Schutz vor dem plötzlichen Herztod

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Schutz vor dem plötzlichen Herztod
Implantierbare Cardioverter-Defibrillatoren (ICD) im Kindesalter
Dr. med. Matthias Gass, Klinik für Kinderheilkunde und Jugendmedizin
Abt. Kinderkardiologie Dept. Klinische Elektrophysiologie, Universitätsklinikum Tübingen
Björn ist ein lebhafter siebenjähriger Junge, der
Fußballspielen über alles
liebt. Jede freie Minute ist
er beim Kicken. In den
letzten Wochen war er
mehrfach beim Fußballspielen bewusstlos geworden. Die Eltern gingen mit
ihm zum Kinderarzt, der
den Jungen zum Kinderkardiologen schickte, weil
er die Ursache der Bewusstlosigkeiten nicht aufklären konnte. Aber auch
die Untersuchungen dort
mit EKG, Echokardiographie und mehreren LangAbb. 1
zeit-EKGs und externen
Event-Rekorderaufzeichnungen konnten die Ursache für die wiederholten Bewusstlosigkeiten nicht finden.
Weil Björn weiterhin in unregelmäßigen Abständen bewusstlos wurde, überwies ihn sein Arzt
an die kinderkardiologische Abteilung einer Universitätsklinik. Hier wurde ihm nach vielen weiteren Untersuchungen ein Eventrekorder unter
der Haut eingesetzt (Abb. 1). Mit diesem kleinen
Gerät, das bis zu 13 Monate funktionsfähig ist,
wird der Herzrhythmus andauernd überwacht.
Das Gerät kann Herzrhythmusstörungen selbständig erkennen und aufzeichnen. Diese EKGDaten kann der Arzt dann per Fernabfrage (Telemetrie) auswerten.
Mehrere Wochen später, am ersten Tag der
Pfingstferien, spielte Björn noch Fußball auf der
Straße, bis die Eltern den Wagen für den Urlaub
fertig gepackt hatten, als er erneut bewusstlos
wurde. Als er wieder zu sich kam, brachten die
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Eltern ihn zur Auswertung des Eventrekorders
in die Ambulanz der Klinik. Hier zeigten sich Anfälle von Kammerflattern mit einer Herzfrequenz
von mehr als 250 Schlägen pro Minute, die Bewusstlosigkeiten verursachen (Abb. 2). Der
Pfingsturlaub der Familie wurde abgesagt, und
bei Björn ein ICD (implantierbarer CardioverterDefibrillator) in den Brustkorb eingesetzt (Abb. 3,
S. 4). Ein ICD, in der Umgangssprache auch Defi
genannt, ist ein kleines Gerät, das mit Hilfe von
Elektroschocks lebensbedrohende Herzrhythmusstörungen beenden kann.
Vier Tage später konnte der Junge die Klinik
wohlauf verlassen. Er erhielt Betablocker, um
den Herzrhythmus zu stabilisieren. Inzwischen
hatte Björn zwei Anfälle von Kammerflattern,
die durch Schockabgaben des Defis sofort beendet wurden. Björn kann mit diesen Schockabgaben mittlerweile gut umgehen, denn der ICD
Abb. 2: Aufzeichnung durch ein Eventrekorder
ist so programmiert, dass Björn jedes Mal bewusstlos wird, damit er die Elektroschocks nicht
spürt. Verwandte, Bekannte, Lehrer und Schulkameraden sind über seine Erkrankung und den
Defi informiert. Sie helfen Björn, sich bei einer
Bewusstlosigkeit nicht zu verletzen. Allerdings
sind Verletzungen in diesen Fällen sehr selten.
Bei Patienten unserer Klinik sind sie bisher noch
nicht vorgekommen.
Der Aufenthalt in einer Rehaklinik hat der ganzen Familie geholfen, besser mit Björns Krankheit umzugehen.
Warum Defi?
Für Patienten, die außerhalb der Klinik bedrohliche, schnelle Herzrhythmusstörungen aus den
Kammern, wie z. B. Kammerflattern oder Kammerflimmern erleiden, entscheidet die Zeit bis
zum Beginn der Herz-Lungen-Wiederbelebung
über die Prognose des Patienten.
Studien der Gesellschaft für Wiederbelebung
zeigen, dass mit jeder verstrichenen Minute der
Erfolg einer richtig durchgeführten Wiederbelebung um etwa 10 % sinkt. Deshalb wird bei Patienten mit lebensgefährlichen Herzrhythmusstörungen heutzutage ein spezieller Herzschrittmacher (Defi) eingesetzt, der in der Lage ist, die
Rhythmusstörungen zu analysieren und wenn
nötig, die Rhythmusstörung durch einen Gleichstrom-Schock zu beenden.
Glücklicherweise ist der plötzliche Herztod bei
Kindern verglichen mit Erwachsenen ein seltenes Ereignis. Aber das Einsetzen eines Defis im
Kindesalter stellt eine Herausforderung an die
Ärzte dar. Denn Größe, Wachstum und eventuell vorhandene angeborene Herzfehler verlangen ein sehr individuelles Vorgehen.
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Abb. 3: Moderner 1-Kammer-ICD bei einem 7-jährigen
Jungen mit anfallsweisem Kammerflattern.
Gefährliche Herzrhythmusstörungen
Im Jahr 1849 wurde erstmals Kammerflimmern
beschrieben. 1888 wurde dann der Verdacht auf
einen Zusammenhang zwischen Kammerflimmern und dem plötzlichen Herztod hergestellt.
Mehrere Jahre später konnte man im Tierexperiment zeigen, dass hohe Stromimpulse Kammerflimmern beenden können. Erst 1947 wurde Kammerflimmern beim Menschen erstmalig
im Rahmen einer Herzoperation von dem Chirurgen Claude Beck am offenen Brustkorb durch
einen Elektroschock unterbrochen. Neun Jahre
später hat Paul Zoll zum ersten Mal eine Herzrhythmusstörung durch einen Elektroschock von
außen durch den geschlossenen Brustkorb hindurch beendet. 1980 gelang es dem polnischen
Arzt Michael Mirowski in Baltimore erstmals, einen Cardioverter-Defibrillator unter die Haut eines Patienten einzusetzen.
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Abb. 4: Die ersten ICD-Systeme wurden noch parallel
zu einem normalen Herzschrittmacher implantiert
1 = Herzschrittmacher, 2 = Defibrillator, 3 = Schockelektrode, 4 = zusätzliche Elektroden um das elektrische
Feld zu verbessern.
Der Defi ist erfunden worden, um gefährdete
Patienten vor einem plötzlichen Herztod durch
Kammerflimmern zu schützen. Kammerflimmern ist eine Rhythmusstörung der Herzkammern mit krankhaft schneller, völlig chaotischer,
zum Teil kreisender elektrischer Erregungsausbreitung. Das Herz zuckt nur noch und kann
deshalb keine Leistung mehr erbringen. Der
Kreislauf bricht zusammen, die Gehirnfunktion
erlischt. Nur ein Elektroschock – den leistet der
Defibrillator – kann den Herztod verhindern und
das Herz wieder in den richtigen Rhythmus
bringen.
Wann soll ein Defi eingesetzt werden?
Wann ein Defi im Kindesalter eingesetzt werden
soll, ist in den Richtlinien der amerikanischen
Gesellschaft für Kinderelektrophysiologie in Anlehnung an die Richtlinien des American College of Cardiology und der American Heart Association festgelegt. Diese Richtlinien werden von
Abb. 5 a + b: Zwei unterschiedliche Netzelektroden, welche unter die Haut implantiert wurden, um das elektrische Feld
bei der Defibrillation zu verbessern.
den deutschen Fachgesellschaften übernommen, weil sie auf einer breiten wissenschaftlichen Basis beruhen.
Man unterscheidet für die Therapie mit einem
Defi drei große Gruppen:
In der ersten Gruppe befinden sich elektrische
Herzmuskelerkrankungen. Hierzu gehören das
Long-QT-Syndrom (LQTS), das Brugada-Syndrom, die katecholaminsensitive polymorphe
Kammertachykardie (CPVT) und das idiopathische Kammerflimmern sowie Patienten mit einer überlebten lebensbedrohlichen Herzrhythmusstörung.
In der zweiten Gruppe werden Herzmuskelerkrankungen mit einer strukturellen Veränderung
des Herzens zusammengefasst. Dies sind Patienten, die an einer hypertrophen Kardiomyopathie (HCM), einer dilatativen Kardiomyopathie
(DCM) oder an einer arrhythmogenen rechtsventrikulären Dysplasie (ARVD) leiden.
In der dritten Gruppe werden Patienten mit narbenbedingten Herzrhythmusstörungen aus dem
Kammerbereich, wie sie z.B. nach Operationen
von angeborenen Herzfehlern vorkommen, zusammengefasst. In diese Gruppe gehören auch
Patienten, deren Herzkammern einer Druckbelastung ausgesetzt sind, Patienten mit Narben
durch Herzinfarkte sowie Kinder mit Anomalien
der Herzkranzgefäße.
Verschiedene Modelle
Die ersten Defis waren Geräte mit reiner Schockfunktion von beachtlicher Größe und konnten
nur in die Bauchdecke eingesetzt werden. Der
Patient benötigte je nach Bedarf noch zusätzlich
einen Herzschrittmacher zur Stimulation. Bei
den Geräten der ersten Generationen wurden
die Schockelektroden noch als sogenannte Netzelektroden auf den Herzmuskel genäht. Dies
bedeutet, dass eine relativ große Operation mit
Eröffnung des Brustkorbs nötig war. Inzwischen
sind die implantierbaren Defibrillatoren deutlich kleiner geworden, und die Elektroden
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Abb. 6 A: Beim „active-can-System“ fließt der Strom von der
Schockelektrode zum Gehäuse des ICD.
werden in der Regel über die Venen ins Herz
eingeführt. Auch sind Defibrillator und Schrittmacher inzwischen zu einem Gerät verschmolzen. Die Operation ist vom Ausmaß und von der
Dauer nicht mehr mit den Anfängen vergleichbar.
Der Stromstoß wird zwischen Elektrode und
Schrittmachergehäuse abgegeben. Diese Systeme werden active-can-Systeme genannt. Es gibt
aber auch Schockelektroden mit zwei Schockwendeln (Abb. 6 A). Dann liegt eine Schockwendel in der rechten Herzkammer und die zweite
Schockwendel im Bereich der oberen Hohlvene. Diese Systeme werden als passive-can-Systeme bezeichnet (Abb. 6 B). Die Schockwendel
stellen den Anteil der Schrittmacherelektrode
dar von dem der Stromimpuls abgegeben oder
empfangen wird. Sie entsprechen dem Plus- oder
Minuspol zwischen dem der Stromimpuls fließt.
Welches System eingesetzt wird, hängt zum Teil
von den anatomischen Gegebenheiten ab. Erreicht werden soll, dass ein großer Anteil des
Herzmuskels im elektrischen Feld zwischen den
Elektroden liegt, damit der Schock effektiv ist.
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Bei sehr großen Herzen kann eine zusätzliche
Schockelektrode im Unterhautgewebe erforderlich sein, um ein effektives elektrisches Feld um
den Herzmuskel legen zu können.
Bei Kleinkindern und Säuglingen, bei denen aus
Gründen der Körpergröße die Elektroden nicht
über die Venen eingesetzt werden können, werden auch heute noch Netzaufnahtelektroden
oder Schockelektroden unter der Haut eingepflanzt. Dies stellt aber eher die Ausnahme dar,
weil die Komplikationsrate bei diesen Systemen
deutlich höher ist. Wenn möglich wird man bei
Säuglingen und Kleinkindern warten, bis die
Elektroden über die Venen geführt werden können. Eventuell wird die Zeit bis zum Einsetzen
des Defis mit einem externen Laien-Defibrillatorsystem (AED) überbrückt.
Gespräch mit Kindern und Eltern
Bevor der Defi eingesetzt wird, sprechen die Ärzte offen mit den Eltern und soweit das möglich
ist, auch mit den Kindern über die Erkrankung
und die Risiken eines plötzlichen Herztods. Da-
Abb. 6 B: Beim „passive-can-System“ fließt der Strom zwischen
den beiden Schockwendeln, welche in der oberen Hohlvene
und in der rechten Kammer liegen.
bei werden ausführlich die Alternativen vorgestellt: einerseits die Möglichkeit einer Therapie
mit Medikamenten, andererseits die Defibrillatortherapie mit ihren Vorteilen und Risiken. Spezielle Aufklärungsbögen und Informationsbroschüren werden gemeinsam durchgegangen,
um alle wichtigen Fragen zu klären. Die Entscheidung, einen Defi einzusetzen, wird in der Regel
zusammen mit den betroffenen Kindern und ihren Eltern gefällt.
Der Eingriff
Bei Kindern wird ein Defi immer unter Vollnarkose eingesetzt. Der Eingriff dauert ungefähr
eine Stunde. Standardmäßig wird ein kleiner
Schnitt unterhalb des linken Schlüsselbeins
durchgeführt. Von hier aus werden die Elektroden über die Vena cephalica und/oder die Vena
subclavia eingeführt. Unter Durchleuchtung werden die Elektroden dann ins Herz vorgeschoben und dort verankert. Bei Kindern wird in der
Regel eine Schockelektrode in die rechte Herzkammer gelegt. Je nachdem, ob ein Einkammer-
system oder ein Zweikammersystem eingesetzt
wird, kann zusätzlich noch eine weitere, reine
Stimulationselektrode in die rechte Vorkammer
platziert werden.
Nachdem die Schockelektrode verankert ist, wird
das ICD-System getestet. Hierzu wird der Patient
durch spezielle Stimulationsmanöver des Defis
ins Kammerflimmern gebracht, und man überprüft, ob der Defi das Kammerflimmern erkennen und zuverlässig mit einem GleichstromSchock beenden kann. Alle Defis arbeiten heutzutage mit sogenannten biphasischen Schocks,
bei denen während der Schockabgabe nach der
Hälfte der Zeit die Polung gewechselt wird. Wie
durch viele Studien gezeigt werden konnte, ist
damit eine effektivere Therapie der lebensbedrohlichen Kammer-Rhythmusstörungen möglich.
Wenn alle Tests zufriedenstellend verlaufen sind,
wird die Wunde zugenäht. Die Kinder wachen
auf, kommen in den Aufwachraum und später
auf die Krankenstation. Nach zwei bis drei Tagen können sie die Klinik verlassen. Am Anfang
kann der linke Arm noch nicht vollständig be7
Vorhof-Kanal
Kammer-Kanal
Marker Kanal
Abb. 7: Dokumentation der Herzrhythmusstörung und der adäquaten Therapie des ICD.
Im Vorhofkanal wird normaler Sinusrhythmus aufgezeichnet. Im Kammerkanal hingegen
zeigt sich eine schnelle, lebensbedrohliche Herzrhythmusstörung.
Diese Rhythmusstörung wird vom ICD erkannt und beim roten Pfeil erfolgt eine Beendigung
der Rhythmusstörung mit einem Gleichstromschock.
wegt werden, weil er schmerzt. Dies gibt sich
aber in den nächsten Tagen.
Nachsorge
Kinder, denen ein Defi eingesetzt wurde, werden regelmäßig betreut. Routinemäßig werden
alle sechs Monate die Daten und Messwerte des
Defis abgefragt und – falls erforderlich – Änderungen an den Einstellungen des Defis vorgenommen. Bei Kindern im Wachstum wird außerdem in regelmäßigen Abständen die Lage der
Elektroden durch ein Röntgenbild des Brustkorbs kontrolliert. Nach einer Schockabgabe sollen die Kinder sich sofort in ihrer Klinik vorstellen. Hier wird der Ereignisspeicher des Defis
ausgewertet, so dass die Ursache der Schockabgabe ermittelt werden kann (Abb. 7). Dadurch
wird die Effektivität des Defis überprüft. Aber
auch die Therapie mit Medikamenten kann den
Erfordernissen angepasst werden. Denn in der
Regel werden Herzrhythmusstörungen in erster
Linie mit Medikamenten behandelt. Der Defi
stellt sozusagen nur die Sicherheit im Hintergrund dar. Er ist also der „eingebaute Notarzt“.
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Die Kinder mit Defi werden nicht nur medizinisch, sondern auch psychologisch betreut. Ärzte und Psychologen gehen insbesondere auf die
Ängste ein, die durch die Grunderkrankung und
die Defi-Therapie ausgelöst werden. Gerade Kinder, die vor der Schockabgabe nicht bewusstlos
wurden, oder die – was selten vorkommt – bei
vollem Bewusstsein unnötige Schockabgaben
durch einen Defekt des Geräts erlebten, bedürfen einer intensiven psychologischen Betreuung, um das schmerzhafte Ereignis verarbeiten
zu können.
Gerade bei Kindern hat es sich auch bewährt,
die Umgebung über den Defi zu informieren. So
stellen Schulbesuche durch Ärzte und Mitarbeiter des psychosozialen Dienstes in den Klassen
der betroffenen Kinder ein Teil der Nachsorge
dar. Dadurch können Ängste von Mitschülern
und Lehrern durch gezielte Information über die
Defi-Therapie abgebaut werden. Sehr bewährt
hat sich eine familienorientierte Rehabilitation.
Sie hilft dem Kind selbst, seinen Eltern und seinen Geschwistern, Ängste abzubauen und den
Alltag besser zu meistern.
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