nicht haltbaren und an
der Vielzahl nicht eingetroffener Prophezeihungen zerschellenden Konzeptionen eines Wissens um den Gang der Geschichte. Man behauptet, nicht mehr zu wissen, wohin die Zukunft
führt, aber jedenfalls wird es aufwärts gehen. Eine bequeme Verbindung mit der Vorstellung
einer verfallenden Natur ermöglicht Augustins Zwei-Reiche-Lehre.
Innerweltlicher Fortschritt ist nicht nur dem Urchristentum fremd, sondern auch noch dem
konstantinischen, aber der Gedanke liegt in der Logik des Konzepts, nachdem der Zeitpunkt
des Aufbrechens einer neuen Welt immer weiter hinausgeschoben werden muß. Der Bogen
der Hoffnung wird überspannt und muß sich an Näherem festmachen. Diese Entwicklung läßt
sich auch als Hinunterrutschen der Botschaft vom Intellekt in den Willen verstehen – parallel
zum äußeren Einsickern in niedrigere Volksschichte.
Am deutlichsten äußert sich diese Tendenz im Chiliasmus, in dem Geschichte als Abfolge
von Reich des Vaters, Reich des Sohnes und Reich des Geistes als Fortschritt, und zwar als
96
Hard (1993) macht im Unterschied zu Böhme deutlich, daß es sich um ein Programm handelt.
75
Fortschritt der Spiritualisierung gedacht wird. Die Ostkirche zeigt freilich, daß das Christentum nicht notwendig die Richtung ins Eschatologische nehmen mußte. Dort steht viel mehr
die individuelle Vergöttlichung im Mittelpunkt. Außerdem gibt es starke Tendenzen zu einer
Erlösung des gesamten Kosmos.
Universalismus
Intellektueller Niederschlag der Tendenz zur Lösung von der Erdverbundenheit sind universalistische Ideen. Der Universalismus des Christentums schafft eine von regionaler Bindung
gelöste Identität zunächst der mönchisch lebenden Elite (zunächst noch gemildert durch das
Gebot der benediktinischen "stabilitas loci"). Er impliziert aber auch eine Weltbeglückung.
Die Konversion aller Völker zum Christentum erscheint als Vorbedingung und Vorzeichen
des anbrechenden Reiches Gottes. Roger Bacon kann in diesem Zusammenhang bereits im
13. Jahrhundert die waffentechnische Überlegenheit der Christenheit als heilsnotwendig ansehen.
Der Universalismus verliert mit schwindender Heilsgewißheit seine offene Agressivität. Wie
der Theismus zum Deismus, so mutiert die Vorstellung von der Alleinberechtigung des Christenmenschen zu der von verallgemeinerbaren Menschenrechten.98 Auch in deren Namen lassen sich andere Kulturen bekämpfen. Ein typischer Exponent der Globalisierungsideologie
formuliert: "Der westliche Universalismus darf keine Menschenrechtsverletzungen tolerieren.
Er ist deshalb imperial angelegt" (taz 21.4.97 S. 10). Der Autor redet dann von der "Quintessenz der langen abendländischen, also jüdisch-christlichen Geschichte der Rechts- und Freiheitsfindung: Nichts Heiligeres als das Individuum".
Diese Ideologie eignete sich zwar für den Kampf gegen den Marxismus, den konkurrierenden
Sproß der Säkularisation christlicher Weltsicht, aber sie versagt, sobald die Verteilungskämpfe die Metropolen dieser Ideologie erreichen. Das Umweltproblem ist die große Herausforderung des Universalismus (Sieferle 1994). Das ist freilich heute kaum noch im Bewußtsein.
Verzerrt durch die Brille des Universalismus erscheint das Umweltproblem als Problem interkontinentaler und intergenerationeller Gerechtigkeit. Die Nachhaltigkeitsideologie setzt immer schon als Dogma voraus, was Schiller in die Worte gefaßt hat "Raum für alle hat die Erde" (explizit Amery 1998). Der Möglichkeit, daß dies nicht stimmt, wird mit Denkverboten
belegt. Wenn es aber nicht stimmt, dann stellt sich die Frage nach Prioritäten. Das abendländische Denken wird unter diesen Voraussetzungen höchstwahrscheinlich das ideologische
97
Z. B. Augustin Gen. ad litt. 6,25; cor. et gratia 33; civ. dei 22,24
76
Versatzstück "Fortschritt" einsetzen und damit das Recht des Stärkeren in der Form des Überlebens nur der fortgeschrittensten Zivilisation postulieren. Die eigentliche Alternative dazu,
nämlich ein Setzen auf Artenvielfalt menschlicher Kulturen, hat man sich durch die Praxis der
Globalisierung, die die gewachsenen Kulturen von den Indianern bis zu den Aborigines infiziert hat, verbaut. Dies wird wiederum zum Sachzwangargument gewendet. Die Überlegenheit der westlichen Kultur wird nicht mehr aus Wahrheit (Mission), aus Biologie (rassischer
Überlegenheit) oder aus schlichtem Recht des Stärkeren (Waffentechnik) hergeleitet, sondern
aus angeblicher Selbstbestimmung des Menschen, da sich auf dem freien Markt auch der Indianer für Fastfood und Fusel entschieden habe99.
Individualisierung
Historisch wirksam geworden ist nicht der Jesuanismus der Apostelgemeinde, sondern das
Christentum des 4. Jahrhunderts. Peter Brown spricht von einem Stilwandel des Erlebens,
"der die christliche Kirche ebenso sehr von ihrer Vergangenheit wie von ihren heidnischen
Zeitgenossen trennte" (1995, 121). Auch das Eremitentum erklärt Brown als Versuch, eine
Autonomie des Subjekts zu leben, wie dies in aufeinander angewiesenen Gemeinschaften
nicht möglich war (1995, 110). Deutlicher noch ist, daß durch die Lehre von der Unsterblichkeit das Individuum eine Aufwertung erfährt (Kern 1969, 311). Dieses Individuum sucht seine Rechtfertigung aus einer Transzendenz, die nicht mehr erlebt, sondern postuliert wird.
Wichtig ist, den Unterschied zwischen Minderheitenindividualisierung (Bildung stark abgehobener Eliten) und Individualisierung als Massenphänomen zu beachten. Nietzsche hat darauf hingewiesen, daß der Individualismus sich immer zugleich gegen die wirklich großen Individuen richtet, weil gegen sie die Masse der Individuen gerade ihre Nullität erfahren würde.
Das wirklich große Individuum dagegen hat eine eigenartige Neigung, sein Wesentliches als
Geschenk zu erfahren.
Beachenswert scheint mir, daß diese Individualisierung in zwei Wandlungsschritten erfolgt,
die Luc Ferry (1992) am Wandel der europäischen Ethikkonzepte herausgearbeitet hat: Er
spricht bezüglich der Antike von einer Ethik der Vollkommenheit, bei der es darum geht, der
eigenen Natur gerecht zu werden. Bezüglich der Moderne spricht er von einer Ethik des Verdienstes, was mit der Vorstellung von Freiheit und von komplementären Pflichten verbunden
ist. Das menschliche Wesen wird nun gerade als Überschreitung seiner natürlichen Festge-
98
Dieser Zusammenhang ist zum erstenmal von dem Juristen Georg Jellinek (Die Erklärung der Menschen und
Bürgerrechte, Leipzig 1895) aufgestellt worden, eine Arbeit, die auch Max Weber kannte.
99
So sehr sich die Vertreter der hreutigen universalistischen Ideale gerade am Gegenbild von Kolonialismus und
Rassismus aufhängen, so sehr stehen sie doch selbst in der selben Tradition.
77
legtheit (Transzendenz) definiert. Freilich wäre zu betonen, daß der ursprüngliche Naturbegriff bereits Transzendenz enthält, indem jedem Wesen nicht gegeben, sondern aufgegeben ist,
es selbst zu werden. Bezüglich der Postmoderne spricht er von einer Ethik der Authentizität.
Mit der Suche nach Authentizität ist wieder ein Rückgriff auf Natur da, nur diesmal auf eine
individuelle. Im Bezug auf die eigene Biographie kann der Blick für das, was Wesenhaftigkeit
ist, wiedergewonnen werden. Dann kann er das Wesenhafte auch in Naturerscheinungen finden (Falter 1996).
Introjektion
Die Individualisierung geht einher mit Abgrenzung und Betonung eines eigenen Innenraums
der Seele. Freilich kann man mit Hermann Schmitz den Bruch schon in die "Achsenzeit" zurückdatieren, denn hier entscheidet sich bereits, was er die "zu hoch angesetzte Abstraktionsbasis" nennt, daß nämlich für die Verallgemeinerung nicht bei Artbegriffen stehen geblieben
wird, die selbst noch Erscheinungscharakter haben, sondern zu völlig abstrakten Gattungsbegriffen übergegangen wird, wie dies beispielsweise in der chinesischen Kultur nicht der Fall
war. Damit spaltet sich eine vergegenständlichte äußere von der subjektivierten inneren Welt
ab.
Die Spaltung der Kultur in die Sentimentalität einer Freizeitwelt und den Reduktionismus
einer Arbeitswelt sind die Endprodukte. Etwas ähnliches hat Drewermann (1990, 79) als objektives Wissen und subjektiven Machtanspruch bezeichnet und ihr Verhältnis als Mittel und
Zweck angegeben.100 Die Antike selbst freilich entwickelt nirgends ein Bewußtsein des in ihr
sich vollziehenden Umbruchs. Es fehlt ihr die Möglichkeit, zwischen kausalen und Ausdruckszusammenhängen phänomenologisch zu differenzieren. Damit fehlt ihr eine Begrifflichkeit, in der der Umbruch reflektiert werden könnte. Sowohl die Christen des 4. Jahrhunderts als auch ihre heidnischen Gegner verstanden kaum mehr, daß Götter ursprünglich nicht
als Ursachen hinter den Dingen verstanden wurden, sondern als Universalcharaktere des Erscheinenden, die im inner-, zwischen- und außermenschlichen Bereich gleichermaßen und in
derselben Art wirken. Ares (Mars) wirkt im aufsteigenden Zorn, im zähnefletschenden Wolf,
im angeschwollenen Hochwasser, im Toben einer Lynchjustiz übenden Masse gleichermaßen
(Falter 2000).
100
Im Unterschied zu Drewermann (1990, 81) ist allerdings zu betonen, daß der Widerspruch nicht darin liegt,
die Naturwissenschaft instrumentell zu nutzen, deren Konsequenz doch die Zusammengehörigkeit aller Lebewesen sei. Diese Zusammengehörigkeit wird nur auf einer reduktionistisch zugänglichen Ebene gesehen, von der
sich der Mensch mit Recht absetzt, solange er noch einen Funken Selbstverständnis hat.
78
2. Interferenzen
Propfreligion – Dualismus als Erfahrung
Das Christentum bildet in in allen Gebieten, in denen es zu Geschichtsmächtigkeit kam, eine
Pfropfreligion.101 Man muß gar nicht auf das Theorem von der naturfeindlichen Wüstenreligion (Klages, Passarge) zurückgehen, um zu konstatieren, daß hier ein Bruch entsteht, weil der
Unterbau der Volksreligion und der Überbau des Herrschaftsglaubens verschiedenen Kulturkreisen entstammten. Nachdem es bis in die Neuzeit hinein nie ganz gelingt, die Volksreligion
auszurotten, wird der zunächst theoretische Dualismus von Welt und Überwelt bis ins Soziologische hinein realisiert. Es bilden sich zwei Kulturen. Dies hat Auswirkungen auf das praktische und das theoretische Naturverhältnis.
Hochkulturell überformte Agrargesellschaften bilden meist ein vertikalisierendes Weltbild
aus, in das hinein mythische Relikte aufgehoben sind. Durch den Bruch der Pfropfreligion
entsteht ein Dualismus, der die Vertikalisierung immer wieder bricht. Die abendländische
Naturqualitäten- (Signaturen- und Mikrokosmos-Makrokosmos-) lehre ist merkwürdig unkonkret und undifferenziert,102 weshalb bei heutigen Rückgriffsversuchen eher auf ostasiatische oder indianische Traditionen (feng shui) etc. rekurriert wird.
An die Stelle der antiken Entgegensetzung von theoretischer und praktischer Weltzuwendung
tritt eine von Weltflucht (die durchaus auch praktischen Charakter haben kann) und Weltzuwendung, die als sündlich diffamiert wird. Physis ist nicht mehr das Übergreifende, sondern
ein defizitärer Gegenpol zum Eigentlichen. Transzendenz kann unter der Voraussetzung eines
radikalen Bruchs gar nicht mehr gedacht werden. Sie mutiert zu einer "Zwei-Weltlichkeit".
Die In-toto-Diffamierung der Weltverbundenheit, die sich aber – da überlebensnotwendig –
nicht wirklich praktisch verneinen läßt, schuf einen Schutzraum, in dem, abgekoppelt von der
Sphäre des religiös überhaupt Thematisierten, profanes Verhalten möglich wurde. Das hier
ausgebildete Sich-Arrangieren mit der Welt ohne prägende Einbindung in einen religiösen
Kontext, der in den Erfahrungsreligionen die gesamte Alltagspraxis durchdringt, verbindet
sich dann in der Neuzeit mit den Bemühungen, die Weltfluchttendenz praktisch umzusetzen.
101
Die Frage der Durchdringungstiefe ist nicht leicht zu klären. Sprandel (1983, 237) meint, daß die Kirche auch
die umfangreiche Mehrheit der Analphabeten entscheidend bestimmt habe, konstatiert aber, daß die Predigt erst
im 13. Jahrhundert große Bedeutung gewinnt.
102
Der Grund dürfte darin zu suchen sein, daß ihre Autoren primär Weisheitswissen und kein instrumentelles
suchen, ja teilweise selbst an der Natur nur insofern interessiert sind. Als sie Spiegel des Menschen ist. Wir
brauchen heute ein Weisheitswissen, das aber auch konkret und detailliert genug ist, um Zivilisation zu bilden,
aber doch nicht nur instrumentell.
79
Durch die Gebrochenheit des vertikalisierenden Bezugs und die Betonung der absoluten
Überweltlichkeit sowie die Hochschätzung des Unsichtbaren (Ideellen) war zu Beginn der
aufklärerisch-rationalistischen Vernichtung des "Aberglaubens" die allegorische Auffassungsweise schon entwurzelt und konnte deshalb so leicht dem Ansturm der Entsinnlichung
erliegen. Eine auch in den Oberschichten noch lebenskräftige symbolisch-vertikalisierende
Auffassungsweise hätte der Ideologie der Entwirklichung vielleicht trotz der Versuchung des
Machtzuwachses durch reduktionistische Betrachtung (Baconismus) widerstehen können (ein
Vergleich mit China wäre hier sicher interessant).
Man kann festellen, daß die Spaltung im 2. christlichen Jahrtausend immer weiter vom Gedanklichen, wo sie nur das Problem bestimmter Oberschichten und Sonderkulturen ist, in den
Gefühls- und Willensbereich rutscht. Dabei dürfte die große Pest eine entscheidende Rolle
gespielt haben. Mit ihr sickert, was bislang nur intellektuelle Attitüde war, in den Bereich des
Gefühls (Falter 1999). Der Dualismus kann Erfahrung erst unter den Bedingungen der Pfropfreligion werden. Auf der anderen Seite ist aber auch das Phänomen der Renaissance und der
Beginn einer säkularisierten Kultur nur von daher zu verstehen, daß eben ein Teil der überlieferten Kultur aus dem christianisierten Bereich ausgegrenzt blieb und dann Autonomie beanspruchen und Sprengkraft entwickeln konnte, während zum Beispiel in der Ostkirche das Erbe
der antiken Zivilisation stärker integriert war.
Negierung des Werdenden und damit der Natur
Gerade im Bezug auf das Naturverhältnis kann man das Christentum einen "Platonismus fürs
Volk" nennen. Von Platon her erbt sich eine Feindstellung des Abendlands gegen das Werdende, das Veränderliche, das nicht Festzustellende (in doppelter Bedeutung) und bildet eine
nicht zu unterschätzende Triebkraft der neuzeitlichen Naturvernichtung, deren drei Phasen
auch die Phasen der Vernichtung des Zugangs zur Erfahrungsreligion ist.
Die erste Phase spiegelt sich in der platonischen Abwertung des Vergänglichen gegenüber
dem Bleibenden, des Werdens gegenüber dem Sein. Nichts auf dieser Erde bleibt aber unverändert. Also ist das eigentliche Sein ein jenseitiges, die Erde eine schlechte Welt. Die eigentliche ist eine Welt hinter den Phänomenen. Damit sind die Götter der Erfahrungsreligion als
hier wirkende Mächte unvereinbar. Der Gott der Philosophen ist ein jenseitiger. Seinen ersten
Einbruch in die Volksreligion feiert er mit dem Wachsen der Bedeutung der Gesamtgöttin
Tyche. Sie ist nicht mehr eine epiphaniefähige Göttin, mehr Idee als Gestalt, nicht Ereignis,
sondern der Gang der Ereignisse, der immer erst ex post erschlossen werden kann.
80
Das Christentum markiert die zweite Phase. Nun tritt als neuer Gedanke hinzu, daß die Welt
ursprünglich anders gedacht war, eben paradiesisch, und daß Gott auch die Vernichtung dieses Zustands und einen neuen Himmel und eine neue Erde versprochen hat. Auch wenn man
in der Apokalypse nicht zwingend eine Zusage einer solchen Vernichtung sehen muß, so ist
doch mindestens das Desinteresse an den Naturbedingungen eines neuen Jerusalem deutlich.
Die dritte Phase begründet dann die Moderne. Wir warten nicht mehr, daß Gott uns eine neue
Erde herrichtet, sondern nehmen seine Verheißung als Auftrag. Wir schaffen sie selbst in einer technischen Zivilisation, die dem Menschen die schwere Arbeit abnehmen soll. Daß dabei
die alte Erde draufgeht, gehört dazu (Rombach 1983, 105; Jonas 1992, 34ff.).
Man könnte freilich auch versucht sein, der Naturzerstörung einen religiösen Charakter zuzusprechen und sie als Endprodukt radikalisierter Erlösungsreligion zu betrachten. So interpretiert Haimo Schulz-Meinen (1996) die Zivilisation als religiösen Kampfverband zur Gottwerdung des Menschen, für den Zerstörung der Natur als Grenze menschlicher Allmacht zum
freilich selten ausgesprochenen Programm gehört und der Mensch als Biosphärenmanager
nicht nur als Antwort auf zunehmende "Störfälle" erscheint, sondern als ohnehin anzustrebendes Menschheitsziel. Will man in dieser Weise der Moderne den erlösungs-religiösen Charakter nicht absprechen, dann bildet die Geschichte weniger eine Schwerpunktverschiebung zwischen den Anthropina im Sinn von Hans Jonas (Werkzeug, Bild und Grab) als vielmehr eine
Radikalisierung der Machtergreifung eines lebensfeindlichen "Geistes" (vgl. dazu Klages
1972).
Unverstehbarwerden der Natursprache
Was die Introjektion und die Fixierung auf Bleibendes vernichtet, ist die Wahrnehmungsfähigkeit für Charaktere. Der Sprachcharakter der Natur wird dadurch verstellt. An seine Stelle
tritt die allegorisierende Auslegung. Die Gewaltsamkeit eines Adam von St. Victor, der in der
Haselnuß im Grünen das Fleisch Christi, in der Schale das Kreuz und im Kern seine Göttlichkeit sah (Anderson 1993, 121), zeigt, daß der Wille stark ist, der Natur etwas abzugewinnen,
daß aber der Schlüssel fehlt bzw. nicht mehr klar ist, welche Sprache die Bilder sprechen,
welche Grundzeichen gesucht werden müssen. An die Stelle der sich wechselseitig auslegenden Natursymbole und des Leibes als Schlüssel treten versponnene Konstruktionen.Der Fluß
ist nicht mehr Bild der Biographie, sondern der Heilsgeschichte. Das ist noch in Natursymbolik verwurzelt, ist aber auch schon Umbiegung.
Die Art der Umbiegung ist im Buddhismus ähnlich, bleibt dort aber bei der Umbiegung stehen und schreitet nicht zur Vernichtung fort. Das Beispiel der Lotussymbolik zeigt besonders
81
anschaulich, daß von der Erfahrungs- zur Erlösungsreligion eine Uminterpretation der Bilder
stattfindet. Die erfahrungsreligiöse Auslegung des Lotus-Phänomens sieht im Lotus die gegenstrebige Fügung von tellurisch sumpfiger Fruchtbarkeit und gestirngleichem Aufblühen
der vollendeten Schönheit. Die buddistische Auslegung macht den Lotus zum Symbol des
menschlichen Strebens, sich der Erdbindung zu entringen und dafür muß sie den Naturzusammenhang mindestens partiell negieren, denn der Lotus fliegt eben nicht wirklich zum
Himmel, er braucht die Verwurzelung in dem ach so schmutzigen Grund, und wenn der
Mensch von den unverbogenen Wahrnehmungen etwas lernen will, dann kann es nur das sein,
daß er eben immer wieder sterbend "zu Grunde gehen" muß.
Ein ähnliches Beispiel wäre im christlichen Bereich die Uminterpretation der antiken WeidenSymbolik. Die Weide mit ihren Stockausschlägen aus abgebrochenen Teilen ist Symbol des
Zugleich von Leben und Tod. Daß sie am zum Teil sogar im Wasser steht, wird noch bei Jesaia 44,4 als Gleichnis für das Stehen des gott-offenen Menschen im Strom des Segens Gottes
gesehen. Bei den Kirchenvätern wird aus dem Strom der Strom der Sünde, und die Weide hält
sich gegen ihn. Von der Leben-Tod-Einheit wird einseitig der verneinende Pol bewahrt. Daß
Weidentee in der griechischen Antike als Antikonzepivum galt, wird dazu umgeformt, daß sie
Symbol der Unfruchtbarkeit – positiv gewendet "Keuschheit" – sei (Rahner 1934). Damit
zerfällt die Einheit der Weidensymbolik und auch der Zusammenhang zur Pharmakologie.103
Das Christentum geht weiter als die erlösungsreligiöse Umformung im Buddhismus, es nimmt
den Menschen aus der Natur aus, negiert die Gültigkeit von deren Bilder-Sprache für ihn,
setzt der Natursprache das angeblich Geoffenbarte entgegen. Die Konsequenz dessen ist eben
Verstummen der Natur. Das Christentum – und nicht die Völkerwanderung – reißt die Tradition ab, vernichtet die Wörterbücher der Natursprache. Auch hier ist aber die Uminterpretation notwendige Durchgangsstufe zur Extirpation. Erst die Unstimmigkeiten, die mit der erlösungssüchtigen Uminterpretation hineinkommen, machen es möglich, daß die Aufklärer einen
Sinn ganz streichen können, weil ja offensichtlich das, was als Sinn ausgegeben wurde, Unsinn war.
Das Christentum zerschlägt zudem die Aufeinanderbezogenheit der einzelnen Symbole in der
Naturordnung, es läßt von der einstigen Sprache nur Worte übrig, von den Mythen nur die
Gestalten (Symbole). Göttercharaktere sind immer wieder durch Besinnung auf ihren Wahrnehmungskern auf ihre Grundgesten zu modifizieren. Die Heiligenfiguren, die an ihre Stelle
traten, sind in ihrer Bedeutung bloß konventionell, ihre Legenden sind Eselsbrücken.
103
Weidenrinde ist auch heute noch als fiebersenkend und schmerzstillend bekannt. Aspirin ist ein synthetischer
Salizeenersatz.
82
Wo aus den isolierten Wörtern wieder die Natursprache zusammengesetzt werden soll,
kommt dann auch noch die Tendenz zur Vergeschichtlichung mit herein. In den bibelorientierten Versuchen (etwa Raimund de Sabundes Liber creaturarum von ca. 1450) ist die Natur
ohnehin nur Vorgeschichte des Menschen.In dieser Tradition versucht noch G. H. Schubert
(1814) eine Ordnung der Natur nach ursprünglich und später parallel zur Geschichte von Sündenfall und Wiederaufrichtung und setzt dies mit einer zeitlichen Ordnung gleich, in der dann
der Elephant, der die friedliche, für Raubzeug weitgehend unangreifbare Selbstgenügsamkeit
frühen Lebens repräsentiert, früher stehen muß als die Insekten, die weitgehend von Verwesungsprozessen leben, individuelle Schwäche durch Massenhaftigkeit und Kunstfertigkeit
ersetzen und unsichtbare Waffen (Gifte) produzieren.104 Schubert bezeichnet die "Natur als
eine Apokalypse in Gestalten" (45). Derartige Verwechslungen des Genus – parallel dazu
liegen die Vermaterialisierungen des Atmosphärischen, wenn man etwa meint, der Schwermütige müsse auch auf der Waage schwer sein – bieten dem Reduktionismus willkommene
Ansatzpunkte.
Kontrafaktische Setzung und Dogma
Der durch das Unverstehbarwerden des Bedeutungsgehalts der Naturbilder gegebene Verlust
des Erfahrungsgehaltes der Religion wird so verarbeitet, wie es Augustinus vorgezeichnet hat.
An die Stelle von Erfahrung tritt die Tradition. In der Vergangenheit und in der Zukunft hat
das kontrafaktisch gesetzte Sollen einen imaginären Ort. Die Vorstellung einer gefallenen
Welt bietet eine Erklärung für die Nichtübereinstimmung mit der Wirklichkeit und gibt der
Idee gegenüber der Wirklichkeit recht. Die Voraussetzung, sich über die gegebene Wirklichkeit durch Idealisierung hinwegsetzen zu können, ist eine wesentliche Bedingung für den Gesetzesglauben der Naturwissenschaft. Hösle (1997, 43) schreibt sogar: "Nur im Rahmen des
Monotheismus macht die Annahme stabiler Naturgesetze einen Sinn". Aus der selben Bewegung kommt auch die Vorstellung universell gültiger Menschenrechte. Kontrafaktisch und
nicht durch Anschauung gedeckt sind beide Seiten der Moderne, die Fallkonstante ebenso wie
die Vorstellung von Gleichheit und Freiheit aller Menschen.
Der Traditionsstrom führt Relikte erfahrungsreligiöser Weltverbundenheit mit. Jede Reformation kann aber gar nicht anders, als durch Klärung des Stroms den Prozeß der Abschneidung
von den Lebenswurzeln des Religiösen und damit die Säkularisierung weiterzutreiben. Ausdrücklich bemerkt Klages, wieviel vom bildhaften Erleben sich im Katholizismus erhalten hat
104
Freilich hat eine Spätkultur viel "Insektenhaftes", doch Schubert setzt damit in gar keine Beziehung, daß eben
das für das Christentum zentrale Naturbild der Verpuppung diesem Reich angehört.
83
(1972, 1264), während der Protestantismus nicht nur zum alttestamentarischen Gott, sondern
auch zu dessen Kultur- und Naturzerstörung zurückkehrt. Das heutige Christentum lebt noch
von letzten Resten des erfahrungsreligiösen Geschiebes. Das, was die meisten Abendländer
heute noch hindert, völlig "rational" im Sinn einer gemütlosen instrumentellen Intelligenz zu
handeln, sind nicht gute Argumente, ist erst recht keine Wesenserkenntnis, sondern sind Gefühlsreminiszenzen. Aber sobald wir argumentieren, beziehen wir uns auf demokratisch, liberal oder utilitaristisch daherkommende Verklausulierungen einer Zweckhaftigkeit ohne Sinn.
3. Dynamik
Rationalisierung
Freud hat das Christentum gegenüber dem Judentum als Rückschritt der Rationalisierung gekennzeichnet. "Die christliche Religion hielt die Höhe der Vergeistigung nicht ein, zu der sich
das Judentum aufgeschwungen hatte. Sie war nicht mehr streng monotheistisch, übernahm
von den umgebenden Völkern zahlreiche symbolische Riten, stellte die große Muttergottheit
wieder her und fand Platz zur Unterbringung vieler Göttergestalten des Polytheismus in
durchsichtiger Verhüllung, obzwar in untergeordneten Stellungen. Vor allem verschloß sie
sich nicht dem Eindringen abergläubischer, magischer und mystischer Elemente ..." (StA B
IX, 536). Der Lohn dieser Rücknahme ist aber der Auszug aus dem Ghetto. Vielleicht hat sich
aus judaistischer Sicht das Christentum mit der Bewältigung der antiken Kultur "überfressen"
und der notwendige Verdaungsschlaf dauerte über 1000 Jahre, doch dann konnten sich Europäer als das neue Volk Gottes verstehen und ihren Kolonialismus als neue Landnahme, wie es
in Händels Oratorien zum Ausdruck kommt
Das Christentum bewahrt freilich auch antike Traditionen, aber es verbindet sich mit den am
stärksten auf Rationalisierung gehenden Elementen der Antike (mit der aristotelischen Philosophie und der galenischen Medizin), die das numinose Welterleben am wenigsten betonen.
Dahinter steht der Wille zur Depotenzierung des Irdischen, zur Negierung der Geister und
Götter zugunsten des einen supramundanen Gottes.
Vittorio Hösle, der das Christentum für seine Brückenfunktion preist, macht zwar darauf aufmerksam, daß bei der Übernahme durch die "Barbaren" Abstriche am Rationalitätsstandard zu
machen waren. Doch gerade der Bruch durch die Barbarenstürme war notwendige Bedingung
für die Formierung des neuzeitlichen Weltbeherrschungsprojekt: Der Bemächtigungsantrieb
der führenden Schichten in der Antike wäre dafür zu schwach gewesen. Für sein ungleich
stärkeres Auftreten in der Neuzeit war die Verwirklichung des Dualismus in der Lebenswelt
84
und die Stabilisierung einer Gegenwelt im Mönchtum des Mittelalters nötig. Gerade hier prägen sich die radikal dualistischen Elemente aus und damit der Kampf gegen die Welt, wie sie
ist. Der Bruch ist die Signatur des Christentums.
Säkularisierung als Zu-sich-selbst-Kommen des Christentums
Die christliche Mission hat den Unterbau abgeschlagen, auf dem Religion überhaupt wurzelt.105 Langfristig gesehen ist die Kultur des christlichen Mittelalters ein Schnittblumenphänomen, sie ist
a) ein Oberschichtphänomen, während die Christianisierung auf dem flachen Land nicht sehr
tief drang,
b) als Religion abgeschnitten vom Wurzelgrund des Religiösen in numinoser Naturerfahrung.
Die Ausrottung des "Heidentums" gelang der Kirche erst in der Neuzeit im Verein mit einer
Rationalisierung,106 die sich bereits gegen das christliche Mysterium selbst (Transsubstantion)
zu richten begann. Hexenverfolgung ist in ihrem Schwerpunkt ein spätmittelalterliches und
neuzeitliches Phänomen. Erst als die Drecksarbeit der Entwurzelung der Religion von den
Inquisitoren wirklich gründlich erledigt war, wandte sich die "aufklärerische" Elite gegen diese auch in der christlichen Form. Die Konfessionsspaltung und ihr blutiger Austrag in unentwirrbarer Mischung mit "weltlich"-politischen Interessen tat ein Übriges. Ebenso der Konflikt
mit den Ergebnissen der Naturwissenschaften nach Kopernikus. Doch diese Wissenschaften
sind selbst Produkt eines Raumes, den das Christentum schuf. Dies in doppelter Weise, einerseits durch Entgöttlichung der Natur, andererseits durch Förderung der am wenigsten mit Mythos und Magie durchsetzen aus der Antike überkommenen Wissenschaftsrichtungen (Galen
und Aristoteles). Die von Dijksterhuis (1956, 143 f.) als problematisch gesehene Allianz mit
dem Aristotelismus verleiht der Entgötterung der Natur überhaupt erst Durchschlagskraft. Der
Platonismus ließ immer wieder zurücktendieren zu einer Dea Natura oder Weltseele wie bei
der Schule von Chartres (Dijksterhuis, Economou, Modersohn). Der Psychologe Wolfgang
Giegerich (1988, 276) betont freilich zu Recht die Ambivalenz der Kirche, die von einer Instanz der Zerstörung in Antike und Frühmittelalter zu einer der Bewahrung von Frömmigkeitsresten im alten Sinn wird. Doch die Besen, die vorher gerufen worden waren, waren in
der Neuzeit eben schon nicht mehr beherrschbar.
105
Speyer 1989, 476 spricht von einem Pyrrhussieg über die Antike, dessen Rückschlag die Renaissance sei. Die
Renaissance ist aber nur einerseits Rückgriff auf die Antike, andererseits ist sie Verschärfung der Religionsverdünnung und projiziert ihre eigene Gesinnung auf die Antike zurück.
106
Thomas von Aquin preist Wissenschaft als dienlich im Kampf gegen den Aberglauben (Dijksterhuis 1956,
147).
85
Auslaufen in Machtvergötterung
Mit der Religion löst sich aber nicht die Kirche auf, sondern an die Stelle der Religion tritt (in
institutioneller Kontinuität) eine bestimmte Form von Anbetung der Macht. Das westliche
Christentum schließt im Kampf gegen die innerweltlichen Numina des Heidentums mehr an
das römische Verständnis der Numina als Mächte als an das griechische Verständnis als Erscheinungen an. Der sonst unsichtbare Gott zeigt sich durch den Effekt, dadurch bekommt die
Geschichte eine Autorität als Gericht ("Die Weltgeschichte ist das Weltgericht"). Die Geste
ist in den Missionsberichten angelegt: Bonifaz fällt den Götterbaum, um dadurch zu beweisen, daß die heidnischen Götter machtlos sind. Vergessen ist, daß dies auch das Argument der
jüdischen Orthodoxie gegen Jesus war: Wenn Du Gott bist, dann hilf dir selbst und steig herab vom Kreuz.
Es ist aus dieser Perspektive nur zu selbstverständlich, Geschichte als Geschichte der Sieger
zu schreiben. Umgekehrt: nur zu den Siegern zu gehören, kann die Richtigkeit, die Gerechtfertigtheit des eigenen Handelns garantieren. Das ist im Calvinismus am radikalsten ausgeprägt, und wird in der Erfolgsanbetung als Ersatzreligion des Bürgertums weitergeführt.
Macht als Wahrheitsbeweis hat auch die reduktionistische Wissenschaft übernommen, und es
ist bis heute ihr durchschlagenstes Argument: Der Reduktionismus kann nicht falsch sein,
schließlich verschafft er uns Herrschaftswissen.107 Der Darwinismus war nicht zuletzt deshalb
so erfolgreich, weil er reduktionistische und fortschrittsgeschichtliche Denkweisen verband.
Ein weiterer Aspekt liegt dem Christentum -insbesondere in seiner augustinischprotestantischen Form eines willkürlich despotischen Gottes- zugrunde: Wenn die Naturordnung oder Gott von dieser Art ist, dann ist der Mensch ihm eigentlich durch sein moralisches
Bewußtsein überlegen. Selbst wenn er unterginge, wäre prometheische Rebellion gerechtfertigt.
Selbstzerstörung als Signum
Die Strukturgleichheit von christlicher und Aufklärungs-Anthropozentrik äußert sich nicht
zuletzt in einem merkwürdigen selbstzerstörenden Charakter. Einerseits entzieht sich das
Christentum im Verlauf der Jahrhunderte selbst seinen Boden, indem es den Boden austrocknet, aus dem die religiöse Qualität der Wirklichkeit erwächst.108 Andererseits aber verkehrt es
107
Das Schema bricht auch Georg Picht nicht völlig, er wendet es nur per Nachhaltigkeit gegen den Reduktionismus, wenn er sagt: "Eine Wissenschaft, die zerstört, was sie zu erkennen vorgibt, kann nicht wahr sein".
108
Eine Parallele zur Dequalifizierung von konkreten Göttern zu einem Gott mit nur einer Hälfte der Eigenschaften und schließlich zu einem qualitätslosen Göttlichen (Deismus), ist die Herausbildung einer Ästhetik mit dem
unqualifizierten Prädikat "schön" anstelle der konkreten Bezeichnung von Wahrnehmungsqualitäten.
86
sich mit dem Verlust seiner spirituellen Substanz selbst in sein Gegenteil. Es zerstört das, was
es auf seine Fahnen schreibt, nämlich Religiosität (Hoffnung, Gewißheit, Sicheinswissen,
Überwindung der Weltangst). Der Grund muß darin liegen, daß es etwas nicht Anstrebbares
in ein Anstrebbares verbiegt.109 Die Religion der Liebe ist eine Bewegung mörderischen Hasses geworden. Das Urphänomen der Liebe ist, wenn kausal zu erfassen versucht, immer schon
negiert. Im ansonsten völlig kausal bestimmten "ökologischen" Denken ist die Forderung
nach Reversibilität von Prozessen ein letzter verdünnter Rest. Gegenseitigkeit denken heißt,
der Logik der Liebe und nicht der Logik der Macht folgen. Es hat enorme Konsequenzen, ob
ich Liebe als ein Gefühl (subjektiv und monozentrisch) oder als eine Wirklichkeit (bizentrisch) beschreibe. Im einen Fall ist ihre Gegenseitigkeit bestenfalls noch als wechselseitiger Egoismus "rekonstruierbar", im anderen Fall ist die Realität als Polarität ihren Trägern
vorgängig.
Diese Struktur geht in merkwürdiger Weise auf die Säkularisate des Christentums über. Die
postchristlichen Großideologien Marxismus, Faschismus und Liberalismus scheitern alle
merkwürdiger Weise genau an dem Punkt, den sie besonders betonen: Der Marxismus betrachtet die materielle Produktion als das Zentrum der Gesellschaft, und genau an dem Unvermögen, sie zu steigern, scheitert er. Der Faschismus schreibt sich die Identität Mitteleuropas gegen amerikanischen und bolschewistischen Materialismus auf die Fahnen, und zerstört
diese nicht erst durch seine Niederlage, sondern schon durch seine Vergewaltigung der gewachsenen Strukturen. Der Liberalismus schließlich, der die individuelle Freiheit aufs Panier
erhoben hat, bringt einen globalisierten Selbstverkaufszwang hervor, der Freiheit von direkt
herrschaftlichen Bindungen zur Freiheit, den Arbeitsplätzen nachzuziehen, verkommen läßt.
Die Menschenrechtsideologie schließlich, über die der Westen sich nach Vietnam zunehmend
definiert, will das Individuum stärken. Im Namen der Menschenrechte werden aber Kulturen
uniformiert und dadurch Menschen ihrer Identität beraubt.
4. Praxis
Schaffung einer Lebensform jenseits der Scheidung von Herr und Knecht
Die Spaltung von ethisch verantwortlichem Subjekt und bloßer Natur, von der Sokrates sagt,
sie wolle ihn nichts lehren, und die Spaltung von einer einem himmlischen Ort angehörigen
Lichtnatur und einer finsteren Triebnatur sind zwei Seiten ein und desselben Spaltungsprozesses. Daß es in der Antike zu keiner technischen Entwicklung kam, ist zurückzuführen auf die
109
Es scheint nicht davon besser zu werden, daß man Erlösung als Gnade formuliert, denn man kommt damit
87
Ungebrochenheit des zyklischen Geschichtsbilds, die stets wache Sinnfrage, den stetigen, die
Isolation eines bloß Funktionellen ausschließenden Bezug auf das Ganze, die Geringschätzung des nur Nützlichen und Banausischen und des schrankenlosen Gelderwerbs, die Unterscheidung von Verstehen und Verändern der Welt (Lämmli 1968, 60), kurz der Ungebrochenheit des Homo religiosus, bei aller intellektuellen Ziseliertheit. Diese Kennzeichen des
antiken Gebildeten bilden eine wirksame Barriere gegenüber jeder Entwicklung einer Zivilisation110 im modernen Sinn.
Die Abwertung der Welt schließt die der kulturellen Hierarchien ein. Das Christentum wertet
die Hand- und Erwerbs-Arbeit gegenüber der Antike auf. Freilich wird ihr bei den antiken
Christen noch keine Heilsbedeutung zugesprochen. Dies setzt erst mit der karolingischen Zeit
ein. Erst am Ende des 10. Jahrhunderts erscheint der Fabricator Mundi mit technischen Geräten. Träger dieser Strömung ist das benediktinisch geprägte Mönchtum. Mönchtum bedeutet
eine Lebensweise, die für die theoretische Zwischenstellung des Christentums zwischen kontemplativem Darüberstehen und handelndem Involviertsein eine praktische Verwirklichungsform anbietet. Arbeit wird zum Heilmittel. Der Bürger protestantischer Prägung ist ein aus
dem Kloster entsprungener Mönch, wie es Luther auch persönlich war.111
Das Christentum schlägt die Brücke von theoretischer Unzufriedenheit mit der Welt zu praktischer Veränderung. Wesentlich dafür sind Unterströmungen, wie der Chiliasmus, der eine
Wiederherstellung des Paradieses auf Erden denkbar macht. Gregor der Große argumentiert
aufgrund des Dominium Terrae, an dem jeder Mensch teil habe, gegen die Sklaverei. Als
Würde des Menschen erscheint seine Schöpferfähigkeit (Krolzik 1979,73).
Auch bei der Einstellung zur Handarbeit beobachtet Krolzik (1979, 65 f.) einen deutlichen
Unterschied zwischen Ost- und Westkirche. In ersterer wird das kontemplative Leben in Auslegung von Luk 10,38-42 deutlich vorgezogen. Wenn im mönchischen Zusammenhang gearbeitet wird, dann geht es um die Übung, nicht um das Produkt, ja es kann sogar der Teppich,
der tags gewebt wird, abends wieder aufgetrennt werden (Krolzik 1979, 68). Dagegen läßt ein
gallischer Abt seinen Mönchen eine Wassermühle bauen, damit sich die Mönche nicht mehr
mit Handmühlen abplagen müssen.112 Auch Aggressivität gegenüber den Naturgöttern, soweit
nicht aus der Subjekt-Objekt-Stellung heraus.
110
Zivilisation heißt Verbürgerlichung und Bürger meint die Einheit von Herr und Sklave in einer Person.
111
Mit Recht weist Mumford (1977, 301 ff.) auf diesen Zusammenhang hin.
112
Gregor von Tours, zit. Krolzik 1988, 68. Büchel stellt dieses Beispiel der bekannten chinesischen Technikkritik gegenüber, wonach, wer Maschinen benutzt, ein Maschinenherz bekomme. Tatsächlich ist die Wassermühle
eine Entfernung der Maschine. Gerade die Mühlen von Clairvaux erscheinen in der zisterziensischen Schilderung des Klosters (PL 185, 570 f.) als Bild dafür, wie die Natur den Boten des Geistes dient. Die Durchsetzung
der Wassermühle von Klöstern aus könnte freilich auch einen Grund in den dort weniger komplizierten Rechtsverhältnisen haben.
88
mit Arbeit verbunden (Baumfällen), ist für einen östlichen Mönch kaum denkbar (Krolzik
1979, 67).
Zusammengehen von Empirie und Mathematisierung
Man kann die verzögerte Wirkung vielleicht auch daraus erklären, daß Platonismus und
Aristotelismus bis zur Neuzeit immer getrennt auftraten, wobei dem Platonismus die Empirie113 und dem Aristotelismus die Mathematisierung fehlte.114 Erst die Verbindung beider115
schafft den Sprengstoff für den Kampf gegen die Natur.
Vorläufiges Fazit
Das Christentum ist die Form, in der die Abkehr vom Polaritätsdenken der Erfahrungsreligion
im Abendland Radikalität gewinnt und der Rückweg unter Todesdrohung abgeschnitten wird.
Das Christentum zementiert eine Entscheidung, die in der Antike bereits gegen Heraklit gefallen ist (Schmitz 1999), die aber erst mit dieser Zementierung unumkehrbar wird.
Man kann sich mit den Apologeten des Christentums darauf verständigen, daß nicht das Christentum schuld ist, sondern seine Entgleisung, aber man muß klarstellen, daß es gegen diese
Entgleisung – auch wenn sie vielleicht nicht notwendige Weiterentwicklung ist (als Gegenbeispiel erscheint die Ostkirche) – keine Haltegriffe mehr gibt, wenn einmal die conditio
humana als zu überwindende erscheint. Auch Drewermann (1990, 80) betont gegen Krolzik,
daß im Judaismus die Natur von Anfang an nur Mittel war. Es ist letztlich nicht der Unterwerfungsauftrag, auch nicht die Entzauberung der Naturgötter, sondern der Versuch, aus der
menschlichen Grundbedingtheit auszubrechen. Ansätze dafür hat es auch in anderen Kulturen
gegeben, zu erklären ist, warum im westlichen Christentum kein Rückweg mehr von der Idee
zur Erfahrung gefunden wurde. Entscheidend scheint hierfür die Vergeschichtlichung der
Wirklichkeit durch Sündenfall und Restitution, die es auch im Islam nicht gibt.
Das Christentum scheint mir weniger ein Movens für den abendländischen Sonderweg als
vielmehr eine ermöglichende Bedingung, und zwar vor allem dadurch, daß es gegenüber der
antiken Dualität von betrachtender Weisheit und handelndem sich Einrichten in der Welt, eine
andere, nämlich die von Weltgebundenheit und Weltablösung stark machte. Diese neue Dualität wurde sozial realisiert, als das Christentum anderen Kulturen aufgepfropft wurde, so daß
113
Dijksterhuis polemisiert gegen Platons Überschätzung der Möglichkeiten des Denkens gegenüber der Erfahrung.
114
Bezeichnend für letzteres scheint mir Anneliese Maiers (1955, 402) Bemerkung, daß man gegen das Messen
die Ungenauigkeit anführte, daß man sich also gegen den Verzicht auf Exaktheit und die Lösung vom Augenschein sperrte, die die "exakte" Naturwissenschaft überhaupt erst möglich machen.
89
sich eine Spaltung von autochthoner und aufgepfropfter Kultur (Unter- und Oberschicht) ergab. In dieser Zweiteilung konnte in Verbindung mit dem grundsätzlichen Impuls eines
Nichteinverstandenseins mit der vorhandenen Welt die praktische Arbeit an der Perfektionierung der irdischen Bedingungen als Teil einer Überwindung der Welt begriffen werden.
Die Bedeutung des Christentums wäre aber schon enorm, wenn seine Rolle allein darin bestanden hätte, dem praktischen Veränderungswillen eine Nische zu schaffen, in der er sich
nicht sofort gegenüber Transzendenzforderungen rechtfertigen mußte. Ob die Antriebe der
Eroberer und Techniker tatsächlich religiöse oder sehr "weltliche" waren, ist weniger wichtig
gegenüber der Tatsache, daß diese Form der Religion ihnen einen Spielraum und eine Rechtfertigung gab, so daß sie sich den eigenen Motiven gar nicht stellen mußten.
Historische Fragen
Es handelt sich auch bei meiner eigenen Skizze um einen reichlich freihand gezeichneten
Entwurf, wie die Hauptwirkungen des Christentums auf das Naturverhältnis in ihrer Interaktion zu denken sein könnten. Historische Forschung wird, um auf sicheren Boden zu kommen,
eine solche Skizze lediglich als Perspektive nehmen können, ansonsten aber sich der Untersuchungen einzelner Elemente widmen müssen. Eigentlich ist heute freilich weniger interessant,
wie es zur Moderne kam, als wie sie überschritten werden kann. Eine Brücke zwischen beiden
Fragerichtungen bildet vielleicht eine genauere Untersuchung der Selbstzerstörungsdynamik
im Christentum und seinen neuzeitlichen Säkularisaten.
Es geht perspektivisch darum, Transzendenz wiederzugewinnen. Wenn Rolf Peter Sieferles
Analyse eines absehbaren Scheiterns des Universalismus richtig ist, dann geht es darum,
Transzendenz als Lebensbedingung der Humanität gerade von der Universalität zu lösen. Das
geht selbstverständlich nicht im geschichtsleeren Raum, sondern nur in Anknüpfung an Traditionen, die als Unterströmungen immer vorhanden geblieben sind. Und hier muß historisch
gefragt werden:
-
Wo zeigen sich Erbstücke nicht universalistischer Transzendenz? (etwa im Polaritätendenken seit Heraklit).
-
Wo zeigt sich in der Geschichte des Christentums die Notwendigkeit eines Rückgriffs auf
erfahrungsreligiöse Elemente (Bendrath) ?
-
Was sind die Bedingungen der Funktionsfähigkeit des Traditionsprinzips?
-
Sind alle anderen Konzepte traditionaler Gesellschaften Natur-Hierarchie-Konzepte?
-
Inwiefern ist die Verdienst- und Pflichtethik (Ferry) überhaupt Produkt des Christentums?
(Vergleichspunkt wäre wohl der Konfuzianismus).
115
Von Groh/Groh 1991, 36 in Italien lokalisiert, während die englische Forschung mehr platonisch gewesen sei.
90
-
Wann kommt welcher der verschiedenen schon bei White und in der Debatte seither genannten Faktoren zum Tragen?
-
Was bedingt die Verbindung der Faktoren?
-
Welche Beschleunigungs- und Verzögerungsfaktoren wirken auf die dem Christentum
immanente Dynamik ein? Wird der Prozeß durch die Völkerwanderung zurückgeworfen
oder beginnt er erst auf deren Grundlage (man kann ja sagen, daß das Lehenssystem einem Polaritätsdenken nahesteht).
Nicht zuletzt wäre es freilich einmal interessant, die Debatte um das Christentum als mögliche
Wurzel unserer ökologischen Krise selbst als historisches Phänomen zu betrachten. Gerade
von kirchlicher Seite wäre längst eine Thematisierung zu erwarten, was hier eigentlich vorgegangen ist. Ist doch die Theologie und Kirchengeschichte beider großer Konfessionen vor
rund 100 Jahren dem Projekt aufgesessen, in Verteidigungsstellung gegen die liberale Kritik
das Verdienst des Christentums am abendländischen Sonderweg aufzuzeigen. Kritiker, die
darin schon damals kein Ruhmesblatt sahen (wie Klages), glaubte man vernachlässigen zu
können, doch damit stellte die pro-christliche Geschichtsschreibung das Material bereit, das
White, Amery, Drewermann u.a. mit geändertem Vorzeichen nur zu übernehmen brauchten,
nachdem die Moderne problematisch geworden war.
91
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