Rolf Peter Sieferle Helga Breuninger (Hg.) Das Christentum und die Dynamik der Säkularisierung Reinhard Falter Der Europäische Sonderweg Ein Projekt der Breuninger Stiftung Band 5 Stuttgart 2000 ›Der Europäische Sonderweg‹ Eine Schriftenreihe der Breuninger Stiftung GmbH, Stuttgart Herausgeber: Rolf Peter Sieferle, Helga Breuninger © Breuninger Stiftung GmbH, Stuttgart 2000 Umschlaggestaltung: Volker Hann Herstellung: Books on Demand GmbH, Norderstedt ISSN 1616-1602 Projektleitung ›Europäischer Sonderweg‹ Breuninger Stiftung Prof. Dr. Rolf Peter Sieferle Breitscheidstraße 8 Universität St. Gallen D-70174 Stuttgart Kulturwissenschaftliche Abteilung tel. + 49 (0) 7 11 / 2 57 88 08 Gatterstrasse 1 fax + 49 (0) 7 11 / 2 57 88 09 CH-9010 St. Gallen [email protected] www.breuninger-stiftung.de [email protected] Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis 3 VORWORT ................................................................................................................................ 5 EINLEITUNG ........................................................................................................................... 7 I. Auseinandersetzung mit der Literatur ..................................................................8 1. Die Ankläger des Christentums ............................................................................................ 8 1.1. Lynn White 8 1.2. Parallelen zu White bei anderen Autoren 13 1.2.1. Vorläufer 13 1.2.2. Toynbee und Maurer 19 1.2.3. Drewermann 20 1.2.4. Carl Amery 23 1.2.5. Wolfgang Giegerich 23 1.2.6. Philip Sherrard 26 1.3. Kritik vom Standpunkt außerchristlicher Religionen 27 1.3.1. Islam 27 1.3.2. Die asiatische Perspektive 35 1.4. Neuheidnische Kritik 36 2. Gegenargumente ................................................................................................................. 41 2.1. Alternative Theorien 41 2.2. Christliche Argumente gegen White 43 2.2.1. Apologeten, die eine Schuld des Christentums negieren 44 2.2.2. Apologeten, die ein anderes Christentum wollen 49 2.2.3. Anthroposophische Apologeten 51 2.3. Apologeten der Moderne 57 3. Einzelstudien zu den historischen Hintergründen............................................................. 61 3.1. Die Wirkungsgeschichte des Dominium terrae 61 3.2. Das Christentum als Wurzel der Individualisierung 62 3.3. Der Naturbegriff im christlichen Kontext 64 3.4. Bettelorden und mittelalterliche Mobilisierung 68 3.5. Handwerkerparadigma und Mechanisierung 69 3.6. Fortschrittsvorstellung und Säkularisierungsprozesse 71 II. Erste Ansätze zu einer Geschichte der abendländischen Dynamik ...............73 1. Ausgangsimpulse................................................................................................................. 73 Negierung des Kerns der Erfahrungsreligion 73 Außerweltliche Heimat des Menschen und Verlichtung 74 Historisierung der Natur und Anthropozentrismus 75 Fortschritt 77 Universalismus 78 Individualisierung 79 Introjektion 80 2. Interferenzen ....................................................................................................................... 81 Propfreligion – Dualismus als Erfahrung 81 Negierung des Werdenden und damit der Natur 82 Unverstehbarwerden der Natursprache 83 Kontrafaktische Setzung und Dogma 85 3 3. Dynamik............................................................................................................................... 86 Rationalisierung 86 Säkularisierung als Zu-sich-selbst-Kommen des Christentums 87 Auslaufen in Machtvergötterung 88 Selbstzerstörung als Signum 89 4. Praxis ................................................................................................................................... 90 Schaffung einer Lebensform jenseits der Scheidung von Herr und Knecht 90 Zusammengehen von Empirie und Mathematisierung 91 Vorläufiges Fazit ..................................................................................................................... 92 Historische Fragen 93 Literatur ................................................................................................................................... 95 4 "Wenn ein CSU Mann "christlich" sagt, meint er nicht das und das glauben, sondern Selbstverantwortlichkeit" (W. Thiem) VORWORT Die heute weltumspannende Zivilisation hat ihre Fundamente in einer Sonderentwicklung des "Abendlandes" gegenüber vergleichbaren Großkulturen (Ostasien, Islam). Fragt man nun nach den Faktoren dieser Sonderentwicklung, so liegt es nahe, auch den Faktor einzubeziehen, in dem sich diese Kulturen ganz offensichtlich unterscheiden: die Religion. So ist es nicht verwunderlich, daß auch in neuerer Zeit immer wieder das Christentum für die Geschichte des Abendlandes, insbesondere für das hier entstandene Projekt wissenschaftlich technischer Naturbeherrschung, verantwortlich gemacht wurde. Inhalt der Studie ist die Prüfung der bisher von sehr unterschiedlichen Autoren aufgestellten Thesen. Die Argumentationsmuster sind dabei weitgehend unabhängig von der subjektiven Bewertung des Prozesses und seines Ergebnisses durch die jeweiligen Autoren. Zum einen wird immer wieder die Naturfeindschaft der "Wüstenreligion", zum andern die Individualisierung - im Gefolge der Vorstellung von einer unmittelbaren Gottesbeziehung des einzelnen Menschen - genannt. Beide Erklärungen sind aber zumindest einseitig. Wüstenreligion und Religion städtischer Händlerkultur ist ja auch der Islam. Wie die arabische, hatte zudem die chinesische Kultur bis ins Mittelalter einen zivilisatorischen Vorsprung. Die entscheidenden Faktoren scheinen also -wenn auch vielleicht älteren Ursprungs- zumindest erst in der Neuzeit zur Wirkung gekommen zu sein. Es hat sogar eine gewisse Plausibilität, das Christentum als Verzögerer des Fortschritts darzustellen, wie dies seit der Aufklärung immer wieder geschah und um 1900 seinen Höhepunkt erreichte. Spiegelbildlich zu dieser Christentumskritik gibt es eine christlich-apologetische Tradition, die die Dechristianisierung für alle negativen Seiten der Moderne verantwortlich macht. Auf den ersten Blick scheint es sehr seltsam, was für unterschiedliche Schilderungen sich aus dem selben Faktenmaterial entwickeln lassen. Dennoch handelt es sich wohl nicht nur um ideologisch gefärbte Einseitigkeiten. Die beiden zunächst so konträr scheinenden Auslegungen – Christentum als Motor und Verzögerer der Moderne – lassen sich verbinden, wenn man im Christentum eine selbstaufhebende Tendenz nachweisen kann, das heißt, wenn ihm Säkularisierung immanent ist. 5 Die Spezifika des Christentums gegenüber anderen Monotheismen lassen sich nur als Geschichte seiner eigenen Metamorphosen herausarbeiten, die mit dem grundstürzenden Wandel von der Naherwartungsreligion des ersten zu der Reichsreligion des vierten Jahrhunderts keineswegs zu Ende ist. Man könnte geradezu die Frage stellen, was dem Christentum seine unglaubliche Wandlungsfähigkeit beschert. Hier fangen freilich bereits Definitionsschwierigkeiten an. Was soll Christentum genannt werden? Der Glaube einer bestimmten Kirche oder nur das Gemeinsame aller Konfessionen, die sich auf Jesus von Nazareth als Erlöser oder auch nur als Vorbild beziehen? Christliche Apologeten neigen im Zeichen der Umweltkrise dazu, jeweils ihre eigene Konfession freizusprechen und die Verantwortung auf "Fehlentwicklungen" anderer Konfessionen oder Sekten zu schieben (so etwa von katholischen Autoren unter Hinweis auf Max Webers "Protestantismusthese"). Aber auch eine neutralere Betrachtung muß differenzieren: Der amerikanische Historiker Lynn White, der entscheidene Anstöße für die Diskussion der hier entwickelten Fragestellung gab, hat z.B. das orthodoxe Christententum (Ostkirche) ausdrücklich als andersartig charakterisiert. Bei unserer Studie steht wie bei White die Frage im Mittelpunkt, ob es im Christentum Wurzeln des spezifisch abendländischen Naturverhältnisses und des Projekts technischer Naturbeherrschung gibt. Dabei wäre es zu wenig, nur einzelne Motive des Naturverhältnisses oder gar des Dogmas herauszugreifen (etwa das vielfach überbewertete Motiv "Macht euch die Erde untertan!"). Wir befragen vielmehr einzelne Elemente nach ihrer Beziehung zum Glaubenssystem, innerhalb dessen sie Nahrung fanden. Das bedeutet für das Definitionsproblem: wir bezeichnen zunächst als abendländisches Christentum die Summe jener Ideen, Einstellungen und Motive, die kulturbildend waren. Uns interessiert damit zunächst allein das "realexistierende" Christentum und nicht, inwiefern dieses durch heilige Texte gedeckt ist. Nicht um Ideen und ihre logischen Folgerungen geht es, sondern um Ideen, die zu Triebkräften wurden, weil sie Anliegen konzeptualisieren. Ideen sind austauschbar, aber die entsprechenden "Nischen" im Bewußtsein müssen – wenn sie einmal entstanden sind – neu gefüllt werden. Man kann sagen, es geht nicht um Kontinuität der Inhalte und Antworten, sondern um Kontinuität der Attitüden und Fragen. Dabei ist zu beachten, daß eben die Fragestellungen nicht Anthropina sind. Die Frage nach einer Entwicklung der Menschheit in die Zukunft hinein, der Wunsch nach Unsterblichkeit, ist nicht allgemein-menschlich, sondern gewinnt im mediterranen Raum in den ersten Jahrhunderten nach Christus eine neue Virulenz. Man kann unterschiedlicher Meinung sein, ob dabei das Christentum umkonstellierend gewirkt hat, oder ob seine Durchsetzung und Durchformung selbst 6 eher Produkt einer Umkonstellierung ist, für die andere Ursachen gesucht werden müssen (Trend zur Individualisierung, Introjektion, etc.). Aber auch dann ist es berechtigt, den Komplex nach der Gestalt zu benennen, in der er sich verdichtet hat, nämlich Christus. Herangezogen werden sollen für die Analyse des Christentums auch moderne kritische Positionen der außereuropäischen Kulturen (insbesondere des Islam), weil sie eine Außenperspektive vermitteln, die zunächst recht befremdlich, aber sehr anregend ist, auch wenn natürlich die Frage berechtigt ist, ob es sich dabei nicht einfach um Polemik und Apologetik zwischen Großreligionen handelt, und inwiefern angebote Alternativkonzepte tragfähig sind, z.B. wie weit es mit einem pfleglichen Umgang mit Natur in islamischen Ländern her ist. EINLEITUNG Das Christentum, insbesondere in seiner protestantischen Betonung der jüdischen gegenüber den griechischen Wurzeln ist von so unterschiedlichen Autoren wie Max Weber1 und Ludwig Klages als eine der Triebkräfte des europäischen Sonderwegs identifiziert worden. Zum einen wird dabei immer wieder die Naturfeindschaft der Wüstenreligion, zum andern die Individualisierung am Band der Gottesunmittelbarkeit genannt. Das Wirkungsgefüge ist, wie bereits im Vorwort andgedeutet, komplex. Zu unterscheiden sind: 1. Ausgangsimpulse die in der Moderne zum Tragen kamen - Universalismus, Individualisierung, Dualismus als Erfahrung - Negierung des Kerns der Erfahrungsreligion - Vergeschichtlichung - Introjektionsschub 2. Nebenfolgen - Naturentheiligung, kontrafaktische Setzung und Dogma 3. Metamorphosen - Rationalisierung, Säkularisierung als Zu-sich-selbst-Kommen des Christentums 4. Praxis - Schaffung einer Lebensform jenseits der Scheidung von Herr und Knecht - Verbindung von Platonismus und Aristotelismus Problematisch ist, daß weder Moderne noch Christentum eindeutig definiert sind. Aufzählend könnte man mit Böckenförde (1986) als Züge der Moderne benennen: 1 Webers These vom Zusammenhang von Calvinismus und Kapitalismus ist auch heute noch wirkmächtig, auch wenn sie vielfach als überholt dargestellt wird (dazu Münk 1987, 188). 7 1. Die Mittelpunktstellung des Einzelmenschen 2. Der Zug zur instrumentellen Rationalität und zum Abbau traditioneller Bindungen 3. Das Fortschrittsdenken 4. Die Anfälligkeit für Totalitarismen infolge von Orientierungsproblemen jenseits der instrumentellen Rationalität Besonders christliche Apologeten bezeichnen die jeweils zur Debatte stehenden Varianten und Säkularisate als Abweichungen vom eigentlichen Christentum. Tatsächlich ist das Christentum ein "dynamischer Synkretismus"2 (Bendrath), in dem sich einzelne Stränge, die für die Naturdebatte interessant sind (etwa Fortschrittsvorstellung, Naturentheiligung, Anthropozentrik) in wechselnden Konstellationen und wechselnden Gewichten mischen. Wir müssen uns am Schluß der Studie fragen, ob es nicht besser ist, einzelne Stränge der Christentumsdebatte jeweils einzeln zu untersuchen und eher vorsichtig mit der Verwendung eines Gesamtbegriffs zu sein. I. Auseinandersetzung mit der Literatur 1. Die Ankläger des Christentums 1.1. Lynn White Lynn Whites (1967) essayistische Darstellung des Christentums als wesentliche Voraussetzung unserer ökologischen Krise hat eine Diskussion ausgelöst, die seit 30 Jahren nie mehr ganz abgerissen ist. Sie hat eine apologetische Reaktion provoziert, deren Autoren meist ein historisches Christentum von dessen eigentlich gemeintem Kern unterscheiden wollen. Diese Denkfigur ist aus der Apologetik gegenüber anderen "gnadenlosen Folgen des Christentums" (etwa Intoleranz) bekannt. Der Frage nach ideologisch-religiösen Ursachen des abendländischen Sonderweges wendet sich White erst nach langen, mehr faktischen Fragen der Technikentwicklung im Mittelalter gewidmeten Forschungen zu. Whites technikgeschichtliches Lebenswerk ist der neuen Wahrnehmung mittelalterlicher Technik gewidmet, eines Fortschrittes dieser Technik, die die byzantinische und islamische Zivilisation hinter sich läßt und mit der chinesisches gleichzieht (1978, 218). White sieht die Grundlage vor allem in einer besonderen Aufnahmefähigkeit des Abendlandes (1978, 235) für importierte Techniken, sei es das aus China über die islamische Region kommende Papier, das in Europa mit wasserradgetriebener Schöpfung kombiniert wird, während es in Byzanz Importartikel bleibt (1978, 226 f.), sei es der Bogen für Streichin- 8 strumente aus Indien. All dies fiel im Abendland auf fruchtbaren Boden und gewann z.T. ganz neue Bedeutung: Das perpetuum mobile blieb in Indien Symbol des Karma, im Islam eine Kuriosität, der der weltanschauliche Kontext fehlte, im westlichen Christentum wurde es zur Leitidee. Erst nach Jahrzehnten sammelnder Forschung geht White vorsichtig an die Frage nach den Ursachen. Keinesfalls glaubt er an monokausale Zusammenhänge: "Many forces shaped the Middle Ages, but of these the most powerful was religion" (1978, 252). Das kommt mit dem gängigen Mittelalterbild überein, in das White seine Entdeckung einer beachtlichen technischen Entwicklung implantieren möchte. Für die These einer religiösen Prägung beruft er sich auf Benz, Forbes, Sambursky (1978, 236 f.). In seinem populären Aufsatz, zuerst veröffentlicht im März 1967 in der Zeitschrift "Science", faßt er seine Grundthesen zusammen. Zum einen betont er, daß die technische Überlegenheit des Westens nicht erst in der Neuzeit einsetzt (1974, 20), zum anderen, daß sie nur aus religiösen Gründen erklärt werden kann. Für ersteres führt er die über Getreidemühlen hinausgehende Nutzung von Wasser und Windkraft nach der Jahrtausendwende an, sowie den schweren, von acht Ochsen gezogenen Pflug seit dem 7. Jahrhundert, der seiner Meinung nach ein ganz neues Naturverhältnis mit sich bringt. Die Subsistenzlandwirtschaft, deren Produktionsgrößen auf die Familie abgestellt sind, werde abgelöst durch landwirtschaftliche Einheiten, die acht Ochsen aufbringen können. "Thus, distribution of land was based no longer on the needs of a family but, rather, on the capacity of a power machine to till the earth. Man‘s relation to the soil was profundly changed. Formerly man had be part of nature; now he was the exploiter of nature. Nowhere else in the world did farmers develop any analogous agricultural implement" (1974, 22 f.). White sucht nun dafür keineswegs nach direkten Gründen ideologischer Art, vielmehr gibt er als Ursache die Differenz zwischen leichten mediterranen und schweren nordischen Böden an. Aber er stellt Entwicklungen, wie sie sich beispielsweise in der Ikonographie finden, die das Weltbild der Oberschichten darstellen, als Parallelen dar, so etwa den Übergang von den Monaten als passiven Personifikationen zu Monatsdarstellungen, die menschliche Tätigkeiten zeigen (1974, 23). Relativ unvermittelt folgt der Satz: "The victory of christianity over paganism was the greatest psychic revolution in the history of our culture" (1974, 23). Als Auswirkungen angeführt werden die Vorstellung eines geschichtlichen Fortschritts, die dem griechisch-römischen Altertum und dem Orient fremd sei, die Entheiligung der Naturwesen, die Spaltung von außerweltlichem Gott und materieller Natur und die Anthropozentrik, die den Menschen sogar als 2 So Christian Bendrath in einem Vortrag „Christentum heute“ vom 12.4.1999 in der Seidlvilla München. 9 Ebenbild Gottes betrachtet. Er ist von daher auch in der Lage, Gottes Gedanken nachzudenken. Nur im Westen freilich entsteht daraus die Vorstellung, daß der Mensch Fortsetzer von Gottes Schöpfung sein könne. White betont den Unterschied zur Ostkirche. Als mögliche Ursache gibt er an, daß im byzantinischen Reich eine weltliche Tradierung der antiken Kultur erhalten und vom Mönchtum getrennt geblieben sei, während im Westen das Mönchtum zum Träger der gesamten Zivilisation geworden sei und damit sowohl Wissenschaft und Technik als auch Handarbeit und Askese vereint worden seien (1978, 243). Die These, daß Arbeit Gottesdienst sein könne, bezeichnet White freilich als "orginally jewish" (1978, 241). Die orthodoxe Theologie sei intellektualistisch, die westliche voluntaristisch, erstere sehe in der Sünde einen Mangel an Einsicht, letzter einen Mangel an Stärke (1974, 25 f.). Dem entspreche, daß es in der Naturbetrachtung des frühen Christentums und der Ostkirche um symbolische, im westlichen Christentum aber um Funktionszusammenhänge gehe (1974, 26). Der Regenbogen ist auf der einen Seite Zeichen des Bundes, auf der anderen Seite ein interessantes optisches Phänomen. Bezüglich des Unterschieds zur Ostkirche könnte man natürlich auch romanisch-germanische und griechisch-slawische Mentalitäts- und Traditionsunterschiede heranziehen.3 White sieht eher umgekehrt die Slaven durch die byzantinische Mission geprägt (1978, 244). Die Frage nach dem Unterschied von Ost- und Westkirche kann dazu führen, griechische und römische Attitüden gegenüber der Natur in den ersten drei Jahrhunderten der römischen Kaiserzeit einander gegenüberzustellen. Zweifellos liegt die Vorstellung, die Natur wolle umgestaltet sein, der römischen Mentalität näher als der griechischen, aber auch bei Demokrit findet sie sich schon (Lämmli 1960, 63). Der Text des Antipater, wonach die Nymphen die Arbeit von Sklavinnen übernehmen, widerspricht eigentlich griechisch-aristokratischem Empfinden, das sich kaum um das Schicksal von Sklavinnen sorgt.4 Nun stellt White seine beiden Thesen von den mittelalterlichen Ursprüngen und den christlichen Wurzeln des abendländischen Sonderwegs aber in einen aktuellen Kontext, nämlich den einer ökologischen Krise, die er von der "normalen" Überformung der Natur durch Großzivilisationen absetzt. Den Assuanstaudamm hält er nur für die letzte Stufe eines langen Prozes3 White erwähnt einmal die besondere Erfindungsfreudigkeit der Kelten (1978, 228). White 1978, 237 führt ihn als Beleg an, daß Befürwortung von Technik aus Mitleid nicht auf das Christentum beschränkt ist. Ich habe eine Deutung vorgeschlagen, wonach das Treiben der Nymphen nicht als Sklaverei anstelle der Sklavinnen, sondern als ihr anmutiges Spiel empfunden worden sein könnte, ja, wonach es in dem Gedicht um einen Wechsel der Nymphen vom artemisischen in den demetrischen Charakter geht (Natur als Landschaft und als Gott, in: Rolf Peter Sieferle/Helga Breuninger (Hg.): Natur-Bilder - Wahrnehmungen von Natur und Umwelt in der Geschichte, Frankfurt/M. 1999, 137-179 hier 152 f. 4 10 ses, der bereits seit 6000 Jahren die Ufer des unteren Nil zu einem "human artefact" gemacht habe (1974, 16). Ganz neue Dimensionen sieht er aber mit Entwicklungen wie der globalen Luftverschmutzung, der Bedrohung des gesamten Genpools der Erde durch die Freisetzung von Radioaktivität und der globale Überbevölkerung gegeben. Diesen Entwicklungen gegenüber hält er Einzelfalllösungen wie "ban the bomb, tear down the billboards, give the Hindus contraceptivs and tell them to eat their sacred cows" (1974, 18) für unangemessen. Vielmehr müsse auf die Wurzeln der Entwicklungen zurückgegangen werden. Zunächst formuliert er interessanterweise das Problem noch nicht als eines der christlichen, sondern der "demokratischen" Kultur: "Our ecologic crisis is the product of an emerging, entirely novel, democratic culture. The issue is whether a democratized world can survive its own implications" (1974, 19): Das ist die Frage nach der Nachhaltigkeit dieser Kultur nicht nur im Materiellen, sondern auch, ob sie ihre eigenen geistigen Ressourcen reproduzieren kann.5 Erst im Schlußteil seines Aufsatzes sucht er auch die Lösung des Umweltproblems auf religiösem Feld: Die Probleme könnten nicht durch mehr Wissenschaft und mehr Technik gelöst werden (1974, 28). Weil die Wurzeln des Problems religiöse seien, müsse auch das Heilmittel "essential religious" sein (1974, 31). So sehr White heidnische Naturfrömmigkeit 6 und christliche bzw. postchristliche Naturverachtung einander gegenüberstellt – für letztere führt er den Ausspruch des damaligen Gouverneurs von Kalifornien an, "when you‘ve seen one redwood tree you‘ve seen them all" und bemerkt "To a Christian a tree can be no more than a physical fact" – so wenig schlägt er doch eine Wiederbelebung des Heidentums vor, eher noch sieht er bei den "beatniks" seiner Zeit eine Affinität zum Zen.7 Vielmehr versucht er, eine christliche Alternativ-Tradition stark zu machen, nämlich die franziskanische, auch wenn oder gerade weil er meint, deren Wertschätzung der Tierseele habe mit dem Einfluß katharischer Reinkarnationsideen zu tun (1974, 29). 5 Dazu: Falter 1999, 17 In einer Passage wiederholt er ganz sinngemäß Ludwig Klages' Ausführungen von 1913, freilich wohl ohne ihn zu kennen: Bei White heißt es: „In antiquity every tree, every spring, every stream, every hill had its own genius loci, its guardian spirit. These spirits were accessible to men, but were very unlike men; centaurs, fauns and mermaids showed their ambivalence. Before one cut a tree, mined a mountain, or dammed a brook, it was important to placate the spirit in charge of that particular situation and to keep it placated. By destroying pagan animism Christianity made it possible to exploit nature in a mood of indifference to the feelings of natural objects"(1974, 25). Bei Klages heißt es: "Wir sagten oben, die alten Völker hätten kein Interesse gehabt, die Natur durch Versuche auszuspähen, sie in Maschinen hinein zu knechten und listig durch sich selbst zu besiegen; jetzt fügen wir hinzu, sie hätten es als Asebeia, Verruchtheit verabscheut. Wald und Quell, Fels und Grotte waren für sie ja heiligen Lebens voll; von den Gipfeln hoher Berge wehten die Schauer - darum, nicht aus Mangel von Naturgefühl bestieg man sie nicht. Gewitter und Hagelschlag griffen drohend oder verheißend in das Spiel der Schlachten ein. Wenn die Griechen einen Strom überbrückten, so baten sie den Flußgott für die Eigenmächtigkeit der Menschen um Verzeihung und spendeten Trankopfer. Baumfrevel wurden im alten Germanien blutig gesühnt. Fremd geworden den planetarischen Strömen sieht der heutige Mensch in alledem nur kindlichen Aberglauben" (Klages 1973, 22 f.). 7 White spricht andernorts (1978, 236) von einem antitechnologischen Impuls im Zen. 6 11 Whites Thesen waren nicht neu. Daß sie ein so großes Echo fanden, hängt mit dem Aufbruch der Ökologie-Bewegung als Teil des mit dem Datum 1968 markierten kulturellen Impulses zusammen. Whites Aufsatz wurde unter anderem auch in "The Oracle", dem Organ der Hippie-Kultur in San Francisco, nachgedruckt. Dazu paßt der Schlußverweis auf den "AussteigerApostel" Franz von Assisi. Whites These vom Christentum als Wurzel der Krise mündet in einen Aufruf, nach anderen spirituellen Traditionen zu suchen. White formuliert klar: "The religious problem is to find an viable equivalent to animism" (1974, 62). Interessant ist, daß Whites These zum Aufbruch von "Silent spring" ganz ähnlich steht wie Klages "Mensch und Erde" zum Heimatschutz. Die Analyse von Klages wurde vom Bund Heimatschutz in diesem Zentralpunkt abgelehnt. Man stellte als Bedingung der Veröffentlichung als HeimatschutzBroschüre die Streichung der Passagen gegen das Christentum (Schröder 1972, 662). White kam zu seinen Thesen von der Technikgeschichte her, die ihn zu einer Höherbewertung der mittelalterlichen Innovationen geführt hatte. Diskutiert wurden aber vor allem die von White angesprochenen geistesgeschichtlichen Wurzeln eines ausbeuterischen Naturumgangs. Er nannte: - die lineare Zeitkonzeption (Fortschrittsideologie) - der Anthropozentrismus (Dominium terrae und Imago Dei) - die Zerstörung der Naturheiligung (Entzauberung) - Handwerkerparadigma der Schöpfung (Artifex Mundi) Sie sind in der Folge sehr unterschiedlich genau untersucht worden. White vermischt seine geistesgeschichtlichen Aussagen mit einer Neubewertung der mittelalterlichen Technikentwicklung. Er stellt die mittelalterliche Technik als Vorläufer der Neuzeit dar. Damit befindet er sich in Widerspruch zur klassischen Auffassung von der neuen Qualität neuzeitlicher Technik 8. White bezieht sich ausdrücklich auf die westliche Form des Christentums. Dies ist in der Folge oft übergangen worden. Das Christentum überhaupt oder sogar der Monotheismus erscheinen als ein Komplex. 1.2. Parallelen zu White bei anderen Autoren 1.2.1. Vorläufer Der Jesuit W. Kern weist nach, daß zentrale Elemente der These eines Zusammenhangs von Christentum, Atheismus und säkularisierter Gesellschaft sich bereits bei Hegel finden. Hegel 8 Z.B. Kurt Hübner: Art. "Technik" in HPhG V, 1477 zit Münk 1987, 193; Auch J. le Goff sieht eher ein Stagnieren der technischen Entwicklung, allenfalls quantitative Verbesserung (zit. Münk 1987, 191). 12 nimmt sowohl die Sakralisierung der Natur in der Antike und ihr Ende durch das Christentum wahr als auch die Wurzel der Emanzipationsidee im Christentum: „Die christliche Religion ist die Religion der absoluten Freiheit, und nur für den Christen gilt der Mensch als solcher, in seiner Unendlichkeit und Allgemeinheit“.9 Aus der neueren Forschung referiert Kern (292), daß es Atheismus in der Antike eigentlich nicht gegeben habe. Ein anderer Strang der These leitet sich von Friedrich Nietzsche her, der die neuzeitliche Wissenschaft mit ihrem Wahrheitspathos auf Kosten der Stellung des Menschen als Metamorphose des christlichen Asketismus sah: "Der Wahrhaftige, in jenem verwegenen und letzten Sinne, wie ihn der Glaube an die Wissenschaft voraussetzt, bejaht damit eine andre Welt als die des Lebens, der Natur und der Geschichte; und insofern er diese andre Welt bejaht, wie? muß er nicht eben damit ihr Gegenstück, diese Welt, unsre Welt - verneinen? ... Es ist immer noch ein metaphysischer Glaube, auf dem unser Glaube an die Wissenschaft ruht – auch wir Erkennenden von heute, wir Gottlosen und Antimetaphysiker, auch wir nehmen unser Feuer noch von jenem Brande, den ein jahrtausendealter Glaube entzündet hat, jener ChristenGlaube, der auch der Glaube Platos war, daß Gott die Wahrheit ist, daß die Wahrheit göttlich ist. (...) Von dem Augenblick an, wo der Glaube an den Gott des asketischen Ideals verneint ist, gibt es auch ein neues Problem: das vom Werte der Wahrheit".10 An ihre Stelle müßte konsequenterweise das Lebensdienliche treten. Dies kann man als Radikalisierung des Baconismus verstehen, aber Nietzsches Idee eines Züchtungswerts von Ideen geht darüber hinaus. Nicht die kleine Behaglichkeit, sondern das große Individuum ist der Fluchtpunkt seiner Gedanken. Diese Konstruktion mag relativ stark philosophisch-begrifflich und wenig historisch anmuten, aber im Grund setzt Ludwig Klages diesen Strang fort, wenn er Logozentrismus und Biozentrismus als die beiden großen Alternativen gegeneinanderstellt. Und Klages ist es, der im 20. Jahrhundert am schärfsten die These vertreten hat, daß das Christentum bzw. der in ihm fortwirkende Judaismus als Entgötterung der Natur Ursache eines rein instrumentellen Umgangs mit der Natur seien. Andererseits sind sie bei Klages freilich auch ideologische Überbauungen des Bemächtigungswillens. Zu Klages Zeit waren es ansonsten hauptsächlich Verteidiger des Christentums, die es vom Vorwurf einer Verzögerung der Moderne reinwaschen wollten, die Kontinuitäten behaupteten. So Helene Duhem (vgl. Fortin 1995, 209 ff.). In dieser Rubrik kann in mancher Hinsicht auch A N. Whitehead genannt werden, der in dem durch die Vorstellung von einem denkenden Schöpfer vermittelten Glauben an die Rationali9 G.W.F. Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften I, § 163, Zusatz 1; vgl. Kern 1969, 311; 321 Nietzsche, Zur Genealogie der Moral § 24 10 13 tät der Welt und ihrer gedanklichen Einheit ein wichtiges Erbe des Mittelalters sieht11. Im Praktischen entspricht dem die Aufhebung der sozialen Trennung von Kontemplation und Arbeit, die Zerstörung des griechischen Ideals des freien Menschen und damit die Grundlegung einer auf Praxis gerichteten "Naturwissenschaft" (Whitehead 1984, 27). Das ist die Voraussetzung und der Ausgangspunkt der Neuzeit. Die Durchsetzung der Transzendenzlosigkeit beginnt nun nicht in Auseinandersetzung mit dem Geistanspruch des Menschen, sondern gerade als dessen Verfolgung. Der Mensch versucht zur Natur in die Rolle des Schöpfergottes zu schlüpfen (der schon in mittelalterlicher Buchmalerei als handwerklicher Baumeister dargestellt wurde, der die Erdscheibe abzirkelt). Verbunden damit ist gerade ein Absehen von der "natürlichen" Perspektive des Menschen als Erdenbewohner. Die Baconsche oder Galileische Betrachtungsweise versucht gerade nicht, den Phänomenen, wie sie sich der menschlichen Sinneswahrnehmung darbieten, gerecht zu werden, sondern von ihnen abzusehen. Für die Augen des Menschen zieht die Sonne weiterhin am Himmel ihre Bahn. Erst von einem außerirdischen – "göttlichen" im Sinn der erdflüchtigen Erlösungsreligion – Standpunkt aus kann gesagt werden, die Erde kreise um die Sonne. Für die menschliche Erfahrung fällt die Bleikugel schneller als die Feder. Die Feststellung einer Fallkonstante bedarf des Absehens von einer für die menschliche Alltagserfahrung allgegenwärtigen Bedingung, des Luftwiderstandes. Damit treten erfahrbare Wirklichkeit und nur gedanklich zugängliche, berechenbare Realität auseinander. In einer anderen Hinsicht ist es freilich schon richtig, daß die neuzeitliche Wissenschaft auf Empirie geht und zwar zunächst gegen die mittelalterliche Vorstellung von einer deduktiv nachzuvollziehenden Logizität der Welt (Whitehead 19, 30). Insofern steckt im experimentellen Teil des neuzeitlichen Ansatzes auch bereits das Element, das mit der Historisierung im 19. Jahrhundert zur Geltung kam. Nicht so eindeutig ist die apologetische oder kritische Tendenz bei dem Dreigestirn Weber, Sombart, Troeltsch, die relativ gleichzeitig vor dem ersten Weltkrieg Zusammenhänge zwischen Judentum (hier liegt der Schwerpunkt bei Sombart) bzw. Christentum in seiner protestantischen Spielart und Kapitalismus ausmachten12. Werner Sombart, Max Weber und Ernst Troeltsch gehören beispielsweise alle drei zu den Unterzeichnern des Aufrufs gegen die Zerstörung der Laufenburger Stromschnellen zum Zwecke der Stromgewinnung und zeigen da- 11 Whitehead 1984, .23 f. Erfahrungsreligiöse Konzeptionen kennen eher eine Zweiteilung der Welt. Es gibt einen Bereich des regelmäßigen (etwa der Lauf der Sonne) und einen des chaotischen Geschehens (Der Wind weht wie er will). Diese Bereiche wirken ineinander wie die uranischen und chtonischen Götter (ebd., 15). 12 Zu den Beziehungen: Hartmut Lehmann: Asketischer Protestantismus und ökonomischer Rationalismus: Die Weber-These nach zwei Generationen in: Schluchter 1988, insbes. S. 530 ff.. 14 mit eine Sensibilität für die Kosten des "Fortschritts"13. So neutral also im wissenschaftlichen Kontext ein Begriff wie "Entzauberung" gemeint sein mag, so gehört das Herz derer, die ihn einführen, doch der Gegenseite.14 Weber und Troeltsch arbeiten vor allem die "Bedeutung des Protestantismus für die Entstehung der modernen Welt" heraus (so der Titel von Troeltsch 1911). Genannt werden dabei Faktoren wie Schwächung der kirchlichen Definitionsmacht, Hereinholen des Staates und damit seiner Interessen in die Wissenschaftspflege, Pluralisierung, Weckung kritischen Geistes, Stärkung der Bedeutung des individuellen Menschen und seines Gewissens, Entwicklung einer säkularisierten Arbeitsaskese (Troeltsch 1911, 115, 91)15. Methodisch sind die hier genannten Arbeiten von nur geringer Präzision. Teils versuchen sie realgeschichtliche Nachweise, daß wirtschaftliches Aufblühen und Verödung von Städten an die Wanderbewegungen der Juden gekoppelt seien,16 teils suchen sie geistesgeschichtliche Wurzeln von Verhaltensänderungen wie Weber im Calvinismus oder Sombart im Judentum,17 teils versuchen sie, Umweltprägungen von Charakteren zu beschreiben, wie Sombart (1911, 416 ff.) im Bezug auf die Wüstenvölker, was er aber doch wieder mit Rassentheorien und Vererbung vermischt18. Kern (1969, 303 f.) nennt eine ganze Reihe von Autoren, die in der Mitte des 20. Jahrhunderts die These vertraten, Monotheismus und Naturentzauberung seien Voraussetzungen der Naturwissenschaft, so Arnold Gehlen19 oder Kurt Schilling20. Doch ist dies bei diesen Autoren 13 Vgl. Linse 1988; zu Sombarts Kulturkritik vgl. Lenger 1994, 137 ff, 166 ff. Bei Sombart herrscht ursprünglich eine betont neutrale Haltung vor, erst nach 1909 schließt er sich zunehmend Positionen von Morris und Ruskin oder des Kunstwart an und entwickelt seine "Antipolitik"als Haltung des Kulturmenschen, 1908 tritt er von seiner Rolle als Mitherausgeber des "Morgen" zurück, nachdem ein scharf gegen die Reklame als Symptom des Kulturverfalls gerichteter Artikel von ihm eine Welle von Kündigungen bei den Inserenten hervorgerufen hatte, dazu: Sombart: Ihre Majestät die Reclame, in: Die Zukunft LXIII (1908) 475-487. 14 Sombart schreibt, die Bewertung des jüdischen Beitrags zum Kapitalismus werde "ganz und gar verschieden beantwortet werden, je nach dem persönlichen Verhältnis, das der Einzelne zur kapitalistischen Kultur hat" (1922, XIII). Über Sombarts eigene Beurteilung konnte für den, der seine anderen Schriften kannte, kein Zweifel sein. 15 Troeltsch 1911, 103 hält Webers Nachweis diesbezüglich für "vollständig gelungen". 16 So Sombart 1911, 13 ff; zur Kritik daran: Lenger 1994, 447, Anm 25. 17 Sombart schreibt, daß "Alle diejenigen Bestandteile des puritanischen Dogmas, die mir von wirklicher Bedeutung für die Herausbildung des kapitalistischen Geistes zu sein scheinen, Entlehnungen aus dem Ideenkreis der jüdischen Religion" sind (zit. Lenger 1994, 190). Als Kennzeichen sieht er den Rationalismus, das Vertragsmäßige im Verhältnis zu Gott, den Gedanken einer Bewährung im Diesseits, die Tendenz zur Überwindung des Kreatürlichen (Lenger, 195). 18 Zur Kritik: Julius Guttmann: Die Juden und das Wirtschaftsleben, ASSP XXXVI (1913) 159-212. Die Kritik bezieht sich im Wesentlichen darauf, daß mit anthropologischen Fragestellungen der Boden des soziologisch Gesicherten verlassen werde. Auch Max Weber, der Sombart auf dem 2. Deutschen Soziologentag in dieser Hinsicht kritisiert, meint freilich, daß diese Fragen zwar gelöst werden müßten, aber noch Generationen von wissenschaftlichen Vorarbeiten bedürften (Lenger 1994, 201 f.). 19 Urmensch und Spätkultur, Bonn 1956 20 Weltgeschichte der Philosophie, Berlin 1964 15 nicht negativ gemeint. Der Zusammenhang ist zwischen 1930 und 1960 fast ein Gemeinplatz, jenseits politisch-ideologischer Fronten. So schreibt beispielsweise Karl Jaspers (1930, 16f.) über "Entgötterung" als Produkt des Christentums: "Im Abendland ist dieser Prozeß in einer Radikalität wie nirgends sonst vollzogen. Wohl gab es die glaubenslosen Skeptiker des alten Indien und der Antike. (...) Aber sie taten es noch in einer Welt, die faktisch auch ihnen als Ganzes beseelt blieb. Im Abendland, im Gefolge des Christentums, wurde eine andere Skepsis möglich. (...) Aus der Natur schwanden die heidnischen Dämonen, aus der Welt die Götter. Das Geschaffene wurde Gegenstand menschlicher Erkenntnis, welche zuerst noch gleichsam Gottes Gedanken nachdachte. Das protestantische Christentum machte vollen Ernst; die Naturwissenschaften mit ihrer Rationalisierung, Mathematisierung und Mechanisierung der Welt hatten zu diesem Christentum eine Affinität. Die großen Naturforscher des 17. und 18. Jahrhunderts waren fromme Christen. Wenn dann aber am Ende der Zweifel den Schöpfergott strich, so blieb als Sein die in den Naturwissenschaften erkennbare Weltmaschinerie, welche ohne vorherige Erniedrigung zur Kreatur nie in solcher Schroffheit erfaßt worden wäre". Jaspers' Dreischritt ist also Numina – Kreatur – Maschine oder Polytheismus – Christentum – Nihilismus21. Differenziert ist die Auseinandersetzung mit der Rolle des Christentums für die Moderne in den fünfziger Jahren bei Eric Voegelin. Er sieht in der Moderne säkularen Gnostizismus, wobei Gnostizismus für ihn den Versuch bedeutet, der conditio humana zu entkommen, wofür in den Antike primär die Mittel der Mystik, in der Moderne aber die Revolutionen standen (Jardine 1995, 586). Das bezeichnet den Polwandel, den Nolte als den von der theoretischen zur praktischen Transzendenz bezeichnet. Wobei theoretische Transzendenz, sobald sie sich zeitlich verankert, immer bereits diesen Hang hat. Voegelin nennt nun den augustinischen Dualismus zwischen irdischem und göttlichem Reich als Ansatzpunkt für die Bildung von modernem Gnostizismus als Rechtfertigungsideen für Staaten, die im Christentum einer höheren Weihe entbehren. Voegelin spricht hier von einem "vacuum of a de-divinized natural sphere of political existence" (Voegelin 1952, 162), das nach Auffüllung durch säkulare Ideologeme zur Stabilisierung von Staaten verlangte. Die Menschen der Renaissance wollten nicht ein belangloser Annex der antiken Geschichte sein. Weil die Kirche hier keine Sinnstiftung zu bieten hatte, begab sie sich ihrer spirituellen Führerschaft (Jardine 1995, 589). Hieran knüpfen islamische Autoren mit ihrer Kritik an der fehlenden Sharia im Christentum als Einfallstor der Verweltlichung an. Auch ein zweiter Strang des späteren Kausalnexus wird bei Voegelin ent- 21 Vgl. auch Jaspers 1955, 90 f. Hier nennt er Wahrhaftigkeitsethos, Schöpfungsglaube und Nichteinverstandensein mit der Welt als drei spezifisch christliche Voraussetzungen der neuzeitlichen Naturwissenschaften. 16 wickelt. Die Vorstellung, daß mit Christi Heilstat bereits eine neue Erdenentwicklung begonnen habe, verlangt, je länger sich der Zeitraum erstreckt, in dem nichts äußerlich Eindeutiges passiert, nach Füllung. So erklärt Voegelin den Chiliasmus (Jardine 1995, 598 ff.). Die These von der Moderne als Säkularisierung christlicher Heilserwartung ist im deutschen Sprachraum auch als Dilthey-Löwith-These bezeichnet worden (Lauer 1996, 119), wobei Diltheys Schwergewicht vor allem auf der Herausentwicklung des Personbegriffs aus dem christlichen Kontext liegt, während Löwith vor allem auf die Fortschrittsvorstellung abhebt. Karl Löwith schreibt griffig: "Der historische Materialismus ist Heilsgeschichte in der Sprache der Nationalökonomie" (1953, 48). Etwa zeitgleich mit White erschien Lewis Mumfords voluminöses Werk "Mythos der Maschine". Mumford sieht im Mönchtum die treibende Kraft für den Übergang von der menschenfressenden zur technisch geölten Megamaschine. Das Mönchtum entsteht mit dem Zerfall der alten Staatsmaschinerie vom Typ der orientalischen Despotie. Der Mönch erlegt sich einerseits freiwillig die Zwänge auf, denen der Sklave der Despotie unterworfen war, andererseits werden ein kleiner Sozialverband und interne Gerechtigkeit und Gleichheit in der Art voragrarischer Gesellschaften wiederhergestellt, freilich um den Preis der Asexualität (Mumford 1977, 304 f.). Eine Rationalisierung (Uhr unabhängig von Helligkeit) und Militarisierung (Schlafen in der Kutte, um jederzeit bereit zu sein), sind neue Elemente. Achtung des Individuums und technischer Fortschritt (Mühlen) zusammen bedingen einen Rückgang von Sklaverei und Leibeigenschaft zugunsten von Lohnarbeit. Mumford sieht die Wurzeln des Kapitalismus nicht im Protestantismus, sondern im Mittelalter. Der Kapitalist verbindet die Enthaltsamkeit des Mönchs und die Abenteuerlust des Soldaten. Durch die Vereinigung von Herr und Sklave in einer Person wird der Anreiz größer, geistlose oder geisttötende Arbeiten zu mechanisieren (Mumford 1977, 306-314). Die eigentliche Prosperitätsphase des modernen Geistes verbindet Mumford allerdings mit einer "Wiederkehr des Sonnengottes". Diese Deutung der europäischen Neuzeit als Machtergreifung des Sonnengottes hat durchaus mythische Substanz. Mit dem Sonnengott verbunden ist die Stilisierung seiner Diener zu einer Megamaschine, denn das, was gegenüber allen anderen Natur-numina den Sonnengott auszeichnet, ihn im griechischen Verständnis aber gerade zurücksetzt, ist seine Uhrwerkhaftigkeit, seine sklavenhafte Präzision, Takt statt Rhythmus, die dem schaffenden statt zeugenden Vatergott entspricht. Der Sonnengott hat am wenigsten Seelisches. Gerade das macht der Mensch, der sich vom Seelischen emanzipieren will, zum Ichpunkt seines Erlebens. "Im Sinne der neue Gottheit müssen alle komplexen Phänomene 17 auf das Meßbare, das Wiederholbare, das Vorhersagbare, das letztlich Kontrollierbare reduziert werden"(Mumford 1977, 367-369). Was hier als Sonnengott begriffen wird, ist etwa ganz anderes, als was in Erfahrungsreligionen als Wesen der Sonne gilt, das im Zusammenhang zwischen Licht und Wachstum erfahrbar ist. Diese sind selbstverständlich erdzentriert. Die Sonne ist ein Sohnhaftes, deren Gebährde des Aufgehens seine-Bahn-ziehens und Untergehens alles Lebendige mitvollzieht. Die tendenziell dualistische, den Nachtpol verabscheuende neue Sonnenreligion führt mittelbar zum Heliozentrismus, in dem die Sonne als ein an sich Seiendes gesehen wird. Trotz Galilei gibt es hier eine Verbindung zur abendländischen Theologie, die Gott als Seiendes denken will. Die Machtergreifung des Sonnengottes in einer Teilkultur ist nichts historisch Neues. Mircea Eliade schrieb: "Wo die Geschichte dank Königen oder Imperien im Vormarsch ist, herrscht die Sonne" (zit Mumford 1977, 375). Zu nennen wären fast alle Pyramidenkulturen (von Ägypten bis zu den Inkas) und natürlich das römische Imperium des 3. Jahrhunderts. Damit verbunden ist immer die Herabwürdigung des Menschen zum Rädchen. Im Fall des römischen Imperiums zeigt sich auch der Zusammenhang zur Astrologisierung der Religion und damit zum Determinismus. Die Triebfeder scheint ein Sicherheitsbedürfnis. Man könnte insofern sagen: das Christentum setzt sich gerade durch, weil in ihm der Sonnendämon in der Maske des guten Menschen auftritt. In der Neuzeit fällt diese Maske. Die neue Heilsbotschaft zeichnet sich nun durch das Pathos der Unsentimentalität aus, gerade die Herabwürdigung der Menschheit zum kosmischen Mückenschwarm, die angebliche Kränkung des menschlichen Selbstwertgefühls, erscheint als Ausweis der Objektivität. Der littauische Kulturphilosoph Vincent Vycinas geht von der mangelnden kulturellen Bindekraft als Zeitphänomen aus und macht dafür wesentlich das Christentum verantwortlich. Vycinas sieht noch nicht in der Umweltkrise, sondern in der Kulturkrise die wesentliche Herausforderung, doch diese sieht er nur behebbar durch Wiederzuwendung zu einer numinos begriffenen Natur als Objekt aller Kultur (Vycinas 1973, 157). Alle genuinen Kulturen seien mythisch und das Grundthema der mythischen Welt ist die Natur und ihr Spiel (119 f.), demgegenüber sei das Grundthema des Christentums die übernatürliche Welt. Die Tragik des Christentums sei, daß es einen Kampf gegen die notwendig mythische Welt der Kultur begonnen habe. Das Christentum hatte keine eigene Kultur, sondern war zunächst ein Pfropfphänomen der jüdischen (135) dann der griechisch-römischen, aber es war generell kulturfeindlich, weil es in der Naturzuwendung eine Konkurrenz vermutete (131). 18 Daher rührt, was Vycinas die Theozide der christlichen Religion nennt (149), was wesentlich schlimmer sei als die Ermordung der Menschen (152). Im 2. Vaticanum sieht er eine Tendenz angelegt, daß das Christentum nicht nur dem demokratischen Anthropozentrismus (129), sondern auch den Göttern ihr Recht läßt. 1.2.2. Toynbee und Maurer Eine modifizierte Neuauflage der Position Whites hat Arnold Toynbee 1972 vorgelegt – erstaunlicherweise ohne White zu erwähnen. Seine Schuldzuweisung zielt auf den Monotheismus überhaupt. Ulrich Berner (in: Kessler 1996, 38 f.) vermutet, daß deshalb das Echo geringer gewesen sei, weil nicht das Christentum direkt herausgefordert wurde. Toynbees Aufsatz ist aber auch merkwürdig flach und unprofiliert. Die These ist zudem weniger präzis, da sie die Unterschiede zum Islam und dem östlichen Christentum vernachlässigt.22 Toynbee ist viel zu sehr Liberaler und Gläubiger der Grunddogmen der Moderne, als daß ein Appell zu einer Rückorientierung auf die Mächte der Erfahrungsreligion (er erwähnt ausdrücklich die griechischen Götter) bei ihm glaubwürdig wirken würde. Respiritualisierung mag ihm nützlich erscheinen, aber sie hat keine Kraft. Auch ein deutscher Historiker hat außerhalb des kirchlichen Disputs die These von White erweitert. Maurer (1982, 464) stellt zunächst heraus, daß der abendländische Sonderweg weder in der Entwicklung der Produktivkräfte oder Klassengegensätze gelegen haben könne, denn die wich seiner Meinung nach nicht wesentlich von anderen Großzivilisationen ab, die technologisch sogar weiter entwickelt waren. Was dagegen von ihnen unterscheide, sei eine ungewöhnliche Erlösungssehnsucht. Maurer behauptet eine "Entstehung der modernen Technik aus dem Geist des Chiliasmus". Zu zeigen wäre, daß Erlösungssehnsucht oder ein Säkularisat davon ein inneres Merkmal der modernen Technik ist. Die Tendenz zur Säkularisierung sieht er im Christentum durch die Naturentheiligung und die praktische Ausrichtung (Nächstenliebe) angelegt. Bereitstellung wirtschaftlicher Güter kann als praktische Nächstenliebe erscheinen. Außerdem ist durch die Menschwerdung Gottes die Geschichte aufgewertet, womit zumindest ein Schritt zu einen Näherrücken der Menschheit zu Gott in der Geschichte gegeben ist, in Analogie zu dem (wenn auch in Abwendung von der Behauptung von dessen Einzigkeit) weitere Schritte denkbar sind. Mit der zeitlich beliebig langen Trennung der Wiederkunft von der Auferstehung ist 22 dazu Nasr 1996, 214; Schmitz 1999, 42 19 ohnehin ein zweiter Schritt gegeben, mit dem 1000 jährigen Reich, das Augustinus freilich noch mit der Auferstehung beginnen läßt, d.h. individuell versteht, ein dritter. Maurer sieht damit bereits prinzipiell das Ziel erreicht, den europäischen Sonderweg "erklärt, oder genauer gesprochen, aus geschichtlich-gesellschaftlicher Zieldynamik verstanden" zu haben. In der Sehnsucht nach Totalerlösung sieht er eine Überforderung der Technik, die sie in menschenfeindliche Dimensionen expandieren läßt. Die andere Seite, daß nämlich das Christentum überhaupt das Selbstbewußtsein des Menschen angestachelt und die Aschermittwoch-Seite unterbetont hat, sieht er nicht. Interessant ist seine Formulierung, das Christentum habe aus den Bedürfnissen das Bedürfnis geschaffen – analog zu Gott aus den Göttern und einer Weltgeschichte aus den vielen kulturellen Traditionen (Maurer 1983, 467; Münk 1987, 144). 1.2.3. Drewermann Auch innerkirchlich fand die Argumentation Whites Zuspruch. Einer der bekanntesten Vertreter ist der in linkskatholischen Kreisen als Charismatiker gefeierte Eugen Drewermann. Ihm geht es ernsthaft um spirituelle Erneuerung, weil er meint, daß Umweltschutz zu kurz greift, daß nur eine andere Selbsteinordnung des Menschen in den Naturzusammenhang uns retten kann. Er begründet dies anthropologisch. Denn auch wenn es gelänge, 10-20 Milliarden Menschen auf der Erde zu ernähren, so würde dies "geistig eine Menschenrasse sein, die aus der Selektion des Schlechtesten am heutigen Menschen hervorgeht" (Drewermann 1990, 62). Zustimmend zitiert er einen Indianer, dessen Ausage in erstaunlicher Übereinstimmung mit Nietzsches Moralkritik ist: "Komfort macht Kulturmenschen, Kulturpflanzen und Kulturtiere zu krankhaften Schwächlingen, und wenn eine überwiegende Mehrzahl von Menschen Schwächlinge sind, so sehen sie den Starken als Schädling, der zum Wohl der Schwächlinge ausgerottet werden muß, damit die Menschen noch größere Schwächlinge werden" (82 f.) Für Drewermann ist die Selbstinstrumentalisierung des Menschen eine notwendige Folge der Instrumentalisierung der Natur, denn als konstitutiv für den Menschen erscheint in der abendländischen Perspektive seine Zweckrationalität (65). Der katholische Dissident Drewermann untertitelt sein Buch zwar "von der Zerstörung der Erde und des Menschen im Erbe des Christentums", doch bezeichnet er Ursprünge der Naturfeindschaft der abendländischen Kultur sowohl in der griechisch-römischen als auch in der jüdischen Wurzel. Die griechische Wurzel ist Abstraktion der Natur in Kräfte, die jüdische Manifestation in einem Patriarchen (72). Doch die Anthropomorphität der griechischen Götter 20 (67) hat mit Anthropozentrik gar nichts zu tun,23 und der anthropozentrische Zweckerklärungsunsinn der Stoa oder Ciceros24 ist keineswegs repräsentativ für die Antike.25 Auch in der Antike gibt es, was Drewermann nur für außereuropäische Kulturen anführt, den Mutter-ErdeKult und die Vorbehalte gegen das Pflügen (70). Auch die Interpretation der geozentrischen Kosmologie als anthropozentrisch ist fragwürdig, denn sie stellt den Menschen eher nach unten als in den Mittelpunkt. Bezüglich der jüdischen Elemente ist Drewermann eher in seinem Fachgebiet. Er betont die Ablösung der Vorstellung von der heiligen Hochzeit durch einen außerweltlichen Schöpfer, und daß die Naturfeindschaft der Wüstenreligion auch nach der Landnahme erhalten geblieben sei. Das Bild, Gott habe dem Menschen die Natur zu Füßen gelegt, sieht er in Analogie zu unter die Füße getretenen Feinden auf orientalischen Darstellungen. Drewermann betont an einigen konkreten Punkten die direkte Gefolgschaft der Säkularisierungsideologie gegenüber der christlichen. So steht Feuerbach ganz in der Konsequenz des christlichen Menschenbildes, wenn er aus dem Gefühlscharakter des Glaubens dessen Unwahrheit folgert (vgl. auch Kern 1969, 316), nachdem man Jahrtausende lang gelehrt hat, daß der Mensch nur im Verstand und im Willen bei sich selbst sein könne (135). Die Tabula-rasaVorstellung von der Psyche ist Nachfolger der Individualschöpfung (138). Drewermann ist sich bewußt, daß Mitleidethik à la Schopenhauer und Schweitzer nicht reicht. Denn das Mitleid muß angesichts des ständigen Sterbens in Traurigkeit und einen metaphysischen Pessimismus führen26. Auch rechtfertigt er das heidnische Opfer27. Er bezieht sich posi23 Robert Spaemann hat deutlich gemacht, daß anthropomorphe und anthropozentrische Weltauslegung geradezu Grundalternativen sind: Entweder wir gestehen den begegnenden "Naturen Wesenhaftigkeit" zu und Wesenhaftigkeit begreifen wir am ehesten in Analogie zu uns selbst, oder wir stellen uns als einziges Wesen in die Mitte von Dingen, die Wert nur im Bezug auf uns haben. 24 Drewermann 1990, 68. Auf Cicero beriefen sich freilich die "Christian Virtuosi" um Boyle besonders gern, um nicht scholastische Autoritäten für ihre teleologischen Konzepte heranziehen zu müssen (Groh 1991, 46). Die stoische Philosophie ist andererseits in vielen Punkten mit dem östlichen Denken vergleichbar (Kessler 1996, 44; 146). Der latente Stoizismus der vorkantschen Philosophie (Leibniz, Voltaire, Quesnay) begründet die Chinabegeisterung. Interessant ist, daß die Stoa und Cicero auch Wurzeln des Gedankens der Menschenwürde haben (Pannenberg in Kerber 1991, 64 f.). Cicero ist zudem im 2. Buch von De Divinatione ein heftiger Vertreter einer einseitigen Kausalerklärung, die für Sinnfragen keinen Platz lassen will (besonders deutlich II,28). 25 Drewerman 1990, 76 gibt dies selbst zu. 26 Drewermann 1990, 111. Hier stößt man auf einen Widerpruch: Einerseits (111) wird Laotse zitiert: "Himmel und Erde sind nicht gütig - Ihnen sind die Menschen wie stroherne Opferhunde" (und Laotse fährt fort: der Berufene schließt sich dieser Haltung an). Andererseits sagt ein Indianer (107): Nur der Weiße hält die Natur für grausam, uns ist sie sanft und vertraut". D.h. das eine ist Projektion, das andere Realisierung durch sich einlassen. Man muß überhaupt nicht trauern beim Todesfall (Die Haltung der Naturwesen im irischen Märchen ist nicht zufällig, daß es bei der Geburt traurig ist und beim Tod über die Lösung froh ist). 27 Drewermann 1990, 112. Ob er wirklich verstanden hat, worum es beim heidnischen Opfer geht, wird nicht ganz klar. Bataille (1979, 87) formuliert es treffend. Der Sinn des blutigen Opfers in der antiken Kultur ist gerade die Rückerstattung des Einzellebens an das Alleben: "Was die äußere Gewalttätigkeit der Opferhandlung aufdeckte, war die innere Gewaltsamkeit des Seins, gesehen im Licht des ausströmenden Blutes und der hervorquellenden Organe. Dieses Blut, diese Organe voller Leben, waren nicht das, was die Anatomie in ihnen sieht. 21 tiv auf Klages (87). Die Konsequenzen für die Abdikation des Absolutwertes des menschlichen Einzellebens will er jedoch nicht ziehen. Die absolute Geltung des Individuums bezeichnet er als"eine der wichtigsten und großartigsten Lehren, die das Christentum mitbrachte" (75). Zwar sieht er, daß die Vorstellung der Abhängigkeit der Natur vom Menschen (und seinem Sündenfall) die Naturordnung auf den Kopf stellt (75). Doch interpretiert er selbst die Naturordnung naturalistisch, d.h. als immer schon des Wertaspektes beraubt. Allenfalls kann er geltend machen, daß der Mensch sich damit abzufinden hat, aber doch nur, wenn und solange er es nicht ändern kann, und darum, die Grenze der Änderbarkeit hinauszuschieben, geht ja gerade das Projekt der Technifizierung. Wer wie Drewermann die Methode der Isolierung von Dingen aus dem Kontext in Frage stellt (363 f.), müßte eigentlich auch die Ergebnisse in Frage stellen. Drewermann kommt gar nicht auf die Idee, die Kosmosgeschichte, wie sie Naturwissenschaft schreibt, in Frage zu stellen, seine Vorstellung ist, daß die Evolution endlos weiter gehen soll (395). Damit ist freilich der Kern des Christentums, die Unüberbietbarkeit der Offenbarung Gottes in Jesus von Nazareth, unhaltbar geworden. Drewermann sieht zwar den Zusammenhang zwischen der Zerstörung des eigentlich Religiösen und der des Traumbewußtseins und sieht die Naturzerstörung als deren Auswirkung. Eine Kritik an der szientistischen Religion gibt es bisher nur von Seiten der Tradition (Nasr, auch Steiner), aber nicht von Seiten einer Weiterentwicklung. 1.2.4. Carl Amery Wenig Neues findet sich bei Carl Amery (1972), der betont, es gehe ihm um die Wirkungsund Erfolgsgeschichte, nicht um Bibelexegese. Andererseits nimmt er sehr wenig auf reale Auslegungen Bezug, sondern argumentiert mit möglichen Wirkungen von Überzeugungen. Gegenüber White hat bei ihm das eschatologische Element und die Verheißung einer gesicherten Zukunft einen größeren Stellenwert. Er sieht durch die biblischen Verheißungen den Menschen ausdrücklich aus dem ökologischen Zusammenhang herausgehoben (1972, 17, 21). Nur eine innere Erfahrung, nicht die Wissenschaft könnte uns das Gefühl der Alten vermitteln. Wir können annehmen, daß sich damals die Plethora der blutgeschwellten Organe, die unpersönliche Blutfülle des Lebens enthüllte. Auf das individuelle, diskontinuierliche Sein des Tieres war mit dem Tod des Tieres die organische Kontinuität des Lebens gefolgt, die mit dem heiligen Opfermahl in das Gemeindeleben der Teilnehmer überging (...) Es ist überhaupt das Wesen des Opfers, Leben und Tod in Übereinstimmung zu bringen: Dem Tod verleiht es den Aspekt aufquellenden Lebens, dem Leben die Schwere den Taumel und das Offenwerden gegenüber dem Tod.“ 22 Die Besiedlung Nordamerikas erklärt Amery plausibel als Neuauflage der Landnahme in Kanaan. Amery nimmt das Urchristentum von der Kritik aus, aus dessen Sicht wäre seiner Meinung nach der heutige Zustand ein totaler Mißerfolg (1972, 11). Protestantismus und Gegenreformation sieht er an der Herausbildung einer Leistungsideologie gleichermaßen beteiligt. 1.2.5. Wolfgang Giegerich Eine Konzeption des Wesens des Christentums als Verichung – und zwar in bejahender Absicht – findet sich bei Wolfgang Giegerich, einem Psychoanalytiker der Jungschen Richtung und langjährigen Herausgeber der Zeitschrift "Symbolon". Giegerich verbindet mit Drewermann ein Interesse an der Ebene der Bilder. Seine Geschichte ist Archetypengeschichte. Er findet den Ursprungsmythos der Moderne in der Geschichte vom sog. "goldenen Kalb" – in Wirklichkeit einem Stierbild (1988, 292 ff.). Er interpretiert sie als archetyische Szene der Spaltung der Welt in eine jenseitige unanschauliche Macht, die Glauben verlangt und eine entwirklichte Materie, toter Stoff der Ausbeutung, Dinge, die aufgehört haben, göttliches Bild – von sich her uns anspringende Phainomena – zu sein (1988,306). Giegerich betont die Ersetzung von Epiphanie und verbaler Verlautbarung, die Glauben verlangt. Er stellt auch plausibel den Grund der Wehrlosigkeit der Erfahrungsreligion dar, der nichts mit Unterlegenheit in Geltung zu tun hat: "Das goldene Kalb schloß den unsichtbaren Gott der Höhe ja nicht aus" es konnte vielmehr als sein Fußschemel, in dem er die Erde berührte, gelten (1988, 303). "Die Religion der Anbeter des goldnen Kalbes kommt von unten, aus dem natürlichen Bedürfnis (...) Die Feier ist das absichtslose Hingegebensein an eine Gegenwart". Diese ist immer schon gestört, wenn sie sich rechtfertigen soll (304). Alternatives Setzen logischer Unvereinbarkeiten gehört zur Signatur des Nichteinverstandenseins mit der Welt. Giegerich sieht aber auch richtig die Ambivalenz der Kirche, die von einer Instanz der Revolution zu einer der Bewahrung von Frömmigkeitsresten im alten Sinn wird (276). Der Ursprung der Erlösungsreligion aber ist das Nichteinverstandensein mit der Welt. Ihre Signatur Wille zur Entkreatürlichung, Wille zur Macht. In Nietzsche sieht Giegerich einen Vertreter des christlichen, wenn auch nicht christianischen Geistes (1988, 302). Giegerich stellt die Dynamik und nicht einzelne Einflüsse in den Mittelpunkt. Er vertritt genau die Position, die Münk (1987, 199) für unmöglich hält: Die Kirchen hätten ihr eigentliches Wesen noch gar nicht erkannt und die gewöhnlichen sogenannten gläubigen Christen würden besser Christianer genannt, da sie auf einer bestimmten historischen Phase des Christentums stehen geblieben seien. Die eigentlichen Christen (wobei er dies erstaunlich wertneut23 ral meint), nämlich diejenigen, die das Projekt der Erlösung, sprich Naturablösung, vorantreiben, seien vielmehr in Wissenschaft und Technik zu suchen. „Christen sind wir aufgrund der unbewußten (ontologischen) Verfaßtheit unserers geschichtlich gewordenen Wesens" (1988, 278) Wollen wir verstehen, was Christen (Christianer) im alten Sinn waren, dann müssen wir nach Afrika oder andere Missionsgebiete schauen (1988, 276). Dort ist die 2. Phase des Prozesses, die Verwandlung des mosaischen Willens in paulinisches Dogma, noch im nachvollziehenden Werden begriffen und die dritte Phase noch nicht eingetreten. Von dieser sagt Giegerich: "Die Aufklärung ist das christliche Ritual, das Ritual des zu sich selbst kommenden Christentums“ (1988, 268). Er sieht den Glauben an die Menschendienlichkeit des Baconismus als Illusion, das Projekt Moderne ist als religiöses Unternehmen anzusehen.28 "Natürlich beruht der Glaube, daß die Technik um des Menschen willen da sei, auf dem vorgängigen Glauben, daß die christliche Erlösung für den Menschen da sei“ (S 269). Diese dritte Phase kann man als Ersetzung der theoretischen Transzendenz durch die praktische Herstellung eines anderen Weltverhältnisses sehen, wobei Giegerich außer Acht läßt, daß eben das Grundverhältnis des Menschen zur Welt als Sterblicher sich nicht ändern, sondern nur ausblenden läßt. Diesen Ausblendungszusanmenhang aber haben wir uns gewöhnt, "Aufklärung" zu nennen. Obwohl Giegerich das Christentum – als Verwandlung der Erde in eine technische Wirklichkeit – in der Atombombe gipfeln sieht29, und obwohl er sieht, daß das Christentum letztlich die Transzendenz des Einzelmenschen zerstört, da es "auch den natürlichen Träger der natürlichen Religiosität, den Einzelnen, metaphysisch außer Kraft setzt" (275) und das Projekt Menschheit an deren Stelle setzt, ja obwohl er den Triebcharakter der Realität durchschaut (268), lehnt er es nicht ab, wie etwa Klages. Dergleichen würde ihm als Hybris gegenüber unserer eigenen Geschichtlichkeit erscheinen, die er anders als Klages als unsere Gegebenheit anerkennt. 28 Ähnlich aber mit klar negativer Wertung Schulz-Meinen 1996. Der christliche Glaube ist die Exegese der Atombombe und die Atombombe ist die symbolische Abreviatur des Glaubens oder seine Verdichtung zu einem Dingsymbol (280). Die erste Kernspaltung ist die Spaltung des Wesenskerns des Seins (300 vgl. oben). Damit ist er Klages ganz nahe; ebenso in der Beschreibung der Bildartigkeit der Seele unter Berufung auf C.G. Jung (GW 13, 75). Deshalb benutzt er auch just den Auferstehenden Grünewalds als imaginative Vorwegnahme des atomaren Blitzes als Titelbild seines Buches von 1988. Ein Anthroposoph würde dem natürlich Verwechslung von Bild und untersinnlichem Gegenbild entgegenhalten, doch die Analyse Giegerichs ist insgesamt plausibel. 29 24 Giegerichs Problemstellung ist allzusehr geprägt von der Perspektive der Friedensbewegung der 80er Jahre. Die Hauptgefahr ist nicht die Bombe.30 Die Wahrscheinlichkeit einer Vernichtung alles Lebens, oder auch nur der ganzen Menschheit, ist äußerst gering. Die Hauptgefahr ist vielmehr, was er als "weißes Massaker" bezeichnet, in dem auf ganz "friedliche, ja unmerkliche Weise" ganze Völker, ihre kulturelle Identität und sogar die neuzeitliche Errungenschaft der integrierten Persönlichkeit ausgerottet werden (1988, 211). Diese ist aber mit der Bombe keinesfalls strukturgleich,31 es ist Chronifizierung von etwas, was akut zum Ausbruch kommen müßte und sich eher noch in der terroristischen Abwehr der Moderne von Irland bis Iran äußert, die Giegerich freilich als "sinnlose Gewalt, um sich dem notwendigen Untergang in einem modernen, post-konfessionellen und post-nationalen Gemeinwesen zu widersetzen", bezeichnet (1988, 217). Freilich bleibt, wenn man nicht opportunistisch genug ist, jeder weltgeschichtlichen Entwicklung einen positiven Sinn abzugewinnen, das Problem, wie mit dem realitätsgemäßen, aber doch seelisch schwer verkraftbaren Haß umgegangen werden kann. Nicht die Anliegen von Terroristen sind von vornherein schlecht, freilich ihre Mittel unzureichend, ja oft kontraproduktiv. Giegerich gelingt es nicht, aus der Selbstmystifikation der Moderne auszusteigen. Er bleibt den christlichen Werten verhaftet, bemüht am Schluß des 2. Bandes auch ständig Bibelzitate. 1.2.6. Philip Sherrard Eine klare Gegenposition eines traditional verstandenen Christentums hat Philip Sherrard (1987) entworfen. Er kommt zu einer Ablehnung der neuzeitlichen Naturwissenschaft von Grund auf, weil sie von einer falschen Voraussetzung ausgehe, nämlich der, daß die Natur ohne Gott zu verstehen sei, als ob der Natur keine numinose Qualität einwohnte. Auch der Gegenbewegung gesteht er nur das Prädikat einer sentimentalen Reaktion, aber nicht einer Erkenntnis des numinosen Gehaltes zu. Eine falsche Weltsicht führt notwendig zu einer zerstörerischen Behandlung der Welt (Sherrard 1987, 90f., 100, 114 f.). Nun sieht aber Sherrard deutlich, daß das Christentum nicht nur vor dieser Haltung kapituliert (101), sondern selbst zu ihr den Grund gelegt hat, und zwar durch Überbetonung der Tren30 Eigenartig ist auch, daß nach Giegerich die Bombe als "reale" Vernichtungsmöglichkeit der Welt ein absolutes Novum darstelle, während frühere apokalyptische Schrecken mehr imaginär gewesen seien. Hierin zeigt Giegerich seine Verhaftung an den modernen Tatsachenfetischismus. Die Vernichtungsdrohung muß heute nur deshalb technisch-machbarer Art sein, weil wir nur mehr an das Machbare glauben (vgl. Falter 1998) und nur so eine Wiedergewinnung des mythischen Bildes des Weltbrandes möglich ist. 31 Die eine Drohung bezieht sich auf die Menschheit (eine quantitative Kategorie, die die Aufklärung zu einer qualitativen umgelogen hat), die andere auf die Menschlichkeit (Die Anthropina). 25 nung von Natürlichem und Gott (105). Den Unterschied zwischen antik-platonischer und neuzeitlicher Naturwissenschaft sieht er darin, daß erstere sich bewußt war, daß sie von einer idealisierten Sphäre der Regelmäßigkeit sprach, die mathematisch begriffen werden konnte und nicht der Natur. Auch bei Augustinus bleiben die ursprünglichen Schöpfungsideen außerhalb der Dinge (105). Sherrard sieht Thomas von Aquins Versuch, Natur und Übernatur zu trennen, als Versuch der augustinischen Abwertung der Natur zu entkommen und dabei die Gnade als Fortsetzung, nicht Aufhebung der Natur zu verstehen. Eine Vereinseitigung liegt darin, daß Gott einseitig als aktiv gesehen wird (11). Dazu kommt, daß das Christentum (im Unterschied zum Judentum) kein heiliges Gesetz kennt und deshalb in der Praxis das römische Recht übernahm und auf Dauer einem säkularen Staat Raum gab (103). Sherrards Betonung von Augustinus (vgl. auch Voegelin) als Wegbereiter der Spaltung – und auch des cogito ergo sum, das vergißt, daß das Denken sich immer schon auf etwas beziehen muß (96) – macht verständlich, daß der Protestantismus, in dem Augustinisches Denken eine vorherrschende Rolle spielt, den Prozeß der Separierung vorantrieb. Auch bei Sherrard wird deutlich, daß verschiedene Faktoren zusammen kommen müssen, um das explosive Gemisch namens abendländisches Christentum zu bilden. Dualismus ohne Handlungswillen hätte ebenso wenig bewirkt wie Handwerkerparadigma ohne Befreiung vom Gesetz. 1.3. Kritik vom Standpunkt außerchristlicher Religionen Eine beachtenswerte Linie stellt die Kritik von der Position nichtchristlicher Religionen dar, die sich zwar hauptsächlich gegen den Universalanspruch der säkularen Moderne richtet, dabei aber z.T. auch das Christentum als ihre Wurzel sieht32. So hat etwa schon 1950 Daisetz Suzuki die Vorstellung von einer Herrschaft des Gott ebenbildlichen Menschen als "the real beginning of human tragedy" bezeichnet (Suzuki 1953, 294). Suzuki sieht als für das Abendland bezeichnend eine Zerworfenheit von Gott und seiner Schöpfung, aber auch von Mensch und Gott sowie von Mensch und Natur (Geist und Fleisch). Auf den ersten Blick mag dies überraschen, scheint doch auch der Buddhismus als eine weltverneinende Geisteshaltung. Doch betont Suzuki den Unterschied der gnostischen und christlichen Vorstellung, der Mensch sei eigentlich nicht von dieser Welt, zu der Vorstellung, der Mensch sei zwar Kind der Natur, könne sich dieser aber entringen. M.D. Eckel (Tucker et al. 1997, 339) weist auf eine wichtige Differenzierung hin: In Indien, dem Ursprungsgebiet des Buddhismus, sei Natur etwas zu Transzendierendes, in Ostasien 26 dagegen selbst ein Symbol der Transzendenz. Er läßt aber keinen Zweifel daran, daß der Buddhismus genauso wie die anderen Offenbarungsreligionen auf der Höherbewertung der ewigen gegenüber der veränderlichen Sphäre beruht, und daß seine Paradies- bzw. NirwanaVorstellung im Bild der Stadt erscheint (ebd. 337) 1.3.1. Islam Zu Wortführern der Verteidigung einer religiösen Wirklichkeitslehre als Gemeingut aller Völker und Zeiten gegen den abendländischen Reduktionismus machten sich in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts vor allem islamische Gelehrte. Das paßt zu der Tradition islamischer Interpretation der eigenen Religion als von überflüssigem Ballast gereinigtem Kern menschheitlicher Weisheit. Die Vorstellung, daß technologisches Interesse mit dem Islam unvereinbar sei, scheint schon von Al-Gazi (1058-1111) vertreten worden zu sein (Mokyr 1990, 206). Die islamische Kritik am Christentum ist heute Teil der Kritik an einer Verwestlichung. Imperialismus, christliche Mission und Ideologie der Menschenrechte werden meist in einem Atemzug genannt. Dabei wird betont, daß es sich bei der "Ideologie der Ideologiefreiheit" ebenso um einen intoleranten Glauben handelt wie bei irgendeiner der Orthodoxien, gegen die er sich richtet. Von Akhtar ist das Wort "liberal inquisition" geprägt worden (Zebiri 1998, 55f.). Säkularisierung erscheint als ein spezifisch westliches Phänomen. Sie wird erklärt als Reaktion auf Einseitigkeiten des Christentums, vor allem Asketismus, Klerikalismus, Weltflucht und Irrationalität des Dogmas ,aber auch Trennung von Kirche und Staat, Konfessionskriege (Zebiri 1998, 54). Das Fehlen dieser Bedingungen im Islam feit ihn in dieser Sicht gegen eine interne Säkularisierung, nicht jedoch vor der Bedrohung durch den Import westlicher Lebensmodelle. Tiefer schürfende islamische Autoren sehen freilich in der Säkularisation nicht nur die Herausbildung eines profanen Bereichs und eine Trennung von Religion und Staat, sondern von Wert und Welt (Zebiri 1998, 56). Die Unhaltbarkeit einer Trennung von Fakten und Werten bildet auch den zentralen Ansatzpunkt für Versuche einer "islamischen Wissenschaft". Dabei bezieht man sich auf konstruktivistische Ansätze: Daß Wissenschaft nicht fortschreitende Entdeckung einer festliegenden Wahrheit ist, sondern das Ergebnis sozialer Konstruktion, eröffnet die Möglichkeit, Alternativen der Wissenshaft zu denken (Sardar 1984, 35). Als Beispiel fungiert u.a. die Stadtplanung, die auf die islamische Familienstruktur zugeschnitten sein müsse. Gerade das Festhalten an der Offenbarungswahrheit ermöglicht es, ein Übergreifen auf 32 Dazu Glacken 1967, 494 unter Berufung auf Suzuki. 27 den Bereich der Werte zu verhindern33. Da, wo in der Debatte um eine soziale Naturwissenschaft die demokratische Entscheidung steht, da steht das geoffenbarte Wort, oder, wenn man es in Außenperspektive formuliert, die kulturelle (identitätsstiftende Tradition). Damit ist das Schema der Weberschen Rationalisierung umgedreht, gerade die Fakten sind konstruiert, die Werte aber gegeben. Nicht die Logik ist universell, und die Ethik kulturrelativ, sondern die Ethik sakrosankt und die Logik darauf bezogen. Die ökologische Frage wird im Zusammenhang dieser Debatte bereits seit den 60er Jahren explizit aufgenommen34. Kritisiert wird hier von einer Warte aus, die für sich einen wesentlich umfassenderen Wissenschaftsbegriff beansprucht, nämlich eine Wissenschaft von der Essenz der jeweiligen Naturformen zu sein35. Der Reduktionismus der neuzeitlichen Naturwissenschaften erscheint demgegenüber wie die Untersuchung eines Manadalas unter dem Mikroskop (Nasr 1990, 264)36. Die bedeutendsten Vertreter sind Seyyed Hossein Nasr, ein ehemaliger Professor für Wissenschafts und Philosophiegeschichte an der Universität Theheran, der von anderen islamischen Autoren als Sufi eingeordnet wird (Sardar 1984, 35) und Fridhjof Schuon (geb. 1907 in Basel); beide leben heute in den USA. Schuon hebt hervor, daß auch die szientistische Weltsicht nicht einer prägnanten Symbolik entbehre (schwarzer Himmel). Die Reduktionismuskritik der konstruktivistischen Wissenschaftsgeschichtsschreibung 33 Zebiri 1998, 51; 55 betont die Verwendung marxistischer Denkfiguren für die Kritik am Christentum, die dieselben Autoren niemals auf den Islam anwenden würden. 34 Nasr (1996, 209), der sich selbst zu den Pionieren rechnet, meint, daß die außereuropäischen Religionen in den vergangenen zwei Jahrhunderten vollauf mit dem Kampf um ihre nackte Existenz gegen die zweifache Bedrohung von christlicher Mission und westlichem Konsumismus beschäftigt waren, so daß sie erst sehr spät die ökologische Krise als etwas anderes wahrgenommen haben als ein innerwestliches Problem, (ähnlich Sardar 1984, 27). 35 Als Beispiel für solche essenzielle Naturanschauung dienen die Wasserfälle taoistischer Gemälde, die das Herabsteigen des Einen in die Ebene der Vielfalt darstellen (1990 S 257); zu einer wesenhaften Zoologie wird erwähnt: "Ikhwan al Safa: der Streit zwischen Mensch und Tier, Olms 1969" (mit diesen Angaben nicht nachgewiesen). 36 Klages bringt als Bild den Chemiker, der zwecks Analyse der Farben das Landschaftsbild, das er gar nicht als solches zu erkennen vermag, von der Wand kratzt (Werke III, 292). Neben dem Bild des verkannten Landschaftsgemäldes das Bild des verkannten Buches. Wie aber durch die Benutzung aller Bücher der Menschheit von einem analphabetisch gewordenen Geschlecht "keineswegs die Bedeutung der Schriftzeichen widerlegt worden wäre und ebensowenig die ihnen eigene Fähigkeit zur Bewirkung umwälzender Geschicke unter solchen, die sie hätten zu lesen verstanden, geradeso beweist es nichts gegen die außermechanische und beseelte Natur der Bilder daß sie zerstörbar sind durch den mechanischen Eingriff". Auch sonst gibt es Parallelen zur Erscheinungswissenschaft, etwa in der Verteidigung des geozentrischen Standpunktes (Nasr 1990 S 64): "Die Betrachtung des gewaltigen Himmelsgewölbes in der Weise, als ob man auf der Sonne lebte, schafft ein Ungleichgewicht, das zwangsläufig zu der Zerstörung jener Erde führen muß, von der sich der moderne Mensch abstrahierte (...). Dieses Ungleichgewicht wäre nicht unvermeidlich gewesen, wenn der Typus Mensch, der die geozentrische Sicht des Kosmos verwarf, die Sonnengestalt, das Bild des höchsten Apollon, der pythagoreische Weise gewesen wäre, der ja von der heliozentrischen Astronomie wußte (...). Paradoxerweise aber war dieses Wesen, das sich von der Erde abstrahierte, um den Kosmos von der Sonne aus zu betrachten (...) der prometeische Mensch, der gegen den Himmel rebelliert hatte (...). Die Zerstörung des äußeren Symbols der traditionalen Kosmologien zerstörte für den westlichen Menschen die hierarchische Struktur des Universums (...)". Bezüglich dieser sind eher Parallelen zur Anthroposophie gegeben. 28 wird übernommen, allerdings diese selbst als letzter Zweig der Selbstaufhebung des Szientismus enttarnt: "Die moderne Wissenschaft glaubt zunächst, was sie sieht, und sieht am Ende, was sie glaubt (Schuon zit. Nasr 1990, 275, 289). Das Christentum wird zwar als Religion ernst genommen,37 erscheint aber als Spiel mit dem Feuer und als Vereinseitigung. Bemängelt werden seine Vergeschichtlichung der Seinsordnung und seine Überbetonung der Spaltung zwischen Geist und Fleisch bzw. Gott und Natur: "Der "Angelismus" der mittelalterlichen Theologie enthielt zwar eine tiefe Wahrheit, betrachtete aber nur einen Aspekt des traditionalen anthropos und ermöglichte die Rebellion gegen eine solche Anschauung seitens derjenigen, die den mittelalterlichen Menschenbegriff ablehnen zu müssen glaubten, um die spirituelle Bedeutung der Natur und die positive Bedeutung des Leibes entdecken zu können. Wenn sich der Körperkult der Renaissance durch eine Laune der Geschichte in Indien manifestiert hätte, hätte er sich dort nicht in der selben Weise gegen den Hinduismus richten können, wie er sich im Westen gegen das Christentum richtete" (Nasr 1990, 219 f.). Nasr weiß natürlich um christliche Konzepte, die nicht so stark dualistisch waren, er erwähnt Hildegard von Bingen, Franz von Assisi und auch Bonaventura.38 Werden hier Christentum und seine Ablösung zusammen genommen, weil eine Vereinseitigung (Abweichung von der Mitte, die der Mensch zu halten hat) für das Ausschlagen des Pendels in der anderen Richtung verantwortlich ist, so wird eine andere Tendenz des Christentums als direkte Wurzel der westlichen Gottvergessenheit identifiziert, nämlich die Vergeschichtlichung des Seins: "Als der Weltgeist zum Zeitgeist wurde, trat die Geschichte an die Stelle des Göttlichen" (Nasr 1990, 278)39. Dies sei eine spezifisch christliche Häresie, keine islamische oder hinduistische (Nasr 1990, 306). In gewisser Weise betrachtet er die mit dem Namen Hegel verknüpfte Vergöttlichung der Zeit freilich auch wieder als Rückschlag gegen die Säkularisierung der Wissenschaft im Kosmos, die ihrerseits Folge der Naturvergessenheit der Scholastik ist (1990, 220). 37 Als potentielle Verbündete erscheinen z.B. Theologen, die um die Wiederheiligung des Sabbaths als Insel in der Flut von Kommerz und Konsum kämpfen (genannt wird der protestantische Theologen Jürgen Moltmann). 38 Bonaventura zitiert er mit der Sentenz, wer die Schönheit der Schöpfung nicht sehe, sei blind, wer ihr Lob Gottes nicht höre taub usw. und fügt hinzu: "Man darf wohl annehmen, daß der heilige Bonaventura viele von denjenigen, die im Mittelalter nach ihm kamen, auch aus den Reihen der Theologen, die weitgehend vom Nominalismus beherrscht waren, (...) als Blinde , Taube, Stumme oder Narren eingestuft hätte“ (1990, 292). 39 Der Zusammenhang mit der Machtanbetung fehlt hier, doch wird die Agressivität der Naturbeherrschgung als Rückseite des Herausgefallenseins aus der Schöpfungsordnung gesehen (1990, 257); vgl zum Haß auf jungfräuliche Natur 1990, 27. 29 Doch der nächste Ausschlag in der Gegenrichtung ist in Nasrs Perspektive der Marxismus als ebenfalls spezifisch christliche Häresie (1990, 306).40 Grundgelegt sei er in der Vorstellung der Erlösung als einmaligem historischen Ereignis. Wesentliche Mißbildung des Christentums in dieser Perspektive ist die Trennung von Naturgesetz und Menschengesetz. Dharma, Tao und auch Sharia umfassen beide (Nasr 1990, 261). Damit einher geht die Überbetonung des die Naturordnung durchbrechenden Wunders gegenüber "Wundern" von der Art, daß die Sonne jeden Tag aufgeht. Das Verhältnis von Naturgesetz (li) und Menschengesetz (fa) ist in Ostasien und im Islam so gefaßt, daß das Menschengesetz annulliert werden muß, wenn es dem Naturgesetz oder göttlichen Gesetz widerspricht (Nasr 1996, 132 f.). Nur im Abendland ist die Vorstellung aufgekommen, das Naturgesetz sei vom Menschen (als Ebenbild Gottes) rational erfaßbar. Dadurch kam es schließlich zu einer Umkehrung der Abhängigkeit bis zu den Formulierungen Kants, wonach der Mensch der Natur die Gesetze vorschreibe. Die Praxis dieser Vorstellung ist das Experiment. Die dort gefundenen Gesetze gelten aber gerade nicht für Natur als das, was von sich selbst her ist. Ja sogar die Logik gilt ja nach Nietzsche ebenso wie Geometrie und Arithmetik nur von den Wesenheiten, die wir geschaffen haben . Natur ist (zumindest in diesem Sinn) nicht gesetzmäßig verfaßt. Alle Gesetze sind Näherungswerte, jede umfassendere Betrachtung bringt die gesetzlichen Abläufe gegenüber den Randbedingungen zum Verschwinden. Alle Gesetze sind nur statistischer Art. Es gibt auch keine Atome, Gene etc. Dies sind bildliche Vorstellungen, die freilich sehr weitreichenden prognostischen Wert haben. Als alternative Konzeptionalisierung ist eine über Ausdrucksparallelen, Synchronizitäten, bzw. Synchorizitäten möglich. Das Gegenmodell zum Gesetz ist die Sprache. Im einen Fall ist Natur als unterworfen gedacht, im anderen als sich ausdrückend. Nasr will nun freilich am Gesetzesbegriff festhalten, es wird dabei nicht ganz klar, wie sehr Gesetzgeber (Gott) und Natur auseinanderfallen. Wenn etwa der Sonnengott Marduk Gesetzgeber des Universums ist, dann deshalb, weil die Sonne die Regelmäßigkeit verbürgt. Auch im Griechischen gibt es aber eine Vorstellung, wonach, wenn Helios von seiner Bahn abwiche, ihn eine Moira zur Rechenschaft ziehen würde. Doch diese Moira ist nicht außerweltlich, eher unterweltlich gedacht. Der Gott des Islam dagegen ist ein außerweltlicher Schöpfergott. 40 Vgl. Karl Marx, Zur Judenfrage (1844), Marx-Engels Werke, Bd. 1, 376: "Das Judentum ist die gemeine Nutzanwendung des Christentums, aber diese Nutzanwendung konnte erst zu einer allgemeinen werden, nachdem das Christentum als die fertige Religion die Selbstentfremdung des Menschen von sich und der Natur theoretisch vollendet hatte".Dies geschah, indem es "alle nationalen, natürlichen, sittlichen, theoretischen Verhältnisse dem Menschen völlig äußerlich macht". 30 Nasr stellt dem prometheischen Menschen, der sich als Erdwesen betrachtet, das gegen den Himmel rebelliert, den "pontifikalen" Menschen gegenüber, der sich als "Brückenbauer" versteht (1990, 216 ff.). Dem säkularisierten Anthropozentrismus setzt er die spirituelle Mittelpunktstellung des Menschen entgegen, wie sie sich im Mythos vom kosmischen Urmenschen (Adam Kadmon etc.) zeigt: "Die Welt wird nicht als Abspiegelung des Menschen als Menschen betrachtet, sondern des Menschen, der selbst die ganze und volle Abspiegelung all jener göttlichen Qualitäten ist, deren bruchstückhafte Abspiegelung die manifeste Ordnung ist" (1990, 222). Der Koranvers 55,10, "Die Erde, er hat sie hingestellt für die Geschöpfe" kann als Antithese zum Dominium terrae verstanden werden. Sehr umstritten in der Interpretation ist aber der Koranvers 33,72 : "Siehe wir boten den Himmeln und der Erde und den Bergen das Pfand an, doch sie weigerten sich, es zu tragen und schreckten davor zurück. Der Mensch aber lud es auf sich, denn er ist ungerecht und unwissend". Gemeint ist mit dem Pfand wohl die Gabe des Bewußtseins "erkennend Gutes und Böses", die großen Naturwesen sind keineswegs von Allah dessen nicht gewürdigt worden, sondern sie wollten es nicht. Kennzeichen der wahren Religion ist nach Nasr, daß sie dem Menschen sowohl die Größe dessen, was er sein könnte, als auch die Erbärmlichkeit und Banalität dessen vor Augen stellt, was er in den meisten Fällen ist (1990, 225). Nasr hebt den Religionsersatzcharakter der Evolutionslehre hervor (1990, 310) und begreift sie als Horizontalisierung und Verzeitlichung der vertikalen Stufenleiter des Kosmos (1990, 313). Schlimmer noch, sie zerschlägt jedes Gefühl für den Eigenwert jeder inkarnierten Form als in sich vollkommen, indem es sie als Durchgangsstufe deklariert. Die New Age Bewegung ordnet er als pseudospirituellen Evolutionismus ein (1990, 318). Seit 1970 sei "environmentalism" selbst eine Art Religion geworden. Dem Biozentrismus, den er für ein Produkt des Demokratismus hält, setzt er einen Theozentrismus entgegen (1996, 218). An den christlichen Neuansätzen einer Schöpfungsethik einschließlich des dem Deep-ecology-Spektrums zugehörigen Matthew Fox kritisiert er, daß sie einseitig ethisch – und nicht noetisch – ansetzen d.h. die "naturwissenschaftlich" funktionale Blickweise unangetastet lassen (1996, 199). Sie wollen, indem sie sich auf das ausgeklammerte Reich der Werte stützen, ihren Frieden machen mit einer Ideologie, die die Basis aller Ethik unterhöhlt (1996, 219) . Als Ausnahmen im westlichen Denken nennt er Sherrard und Milosz. Auch heute noch sei Christianisierung in Afrika und Asien ein Wegbereiter des Konsumismus (1996, 222). In allen anderen Religionen sonst seien die Abwehrkräfte größer (1996, 220). Das Judentum schätzt er weitgehend ähnlich dem Christentum ein, es gehört für 31 ihn zum Komplex "Verwestlichung". Aber auch für den Hinduismus beklagt er ein Überwiegen ethischer gegenüber noetischer Ansätze (1996, 211). Fridhjof Schuon, den Nasr als radikalen Kritiker des im wahrsten Sinn des Wortes gottverlassenen Projekts Moderne häufig zitiert, sieht die westliche Zivilisation als Unkultur (1993, 34 f.)41. Er weist auf den Kernpunkt hin, wenn er die Ablehnung eines wirklichen Muslim gegenüber der modernen Zivilisation in dem ironischen Satz zusammenfaßt: "Jetzt müßt ihr nur noch den Tod abschaffen!". Der Mensch, der seine Transzendenz auf das Absolute hin negiert, verliert seine Menschlichkeit und verwirkt seine Menschenrechte. Scharfsinnig spricht Schuon von der Perversion des Selbsterhaltungstriebs der westlichen Zivilisation, aus dem ein Bedürfnis erwächst, den Irrtum zu radikalisieren, um ein ruhiges Gewissen zu haben (1993, 37). Die Grundlage der Abschaffung der Transzendenz ist in der modernen Gesellschaft die Schaffung einer Umgebung, in welcher die geistigen Dinge wie Fremdkörper erscheinen (Schuon 1993, 43). "Mit der Bezeichnung Verantwortung schmückt man das scheinheilig zweckgerichtete Festhalten" am Abweg des Abendlandes, obwohl doch der mit diesem Irrweg verbundene Verfall der menschlichen Substanz in Literatur und Kunst längst zum Himmel stinkt (1993, 42, 39). Nasr betont: "Die traditionale Lehre vom Menschen, nicht die Vermessung von Schädeln und Fußspuren ist der Schlüssel zum Verständnis jenes anthropos" (1990, 218). Die tiefste Erklärung der ökologischen Krise ist nach Nasr, daß sie Symptom der Selbstverfehlung des Menschen ist: Der Mensch wird zerstörerisch, wenn er sich als rein irdisches Geschöpf versteht, weil er kein solches ist. Noch in der Zerstörungsfähigkeit zeigt sich seine außerordentliche Stellung (1990, 225). Nasr betont auch den selbstauflösenden Charakter der Geschichtlichkeitsideologie. Sie habe "nicht nur denjenigen, die unter ihren hypnotischen Bann geraten sind, die Möglichkeit der Ewigkeitserfahrung genommen, sondern auch eine Verdunkelung der Bedeutung der Permanenz und historischen Kontinuität und damit ein Niedergang des Geschichtsbewußtseins selbst herbeigeführt" (1990, 309). Beachtenswert ist, daß Nasr auch die Rückprojektion der Naturgesetze in lang zurückliegende Zeiträume und die darin liegende Leugnung kosmischer Rhythmen (1990, 279) anprangert. Man könnte also sagen, es geht nicht um eine Entgegensetzung von beständigem Sein und geschichtlichem (oder heraklitischem) Wandel, sondern die Moderne hat gerade das Wandelbare zum Sein statifiziert und das Sein geleugnet. Die Grundlage dafür liegt im Christentum, das nur einen allzu kleinen Teil des vollständigen Zyklus der Weltentwicklung herausgegrif41 Meyer-Abich (1998, 392f.) hat zu Recht bemerkt, was Kultur von Unkultur unterscheide, sei die Frage "Was bin ich hier schuldig?" statt der "Was ist hier zu holen?" 32 fen und verabsolutiert, sowie einer linearen Betrachtung unterworfen hat (1990, 305). Eine Folge davon ist auch das heute herrschende Geschichtsbild des Abendlands, das die Menschheitsgeschichte auf die der Hochkulturen verkürzt. Nasr und Schuon kritisieren gerade nicht die Anthropozentrik des Christentums, und auch nicht sein Engagement gegen "Götzendienst", Nasr unterscheidet "Dedivinisation" und "Desacralisation" von Natur (1996. 215). Nur letztere will er bekämpfen. Auch gegenüber Weltfluchtendenzen ist ihre Kritik zurückhaltend, zwar sind diese der Auslöser der Gegenbewegung der Moderne, heute aber wäre ihre Wiedererweckung heilsam. Für die amerikanischen Nationalparks, so Nasr (1996, 217), wäre es ein Segen, wenn ihre viel zu vielen Besucher eine Verbindung zu dem, was größer ist als sie, in der Meditation zu Hause suchen würden. Sie interpretieren aber die Einzigkeit Gottes als Einheit der Welt. "Es gibt keinen Gott außer Gott" heißt dann: es gibt keine Realität außer der allumfassenden Realität (1993, 5). Das erscheint in ihrer Lesart auch als das Geheimnis der Mysterien (und z.B. der pythagoreischen Lehre) in polytheistischen Religionen (1993, 4). Nasr sieht nomadische Religion nicht als naturfeindlich, vielmehr begegne dem Nomaden überall die "jungfräuliche Natur" (1993, 6). Daß Natur als Schleier zwischen Mensch und Gott (vgl. das indische Konzept von Maja) erscheint, wird nicht negativ gewendet. Das Gefallensein der Natur wird so interpretiert, daß in der Natur nicht mehr ohne weiteres ablesbar das Urbild durchscheint, während im Zustand der Unschuld jeder Fluß als Paradiesfluß erscheint (1993, 3). Wogegen sie sich wenden, ist die Historisierung des Heils, der Dualismus, die Lehre von zwei Wahrheiten, Selbsterlösungsvorstellungen, Pantheismus, Evolutionismus. Damit ist ein Gegenpol zu der Kritik von Drewermann oder Giegerich eingenommen, die gerade die historische Dynamik glorifizieren, aber die Anthropozentrik ablehnen. Demgegenüber weist Iqtidar H. Zaid (1981) die Kritik am Christentum von White und noch mehr am Monotheismus von Toynbee zurück.42 Nicht die Wurzel, wohl aber die Lösung der Umweltkrise liege in der Religion. Unter Berufung auf Yi fu Tuans Untersuchung für den chinesischen Raum weist er die These zurück, daß philosophische und theologische Vorstellungen für das Umweltverhalten verantwortlich seien, viel mehr sei dies die allgemeine menschliche Schwäche. Deutlicher als bei Nasr, den auch er zitiert, zeigen sich bei ihm die Grenzen des Islam: Für wilde Natur hat er nichts übrig, ja die Zuwendung zu ihr scheint ihm "a selfish attitude" (39). Auch der Islam erweist sich als Religion des Dienstes an einem Potentaten – unfähig Zweckfreiheit der Natur zu denken. 42 Ebenso Manzoor in Sardar 1984, 152 f. 33 1.3.2. Die asiatische Perspektive Waitsui Tetsuro Aus ostasiatischer Perspektive ist mir keine direkte, historisch argumentierender Kritik des Christentums und seiner Folgen bekannt. Interessant ist der japanische Philosoph Watsuji Tetsuro, der sowohl eine Alternative zur universalistischen Ethik aufstellen wollte, als auch sich mit der Prägung des Menschen durch das Klima beschäftigte. Er versucht, die Ethik von der Diskursivität und Intellektualität zu lösen und im konkreten Verhalten ("Zwischenmenschlichkeit") zu gründen. Mit der Beziehung statt der Diskursivität als Grundlage fällt ein entscheidendes Hindernis für eine Einbeziehung der Natur weg. Entsprechend seiner Philosophie, die die Subjekt-Objekt Spaltung zu hintergehen versucht, greift Watsuij Tetsuro auch Herders Alternativen einer Klimalehre auf: 1. Wenn Mensch und Klima getrennt betrachtet werden und versucht wird, kausale Zusammenhänge festzustellen, wird Klima zu einer vom menschlichen Lebenszusammenhang abstrahierten naturwissenschaftlichen Tatsache, die mit dem ebenso abstrahierten, zum Naturphänomen gewordenen Menschenkörper wieder zusammengebracht werden muß (Watsuji Tetsuro 1992, 188). 2. Stattdessen sollte die Tatsache, daß der Mensch immer schon klimatisch bestimmt ist, zum Ausgangspunkt genommen und das Klima als Strukturmomement menschlichen Daseins (geisteswissenschaftlich) betrachtet werden. Systematisch ist der Zusammenhang von Klima und Religion in der Typologie Wüsten-, Wiesen- und Monsumklima und entsprechender Religion bei Watsui Tetsuro dargestellt. Watsui versucht, auch den Protestantismus landschaftlich zu erklären (1992, 101). Alan Watts Alan Watts (1975) arbeitet heraus, daß das östliche Denken im Gegensatz zum westlichen an dem festgehalten hat, was der Naturbegriff ursprünglich meinte, nämlich ein Tzu-jan aus sich selbst sein. Das Bild dafür ist der "watercourse of nature" (38), nicht teleologische Entelechie. Die Ordnung der Natur (Tao und Li) ist nicht eine gezwungene Ordnung (43). Darin liegt eine Kritik am Begriff des Naturgesetzes. Watts wirft dem westlichen Denken vor, im Bezug auf Natur die Regeln der Grammatik mit der Sprache zu verwechseln (42). Das Tao ist weder ein "Boss" oder Schöpfer, noch ist es von außen gegebene Ordnung (51). Es wäre zu prüfen, ob sich geschichtlich tatsächlich ein Zusammenhang ergibt zwischen außerweltlich schaffendem und lenkendem Gott und dem Begriff von Naturgesetzen, die die Dinge und Wesen zwingen, sich in bestimmter Weise zu verhalten. 34 1.4. Neuheidnische Kritik Eine fundierte neuheidnische Kritik gibt es seit der Instrumentalisierung des Neuheidentums durch den Nationalsozialismus kaum mehr. Die Szene ist zersplittert und klein. Gesamtdarstellungen kommen meist aus einer sich als ideologiekritisch verstehenden Richtung und sind durch Voreingenommenheit geprägt. So reicht etwa Stefanie von Schnurbein (1992, 251) ein Terminus wie "jüdisch-christliche Religion" in Otto Ullrichs Buch "Weltniveau" (1979), um daraus eine "kritische Nähe zu antisemitischen Haltungen" zu diagnostizieren,43 während sie andererseits ohne Distanz die "Allgemeine jüdische Wochenzeitung" (153) und Publikationen der Antifa-Szene als Belege für rechte Unterwanderung der neuheidnischen Szene nimmt. Wir können aber einige Linien der Kritik von Ludwig Klages ausziehen. Die ersten diesbezüglichen Äußerungen finden sich in der Schrift "Mensch und Erde" von 1913. Zunächst bezeichnet er als die Stichworte der Moderne "Fortschritt, Kultur und Persönlichkeit" (1973, 1). Was aber die Zeitgenossen Kultur nennen, wird als Zivilisation, was sie Persönlichkeit nennen, als mangelnde Gemeinschaftsverbundenheit und Geist des Kapitalismus gesehen. So heißt es dann: "Wenn schon Fortschritt, Zivilisation, Kapitalismus nur verschiedene Seiten einer einzigen Willensrichtung bedeuten, so mögen wir uns erinnern, daß deren Träger ausschließlich die Völker der Christenheit sind. Nur innerhalb ihrer wurde Erfindung auf Erfindung gehäuft, blühte die exakte, will sagen die zahlenmäßige Wissenschaft und regte sich rücksichtslos der Erweiterungsdrang, der die außerchristlichen Rassen knechten und und die gesamte Natur verwirtschaften will. Im Christentum also müssen die nächsten Ursachen des weltgeschichtlichen "Fortschritts" liegen“ (1973, 19). Die wissenschaftliche und industriell kapitalistische Weltbemächtigung sieht er als Fortführung des christlichen Impulses, "das Verwobensein in die bildernde Vielgestalt und unerschöpfliche Fülle des Lebens hinzuopfern für das heimatlose Darüberstehen einer weltabscheidenden Geistigkeit". Klages ordnet das Christentum freilich in eine die Vorgeschichte mitübergreifende Perspektive ein. Für ihn ist der Monotheismus der Wüstenreligion der entscheidende Schritt, angelegt ist die Möglichkeit zu ihrem Einbruch aber viel früher und grundsätzlicher. Der ursprüngliche Mensch löst sich aus der Tierheit durch "Befreiung des Schauens von der Herrschaft des Empfindens" (1972, 369). "Erst indem die Natur – gewaltigen Anlaufs gleichsam – ein Wesen mit Fernschaugabe erzeugte, beschwor sie die nie noch erprobte Gefahr herauf, daß zufolge 43 "Die Idee liegt nicht fern ‚jüdisches Denken‘ und schließlich Juden überhaupt verantwortlich für die moderne Zivilisation zu machen. Dieser Gedanke wiederum ist nichts anderes als der Kern traditioneller antisemitischer Verschwörungstheorien" (Schnurbein 251). Dieses Strickmuster antifaschistischer Verschwörungstheorien, ist genau das, was der Kieler Wissenschaftstheoretiker W. Deppert treffend als "inflationistischer Fehlschluß" bezeichnet hat. 35 übermächtiger Spannung der Zusammenhang von Empfindung und Schauung, von Leib und Seele lockerer werde und schuf damit einen Ermöglichungsgrund für den Eintritt des Geistes" (1972, 841). Solange der Willensakt bestimmt wird vom Auffassungsakt, bleibt der Geist des Menschen vom Leben abhängig (prometheische Stufe), wird der Wille selbständig, so beginnt die Geistabhängigkeit des Lebens (herakleische Stufe) (165). Herakles befreit ja auch im Mythos Prometheus von seiner Strafe. Klages setzt die herakleische Stufe etwa mit der Entwicklung des Christentums gleich, die er auch als Radikalisierung des Logozentrismus zum Anthropozentrismus auffaßt (1950, 210). Während vorher Vernunft, Wille, Nus, Pneuma prinzipienartige Mächte blieben, "besann sich im Christentum die Philosophie auf die Herkunft dieser Begriffe aus dem Personsein des Menschen und projezierte in den Weltgrund den Menschen selbst, versteht sich in der Gestalt, ausschließlich des Mannes“ (1950, 210). Freilich nimmt der Platonismus schon viel vorweg. Die Gleichsetzung der Wende mit dem Christentum ermöglicht es Klages allerdings, das Geschehen statt als Radikalisierung einer bereits in der abendländischen Geschichte bestehenden Tendenz, als Einbruch von Außen, eben als Einbruch der Wüstenreligion zu verstehen. Klages betont, daß auch schon das dualistisch leibfeindliche Denken der sog. griechischen Philosophie "nicht auf abendländischem Boden gewachsen" ist (1950, 205). Die Stoa, meint Klages, "handhabt ihre Erkenntnisse bereits wie die Keule des zum Vorbild erkorenen Herakles" (1950, 207). Die Stoa bereits nennt das Widernatürliche Natur, nämlich die Freiheit der Persönlichkeit und die Willkür (vgl. 1972, 517). Deutlich wird dies an dem Satz des Ariston "Von Natur gibt es kein Vaterland" (1950, 207). Mit Natur wird hier etwas ganz Allgemeines gemeint, wie später bei den Aufklärer; es ist ja eben ganz kontrafaktisch gesprochen, daß von Natur aus alle Menschen gleich sind. Das, was da Natur genannt wird, muß zunächst aller Qualitäten, die eben immer Besonderheiten sind, entkleidet werden. Darin liegt die Gemeinsamkeit zur Naturwissenschaft. Klages sieht im Christentum die Vorbereitung der Moderne. Der Grundcharakter der Moderne ist der Mammon-Leviathan. Naturwissenschaft, Ökonomie und Demokratie sind eines Geistes (1950, 212). Man kann ihn den Geist des Reduktionismus oder der Statistik nennen, die alles Individuelle entwirklicht. Denn Demokratie beruht auf einem soziologischen Reduktionismus des Menschen auf Kopf und Stück, der eine historische Parallelentwicklung zum naturwissenschaftlichen Reduktionismus auf Dingliches und Quantifizierbares und dem ökonomischen Reduktionismus auf Geldäquivalente darstellt. "Man übersieht dagegen zu oft nur, daß die sog. demokratischen Verfassungen je demokratischer umso mehr, nie etwas anderes waren als die geradesten Bahnen zur Herrschaft des Geldsacks" (1972, 1204). 36 "War der antike Staat auf Knechtung der Leiber gegründet, so ist es der christliche auf Knechtung der Seelen! Der Vorgang weist wiederum zwei Abschnitte auf. Das Dogma des Mittelalters verbot die Betätigung der natürlichen Triebe; sein Erbe, der Kapitalismus, räumte gründlicher auf, indem er zur Vorbedingung des Rechts auf Dasein die Arbeit im Dienste erzwungener Ziele machte. Wenn wir uns gewaltig viel darauf einbilden, keine Sklaven mehr zu dulden, so ist die Verblendung kaum noch auszumalen, die uns übersehen läßt, daß wir weit wirksamer das Leben würgten durch die Vergöttlichung des Machinalismus" (1950, 330). Daran ist engstens gekoppelt der Verlust der ehemals allgemeinen Gestaltungskraft aus Liebe zur Sache – das heißt Verbindung zu ihren Elementarseelen. Klages führt hier zusammenhängend aus, wovon "Mensch und Erde“ bereits die Symptome gezeigt hatte: "Was der Naturmensch genötigt vom Triebe der Lebensfürsorge vollbrachte, geschah in unmittelbarer Beziehung auf das Befriedigungsmittel, demgemäß ohne künstliche Apparaturen und aus voller Liebe zur Sache (...) Nun aber halte man daneben, wie im verwickelten Getriebe des Machtstaates zahllose Tausende, teils um des nackten Daseins willen, teils besessen vom Hunger nach Macht, Tag für Tag Verrichtungen üben, die nicht den geringsten Zusammenhang haben, weder mit den Trieben des Leibes, noch mit den Neigungen der Seele! Von jedem sinnvollen Ziele gänzlich gelöst, ist ihr gesamtes Tun zum bloßen Mittel geworden (...). Demgemäß aber entschläft das die Arbeit begleitende Lied, verbreitet sich wie ein erstickender Nebel der "Ernst des Lebens" und tritt an die Stelle unablässig schwingungsbereiter Freudigkeit ein stoßweise aufzuckendes Vergnügungsbedürfnis“ (1950, 331 f.). Wahres Subjekt der Zerstörung ist der Wille zur Macht, der "im Zeichen jenes angeblichen Gottes siegt, dessen angepriesene Einzigkeit nur die Kehrseite bildet seiner - Unsichtbarkeit": "Wer Gott sucht, wird Götter niemals finden". Nach Ludwig Klages' brillianter Formulierung ist die "Eingötterei eine bloße Übergangsform zum Siege ungöttlicher Geistigkeit über den ‚Gegenstand‘ jeglicher Seelenwallung" (1972, 1265). "Was aber jenen eigentlichen Monotheismus anbelangt, der dank einem weltgeschichtlichen Irrtum das Theion der Seele für das Monon des Geistes in Anspruch nimmt, den siegreichen Monotheismus der israelitischen Propheten, denen das erstaunliche Kunststück gelang, zum persönlichen Herrn der gesammten Welt den schrankenlosen Haß auf die Göttlichkeit schlechthin dieser Welt zu erheben", so ist dieser auch im Judentum immer gefährdet gewesen. Immer wieder mußte er seine Bannflüche schleudern gegen jenen Teil des Volkes, der immer wieder sich zum Bilderdienst kehrte (1972, 1265 f.). Vom Kampf des einen patriarchalen Gottes gegen die Götter der Naturfrömmigkeit stammt die abendländische Naturfeindschaft ab, die in der Hexenverfolgung und ei- 37 ner Wissenschaft gipfelt, die der Natur ihre Geheimnisse abpressen will, wie der Hexe auf der Folter (so Bacon und Kant in recht ähnlich lautenden Formulierungen). Der jüdische und christliche Gott gibt nicht direkt den Impuls zur Mechanisierung der Natur, nicht etwa durch den Kultivierungsauftrag, er schafft aber den Raum für die Entgöttlichung der Natur und gleichzeitig wirkt die Machtanbetung langfristig in Richtung Steigerung des Beherrschungswillens. "Der christliche Gott war seiner Herkunft wegen nur wenig verstrickt in die Naturprozesse, die christliche Religion war eben keine Naturreligion. Ihre Dogmatik setzte deshalb der Praxis keine übergewichtigen Hindernisse entgegen. Es ist ein Beitrag durch Abwesenheit, den sie leistet. Erst an den großen Umbruchstellen des Weltgebäudes, wenn kanonisierte Anschauungen in Gefahr geraten, leistet sie Widerstand" (Dux 1982, 237f.). Dieser Widerstand kommt zu spät. Ein weiteres Element ist die Adelung der Arbeit, die die Trennung der intellektuellen Oberschicht von den Bedürfnissen des Erwerbs durchbricht und damit deren Funktion unterminiert, über anderes als über Bedürfnisse nachzudenken. Wiederaufnahmen des Antijudaismus gibt es heute auch aus feministischer Sicht (Lauer 1996, 125). Klages Rückführung der christlichen Naturfeindschaft auf seine judaistischen Wurzeln ist nach 1945 häufig als angeblicher Antisemitismus gebrandmarkt worden. Carl Amery hat ihn gar in seiner konfusen Schrift "Hitler als Vorläufer" unter die Ideengeber Hitlers eingereiht (Amery 1998, 44, 122). Einen Beleg, daß Hitler Klages gelesen habe, hält Amery für überflüssig (Brief an den Verfasser 2.11. 1998). Hier bestätigt sich der gleiche fahrlässige Umgang mit historischen Wirkungszusammenhängen wie in seinen "Analysen" des Christentums. Einen bestimmten Strang der Argumentation hat W.F. Otto vor allem in seinem Fragment "Die Bahn der Götter" ausgeführt. Er betont hier, daß in der Erfahrungsreligion Göttlichkeit nicht an Macht gekoppelt war. "Was sind das für Götter, die so leicht vertrieben werden können? Nun was sagst Du dazu, lieber Freund? Ist es nicht wirklich so, daß wir auch deine geliebte Felsenhöhle ohne Schwierigkeit sprengen und damit das Gefühl göttlicher Gegenwart gründlich widerlegen könnten? So haben es ja die christlichen Missionare gemacht" (Otto, 66f). Als neuheidnisch kann man Hermann Schmitz‘ ansonsten eher hyperwissenschaftlich daherkommende "Neue Phänomenologie" insofern bezeichnen, als sie Atmosphären als Mächte und z.T. auch als göttliche Mächte anspricht.44 Schmitz hat nun erst in seinem neuesten Buch eine Beschreibung des seiner Meinung nach verhängnisvollen abendländischen Geisteswegs 44 So wird etwa der heilige Geist als dionysisches Numen, das Gewissen als palladisches Numen qualifiziert. 38 vorgelegt, die auch die Rolle deutlich macht, die seiner Meinung nach das Christentum dabei spielt. Schmitz bezeichnet Reduktionismus und Introduktionismus als die Grundentwicklung, die er besonders gern mit der chinesischen Kultur kontrastiert. Diesen Prozeß sieht er bereits mit der griechischen Philosophie (Parmenides und Demokrit) beginnen. Spezifisch abendländisch seien aber drei darauf aufbauende Verfehlungen. Er nennt die dynamistische Verfehlung, womit der die Neigung zu zunehmender Weltbeherrschung meint) die autistische Verfehlung und die ironistische Verfehlung (Schmitz 1999, 37, 55, 64). Obwohl dies abendländische Sonderentwicklungen sind, die keineswegs notwendig im Gang der Geschichte, nicht einmal des Christentums lagen, scheint sich ihm doch die Frage so zu stellen: "Eines der größten Rätsel der europäischen Geschichte knüpft sich an die Frage, warum es nach Etablierung der psychologistisch-reduktionistisch-introjektionistischen Verfehlung zweitausend Jahre gedauert hat, bis die Chancen dieses Paradigmas für Extroversion der dynamistischen Verfehlung, für systematische Weltbemächtigung dem intellektuellen Krafteinsatz der Kultur das Ziel vorzeichneten, bis dann abermals zwei Jahrhunderte später die Technik aus den Ufern trat" (38). Schmitz setzt östliches und westliches Christentum scharf gegenüber. Dem ersteren schreibt er eine primär johanneische Orientierung zu, dem letzteren eine Akzentsetzung auf die synoptischen Evangelien, die bereits die Macht Jesu (z.B. über die Naturgewalten), das kapitalistische Prinzip (Mt 25,14 ff., Luk 19,11 ff.) und die Höllenstrafen betonen (Schmitz 1999, 117)45. Dies führe einmal zu einer westchristlichen Höllenvermeidungs- und andererseits zu einer ostchristlichen Vergottungsreligion (134). In diesen Grundgegensatz ordnet er nun die unterschiedlichen Konzeptionen der Trinität ein46 und stellt Augustinus und Maximus Confessor sowie Meister Eckhardt und Gregor Palamas einander gegenüber. In der Ostkirche sieht er Natur- und Weltbejahung, der Heilige führe nach Maximus eine Art physikotheologischen Gottesbeweis durch sein Leben, indem er wiederherstelle, wie die Natur ursprünglich gemeint war (157). Buch der Natur und Buch der Schrift stehen gleichrangig nebeneinander (159). Die Dinge sind Gottes Spiegelbild (159). Hitler sieht er als Konsequenz nicht eines deutschen, sondern eines abendländischen "Sonderwegs" (377), der mit den Eleaten beginnt "Das Christentum erhitzte dieses kunstvoll aus Psychologismus, Reduktionismus, Introjektion, Physiologismus und Rationalismus geschwungene Netzwerk der dominanten Intellektualkultur durch das Feuer der Erregung breiter 45 Er bleibt freilich die Erklärung schuldig, wie so völlig unterschiedliche Beschreibungen als Einheit verstanden werden konnten. 46 Beide beruhen für ihn freilich auf einem Mißverständnis des Heiligen Geistes (122). 39 Volksmassen und sich exponierender Einzelner und schürte es, hauptsächlich auf weströmischem Boden mit der Wucht der Allmacht Gottes" (378). 2. Gegenargumente 2.1. Alternative Theorien Eine prägende Rolle für das Abendland wird – weniger in der einschlägigen Literatur47 als im verbreiteten Bewußtsein heute historisch interessierter Menschen – den Römern zugeschrieben. Ein grundlegender Unterschied der römischen etwa zur chinesischen Reichsidee ist aber wieder nur in Verbindung mit dem Christentum auszumachen. Diese ergibt sich nicht zuletzt aus der Auslegung der Daniel-Vision. Wenn das römische Reich das letzte ist, dann bedeutet sein Untergang zugleich das Ende dieser Welt. Daraus leitet sich die noch bis in unser Jahrhundert (etwa bei Carl Schmitt) wirkende Denkfigur einer Hinauszögerung des Weltendes durch Stabilisierung des Reiches ab. Das Christentum übernimmt ein durch den Sonnenkult bereits im 3. Jahrhundert vorbereitetes Terrain. Der Sonnenkult hatte es verstanden, einen privaten Aspekt, den der Wiederauferstehungshoffnung und einen politischen – den der Sehnsucht nach Stabilität – miteinander zu verbinden, ohne die erfahrungseligiöse Einheit völlig zu sprengen, denn Tag- und Nachtmeerfahrt der Sonne sind zugleich ein anschaulicher Naturprozeß (daß die Darstellungen des Sonnenwegens so oft nach links weisen dürfte mit einer Betonung des Nachtmeerfahrt-Aspekts zu tun haben). Der private wie der politische Aspekt sind Reaktionen auf die Reichskrise des 3. Jahrhunderts, in der die Identifikation mit der Polis zerbricht und die Zentralgewalt nicht mehr selbstverständlich ist. Christentum als Wüstenreligion Watsui Tetsuro hat den Gedanken vertreten, die Vorstellung von einer Beherrschbarkeit der Natur könne weder in Monsun- noch in Wüstenregionen aufkommen. Im Gegensatz dazu steht die Interpretation des Christentums als Wüstenreligion.48 Die Gleichsetzung von Nomadenreligion und Naturfeindschaft ist sicherlich allzu einfach. Günter Dux (1982, 237f.) hat das Verhältnis recht genau beschrieben: "Es stimmt natürlich nicht, daß die Natur für Nomaden von geringerer Bedeutung wäre als für Bauern. Sie sind so gut wie jede bäuerliche Kultur von 47 Vgl. allerdings Münk 1987, 157 Eine Interpretation aus der Sicht eines protestantischen Pastors liefert Frick 1936, 12 ff: "Ein echter Moslem, ein richtiger Hindu sein, setzt das entsprechende Klima voraus, wenn nicht physisch, so doch sicherlich im geistigen Sinn eines zugehörigen Lebensstiles" Das Christentum will er freilich nicht zu diesen "Landschaftsreligionen" rechnen. 48 40 der Fruchtbarkeit des Bodens wie der Herden abhängig. Nur ist der Verbandsgott nicht der Bodengott. Er ist durch ein anderes Objekt hindurch geformt. Und das ist bei den Nomaden nicht an den Boden gebunden (...). Israel knüpft seine Beziehungen zu Jahwe an die großen Ereignisse seiner Geschichte (...) In dieser Ereignissen wurde die Exstenz Israels an die Existenz Jahwes gebunden, und das in einer ganz spezifischen Weise. Israel behauptete sich gegenüber seinen Feinden, es erwies sich als ihnen überlegen. Mit ihm aber erwies sich sein Gott als anderen Göttern überlegen (...) und es behauptete sich, indem es seinen Gott als überlegen behauptete (...). Der überlegene Gott ist der wahre Gott, der wahre ist der einzige". Das gibt gut den Charakter des Judaismus wieder, den Klages als Machtanbetung beschrieben hat. Eine Variante der Argumentation von der Naturfeindlichkeit der Wüstenreligion bildet die Theorie Passarges (1922). Allerdings beschäftigt er sich kaum mit den konkreten Wirkungen bestimmter Landschaftsformen, sondern thematisiert die Wirkung von Abhängigkeit und Unabhängigkeit von Natur überhaupt: Die Religion der landschaftlich geprägten Menschen sei vorwiegend eine der Naturgewalten. Ein erster Bruch erfolgte seiner Ansicht nach in Deutschland bereits durch die landschaftsfremden Götter Roms. Entscheidend aber ist erst das Christentum, das die landschaftlich erlebbaren Götter durch auswendig gelernte Formeln ersetzt und damit die Grundlage der Religiosität überhaupt untergräbt (Schule der Lüge). Die Reformation versteht er als verfehlten Versuch, statt eines Zurück zu den eigenen Wurzeln ein Zurück zu den Wurzeln des Christentums zu versuchen, sie sei auf germanische Volksgruppen einerseits, Gebirgsbewohner andererseits konzentriert.49 2.2. Christliche Argumente gegen White Theologen taten sich mit dem Angriff Whites deshalb schwer, weil sie gerade mühsam dabei waren, dem Christentum einen ehrenvollen Platz in der Vorgeschichte der modernen Weltbeglückung bis zur päpstlich gesegneten Weltraumfahrt zu sichern. Darauf weist schon John Macquarrie (in Spring/Spring 1974, 32) und eher verstohlen auch Münk (1987) hin. So betont beispielsweise der Theologe Gerhard Rad ein "gewaltiges antimythisches Pathos" (Kern 1969, 296; Liedke 1979) der jüdischen Kosmogonie. Die Gestirngötter werden schon im Alten Testament zu Beleuchtungskörpern, Tiamat zur Urflut Tehom. Das Christentum sei nun die Fortsetzung dieser Tendenz, die Emanzipation des Menschen und technischen Fortschritt hervorbringe. 49 Passarge 1922, 103 ff.; eine andere Deutung der geographischen Gebundenheit der Reformation schlägt Watsui Tetsuro vor (1992, 101). Ähnlich schon William Falconer im 18. Jahrhundert (s.o.). 41 Sieht man einmal das Christentum als erst in allmählicher Selbstentfaltung begriffen (was katholischen Autoren leichter fällt), dann kann man das mittelalterliche Christentum als Durchgangsstufe sehen. Der Brixener Theologe Alfred Mitterer (1934, 29) etwa revidiert unter Beibehaltung der Methode der thomistischen Naturrechtslehre die inhaltlichen Ergebnisse des Aquinaten sowohl im Bezug auf die Naturerkenntnis als auch die Prinzipien des Naturrechts im menschlichen Bereich und sieht nicht nur einen Zusammenhang zwischen Thomas‘ Rechtfertigung der Sklaverei und seiner Kosmologie, sondern auch dem modernen Abgehen von beidem, ja er sieht erst durch die moderne Stellung des Menschen das christliche Verständnis vom Wert der Arbeit erfüllt. Denn heute sei der Mensch, der durch die Technik verborgene Potentiale der Schöpfung freilege, in eine Rolle hineingewachsen, die Thomas noch den Engeln vorbehalten habe. Die menschliche Arbeit habe heute nicht nur einen Wert zur Bedarfsdeckung und zur Zügelung der Genußsucht, sondern einen kosmischen Rang. Gerade deshalb sei es Zeit, die egozentrische Bestimmung des Verhältnisses zu den niedriger stehenden Geschöpfen zu überwinden, und Mitterer macht sich anheischig, eine naturrechtliche Begründung von "Tierschutz, Naturschutz, Heimatschutz" (1934, 36) auf der Grundlage einer kosmischen (und damit theozentrisch zu sehenden) Bedeutung der menschlichen Arbeit zu liefern. Dies fällt freilich in eine Zeit, in der die Moderne auf theologische Rechtfertigung und Absolution bereits weitgehend verzichtete. Ansonsten wird heute immer noch gern und weitgehend ohne Bezug auf das Problem des Naturverhältnisses die These von der Abhängigkeit der Moderne vom Christentum im Bereich der – scheinbar unproblematischen, ja zur Hauptideologie des Westens gewordenen – Menschenrechte vertreten. Pannenberg freilich vertritt die These, daß diese Säkularisierungsform letztlich nicht "nachhaltig" ist, denn die Absolutgeltung von Menschenwürde ohne Ansehen dessen, was der Mensch daraus macht, kann nur in einer Letztverfügung Gottes und der daraus folgenden Verfügungsauschluß des Menschen wurzeln. Neben dem Verfügungsrecht Gottes steht aber auch bei Pannenberg die Herausgehobenheit in der Schöpfung. Während alle anderen Wesen durch das Wort geschaffen sind, ist es der Mensch durch die Tat Gottes. Pannenberg (65 f.) zitiert Theophios (bereits um 180 n.Chr), der darin den hohen Wert des Menschen und die Geringfügigkeit der anderen Geschöpfe sieht. Die Freiheit des Christenmenschen, die in der durch Christus wiederhergestellten Ebenbildlichkeit wurzelt, ist keine Freiheit der Selbstbestimmung, sondern eine der Selbstfindung. Der Gedanke, daß Freiheit auch die Möglichkeit der Verfehlung einschließt, ist nicht notwendig damit verbunden. Pannenberg betrachtet Kants Versuch, den Gedanken der Menschenwürde 42 durch Herleitung aus der Vernunftautonomie zu säkularisieren, als mißlungen, wertet den Versuch aber selbst als Moment der Wirkungsgeschichte seiner religiösen Herkunft.50 2.2.1. Apologeten, die eine Schuld des Christentums negieren Ernst Benz ist in seiner Beschreibung des Christentums (Benz 1975, 269) davon ausgegangen, daß der Herrschafts-Auftrag an den ungefallenen Menschen ergangen sei. Er interpretiert die Heilstat Christi als Erlösung der ganzen Schöpfung, ja tendenziell als Erlösung von der Ausbeutung durch den Menschen. Dabei weist er darauf hin, daß diese Vorstellung besonders in der Ostkirche lebendig geblieben sei. Demgegenüber sei er vor allem im Protestantismus immer weiter zurückgegangen, "nachdem sich seit der Zeit der Reformation der Hauptinhalt der christlichen Botschaft auf die Frage nach dem persönlichen Verhältnis des Menschen zu Gott reduzierte" (271). Aber auch bei Benz wird Jes 11,6 herangezogen vom Beieinanderwohnen von Lamm und Wolf und Kind und Otter. Das bedeutet, daß die reale Wesensart von Raubtieren als Gefallensein interpretiert wird. Ebenso ist die oft gegen den Vorwurf des ausschließlichen Interesses des Christentums am Menschen herangezogene Paulusstelle (Römer 8,18) zweischneidig. Denn die Vorstellung von einer gefallenen Schöpfung ist immer schon ein Reflex des Nichteinverstandenseins mit der Naturordnung, wie sie vorliegt. Die deutlichste Gesamt-Apologie vertritt Münk (1987). Zum einen betont er, die Technik sei eine anthropologische Konstante und versucht, "Umweltzerstörung" schon in der Zeit der Bandkeramiker nachzuweisen. Seit dem Neolithikum habe es nur noch graduelle Entwicklungen gegeben (151). Andereseits wird römische Ausbeutergesinnung gegen griechische Hemmung gestellt (157) und damit ein anderer Kandidat der Schuldzuweisung geschaffen.51 Münk stützt sich für seine Darstellung des Mensch-Umweltverhältnisses auf die Typologie von Oldenmeyer.52 Er versucht, sich einer Verantwortung des Christentums auch dadurch zu 50 Pannenberg (Christliche Wurzeln des Gedankens der Menschenwürde, in Kerber S. 70) betont den Zirkelschlußcharakter in den Behauptungen, daß der Mensch Selbstzweck ist für die Begründung des kategorischen Imperativs bereits voraussetzt, andererseits aber meint, daß Moralität die Bedingung ist um Selbstzweck zu sein. 51 Das scheint mir so nicht haltbar, man denke nur an Tacitus Annalen I,79. Zweifellos liegt der römischen Mentalität näher als der griechischen die Vorstellung, die Natur wolle umgestaltet sein. Aber auch bei Demokrit findet sie sich schon (Lämmli 1968, 63). 52 Oldenmeyers Darstellung ist extrem modernelastig. Die verkürzende Darstellung macht deutlich, daß er sich mit der Genese weder des magischen noch des mythischen Naturverhältnisses wirklich beschäftigt hat, sonst würde er sie auch kaum so fraglos ineins setzen. Freilich ist die Grundbeobachtung wohl richtig, daß Natur kein Gegenüber ist, sondern ein Kontext, in dem der Mensch eine Organstellung einnimmt. Umso verwunderlicher ist die pauschale Ablehnung des Realitätsgehalts dieser Beziehungsweise (S 36). Der Ausdruck biomorphganzheitliche Bezugsweise für die zweite Form, die mit der Ausbildung einer Philosophie und eines systemischen Blicks beginnt, signalisiert, daß ein Abstieg vom anthropomorphen Betrachten stattgefunden hat. Die anthropomorphe Betrachtungsweise von Naturwesen ist ja sinnvoll, wo der Mensch sich tatsächlich als eines 43 entwinden, daß er die fraglichen Ideologeme als nicht-christlichen Ursprungs oder als Mißverständnisse interpretiert. So setzt er dem innerweltlichen Fortschritt gerade die christliche Jenseitshoffnung, der Selbsterlösung das Angewiesensein auf Gnade entgegen. Von einer Kontinuität der Ideen könne keine Rede sein (Münk 185), höchstens von einer Kontinuität des Anspruchs. Genau darum geht es aber. Ideen sind austauschbar, aber die Nischen im Bewußtsein müssen – wenn sie einmal entstanden sind – neu gefüllt werden. Man kann sagen, es geht nicht um Kontinuität der Inhalte und Antworten, sondern der Attitüden und Fragen. Und zwar ist zu beachten. daß eben die Fragen nicht Anthropina sind, jedenfalls nicht die Frage nach einem Fortschritt in die Zukunft hinein oder die Frage nach personaler Unsterblichkeit. Zentral ist vielmehr die Konstellierung der Fragen im Abendland. Man könnte nun hier wieder fragen, ob das Christentum umkonstellierend gewirkt hat oder ob seine Durchsetzung und Durchformung selbst eher Produkt einer Umkonstellierung ist, für die andere Faktoren gesucht werden müssen (Trend zur Individualisierung, Introjektion). Aber auch dann ist es berechtigt, den Komplex nach der Gestalt zu benennen, in der er sich verdichtet hat, nämlich Christus. Es spielt keine Rolle, wie die Bibelauslegung Bacons sich vor dem Richtstuhl heutiger Theologie ausnimmt (172), wichtig ist, daß Bacon sich auf die Bibel und auf einen Konsens seiner Zeitgenossen bezieht. Die Vorstellung Bacons von der Natur als Monstrum setzt die Abwertung der Daimones voraus. Etwa anders ist es beim Chiliasmus und bei der Alchemie, der Münk die Vorstellung von einer zweiten Schöpfung zuschreibt. Es ist kein großer Sprung von dem Gedanken, die Natur werde von Gott unter Einbeziehung des gutwilligen und rechtgläubigen Menschen als seinem Werkzeug vollendet, bis zu der Vorstellung von einer Selbsterlösung des Menschen durch Naturbeherrschung. Der entscheidende Schritt ist bereits getan, wenn die Natur als unvollendet, aber vollendbar gedacht wird. Dies setzt jedoch die Vorstellung eines Gottes jenseits der Natur voraus, auf den kein Rekurs nötig wäre, wenn die Natur die maßgebende Instanz sein könnte. Es ist daher verständlich, daß er als Artifex auch realgeschichtlich wieder verschwindet, nachdem die Natur von der neuzeitlichen Naturwissenschaft als kreisläufig interpretiert werden konnte.53 unter diesen Wesen begreift. Dies entspricht aber, wie Oldenmeyer auch feststellt, nicht nur dem Wir gegenüber der Gesamtheit, sondern auch dem Du in der je einzelnen Begegnung. Damit aber umfaßt Oldenmeyers erste Stufe bereits zwei Personalformen und die Gliederung verliert ihre Plausibilität. Der dritte Typus (Natur als Gegenstand und Gegenbegriff) schließlich zerfließt völlig und umfaßt vier Untertypen von denen Oldenmeyer selbst sagt, daß sie möglicherweise vermehrbar sind und die ihrerseits in Unteruntertypen zerfallen (von Platon über Decartes bis zur Romantik). Oldenmeyers vierter Typ ist dann einer, der eine Integration beansprucht, bezeichnenderweise aber den ersten und zweiten Typus als eigentlich abgetan ausschließt. 53 Zwischen der alten und der neuen Kreisläufigkeit liegt freilich eine Welt und das ist eben die des Christentums. Die Mechanik kann eben nicht aus der Kreisläufigkeit entstehen, solange sie noch wesenhaft gedacht ist, 44 Es ist nicht ausschlaggebend, ob Papsttum bzw. lutherische Orthodoxie chiliastische und dualistische Thesen begrüßt oder abgelehnt haben (187). Wichtig ist, daß das Christentum einen Nährboden geboten hat, auf dem (und sei es als "Häresien") immer wieder solche Ideen entstanden ist. Die Ideengeschichte, die auf logischen Folgerungen beruht, ist zu ersetzen durch eine Motiv- Motivations- und Mentalitätsgeschichte, die die reale Konstellation von psychischen Dispositionen zum Thema nimmt.54 Münk führt demgegenüber in idealistisch-ideengeschichtlicher Betrachtung ins Feld, daß Selbsterlösung gerade nicht christlich genannt werden könne und die christliche Erlösungshoffnung sich nicht auf einen innerweltlichen Zustand richte. Er ist konsequent genug, die Hoffnung auf einen neuen Himmel und eine neue Erde nicht als Einbeziehung der Schöpfung in die Erlösung zu verstehen (wie beispielsweise Benz).55 Demgegenüber muß aber eingewandt werden, daß ein Rückgang auf das Urchristentum unmöglich ist, weil er den Rückgang auf die Naherwartung beinhaltet. Etwas anderes wäre dies, wenn man mit Konrad Dietzfelbinger die urchristliche Rede von der Auferstehung auf ein "wahres Selbst" bezieht, und damit zu anderen antiken Mysterien parallelisiert. Zu erklären ist dann allerdings, wie diese Mysterienauffassung so völlig veräußerlicht werden konnte und zwar ohne nachweisbare Kämpfe, ohne daß auch nur einer der "Kirchenväter" sich deutlich gegen die äußerlich-historische Auffassung der Erlösung gewehrt hätte.56 Letztlich kann man nach Münk überhaupt nicht mehr von "dem Christentum" sprechen, sondern nur von verschiedenen konfessionellen und sektiererischen Auslegungen. Demgegenüber betont Kern (1969, 367), daß sich Prinzipien christlichen Ursprungs gegen die offiziellen Kirwas die Marginalitär des Atomismus in der Antike zeigt. Es braucht den Einbruch der Linearität. Es muß die Natur als Norm zerschlagen werden, und das kann sie nur durch eine andere Norm, damit Normlosigkeit an ihre Stelle treten kann (daher die zentrale Bedeutung der Spaltung von Faktum und Wert). D.h. das Christentum ist die Antithese zum Harmoniedenken, die Moderne freilich eine Synthese, die beider Kern negiert. 54 Münk (1987, 198) kritisiert selbst an Drewermann die idealistische Ideengeschichte und fordert, mit anthropologischen Antrieben zu rechnen, doch setzt er diese konstant (Trieb zur technischen Aneignung). 55 Die ausführliche Auseinandersetzung Vögtles mit der entsprechenden Stelle (Apokalypse 21,1 f.) steht selbst bereits im Kontext der Apologetik gegen White. Vögtle will den Vorwurf abwehren, die Christen könnten an einer Bewahrung der Schöpfung kein volles Interesse haben, da die Vernichtung dieser Schöpfung geradezu die Voraussetzung für das neue Jerusalem sei. Er arbeitet nun heraus, daß es dem Apokalyptiker gar nicht auf Aussagen zu einer alten oder neuen Naturordnung ankommt, vielmehr sei die Passage als Hinweis auf ein neues Verhältnis von Himmel als Sitz Gottes und Erde als Ort des Menschen zueinander durch das nun kommende Wohnen Gottes unter den Menschen zu verstehen. Dabei zeigt sich freilich zugleich, daß das neue Jerusalem kein Land mehr um es herum braucht. Dies zeigt sich an dem vom Thron des Lammes ausgehenden Lebenswasser: "Der Seher denkt gar nicht daran, den Strom aus der Stadt herausfließen zu lassen, um eine außerhalb ihrer befindliche Biosphäre zu beglücken, obwohl ihn die Ezechiel-Vorlage dazu hätte inspirieren können". Einen vom endzeitlichen Jerusalemer Tempel entspringenden Wasserstrom läßt Ezechiel (41. 1-12) auf das Tote Meer zufließen und ringsum in der Wüste neue Vegetation entspringen. Das bedeutet, daß die christliche gegenüber der jüdischen Apokalyptik einen Fortschritt der Entnatürlichung darstellt. 45 chentümer durchsetzten. Es ist überdies unsinnig, als Christentum etwas anderes zu bezeichnen als das, was sich jeweils so nannte. Man kann dann einschränken und sagen, das scholastische oder das nachreformatorische Christentum habe diese oder jene Entwicklung verursacht. Das läßt die prinzipielle Möglichkeit offen, daß ein geläutertes Christentum heilend wirken könnte. Allerdings sind durch die Kritik an der Endzeiterwartung, der Vergeschichtlichung des Heils, der Anthropozentrik und dem Arbeitsethos zentrale Punkte betroffen. Die Ablösung des Buchs der Natur durch das Uhrwerk der Natur, des Artifex Mundi durch den Ingenieur im Ruhestand (methodischer Atheismus der Naturwissenschaften nach Kern 1969, 313), der Vergeschichtlichung des Heils durch die Selbsterlösung sind keine logisch zwingenden, aber menschlich plausible Tendenzen. Das Christentum war niemals stabil, seit es von der Naherwartung lassen mußte. Eine Religion, die historische Ereignisse so zentral setzt, wird vom weiteren Verlauf der Historie abhängig. Auch das Buch ist eben ein Artefakt (und mit der Technik des Buchdrucks wird dies deutlicher). Münk liefert Material für diese Prozesse, wenn er etwa konstatiert (165), daß bei Wilhelm von Conches das Buch der Natur gegen das der Schrift aufgewertet wird, indem der an ihm geschulte Verstand zum Ausleger des zweiteren wird und wenn er gleich danach die Überlagerung der Buch- durch die Maschinenmetapher beschreibt (167 f.). Münk versucht sogar, das Christentum als Hemmfaktor der Moderne darzustellen. Seine Erklärung der Dynamik als menschlichem Grundtrieb (203), der selbstläufig wird, wenn erst eine bestimmte Schwelle technischer Möglichkeiten überschritten ist, erklärt nicht, warum gerade in Europa diese Dynamik in Gang kam und müßte erklären, warum sie überall sonst aufgehalten wurde. Erklärungsbedürftig ist nach Münk, warum alle anderen Kulturen, diese – nach seiner Auffassung in der Natur des Menschen liegende – Entwicklung nicht eingeleitet haben. Damit setzt Münk einerseits die christliche Grundkonzeption, die menschliche Natur als unterdrückenswert anzusehen, fort und ebenso den Eurozentrismus, der den Weg aller andern Kulturen und nicht den Sonderweg des Abendlandes als erklärungsbedürftig begreift. Die Kritik der Apologeten kann zeigen, daß das christliche Abendland keinesfalls der einzige Kulturkreis ist, in dem Naturzerstörung entsteht, sie mißachtet aber den qualitativen Unterschied, während sie ihn bei der Technikentwicklung gerade betont. Die normale Naturzerstörung durch agrikulturelle Megamaschinen (Entwaldung, Erosion) muß also von der spezifisch modernen unterschieden werden. Zuzustimmen ist wohl auch dem Vorbehalt, daß theoreti- 56 Dietzfelbinger setzt diesen Prozeß sehr früh an und sieht eine Überschwemmung der durch Jesus öffentlich gemachten Mysterien durch Menschen, die zu den entsprechenden inneren Erfahrungen nicht fähig waren, am Werk (Vortrag vom 19.4.99 in der Seidlvilla München). 46 sche (etwa ästhetische) Hochschätzung der Natur dann nicht ausreicht, Zerstörung zu verhindern, wenn die Kultur einer Sphärenspaltung unterliegt. Immerhin bleiben einige Fragen Münks als Herausforderung übrig. Eine Theorie, die dem Christentum ausschlaggebende Bedeutung zuweist, muß folgendes erklären: 1. Warum hat es eine 1500 jährige Inkubationszeit gegeben? Eine mögliche Erklärung bestünde darin, daß in der Völkerwanderung eine bereits eingeleitete Dynamik zurückgeworfen wurde oder aber, daß das Christentum erst sehr spät breitere Massen der Bevölkerung durchdrungen hat – ein Prozeß, der vielleicht erst mit der neuzeitlichen Hexenverfolgung abgeschlossen wurde. 2. Wie ging aus der christlichen Tradition eine in vielem (Jenseitsorientierung) entgegengesetzte Weltordnung hervor? Ist der Prozeß der Säkularisierung als Metamorphose zu fassen? Beiden könnte eine gemeinsame Attitüde, eine fragekonstellierende Form zugrundeliegen. 3. Woher kommen die Elemente, die nun wirklich keine christlichen Wurzeln haben, zum Beispiel das Experiment (etwa tatsächlich aus der Folter?) 4. Was macht den Unterschied zum Islam aus, etwa die geringere Historisierung oder eine weniger scharfe Dualisierung durch Aufpfropfung? Ohne jedes Argument weist der konservativ-christliche Pubblizist Rohrmoser den Vorwurf Amerys zurück. Er sieht diesen nur als ein Symptom dafür, daß die religiöse Intention sich heute am Christentum vorbei, auf vorgeschichtliche und außergeschichtliche Religionen zu richten beginnt. Damit verbunden sieht er eine Verabschiedung von Vernunft und Subjektivität, die eine noch größere Herausforderung als der Säkularismus darstelle (Rohrmoser 1990, 280). 47 2.2.2. Apologeten, die ein anderes Christentum wollen Kern (1969, 297) zählt die folgenden Bibelstellen auf, die eine Entthronung und Unterwerfung der Naturmächte postulieren: Kol 1,16 und 2, 15.; Epheser 1,21; 1. Kor 15,24 und 2,8 sowie 1 Petr 23.22. Bezüglich der Ablösung des geozentrischen durch das heliozentrische Weltbild spricht er von einem Interferenzphänomen (314). Eigentlich hätte gleichzeitig mit der Akzeptanz einer nicht zentralen Stelle der Erde die Vorstellung aufgegeben werden müssen, alles Existierende habe seinen ihm gemäßen Platz bzw. der physische Ort sage etwas über das Wesen der Dinge aus. Nur so konnte die räumliche Nichtauffindbarkeit Gottes als seine physische und damit reale Nichtexistenz begriffen werden. Auch Speyer (1989, 466) meint, daß das wissenschaftliche Denken der Antike den Umweg durch das Christentum brauchte, um Technik zu werden. Er sieht die Richtungsgleichheit von Christianisierung und Renaissance als Rationalisierungs- und Emanzipationsprozesse. Er spricht von einer Tendenz zur Spiritualisierung und Konzentration (473). Die Verwechslung von Sinn und Zweck (Krolzik 1988, 40) ist für das Christentum konstitutiv. Vorgänger ist hier vor allem die Stoa. Ein Rückgriff auf einen Schöpfergott bringt keinerlei Hilfe für dieses Problem. Der Schöpfer fügt zum Mechanismus nichts hinzu, ja er ist die Voraussetzung dafür, die Welt als Maschine denken zu können, solange sich das Modell noch nicht verselbständigt hat und auf eine Konsistenz des Vergleichs angewiesen ist (keine Uhr ohne Uhrmacher). "Omnia in mensura et numero et pondere disposuisti" (Sap Salom 11,21) Es ist darauf zu verweisen, daß die Vorstellung von einer Mitarbeit des Menschen an Gottes Schöpfungsplan in dem Augenblick in das Programm einer selbstbestimmten Ausarbeitung übergeht, wie die Vorstellung von der Ebenbildlichkeit substituiert wird durch die Schöpfungsfähigkeit des Menschen, insofern sich nicht mehr glaubwürdig aufweisen läßt, was denn Gottes Plan war (außer Freisetzung) und was denn Ebenbildlichkeit sein soll außer Schöpferfähigkeit. Das teleologische Denken bringt keine andere Methode der Naturbetrachtung mit sich. Krolzik (1979, 83) fordert, von der räumlichen Transzendenz einer Hinterwelt abzugehen in Richtung auf eine zeitliche, also auf etwas, was sich entwickeln will. Es bleibt jedoch unklar, woran der Plan eines – dann eher innerweltlich verstandenen – Gottes abgelesen werden sollte, wenn nicht an der Tendenz der Geschichte selbst. Eine solche affirmative Position bedeutete jedoch die Aufgabe des letzten kritischen Potentials des Idealismus. An seine Stelle könnte bei Vermeidung willkürlicher Auslegung der Apokalypse nur die schlichte Endlichkeit, der 48 apokalyptische Imperativ treten. Demgegenüber scheint es mir sinnvoller, auf einen karmischen Zusammenhang des Ausgleichs von Polaritäten zu verweisen: was man sät, das bestimmt, was man erntet: und es ist ein Unterschied, ob man Atomspaltung sät oder Gelassenheit. Ansatzpunkt für eine Diskussion mit den Apologeten kann sein, daß noch bei Origines manche Wesen (er nennt Seeungeheuer und wilde Tiere) von der Herrschaft des Menschen ausgeschlossen sind (Krolzik 1979, 75). Sieht man von der Möglichkeit der Verteufelung ab, stehen damit bestimmte Naturwesen auf einer Stufe mit den Menschen. Gegenüber der Vorstellung, daß Macht im Naturverhältnis ursprünglich und erst sekundär (asiatische Despotie) und unrechtmäßig auf zwischenmenschliche Verhältnisse übergegriffen habe, betont Krolzik (1979, 62) im Ansschluß an Gigon (zit. bei Lämmli 1968, 62), daß der Wille zur Macht sich zunächst auf den politischen Bereich beziehe. Hier kommt die Subjekt-Objekt-Spaltung in Gang, nicht im Bereich der Natur, der sich der Mensch via Leiblichkeit bis zum Einbruch des Dualismus verbunden weiß. Weiter geht Sherrard (1987, 111), der gegen das Handswerkerparadigma eine Lehre von der Ausgießung Gottes in die Schöpfung vorschlägt, die an die Lehre des heiligen Geistes anknüpfen könnte. Damit nähert er sich ostkirchlicher Tradition. Eine "Renaturierung des Christentums" in einem viel durchgreifenden Sinn hält der protestantische Theologe Christian Bendrath für angezeigt. Auch er wendet sich gegen die Kapitulation des Christentums vor der Moderne, sei es in der Manier Bultmanns oder Barths. Barth hat ein religionsloses Christentum proklamiert, in dem er wie Feuerbach Religion als menschliche Projektion auffaßte und ihr einen unaussagbaren Gott gegenüberstellte. Dahinter steht letztlich eine konstruktivistische Erkenntnistheorie, nach der es numinose Erfahrung nicht gibt. Bendrath nun fordert konsequent, sich auf die Erfahrung aller Zeiten und Völker zu besinnen und im Wissen darum, daß diese immer nur von einer spezifischen Kultur und Sprache getragen sein kann, die in der abendländischen Tradition hervorgebrachten Formulierungsversuche zum Ausgangspunkt zu nehmen. Das Christentum solle sich konsequent als Religion unter Religionen definieren, also hinter den Monopolanspruch der konstantinischen Wende zurückgehen und die staatstragende Selbstrechtfertigung als Kitt der Gesellschaft aufgeben. Wenn stattdessen das Christentum als historische Wurzel der „westlichen Wertegemeinschaft“ und der „modernen Wissenschaft“ legitimiert wird (Böckenförde-Axiom), dann müsse konsequenter Weise mit den Säkularisaten auch die Säkularisierung bejaht werden. Religion für unabdingbar zu erklären, da der Säkularismus nicht nachhaltig sei, ist ein problematisches Argument, denn es definiert Religion funktional und hat ihr damit bereits die 49 Grundlage entzogen. Glauben wird dann zum ethisch notwendigen Sacrificium intellectus. Die abendländische Unkultur als Spaltprodukt hat sich damit selbst eingeholt. 2.2.3. Anthroposophische Apologeten Wegen der Bedeutung der Anthroposophie für die praktischen Ansätze der Ökologiebewegung (biologisch-dynamischer Landbau etc.) und des deutlich von den großen Kirchen abweichenden, aber positiven Bezugs der Anthroposophie auf Christus (eigene Kirchenbildung unter dem Namen "Christengemeinschaft") und weil die Christengemeinschaft einen bereits existierenden Entwurf eines anderen Christentums (mit Einbeziehung von Reinkarnationsgedanken und Naturgeistern etc.) darstellt, sei hier auch noch die anthroposophische Auseinandersetzung mit der Lynn-White-These herangezogen. Ihr zugrunde liegt die Steinersche Geschichtsbetrachtung. Steiner denkt Geschichte in einer Parabelfigur: Abstieg in den Materialismus und Wiederaufstieg der spirituellen Verbindung mit der Welt, wobei er den Tiefpunkt – auf 1879 datiert – knapp hinter sich wähnt.57 Steiner wertet aus der Perspektive eines kommenden Wiederaufstiegs das Verblassen früherer Wahrnehmungsebenen (etwa der Naturgeister) als zwar tragisch, aber letztlich positiv, da nur so die Freiheit errungen werden konnte, die nun mit der Wiedergewinnung alter Wirklichkeitsebenen verbunden werden sollten. Dies wird von fast allen anthroposophischen Autoren unbefragt übernommen. Wohin dies führt, läßt sich nicht nur an Extrembeispielen sehen, etwa wenn Peter von Siemens die Kernkraftentfesselung als Beitrag zur Entmaterialisierung der Erde rechtfertigt. Steiner betont zwar programmatisch und ideologisch den Fortschritt, praktisch aber überwindet er den Evolutionismus durch einen Schritt zurück. Seine Kosmogonie gleicht im Schema der von Nasr. Nur behauptet er, sie sei individuell schaubar und diese Schaufähigkeit auf einem von ihm angegebenen Weg methodisch entwickelbar. Dies hat sich freilich durch die Geschichte seiner Schulbildung als problematisch erwiesen, denn keiner seiner Schüler hat seine Schaufähigkeit auf dem von Steiner angegeben Weg so weit entwickelt, daß er ihn hätte fortsetzen können. Es ist kennzeichnend für den größten Teil anthroposophischer Literatur, daß der Stellenwert von Aussagen häufig im Unklaren bleibt: handelt es sich um Schauungen Steiners, Lesefrüchte Steiners, eigene Wahrnehmung etc. Steiner sieht als das wahre Christentum eine Unterströmung an, die das Christusereignis als Mysterienprozeß deutet. Er knüpft damit an die Selbstauslegung sich gegen die Großkirche 50 auf Christus berufender Gruppen wie der Waldenser und Katharer und an die rosenkreuzerische Tradition an. Das Christentum der großen Konfessionen setzt er davon scharf ab und schreibt ihm eine historische Rolle zu, die teilweise als verhängnisvoll, teilweise als notwendig, aber in Zukunft zu überwinden, dargestellt wird.58 Einer der Hauptvorwürfe in diesem Zusammenhang lautet, die katholische Kirche habe "den Geist abgeschafft" (GA 175, 175 ff.). Steiner bezieht sich auf fragwürdiger Textgrundlage und abhängig von Otto Willmanns "Geschichte des Idealismus" auf das 8. ökumenische Konzil, das dekretiert habe, der Mensch bestehe aus Körper und Seele und nicht aus Körper, Seele und Geist.59 Dadurch sieht er einen Prozeß eingeleitet, der im 19. Jahrhundert auch zum Hinwegdekretieren der Seele geführt habe60 und in der Auffassung vom Menschen als Produkt von Genen kulminiert. Damit ist dann der notwendige Wendepunkt erreicht. "In dem Widerstand, der entwickelt werden muß gegen die Abschaffung der Seele, wird auch die Kraft gefunden werden, den Geist wieder zu erkennen" (GA 175, 180). Die eigentliche Bedeutung des Christus-Ereignisses ist für Steiner nur zu erkennen, wenn man wesentlich größere "prä- oder hyper-historische Dimensionen“ dazunimmt, die Steiner in seiner Geheimwissenschaft als frühere Verkörperungszustände der Erde beschreibt. Dazu gehört die Vorstellung, daß der Mensch als (freilich nicht verkörpertes) Wesen älter ist als die Erde, und die ganze Erdentwicklung wesentlich durch die Entwicklungsnotwendigkeiten des Menschen verursacht ist.61 Götter haben um der Entwicklung der dem Menschen zukommenden Freiheit willen die Entwicklung "luziferischer" und (als ihre Gegenkräfte) "ahrimanischer" Wesen zugelassen. Durch sie ist überhaupt erst die Verfestigungstendenz (Materie) in den Kosmos gekommen, durch sie sind die Wesen der Natur den Naturgesetzen unterworfen.62 Diese Verfestigungstendenz bedingt nun ein zunehmendes Absterben der Lebendigkeit der 57 Das entspricht auch dem Lebensgefühl der Lebensreformbewegung der Zeit vor dem ersten Weltkrieg (vgl. R.H. France 1913 oder Schulze Naumburg 1916). 58 Einen großen Teil dessen, was in dieser Studie als historischer Einfluß des Christentums beschrieben wird, würde in anthroposophischen Kreisen als luziferischer Einfluß bezeichnet. 59 Steiner sieht darin eine notwendige Konsequenz der Ablehnung der Reinkarnationsidee: "Es gibt keine Möglichkeit zum Begriff des Geistes zu kommen, ohne zum Begriff der Wiederholten Erdenleben zu kommen" (GA 175, 188), gemeint ist mit Geist hier die Geisthaftigkeit des Einzelmenschen. 60 In dieser These von einem fortschreitenden Verfall der spirituellen Substanz des Kirchenchristentums kann man eine Säkularisierungsthese sehen. 61 Das trifft sich mit traditionell christlichen Vorstellungen insoweit, als auch mittelalterliche Denker wie Thomas von Aquin (als dessen Reinkarnation Steiner von manchen seiner Anhängern angesehen wird) die übrigen Organismen erst mit dem Menschen entstanden und auch mit ihm endend sieht (vgl. Mitterer 1934, 24). 62 Ein Steinerinterpret äußerte mir gegenüber die interessante Ansicht, daß sich in der geringeren Selbstverfehlungsmöglichkeit von Pflanzen und Tieren (die, wenn sie entarten oder krank werden, meist schnell zugrundegehen) zeige, daß es für sie gar nicht um Entwicklung unter den irdischen Bedingungen gehe, daß sie sozusagen nur um des Menschen willen, in sie hineingebannt seien. 51 Gaia,63 und das Christusereignis als Verbindung eines Sonnenwesens mit der Erde hat gerade auch die Bedeutung einer Verlangsamung dieses Todesprozesses, der an sich aber unabwendbar ist. Damit einher geht die Vorstellung, daß die heutige Erde einerseits allein um der menschlichen Entwicklngsmöglichkeit willen da ist, und daß sie, wenn heute der Mensch von ihr verschwände, noch viel schneller zugrunde ginge. Deshalb eignet anthroposophischen Betrachtungen der ökologischen Problematik ein harscher Anhropozentrisms und eine Feindstellung gegenüber einer "menschenlosen Ökologie" (Suchantke 1993, 197 f.). Man kann sagen: Die Anthroposophen kritisieren zwar sehr viel am Christentum der großen Konfessionen, übernehmen aber andereseits den Namen nicht ganz zu Unrecht, denn wesentliche, gerade im Zusammenhang der hier skizzierten Debatte wichtige Merkmale, wie die wesentliche Bezogenheit auf ein überweltliches, weltjenseitiges Geschehen und die Vorstellung eines notwendigen Zugrundegehens der Natur, sowie eine damit zusammenhängende leibverachtende Tendenz, haben sie mit dem Kirchenchristentum gemein. Steiner hat eine symptomatologische Geschichtsbetrachtung gefordert. Was er selbst bietet, wird dem Namen kaum gerecht: Der größte Teil seiner Geschichtsbetrachtungen ist Konstruktion über ein vorausgesetztes Schema, bzw. Berufung auf "übersinnliche" Daten,64 deren Nachprüfbarkeit an ein Stadium des "Schulungswegs" gebunden ist, das, wie bereits erwähnt, offensichtlich keiner seiner Schüler erreichte. Die Umweltgeschichte erscheint in anthroposophischer Sicht als Funktion der Bewußtseinsgeschichte. Das Grundschema ist die erwähnte Parabelfigur. Dem Wiederaufstieg der Menschheit entspricht, daß die ihr in der anthroposophischen anthropozentrischen Vorstellung ohnehin zukommende Zentralstellung im Kosmos sich nun auch äußerlich immer mehr zeigt, indem wo einst Natur war, nun Kultur wird.65 63 Steiner bezieht sich dafür auf den Geographen Eduard Sueß, der in seinem Buch "Das Antlitz der Erde" die These stärkerer Lebendigkeit in früheren Erdzeitaltern vertrat (dazu: Steiners Vorträge vom 11.2.1911 (GA 127) und vom 30.9.1922 (GA 347). Damit ist die Anthroposophie wohl die einzige Richtung, die die "senectus mundi" Vorstellung der frühen Christen weiterpflegt (vgl. Cyprian Ad Demetrianum 3-8 unter Rückgriff auf Lukrez II, 1150; Commodian Apol. 843 ff.; Orosius Apol. 26,4.). Die Idee einer organisch alternden Welt fanden die Christen freilich in der zyklischen Vorstellung der Griechen bereits vor (z.B. Lukrez II, 1150 ff.), ebenso wie die Kritik an menschlicher Mißwirtschaft (Platon Kritias 3bc) und einer Verschlechterung der menschlichen Physis seit dem Heroenzeitalter (Pausanias I,35,5 ff. und VI,5.1 sowie christlich gewendet Arnobius adv. nat. II, 75); vgl. dazu Demandt 1978, 37 ff.; Demandt 1984, 347 f.; 369). 64 Wo er sich auf historische Belege bezieht, herrscht meist ein unkritischer Quellenumgang vor, so wenn er sich für die These, daß viele römische Kaiser "eingeweiht" gewesen seien und sich bemüht hätten, den Christuskult in die Staatsreligion zu integrieren (GA 175, 280), auf Lasaulx bezieht und nicht berücksichtigt, daß dieser wiederum auf den Werken spätrömisch-christlicher Geschichtsschreiber fußt, die die "guten Kaiser" (etwa Hadrian und Alexander Severus) christentumsfreundlich darstellen wollten. Man kann im Sinne von Lasaulx und Bachofen durchaus manches gegen die quellenkritische Methode sagen, wenn man davon ausgeht, daß wir uns nicht anmaßen sollten, die Mentalität einer Zeit besser zu verstehen, als die, die ihr näher standen, aber hier handelt es sich eben um Naivität. 65 Es scheint mir bemerkenswert, daß ein ähnlicher Ansatz sich auch in der katholisch neo-thomistischen Argumentation findet. Mitterer (1934, 19) revidiert die mit der modernen Naturwissenschaft nicht vereinbare Vorstellung des Aquinaten von der Rolle der Engel als Diener Gottes, die Bewegung in die Natur bringen, so daß er den 52 In jüngster Zeit hat Martin Rozumek in einer Studie zum Stand der anthroposophischen Forschung auf ökologischem Felde versucht, eine geistesgeschichtliche Einordnung der ökologischen Frage zu geben. Rozumek erhebt den Anspruch, das Schema einer Verschiebung der Wahrnehmung vom Wesen über Offenbarung und Wirksamkeit auf das Werk66 nicht dogmatisch vorauszusetzen, sondern aus Beobachtungen herzuleiten. Das ist allerdings immer schwierig, wenn man schon ein Ergebnis im Kopf hat, das man herausbekommen möchte. Die Thesen von White passen nicht in sein Bild. Rozumek meint, White seien "unbelegte Behauptungen und wissenschaftliche Mängel nachgewiesen" worden (Rozumek 1997, 72). Als schwerstwiegendes Argument der christlichen Apologeten bezeichnet Rozumek die Unterscheidung von ursprünglich christlichen Lehren von dem, was in der Neuzeit daraus geworden ist. Das negiert aber gerade die Fragestellung, inwiefern die Moderne eine Metamorphose des Christentums ist. Demgegenüber lautet die Frage der Apologeten immer, ob nicht auch ein anderes Christentum möglich gewesen wäre. In anthroposophischer Lesart radikalisiert sich dieses Vorgehen soweit, daß Steiner sich einfach für alle seine Lehren das Attribut christlich anheftet und das real existierende Christentum als Abweg erklärt. Dennoch fühlen sich aber Anthroposophen meist bemüßigt, auch das historische Christentum als Fortschritt zu deklarieren, und zwar sowohl mit dem Argument, daß es zur Entmythologisierung beigetragen habe, als auch, daß es einen spirituellen Impuls vermittelt habe. Rozumek (106) fragt rhetorisch, was wohl nach dem Verdämmern der antiken Mysterien ohne diesen neuen Einschlag aus der Menschheit geworden wäre.67 Dazu kommt noch, daß einfach behauptet wird, das Golgathaereignis habe einen Zerfallsprozeß der Erde aufgehalten. Das geht bis zu Spekulationen, daß sich dadurch die Naturgesetze geändert hätten, daß es z.B. vorher keine Radioaktivität gegeben habe. Viel mehr als bei White ist bei Rozumek offensichtlich, daß er die Fakten nach Sympathien gewichtet. Die neolithische Revolution erscheint bei ihm als uneingeschränkter Gewinn im Bezug auf Sicherheit etc.68 Daß Ackerbau Versalzung der Böden und Erosion hervorgerufen Menschen an diese Stelle setzt und die Technik als Dienst des Menschen an der Entfaltung der Schöpfungspotentiale sieht. Damit wird explizit der Mensch an die alte Stelle der Engel gerückt. 66 Gewonnen aus Steiner: Anthroposophische Leitsätze GA 26, S. 76-81 und 94-99 vgl. auch Dietz zit. Rozumek 1997, 54. 67 Dabei wird erstens mißachtet, daß das Verdämmern zu erheblichen Teilen Zerstörung war, zum andern liegt dem eine historisch unhaltbare Interpretation der Mysterienkulte zugrunde, die auf Steiners 1902 veröffentlichtem Buch "Das Christentum als mystische Tatsache" beruht. Die Mysterien der Erfahrungsreligion verkünden nicht die Unsterblichkeit des Individuums, sondern entweder das Einverstandensein mit seinem "Eingehen" in den Weltzusammenhang, oder aber die Fähigkeit einzelner großer Persönlichkeiten, sich eine Erinnerung für zukünftige Leben zu behalten. 68 Demgegenüber R. P. Sieferle (1997), der die relative Stabilität der Jäger- und Sammler-Kulturen (auch was Krankheiten angeht) herausarbeitet, ohne sie zu romantisieren. Ähnlich auch Nolte 1998, 19; 97. 53 hat, wird zwar nicht geleugnet, aber eher dem Verfall der jeweiligen Kultur zugeschrieben als ihrer Tätigkeit selbst (44). Daß Kulturen endlich sind, gehört aber nun einmal zu ihrem Wesen, und das Problem liegt, wie bei den Atomreaktoren im Bezug auf den nächsten "völkerwanderungsartigen" Einbruch eben darin, daß das, was der Mensch einmal verändert hat, seinen kontiuierlichen Eingriff braucht. Ebensowenig läßt sich zwischen den Folgen des Christentums und den Folgen seiner Säkularisierung (72) trennen, denn das Christentum ist von Anfang an seinem Wesen nach ReligioVernichtung. Es ist eben nicht so, als wäre der Bezug zu den Göttern der Erfahrungsreligion von selbst verblaßt und dann das Christentum als religiöse Erneuerung aufgrund seiner Evidenzkraft (79) gekommen, sondern es ist erfolgreicher Exponent jener ichbezogenen Seelenhaltung, die den Bezug zu den Göttern nicht mehr suchte (worin sich orientalische Hybris und griechischer Intellektualismus paaren). Es hat das Heidentum mit Gewalt besiegt, nachdem es zur Rechtfertigungsideologie römischer und fränkischer Imperatoren geworden war. Die rhetorische Frage, was ohne den Einschlag des Christentums aus der antiken Welt geworden wäre (106), ist dahin zu beantworten: Es hätte sich eine ähnliche Ideologie (mit einem Mithras oder wem immer als Soter durchgesetzt). Insofern ist das Christentum nicht Ursache, sondern Symptom. Doch ist sehr fragwürdig, ob eine andere Erlösungsreligion auch die sonstigen Bedingungen mit sich gebracht hätte, die für die Moderne nötig waren, etwa die Adelung der Handarbeit, die Fortschrittsvorstellung von Geschichte. Umgekehrt sind Formen des Christentums nicht nur denkbar, sondern auch geschichtlich vorhanden, die keine entsprechende Dynamik entfalteten (etwa in der Ostkirche). Interessant ist die Wahrnehmung einer Parallele von antiker und mittelalterlicher Entwicklung in Richtung Verlust des Weltbezugs (91). Die Völkerwanderung hat den Orient, der die Spätantike weitgehend prägte, wieder auf seinen geographischen Raum zurückgeworfen, wo er dann dem Islam anheimfiel.69 Das Verblassen der Fähigkeit, Natur auf der Wesensebene zu begreifen, wird von Rozumek als ein naturwüchsiger Prozeß gesehen (55). Demgegenüber ist festzuhalten, daß es die Menschen waren, die sich die Wahrnehmung verbauten, indem sie in ihren Kategorien immer mehr die Gegenständlichkeit zum Zweck der Bemächtigung dominieren ließen. Nicht eine naturwüchsige Entwicklung des Denkens (58), sondern der Bemächtigungswille zerstört den Bezug zur Natur. Die Frage nach dem Wahrheitsgehalt unserer Begriffe ist nicht identisch mit der Frage nach der Möglichkeit der Bemächtigung (59). 69 Der Islam erscheint in anthroposophischer Perspektive leicht als Intellektualisierung und als der eigentliche Nährboden der neuzeitlichen Wissenschaft. Steiner hat etwa Bacon als Reinkarnation von Harun al Rashid angesprochen (GA 239 und 240). 54 Die entscheidende Frage bleibt bei Rozumek wie auch bei White ungestellt, nämlich: was denn überhaupt Menschen bzw. Kulturen dazu verleitet, hinter die Götter der Erfahrungsreligion zurückzufragen auf ein imaginäres beständiges Sein,also nicht bei den Phänomenen zu bleiben, die, wie Goethe so schön sagt, selbst das Wesen sind.70 Meine These ist: Dies ist immer das Nichteinverstandensein mit der Welt, zentral mit der eigenen Sterblichkeit, und der Wille zur Bemächtigung führt zum Versuch einer Änderung des nichtakzeptierten Zustands. Erfahrungsreligiöses Denken und noch Anaximander lassen den Urgrund, der denknotwendig ist, unbenannt. Jede Benennung verfehlt den ungegenständlichen Charakter und führt in einen Dualismus. Ob der Name Maat, Tyche oder Gott ist, spielt nur insofern eine Rolle, als mit der Benennung als Gott der Name des erfahrbaren Universalcharakters auf das Außerweltliche, Ungestalthafte übertragen ist, das besser als Logos benannt werden sollte. Damit müssen Götter der Erfahrungsreligion (Theoi) begrifflich zu Vermittlern (Angeloi) herabgestuft werden, wie das in der Theosophie und Anthroposophie auch geschieht. Um dem Mangel der Unerfahrbarkeit abzuhelfen, muß ein Mittler eingeschoben werden (wie im Kirchenchristentum), der freilich auch nicht erfahrbar ist oder es müssen sogenannte übersinnliche Erfahrungen postuliert werden (wie in der Theosophie). Was als Christuserfahrungen bezeichnet wird, sind wohl ungenau zugeschriebene Erfahrungen der erfahrungsreligiösen Numina, darunter vor allem solche palladischer (von Pallas Athena) und dionysischer Art.71 Alles wird von Rozumek nach alt und fortschrittlich sortiert.72 So ist zwar die Bemerkung wichtig, daß das griechische Naturverständnis, das den Naturmächten als Göttern unmittelbare Begegnungsfähigkeit zuschreibt, tiefer in den Wurzelgrund reicht als das ägyptische, mit dem Konzept der Maat, das bereits einen Dualismus beinhaltet (54). Der Grund dafür liegt freilich in der unterschiedlichen Naturerfahrung einer Hirten- und Ackerbauwirtschaft auf europäischem Boden, dessen Wasser vom Himmel kommt und einer Bewässerungswirtschaft. 70 Rozumek verunmöglicht sich diese Frage durch einen platonisierenden Wesensbegriff. Der unbewegte Beweger ist nicht das Wesen der Welt, sondern ihr bloß gedachter Ausgangspunkt. Insofern ist das, was bei Eriugena neu ist, gerade nicht eine erneuerte Wesenserkenntnis (Rozumek 1997, 76), sondern der Keim der Lebensweltzerstörung. 71 Zur Rekonstruktion des Gewissens als palladischem und des heiligen Geistes als dionysischem Numen: Hermann Schmitz: System der Philosophie Bd 3.4., 65 zum Gewissen ausführlicher Band 3,3., 639-660. Vieles, was palladisch ist, wird in Steiners Terminologie michaelisch genannt. 72 Vgl. Falter: Fortschrittssucht als Hindernis realistischer Kulturkritik in: Jahrbuch für anthroposophische Kritik 1998, 193 ff.. Den Gipfel des Unverständnisses bildet Rozumeks (1997, 107) Bemerkung, auf der Ebene von Entwicklungsbetrachtung gebe es keine Schuld. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: eine Entwicklungsbetrachtung, die teleologisch arbeitet, vernichtet das erfahrungsreligiöse Schuldempfinden, das auf einem zyklischen Weltbild aufruht. 55 Dieser Unterschied ist einer von Bewirtschaftungskulturen. In den Wüstenkulturen73 ist Natur etwas Tödliches, nicht etwas Lebenspendendes. Die Konsequenz des bei Rozumek zu Tage tretenden Denkens ist das in anthroposophischen Kreisen deutliche Desinteresse an freier Natur und Wildnis (Suchantke a.a.O. Jochner-Freitag 148), das Vorherrschen des landwirtschaftenden Paradigmas, d.h. auch innerchristlich des benediktinischen im Unterschied zum franziskanischen Zugang. 2.3. Apologeten der Moderne Lange Zeit hielt sich die Vorstellung von der Kirche als Verzögerer der Modernisierung. Das wichtigste Beispiel hierfür sind die Prozesse gegen Galilei (1616 und 1633). Die meisten Darstellungen der Ereignisse (etwa Dijksterhuis 1956, 424 ff.) setzen die Trennung von Glauben und Wissen immer bereits voraus, d.h. jenen Rückzug der Wertfragen in den Glauben, der die abendländische Spaltung zementiert.74 Max Webers These einer Kontinuität von jüdischer Entzauberung und Rationalisierung und Moderne wird nach wie vor diskutiert. Als ihren schwächsten Punkt hat Andreski das Konzept der Rationalisierung bezeichnet.75 Andreski wendet sich gegen die Skalierung von Religionen nach Rationalität und betont, daß die jüdische Religion nicht als magiefeindlich zu bezeichnen sei, sondern daß sie nur andere Götter und rituelle Praktiken zugunsten ihrer eigenen besonders intolerant bekämpft. Max Weber sieht den Ausgangspunkt der Entzauberung in der Frage nach der Theodizee, also dem Leiden an der Kontingenz der Welt (dies muß freilich als ein bereits Herausgefallensein aus der Sichtigkeit für die Schuldzusammenhänge gewertet werden). Der ethischmethodischen Rationalität jüdischer Provenienz stellt er eine wissenschaftliche griechischer Provenienz an die Seite. Der entscheidene Schritt ist aber nicht die Begriffslogik, sondern das Experiment, und das ist offensichtlich in der Antike gehemmt und kommt erst in der Renaissance zum Zuge. Adorno/Horkheimer dagegen sehen den Ausgangspunkt im List-Charakter der Magie. Diese These wäre ohne weiteres von der Hand zu weisen, wenn nicht tatsächlich der Prometheusmythos dergleichen schon nahelegen würde (Opferbetrug als Ausdruck rech73 Vgl. Stefan Brönnles (1994, 52 f.) Rede von einer Zone der Religionsstifter. Man kann allerdings mit Marie Theres Fögen (1993, 313 ff.) die Trennung von göttlichem und menschlichem Wissen bereits im 4. Jahrhundert ansetzen. Damit sei die antike Einheit von sapientia und scientia gesprengt worden, einerseits habe sich damit eine Emanzipation der Religion vom Erklärungszwang, andererseits eine Emanzipation der Wissenschaften vom Weisheitsanspruch ergeben. Als Motoren dafür sieht sie den Wunsch nach Willensfreiheit und besonders den Wunsch des Kaisers nach Unkontrollierbarkeit. 74 56 nenden Denkens). Alexander Kojève (zit Kern 1969, 303) betont die Bedeutung des Christentums als Hintergrund der wissenschaftlichen Revolution, spricht sich aber zugleich für ein Weiterschreiten zu einem explizit atheistischen Fundament aus. Stellvertretend für eine Reihe von Autoren, die das Verschwinden von Natur auch heute noch als Sieg der Aufklärung feiern,76 sei hier Simon Schama genannt. Er reiht White unter die Bestimmer eines ökologischen Sündenfalls ein, den er mit dem schweren Pflug im 7. Jahrhundert nach Christus verortet habe. Radikale Kulturkritik wird von Schama mit dem Hinweis ironisiert, daß sie sich nur auf die Steinzeit berufen könne, da später bereits die Dynamisierung eingesetzt habe (22), ohne die Zeitdimensionen zu erwähnen.77 Es scheint mir kein Zufall zu sein, daß der Autor seine eigene jüdische Sozialisation stark betont. In der Negierung einer außermenschlichen Bedeutungsgeladenheit von Natur wirkt der Kampf des Wüstengottes gegen die Göttlichkeit der Naturmächte fort, auch wenn sie sich im Zeitalter eines schon weithin gelungenen Zerstörungswerks liberal gibt. Die Parallele zwischen christlicher (Rozumek), islamischer (Zaid) und aufklärungswütiger (Hard) Wildnisnegation, zeigt noch einmal unfreiwillig die Brisanz auch der einfachen Monotheismusthese. Was ihnen allen fehlt ist die Möglichkeit, Zweckfreiheit zu denken. Als typische Apologeten der Moderne, die die Anthropologie "emanzipationstheoretisch" zurechtbiegen wollen, erkennen Ruth und Dieter Groh (1991, 104, 35) Whites mittelalterliche "Wurzeln" der Umweltkrise nicht an: Es will ihnen nicht einleuchten, welche skurrilen Gedanken für das ihnen unumstößlich scheinende szientistische Weltbild Pate stehen. Immerhin akzeptieren sie die Einzelelemente "Entgöttlichung der Natur", "Gottesebenbildlichkeit des Menschen", "Artifizialismus der Schöpfung", vor allem aber das Christentum als ursprüngliche metaphysische Basis für jenen Optimismus und Fortschrittsglauben, der alle Säkularisierungen überdauerte. 75 Weber setzt tatsächlich implizit eine kulturunabhängige Rationalität voraus. Freilich ist er gegenüber manchen seiner heutigen Kritiker, etwa Benjamin Nelson (1984), die eine völlig naive Fortschrittsgeschichte schreiben, bemerkenswert reflektiert (zu Nelson vgl. Bily 1988, 459 ff.). 76 Der Geograph Gerhard Hard (1993, 172) spricht aus, daß die Rede von Natur immer verdächtig sei, zu einer "Großideologie der Neuzeit" zu gehören, nämlich der "altkonservativen Kritik an der unbegrenzten Autonomie des Menschen". 77 Ja es soll Hoffnung ohne Umkehr suggeriert werden, indem die Mythologisierung und Erhaltung der Natur als ein Anthropinum neben der Zerstörung gesehen wird, "daß die kulturellen Gewohnheiten der Menschheit immer Platz für eine Heilung der Natur gelassen haben" (28), ohne zu fragen, ob Tourismus und moderne Kunst, auf die er sich bezieht, nicht historische Nova als Perversionen dieses Anthropinums darstellen. Mythos dagegen wird selbst in der modernistischen Form von Anselm Kiefer als gefährlich betrachtet. Als Beweis muß die angebliche Anfälligkeit großer Mythologen, wie Jung und Eliade, für autoritäre Ideologien herhalten (151). Wir haben hier also alles beisammen, was zum Waffenarsenal der geisteswissenschaftlichen Handlanger der Zerstörung gehört: Konstruktivismus, Kulturalismus, Totalitarismusängste und flacher Optimismus. 57 Als Apologeten der Moderne in christlicher Tradition müssen auch die Verfechter des von Hans Küng auf den Weg gebrachten "Projekt Weltethos" bezeichnet werden. Bezeichnend ist, daß in dem von Hans Kessler herausgegeben Band "Ökologisches Weltethos im Dialog der Kulturen und Religionen" die Kapitel, die die nicht christlichen Religionen betreffen, nicht von deren Vertretern, sondern von verwestlichten (Islam) oder christlich bekehrten (Japan) Autoren geschrieben sind. Das Ergebnis ist durchgängig, daß der Islam, die chinesische oder japanische Kultur keinen substantiellen Beitrag zu einem ökologischen Weltethos zu leisten hätten. Dabei wird unreflektiert die Trennung von Naturphilosophie, Metaphysik und Ethik sowie ein universaler Geltungsanspruch und Begründbarkeit vorausgesetzt und bei solchen "gleichen" Startvoraussetzungen schneiden natürlich die nichteuropäischen Kulturen schlecht ab. Ich kann nicht beurteilen, ob sich die These der zum Christentum konvertierten Japanerin Haruko K. Okano halten läßt, daß sich die Zen-buddhistische Lehre, "nach der die BuddhaNatur in allen Lebewesen sowie allen Dingen immanent vorhanden ist", später in eine allgemeine Ästhetisierung der Natur auflöste (139). Wenn ja, wäre dies ein interessanter Parallelprozeß zum Abendland. Haruko K. Okano will zeigen, daß theoretische Hochschätzung der Natur noch nicht zu ökologischen Verhalten führt (141). Sie meint, daß angesichts der "Sündigkeit des Menschen", auf die jede Diesseitsbejahung führt, dazu eine Jenseits- und Pflichtenlehre eher in der Lage sei. Auch in der Philosophie Watsuji Tetsuros, der sich mit seiner Philosophie der vorgängigen Bezogenheit des Menschen auf Begegnendes gegen die individualistische Konzeption westlicher Ethik wendet, sieht sie keinen brauchbaren Ansatz. Sie verweist auf den Widerspruch dieser Konzeption zum abendländischen Individualismus, aber auch zu der universalistischen Konzeption der Menschenrechte, denn eine auf die konkrete Bezogenheit von Mensch zu Mensch ("Zwischenmenschlichkeit") aufbauende Ethik binde sich nicht an absolute Werte und könne sich daher leicht einem Wertewandel anpassen. Es wird nicht reflektiert, inwiefern gerade die japanische Kultur nach der erzwungenen Öffnung eine gespaltene – ganz nach dem Muster des christlichen Abendlandes – ist, wenn auch die Mission nicht mehr von der christlichen, sondern von der Ideologie der Effektivität ausgeht. Der Sinologe Heiner Roetz bemüht sich, die Vorstellung vom chinesischen Universismus als abendländischen Mythos zu entlarven. Auch China sei den "Weg aller Hochkulturen" mit "ständiger Ausweitung der Nutzfläche auf Kosten der ursprünglichen Vegetation" gegangen (150). Daraus resultieren entsprechende Umweltschäden, etwa die Erosion, die den gelben Fluß erst gelb macht. Demgegenüber beschreibt er die chinesische Philosophie, insbesondere 58 den Taoismus, als "romantische" Reaktion, wofür das Bewußtsein für den vorgeschichtlichen Status des Einklangs spricht. Auch er muß aber konstatieren, daß das "systematische "Stellen" der Natur mit seinen mittlerweile apokalyptischen Dimensionen" in China fraglos fehlte (149). Nicht richtig herausgestellt wird der a-teleologische Charakter der Natur im Taoismus, dem als Praxis das "Wu-wei" entspricht. Natürlich fehlt in dem Band Kesslers auch eine Auseinandersetzung mit Whites These nicht, die bemerkenswert sachlich ist, aber auf die zentralen Fragen gar nicht eingeht, sondern - unter Rückgriff auf die Platoniker der Schule von Chartres - zeigt, daß es auch auf christlicher Basis eine Anerkennung der Natur bis hin zu personalisierender Darstellung geben kann. Merkwürdig ist, wie weitgehend auch religionswissenschaftliche Arbeiten (z.B. Lauer) den Realitätsprimat der ökologischen Frage selbstverständlich nehmen und dann nur noch fragen, ob Religion als Faktor von Nachhaltigkeit oder Nichthaltigkeit in Frage kommt. Dagegen findet eine Kritik der Nachhaltigkeitskonzeption und der Globalitätsideologie selbst nicht statt, die ja weltanschauliche Fundamente haben, etwa daß die Weltgeschichte möglichst lang dauern soll78 oder daß das Umweltproblem ein globales sei, dem regionale Identitäten geopfert werden müssen. Ganz naiv werden Religionen an modernen Sentimentalitätsstandards (unbegrenzter Wert des Einzellebens) und gleichzeitig an Globalitätsansprüchen gemessen (Lauer 1996, 134 f.). Die Tatsache, daß sich Religionen wie Islam und Buddhismus ökologischen Fragen im Sinne der Nachhaltigkeitsideologie erst reaktiv gestellt haben, dient als Argument dafür, daß sie nichts wirklich dazu zu sagen hätten. Lauer erkennt zwar den pseudoreligiösen Charakter der Nachhaltigkeitsideologie, ist aber nicht in der Lage, sich auf den Standpunkt echter Religion zu stellen. 3. Einzelstudien zu den historischen Hintergründen Angesichts der Tatsache, daß bei den bisher aufgeführten Autoren zwar immer wieder Argumentationsstränge von erheblicher Plausibilität einzelne Wirkungen des Christentums und Probleme des Naturumgangs aneinanderknüpfen, aber kein stringentes Gesamtbild entsteht, ja sich verschiedene Interpretationen des Christentums sogar diametral widersprechen und daraus von den Apologeten ein Argument gemacht wird, man könne gar nicht von einer Wirkung "des Christentum" sprechen, erscheinen Untersuchungen besonders erwünscht, die sich einzelnen Themen und Dynamiken zuwenden. 78 Hier ist eine Parallele zur Perspektive auf das Einzelleben, wo es in der modernen Medizin um Verlängerung ohne Qualitätsstandards und ohne einen Begriff von Biographie geht. 59 3.1. Die Wirkungsgeschichte des Dominium terrae Immer wieder ist aus dem Bedürfnis, die Wirkungsgeschichte des Christentums an einem formulierten Glaubenssatz festzumachen, auf das Dominium terrae ("Macht euch die Erde untertan") hingewiesen worden. Eine umfangreiche Studie der Interpretationsgeschichte bis zur Reformation hat Jeremy Cohen (1989) vorgelegt. Die Studie zeigt, daß historische Entwicklungen von der Tragweite, wie sie hier zur Debatte stehen, nicht von einzelnen Geboten abgeleitet werden können. Gen 1.28 ist im Mittelalter mehr als anthropologische denn als ökologische Aussage genommen worden (Cohen 1989, 310), das heißt als eine Aussage über die Stellung des Menschen in der Welt und eine Versicherung seines Überlebens, und nicht so sehr als eine Aufforderung zu einem bestimmten Umgang mit der Natur. Freilich könnte man gerade in dieser Gewißheit des Überlebens der Menschheit eine Wurzel dafür sehen, daß bis weit in die Neuzeit hinein (etwa noch für Hegel) eine Zerstörung der Naturgrundlage undenkbar erschien. Dafür können aber genausogut Überlegungen als ursächlich angegeben werden, die eher die bescheidene Stellung des Menschen betonen, dem wirkliche Neuschöpfung ebenso wie wirkliche Vernichtung entzogen sind (vgl. Buffon bei Münk 1987, 176). Ein Ansatz in Richtung einer ökologischen Interpretation zeigt sich am Anfang des 14. Jahrhunderts im Streit von Johannes XXII mit den franziskanischen Nominalisten. Der Papst versucht, ein persönliches Besitzrecht der ersten Menschen an der Natur abzuleiten, während Occam nur eine Überlassung zum Gebrauch für die ganze Menschheit sieht (Cohen 1989, 306). Cohen stellt dar, daß Gen 1.28 in der Interpretation Augustins nur für die ungefallene Menschheit galt und deshalb vom Naturrecht unterschieden wurde, während die Aristoteliker Albertus Magnus und Thomas von Aquin diese Unterscheidung fallen ließen (293). Aus der Perspektive von Augustinus ist Naturrecht eine nachparadiesische Angelegenheit (273). Dies gilt insbesondere, solange es paulinisch mit dem Tod als der Sünde Sold identifiziert wird, was ja einen erfahrungsreligiösen Grundtatbestand aufnimmt. Im Decretum Gratiani ist aber als Naturrecht gerade die goldene Regel bezeichnet, und zwar in der positiven Version, den andern so zu behandeln, wie man selbst behandelt werden möchte. 3.2. Das Christentum als Wurzel der Individualisierung Die gängige Vorstellung von der Spätantike ist die einer Verfallszeit des Religiösen. Die Verfallsthese ist ein merkwürdiges Produkt eines Übereinkommens von christlicher und aufklärerischer Ideologie. Die Aufklärer wollen Säkularisierung zu einem allgemeinen Humanum machen, die Christen ihre Kultur-Zerstörungsleistung herunterspielen. Wir können in der Spätantike aber, wenn wir uns nicht von der christlichen Überlieferungsgeschichte mit ihrer 60 Überbetonung der platonischen Tradition blenden lassen, eine Re-Chtonisierung beobachten. Gerade viele der vermeintlich abstrakten Personifikationen wie Securitas und Fides sind erfahrbare Mächte, und zwar solche, die dem erdverbundenen Bereich angehören. Fides etwa ist eine hermetische, Securitas eine berggotthafte Atmosphäre. Der Historiker Peter Brown ist der Vorstellung von Verfall entgegengetreten. Statt dessen spricht er von einem Stilwandel des Erlebens, "der die christliche Kirche ebensosehr von ihrer Vergangenheit wie von ihren heidnischen Zeitgenossen trennte" (Brown 1995, 121). Die Analyse kommt dazu, das eigentlich Befreiende im Christentum von Anfang an als Emanzipation des Ich zu lesen. Brown belegt, daß das, was diese Kultur ablöst, nicht primär das Christentum ist, sondern ein anderer (expressiverer ichbezogener) Lebensstil, den er als Zeitalter der Ambition dem Zeitalter des Ausgleichs entgegenstellt. Dem entspricht im Religiösen die Ablösung der (in der Passivität gegenüber dem Anruf des Göttlichen zum Ausdruck kommenden) Gleichheit durch die Heraushebung von besonderen Menschen (Heiligen), die dem Göttlichen näher stehen, damit auch einem anderen Verständnis von Priestertum. Wenn er die Wirkung von großen Stiftungen beschreibt als eine "Art Versicherung gegen Mißgunst und Konkurrenz" und dies selbst als materialistische Sicht bezeichnet, dann fällt auf, daß dies doch in erstaunlicher Weise einhergeht mit dem Zentralpunkt heidnischer Religiosität, der Vermeidung von Hybris angesichts des Unterschiedes zwischen Sterblichen und Unsterblichen (62 ff.). Mit Recht führt er auch die Prunksarkophage an (55), in denen wir über die Individualität der Toten nichts erfahren, sondern die das Element beschreiben, in das hinein sie sich auflösen. Auch das Eremitentum erklärt Brown als Versuch, eine Autonomie des Subjekts zu leben, wie dies in aufeinander angewiesenen Gemeinschaften nicht möglich war.79 Der Asket suchte keine übernatürlichen Erfahrungen, bzw. er suchte sie nur, um sich im Kampf mit ihnen zu messen und sich von ihnen (die Daimones waren ja nun Teufel) zu befreien. Teilweise wurden die Daimones sogar introjektionistisch als Willensregungen angesehen. "Wer sich lange seine Gedanken nicht offenbart, bewirkt, daß sie gegen ihn aufstehen" (Isaias Asketikon). Während der Heide das Ergriffenwerden als Beseeligung und als Befreiung vom Ich empfand, verstand sie der Christ als Versuchung. Er will sich aus dem Spinnennetz der gleichmäßig ausbalancierten Kräfte herauslösen, wie sie in den Konstellationen der Astrologie und der olympischen Götter zum Ausdruck kommen (Brown 1995, 114 f. bzw 100). Demnach wäre die sogenannte katholische Mystik eher ein Erbe der Erfahrungsreligion. Das Christentum ist 61 die Religion derer, die die herkömmlichen Bindungen ablehnen oder als Landfremde etc. sie auch vermissen. Es macht mit seiner Betonung abstrakter genereller Werte gegenüber den lokalen Traditionen aus der Not eine Tugend. Der Heide geht von einer Offenheit der geistigen Welt aus. Deshalb bedeutet der Stilwandel für ihn eine Krise im Verhältnis von Himmel und Erde (Brown 1995, 123). Iamblichos spricht von der Zerstörung der Gemeinschaft zwischen Menschen und Göttern durch eine Lehre, die die physische Gegenwart der höheren Wesen an einen Ort außerhalb der Erde verlege (De mysteriis I,8). Ausdruck der Introjektion ist auch der spätantike Geniuskult (Brown 1995, 124, 98). Diese Art von Autarkie war nur dadurch zu gewinnen, daß der Asket der Welt abgestorben, ja wie ein lebendig Begrabener lebte (Brown 1995, 112, 118). Was von seinen Mitmenschen als bewundernswert empfunden wird, ist nicht ein Kontakt zu höheren Mächten, sondern eine Unangewiesenheit auf die irdischen Bindungen, die selbst als Ausdruck von Gotterfülltheit verstanden wird. Aus erfahrungsreligiöser Sicht aber schließt sich der Eremit gerade von der Wirkung des Göttlichen ab und konzentriert sich ganz auf sein Ego. Dazu kommt, daß die Konzentration auf das Ich zugleich auf die eigene Unvollkommenheit weist. Die Verdammung des "latenten Perfektionismus" eines Origines wie eines Pelagius betrachtet Brown als Ausdruck des Stilwandels. Augustinus sieht diesen Prozess historisch als Verfall der Schaufähigkeit und kommt damit mit heidnischen Zeugnissen überein (Brown 1995, 122). Browns Studien werfen die Frage auf, ob wir nicht die formierende Kraft von Gedankensystemen überschätzen und diese eher als Symptome zu sehen sind. Weniger prägen sie Haltungen, als daß ihre Ausprägung von diesen abhängt, aber was sind dann die formierenden Kräfte? Dennoch puscht die Doktrin etwa mit der Ausgrenzung der unsterblichen Seele aus der Natur den Emanzipationsprozeß. Zudem läßt sich eine Tendenz zur Entkosmisierung z.B. des Jüngsten Gerichts und Verlegung in die Geschichte jedes einzelnen Menschen beobachten (Sprandel 1983, 256). Daß der Monotheismus in der Theologie der Zentrierung der Seele entspricht, ist einleuchtend, geschichtlich ist er sowohl ihr Ausdruck als auch ein Faktor, der sie vorantreibt. Der katholische Theologe Bily (1988, 693) schreibt: "Die Verteidigung der Person gegen ihre Parzellierung muß logisch in eine Verteidigung des Monotheismus münden". Daß das Christentum bis hin zu Augustinus die Willensfreiheit des Menschen betont, steht nicht zuletzt im Kampf gegen die Astrologie. Bei Tertullian z.B. kommt eine Verachtung der "curiositas" der 79 Brown 1995, 110. Sieht man das mönchische Kolonisationsprojekt als Nachfolger davon mit der Gleichsetzung von Wald und Wüste, dann zeigt sich, daß dies ebenso wenig nachhaltig ist wie der heutige Tourismus: Immer weitere Gebiete werden erschlossen und sind damit eben nicht mehr "weltfern". 62 antiken Bildung hinzu (Fögen 1993, 298). Hier wirkt das Christentum wissenschaftsfeindlich, doch könnte man (mit Hogrebe 1992, 157 ff.) den Zusammenhang auch so sehen, daß die Naturwissenschaft, die hier verneint wird , eben immer noch mit der Mantik verwoben ist und immer auch andere als rein kausale Zusammenhänge kennt. 3.3. Der Naturbegriff im christlichen Kontext Sprandel (1983) weist darauf hin, daß der Naturbegriff sowohl im Kontext der Christianisierung als auch der Abwehr der Dechristianisierung eine Rolle spielt. Er spricht von einer Neutralisierung der Natur im ersten und einer Moralisierung im zweiten Kontext. Wenn er behauptet, die Dechristianisierung habe eingesetzt, bevor die Christianisierung wirklich vollendet war, ignoriert dies aber die Dialektik, daß nämlich die Kirche gerade die Verankerung des sinnlichen Daseins in den Göttern der Erfahrungsreligion zerschlägt, aber eben nicht die Sinnlichkeit des Menschen abschaffen kann, und es dann mit einer areligiösen Renaissance der Sinnenfreude zu tun bekommt. Die kirchlichen Autoren scheinen dafür auch kein Bewußtsein gehabt zu haben, beides ist für sie "Heidentum". Wesentlich ist zunächst, daß Natur von einem Begriff für das All, das vom Göttlichen durchpulst ist, zu einem Gegenstandsbereich wird, dem das Göttliche entgegengesetzt ist (Sprandel 1988, 244). Die Zerstörung der Naturheiligung durch das Christentum scheint unbestreitbar. Selbst Münk (1987, 198) macht lediglich seinem Unmut darüber Luft, indem er von dem "schon fast formelhaft vorgebrachten Hinweis auf die Entgötterung der Natur durch Judentum und Christentum" spricht. Auch da, wo alte Traditionen weiterleben, werden sie umgebogen. So wird beispielsweise die Verehrung eines Brunnens christlich dadurch gerechtfertigt, daß ihn früher ein Drache vergiftet habe, dann sei ein Heiliger gekommen und habe den Drachen getötet.80 "Die Veränderung betraf den Kern und führt dazu, daß die Kontinuität schließlich eine oberflächliche war" (Sprandel 1988, 242). Bei der Moralisierung der Natur gegen die sogenannten neuheidnischen Tendenzen, d.h. gegen eine Sinnenbejahung, der der Rückbezug auf Götter bereits fehlt, wird vor allem teleologisch argumentiert. Bezeichnend ist, daß in Alanus ab Insulis "De planctu naturae" ein unehelicher Sohn der Venus namens Jocus vorkommt. "Der spielerische Umgang mit Natur erscheint als Perversion“ (Sprandel 1988, 250). Jeder Geschlechtsverkehr, der nicht der Fortpflanzung dient, gilt als unnatürlich. In diesem Zusammenhang erscheint die offene Aufforderung, sich an den Tieren ein Beispiel zu nehmen (Sprandel 1988, 253). Das spezi80 Solche Uminterpretationen gibt es auch bei der Durchsetzung der uranischen gegenüber der chtonischen Religion innerhalb der Erfahrungsreligion, man denke an Apoll und den Pythondrachen. 63 fisch Menschliche (die Fähigkeit zum zweckfreien Tun) wird hier im Namen des Planes Gottes geleugnet und verketzert. Wenn Natur Zweckfreiheit nicht kennt, dann steht der Mensch in dem Maß, in dem er sich auf sie besinnt, außerhalb ihrer. Es ist nun nicht mehr nötig, ihm eine unsterbliche Seele zuzuschreiben, um ihn aus der Natur herauszustellen. Die Erfahrung, daß der Mensch zweckfrei handeln kann, wird gegenüber der theologisch depotenzierten Natur zur Bastion des Überlegenheitsgefühls. Freilich kann der Mensch zu einem Bewußtsein seiner Menschlichkeit nur noch gegen die Kirche kommen. Diese versucht, ihn festzuhalten in einer maschinenmäßigen Zweckfunktionalisierung, deren große Erfindung die Uhr ist.81 Die kapitalistischen Sekundärtugenden wurzeln hier. Das Christentum besetzt also den Naturbegriff im Sinn des Maschinenparadigmas. Ulrich Köpf (1988, 45) hat die Verwendung des Naturbegriffs für theologische Fragen als sowohl für die Theologie als auch die Naturphilosophie verhängnisvoll angesehen. Die Gegenüberstellung von Natur und Gnade bedeutet einen Makel der Natur. Die Gnosis eines Markion, die den Schöpfergott als böse sieht und die Schöpfung insgesamt verwirft, konnte zu einer viel radikaleren Ablehnung der Natur kommen, was aber keineswegs eine zerstörerische Praxis bedeutete, sondern eher ein Desinteresse. Demgegenüber zeigt die jüdische Tradition einer nicht völligen Trennung ein stärkeres Interesse an der Umbildung der Welt als Teil des Erlösungsweges. Auch die Askese des Christentums hat Interesse an einer Umbildung der Natur, während die gnostische lediglich Desinteresse ist (Schluchter 1985, 502). In gnostischen Texten findet sich auch keine Bezugnahme auf Arbeit, in denen der christlichen Askese dagegen sehr wohl. Ebenso entwickeln die Gnostiker keine Soziallehre (Troeltsch) und auch keinen Begriff der universalistischen Menschheit, da sie davon überzeugt sind, daß die Mehrheit der "menschenartigen Gesichter" gar keinen Geistfunken haben, sondern einfach wieder zu Staub werden, aus dem sie gemacht sind. Während der gnostische Mythos ein kosmisches Drama des Abfalls vom Geist bietet, ist im biblischen Text das menschliche Drama zentral (Schluchter 1985, 500). Besondere Aufmerksamkeit hat in der Diskussion des christlichen Naturbegriffs in jüngerer Zeit die Personifikation von Natura im Mittelalter gefunden. Verschiedentlich ist die These vertreten worden, das Aufkommen von Natura als Personifikation in der Schule von Chartres sei ein Zeichen für die Möglichkeit eines anderen Naturverhältnisses auch im Christentum. Curtius hatte 1938 dazu geschrieben: "Wie durch eine geöffnete Schleuse strömt damit in die 81 Stöcklein 1969, 65 meint, mit der Räderuhr habe sich der Mensch so etwas wie eine eigene Sonne geschaffen. 64 Spekulation des christlichen Abendlandes der Fruchtbarkeitskult ältester Zeiten wieder ein" (zit. Modersohn 1997, 18) In jüngster Zeit hat nun Modersohn der Bildtradition eine ausführliche Arbeit gewidmet. Sie setzt sich dabei mit der White-These und ihrem Umfeld nicht explizit auseinander, liefert jedoch interessantes Material. Von der Curtius-These bleibt wenig übrig. Die Personifikation der Natura erscheint im Mittelalter posititiv erst im Gefolge der literarischen Bearbeitungen durch Bernhard Silvestris und Alanus ab Insulis. Modersohn (1997, 23) findet am Ende des 11. Jahrhunderts eine einzige Miniatur, die Natura in Anlehnung an den römischen Bildtyp der Tellus, aber gefesselt unterhalb einer Himmelsleiter zeigt. Hier geht es um ein Bild der Naturüberwindung. Dies ändert sich mit den Darstellungen zu Texten der Schule von Chartres. Nimmt man die Beschreibung des Sitzes der Natura aus der Cosmographia von Bernhard Silvestris aber genau, so zeigt sich, daß hier eigentlich wieder ein Paradies und eben gerade nicht die Natur verherrlicht wird: es herrscht ewiger Frühling, die Blüten welken nicht, die Naturgesetze scheinen aufgehoben (Modersohn 1997, 57). Entsprechend ist Zielpunkt der Schule von Chartres die Schaffung des neuen Menschen. Das ist zwar theologisch kühn,82 da weitgehend abgelöst von der Heilstat Christi (Modersohn 1997, 43), aber es führt nicht zu einem Annehmen der Natur, wie sie ist. Das gilt für die gesamte literarische Tradition der "Klage der Natur" bis in die Renaissance hinein. Der Klage der Natur über Mißachtung durch den Menschen wird die Gegenklage entgegengestellt, die Natur ernähre den Menschen nur stiefmütterlich und sei damit an der Gewaltsamkeit des Menschen selbst schuld. Noch interessanter sind die zwischen 1260 und 1266 entstandenen Darstellungen zu Brunetto Latinis „Tesoretto“. Latini, der Lehrer Dantes, sucht in der Verbannung Trost bei der Natura, ganz in Anlehnung an Boethius im Gefängnis bei der Philosophia. Hier ist nun die Natur bereits im Wechsel von Heiterkeit und Verdunkelung dargestellt.83 Aufschlußreich ist, wie in den Brunetto-Latini-Illustrationen Elemente einer Säkularisierung und Naturalisierung einfließen. Zu erwähnen ist zunächst, daß der Mensch unter den Tieren als Produkt der Natur erscheint (1997, 61), dann daß sich Natura, in dem Bild, wo sie auf die Paradiesflüsse verweist, quasi in ein Landschaftbild auflöst und daß die Darstellung des Mittelmeeres nicht 82 Traditionalistische Theologen des 12. Jahrhunderts wie Wilhelm von S. Therry sahen auch in der Erschaffung der Welt durch Natura unter Beihilfe von Geistern und Gestirnen heidnische Tendenzen (Modersohn 1997, 129). 83 "Oft berührte sie den Himmel, als wäre es ihr Schleier und manchmal veränderte sie ihn und manchmal verdunkelte sie ihn" (1997, 59). Das scheint inspiriert von der antiken Darstellungsweise der Gaia mit dem geblähten Schleier. Die Darstellungsweise der Natura unter den Tieren stammt aus Schöpfungsbildern, die aber ihrerseits auf den Typus "Orpheus unter den Tieren" zurückgehen. 65 mehr von der Weltkarte, die Gottes Schöpfung darstellt, sondern von der Portolankarte, die zur Navigation bestimmt ist, geprägt und gesüdet ist wie arabische Karten (1997, 63 f.). Modersohns Interpretation, die dies geradezu als allegorische Darstellung des Säkularisierungs- und Entpersonifizierungsprozesses sieht, mag Überinterpretation sein. Die Richtung ist aber deutlich. In der Brunetto Latini-Illustration liegt zum Abschied der Autor Natura zu Füßen, um von ihr einen Talisman zu empfangen und küßt ihren Fuß, was man als Bekenntnis zur Göttlichkeit der Natur interpretieren kann, und als Affront, weil der Fußkuß dem Papst vorbehalten war. Modersohn verweist aber darauf, daß sich das Motiv in der Renaissance gerade umkehrt, hier liegt Natura dem Prometheus zu Füßen und überreicht ihm die Materie. Sie hat ihre schöpferische Stellung aufgegeben und eine nur noch nährende einnimmt: Sie säugt ein Kind und ein Einhorn, der Mensch, repäsentiert durch den Erfinder der Künste, ist der berufene Fortsetzer des Schöpfungswerkes. Das ist der asketisch christlichen Vorstellung wesentlich näher. Die Schule von Chartres erscheint so gesehen als ein Zwischenspiel. Ihr Versuch, Natur aufzuwerten bleibt ihrer gleichzeitigen Idealisierung verhaftet. Historisch bleibend ist daran vielleicht gerade der Impuls zur Naturalisierung des Menschen. Man kann von einer merkwürdigen Verschränkung sprechen: Gerade ein idealistischer Ansatz wird wichtig für die Entwicklungslinie der Naturalisierung des Menschen, indem er die dualistische Differenz MenschNatur schwächt, und der asketisch dualistische Ansatz wird wichtig für die Entwicklungslinie menschlicher Naturbeherrschung. Die Personifikation der Natura, weit entfernt, eine Wiederaufnahme von Fruchtbarkeitskulten zu sein, überträgt vielmehr das Handwerkerverhältnis Gottes auf die Natur, was gut zur Wiederaufnahme aristotelischer Begrifflichkeit in dieser Zeit paßt. 3.4. Bettelorden und mittelalterliche Mobilisierung Bisher kaum im Zusammenhang der Debatte herangezogen ist die Rolle der Bettelorden, die doch die Träger der theologischen Neuorientierung seit Mitte des 13. Jahrhunderts sind. Rene Dubos (1974) stellt franziskanische und benediktinische Attitüde völlig unhistorisch einander in der Absicht gegenüber, sie als sich ergänzende Beiträge des Christentums zur theoretischen Wertschätzung und praktischen Pflege der Natur aufzufassen.84 Es scheint mir aber doch kein Zufall, daß die franziskanische Theologie das occamsche Rasiermesser, das "Zeit ist Geld"Denken (Nolte 1998, 472) und die Vorstellungen eines Roger Bacon hervorgebracht hat. Auf 66 der anderen Seite geht von den Dominikanern der Impuls zur Assimilation des Aristoteles und zur großen wissenschaftlichen Synthese aus. Die Armutsbewegung ist eine reformatorische, sie sucht die Wiederanknüpfung an das Urchristentum über die Lebensform Christi und seiner Jünger. Damit geht eine Dynamisierung im Wortsinn einher, die Gesellschaft kommt in Bewegung, und auch der emanzipatorische Impuls ist – wie bei den antiken Anachoreten – deutlich zu fassen. Dies steht anfänglich in Verbindung mit einer neuen Naherwartung (so etwa des Antichrists und des Reiches des Geistes für 1260), die nur teilweise als diesseitig beschrieben werden kann. Nach dem Zusammenbruch dieser Perspektive wird nun nicht die Dynamik zurückgefahren, sondern neu orientiert. Salimbenes Weg ist dafür symptomatisch. Es ist zu beachten, daß der Zulauf zur Armutsbewegung von Seiten der Kaufmannsschicht kommt, die keine so starke Verankerung in der Heilsordnung hat (Zinsverbot, Sündenbewußtsein). Sprandel (1983, 252) spricht den Bettelorden das Verdienst zu, den ersten Schub der Dechristianisierung abgefangen zu haben und zwar dadurch, daß der positive Bezug zum Irdischen grundsätzlich anerkannt, aber im einzelnen der Prüfung und Genehmigung unterzogen wird. So wird die Ehe zu einem Sakrament. Man kann Occams Theologie durchaus als Stärkung der Einzelwesenhaftigkeit und auch als Wiedereinsetzung der Natur betrachten. Das Übernatürliche wird beschränkt auf die Trinität und die Seele (Sprandel 1983, 246). Zwar ist Natur nun wieder überall, aber nicht mehr als beseelte, sondern materielle Natur. Es ist geradezu eine Nachwirkung der starken platonischen Tendenz, daß vom Nominalismus nur die auf die Allgemeinbegriffe bezügliche Seite rezipiert wird und nicht die Lehre von den Eindrücken als passiones animae. Auch das Occamsche Rasiermesser erscheint als frühe Formulierung eines Vorstellungswandels, der erst in der Neuzeit wirklich zum Tragen kommt, nämlich daß als Kennzeichen der Natur und der Größe der Schöpfung Gottes nicht mehr ihre Fülle, sondern ihre Sparsamkeit erscheint (Stöcklein 1969, 83, 99). Man kann dies als theoretische Wiederspiegelung des Dominantwerdens des bürgerlichen gegenüber dem adeligen Wertekodex interpretieren. Das Gleichnis Jesu vom guten Haushalter, der mit seinem Pfund wuchert, konnte nicht nur Rechtfertigung für den frühkapitalistischen Handelsherrn sein, sondern findet sich gerade auch in frühneuzeitlichen Mechanik-Lehrbüchern als Rechtfertigung für die Rolle des Erfinders (Stöcklein 1969, 110). 84 Haarsträubend ist seine Gleichsetzung von franziskanischer und darwinistischer "Identifikation" mit den Tieren als unseren Verwandten; zum Nebeneinander von Kultivierung und Sinn für landschaftliche Schönheiten bei benediktinischen Klostergründungen: Glacken 1967, 308. 67 3.5. Handwerkerparadigma und Mechanisierung Ebenso scheint die Rolle des Handwerkerparadigmas der Schöpfung (Artifex Mundi) für die Mechanisierung unumstritten. Allerdings wäre zu fragen, warum dies im Islam nicht so wirkte. Vorstellung und Redeweise vom fabricator mundi finden sich schon bei Cicero (De natura deorum 2,55). Die christliche Tradition hat aber zusätzlich die Schöpfung aus dem Flüssigen (d.h. Ungegenständlichen) konsequent zu einer creatio ex nihilo umgebogen. Ein Interesse an der creatio ex nihilo ist die einheitliche Abstammung von Himmel und Erde, die eine unterschiedliche Wertigkeit beider Bereiche und eine Vergötterung der Gestirne verunmöglicht. Die selben Gesetze gelten oben wie unten. Die Relevanz dieses Theologems zeigt sich an seinem Auftauchen in relativ populären Texten wie den Homilien über das Hexameron von Basilius dem Großen (Schluchter 1985, 500). Außerdem ist das Handwerkerparadigma die große Alternative zum Zeugungsparadigma. In der Darstellung des Vulkanus in der Schmiede als Vordergrund für Venus und Mars‘ Ehebruch werden beide gegenübergestellt (Modersohn 1997, 147). Demgegenüber erwähnt Mokyr (1990, 228) die in China verbreitete Vorstellung, daß außerhalb des menschlichen Geistes keine Gesetze sind (vgl. auch Watts 1975). Bezüglich der eigentlichen Technikgeschichte ist wohl zu sagen, daß der Sprung der Technisierung später liegt und sich nicht mehr primär aus subjektiv christlichen Quellen speist. Ein Zusammenhang liegt hier nur via Mentalitätsgeschichte vor. Interessant ist, wie unterschiedliche Blickweisen in bezug auf die mittelalterliche Technik aufeinanderstoßen. Wer an der Artifizialität und am Komfort mißt, der wird die antike Technik – sei es die römischen Fernwasserleitungen oder die raffinierten Automaten (Antike Welt 1/99) – höher bewerten. Auf der anderen Seite kommt Cardwell (1991, 11) zu dem Urteil, daß nur die Gigantomanie der Antike über ihre Unproduktivität hinwegtäusche. Sein Blickwinkel ist eben ein entwicklungsgeschichtlicher, um nicht zu sagen, Geschichte als Fortschritt konzipierender. Er stellt fest, daß ein stetiger Fortschritt einige hundert Jahre vor der industriellen Revolution begann (9). Auch Cardwell führt übrigens das Christentum als Ursache an, es habe den Fatalismus – damit meint er die Intention, sich in die Ordnung der Natur zu fügen – überwunden (7). Andererseits macht es das Vetrauen auf Gott überflüssig, die Folgen technischer Errungenschaften zu bedenken, ein Jesuit, der Flugmaschinen plant, meint zwar, Gott werde deren Funktionieren wahrscheinlich nicht zulassen, weil dann ja keine Stadt mehr vor Eroberung sicher sei, das 68 hindert ihn aber gerade nicht daran weiterzuforschen, vielmehr hat Gott ja die Notbremse in der Hand (Stöcklein 1969, 106).85 Die interessanteste Untersuchung zum Themenbereich Christentum und Mechanisierng wurde 1969 von Ansgar Stöcklein noch ohne Kenntnis von Whites These veröffentlicht. Stöcklin untersucht die biblischen Bezüge von Werken des 16.-18. Jahrhunderts die sich mit der Erfindung von Maschinen beschäftigen. Er wendet sich mehrfach gegen die These signifikanter konfessioneller Unterschiede (26, 43 f., 81). Das Verhältnis von Höherwertung der Arbeit gegenüber der Antike und Mechanisierung wird als ambivalent dargestellt, denn gerade wenn der Mensch ursprünglich nicht zu Arbeit geschaffen war, wenn Arbeit Strafe ist, ist Arbeitserleichterung ein Schritt zu einem neuen paradiesischen Zustand (39). Deutlich wird bei Stöcklein ein Prozeß, der die mittelalterliche Trennung von Schöpferkraft Gottes (ex nihilo), Schöpferkraft der Natur (Entbergung) und des Menschen (Neukombination) einebnet und die Gottesebenbildlichkeit des Menschen gerade in seiner Kreativität sieht (60ff.) Damit einher geht, daß der Mensch sich nicht mehr als Mikrokosmos sehen möchte (78), d.h. als Abbild der Schöpfung im Kleinen, sondern als Weiterführer der Schöpfung. Dabei verschiebt sich auch die Wertschätzung von solchen Künsten, deren Material besonders vollkommen ist, auf solche, bei denen der Anteil der geistigen Leistung besonders hoch ist. Stöckleins Arbeit enthält eine Reihe von Thesen, die freilich durch seine Quellen allein noch nicht genügend gedeckt sind. So sieht er einen Zusammenhang von eschatologischer Zeit und Beschleunigung des Lebens und der Arbeit (108). 3.6. Fortschrittsvorstellung und Säkularisierungsprozesse Deutlich wird bei Stöcklein (52 f.) immerhin, daß die "senectus mundi"- Vorstellung durchaus mit technischem Optimismus einhergehen kann. Ernst Nolte hat in seinem universalgeschichtlichen Werk nach der Herkunft der Dynamisierung, die mit dem Ende der Vorgeschichte zusammenfällt, gefragt. "Wenn das Christentum so mysterienlos gewesen wäre wie der Islam, hätte sich diese Art von Säkularisierung nicht vollziehen können (Nolte 1998, 483). Er macht etwas, was er "liberales System" nennt, aber nur ungenügend beschreibt, etwa als schwachen Staat, der seine Macht mit einer unabhängigen Kirche teilen muß, für den abendländischen Sonderweg verantwortlich.86 85 Stöcklein konstatiert eine Art christlicher Gesinnungsethik, entscheidend sei in der Vorstellung frühneuzeitlicher Erfinder die Absicht (90). 86 Schon Max Weber betont den indirekten Einfluß des Christentums auf die Wissenschaftsentwicklung, indem er es für eine relative Autonomie der gesellschaftlichen Teilsysteme verantwortlich macht. Besonders seit der Konfessionsspaltung sei die Kontrolle weniger effektiv gewesen. 69 Interessant ist, wie in der Radikalisierung der Ablehnung der Gnadenmittel durch Calvin im Ergebnis eine radikalisierte Werkgerechtigkeit wieder erlangt wird. Zwar kann sich nun keiner mehr sicher sein, wirklich gerettet zu werden, doch wird empfohlen sich zu den Geretteten zu zählen (Bily 1988, 444). Einerseits kommt dies einem Rückgang aufs Judentum gleich. Andererseits ist diese Form der Religion am anfälligsten für Säkularisierung, da die Kirche ohnehin keine Gnadenmittel hat. Stöcklein interpretiert interessanterweise das "christliche" Mittelalter gerade als Überdeckung und Hintanhaltung der dynamischen Impulse des Christentums durch die Ungebrochenheit der Antikenrezption. 70 II. Erste Ansätze zu einer Geschichte der abendländischen Dynamik Insgesamt muß die Forschungslage trotz der Vielfalt der Publikationen als unzureichend bezeichnet werden. An interessanten Thesen fehlt es keineswegs, wohl aber an gehöriger Ausarbeitung. Auf dieser Basis scheint es mir immerhin möglich, einen Gliederungsvorschlag zu machen, der die Wirkungen verschiedener Facetten des Christentums, die in unterschiedlichen Zeiten unterschiedlich konstelliert und gewichtet waren, in ihrer Interdependenz zu fassen versucht. Nicht um Ideen und ihre logischen Folgerungen geht es, sondern um Ideen, die Triebkräfte sind, weil sie Anliegen konzeptualisieren. 1. Ausgangsimpulse Negierung des Kerns der Erfahrungsreligion Die Gottesunmittelbarkeit entfaltet ihre Sprengkraft im Zusammenhang eines fundamentalen Unzufriedenseins mit der bestehenden Welt. Andere Erlösungsreligionen haben nicht die Welt als solche zu verändern versprochen, sondern nur die Stellung des Einzelnen in ihr. Während das Judentum einen Überlebensmythos (Errettung des Volkes) zentral stellt, bildet das Christentum die Vorstellung einer endgültigen Überwindung der Welt, insbesondere des Todes aus. Damit unvereinbar ist eine Anerkennung des Todes als zum Leben gehörig.87 Aus dieser Quelle aber speist sich der "moralische" Impetus zur Zurückdrängung der angeblich grausamen Natur.88 Die Vorstellung von der Veränderbarkeit der Welt hängt freilich mehr am Schöpfer- als am Erlösergott. Wobei sich dessen Radikalisierung (Gott hätte die Welt auch anders machen können) erst mit dem Nominalismus entwickelt. Das Christentum unterscheidet sich auch von den Erlösungs- und Mysterien-Religionen der Antike durch die Betonung eines prinzipiellen Nichteinverstandenseins mit der Verfassung der Welt und der menschlichen Sterblichkeit, insofern diese als Ergebnis eines Fehlers (Sündenfall) erscheint.89 Darin prägt sich ein Gefühl der Unzufriedenheit aus, das an künftige Generationen weitergegeben wird, und zu einer inneren Unruhe, einer Suchbewegung und Veränderungssucht führt. Das ist die Grundlage der seelischen Sonderentwicklung. 87 Für die Erfahrungsreligion ist der Tod das "Mittel der Natur, viel Leben zu haben". Davon trennen den Christen Welten. In der Moderne tritt an die Stelle der Negierung der Entgültigkeit des Todes die Verdrängung des Todes in die Unsichtbarkeit. 88 Auch Albert Schweitzer setzt das in seiner Mitleidsethik noch fort. Zu tief steht er in christlicher Tradition, um im Stirb und Werde ein Stück Realtranszendenz und nicht eine unverstehbare Grausamkeit sehen zu können. 71 Die Vorstellung von einer Zerschlagung der Erde als heilsgeschichtlich notwendig ist Produkt einer Vergeschichtlichung des Dualismus. Die mildere Version lautet, daß die Schöpfung vom Menschen zu Ende geführt werden müsse. Schon Laktanz sagt, daß die Welt durch Bearbeitung des Menschen schöner geworden sei, als sie bei der Schöpfung war (Krolzik 1988, 75).90 Ihre Früchte gehen auf in der Weltflüchtigkeit der Weltraumfahrt bis "Biosphere two", in den Weltverbesserungsversuchen der High Tech Medizin und der Gentechnik, aber auch im Bereich der Geisteswissenschaft in jenem naturvergessenen Historizismus, der die Rahmenbedingungen und absoluten Grenzen der Wandlungsfähigkeit unserer Lebensbedingungen nicht wahrhaben will. Der Traum eines Lebens der Menschheit unabhängig vom Schicksal der Erde ist die Signatur der sich entfaltende Areligiosität, des Kappens der Rückverbindung zur Erde. Die offene Formulierung, wie etwa bei dem Anthroposophen Peter von Siemens, der die Kernspaltung als Beitrag zur notwendigen Entmaterialisierung der Erde feierte, ist freilich die Ausnahme. Langfristig zerstört jede Religion eines außererweltlichen Gottes, die die Natur zu seinem Fußschemel erniedrigt, nicht nur die Ehrfurcht vor den atmosphärischen Mächten der Natur, sondern auch das Vermögen, Zweckfreiheit und Binnentranszendenz zu denken. Außerweltliche Heimat des Menschen und Verlichtung Das Christentum begreift den Menschen als wesensmäßig nicht von dieser Welt. Die Polarität von Himmel und Erde wird zugunsten einer einseitigen Hochschätzung von Himmel, Tag, Licht, etc. aus der Balance gebracht. Gerade in der Abwehr der Gnosis betont das Christentum gegenüber dem herkömmlichen Dualismen die Wesenlosigkeit des Bösen und, da mit ihm konnotiert, des irdischen Dunklen. Damit geht es im Zerbrechen des Polaritätsdenkens noch über den reinen Dualismus hinaus. Die Spaltung ursprünglicher Polaritäten in Gegensätze vollzieht sich immer durch Positivsetzung des einen und Negativierung des anderen. Aus der ursprünglichen Polarität von Nacht und Licht, bei der sogar die Nacht die ist, die sich das Licht gebiert,91 wird Licht und Finsternis als Abwesenheit von Licht, schließlich von Sein und Nichtsein. Während für die Antike die Waldwelt (Hyle) kein bloßer Schatten der Zivilisation war, bzw. der Schatten als eigene Qualität der Unterirdischen gerade noch ergriffen werden konnte, ist im christlichen Monotheismus dafür kein Raum mehr (wobei die Bedeutsamkeit der Identität 89 Freilich ist dies in der Gnosis noch wesentlich schärfer, und kann dort wieder zu einem Desinteresse an der Welt führen. 90 Unklar bleibt, woran - außer wieder an menschlichen Maßstäben - der Zugewinn gemessen werden soll. 91 Daher das Zählen nach Nächten statt Tagen, wie es Caesar von den Kelten schildert. 72 von Schatten und Seele nicht zu unterschätzen ist). So wie die Seele des Menschen ohne Gott finster gedacht wird, so entspricht der seelische Läuterungsweg der physischen Entwaldung. Genau entgegengesetzt ist die Konnotation in China: Mengzi (372-281) vergleicht den empirischen Normalzustand der menschlichen Natur, die ursprünglich gut, aber durch menschliche Schuld ruiniert worden sei, mit einem abgeholzten Berg (Kessler 1996, 150). Wenn auch im volkstümlichen Christentum das zyklische Denken im Kirchenjahr seinen Platz fand, so wirken doch auf lange Sicht Vorstellungen von einem notwendigen oder gar zu ersehnenden Untergang der Erde. "Wenn Himmel und Erde in Feuer vergehen, so wird doch ein Gläubiger ewig bestehen" heißt es in einer Bachkantate und eine Medaille aus Breslau von 1762 zeigt eine zerborstene Erde mit der Beischrift "Mags doch sein".92 Historisierung der Natur und Anthropozentrismus Die besondere Bedeutung der historischen Faktizität für das Christentum betont Paulus, wenn er sagt, daß mit der Tatsache der Auferstehung des historischen Jesus der Glaube steht und fällt. Schon das Judentum ist mit seiner Zukunftsorientierung der "Statthalter gelingender Aufklärung" (Liedke 1997, 235). Es wehrt einerseits mit der Differenz von Gott und Welt einer vorschnellen Versöhnung, andererseits hält es ihre Perspektive offen. Demgegenüber erscheint für Adorno das Christentum sogar als vorschnell erzwungene Versöhnung, die in Mythologie zurückschlägt (Liedke 1997, 237). Es ist gerade Adorno, dessen Interpretation des Judentums deutlich gemacht hat, wie sehr das Christentum davon abweicht. Nach Adornos Interpretation ist das Zentrale am Judentum das radikale Annehmen der Wahrheit auch in ihrer Unerlöstheit und die Abkehr von aller falschen Beruhigung (magischer Götterzwang, Unsterblichkeitsglaube). Das Unterpfand der Rettung liegt gerade in der Abkehr von allem Glauben, wie Erkenntnis in der Abkehr vom Wahn. Es geht darum, sich der Realität des unbegreiflichen Gottes zu stellen. Erlaubt ist die Hoffnung auf Realisierung des Gegenbilds in einer Versöhnung des heute Unversöhnten (aber ohne Gewißheit, die Gott festlegen würde) auf künftige Versöhnung. Die intendierte Versöhnung wird durch eine überzogene Positivität der Versöhnungsidee gerade negiert (Liedke 1997,231, 234). Demgegenüber ist die Verortung der Erlösung in der Vergangenheit in einer bestimmbaren Tat (Golgatha) eine Verendlichung des Absoluten, deren Kehrseite eine Verabsolutierung des Endlichen konkret die Vergottung des herrschenden Menschen ist. Liedke (1997, 241) zieht 92 Abbildung in: Auktionskatalog Peus Frankfurt 357 Nr 2752. 73 als Beleg Irenäus von Lyon93 heran, der den Menschen in den Mittelpunkt der Schöpfung stellt. Die Haltung des Judentums ist auch im erfahrungsreligiösen Sinn Frömmigkeit, die des Christentums dagegen Hybris.94 Religion hat klassischerweise die Funktion, Hybris zu dämpfen, das Christentum ist ihr Nahrung. Vielleicht muß die Unterscheidung der römischen Behörden der Kaiserzeit, die das Judentum als eine alte Religion – sogar einschließlich des Verbots anderen Göttern zu opfern – tolerierten das Christentum aber als staatsgefährdende Neuerung bekämpften, nicht nur als schematische Klassifizierung nach Alter betrachtet werden, sondern als von einem erfahrungsreligiösen Empfinden inspiriert. Das Christentum meint, den Gang der Welt zu kennen, während einige Äußerungen Jesu (auch er wisse weder Tag noch Stunde) auf eine andere Haltung noch seines Stifters schließen lassen. Das vermeintliche Wissen um den Gang der Geschichte bedingt ein Selbstgefühl, das auch nötig ist für den Anspruch, die Naturgesetze erkennen zu können. Erkenntnis der Geschichte und Teilhabe an ihr ist ein Vorzug der Menschen gegenüber aller anderen Kreatur, die im Kreislauf befangen bleibt und insofern dem Reich Gottes, das aufgeht, nicht angehört.95 In der abendländischen Tradition wird Geschichtlichkeit von Natürlichkeit abgesetzt so wie Gott gegen Natur. Darin wurzelt noch der Gedanke, die "Humanities" oder Geisteswissenschaften durch die Geschichtlichkeit und Einmaligkeit ihrer Objekte von den Naturwissenschaften abzutrennen. Das Herausfallen aus dem Naturkreislauf wird zum Merkmal des Menschen. Individualität in der Natur dagegen wird methodisch ausgeblendet, es geht in den Naturwissenschaften nie um den besonderen Baum, den besonderen Fluß. Wenn die Realität wesentlich geschichtlich linear ist, dann ist alles, was daran nicht teil hat, weniger real. Das gipfelt in Descartes Maschinenauslegung von Tieren. Die Unwesentlichkeit der Natur ist auch Voraussetzung dafür, daß ihre Vernichtung denkbar wird. Drewermann (1990, 82) bemerkt, daß es in der Indianersprache gar keine Worte für vollständige Zerstörung und Nimmerwiederkehr gibt (noch Buffon kann sich, wie oben bemerkt, eigentliche Zerstörung der Natur nicht vorstellen). Nun kann man sagen, diese Dinge seien aber durch den Men- 93 Wie Theophilos (vgl. Pannenberg 65) bereits Zeit des Commodus. Adornos judaistisches Geschichtsmodell "heidnischer Aberglaube gegen jüdische Ethik" ist viel zu einseitig. Freilich ist es richtig, daß zur begrifflichen Fassung der "Erlösung" durch Golgatha auf Opfervorstellungen sowohl heidnischer als auch volksjüdischer Provenienz (Sühneopfer, Sündenbock) zurückgegriffen werden konnte. Umgekehrt ist aber auch deutlich, daß die spätantiken Mysterienreligionen mit ihrer Interpretation des Opfers bereits ebenso eine Abkehr von der erfahrungsreligiösen Basis beinhalten, wie das Christentum eine Abkehr von der Lehre Jesu. In der Erfahrungsreligion geht es ursprünglich gerade um das Akzeptierenlernen der Sterblichkeit, nicht um ihre Überwindung. 95 Der Darwinismus macht schließlich auch die Kreatur zum Teilhaber des Fortschritts, aber stärker wirkt, daß er Fortschritt entteleologisiert. 94 74 schen real geworden und lassen sich nicht mehr aus der Welt schaffen, wichtig ist aber zu bemerken, daß die Ideologie von der Menschenabhängigkeit der Natur (via Sündenfallvorstellung) ihrer Realisierung vorausgeht, und so auch ihre säkularisierte Radikalisierung im Wahn von einem wirklichen Verschwinden von Natur.96 Fortschritt Die Auslegung der Geschichte als Fortschritt ist ein Dazukommendes, liegt aber in der Konsequenz der Linearisierung. Armin Mohler (1989, 117 ff.) hat herausgearbeitet, daß die christliche Hochschätzung des Individuums an die Vorstellung linearer statt zyklischer Vorstellung von Zeit und Geschichte geknüpft ist, aber auch an die Vorstellung von einer Perfektibilität von Welt und Mensch, die der konservativen Vorstellung eines Gleichbleibens der Anteile von Segen und Übel entgegensteht. Alle Erfahrungsreligion betonen das Zyklische. Es ist kein Zufall, daß die einzige Stelle der Bibel, die klar das Zyklische hervorhebt (Prediger Salomonis 1,4-10) von modernen Theologen gern als apokryph verdächtigt wurde. Krolzik (1979, 56 f.) weist darauf hin, daß die Vorstellung einer renovatio in melius bei den westlichen Kirchenlehrern eher verbreitet ist als bei den östlichen.97 Während in den offiziellen Verlautbarungen noch um 1200 die Rückwendung zu den Ursprüngen dominiert, kommen in der volkstümlichen (städtischen) Predigt zunehmend eschatologische Untertöne auf (Krolzik 1979, 59). Die Fortschrittskonzeption ist Entendlichung und Abstrahierung der nicht haltbaren und an der Vielzahl nicht eingetroffener Prophezeihungen zerschellenden Konzeptionen eines Wissens um den Gang der Geschichte. Man behauptet, nicht mehr zu wissen, wohin die Zukunft führt, aber jedenfalls wird es aufwärts gehen. Eine bequeme Verbindung mit der Vorstellung einer verfallenden Natur ermöglicht Augustins Zwei-Reiche-Lehre. Innerweltlicher Fortschritt ist nicht nur dem Urchristentum fremd, sondern auch noch dem konstantinischen, aber der Gedanke liegt in der Logik des Konzepts, nachdem der Zeitpunkt des Aufbrechens einer neuen Welt immer weiter hinausgeschoben werden muß. Der Bogen der Hoffnung wird überspannt und muß sich an Näherem festmachen. Diese Entwicklung läßt sich auch als Hinunterrutschen der Botschaft vom Intellekt in den Willen verstehen – parallel zum äußeren Einsickern in niedrigere Volksschichte. Am deutlichsten äußert sich diese Tendenz im Chiliasmus, in dem Geschichte als Abfolge von Reich des Vaters, Reich des Sohnes und Reich des Geistes als Fortschritt, und zwar als 96 Hard (1993) macht im Unterschied zu Böhme deutlich, daß es sich um ein Programm handelt. 75 Fortschritt der Spiritualisierung gedacht wird. Die Ostkirche zeigt freilich, daß das Christentum nicht notwendig die Richtung ins Eschatologische nehmen mußte. Dort steht viel mehr die individuelle Vergöttlichung im Mittelpunkt. Außerdem gibt es starke Tendenzen zu einer Erlösung des gesamten Kosmos. Universalismus Intellektueller Niederschlag der Tendenz zur Lösung von der Erdverbundenheit sind universalistische Ideen. Der Universalismus des Christentums schafft eine von regionaler Bindung gelöste Identität zunächst der mönchisch lebenden Elite (zunächst noch gemildert durch das Gebot der benediktinischen "stabilitas loci"). Er impliziert aber auch eine Weltbeglückung. Die Konversion aller Völker zum Christentum erscheint als Vorbedingung und Vorzeichen des anbrechenden Reiches Gottes. Roger Bacon kann in diesem Zusammenhang bereits im 13. Jahrhundert die waffentechnische Überlegenheit der Christenheit als heilsnotwendig ansehen. Der Universalismus verliert mit schwindender Heilsgewißheit seine offene Agressivität. Wie der Theismus zum Deismus, so mutiert die Vorstellung von der Alleinberechtigung des Christenmenschen zu der von verallgemeinerbaren Menschenrechten.98 Auch in deren Namen lassen sich andere Kulturen bekämpfen. Ein typischer Exponent der Globalisierungsideologie formuliert: "Der westliche Universalismus darf keine Menschenrechtsverletzungen tolerieren. Er ist deshalb imperial angelegt" (taz 21.4.97 S. 10). Der Autor redet dann von der "Quintessenz der langen abendländischen, also jüdisch-christlichen Geschichte der Rechts- und Freiheitsfindung: Nichts Heiligeres als das Individuum". Diese Ideologie eignete sich zwar für den Kampf gegen den Marxismus, den konkurrierenden Sproß der Säkularisation christlicher Weltsicht, aber sie versagt, sobald die Verteilungskämpfe die Metropolen dieser Ideologie erreichen. Das Umweltproblem ist die große Herausforderung des Universalismus (Sieferle 1994). Das ist freilich heute kaum noch im Bewußtsein. Verzerrt durch die Brille des Universalismus erscheint das Umweltproblem als Problem interkontinentaler und intergenerationeller Gerechtigkeit. Die Nachhaltigkeitsideologie setzt immer schon als Dogma voraus, was Schiller in die Worte gefaßt hat "Raum für alle hat die Erde" (explizit Amery 1998). Der Möglichkeit, daß dies nicht stimmt, wird mit Denkverboten belegt. Wenn es aber nicht stimmt, dann stellt sich die Frage nach Prioritäten. Das abendländische Denken wird unter diesen Voraussetzungen höchstwahrscheinlich das ideologische 97 Z. B. Augustin Gen. ad litt. 6,25; cor. et gratia 33; civ. dei 22,24 76 Versatzstück "Fortschritt" einsetzen und damit das Recht des Stärkeren in der Form des Überlebens nur der fortgeschrittensten Zivilisation postulieren. Die eigentliche Alternative dazu, nämlich ein Setzen auf Artenvielfalt menschlicher Kulturen, hat man sich durch die Praxis der Globalisierung, die die gewachsenen Kulturen von den Indianern bis zu den Aborigines infiziert hat, verbaut. Dies wird wiederum zum Sachzwangargument gewendet. Die Überlegenheit der westlichen Kultur wird nicht mehr aus Wahrheit (Mission), aus Biologie (rassischer Überlegenheit) oder aus schlichtem Recht des Stärkeren (Waffentechnik) hergeleitet, sondern aus angeblicher Selbstbestimmung des Menschen, da sich auf dem freien Markt auch der Indianer für Fastfood und Fusel entschieden habe99. Individualisierung Historisch wirksam geworden ist nicht der Jesuanismus der Apostelgemeinde, sondern das Christentum des 4. Jahrhunderts. Peter Brown spricht von einem Stilwandel des Erlebens, "der die christliche Kirche ebenso sehr von ihrer Vergangenheit wie von ihren heidnischen Zeitgenossen trennte" (1995, 121). Auch das Eremitentum erklärt Brown als Versuch, eine Autonomie des Subjekts zu leben, wie dies in aufeinander angewiesenen Gemeinschaften nicht möglich war (1995, 110). Deutlicher noch ist, daß durch die Lehre von der Unsterblichkeit das Individuum eine Aufwertung erfährt (Kern 1969, 311). Dieses Individuum sucht seine Rechtfertigung aus einer Transzendenz, die nicht mehr erlebt, sondern postuliert wird. Wichtig ist, den Unterschied zwischen Minderheitenindividualisierung (Bildung stark abgehobener Eliten) und Individualisierung als Massenphänomen zu beachten. Nietzsche hat darauf hingewiesen, daß der Individualismus sich immer zugleich gegen die wirklich großen Individuen richtet, weil gegen sie die Masse der Individuen gerade ihre Nullität erfahren würde. Das wirklich große Individuum dagegen hat eine eigenartige Neigung, sein Wesentliches als Geschenk zu erfahren. Beachenswert scheint mir, daß diese Individualisierung in zwei Wandlungsschritten erfolgt, die Luc Ferry (1992) am Wandel der europäischen Ethikkonzepte herausgearbeitet hat: Er spricht bezüglich der Antike von einer Ethik der Vollkommenheit, bei der es darum geht, der eigenen Natur gerecht zu werden. Bezüglich der Moderne spricht er von einer Ethik des Verdienstes, was mit der Vorstellung von Freiheit und von komplementären Pflichten verbunden ist. Das menschliche Wesen wird nun gerade als Überschreitung seiner natürlichen Festge- 98 Dieser Zusammenhang ist zum erstenmal von dem Juristen Georg Jellinek (Die Erklärung der Menschen und Bürgerrechte, Leipzig 1895) aufgestellt worden, eine Arbeit, die auch Max Weber kannte. 99 So sehr sich die Vertreter der hreutigen universalistischen Ideale gerade am Gegenbild von Kolonialismus und Rassismus aufhängen, so sehr stehen sie doch selbst in der selben Tradition. 77 legtheit (Transzendenz) definiert. Freilich wäre zu betonen, daß der ursprüngliche Naturbegriff bereits Transzendenz enthält, indem jedem Wesen nicht gegeben, sondern aufgegeben ist, es selbst zu werden. Bezüglich der Postmoderne spricht er von einer Ethik der Authentizität. Mit der Suche nach Authentizität ist wieder ein Rückgriff auf Natur da, nur diesmal auf eine individuelle. Im Bezug auf die eigene Biographie kann der Blick für das, was Wesenhaftigkeit ist, wiedergewonnen werden. Dann kann er das Wesenhafte auch in Naturerscheinungen finden (Falter 1996). Introjektion Die Individualisierung geht einher mit Abgrenzung und Betonung eines eigenen Innenraums der Seele. Freilich kann man mit Hermann Schmitz den Bruch schon in die "Achsenzeit" zurückdatieren, denn hier entscheidet sich bereits, was er die "zu hoch angesetzte Abstraktionsbasis" nennt, daß nämlich für die Verallgemeinerung nicht bei Artbegriffen stehen geblieben wird, die selbst noch Erscheinungscharakter haben, sondern zu völlig abstrakten Gattungsbegriffen übergegangen wird, wie dies beispielsweise in der chinesischen Kultur nicht der Fall war. Damit spaltet sich eine vergegenständlichte äußere von der subjektivierten inneren Welt ab. Die Spaltung der Kultur in die Sentimentalität einer Freizeitwelt und den Reduktionismus einer Arbeitswelt sind die Endprodukte. Etwas ähnliches hat Drewermann (1990, 79) als objektives Wissen und subjektiven Machtanspruch bezeichnet und ihr Verhältnis als Mittel und Zweck angegeben.100 Die Antike selbst freilich entwickelt nirgends ein Bewußtsein des in ihr sich vollziehenden Umbruchs. Es fehlt ihr die Möglichkeit, zwischen kausalen und Ausdruckszusammenhängen phänomenologisch zu differenzieren. Damit fehlt ihr eine Begrifflichkeit, in der der Umbruch reflektiert werden könnte. Sowohl die Christen des 4. Jahrhunderts als auch ihre heidnischen Gegner verstanden kaum mehr, daß Götter ursprünglich nicht als Ursachen hinter den Dingen verstanden wurden, sondern als Universalcharaktere des Erscheinenden, die im inner-, zwischen- und außermenschlichen Bereich gleichermaßen und in derselben Art wirken. Ares (Mars) wirkt im aufsteigenden Zorn, im zähnefletschenden Wolf, im angeschwollenen Hochwasser, im Toben einer Lynchjustiz übenden Masse gleichermaßen (Falter 2000). 100 Im Unterschied zu Drewermann (1990, 81) ist allerdings zu betonen, daß der Widerspruch nicht darin liegt, die Naturwissenschaft instrumentell zu nutzen, deren Konsequenz doch die Zusammengehörigkeit aller Lebewesen sei. Diese Zusammengehörigkeit wird nur auf einer reduktionistisch zugänglichen Ebene gesehen, von der sich der Mensch mit Recht absetzt, solange er noch einen Funken Selbstverständnis hat. 78 2. Interferenzen Propfreligion – Dualismus als Erfahrung Das Christentum bildet in in allen Gebieten, in denen es zu Geschichtsmächtigkeit kam, eine Pfropfreligion.101 Man muß gar nicht auf das Theorem von der naturfeindlichen Wüstenreligion (Klages, Passarge) zurückgehen, um zu konstatieren, daß hier ein Bruch entsteht, weil der Unterbau der Volksreligion und der Überbau des Herrschaftsglaubens verschiedenen Kulturkreisen entstammten. Nachdem es bis in die Neuzeit hinein nie ganz gelingt, die Volksreligion auszurotten, wird der zunächst theoretische Dualismus von Welt und Überwelt bis ins Soziologische hinein realisiert. Es bilden sich zwei Kulturen. Dies hat Auswirkungen auf das praktische und das theoretische Naturverhältnis. Hochkulturell überformte Agrargesellschaften bilden meist ein vertikalisierendes Weltbild aus, in das hinein mythische Relikte aufgehoben sind. Durch den Bruch der Pfropfreligion entsteht ein Dualismus, der die Vertikalisierung immer wieder bricht. Die abendländische Naturqualitäten- (Signaturen- und Mikrokosmos-Makrokosmos-) lehre ist merkwürdig unkonkret und undifferenziert,102 weshalb bei heutigen Rückgriffsversuchen eher auf ostasiatische oder indianische Traditionen (feng shui) etc. rekurriert wird. An die Stelle der antiken Entgegensetzung von theoretischer und praktischer Weltzuwendung tritt eine von Weltflucht (die durchaus auch praktischen Charakter haben kann) und Weltzuwendung, die als sündlich diffamiert wird. Physis ist nicht mehr das Übergreifende, sondern ein defizitärer Gegenpol zum Eigentlichen. Transzendenz kann unter der Voraussetzung eines radikalen Bruchs gar nicht mehr gedacht werden. Sie mutiert zu einer "Zwei-Weltlichkeit". Die In-toto-Diffamierung der Weltverbundenheit, die sich aber – da überlebensnotwendig – nicht wirklich praktisch verneinen läßt, schuf einen Schutzraum, in dem, abgekoppelt von der Sphäre des religiös überhaupt Thematisierten, profanes Verhalten möglich wurde. Das hier ausgebildete Sich-Arrangieren mit der Welt ohne prägende Einbindung in einen religiösen Kontext, der in den Erfahrungsreligionen die gesamte Alltagspraxis durchdringt, verbindet sich dann in der Neuzeit mit den Bemühungen, die Weltfluchttendenz praktisch umzusetzen. 101 Die Frage der Durchdringungstiefe ist nicht leicht zu klären. Sprandel (1983, 237) meint, daß die Kirche auch die umfangreiche Mehrheit der Analphabeten entscheidend bestimmt habe, konstatiert aber, daß die Predigt erst im 13. Jahrhundert große Bedeutung gewinnt. 102 Der Grund dürfte darin zu suchen sein, daß ihre Autoren primär Weisheitswissen und kein instrumentelles suchen, ja teilweise selbst an der Natur nur insofern interessiert sind. Als sie Spiegel des Menschen ist. Wir brauchen heute ein Weisheitswissen, das aber auch konkret und detailliert genug ist, um Zivilisation zu bilden, aber doch nicht nur instrumentell. 79 Durch die Gebrochenheit des vertikalisierenden Bezugs und die Betonung der absoluten Überweltlichkeit sowie die Hochschätzung des Unsichtbaren (Ideellen) war zu Beginn der aufklärerisch-rationalistischen Vernichtung des "Aberglaubens" die allegorische Auffassungsweise schon entwurzelt und konnte deshalb so leicht dem Ansturm der Entsinnlichung erliegen. Eine auch in den Oberschichten noch lebenskräftige symbolisch-vertikalisierende Auffassungsweise hätte der Ideologie der Entwirklichung vielleicht trotz der Versuchung des Machtzuwachses durch reduktionistische Betrachtung (Baconismus) widerstehen können (ein Vergleich mit China wäre hier sicher interessant). Man kann festellen, daß die Spaltung im 2. christlichen Jahrtausend immer weiter vom Gedanklichen, wo sie nur das Problem bestimmter Oberschichten und Sonderkulturen ist, in den Gefühls- und Willensbereich rutscht. Dabei dürfte die große Pest eine entscheidende Rolle gespielt haben. Mit ihr sickert, was bislang nur intellektuelle Attitüde war, in den Bereich des Gefühls (Falter 1999). Der Dualismus kann Erfahrung erst unter den Bedingungen der Pfropfreligion werden. Auf der anderen Seite ist aber auch das Phänomen der Renaissance und der Beginn einer säkularisierten Kultur nur von daher zu verstehen, daß eben ein Teil der überlieferten Kultur aus dem christianisierten Bereich ausgegrenzt blieb und dann Autonomie beanspruchen und Sprengkraft entwickeln konnte, während zum Beispiel in der Ostkirche das Erbe der antiken Zivilisation stärker integriert war. Negierung des Werdenden und damit der Natur Gerade im Bezug auf das Naturverhältnis kann man das Christentum einen "Platonismus fürs Volk" nennen. Von Platon her erbt sich eine Feindstellung des Abendlands gegen das Werdende, das Veränderliche, das nicht Festzustellende (in doppelter Bedeutung) und bildet eine nicht zu unterschätzende Triebkraft der neuzeitlichen Naturvernichtung, deren drei Phasen auch die Phasen der Vernichtung des Zugangs zur Erfahrungsreligion ist. Die erste Phase spiegelt sich in der platonischen Abwertung des Vergänglichen gegenüber dem Bleibenden, des Werdens gegenüber dem Sein. Nichts auf dieser Erde bleibt aber unverändert. Also ist das eigentliche Sein ein jenseitiges, die Erde eine schlechte Welt. Die eigentliche ist eine Welt hinter den Phänomenen. Damit sind die Götter der Erfahrungsreligion als hier wirkende Mächte unvereinbar. Der Gott der Philosophen ist ein jenseitiger. Seinen ersten Einbruch in die Volksreligion feiert er mit dem Wachsen der Bedeutung der Gesamtgöttin Tyche. Sie ist nicht mehr eine epiphaniefähige Göttin, mehr Idee als Gestalt, nicht Ereignis, sondern der Gang der Ereignisse, der immer erst ex post erschlossen werden kann. 80 Das Christentum markiert die zweite Phase. Nun tritt als neuer Gedanke hinzu, daß die Welt ursprünglich anders gedacht war, eben paradiesisch, und daß Gott auch die Vernichtung dieses Zustands und einen neuen Himmel und eine neue Erde versprochen hat. Auch wenn man in der Apokalypse nicht zwingend eine Zusage einer solchen Vernichtung sehen muß, so ist doch mindestens das Desinteresse an den Naturbedingungen eines neuen Jerusalem deutlich. Die dritte Phase begründet dann die Moderne. Wir warten nicht mehr, daß Gott uns eine neue Erde herrichtet, sondern nehmen seine Verheißung als Auftrag. Wir schaffen sie selbst in einer technischen Zivilisation, die dem Menschen die schwere Arbeit abnehmen soll. Daß dabei die alte Erde draufgeht, gehört dazu (Rombach 1983, 105; Jonas 1992, 34ff.). Man könnte freilich auch versucht sein, der Naturzerstörung einen religiösen Charakter zuzusprechen und sie als Endprodukt radikalisierter Erlösungsreligion zu betrachten. So interpretiert Haimo Schulz-Meinen (1996) die Zivilisation als religiösen Kampfverband zur Gottwerdung des Menschen, für den Zerstörung der Natur als Grenze menschlicher Allmacht zum freilich selten ausgesprochenen Programm gehört und der Mensch als Biosphärenmanager nicht nur als Antwort auf zunehmende "Störfälle" erscheint, sondern als ohnehin anzustrebendes Menschheitsziel. Will man in dieser Weise der Moderne den erlösungs-religiösen Charakter nicht absprechen, dann bildet die Geschichte weniger eine Schwerpunktverschiebung zwischen den Anthropina im Sinn von Hans Jonas (Werkzeug, Bild und Grab) als vielmehr eine Radikalisierung der Machtergreifung eines lebensfeindlichen "Geistes" (vgl. dazu Klages 1972). Unverstehbarwerden der Natursprache Was die Introjektion und die Fixierung auf Bleibendes vernichtet, ist die Wahrnehmungsfähigkeit für Charaktere. Der Sprachcharakter der Natur wird dadurch verstellt. An seine Stelle tritt die allegorisierende Auslegung. Die Gewaltsamkeit eines Adam von St. Victor, der in der Haselnuß im Grünen das Fleisch Christi, in der Schale das Kreuz und im Kern seine Göttlichkeit sah (Anderson 1993, 121), zeigt, daß der Wille stark ist, der Natur etwas abzugewinnen, daß aber der Schlüssel fehlt bzw. nicht mehr klar ist, welche Sprache die Bilder sprechen, welche Grundzeichen gesucht werden müssen. An die Stelle der sich wechselseitig auslegenden Natursymbole und des Leibes als Schlüssel treten versponnene Konstruktionen.Der Fluß ist nicht mehr Bild der Biographie, sondern der Heilsgeschichte. Das ist noch in Natursymbolik verwurzelt, ist aber auch schon Umbiegung. Die Art der Umbiegung ist im Buddhismus ähnlich, bleibt dort aber bei der Umbiegung stehen und schreitet nicht zur Vernichtung fort. Das Beispiel der Lotussymbolik zeigt besonders 81 anschaulich, daß von der Erfahrungs- zur Erlösungsreligion eine Uminterpretation der Bilder stattfindet. Die erfahrungsreligiöse Auslegung des Lotus-Phänomens sieht im Lotus die gegenstrebige Fügung von tellurisch sumpfiger Fruchtbarkeit und gestirngleichem Aufblühen der vollendeten Schönheit. Die buddistische Auslegung macht den Lotus zum Symbol des menschlichen Strebens, sich der Erdbindung zu entringen und dafür muß sie den Naturzusammenhang mindestens partiell negieren, denn der Lotus fliegt eben nicht wirklich zum Himmel, er braucht die Verwurzelung in dem ach so schmutzigen Grund, und wenn der Mensch von den unverbogenen Wahrnehmungen etwas lernen will, dann kann es nur das sein, daß er eben immer wieder sterbend "zu Grunde gehen" muß. Ein ähnliches Beispiel wäre im christlichen Bereich die Uminterpretation der antiken WeidenSymbolik. Die Weide mit ihren Stockausschlägen aus abgebrochenen Teilen ist Symbol des Zugleich von Leben und Tod. Daß sie am zum Teil sogar im Wasser steht, wird noch bei Jesaia 44,4 als Gleichnis für das Stehen des gott-offenen Menschen im Strom des Segens Gottes gesehen. Bei den Kirchenvätern wird aus dem Strom der Strom der Sünde, und die Weide hält sich gegen ihn. Von der Leben-Tod-Einheit wird einseitig der verneinende Pol bewahrt. Daß Weidentee in der griechischen Antike als Antikonzepivum galt, wird dazu umgeformt, daß sie Symbol der Unfruchtbarkeit – positiv gewendet "Keuschheit" – sei (Rahner 1934). Damit zerfällt die Einheit der Weidensymbolik und auch der Zusammenhang zur Pharmakologie.103 Das Christentum geht weiter als die erlösungsreligiöse Umformung im Buddhismus, es nimmt den Menschen aus der Natur aus, negiert die Gültigkeit von deren Bilder-Sprache für ihn, setzt der Natursprache das angeblich Geoffenbarte entgegen. Die Konsequenz dessen ist eben Verstummen der Natur. Das Christentum – und nicht die Völkerwanderung – reißt die Tradition ab, vernichtet die Wörterbücher der Natursprache. Auch hier ist aber die Uminterpretation notwendige Durchgangsstufe zur Extirpation. Erst die Unstimmigkeiten, die mit der erlösungssüchtigen Uminterpretation hineinkommen, machen es möglich, daß die Aufklärer einen Sinn ganz streichen können, weil ja offensichtlich das, was als Sinn ausgegeben wurde, Unsinn war. Das Christentum zerschlägt zudem die Aufeinanderbezogenheit der einzelnen Symbole in der Naturordnung, es läßt von der einstigen Sprache nur Worte übrig, von den Mythen nur die Gestalten (Symbole). Göttercharaktere sind immer wieder durch Besinnung auf ihren Wahrnehmungskern auf ihre Grundgesten zu modifizieren. Die Heiligenfiguren, die an ihre Stelle traten, sind in ihrer Bedeutung bloß konventionell, ihre Legenden sind Eselsbrücken. 103 Weidenrinde ist auch heute noch als fiebersenkend und schmerzstillend bekannt. Aspirin ist ein synthetischer Salizeenersatz. 82 Wo aus den isolierten Wörtern wieder die Natursprache zusammengesetzt werden soll, kommt dann auch noch die Tendenz zur Vergeschichtlichung mit herein. In den bibelorientierten Versuchen (etwa Raimund de Sabundes Liber creaturarum von ca. 1450) ist die Natur ohnehin nur Vorgeschichte des Menschen.In dieser Tradition versucht noch G. H. Schubert (1814) eine Ordnung der Natur nach ursprünglich und später parallel zur Geschichte von Sündenfall und Wiederaufrichtung und setzt dies mit einer zeitlichen Ordnung gleich, in der dann der Elephant, der die friedliche, für Raubzeug weitgehend unangreifbare Selbstgenügsamkeit frühen Lebens repräsentiert, früher stehen muß als die Insekten, die weitgehend von Verwesungsprozessen leben, individuelle Schwäche durch Massenhaftigkeit und Kunstfertigkeit ersetzen und unsichtbare Waffen (Gifte) produzieren.104 Schubert bezeichnet die "Natur als eine Apokalypse in Gestalten" (45). Derartige Verwechslungen des Genus – parallel dazu liegen die Vermaterialisierungen des Atmosphärischen, wenn man etwa meint, der Schwermütige müsse auch auf der Waage schwer sein – bieten dem Reduktionismus willkommene Ansatzpunkte. Kontrafaktische Setzung und Dogma Der durch das Unverstehbarwerden des Bedeutungsgehalts der Naturbilder gegebene Verlust des Erfahrungsgehaltes der Religion wird so verarbeitet, wie es Augustinus vorgezeichnet hat. An die Stelle von Erfahrung tritt die Tradition. In der Vergangenheit und in der Zukunft hat das kontrafaktisch gesetzte Sollen einen imaginären Ort. Die Vorstellung einer gefallenen Welt bietet eine Erklärung für die Nichtübereinstimmung mit der Wirklichkeit und gibt der Idee gegenüber der Wirklichkeit recht. Die Voraussetzung, sich über die gegebene Wirklichkeit durch Idealisierung hinwegsetzen zu können, ist eine wesentliche Bedingung für den Gesetzesglauben der Naturwissenschaft. Hösle (1997, 43) schreibt sogar: "Nur im Rahmen des Monotheismus macht die Annahme stabiler Naturgesetze einen Sinn". Aus der selben Bewegung kommt auch die Vorstellung universell gültiger Menschenrechte. Kontrafaktisch und nicht durch Anschauung gedeckt sind beide Seiten der Moderne, die Fallkonstante ebenso wie die Vorstellung von Gleichheit und Freiheit aller Menschen. Der Traditionsstrom führt Relikte erfahrungsreligiöser Weltverbundenheit mit. Jede Reformation kann aber gar nicht anders, als durch Klärung des Stroms den Prozeß der Abschneidung von den Lebenswurzeln des Religiösen und damit die Säkularisierung weiterzutreiben. Ausdrücklich bemerkt Klages, wieviel vom bildhaften Erleben sich im Katholizismus erhalten hat 104 Freilich hat eine Spätkultur viel "Insektenhaftes", doch Schubert setzt damit in gar keine Beziehung, daß eben das für das Christentum zentrale Naturbild der Verpuppung diesem Reich angehört. 83 (1972, 1264), während der Protestantismus nicht nur zum alttestamentarischen Gott, sondern auch zu dessen Kultur- und Naturzerstörung zurückkehrt. Das heutige Christentum lebt noch von letzten Resten des erfahrungsreligiösen Geschiebes. Das, was die meisten Abendländer heute noch hindert, völlig "rational" im Sinn einer gemütlosen instrumentellen Intelligenz zu handeln, sind nicht gute Argumente, ist erst recht keine Wesenserkenntnis, sondern sind Gefühlsreminiszenzen. Aber sobald wir argumentieren, beziehen wir uns auf demokratisch, liberal oder utilitaristisch daherkommende Verklausulierungen einer Zweckhaftigkeit ohne Sinn. 3. Dynamik Rationalisierung Freud hat das Christentum gegenüber dem Judentum als Rückschritt der Rationalisierung gekennzeichnet. "Die christliche Religion hielt die Höhe der Vergeistigung nicht ein, zu der sich das Judentum aufgeschwungen hatte. Sie war nicht mehr streng monotheistisch, übernahm von den umgebenden Völkern zahlreiche symbolische Riten, stellte die große Muttergottheit wieder her und fand Platz zur Unterbringung vieler Göttergestalten des Polytheismus in durchsichtiger Verhüllung, obzwar in untergeordneten Stellungen. Vor allem verschloß sie sich nicht dem Eindringen abergläubischer, magischer und mystischer Elemente ..." (StA B IX, 536). Der Lohn dieser Rücknahme ist aber der Auszug aus dem Ghetto. Vielleicht hat sich aus judaistischer Sicht das Christentum mit der Bewältigung der antiken Kultur "überfressen" und der notwendige Verdaungsschlaf dauerte über 1000 Jahre, doch dann konnten sich Europäer als das neue Volk Gottes verstehen und ihren Kolonialismus als neue Landnahme, wie es in Händels Oratorien zum Ausdruck kommt Das Christentum bewahrt freilich auch antike Traditionen, aber es verbindet sich mit den am stärksten auf Rationalisierung gehenden Elementen der Antike (mit der aristotelischen Philosophie und der galenischen Medizin), die das numinose Welterleben am wenigsten betonen. Dahinter steht der Wille zur Depotenzierung des Irdischen, zur Negierung der Geister und Götter zugunsten des einen supramundanen Gottes. Vittorio Hösle, der das Christentum für seine Brückenfunktion preist, macht zwar darauf aufmerksam, daß bei der Übernahme durch die "Barbaren" Abstriche am Rationalitätsstandard zu machen waren. Doch gerade der Bruch durch die Barbarenstürme war notwendige Bedingung für die Formierung des neuzeitlichen Weltbeherrschungsprojekt: Der Bemächtigungsantrieb der führenden Schichten in der Antike wäre dafür zu schwach gewesen. Für sein ungleich stärkeres Auftreten in der Neuzeit war die Verwirklichung des Dualismus in der Lebenswelt 84 und die Stabilisierung einer Gegenwelt im Mönchtum des Mittelalters nötig. Gerade hier prägen sich die radikal dualistischen Elemente aus und damit der Kampf gegen die Welt, wie sie ist. Der Bruch ist die Signatur des Christentums. Säkularisierung als Zu-sich-selbst-Kommen des Christentums Die christliche Mission hat den Unterbau abgeschlagen, auf dem Religion überhaupt wurzelt.105 Langfristig gesehen ist die Kultur des christlichen Mittelalters ein Schnittblumenphänomen, sie ist a) ein Oberschichtphänomen, während die Christianisierung auf dem flachen Land nicht sehr tief drang, b) als Religion abgeschnitten vom Wurzelgrund des Religiösen in numinoser Naturerfahrung. Die Ausrottung des "Heidentums" gelang der Kirche erst in der Neuzeit im Verein mit einer Rationalisierung,106 die sich bereits gegen das christliche Mysterium selbst (Transsubstantion) zu richten begann. Hexenverfolgung ist in ihrem Schwerpunkt ein spätmittelalterliches und neuzeitliches Phänomen. Erst als die Drecksarbeit der Entwurzelung der Religion von den Inquisitoren wirklich gründlich erledigt war, wandte sich die "aufklärerische" Elite gegen diese auch in der christlichen Form. Die Konfessionsspaltung und ihr blutiger Austrag in unentwirrbarer Mischung mit "weltlich"-politischen Interessen tat ein Übriges. Ebenso der Konflikt mit den Ergebnissen der Naturwissenschaften nach Kopernikus. Doch diese Wissenschaften sind selbst Produkt eines Raumes, den das Christentum schuf. Dies in doppelter Weise, einerseits durch Entgöttlichung der Natur, andererseits durch Förderung der am wenigsten mit Mythos und Magie durchsetzen aus der Antike überkommenen Wissenschaftsrichtungen (Galen und Aristoteles). Die von Dijksterhuis (1956, 143 f.) als problematisch gesehene Allianz mit dem Aristotelismus verleiht der Entgötterung der Natur überhaupt erst Durchschlagskraft. Der Platonismus ließ immer wieder zurücktendieren zu einer Dea Natura oder Weltseele wie bei der Schule von Chartres (Dijksterhuis, Economou, Modersohn). Der Psychologe Wolfgang Giegerich (1988, 276) betont freilich zu Recht die Ambivalenz der Kirche, die von einer Instanz der Zerstörung in Antike und Frühmittelalter zu einer der Bewahrung von Frömmigkeitsresten im alten Sinn wird. Doch die Besen, die vorher gerufen worden waren, waren in der Neuzeit eben schon nicht mehr beherrschbar. 105 Speyer 1989, 476 spricht von einem Pyrrhussieg über die Antike, dessen Rückschlag die Renaissance sei. Die Renaissance ist aber nur einerseits Rückgriff auf die Antike, andererseits ist sie Verschärfung der Religionsverdünnung und projiziert ihre eigene Gesinnung auf die Antike zurück. 106 Thomas von Aquin preist Wissenschaft als dienlich im Kampf gegen den Aberglauben (Dijksterhuis 1956, 147). 85 Auslaufen in Machtvergötterung Mit der Religion löst sich aber nicht die Kirche auf, sondern an die Stelle der Religion tritt (in institutioneller Kontinuität) eine bestimmte Form von Anbetung der Macht. Das westliche Christentum schließt im Kampf gegen die innerweltlichen Numina des Heidentums mehr an das römische Verständnis der Numina als Mächte als an das griechische Verständnis als Erscheinungen an. Der sonst unsichtbare Gott zeigt sich durch den Effekt, dadurch bekommt die Geschichte eine Autorität als Gericht ("Die Weltgeschichte ist das Weltgericht"). Die Geste ist in den Missionsberichten angelegt: Bonifaz fällt den Götterbaum, um dadurch zu beweisen, daß die heidnischen Götter machtlos sind. Vergessen ist, daß dies auch das Argument der jüdischen Orthodoxie gegen Jesus war: Wenn Du Gott bist, dann hilf dir selbst und steig herab vom Kreuz. Es ist aus dieser Perspektive nur zu selbstverständlich, Geschichte als Geschichte der Sieger zu schreiben. Umgekehrt: nur zu den Siegern zu gehören, kann die Richtigkeit, die Gerechtfertigtheit des eigenen Handelns garantieren. Das ist im Calvinismus am radikalsten ausgeprägt, und wird in der Erfolgsanbetung als Ersatzreligion des Bürgertums weitergeführt. Macht als Wahrheitsbeweis hat auch die reduktionistische Wissenschaft übernommen, und es ist bis heute ihr durchschlagenstes Argument: Der Reduktionismus kann nicht falsch sein, schließlich verschafft er uns Herrschaftswissen.107 Der Darwinismus war nicht zuletzt deshalb so erfolgreich, weil er reduktionistische und fortschrittsgeschichtliche Denkweisen verband. Ein weiterer Aspekt liegt dem Christentum -insbesondere in seiner augustinischprotestantischen Form eines willkürlich despotischen Gottes- zugrunde: Wenn die Naturordnung oder Gott von dieser Art ist, dann ist der Mensch ihm eigentlich durch sein moralisches Bewußtsein überlegen. Selbst wenn er unterginge, wäre prometheische Rebellion gerechtfertigt. Selbstzerstörung als Signum Die Strukturgleichheit von christlicher und Aufklärungs-Anthropozentrik äußert sich nicht zuletzt in einem merkwürdigen selbstzerstörenden Charakter. Einerseits entzieht sich das Christentum im Verlauf der Jahrhunderte selbst seinen Boden, indem es den Boden austrocknet, aus dem die religiöse Qualität der Wirklichkeit erwächst.108 Andererseits aber verkehrt es 107 Das Schema bricht auch Georg Picht nicht völlig, er wendet es nur per Nachhaltigkeit gegen den Reduktionismus, wenn er sagt: "Eine Wissenschaft, die zerstört, was sie zu erkennen vorgibt, kann nicht wahr sein". 108 Eine Parallele zur Dequalifizierung von konkreten Göttern zu einem Gott mit nur einer Hälfte der Eigenschaften und schließlich zu einem qualitätslosen Göttlichen (Deismus), ist die Herausbildung einer Ästhetik mit dem unqualifizierten Prädikat "schön" anstelle der konkreten Bezeichnung von Wahrnehmungsqualitäten. 86 sich mit dem Verlust seiner spirituellen Substanz selbst in sein Gegenteil. Es zerstört das, was es auf seine Fahnen schreibt, nämlich Religiosität (Hoffnung, Gewißheit, Sicheinswissen, Überwindung der Weltangst). Der Grund muß darin liegen, daß es etwas nicht Anstrebbares in ein Anstrebbares verbiegt.109 Die Religion der Liebe ist eine Bewegung mörderischen Hasses geworden. Das Urphänomen der Liebe ist, wenn kausal zu erfassen versucht, immer schon negiert. Im ansonsten völlig kausal bestimmten "ökologischen" Denken ist die Forderung nach Reversibilität von Prozessen ein letzter verdünnter Rest. Gegenseitigkeit denken heißt, der Logik der Liebe und nicht der Logik der Macht folgen. Es hat enorme Konsequenzen, ob ich Liebe als ein Gefühl (subjektiv und monozentrisch) oder als eine Wirklichkeit (bizentrisch) beschreibe. Im einen Fall ist ihre Gegenseitigkeit bestenfalls noch als wechselseitiger Egoismus "rekonstruierbar", im anderen Fall ist die Realität als Polarität ihren Trägern vorgängig. Diese Struktur geht in merkwürdiger Weise auf die Säkularisate des Christentums über. Die postchristlichen Großideologien Marxismus, Faschismus und Liberalismus scheitern alle merkwürdiger Weise genau an dem Punkt, den sie besonders betonen: Der Marxismus betrachtet die materielle Produktion als das Zentrum der Gesellschaft, und genau an dem Unvermögen, sie zu steigern, scheitert er. Der Faschismus schreibt sich die Identität Mitteleuropas gegen amerikanischen und bolschewistischen Materialismus auf die Fahnen, und zerstört diese nicht erst durch seine Niederlage, sondern schon durch seine Vergewaltigung der gewachsenen Strukturen. Der Liberalismus schließlich, der die individuelle Freiheit aufs Panier erhoben hat, bringt einen globalisierten Selbstverkaufszwang hervor, der Freiheit von direkt herrschaftlichen Bindungen zur Freiheit, den Arbeitsplätzen nachzuziehen, verkommen läßt. Die Menschenrechtsideologie schließlich, über die der Westen sich nach Vietnam zunehmend definiert, will das Individuum stärken. Im Namen der Menschenrechte werden aber Kulturen uniformiert und dadurch Menschen ihrer Identität beraubt. 4. Praxis Schaffung einer Lebensform jenseits der Scheidung von Herr und Knecht Die Spaltung von ethisch verantwortlichem Subjekt und bloßer Natur, von der Sokrates sagt, sie wolle ihn nichts lehren, und die Spaltung von einer einem himmlischen Ort angehörigen Lichtnatur und einer finsteren Triebnatur sind zwei Seiten ein und desselben Spaltungsprozesses. Daß es in der Antike zu keiner technischen Entwicklung kam, ist zurückzuführen auf die 109 Es scheint nicht davon besser zu werden, daß man Erlösung als Gnade formuliert, denn man kommt damit 87 Ungebrochenheit des zyklischen Geschichtsbilds, die stets wache Sinnfrage, den stetigen, die Isolation eines bloß Funktionellen ausschließenden Bezug auf das Ganze, die Geringschätzung des nur Nützlichen und Banausischen und des schrankenlosen Gelderwerbs, die Unterscheidung von Verstehen und Verändern der Welt (Lämmli 1968, 60), kurz der Ungebrochenheit des Homo religiosus, bei aller intellektuellen Ziseliertheit. Diese Kennzeichen des antiken Gebildeten bilden eine wirksame Barriere gegenüber jeder Entwicklung einer Zivilisation110 im modernen Sinn. Die Abwertung der Welt schließt die der kulturellen Hierarchien ein. Das Christentum wertet die Hand- und Erwerbs-Arbeit gegenüber der Antike auf. Freilich wird ihr bei den antiken Christen noch keine Heilsbedeutung zugesprochen. Dies setzt erst mit der karolingischen Zeit ein. Erst am Ende des 10. Jahrhunderts erscheint der Fabricator Mundi mit technischen Geräten. Träger dieser Strömung ist das benediktinisch geprägte Mönchtum. Mönchtum bedeutet eine Lebensweise, die für die theoretische Zwischenstellung des Christentums zwischen kontemplativem Darüberstehen und handelndem Involviertsein eine praktische Verwirklichungsform anbietet. Arbeit wird zum Heilmittel. Der Bürger protestantischer Prägung ist ein aus dem Kloster entsprungener Mönch, wie es Luther auch persönlich war.111 Das Christentum schlägt die Brücke von theoretischer Unzufriedenheit mit der Welt zu praktischer Veränderung. Wesentlich dafür sind Unterströmungen, wie der Chiliasmus, der eine Wiederherstellung des Paradieses auf Erden denkbar macht. Gregor der Große argumentiert aufgrund des Dominium Terrae, an dem jeder Mensch teil habe, gegen die Sklaverei. Als Würde des Menschen erscheint seine Schöpferfähigkeit (Krolzik 1979,73). Auch bei der Einstellung zur Handarbeit beobachtet Krolzik (1979, 65 f.) einen deutlichen Unterschied zwischen Ost- und Westkirche. In ersterer wird das kontemplative Leben in Auslegung von Luk 10,38-42 deutlich vorgezogen. Wenn im mönchischen Zusammenhang gearbeitet wird, dann geht es um die Übung, nicht um das Produkt, ja es kann sogar der Teppich, der tags gewebt wird, abends wieder aufgetrennt werden (Krolzik 1979, 68). Dagegen läßt ein gallischer Abt seinen Mönchen eine Wassermühle bauen, damit sich die Mönche nicht mehr mit Handmühlen abplagen müssen.112 Auch Aggressivität gegenüber den Naturgöttern, soweit nicht aus der Subjekt-Objekt-Stellung heraus. 110 Zivilisation heißt Verbürgerlichung und Bürger meint die Einheit von Herr und Sklave in einer Person. 111 Mit Recht weist Mumford (1977, 301 ff.) auf diesen Zusammenhang hin. 112 Gregor von Tours, zit. Krolzik 1988, 68. Büchel stellt dieses Beispiel der bekannten chinesischen Technikkritik gegenüber, wonach, wer Maschinen benutzt, ein Maschinenherz bekomme. Tatsächlich ist die Wassermühle eine Entfernung der Maschine. Gerade die Mühlen von Clairvaux erscheinen in der zisterziensischen Schilderung des Klosters (PL 185, 570 f.) als Bild dafür, wie die Natur den Boten des Geistes dient. Die Durchsetzung der Wassermühle von Klöstern aus könnte freilich auch einen Grund in den dort weniger komplizierten Rechtsverhältnisen haben. 88 mit Arbeit verbunden (Baumfällen), ist für einen östlichen Mönch kaum denkbar (Krolzik 1979, 67). Zusammengehen von Empirie und Mathematisierung Man kann die verzögerte Wirkung vielleicht auch daraus erklären, daß Platonismus und Aristotelismus bis zur Neuzeit immer getrennt auftraten, wobei dem Platonismus die Empirie113 und dem Aristotelismus die Mathematisierung fehlte.114 Erst die Verbindung beider115 schafft den Sprengstoff für den Kampf gegen die Natur. Vorläufiges Fazit Das Christentum ist die Form, in der die Abkehr vom Polaritätsdenken der Erfahrungsreligion im Abendland Radikalität gewinnt und der Rückweg unter Todesdrohung abgeschnitten wird. Das Christentum zementiert eine Entscheidung, die in der Antike bereits gegen Heraklit gefallen ist (Schmitz 1999), die aber erst mit dieser Zementierung unumkehrbar wird. Man kann sich mit den Apologeten des Christentums darauf verständigen, daß nicht das Christentum schuld ist, sondern seine Entgleisung, aber man muß klarstellen, daß es gegen diese Entgleisung – auch wenn sie vielleicht nicht notwendige Weiterentwicklung ist (als Gegenbeispiel erscheint die Ostkirche) – keine Haltegriffe mehr gibt, wenn einmal die conditio humana als zu überwindende erscheint. Auch Drewermann (1990, 80) betont gegen Krolzik, daß im Judaismus die Natur von Anfang an nur Mittel war. Es ist letztlich nicht der Unterwerfungsauftrag, auch nicht die Entzauberung der Naturgötter, sondern der Versuch, aus der menschlichen Grundbedingtheit auszubrechen. Ansätze dafür hat es auch in anderen Kulturen gegeben, zu erklären ist, warum im westlichen Christentum kein Rückweg mehr von der Idee zur Erfahrung gefunden wurde. Entscheidend scheint hierfür die Vergeschichtlichung der Wirklichkeit durch Sündenfall und Restitution, die es auch im Islam nicht gibt. Das Christentum scheint mir weniger ein Movens für den abendländischen Sonderweg als vielmehr eine ermöglichende Bedingung, und zwar vor allem dadurch, daß es gegenüber der antiken Dualität von betrachtender Weisheit und handelndem sich Einrichten in der Welt, eine andere, nämlich die von Weltgebundenheit und Weltablösung stark machte. Diese neue Dualität wurde sozial realisiert, als das Christentum anderen Kulturen aufgepfropft wurde, so daß 113 Dijksterhuis polemisiert gegen Platons Überschätzung der Möglichkeiten des Denkens gegenüber der Erfahrung. 114 Bezeichnend für letzteres scheint mir Anneliese Maiers (1955, 402) Bemerkung, daß man gegen das Messen die Ungenauigkeit anführte, daß man sich also gegen den Verzicht auf Exaktheit und die Lösung vom Augenschein sperrte, die die "exakte" Naturwissenschaft überhaupt erst möglich machen. 89 sich eine Spaltung von autochthoner und aufgepfropfter Kultur (Unter- und Oberschicht) ergab. In dieser Zweiteilung konnte in Verbindung mit dem grundsätzlichen Impuls eines Nichteinverstandenseins mit der vorhandenen Welt die praktische Arbeit an der Perfektionierung der irdischen Bedingungen als Teil einer Überwindung der Welt begriffen werden. Die Bedeutung des Christentums wäre aber schon enorm, wenn seine Rolle allein darin bestanden hätte, dem praktischen Veränderungswillen eine Nische zu schaffen, in der er sich nicht sofort gegenüber Transzendenzforderungen rechtfertigen mußte. Ob die Antriebe der Eroberer und Techniker tatsächlich religiöse oder sehr "weltliche" waren, ist weniger wichtig gegenüber der Tatsache, daß diese Form der Religion ihnen einen Spielraum und eine Rechtfertigung gab, so daß sie sich den eigenen Motiven gar nicht stellen mußten. Historische Fragen Es handelt sich auch bei meiner eigenen Skizze um einen reichlich freihand gezeichneten Entwurf, wie die Hauptwirkungen des Christentums auf das Naturverhältnis in ihrer Interaktion zu denken sein könnten. Historische Forschung wird, um auf sicheren Boden zu kommen, eine solche Skizze lediglich als Perspektive nehmen können, ansonsten aber sich der Untersuchungen einzelner Elemente widmen müssen. Eigentlich ist heute freilich weniger interessant, wie es zur Moderne kam, als wie sie überschritten werden kann. Eine Brücke zwischen beiden Fragerichtungen bildet vielleicht eine genauere Untersuchung der Selbstzerstörungsdynamik im Christentum und seinen neuzeitlichen Säkularisaten. Es geht perspektivisch darum, Transzendenz wiederzugewinnen. Wenn Rolf Peter Sieferles Analyse eines absehbaren Scheiterns des Universalismus richtig ist, dann geht es darum, Transzendenz als Lebensbedingung der Humanität gerade von der Universalität zu lösen. Das geht selbstverständlich nicht im geschichtsleeren Raum, sondern nur in Anknüpfung an Traditionen, die als Unterströmungen immer vorhanden geblieben sind. Und hier muß historisch gefragt werden: - Wo zeigen sich Erbstücke nicht universalistischer Transzendenz? (etwa im Polaritätendenken seit Heraklit). - Wo zeigt sich in der Geschichte des Christentums die Notwendigkeit eines Rückgriffs auf erfahrungsreligiöse Elemente (Bendrath) ? - Was sind die Bedingungen der Funktionsfähigkeit des Traditionsprinzips? - Sind alle anderen Konzepte traditionaler Gesellschaften Natur-Hierarchie-Konzepte? - Inwiefern ist die Verdienst- und Pflichtethik (Ferry) überhaupt Produkt des Christentums? (Vergleichspunkt wäre wohl der Konfuzianismus). 115 Von Groh/Groh 1991, 36 in Italien lokalisiert, während die englische Forschung mehr platonisch gewesen sei. 90 - Wann kommt welcher der verschiedenen schon bei White und in der Debatte seither genannten Faktoren zum Tragen? - Was bedingt die Verbindung der Faktoren? - Welche Beschleunigungs- und Verzögerungsfaktoren wirken auf die dem Christentum immanente Dynamik ein? Wird der Prozeß durch die Völkerwanderung zurückgeworfen oder beginnt er erst auf deren Grundlage (man kann ja sagen, daß das Lehenssystem einem Polaritätsdenken nahesteht). Nicht zuletzt wäre es freilich einmal interessant, die Debatte um das Christentum als mögliche Wurzel unserer ökologischen Krise selbst als historisches Phänomen zu betrachten. Gerade von kirchlicher Seite wäre längst eine Thematisierung zu erwarten, was hier eigentlich vorgegangen ist. Ist doch die Theologie und Kirchengeschichte beider großer Konfessionen vor rund 100 Jahren dem Projekt aufgesessen, in Verteidigungsstellung gegen die liberale Kritik das Verdienst des Christentums am abendländischen Sonderweg aufzuzeigen. Kritiker, die darin schon damals kein Ruhmesblatt sahen (wie Klages), glaubte man vernachlässigen zu können, doch damit stellte die pro-christliche Geschichtsschreibung das Material bereit, das White, Amery, Drewermann u.a. mit geändertem Vorzeichen nur zu übernehmen brauchten, nachdem die Moderne problematisch geworden war. 91 Literatur AMERY Carl (1972): Das Ende der Vorsehung – die gnadenlosen Folgen des Christentums, Reinbek. AMERY Carl (1994): Die Botschaft des Jahrtausends, München. AMERY Carl (1998): Hitler als Vorläufer, München. ANDERSON William (1993): Der grüne Mann, Solothurn. ANDRESKI Stanislav (1984): Max Weber‘s insights and errors, London. BARBOUR Jan (1973): Western man and environmental ethics: Attitudes towards Nature and Technology, London. BATAILLE Georges (1979): Der heilige Eros, Berlin. BATCHELOR Martine et a. (1992): Buddhism and Ecology. BENDRATH Christian (1999): Christentum 2000, in: Novalis 11/99, 19-20 und 47. 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