Medizintechnologie.de Werkzeug Ultraschall Die Kraft des Schalls Quelle: © magann - Fotolia.com 07.07.2014 Schon lange liefert Ultraschall dreidimensionale bewegte Bilder aus dem Körper. Doch die Schallwellen, deren Echo in Bilder von wachsenden Embryonen, Organen oder Tumoren umgewandelt werden können, können mehr. Forscher setzen Ultraschall nicht nur ein, um Medikamente ins Gehirn zu schleusen, sondern auch als Operationswerkzeug. 1 Überwindung der Blut-Hirn-Schranke Kaum ein Organ des Körpers ist so gut geschützt wie das Gehirn. Das wichtigste Organ des Menschen liegt nicht nur hinter dicken Schädelknochen, es wird vor allem durch die Blut-Hirn-Schranke abgeschirmt. Die Blut-Hirn-Schranke ist eine nahezu undurchlässige Wand aus Blutgefäßzellen, die die empfindlichen Hirnzellen vor Viren, Bakterien oder Schadstoffen aus dem Blut bewahrt. Das ist gut, doch die Barriere ist so unüberwindbar, dass auch 98 Prozent der Medikamente außen vor bleiben. So bleiben viele Chemotherpaeutika, mit denen Krebs sonst behandelt wird, gegen Hirntumore wirkungslos. Nathan McDannold, Forscher am Bostoner Brigham’s and Womens Hospital, hat nun einen Weg durch diese Barriere gefunden, der Dutzende von Medikamenten ins Hirn schleusen und Patienten neue Behandlungsoptionen eröffnen könnte – per Ultraschall. Quelle: © Sebastian Kaulitzki - Fotolia.com Das ist ungewöhnlich, denn bislang setzten Forscher und Mediziner darauf, Wirkstoffe chemisch zu verändern, in Kapseln zu verstecken oder als einen der wenigen Stoffe zu tarnen, die von den molekularen Grenzposten an der Blut-Hirn-Schranke durchgelassen werden. Nachteil solcher molekularbiologischer Tricks ist jedoch, dass sie für jeden Wirkstoff neu entwickelt und in aufwändigen klinischen Studien getestet werden müssen. McDannold hingegen setzt auf ein Phänomen, das amerikanische Forscher schon in den 1960er Jahren entdeckt hatten: Während der Ultraschallbehandlung von Versuchstieren beobachteten sie zufällig, wie blauer Farbstoff, mit dem sie das Blut markiert hatten, durch die Blut-Hirn-Schranke sickerte. Ein intensiver Ultraschallimpuls schien die Barriere kurzzeitig öffnen zu können. Doch damals konnten die Forscher die hohen Ultraschallintensitäten nicht präzise genug kontrollieren und verursachten teils bleibende Gewebeschäden bei den Versuchstieren. Bubbles helfen ins Hirn Gemeinsam mit Kullervo Hynynen, der inzwischen an der University of Toronto, Kanada, forscht, wagte McDannold Ende der 1990er Jahre jedoch einen neuen Anlauf. Er nutzte Techniken, mit denen Ultraschallwellen von Dutzenden Schallquellen auf dem Schädel auf einen Punkt im Kopf fokussiert und dort überlagert werden können, so dass nur im Fokus die Energie groß genug ist, um die Blut-Hirn-Schranke zu öffnen. Tatsächlich gelang McDannold im Jahr 2000 buchstäblich der Durchbruch – mit Hilfe von so genannten „Microbubbles“. Diese gasgefüllten Mikrobläschen werden in der Ultraschall-Diagnostik verwendet. Die Bubbles werden gespritzt, damit sie die Ultraschallwellen reflektieren. Das erhöht den Kontrast des Bildes aus dem Körperinneren. Doch als McDannold die Microbubbles ins Blut spritzte und die Intensität der Ultraschallwellen erhöhte, passierte etwas Ungewöhnliches. „Die Schallwellen beeinflussten die Microbubbles so, dass die Blut-Hirn-Schranke plötzlich durchlässig wurde“, erzählt McDannold. Entscheidend dabei war: Die Microbubbles öffneten die Blut-Hirn-Schranke bei einer viel geringeren Stärke der Ultraschallmenge, was die Zellen schont und deshalb sicher für den Patienten ist. Die Zellen der Blutgefäßwand, die über eine besonders enge Verbindungen namens „tight junctions“ die Blut-Hirn-Schranke bilden, bleiben intakt. „Wir sehen keine Löcher zwischen den Zellen“, sagt McDannold. Im Gegenteil: Der Ultraschall scheint die Zellen anzuregen, die Arzneistoffe aus dem Blut aktiv durch die Zelle zu transportieren. Ein paar Stunden nach dem Ultraschall-Einbruch hat sich der Hirn-Safe von selbst wieder so fest verschlossen, als wäre nichts gewesen. Genug Zeit, um Medikamente aller Art ins Hirn zu schleusen. Doch können dann auch Viren oder schädliche Stoffe ins Allerheiligste gelangen? „Bislang haben wir nichts dergleichen beobachten können“, sagt McDannold, der die Technik bereits erfolgreich an Versuchsaffen getestet hat. Im Juli diesen Jahres will seine Arbeitsgruppe in Kooperation mit der israelischen Firma InSighTec, die sich auf fokussierte Ultraschalltechniken spezialisiert hat, und Kulervo Hynynen am Sunnybrook Health Sciences Centre im kanadischen Toronto erstmals Patienten mit Hirntumor mit der Technik behandelt. Dabei soll sich zeigen, ob die Technik sicher ist und tatsächlich mehr von den Chemotherapie-Wirkstoffen an die Tumore der Patienten herankommen, wie es Dannold bei den Makaken beobachten konnte. 2 „Enormes“ Potenzial Sollten Dannold und Hynynen Erfolg haben, könnte die Technik diverse Wirkstoffe ins Hirn bringen. „Und zwar nur dort, wo tatsächlich der Tumor ist bzw. wo wir den Ultraschall fokussieren“, sagt Dannold. Dadurch können sowohl die Medikamentendosis gering gehalten als auch Nebenwirkungen vermieden werden. Im Grunde lässt sich die Technik auch einsetzen, um Medikamente in die Netzhaut des Auges oder die Niere zu bringen. Dort bilden die Blutgefäßwandzellen eine ähnlich dichte Barriere wie um das Gehirn. Das Potenzial seiner Einbruchs-Technik, so McDannold, sei „enorm“. McDannold ist nicht der einzige, der die Blut-Hirn-Schranke mit Ultraschall durchgängig zu machen versucht. Auch Kullervo Hynynen in Toronto testet die Technik. In Deutschland Perforation der Gefäßwandzellen mit Hilfe von experimentiert seit 2006 Stephen Ultraschall (Sonoporation): Die mittels Meairs an der Universität Heidelberg hochintensivem, fokussiertem Ultraschall zum mit Ultraschall. Zum einen hat er Platzen gebrachten Mircobubbles ermöglichen den überprüft, ob die Prozedur eventuell thearpeutischen DNA-Plasmid-Ringen das Schäden verursacht. „Die Energie des Durchdringen der geweiteten Gefäßwandbarriere. Ultraschalls versetzt die Zellen Quelle: © Graphic: Philips kurzfristig in einen Zustand, wo sie nicht mehr richtig funktionieren“, sagt Meairs. Doch das sei nur kurzfristig und reversibel. „Die Prozedur ist nicht völlig harmlos, aber wenn man damit wichtige Medikamente ins Gehirn befördern kann, dann überwiegen die Vorteile.“ Als erster weltweit hat Meairs die UltraschallTechnik verwendet, um Gene ins Gehirn von Versuchstieren zu schleusen. „Wir haben Adeno Assoziierte Viren, die normalerweise nicht ins Gehirn kommen, als Genfähren benutzt und mit Hilfe von Ultraschall über die Blut-Hirn-Schranke transportiert“, sagt Meairs. Das sei für die Therapie von Schlaganfall interessant. „Wir haben die Stammzellen im Gehirn von Mäusen, die einen Schlaganfall hatten, zur Teilung angeregt, indem wir mit den NervenzellWachstumsfaktor BDNF (brain-derived neurotrophic factor) mit Hilfe von Ultraschall über die Blut-Hirn-Schranke transportiert haben.“ Meairs denkt aber auch noch in eine andere Richtung – buchstäblich. Denn kürzlich entdeckten Forscher, dass bei Alzheimer der Transportmechanismus defekt ist, der Proteinabfälle über die Blut-Hirn-Schranke aus dem Hirn schafft. „Vielleicht kann man Alzheimer also behandeln, indem man per Ultraschall den Transport in die andere Richtung, heraus aus dem Hirn ins Blut, anregt“, hofft Meairs. So eingesetzt, ist Ultraschall dann mehr nur Mittel zum Zweck des Arzneimitteltransports, sondern wird zum therapeutischen Werkzeug. 3 Ultraschall als Skalpell Ultraschall wird schon länger operativ als therapeutisches Werkzeug eingesetzt, denn mit den Schallwellen können Patienten operiert werden, ohne den Körper zu öffnen. Besonders hilfreich ist das bei Erkrankungen des Gehirns, wo Chirurgen nicht einfach Hirngewebe durchschneiden können, um an einen Tumor oder die Nervenzellen heranzukommen, die für epileptische Anfälle verantwortlich sind. Um per Ultraschall am Hirn operieren zu können, werden Patienten in einen Magnetresonanztomographen geschoben, dessen Bilder vom Hirn dem Arzt bzw. dem Computer sagen, wo genau die Ultraschallwellen fokussiert werden müssen. Wenn die Schallwellen aus verschiedenen Richtungen kommen und den Schädel an rund tausend Stellen durchdringen, ist ihre jeweilige Energie zu gering, um dem Gewebe zu schaden. Dort, wo sie sich überlagern, dem Fokus, ist die Energie jedoch so groß, dass die Krebs- oder defekten Nervenzellen erhitzt und abgetötet werden. Damit der übrige Kopf nicht zu warm wird, bekommen die Patienten eine Kappe aufgesetzt, durch die Eiswasser fließt. Während der Operation sind die Patienten wach, damit der Arzt durch Nachfragen jederzeit kontrollieren kann, ob der Fokus des Ultraschalls noch im richtigen Hirnareal liegt. Als Pionier der Ultraschall-OP am Hirn gilt der Radiologe und ehemalige Neurochirurg Ferenc Jolesz, ein Labornachbar von McDannold am Bostoner Brigham and Women’s Hospital, einer der Kliniken der Harvard-University. Jolesz tüftelt seit Jahren an der Technik, Schwierigkeiten bereitete vor allem die von Patient zu Patient unterschiedliche Dicke der Schädelknochen, wodurch sich die Reichweite der Schallwellen und damit der Fokus verändert. Doch inzwischen ist Jolesz überzeugt: „Ultraschall hat das Potenzial, die Neurochirurgie umzukrempeln.“ 4 Mit Ultraschall den Schmerz abschalten In der Schweiz operiert der Neurochirurg Daniel Jeanmonod chronische Schmerzpatienten per Ultraschall. Er zerstört mit den Schallwellen jene winzigen, wenige Millimeter durchmessenden Nervenzentren im Thalamus, die das Schmerzgefühl verursachen. Früher mussten Chirurgen dafür den Schädel öffnen und mit feinen Drahtsonden fast zehn Zentimeter tief bis zum Thalamus vordringen – mit dem Risiko einer Infektion oder einer Verletzung gesunder Nerven. Bei Ultraschall fallen diese Risiken weg. Jeanmonod war 2008 der erste, der am Zürcher Universitätsspital zwölf Schmerzpatienten mit der Methode behandelte. Die Schmerzen gingen bei acht der Patienten um immerhin 57 Prozent zurück. Obwohl die Therapie noch immer experimentell und keineswegs Standard ist, betreibt Jeanmonod inzwischen eine private Klinik in Solothurn. Tatsächlich könnte Ultraschall Methode der Wahl werden für Eingriffe in Gehirnteile, die per Skalpell nicht erreichbar sind, weil darüber überlebenswichtige Hirnareale liegen. Auch in anderen Körperteilen als dem Hirn wird die Technik bereits angewendet. So sind zum Beispiel schmerzhafte Gebärmutterwucherungen schon bei Tausenden von Frauen mit Hilfe von Ultraschall verödet worden. Inzwischen trauen sich die Ärzte jedoch auch an die Behandlung von Parkinson- und Schlaganfallpatienten oder Epileptikern. Sogar in der Schmerztherapie könnte Ultraschall Sinn machen. Eine Studie an der Stanford Universität ergab, dass das Veröden von Nervenenden bei Knochenkrebspatienten die Lebensqualität der Patienten verbesserte. Erste Experimente in den 1950ern Die Idee, Ultraschall zur Behandlung zu verwenden, ist nicht neu. Schon in den 1950ern experimentierte der schwedische Arzt Lars Leksell mit der Technik – vergeblich. Denn erst heute können die Schallwellen präzise auf das Zielgewebe fokussiert werden, vor allem durch die Bildgebung mit Hilfe der Magnetresonanztomographie. Allerdings sind die Kosten für die Kombination von MRT und Ultraschall, wie sie beispielsweise InSightec baut, nicht unerheblich – insgesamt etwa fünf Millionen Dollar, schätzt Jolesz. Nichtsdestotrotz, im März wurde bekannt, dass der erste Hirntumorpatient am Zürcher Universitätsspital von einem Team um Javier Fandino und Ernst Martin erfolgreich mit Ultraschalltechnik behandelt wurde. Teile des Tumors seien zerstört worden, erklärte das Ärzteteam. „Die Behandlung dieses Patienten ist der erste Schritt auf dem Weg zu einer neuen, nicht invasiven Therapie für Patienten mit Hirntumor, die eine Alternative zu chirurgischen Eingriffen oder Strahlentherapie sein könnte“, sagt Neal Kassell, Vorsitzender der Focused Ultrasound Foundation, die die Entwicklung der Ultraschallbehandlung fördert. „Zusätzliche klinische Studien sind nötig, um Sicherheit und Wirksamkeit zu belegen.“ „Es gibt keinen Tumor, den wir mit dieser Technik nicht behandeln könnten“, meint Jolesz. Zumal mittels Ultraschall nicht nur Zellen erhitzt und zerstört sondern auch Medikamente gezielt freigesetzt werden können. Schon durch eine leichte Erwärmung können beispielsweise temperatursensitive Liposomen geöffnet werden – Fettkügelchen, die in ihrem Inneren Arzneien transportieren. Überhaupt wird derzeit damit experimentiert, Wirkstoffe mit Hilfe von Ultraschall in den Körper des Patienten zu bekommen, die per Spritze oder Pille schwer zu verabreichen sind. Beispielsweise kann die Durchlässigkeit der Haut kurzzeitig durch Ultraschallpulse für Medikamente gesteigert werden. Originalliteratur und Links: Überwinden der Blut-Hirn-Schranke mit Ultraschall, Review-Artikel von McDannold: Muna Aryal et al.: „Ultrasound-mediated blood–brain barrier disruption for targeted drug delivery in the central nervous system.“ Advanced Drug Delivery Reviews 72 (2014) 94– 109; DOI: 10.1016/j.addr.2014.01.008 Freisetzen von Medikamenten aus Liposomen durch Ultraschall: „Magnetic resonance guided high-intensity focused ultrasound for image-guided temperature-induced drug delivery.“ Nicole Hijnen et al., Advanced Drug Delivery Reviews; Volume 72, 15 June 2014, Pages 65–81; DOI: 10.1016/j.addr.2014.01.006 Einige ausgewählte klinische Studien mit Ultraschall Philips Research über Sonoporation McDannolds Focused Ultrasound Labor am Brigham Ultraschall-OP Fortune Magazine (PDF) und New Scientist über Ultraschall in der Therapie Focused Ultrasound Foundation © medizintechnologie.de/sk