Kindliche Hörstörungen und ihre Folgen P. Schelhorn-Neise Klin ik und Pol iklin ik für Hals-, Nasen-, O hrenkrankheiten Institut für P honiatrie und Päd audiolo gie Friedrich-S chil ler-Universität Jen a Direkto r: O. Gu ntin as- Lich ius [email protected] Kindliche Hörstörungen und ihre Folgen Hören ⇒ komplexe biologische und psychosoziale Funktion Alarmierung/Orientierung soziale Interaktion (Kommunikation) Sprache soziale Isolierung /Einschränkung der Lebensqualität / Rückbildung der Sprache Kindliche Hörstörungen und ihre Folgen Epidemiologie 15,6 Millionen sind schwerhörig (über 14.LJ) 8,7 Mio. geringgradig 5,46 Mio. Mittelgradig 1,12 Mio. hochgradig 0,25 Mio. an Taubheit grenzend 65.5% 35,2% 7,2% 1,6% Neugeborene permanente bilaterale Hörstörung mit Hörverlust von mindestens 35 dB 1,2 pro 1000 Lebendgeburten Kindliche Hörstörungen und ihre Folgen - 1,2 von 1000 Neugeborenen leiden an einer relevanten Hörstörung ► Anzahl der Geburten in Deutschland 2011: 662685 (Statistisches Bundesamt, Wiesbaden) d.h. in Deutschland wurden 2011 etwa 795 Kinder mit einer Hörschädigung geboren ► Anzahl der Geburten in Thüringen 2011: 17073 Kinder d.h. 20 Kinder haben eine sprachentwicklungsrelevante Hörstörung - im ersten Lj. entwickeln sich bleibende Hörstörungen bei 1 von 5 000 - 10 000 Kindern - passagere Schallleitungsschwerhörigkeit zwischen 1. und 3. LJ Inzidenz von 30% Entwicklung des Hörsystems Wie entwickelt sich das Hörsystem? Schwangerschaft: äußeres Ohr GG: Ektoderm Trfl: aus allen 3 Keimblättern (ektodermal, mesenchymal, endodermal) Gehörknöchel: Mesenchym Innenohr häutiges Labyrinth - Ektoderm knöchernes Labyrinth - Mesoderm Entwicklung des Hörsystems 22. SSW : Reaktion von Fötus auf akustische Reize → Herzfrequenzänderung → Bewegung Geburt: - Hörorgan ausgewachsen (nimmt nicht mehr an Größe zu) - zentrale Hörbahn (Hörnerv u. Cortex) ausgebildet, Myelinisierung und synaptische Verschaltung fehlen noch Entwicklung des Hörsystems Reifung der Hörbahn 1. durch Myelinisierung von Hörnervenfasern (Dauer 8 - 12 Monate) FAEP: Interpeaklatenzen (I-V) bis zum 3.Lj Reifung der Hörbahn 2. Synaptogenese Zeitraum: bis 2 - 4 Lj., (akustischer Reize dafür erforderlich) 3. Entwicklung von Zellensemble - lassen aus vorbewusster Erregungskonstellation bewusste Prozesse entstehen Zeitraum: bis 7. - 8. Lj.! Die Hörbahnreifung findet nur in einer bestimmten Phase der kindlichen Entwicklung statt („sensibler Phase“) - Hörreize → beeinflussen Wachstum und Reifung der Hörbahn - fehlen adäquate Stimuli → Störung Entwicklung des Hörsystems therapeutisches Konzept bei kindlichen Hörstörungen: • baldige Therapie bzw. Versorgung mit Hörhilfen konstituierendes Hörsystem ist anpassungsfähiger als ein ausdifferenziertes, d. h. es kann sich besser auf induzierte Muster neuraler Aktivierung einstellen als später Kindliche Hörstörungen und ihre Folgen Einteilung der Schwerhörigkeit nach Lokalisation der Schwerhörigkeit Mittelohr, Innenohr, Hörnerv, zentral Kindliche Hörstörungen und ihre Folgen Einteilung der Schwerhörigkeit nach Art der Schallsignalverarbeitung - Schallleitungsschwerhörigkeit (akustomechanische) - Schallempfindungsschwerhörigkeit/sensorische/cochleäre (mechano-elektrische Transduktion und Umwandlung in Hörnervsignal) - auditorische Synaptopathie (Störung der synapt. Transmission inn. Haarzellen) - auditorische Neuropathie (Störung der Leitung in den Spiralganglien) - auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung (Dysfunktion der Afferenzen und Efferenzen innerhalb der Hörbahn und v. auditiven Cortex) Kindliche Hörstörungen und ihre Folgen Einteilung der Schwerhörigkeit nach Schweregrad (WHO-Einteilung, Orientierung an Luftleitungsschwelle im Reintonaudiogramm) Grad Mittl. Hörverlust (bezogen auf 500, 1000, 2000 und 4000Hz) normalhörig 25 dB und besser geringgradig 26-40 dB mittelgradig 41-60 dB hochgradig 61-80 dB Hörreste/Taub- 81 dB oder mehr heit Kindliche Hörstörungen und ihre Folgen Einteilung der Schwerhörigkeit nach zeitlichem Verlauf a)permanent ↔ passager (temporär) b) Alter prälingual perilingual postlingual konnatal pränatal postnatal 3.LJ Geburt 5.LJ 50.LJ Presbyakusis Kindliche Hörstörungen und ihre Folgen Vorbedingungen für den Spracherwerb von kindl. Seite • kognitive Reifung/Entwicklung (Aufmerksamkeit auf Objekte, Merkfähigkeit, Unterscheidung) • audio-visuelle Entwicklung • motorisch-kinästhetische Entwicklung • regelrechte Anatomie der Artikulationsorgane Kindliche Hörstörungen und ihre Folgen Welche Kompetenz eignet sich ein Kind beim Spracherwerb an? prosodische Kompetenz Intonation Betonung rhythmisch-prosodische Gliederung linguistische Kompetenz Artikulation von Lauten Grammatik / Satzbildung Wortschatz Satzbedeutung sprachsensible Phase erstreckt sich primär bis in das 4.-5. Lebensjahr Physikalische Grundlagen der Sprache Sprache aus akustischer Sicht • Vokal Obertöne Formanten Physikalische Grundlagen der Sprache Physikalische Grundlagen der Sprache (Hz) Physikalische Grundlagen der Sprache Sprachfeld (grün) (Umgangssprache aus 1–2m Entfernung - mittl. Langzeitsprachspektrum) Schwerhörigkeit und Sprache Auswirkung der Schwerhörigkeit auf das Spracherwerb abhängig von: - Frequenzbereich - Zeitpunkt des Beginns und der Dauer - Schweregrad - kommunikativem Umfeld Schallleitungsschwerhörigkeit - Gehör ist quantitativ verändert Tonbeispiel 26 sensorineurale Schwerhörigkeit - Gehör ist quantitativ und qualitativ beeinträchtigt Tonbeispiel 27/ 28 Schwerhörigkeit und Sprache - geringgradiger Hörverlust Auswirkungen in Abhängig von Beginn und der Dauer • Geringgradige Schwerhörigkeit (Hörverlust von 26-40dB, prälingual bzw. in Phase des Spracherwerbs) Folgen: Artikulationsstörung, Dysgrammatismus Schwerhörigkeit und Sprache - geringgradiger Hörverlust • Hochtonabfall Folgen: stimmlose Konsonanten und Zischlaute sind gestört Schwerhörigkeit und Sprache - geringgradiger Hörverlust • Hochtonabfall Folgen: stimmlose Konsonanten und Zischlaute sind gestört Tonbeispiel 10 (Sigmatismus palatalis) Schwerhörigkeit und Sprache - mittelgradige Schwerhörigkeit • mittelgradige Schwerhörigkeit (Hörverlust von 41-60dB, prälingual bzw. in Phase des Spracherwerbs) Schwerhörigkeit und Sprache / mittelgradige Schwerhörigkeit / prälingual Klinik: → Artikulationsstörung/phonetisch-phonologische Störung → Dysgrammatismus → Wortschatz begrenzt → Veränderung in sprechmelodischen Akzenten - Sprechdauer verlangsamt - Monorhythmie - dynamische und zeitliche Akzentuierung ohne Beziehung zum Inhalt →Veränderung der Stimme (mittlere Sprechstimmlage zu hoch) Tonbeispiel 12 (Mittelgradige SES, spät erkannt (5. LJ), Mutter hochgradig schwerhörig) Schwerhörigkeit und Sprache / hochgradige Schwerhörigkeit / prälingual • hochgradige Schwerhörigkeit (Hörverlust von 61 - 80 dB, prälingual bzw. in Phase des Spracherwerbs) Folgen : spontaner Spracherwerb bleibt weitgehend aus Kind Mutter Schwerhörigkeit und Sprache / hochgradige Schwerhörigkeit / prälingual • hochgradige Schwerhörigkeit Tonbeispiel: 2 Abb. 2 Abb. 3 Schwerhörigkeit und Sprache / hochgradige Schwerhörigkeit / postlinguale Ertaubung • hochgradige Schwerhörigkeit, an Taubheit grenzend (postlingual) Folgen : kaum Störung der Artikulation und Prosodie Tonbeispiel: 4 Ertaubung im Alter von 17 Jahren /Meningitis Klinik der kindlichen Hörstörung Schallleitungsschwerhörigkeit erworben ⇔ angeboren Fehlbildungen des Außen- und Mittelohres → Gehörgangsatresie / Stenose mit / ohne Mikrotie, fehlende oder verwachsene Gehörknöchelchen (genuine Cholesteatome) - Tubenbelüftungsstörungen mit / ohne Paukenerguss - Mittelohrerkrankungen - traumatische Schädigung Klinik der kindlichen Hörstörung / angeborene Schallleitungsschwerhörigkeit Fehlbildungen des Außen- und Mittelohres 1. Dysostosis mandibulofacialis (Franceschetti-Syndrom) autosomal-dominant vererbt (40%) bzw. Neumutation (60%); Prävalenz 1:50.000) Klinik: - Ohrmuschelfehlbildung / Gehörgangsatresie / Mittelohrfehlbildung - antimongoloide Augenstellung (laterale Lidanteile weichen nach unten ab) - in lateraler Unterlidhälfte fehlen Wimpern sowie Kolobom angeborene Schallleitungsschwerhörigkeit - Dysostosis mandibulofacialis (Franceschetti-S.) Klinik: - Hypoplasie des Ober- / Unterkiefers /Jochbogen - gelegentlich Lippen-Kiefer-Gaumenspalten - flacher Stirnnasenwinkel, dadurch groß wirkende Nase (insgesamt „Vogelgesicht“-ähnlich) Klinik der kindlichen Hörstörung / angeborene Schallleitungsschwerhörigkeit 2. Goldenhar-Syndrom (Dysplasia oculo-auricularis, Dysplasia oculo-auriculo-vertebralis) Häufigkeit: 1 : 3 000 Geburten Ätiologie: meist intrauterine Störung, bei kleinem Prozentsatz autosomal-dominanter bzw. rezessiver Erbgang, Klinik: Gesichtsasymmetrie durch einseitige Hypoplasie (Os zygomaticum, Mandibula) angebor. Schallleitungsschwerhörigkeit - Goldenhar-Syndrom (Dysplasia oculo-auricularis) Klinik: - Präaurikularanhänge (zwischen Tragus und Mundwinkel) - Mikrotie / Fehlbildung des äußeren Ohres Hörstörung: Schallleitungsschwerhörigkeit angeb. Schallleitungsschwerhörigkeit - Goldenhar-Syndrom (Dysplasia oculo-auricularis) . Klinik: - Spaltbildung im Gesicht (quere Wangenspalte, Gaumen, Zunge) - Dermoid (lateral am kornea-skleralem Übergang) - Fehlbildung im Wirbelsäulenbereich (Halbwirbel) angeborene Schallleitungsschwerhörigkeit - Gehörgangsatresie Gehörgangsatresie (Einteilung nach Weerda) intakter GG-Schlauch trommelfellnahe Atresie → membranös → knöchern (Hörverlust bei Typ C etwa 60 dB) Atresie: vollständige Atresie angeborene Schallleitungsschwerhörigkeit - Gehörgangsatresie Therapie bei GG-Atresie • Hörgerät - KL-Hörgeräte (- knochenverankerte HG) (• implantierbare Hörsysteme Vibrant Soundbridge Bonebridge) (• operative Rekonstruktion) angeborene Schallleitungsschwerhörigkeit - Gehörgangsatresie knochenverankerte HG (Schulalter) Luftschall Knochenschall angeborene Schallleitungsschwerhörigkeit - Gehörgangsatresie (- implantierbare Hörsysteme Vibrant Soundbridge Bonebridge) Floating mass transducer Klinik der kindlichen Hörstörung / Schallleitungsschwerhörigkeit - Tubenbelüftungsstörungen erworbene Schallleitungsschwerhörigkeit 1. Tubenbelüftungsstörungen - akut / chronisch - entzündlich, mechanisch Folgen: durch Störung des Druckausgleiches → Retraktion von Trommelfell / Sekretbildung, SL-SH zwischen 15 - 50 dB) Häufigkeit: → Chron. Mukotympanon (Mukotympanon länger als 3 Monate) → 10 % chron. Mukotympanon, → 5 % der Kinder bei Schuleintritt erworbene Schallleitungsschwerhörigkeit - Tubenbelüftungsstörungen Ursachen: - anatomische Gründe (kindliche Tube hat weiteres Lumen im Verhältnis zur Länge der Tube, Tube verläuft flacher) - hyperplastische Adenoide - Rhinopharyngitis (leichter Infektionsweg im Kindesalter) - Funktionsstörung des Gaumensegels / GS-Spalten Folgen für Sprachentwicklung sind abhängig von: - Schweregrad - Dauer Schon 15 dB über 3 Monate können in sprachsensibler Phase die Sprachentwicklung stören ! Jahreshörbilanz: Während des Spracherwerbs muss ein Kind 9 Monate / Jahr normalhörig sein, sonst sind Folgestörungen wahrscheinlich ! Tubenbelüftungsstörung LKGS- Spalten Häufigkeit: 1 : 500 Ursachen: - erworben (intrauterin) • Viruserkrankung der Mutter • O2 - Mangel • toxische Schäden • intrauterine Blutungen • höheres Lebensalter der Mutter - syndromale Formen in Kombination mit Chromosomensatzabweichungen (Trisomie 21) - rezessiver Erbgang (12 - 30 %) erworbene Schallleitungsschwerhörigkeit - Tubenbelüftungsstörungen / LKGS-Spalten Spalten: Lippen-Kiefer-Gaumen-Segel (LKGS-Spalten) li.L3K3G3S3-Spalte do. L3K3G3S3-Spalte erworbene Schallleitungsschwerhörigkeit - Tubenbelüftungsstörungen / LKGS-Spalten Spalten: harter und weicher Gaumen (GS-Spalten) Störung: Hartgaumen • fehlende Verschmelzung von Nasenfortsatz mit Gaumenfortsatz → einseitig / doppelseitig Weichgaumen (Gaumensegel) • Störung immer in der Mitte do. G3S3-Spalte submuköse Gaumenspalte (GIIISIII) erworbene Schallleitungsschwerhörigkeit - Tubenbelüftungsstörungen / LKGS-Spalten Spalten: weicher Gaumen S3-Spalte Uvula bifida erworbene Schallleitungsschwerhörigkeit - Tubenbelüftungsstörungen / LKGS-Spalten Schallleitungsschwerhörigkeit • Insuffizienz des M. tensor und levator veli palatini • gestörte Nasenfunktion (Septumdeviation, Muschelhyperplasie) mit unphysiologischer Mundatmung (Infektionsneigung/verdickte Schleimhaut am Tubenostium) • hypoplastischer Tubenknorpel erworbene Schallleitungsschwerhörigkeit - Tubenbelüftungsstörungen / LKGS-Spalten Schallleitungsschwerhörigkeit Folgen: Schallleitungsschwerhörigkeit (Tubenbelüftungsstörung, chronische Paukenergüsse, Mittelohrerkrankungen) Hörverlust: 20 – 40 dB 2/3 der Patienten haben einen Hörverlust von über 30 dB (Münker) Dauer: 65% - 80% ganzjährig (bei Spalten mit Velumbeteiligung) (Münker) erworbene Schallleitungsschwerhörigkeit - Tubenbelüftungsstörungen / LKGS-Spalten Folge: sero-muköse Paukenergüsse (50 % der Spaltenkinder haben in ersten 3 Lj. Paukenergüsse) erworbene Schallleitungsschwerhörigkeit - Tubenbelüftungsstörungen / Trisomie 21 Trisomie 21 Häufigkeit: 1:500 (Wiedemann) Hildmann (2002): SL -SH 88 % komb. SH 7 % sensorineurale SH 5 % erworbene Schallleitungsschwerhörigkeit - Tubenbelüftungsstörungen / Trisomie 21 Warum treten überdurchschnittlich häufig Tubenbelüftungsstörungen bei diesen Kindern auf? a) durch OK- und Mittelgesichtshypoplasie ist d. Zugrichtung d. M. tensor veli palatini verändert ebenso Form- und Lage der Tube b) velare Hypotonie (Schwäche der orofazialen Muskulatur) c) vermehrtes Auftreten von submukösen Spalten Symptome / Anomalien im HNO-Bereich: • Hypoplasie der Stirnhöhlen / Os ethmoidale • geringe Differenzierung der Ohrmuschel • Kiefer- u. Zahnanomalien (verspäteter Zahnwechsel) • Gaumen hoch, eng erworbene Schallleitungsschwerhörigkeit - Tubenbelüftungsstörungen / Therapie Therapie der Tubenbelüftungsstörung: (in Abhängigkeit von der Ursache) - medikamentös - physikalische Maßnahmen (Inhalation, Valsalva-Manöver) - Adenotomie, Paukenpunktion, Paukendrainage - Sanierung der NNH - Op (z. B. Segelplastik) erworbene Schallleitungsschwerhörigkeit - Paukenerguss / Therapie Therapie Seromuköser Paukenerguss erworb. Schallleitungsschwerhörigkeit - Tubenbelüftungsstörungen / LKGS-Spalten / Therapie Therapie bei GS-Spalten intravelare Segelplastik Kindliche Hörstörungen Sensorineurale Schwerhörigkeiten Ursachen: angeboren ⇔ erworben (postnatal) (10-30% der angeborenen Schwerhörigkeiten sind progredient!) genetisch bedingte Hörstörungen (50 %) nichtsyndromal (70 %) pränatal und perinatal Infektionen (CMV, Toxoplasmose) toxische Substanzen, Traumata, trophische Ursachen, Hypoxien, Strahlenexposition) syndromal (30 %) Kindliche Hörstörungen - sensorineurale Schwerhörigkeit / nichtsyndromal ● nichtsyndromale Hörstörungen Vererbungsmodus: autosomal - rezessiv (ca. 75-85%) autosomal - dominant (ca. 15-24%) x - chromosomal - rezessive (ca. 1-2 %) mitochondrial - man vermutet, dass über 100-150 Gene an Hörminderung beteiligt sind, 35 Gene sind bisher bekannt Kindliche Hörstörungen - sensorineurale Schwerhörigkeit / nichtsyndromal autosomal - rezessiv vererbte Hörstörungen Kennzeichen: - hochgradige sensorineurale Schwerhörigkeit, prälingual - nicht progredient Connexin 26 (wichtigstes Gen) (in 50% der rezessiven und in großem Anteil der sporadischen Formen (35%) involviert) 1994 Lokus beschrieben → Chromosom 13q 1997 Identifizierung des Gens ⇒GJB2-Gen (Gap-Junction-Protein) („Gap-Junctions“ = Membrankanäle zwischen angrenzenden Zellen → Störung v. K*-Recyclingprozess) - mindestens 2,8% aller Menschen sind heterozygot Kindliche Hörstörungen - sensorineurale Schwerhörigkeit / syndromal ● Syndromale Hörstörungen 1. Pendred-Syndrom (autosomal-rezessiv) Inzidenz: 7,5 : 100 000 Geburten (5 - 10 % aller Hörstörungen) Chromosom: 7q31 Gen: PDS-Gen kodiert Chlorid-Jodid-Transporterprotein Klinik: - endokrinologische Funktionsstörung (Jod-Einbaustörung) - schwere sensorische Schwerhörigkeit (meist kongenital bds., Haarzellschaden) - meist mit Mondini-Fehlbildung der Cochlea verbunden Kindliche Hörstörungen - sensorineurale Schwerhörigkeit / syndromal / Pendred-Syndrom Mondini-Fehlbildung der Cochlea Kindliche Hörstörungen - sensorineurale Schwerhörigkeit / syndromal 2. Usher-Syndrom (autosomal-rezessiv) Inzidenz: 3 - 4,5: 100 000 Neugeborene 3 - 6 % aller Schwerhörigen Chromosom: Gen: 1; 3; 10; 11; 17; (unterschiedliche Typen) 7 verschiedene Klinik: - Retinopathia pigmentosa (tritt erst im Kindesalter bzw. Jugendalter auf, daher zunächst als nichtsyndromale Hörstörung diagnostiziert - Hörstörung: - meist angeboren, kombiniert mit vestibul. Störung - nicht progredient, häufig i. Hochtonbereich - Haarzellschäden Kindliche Hörstörungen - sensorineurale Schwerhörigkeit / syndromal 3. Waardenburg-Syndrom (Typ I - III autosomal-dominant Typ IV autosomal-rezessiv) Inzidenz: 1 : 4 500 2 - 5 % der Schwerhörigkeiten Chromosom: 2; 3; 12; 13; 20; 22 Kindliche Hörstörungen - sensorineurale Schwerhörigkeit / syndromal / Waardenburg- Syndrom Klinik: - angeborene Pigmentstörung (Haut, Haare, Augen (blassblaue Irisfarbe)) - Gesichtsdysmorphien (hoch liegende Nasenwurzel, breiter Nasenrücken) - sensorineurale Schwerhörigkeit Kindliche Hörstörungen - sensorineurale Schwerhörigkeit / syndromal / Waardenburg- Syndrom Hörstörung: - angeboren - sehr variabler Schweregrad, ein- oder bds. - eventuell später zusätzlich Schallleitungsschwerhörigkeit → Atrophie des Ganglion spirale, Degeneration des Cortiorgans Kindliche Hörstörungen - sensorineurale Schwerhörigkeit / syndromal 4. BOR-Syndrom (branchio-oto-renales Syndrom) (autosomal-dominant) Inzidenz: 1: 4 000 Geburten 2 % der kindlichen Hörstörungen Chromosom: 8q Klinik: - Anomalien des Kiemenbogens (präaurikuläre /zervikale Fisteln, Ohrmuscheldysplasien, GG-Atresie, Mittelohrfehlbildungen) - Nierendysplasie (6 %), Strukturauffälligkeiten der Niere ohne größere Funktionsstörung (75 %) - Hörstörungen (80%) Kindliche Hörstörungen - sensorineurale Schwerhörigkeit / syndromal / BOR- Syndrom Hörstörungen: - Beginn Kindesalter oder später - progredient ! - Kochleadefekt u. Mondini-Malformation (1 ½ Windungen der Kochlea) ! - cochleäre Schwerhörigkeit (20 -30%) - SL-SH (20-30 %) - kombinierte Schwerhörigkeit (50 %) Kindliche Hörstörungen - sensorineurale Schwerhörigkeit / syndromal / 5. Alport-Syndrom (x-chromosomal – rezessiv (80%) autosomal-rezessiv (15%) und selten autosomal-dominant) Inzidenz: 1 : 5 000 - 10 000 1% der Hörstörungen Chromosom: 2 bzw. X Gen: Mutation in Alphakette des Typ IV Kollagens → Veränderung der Basalmembran der Glomeruli, bedingt durch verminderte Bindungsfähigkeit des Typ-IV-Kollagens Kindliche Hörstörungen - sensorineurale Schwerhörigkeit / syndromal / Alport-Syndrom Klinik: - cochleobasale SE-SH postlingual (Auftreten: um 1. - 2. Lj.-Zehnt, bei 50 % der männlichen Genträger, selten bei weiblichen - chron. Glomerulonephritis (Mikrohämaturie / Proteinämie bei Knaben ab 5. Lj., Frauen 20.Lj. ) - Augenanomalien (z.B. kongenitale Katarakte) Kindliche Hörstörungen - sensorineurale Schwerhörigkeit erworbene Hörstörung (sensorineurale) pränatal perinatal postnatal • Meningitis (bei 20% bds. IO-SH bis Ertaubung) • Labyrinthitis u. Neuritis cochleo-vestibularis • Masern, Mumps (infektiös-tox. Schädigung) • toxisch-medikamentös (Aminoglykoside: Streptomycin, Gentamycin; Zytostatika: Cisplatin; Diuretika: Furosemid) Kindliche Hörstörungen - sensorineurale Schwerhörigkeit / Meningitis postnatal erworbene sensorineurale Hörstörung • Meningitis Kindliche Hörstörungen Audiologische Diagnostik (subjektive/objektive Messverfahren) Neugeborenen Hörscreening (OAE-Screening) Kindliche Hörstörungen Neugeborenen Hörscreening (OAE-Screening Konzept ab 01.01.2009 (Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses) • jedes Kind muss gemessen werden • Messung beider Ohren • ab 1.8.2009 ist eine zusätzliche Seite für die Dokumentation im Kinderuntersuchungsheft vorhanden (Stufe 1-3) • Ablehnung der Screening-OAE-Messung: Dokumentation durch Unterschrift eines Elternteiles • Kinderarzt hat Kontrollpflicht bei U3 / U4 / U5 hinsichtlich der Durchführung des Hörscreenings Kindliche Hörstörungen / Neugeborenen-Hörscreening Neugeborenen-Hörscreening (3 Stufen) Stufe 1 Durchführung: Geburtseinrichtung (verantwortlich) Zeitpunkt: 2.-4. Lebenstag Methode: Screening-OAE (TEOAE) beidohrig Dokumentation: Kinderuntersuchungsheft (“Gelbes Heft”) Stempel mit Eintragung des Screeningergebnisses •Meldepflicht: Thüringer Versorgungszentrum für das Neugeborenen- Hörscreening Thüringer Landesamt für Lebensmittelsicherheit und Verbraucherschutz Tennstedter Straße 8/9 99947 Bad Langensalza Therapie bei pathologischem Befund: 2. Stufe Kindliche Hörstörungen / Neugeborenen-Hörscreening Neugeborenen-Hörscreening Stufe 2 Messung mittels Screening-BERA noch am gleichen Tag der pathologischen OAE-Messung oder bis U2 (3.-10. Lebenstag) Kontrollfunktion für Follow-Up: Kinderarzt Durchführung: Geburtseinrichtung/Kinderarzt/HNO-Arzt Methode: Screening-BERA (TEOAE) beidohrig Meldepflicht - regelrechter Befund beidseits: - pathologischer Befund: namentliche Meldung namentliche Meldung Therapie bei pathologischem Befund: 3. Stufe Überweisung an Einrichtung mit Möglichkeit der BERA-Ableitung Kindliche Hörstörungen / Neugeborenen-Hörscreening Neugeborenen-Hörscreening Stufe 3 Kontrolluntersuchung bis 12. Lebenswoche in entsprechendem Zentrum mit Möglichkeit der BERA / NN-BERA Kontrollfunktion für Follow-Up: Kinderarzt Durchführung: Zeitpunkt: Methode: Therapie: Dokumentation: HNO-Praxen, Kliniken bis spätestens zur 12.LW) BERA / NN-BERA, beidohrig bis 6. LM Kinderuntersuchungsheft (“Gelbes Heft”) •Meldepflicht: regelrechter Befund beidseits: pathologischer Befund: namentliche Meldung namentliche Meldung Kindliche Hörstörungen Audiologische Diagnostik (subjektive/objektive Messverfahren) [orientierende reflexaudiometrische Tests (- Moro-Reflex, über 60 dB - Lidreflex, 80dB)] • otoakustische Emissionen DPOAE TEOAE Kindliche Hörstörungen - audiologische Diagnostik FAEP - frühe akustisch evozierte Potentiale (BERA = brainstem electric response audiometry) • Klick-BERA Messung : LL und KL möglich Kindliche Hörstörungen - audiologische Diagnostik • NN- BERA (Notched-Noise-BERA) • AMFR oder ASSR (amplitude modulated following response / auditorische staedy state response) • Chirp-BERA Kindliche Hörstörungen - audiologische Diagnostik/subjektive Verfahren subjektive Verfahren • Reaktions-/Verhaltensaudiometrie (Geräuschzuwendung) Alter: 6. LM – 3. Lj (NW: 40-45dB) • Tonschwellenaudiometrie (Spielaudiometrie) (Alter: ab 3. Lj.) • Sprachaudiometrie (Mainzer / Göttinger Kindersprachtest) Kindliche Hörstörungen Therapie der bleibenden Hörstörung Vibrant Soundbridge Kindliche Hörstörungen Therapie der bleibenden Hörstörung Hörgeräteversorgung Normalhörigkeit HG-Einstellung Tonbeispiel 32-35 24 Stunden geöffnet Ich danke für die Aufmerksamkeit!