Anstrengungsinduzierte Kopfschmerzen

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Kopfschmerzen mit Gefahrenpotential
2. Seekongress
Michael Bodmer, Allgemeine Innere Medizin,
Inselspital Bern
September 2014
1
Fallbeispiel 1
17 Jahre alte Frau bemerkt ein Kribbeln im Bereich des linken Armes sowie
einige Minuten später ein Augenflimmern. Nach ca. 30 Minuten Regredienz.
Kurz darauf stechende periorbitale Schmerzen im Bereich der rechten
Schläfe, VAS 7. Lichtscheu, keine autonomen Symptome.
• PA: unauffällig
• Klinische Untersuchung: keine neurologischen Auffälligkeiten und
internistischer Status ebenfalls ohne pathologische Befunde
• Diagnose?
• Was machen Sie in der Praxis?
2
Diagnose der Migräne
Migräne mit Aura
Mindestens 2 Attacken welche die untenstehenden Kriterien erfüllen
Vorhandensein eines oder mehrerer Aura-
•
Visuell
Symptome die folgenden Systeme betreffend
•
Sensibel
•
Sprechen oder Sprache
•
Motorisch
•
Retinal (okulär)
•
Entwicklung mind. eines Symptoms über 5 min oder
Mindestens zwei der folgenden
Charakteristika
≥2 Symptome entwickeln sich nacheinander
•
Dauer 5-60 min
•
Auftreten von Kopfschmerzen innerhalb von 60 min
nach der Aura
Nicht besser erklärbar durch andere Kopfschmerzursache und Ausschluss einer TIA
The International Classification of Headache Disorders, 3rd edition (beta version). Cephalalgia 2013; 33:629
4
Kopfschmerzen in der HA-Praxis
• Meistens Migräne (56-75%) oder migräniforme Kopfschmerzen (18%)
• Selten Spannungskopfschmerz, Clusterkopfschmerz oder andere
Formen (≤3%)
Migräne ist die häufigste Ursache für Kopfschmerzen beim
Hausarzt
Stang et al Headache 1994:34:138-142; Dowson et al Cephalalgia 2002;22:590-591 (abstract only) 5
Migräne in der Praxis
• 5 Attacken abwarten und erst dann die Diagnose stellen?
• POUNDing Kriterien [Pulsierend, Dauer 4-72 h, unilateral, Übelkeit/Erbrechen, sehr stark]1
– Positive LR 24 (95% CI 1.5-388)
≥4 Charakteristika
– Positive LR 3.5 (95% CI 1.3-9.2)
3 Charakteristika
– Positive LR 0.4 (95% CI 0.3-0.5)
≤2 Charakteristika
• Empfehlungen
– Bei der ersten Migräne-Attacke mit Aura sollte durch ein bildgebendes
Verfahren eine sekundäre Ursache ausgeschlossen werden
– Bei rezidivierender Migräne sind bildgebende Verfahren kaum hilfreich2
respektive die erhobenen Befunde klinisch kaum relevant3
1Detsky
et al JAMA 2006;296(10):1274; 2Eller and Goadsby Expert Rev. Neurother. 2013;13(3):263; Palm-Meinders et
6
al JAMA 2012;308(18):18893
Fallbeispiel 2
38 Jahre alter Patient mit bekanntem Clusterkopfschmerz (typische Attacken in
Aktuell seit 12
h links orbital drückende Schmerzen, klinisch Untersuchung zeigt Miosis und
Ptose rechts
der Vergangenheit: Dauer 30 min, links orbital, Miosis, Rhinorrhoe, Miosis, Ptose).
• Deutlich länger Schmerzen als sonst, Horner-Symptomatik (wie gehabt)
• Wie weiter? Bildgebung?
8
Fallbeispiel 2
MRT
9
Kopfschmerzen auf der Notfallstation
• Bis 1-5% aller Notfallkonsultationen erfolgen wegen Kopfschmerzen
• In 60-81% der Falle handelt es sich um primäre Kopfschmerzen,
meistens um eine Migräne
• 19-34% sekundäre Kopfschmerzen
• Ziel 1: Identifikation und Behandlung von gefährlichen und kausal
behandelbaren sekundären Kopfschmerzursachen
• Ziel 2: Identifikation primärer Kopfschmerzursachen (Migräne!) und
korrekte Behandlung und Sicherstellung der Nachsorge
Sturzenegger et al Schweiz Med Forum 2012;12(4):72-77
10
Einfaches Flussdiagramm: Kopfschmerz
Sorgfältige Anamnese und klinische Untersuchung
Alarmzeichen?
Nein
Whs. primärer Kopfschmerz
Ja
Sekundäre Kopfschmerzursache
suchen
Nein
Klassifizierbar?
Ja
Arbeitsablauf gemäss
Verdachtsdiagnose
Spezifische Ursache
•
•
•
•
•
•
Migräne
Spannungskopfschmerz
Trigemino-autonome KS
Chronisch-täglicher KS
Analgetika induzierter KS
Varia
11
Alarmzeichen: Checkliste!
 Schädelhirntrauma
 Abnormer neurologischer Status
 Plötzlicher schwerster Kopfschmerz
 Fieber
 Clusterkopfschmerz
 Erster oder schlimmster oder veränderter Kopfschmerz
 Durch Husten/Valsalva-Manöver ausgelöster Kopfschmerz
 Anstrengungsinduzierter Kopfschmerz
 Kopfschmerz durch sexuelle Aktivität
 Alter >50-60 Jahre
 Sekundäre Risikofaktoren
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Alarmzeichen: Trauma
Trauma
• Ausschluss Blutung (CT/MRI; eventuell repetitiv)
– Kontroversen bei leichtem SHT
• Durale Venethrombose (CT/MR-Venografie)
• Hinweise für Dissektion [auch nach chiropraktischer Intervention]
13
Alarmzeichen: Pathologischer Neurostatus
Fokale-neurologische Zeichen, quantitative oder qualitative
Bewusstseinsstörungen bedingen eine rigorose Abklärung (MRI/MR-A,
Venografie, Lp): Kopfschmerz steht bei Abklärung im Hintergrund
• Positive LR 5.3 (95% CI 2.4-12.0) für signifikante intrazerebrale Pathologie1
Blutung
Zerebrale Angiitis
Anfallsleiden
Tumor
TIA/Stroke
Fokale Neurologie oder
Bewusstseinsstörung
+ Kopfschmerzen
Meningoenzephalitis
Sinusvenenthrombose
Hydrozephalus
1Detsky
et al JAMA 2006;296(10):1274
14
Alarmzeichen: plötzlicher Kopfschmerz
Plötzlich einschiessender massiver Kopfschmerz («thunderclap headache [TCH]»)
• Subarachnoidalblutung [in etwa 25% der Patienten]
– CT, Lumbalpunktion
•
•
•
•
•
•
Sentinel-Kopfschmerz bei nicht rupturiertem Aneurysma [10-43% der Patienten mit SAB]
Dissektion [20% haben TCH]
Intraparenchymatöse Blutung [2-6% haben TCH, noch seltener bei Stroke]
Sinusvenenthrombose [2-13% haben TCH]
Spontane intrakranielle Hypotension [14% mit TCH, geringe Fallzahlen]
Hypophysenapoplex
•
•
•
•
•
Reversibles zerebrales Vasokonstriktionssyndrom
Reversibles posteriores Leukenzephalopathiesyndrom (PRES)
Barotrauma bei Sinusitis
Primärer, benigner TCH
Akuter obstruktiver Hydrozephalus
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Alarmzeichen: Fieber/Hyperthermie
Fieber bedingt rigorose Abklärung nach der Ursache
•
•
•
•
•
•
•
Intrakranielle Infektion
Sinusitis
Systemische Infektion
Subarachnoidalblutung
Tumorerkrankung
Rheumatologische Erkrankung [Fieber in 50% bei Riesenzellarteriitis]
Intoxikationen
• Familiäre hemiplegische Migräne
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Alarmzeichen: Cluster-Kopfschmerz
Clusterkopfschmerzen sind mit einem erhöhten Risiko für intrakranielle
Pathologie assoziiert
• Streng einseitiger, schrecklicher, episodisch in Clustern auftretender KS
• Autonome Zeichen (Augentränen, Rhinorrhoe)
• Positive LR 11 (95% CI 2.2-52) für signifikante intrazerebrale Pathologie1,2
JEDER erstmalige Clusterkopfschmerz braucht eine bildgebende
Abklärung (MRI) zum Ausschluss sekundärer Ursachen
– Assoziierte Pathologien: Grosses Aneurysma, Meningeome, AV-Malformationen,
Makroadenom der Hypophyse, Aspergillome in den Sinus, Gutartige Tumore der hinteren
Schädelgrube, Hämangiom Sinus cavernosus
1Detsky
et al JAMA 2006;296(10):1274; 2Favier et al Arch Neurol. 2007;64(1):25
17
Alarmzeichen: Der erste, schlimmste oder nicht
klassifizierbare KS
• Problem: der erste Kopfschmerz ist häufig nicht klassifizierbar
[per definitionem: Migräne, Clusterkopfschmerz, Spannungskopfschmerz]
• Studienlage ist wenig aussagekräftig
– Positive LR 1.6 (95% CI 0.23-10.0) für signifikante Pathologie bei
aggrarviertem KS
– Positive LR 1.2 (95% CI 0.74-2.0) für signifikante Pathologie bei neuem KS
– Positive LR 3.2 (95% CI 0.37-25) für nicht klassifizierbaren oder nicht als
primär erkannten KS
• Entsprechend breite (MRI) Abklärung, oft unergiebig
– Suche nach Tumoren, Subduralhämatomen, Analgetika-Missbrauch
Detsky et al JAMA 2006;296(10):1274
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Alarmzeichen: Valsalva getriggerter KS
Durch Husten oder Valsalva-Manöver ausgelöster Kopfschmerz
• Hinweis auf Prozess der hinteren Schädelgrube, des zervikookzipitalen
Übergangs oder Zeichen für erhöhten Hirndruck
– 40-59% mit relevanter intrazerebraler Pathologie1,2
– am häufigsten Budd-Chiari-Malformation
1Pascual
et al J Headache Pain 2008;9(5):259; 2Pascual J Neurology 1999;46(6):1520
19
Alarmzeichen: Kopfschmerz bei Anstrengung
Anstrengungsinduzierte Kopfschmerzen können auf sekundäre Ursachen,
meistens eine Subarachnoidalblutung hinweisen
• Fallserie 12/28 Patienten hatten strukturelle Läsion (10 eine SAB, 1 multiple Metastasen, 1 Sinusitis)1
• Auch an Dissektion denken
• Aber auch häufige Assoziation mit Migräne
Bei JEDEM erstmaligen anstrengungsinduzierten Kopfschmerz sollte eine
sekundäre Ursache ausgeschlossen werden
De Luca et al Semin Neurol 2010;30:131; 1Pascual J Neurology 1999;46(6):1520
20
Alarmzeichen: Sexuelle Aktivität und KS
Prä- und periorgastischer Kopfschmerz kann auf sekundäre Ursache
hinweisen (meistens eine SAB)
• In 20/30 Patienten (67%) liess sich eine sekundäre Ursache nachweisen1
[1 SAB, 1 Basilarisdissektion, 18 eine reversibles zerebrale Vasokonstriktionssyndrom]
• 4-12% der Patienten mit SAB haben Krankheitsbeginn beim Sex2
Bei JEDEM erstmaligen mit sexueller Aktivität assoziiertem Kopfschmerz sollte eine
sekundäre Ursache (SAB, Dissektion) ausgeschlossen werden (CT-A/MR-A, Lp)
1Yeh
et al Cephalalgia. 2010 Nov;30(11):1329-35; 2De Luca et al Semin Neurol 2010;30:131
21
Alarmzeichen: Alter
Neu aufgetretener Kopfschmerz im Alter über 50 Jahre
• Zerebrovaskuläre Insulte
• Tumoren [in nur 1% das alleinige Symptom, allgemein in 50-60%]1
• Riesenzellarteriitis (!)
• Schlafgebundener Kopfschmerz («hypnic headache»)
– Sekundäre Ursachen: OSAS, Tumor hintere Schädelgrube, Hypertonie, pontiner Infarkt1
• Myokardinfarkt
Bei JEDEM erstmaligen, sich verschlimmernden oder veränderten
Kopfschmerz über 50-60 Jahre auch an Riesenzellarteriitis (Arteriitis
temporalis) denken
1Tanganelli
Neurol Sci. 2010 Nov;31:S73
22
Alarmzeichen: Sekundäre Risikofaktoren
•
•
•
•
Tumorleiden
HIV
Immunosuppression
Arterielle Hypertonie
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Spezifische Kopfschmerzursachen
• Sinusitis [Respiratorischer Infekt, verstopfte Nase]
• Akutes Engwinkelglaukom [Sehstörung, Halos, >50 Jahre, unilateral, Mydriase]
• Intrakranielle Drucksteigerung [Kopfschmerzen beim Erwachen, Verschwommensehen,
Koordinationsstörung, Verbesserung beim Aufsitzen]
• Arteriitis temporalis: [Alter >50 Jahre, Fieber, Kopfschmerzen, Kieferclaudicatio,
Doppelbilder, dolente Temporalarterien]
• Hirntumor [Übelkeit, Erbrechen, langsame Verschlimmerung der Kopfschmerzen, epileptische
Anfälle]
• Intrakranielle Hypotension
• Phäochromozytom [Hypertonie, Nausea, Blässe]
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Computertomografie oder MRI?
• CT bevorzugt bei Frage nach Frakturen, Sinusitis, Mastoiditis und
akuter Blutung
• MRI und CT gemäss De Luca et al1 äquivalent:
– MR-Angiographie und CT-Angiographie bei der Abklärung von
Dissektionen, Aneurysmen, Vaskulitis
– CT-Venografie und MR-Venografie bei der Abklärung der
Sinusvenenthrombose
• Bei anderen Fragestellungen MRI bevorzugt
• Strahlenbelastung spricht generell gegen das CT
1De
Luca et al Semin Neurol 2010;30:131: Eller et al Expert Rev. Neurother 2013;13(3):263
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Zusammenfassung
• Ausschluss sekundärer Kopfschmerzursachen ist die wichtigste
diagnostische Massnahme in Praxis und Notfallstation
• Systemtisches Vorgehen und Abarbeiten einer Checkliste
(Alarmzeichen) erlaubt eine einigermassen evidenzbasierte Abklärung
zur Identifikation gefährlicher Kopfschmerzursachen
• Eine bekannte Migräne ist keine Indikation für ein Schädel-MRI; bei
Erstmanifestation wird eine Bildgebung empfohlen (Datenlage?)
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