Volkswirtschaftliche News

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MAKRO-AUSBLICK OSTEUROPA
4. Juni 2014
Wolf-Fabian Hungerland, Volkswirt | [email protected] | +49 40 350 60-8165
RUSSLAND & DIE UKRAINE
WEITER BRANDGEFÄHRLICH, ABER DIE
WAHLEN MACHEN HOFFNUNG
Die Ukraine hat einen neuen Präsidenten gewählt. Am 25. Mai entschied sich die große Mehrheit der Ukrainer überraschend klar – mit etwa 54 % der Stimmen – für den moderaten Kandidaten Poroschenko. Das heißt: In der ukrainischen Bevölkerung gibt es eine klare Mehrheit
für Stabilität, Europa und Frieden. Ermutigend ist dabei auch, dass keine Stichwahl nötig ist
und dass alle anderen Wettbewerber abgeschlagen aus den Wahlen gingen: Die viel befangenere Kandidatin Timoschenko erhielt bloß 13 % der Stimmen, der im Tohuwabohu der MaidanProteste Anfang des Jahres abgesetzte Präsident Janukowitsch erhielt nur 3 % und die von den
pro-russischen Separatisten und russischen Medien viel zitierten Rechtsextremen sogar bloß
2 %. All das machte es auch Moskau schwer, das Ergebnis nicht anzuerkennen. Moskau ließ
sodann verlauten, dass das Ergebnis akzeptiert werde.
Die Ukrainer haben sich klar für
Stabilität, Frieden und Europa entschieden
Dennoch bleiben ernsthafte Risiken bestehen, denn der Konflikt in der Ostukraine ist noch
nicht beendet. So konnten die Wähler in der Ostukraine so gut wie nirgends Wählen gehen –
die pro-russischen Separatisten vor Ort verhinderten dies. Das könnte mittelfristig immer
wieder als Totschlagargument gegen die Kiewer Politik auftauchen. Außerdem hat der neu
gewählte Poroschenko die Fortsetzung des „Anti-Terror-Einsatzes“ angekündigt. Es folgten
die bislang blutigsten Auseinandersetzungen in der Ostukraine. Zudem verkompliziert das
Mitmischen von offenbar tschetschenischen, pro-russischen Kämpfern die Lage vor Ort. Auch
die vermissten OSZE-Beobachter sorgen nicht gerade für mehr Ruhe. Damit bleibt die Lage
weiter brandgefährlich. Verschiedenste, momentan kaum vorherzusehende Ereignisse könnten
dazu führen, dass die Krise wieder substanziell eskaliert.
Die Lage bleibt brandgefährlich,…
Aber die Wahlergebnisse lassen uns hoffen, dass die Lage eingedämmt bleibt und es zu keiner
weiteren, größeren Eskalation kommen wird. Stabilisierend wirkt dabei auch, dass die Wahlergebnisse auch die neue Kiewer Regierung auch vom Westen nicht mehr angezweifelt wird. Das
dürfte die westliche Antwort im Falle einer weiteren Eskalation seitens Russlands noch einmal
deutlich entschlossener machen und damit die Kosten für Russland hochtreiben. Ein rationaler
Putin würde da noch mehr vor zurückschrecken. So wurden bereits Teile der russischen Truppen an der Grenze zur Ostukraine wieder abgezogen. Kurzum: Deshalb wird die allenthalben
befürchtete offene russische Invasion unwahrscheinlicher.
…aber sie lässt hoffen
Poroschenkos Herausforderung: Nicht die Separatisten, sondern die Korruption
Inmitten all der Widrigkeiten muss der neue Präsident Poroschenko nun die Herkulesaufgabe
angehen, die Ukraine wieder in ein stabiles Land zu verwandeln. Dabei sind nicht die Separatisten im Osten des Landes das größte Problem, sondern die Korruption und die daraus entstandene chronische Misswirtschaft. So wurde nach dem Zerfall der Sowjetunion nach und nach
jedwedes, noch vorhandenes Vertrauen in Regierung, staatliche Institutionen und die Wirtschaftseliten untergraben. Und genau dieses fehlende Vertrauen stellt jetzt die Grundlage für
die Unzufriedenheit der verschiedenen Bevölkerungsgruppen in der Ukraine und damit für die
russische Agitation.
Die Grundlage des aktuellen Konflikts
ist die weitreichende Korruption und
Misswirtschaft
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Poroschenko hat angekündigt, mit den Separatisten im Osten zu verhandeln, die EUIntegration voranzutreiben und gleichzeitig konstruktive Beziehungen zu Moskau zu fördern.
Zudem sind baldige Parlamentswahlen geplant. Als nächstes sollten die polizeilichen Strukturen einer Generalüberholung unterzogen werden. Das Misstrauen in die schlecht ausgerüstete
und schlecht bezahlte Polizei, die noch im Februar die alte Regierung verteidigte, ist groß.
Doch ohne eine funktionierende, verlässliche Polizei lässt sich keine Staatlichkeit durchsetzen.
Sodann müsste langsam, aber sicher eine Liberalisierung der Volkswirtschaft vorgenommen
werden, mit einem schrittweisen Ausbau der Marktwirtschaft, Abbau von bürokratischen Hürden, sowie dem Abbau der oligarchischen Monopole. Schwierige Aufgaben für Poroschenko,
der als Mitglied früherer Regierungen die Misere zum Teil mit zu verantworten hat. Sollte er
aber seine Versprechen halten können, würde auf diesem Wege auch dem Konflikt in der
Ostukraine die Grundlage entzogen werden. Damit könnte schließlich auch die Gewalt im
Osten ein Ende finden. Sollte Poroschenko scheitern, sieht es jedoch düster für die Ukraine
aus. Wir rechnen weiterhin nicht damit, dass Russland einmarschiert oder sich der Osten sich
abspaltet. Aber es ist gut möglich, dass andauernde lokale Gewalt seitens der Separatisten eine
permanente Unruhequelle schafft und damit die ukrainische Politik beschäftigt.
Poroschenko muss das System überwinden, zu dessen Festigung er selbst
beigetragen hat
Währenddessen hat der Internationale Währungsfonds (IWF) eine Kreditlinie von 17,1 Mrd.
US-Dollar über die nächsten zwei Jahre zugesagt. Es ist gut möglich, dass das Zusagen von
weiteren 15 Mrd. von Seiten der EU, der Weltbank, den USA, Kanada und Japan auslösen
könnte. Aber die Gelder des IWFs kommen zu harschen Bedingungen: Sofortige Energiepreissteigerungen gehören dazu, aber auch allgemein ein gewisser Grad an Austerität, also Kürzungen bei den Staatsausgaben, also auch bei der Beschäftigung im Öffentlichen Dienst. Das dürfte es der neuen Kiewer Regierung nicht gerade leichter machen bei ihren großen Reformvorhaben. Die mögliche Folge wäre weitere politische Unruhe.
Die Ukraine erhält Hilfsgelder, aber
zu schwierigen Konditionen
Darüber hinaus dürfte ein Großteil des Geldes für die russische Energierechnung der Ukraine
aufgebracht werden. Letzte Woche erhielt die Ukraine bereits einen einwöchigen Zahlungsaufschub für ihre Gasrechnung bei dem russischen Gaskonzern Gazprom. Hintergrund ist, dass
die Ukraine wieder begonnen hat, zumindest einen Teil ihrer Gasrechnung für Februar und
März zu zahlen. Russland fordert laut Bloomberg von der Ukraine allein rund 5,2 Mrd. USDollar für noch nicht bezahlte Gaslieferungen. Momentan laufen Verhandlungen mit Moskau,
Brüssel und Kiew, um evtl. weitere, für Kiew verträglichere Stückelungen zu erreichen. Denn
die ukrainische Wirtschaft ist am Abgrund, sie wird dieses Jahr um etwa 5 % schrumpfen. Die
Landeswährung Hrywnja hat seit Jahresbeginn rund 30 % an Wert verloren. Der Bankensektor
ist krank und benötigt alleine rund 4,2 Mrd. US-Dollar an frischem Kapital.
Die Energierechnung aus Russland ist
ein weiteres Problem
In Russland breitet sich die Rezession aus
Mittlerweile sind die Folgen der Krise auch in den Wachstumszahlen spürbar. Die russische
Volkswirtschaft schrumpfte im ersten Quartal um 0,5 %. Die binnen der letzten Monate auf
7,5 % angehobenen Leitzinsen beginnen bereits, ihren Tribut einzufordern. Der Rubel verlor
seit Jahresbeginn rund 6 % an Wert. Auch Verbrauchervertrauen und Geschäftsklima fallen,
während der Einkaufsmanagerindex mit 48,8 Punkte weiter Kontraktion anzeigt. Wir rechnen
für dieses Jahr insgesamt mit „Stagflation“, denn gleichzeitig zieht die Inflation an, wir erwarten durchschnittlich 7 % für 2014. All diese Entwicklungen wirken weit effektiver als die westlichen Sanktionen, bei denen wir davon ausgehen, dass es vorerst keine Verschärfung gibt. Das
Der Schaden für Russlands Wirtschaft
durch die Krise wird immer deutlicher
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Ergebnis ist nämlich offenbar das gleiche: Putin bekommt die Krise wirtschaftlich zu spüren
und wird deshalb kooperativer.
Obwohl der russische Fiskus nun wieder anfängt, Staatsanleihen zu versteigern, wird auch
dieser die Folgen der Krise zu spüren bekommen, vor allem in Form der Kosten für Putins
Versprechungen nach der Krim-Annexion. Dort sollen die Renten und Löhne auf russisches
Niveau angehoben werden. Die Ratingagentur Standard & Poor’s reagierte und bewertet das
Land nun nur noch mit BBB-, mit negativem Ausblick. Die chronisch weit verbreitete Korruption und damit verbundene Investitionsschwäche werden in der aktuellen makroökonomischen
Umgebung multipliziert: Der IWF rechnet mit einer Kapitalflucht von 100 Mrd. US-Dollar in
diesem Jahr. Die Kapitalflucht verkörpert nicht nur die Sorge vor russischen Enteignungen vor
und westlichen Sanktionen (BNP Paribas erfährt gerade wie teuer es sein kann, Sanktionen zu
unterlaufen), sondern auch die nun noch klarer zum Vorschein kommende Strukturschwäche
der russischen Volkswirtschaft. Außerdem werden von den 650 Mrd. US-Dollar an externen
Verbindlichkeiten privater russischer Unternehmen rund 100 Mrd. US-Dollar dieses Jahr fällig.
In der aktuellen außenwirtschaftlichen Situation wird die Anschlussfinanzierung dieser Investitionen immer schwieriger.
Russland wird unattraktiver
Bei all diesen negativen Entwicklungen hilft auch nicht der neue Gas-Deal mit China über ein
Liefervolumen von 400 Mrd. US-Dollar über die nächsten 30 Jahre. Mit einem Volumen von
etwas mehr als 13 Mrd. US-Dollar pro Jahr hält sich der Effekt im überschaubaren Bereich.
Auch die unter Federführung Russlands ins Leben gerufene Eurasische Wirtschaftsunion (Beginn: 1. Januar 2015) mit einer angestrebten Vertiefung der Zollunion, Visa-Freiheit sowie der
tieferen Integration von Industrie- und Agrarsektor, wird zweitrangig bleiben. Der Handel
zwischen den beteiligten Staaten (Weißrussland, Kasachstan und Russland) wuchs in den letzten Jahren bereits stark, aber der Außenhandel mit der EU oder auch China ist um ein vielfaches wichtiger, jedenfalls für Russland, dem Schwergewicht der Union. Wichtige Themen wie
eine Finanz-und Währungsunion sowie ein gemeinsamer Energiemarkt wurden zudem vorerst
ausgeklammert. Darin sehen wir vor allem interne Interessenskonflikte, die die Wirtschaftsunion auf lange Zeit in ihrer Effektivität hindern werden. Ganz zu schweigen davon, dass die
Drohkulisse durch die Krim-Annexion bei der Unterzeichnung des Abkommens sicher eine
maßgebliche Rolle spielte.
Der Gas-Deal mit China wie auch die
Eurasische Wirtschaftsunion werden
die Krisenfolgen nicht kompensieren
können
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TÜRKEI
ERDOGAN UND „SEINE“ ZENTRALBANK?
Nachdem Premierminister Erdogan und seine AK-Partei aus den Kommunalwahlen Ende
März als klare Sieger hervorging, fragen wir uns wie es künftig um die Unabhängigkeit der
Türkischen Notenbank (CBRT) stehen wird. Denn nach wochenlangem politischem Lärm
seitens Erdogan und anderen Regierungsmitgliedern mit der Forderung nach geringeren Zinsen senkte die CBRT überraschenderweise im Mai den Leitzins um 50 Basispunkte auf nun
9,5 %. Erdogan selbst nannte den Schritt aber bloß einen „Scherz“ und forderte, dass die
CBRT „sich selbst korrigieren“ müsse. Währenddessen behauptet die CBRT, dass der nun
niedrige Zins gar nicht so expansiv sei und begründet dies mit dem makroökonomischen Umfeld, vor allem den fallenden Kreditvergaberaten und fallenden Kreditausfallversicherungsprämien für türkische Staatsanleihen.
Senkte die Zentralbank den Zins
aufgrund von politischem Druck?
In der Tat hat die scharfe Zinserhöhung im Januar hat funktioniert: Betrugen die Spreads der
Kreditausfallprämien vor der Notfallsitzung der CBRT am 28. Januar 2014 noch 257 Punkte,
liegen sie mittlerweile bei 180 Punkten. Hauptgrund für die weitgehende Verpuffung der vielen
kleinen und größeren politischen Schocks im bisherigen Jahresverlauf ist die trotz aller Widrigkeiten gute Konjunktur und die entspanntere globale Liquiditätslage. Die Wirtschaft wuchs im
ersten Quartal um 4,4 %, getrieben vor allem durch die heimische Nachfrage (also der viel
zitierten wachsenden Mittelschicht). Im Laufe des Jahres erwarten wir jedoch ein deutlich
abnehmendes Momentum, so dass wir für das Gesamtjahr 2014 mit rund 2 % BIP-Wachstum
rechnen.
Die Konjunktur ist widerstandsfähiger,
als erwartet
Unsere Prognose ist aber von verschiedenen Abwärtsrisiken behaftet: Zunächst kam der letzte
Zinsschritt unserer Meinung nach zu früh. Die Preise stiegen im Mai um 9,7 %, vor allem bei
den Lebensmitteln. Auch die Kerninflation klettert auf 9,8 %. Wir sehen dabei durchaus die
Möglichkeit, dass die Inflation auch im Juni noch zweistellige Höhen erreichen und damit den
doppelten (!) Wert des CBRT-Ziels von 5 % durchbrechen könnte. Außerdem stellt die hohe
Abhängigkeit von ausländischen, meist fremddenominierten Krediten die wachsende Mittelschicht auf tönerne Füße: Die externen Schulden der türkischen Nicht-Banken belief sich im
Februar auf 170 Mrd. US-Dollar. Die Einnahmen der Unternehmen und Haushalte werden
jedoch überwiegend in Lira bestritten. So könnte es bei großen Verwerfungen beim Wechselkurs schnell zu Problemen wegen dieses sog. „Currency Mismatch“ kommen. Gleichzeitig
wächst die Zahl der notleidenden Kredite (wenn auch von niedrigem Niveau). Des Weiteren
ist das außenwirtschaftliche Umfeld längst nicht so stabil, wie an vielerlei Stellen suggeriert
wird (inklusive seitens der CBRT selbst). Das Leistungsbilanzdefizit verbessert sich zwar aufgrund der anziehenden Exporte Richtung EU, aber es bleibt überwiegend kurzfristig und mit
Devisen finanziert, bei einem weiterhin gefährlich hohen Level von etwa 6,2 % des BIP für
2014.
Unsere Prognose wird von erheblichen
Abwärtsrisiken begleitet
Das größte Risiko sehen wir vor diesem Hintergrund sodann in Erdogans immer deutlicheren
geldpolitischen Einmischungen. Im Rahmen seines zunehmend autokratischen Regierungsstils
könnte es passieren, dass auch die CBRT mit ihrer Glaubwürdigkeit nachhaltig in Mitleidenschaft gerät und so ihre ausländischen Finanziers verunsichert – und damit die makroökonomische Stabilität der Türkei gefährdet. Denn die jüngere Geschichte des Landes zeigt: Als die
Das größte Risiko sehen wir in Erdogans immer deutlicheren geldpolitischen
Einmischungen
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4. Juni 2014 ∙ Seite 5
Regierung in den späten 1990ern die CBRT zwang, die Staatsschulden zu finanzieren, brach
eine massive Finanzkrise aus. Rezession war die Folge. So steht die CBRT bis zu den Präsidentschaftswahlen im August unter genauer Beobachtung. Obwohl wir es nicht gutheißen
würden, ist in Anbetracht der polit-ökonomischen Situation der CBRT im Juni eine weitere
Zinssenkung durchaus möglich. Die CBRT wird außerdem anfangen, Zinsen auf Lira-Einlagen
zu zahlen, um so die Sicherheiten für Kredite zu erhöhen. Der konstant gehaltene Zinskorridor
bei dem nun niedrigeren Zins ermöglicht der CBRT zudem eine gewisse Flexibilität für spontanes „additional tightening“ (also auf Tagesbasis höhere Leitzinsen), was aber kaum prognostizierbar ist. Bis zum Jahresende, vor allem nach den Wahlen, sind Senkungen um bis zu 200
Basispunkte möglich. Die Präsidentschaftswahlen selbst werden einen wichtigen Hinweis darauf geben, wohin die Reise der Türkei – und damit auch der CBRT – gehen wird.
Bei den Präsidentschaftswahlen geht es zunächst nicht darum, wer Präsident wird (wir gehen
davon aus, dass Erdogan selbst als Präsident gewählt wird 1), sondern darum wer den dann
freien Posten des Premierministers einnehmen wird. Der ehemalige Transportminister Yildirim
hat dabei aktuell die größten Chancen, wohingegen ein Tausch mit dem jetzigen, moderateren
Präsidenten Gül unwahrscheinlich geworden ist – Gül wäre jedoch ein guter Ausgleich zu dem
polarisierenden Erdogan gewesen. Dann geht es darum, inwieweit Erdogan als Präsident in die
Exekutive hineinregieren wird – er selbst hat angekündigt, das Amt aktiver als vorherige Präsidenten wahrzunehmen. Schließlich geht es auch darum, welche Folgen der Machtkampf Erdogans mit dem Gülen-Netzwerk haben wird – dem Netzwerk nahestehende Unternehmen haben bereits vielfältige Repressionen zu spüren bekommen. Insgesamt besteht also eine hohe
politische Unsicherheit, mit der das Land in den Sommer geht. Dennoch: Die andauernden
Proteste, sei es nach dem Minenunglück in Soma oder dem Jahrestag der Taksim-Proteste, sind
trotz aller Unruhe, die sie erzeugen, langfristig gut für das Land am Bosporus. Sie zeigen, dass
sich auch in der Türkei demokratische Werte durchsetzen und so selbst Regierungen, wie die
Erdogans ein Korrektiv erhalten.
1
Deshalb schließen wir auch vorgezogene Parlamentswahlen in diesem Jahr aus.
Die Präsidentschaftswahlen werden
zeigen, wohin die Reise geht
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4. Juni 2014 ∙ Seite 6
POLEN
ALLES IM GRIFF
Die polnische Volkswirtschaft wuchs im ersten Quartal überraschend stark um 3,4 %. Die
heimische Nachfrage erholte sich dabei am stärksten. Das spiegelt sich auch in den Einzelhandelsumsätzen wider: Sie wuchsen um April um 8,9 %. Ein gutes Zeichen für das bislang stark
exportorientierte Wachstum Polens; durch die erstarkende Binnennachfrage sinkt das Risiko
eines außenhandelsbedingten Konjunktureinbruchs. Nichtsdestoweniger gibt es auch von der
exportorientierten Seite der polnischen Wirtschaft gute Nachrichten: Die Automobilhersteller
Volkswagen und Fiat haben jeweils angekündigt bzw. erwogen, weitere Produktionslinien nach
Polen zu verlegen. Währenddessen wuchs auch die Industrieproduktion um 5,5 % im April. Im
Jahresverlauf gehen wir davon aus, dass sich das Wachstumsmomentum leicht reduziert. Ein
wichtiger Grund ist die Ukraine-Krise und die damit verbundenen fallenden Exporte nach
Russland und die Ukraine sowie das aufgrund der teureren russischen Gasimporte wachsende
Leistungsbilanzdefizit (wir rechnen in diesem Jahr mit etwa 1,9 % des BIPs). Insgesamt rechnen wir mit 3 % BIP-Wachstum für 2014.
Die polnische Volkswirtschaft wuchs
im ersten Quartal überraschend stark
und bleibt weiter „on track“
Geldpolitisch ändert sich vorerst ebenfalls nichts: Die Inflation von aktuell 0,3% (April) wird
vermutlich dafür sorgen, dass der Leitzins von 2,5 % (welcher dem Inflationsziel der Zentralbank entspricht) bis ins nächste Jahr beibehalten werden soll. Das ist jedenfalls die momentane
Kommunikationslinie der Polnischen Zentralbank. Sollte die überraschend niedrige Inflation
über den Sommer hinaus anhalten, könnte dies aber die Debatte über eine Zinserhöhung in
Richtung Zinssenkung lenken; eine Zinssenkung kann mittlerweile nicht mehr ausgeschlossen
werden. Wir gehen aber davon aus, dass zum dritten Quartal der Fall der Preise enden wird.
Die Gefahr einer dauerhaften Deflationsphase sehen wir trotz des aktuellen, kurzfristigen
disinflationären Trends also noch nicht: Die heimische Nachfrage sowie die steigenden Energiepreise werden sich genauso wie die zuletzt gestiegenen Löhne in spätestens ab Sommer auch
in dem höheren Preisniveau widerspiegeln. Für 2014 erwarten wir deshalb insgesamt eine
Preissteigerungsrate von etwa 1 %.
Trotz stark disinflationären Tendenzen ändert sich Geldpolitisch vorerst
nichts
Vor diesem Hintergrund bleibt auch der Zloty sensitiv gegenüber externen Entwicklungen.
Jedoch heben wir aufgrund der verbesserten Wachstumsperspektiven unsere Wechselkursprognose für das Jahresende von bisher 4,15 Zloty pro Euro auf rund 4,12 an.
Zum Jahresende erwarten wir einen
erstarkenden Zloty
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4. Juni 2014 ∙ Seite 7
UNGARN
ORBANOMICS SORGT FÜR DEFLATION
Nachdem Premierminister Orbans Partei Fidesz bei den Parlamentswahlen im April die Mehrheit beibehalten konnte, wird Orban auch an seinem wirtschaftspolitischer Kurs festhalten.
Dass die rechtsnationale Partei Jobbik die zweitmeisten Stimmen bekommen hat, wird dem
Land nicht gerade gut tun. So wird die Regierung weiter die nationale Karte spielen, auch auf
Unternehmensebene. „Orbanomics“ heißt konkret: eine weiterhin harsche Rhetorik gegenüber
Branchen, die stark in ausländischem Besitz sind (z.B. bei den Versorgern, dem Telekommunikationssektor oder den Banken) und zumindest weitere Drohungen mit Belastungen. Das alles
wird gepaart mit einer saftigen Portion Euroskepsis nach außen und weiterer Machtkonzentration nach innen durch den Abbau von weiteren politischen „Checks and Balances“. Was wir
hingegen nicht erwarten: Dass die strukturellen Probleme des Landes, vor allem bezüglich des
Arbeitsmarkts oder in der kaum zu prognostizierenden Steuerpolitik, angegangen werden. Mit
anderen Worten: Das Umfeld wird weiter wenig fruchtbar für nachhaltiges Wachstum bleiben.
Orbans Politik wird weiter kaum
fruchtbaren Grund für nachhaltiges
Wachstum schaffen
Mit diesen mauen Aussichten brach zuletzt auch wieder das das Industrie- und Verbrauchervertrauen ein. Und das, obwohl die ungarische Volkwirtschaft im ersten Quartal 2014 überraschend robust mit 3,5 % wuchs. Vor allem der von der Regierung in Ruhe gelassene Automobilsektor expandierte, zudem zeigte das 2,75 Bio. Forint (etwa 9 Mrd. Euro) schwere „Funding
for Growth“-Programm der Ungarischen Zentralbank (MNB) Wirkung. Die fallenden Vertrauensindikatoren deuten aber bereits auf ein schwächeres Momentum. Der Binnenmarkt gibt
sich zudem sehr schwankungsintensiv, was vor allem an dem weiterhin hohen Schuldenstand
des Privatsektors liegt. So erwartet die Regierung 2,5 % Wachstum für dieses Jahr – wir erwarten bloß 1,9 %.
Die momentan noch gute Konjunktur
wird sich abkühlen
Das fallende Momentum der Wirtschaft wird der Regierung Schwierigkeiten bei der Steuerkollekte bereiten. Das Budgetdefizit wird nur knapp unter der Maastrichter 3 %-Schwelle zu halten sein und sicher steuerpolitische Anpassungen zum Ende des Jahres verlangen. Wir ahnen
es schon: Vermutlich wird die Regierung wieder den einfachen Weg gehen und eher politisch
als ökonomisch motiviert spezifische Branchen belasten, deren Besteuerung sich populistisch
gut vermarkten lässt. Erlauben kann sich das die Regierung Orban noch solange, wie das außenwirtschaftliche Umfeld es zulässt. Aber Ungarns Leistungsbilanzüberschuss schmilzt, wir
erwarten dieses Jahr bloß noch etwa 2,5 % des BIP (2013: 3 %).
Die Steuerpolitik bleibt populistisch,
der Leistungsbilanzüberschuss schmilzt
Kombiniert mit dem abnehmenden konjunkturellen Momentum und der hohen Auslandsverschuldung des Privatsektors entsteht momentan ein weiteres Problem für die ungarische
Volkswirtschaft: Die Preissteigerungsrate fiel im April auf gefährliche -0,1 %, auch die Kerninflation fiel vergleichsweise stark auf 2,3 %. Dahinter stehen vor allem erzwungene Preisdeckelbzw. -senkungen (beispielsweise erzwang die Regierung Energiepreissenkungen um bis zu
11,5 %!) sowie fallende Lebensmittelpreise. Anders als z.B. in Polen sind die fallenden Preise
eine veritable Gefahr. Denn der hochverschuldete Privatsektor, der mitten im schmerzhaften
Prozess des Delevaraging (also dem alles überschattenden Abbau der Schulden) steckt, hat bei
fallenden Preisen kaum Anreiz momentan größere Ausgaben zu tätigen. So könnten sich die
Inflationserwartungen schnell im negativen Bereich verankern – keine gute Perspektive. Wir
könnten unsere Inflationsprognose für das Gesamtjahr 2014 (aktuell 1,8 %) durchaus nach
Fallende Preise sind eine veritable
Gefahr für Ungarns Volkswirtschaft
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4. Juni 2014 ∙ Seite 8
unten nehmen.
In diesem Umfeld senkte die Ungarische Zentralbank (MNB) den Leitzins im Mai auf 2,4 %.
Da die Preise auch im Mai weiter fallen könnten, ist der Lockerungszyklus der MNB vermutlich doch noch nicht zu Ende. Zuvor hatte die MNB verschiedene Maßnahmen angekündigt,
die den Privatsektor dazu bringen sollen, mehr kurzfristige in Forint denominierte Staatspapiere zu halten (insbesondere durch die Zwangskonversion einiger Geldmarktpapiere) sowie dabei
helfen sollen, Wechselkursrisiken bei fremddenominierten Schulden einzugrenzen. Viele der
Maßnahmen klingen vernünftig, jedoch muss sich erst noch ihre Effektivität zeigen. Außerdem
wird der Forint darunter leiden. Zum Ende des Jahres rechnen wir mit einem Kurs von etwa
305 Forint pro Euro. Darüber hinaus kursieren deshalb Gedankenspiele über eine Bad Bank,
in die ein Teil der privaten Schuldpapiere ausgelagert werden könnten. Denn obwohl die Zahl
der notleidenden Kredite fällt, liegen sie auf einem immer noch gefährlich hohen Niveau von
rund 18 %.
Die MNB bleibt noch länger expansiv
Wichtige Hinweise: Dieses Dokument stellt keine Finanzanalyse im Sinne des § 34b WpHG, keine Anlageberatung,
Anlageempfehlung oder Aufforderung zum Kauf von Finanzinstrumenten dar. Es ersetzt keine rechtliche, steuerliche und
finanzielle Beratung. Die in diesem Dokument enthaltenen Aussagen basieren auf allgemein zugänglichen Quellen und
berücksichtigen den Stand bis zum Tag vor der Veröffentlichung. Nachträglich eintretende Änderungen können nicht
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