Physik III Atom- und Quantenphysik Physik III : Atom- und Quantenphysik Literaturempfehlungen W. Demtröder „Experimentalphysik 3 – Atome, Moleküle und Festkörper“ Springer-Verlag, Berlin, 2005. Halliday … Tipler … Gerthsen … Finckelnburg … http://reaktiveplasmen.rub.de/files/skripten/skriptPIII.pdf Script HK: http://www.ieap.uni-kiel.de/plasma/ag-kersten/ Physik III : Atom- und Quantenphysik Literaturempfehlungen Grimsehl „Lehrbuch der Physik – Struktur der Materie“ Bd.IV BSB Teubner Verlagsgesellschaft, Leipzig, 1990. E.W. Schpolski „Atomphysik“ Teil1 Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin, 1979. K. Bethge, G. Gruber, T. Stöhlker „Physik der Atome und Moleküle“ Wiley-VCH, Weinheim, 2004. H. Haken, H.C. Wolf „Atom- und Quantenphysik“ Springer-Verlag, Berlin, 1996. M. Alonso, E.J. Finn „Fundamental University Physics – Quantum and Statistical Physics“ Vol.3 Addison-Wesley, Reading, 1975. F. Schwabl „Quantenmechanik“ Springer-Verlag, Berlin, 1988. 1 Physik III : Atom- und Quantenphysik Inhaltsübersicht 1. Entwicklung der Atomvorstellung 2. Entwicklung der Quantenphysik 3. Grundlagen der Quantenmechanik 4. Das Wasserstoffatom 5. Atome mit mehreren Elektronen 6. Elektromagnetische Strahlung von Atomen 7. Moleküle 2 Atom- und Quantenphysik Gegenstand und Bedeutung Die Atomphysik umfasst diejenigen Bereiche der Physik, die sich mit der Untersuchung des Aufbaus und der Struktur der Atome und ihrer gegenseitigen Wechselwirkungen befassen. Das Ziel dieser Bemühungen ist es, die Eigenschaften makroskopischer Materie qualitativ aus ihrem mikroskopischen Aufbau heraus zu verstehen und quantitativ zu beschreiben. Die Methodik (Experimente, Modelle, Untersuchungsverfahren) und die Erkenntnisse der Atomphysik wirken in viele andere Bereiche von Wissenschaft und Technik hinein, z.B.: Molekülphysik, Astrophysik, Geophysik, Plasmaphysik Chemie, Biologie, Medizin Messtechnik Materialwissenschaften Erkenntnistheorie + zahlreiche technische Anwendungen 2a Atom- und Quantenphysik Historischer Überblick Mit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert erfolgte eine umwälzende Neuordnung der Physik, die wir als den Beginn der modernen Physik bezeichnen können. Zum Ausgang des 19. Jahrhunderts konnte das Verhalten makroskopischer Systeme durch die Mechanik (Newton'schen Gesetze), die Elektrodynamik / Optik (Maxwell‘sche Gleichungen) und die Thermodynamik (Hauptsätze)erfolgreich beschrieben werden. Deshalb versuchte man, diese Konzepte auch auf den Mikrokosmos zu übertragen – was misslang. Erst durch die Quantenphysik gelang es, diesen Widerspruch aufzulösen und in beeindruckender Weise die mikroskopische Natur der Materie zu erklären. Die Bemühungen und intensiven Forschungen auf diesem Gebiet halten bis heute an. 3 Historischer Überblick G.J.Stoney, J.J.Thomson (1897) atomos Leukipp, Demokrit (-400) D.I.Mendelejew (1869), J.L.Meyer M.Faraday (1833) Kinetische Gastheorie Kathodenstrahlen Kanalstrahlen E.Goldstein (1886), P.Lenard, W.Wien, Massenerhaltung Atomgewicht M.Lomonossow, A.Lavoisier (1789) J.Dalton (1803), A.Avogadro (1811) R.Boyle (1662) Atome, Ladungsträger Elektronen, Ionen PSE J.J.Thomson (1903) N.Bohr (1913) Atommodelle Elektrolyse E.Rutherford (1911) R.Clausius (1860), J.C.Maxwell (1866), L.Boltzmann A.Einstein (1905) Teilchenstatistik und Kinetik Molekularbewegung H.Geiger, E.Rutherford (1911) Streuexperimente J.Franck, G.Hertz (1914) Anregungsniveaus J.Fraunhofer (1813) J.Balmer (1885), J.R.Rydberg (1888), W.Ritz Serienformel, Termschema Spektralanalyse Spektren P.Zeeman (1896), J.Stark (1910) R.W.Bunsen, G.R.Kirchhoff (1859) Linienaufspaltung Strahlungsgesetze J.W.Rayleigh, J.Jeans (1894), W.Wien Schwarzer Strahler Hohlraumstrahlung O.Lummer, E.Pringsheim (1899) M.Planck (1900) A.J.Fresnel (1820) Wellentheorie H.Hertz (1884) Strahlungsformel Wirkungsquantum EM-Wellen W.C.Röntgen (1895) X-Strahlen I.Newton (1680) W.Hallwachs (1888) A.Einstein (1905) Korpuskeltheorie Photoeffekt Lichtquanten H.Becquerel (1896) 1680 1800 1825 1850 1875 1900 Wellen Quanten Radioaktivität 1905 1910 1915 4 Historischer Überblick Atome, Ladungsträger W.Pauli (1924) Spin Spektren A.Sommerfeld (1919) Atommodell, Feinaufspaltung Hohlraumstrahlung W.Heisenberg (1927) N.Bohr (1913) Matrizenmechanik, Unschärfe Atommodell E.Schrödinger (1926) Wellenmechanik, Schrödinger-Gleichung Wellen L.V.de Broglie (1924) Welle-Teilchen-Dualismus, Materiewellen P.Dirac (1930) Quantenstatistik Quanten A.H.Compton (1922) Compton-Streuung C.J.Davisson, L.H.Germer (1927) 1910 1915 1920 1925 1930 Elektronen-Streuung 5 1. Entwicklung der Atomvorstellung 1.1. Gibt es Atome? (Hinweise auf die Existenz von Atomen) Demokrit Antoine Lavoisier Am Anfang standen wagemutige Spekulationen … • Leukipp (~ 440 v.Chr.) und Demokrit (~ 460-370 v.Chr.) lehrten, dass alle Naturkörper aus unendlich kleinen, raumfüllenden, gänzlich unteilbaren Partikeln bestünden, die sie Atome (atomos = unteilbar) nannten. Die Atome stellen die unveränderlichen Bausteine der Materie dar, während durch ihre Bewegung und ihre wechselnde Zusammensetzung die Vielfalt der Dinge und ihre zeitliche Veränderung entsteht. • Die Platon‘sche Lehre führte die Atome nicht auf Stoffliches zurück, sondern auf rein mathematisch-abstrakte Formen, die durch Umordnen die Veränderung der Materie erklären sollten. • Eine moderne Atomlehre wurde im 18. Jahrhundert durch Chemiker wie A. Lavoisier (1743-1794) gestützt, die bei chemischen Reaktionen herausfanden, dass die Ergebnisse am besten erklärt werden konnten, wenn man annahm, dass alle Stoffe aus Atomen bestehen, die sich zu Molekülen verbinden können. 6 1.1.1. Gesetz der konstanten Proportionen für Massen • D. Bernoulli (1700-1782) erklärte bereits 1738 das Gasgesetz von Boyle-Mariotte durch die Bewegung kleinster kugelförmiger Teilchen (Kinetische Gastheorie) • ausgehend von diesen Vorstellungen erkannte J. Dalton (1766-1844) durch Analysen und Synthese chemischer Verbindungen, dass das Massenverhältnis der Stoffe, aus denen sich eine chemische Verbindung bildet, für jede Verbindung konstant und eindeutig bestimmt ist Dalton‘s Postulate: # Jedes chemische Element besteht aus kleinsten (kugelförmigen), nicht weiter teilbaren Teilchen, den Atomen. # Alle Atome eines Elements haben die gleiche Größe und die gleiche Masse. Die Atome unterschiedlicher Elemente unterscheiden sich in ihrer Masse. Damit gibt es genau so viele Atomsorten wie es Elemente gibt. # Atome sind unzerstörbar. Sie können durch chemische Vorgänge weder vernichtet noch erzeugt werden. # Bei chemischen Reaktionen werden die Atome der Ausgangsstoffe neu angeordnet und in bestimmten Verhältnissen miteinander verknüpft. Wenn Atome (chemische Elemente) zu Verbindungen reagieren, so stehen die Massen der Ausgangssubstanzen immer in einem ganzzahligen Verhältnis zueinander. Beispiel : 2 H O H 2O 2 1amu 16amu 18amu 1amu = (m(12C))/12 = 1,66 10-27kg John Dalton m(2 H ) 1 11,1% m(O) 8 88,9% 7 1.1.2. Gesetz der konstanten Proportionen für Volumina • bei Experimenten mit verschiedenen Gasen stellte J.L. Gay-Lussac (1778-1850) das Gesetz der konstanten Proportionen für Volumina auf: # Wenn gasförmige chemische Verbindungen bei gleichem Druck und gleicher Temperatur eine Reaktion eingehen, so stehen ihre Volumina in einem ganzzahligen Verhältnis zueinander. Beispiel : 2H 2 O2 2H 2O 2l H2-Gas und 1l O2-Gas vereinigen sich zu 2l H2O-Dampf Amadeo Avogadro Joseph Louis Gay-Lussac • auf Grund dieser experimentellen Befunde stellte A. Avogadro (1776-1856) folgende Hypothese auf : # Bei gleichem Druck und gleicher Temperatur enthalten gleiche Volumina verschiedener Gase jeweils die gleiche Anzahl von Molekülen. • für die Umrechnung der Masse (m) einer Substanz in eine Anzahl (N) an darin enthaltenen Molekülen definierte Avogadro die Einheit des Mol: Ein Mol einer gasförmigen Verbindung nimmt unter Normalbedingungen ein Volumen von 22.4 l ein. Seine Masse entspricht dem Molekulargewicht (= molare Masse) der Verbindung. Mm [g/mol] = N [mol-1] m [g] NA = 6,022 1023 mol-1 8 1.1.3. Brown‘sche Molekularbewegung • Robert Brown (1773-1858) entdeckte 1827, dass in Flüssigkeiten suspendierte Teilchen unregelmäßige Zitterbewegungen ausführen • diese Bewegungen lassen sich erklären, wenn man annimmt, dass die im Vergleich zu den Atomen sehr großen Teilchen (Kolloide, Pulver o.ä.) ständig von den sich schnell (Temperatur T) bewegenden kleinen Atomen bzw. Molekülen in statistisch verteilte Richtungen gestoßen werden x2 k BT Dt 3r • die grundlegende theoretische Beschreibung der Brown‘schen Molekularbewegung wurde 1905 von Albert Einstein (1879-1955) entwickelt, wobei ein enger Zusammenhang zur Diffusion besteht (Die mittlere Auslenkung x der Teilchen aus ihrer ursprünglichen Lage ist proportional zur Wurzel aus der Temperatur T und zur Wurzel aus der Zeitspanne Dt ). 9 1.1.4. Nebelkammer und „Mikroskope“ Nebelkammer • in einer Nebelkammer – Charles Wilson (1869-1959) – können Atome oder Ionen (genügend hoher Energie!) durch Stöße mit den Atomen des Füllgases diese ionisieren • die Ionen entlang der Teilchenspur wirken im übersättigten Wasserdampf als Kondensationskeime für die Bildung kleiner Wassertröpfchen, die durch Beleuchtung (Mie-Streuung) sichtbar gemacht werden • man kann also die Atome nur indirekt (Tröpfchenbildung) verfolgen Mikroskope mit atomarer Auflösung • in den letzten Jahren sind Instrumente entwickelt worden, mit denen eine räumliche Auflösung im sub-nm-Bereich möglich ist und mit denen einzelne Atome sichtbar gemacht werden können • die physikalischen Grundlagen und Funktionsprinzipien beruhen auf Ergebnissen der Atom- und Festkörperphysik # Raster-Elektronenmikroskop (SEM) # Transmissions-Elektronenmikroskop (TEM) # Feldemissionsmikroskop (FEM) # Raster-Tunnelmikroskop (STM) # Atomares Kraftmikroskop (AFM) 10 1. Entwicklung der Atomvorstellung 1.2. Wie groß ist ein Atom? (Bestimmung der Atomgröße) Die mikroskopischen Objekte der Atomphysik sind – anders als Objekte in der makroskopischen Welt – nicht direkt sichtbar. Man muss deshalb zu ihrer Untersuchung indirekte Methoden anwenden, deren experimentelle Ergebnisse i.a. einer sorgfältigen Interpretation bedürfen, um Rückschlüsse auf das untersuchte Objekt zu ermöglichen. Der Erkenntnisgewinn ist somit ein iterativer Prozess im Zusammenspiel von Experiment und Modell. • im einfachsten Fall kann man ein Volumen dicht gepackter kleiner Kugeln eines Mediums der Dichte r und der Molmasse Mm betrachten • für ein solches Kugelmodell erhält man den „Atomradius“ zu : r0 3 3M m 4rN A • im allgemeinen kann man auch in Streuexperimenten durch die Messung der Abschwächung eines Teilchenstrahls in einem definierten Volumen eines Gastargets der Teilchendichte n die Atomgröße bestimmen • die gestreute Teilchenmenge N nach der Transmission durch ein Streuvolumen der Länge L ist : nsL N N0 (1 e ) • aus einer Messung von N und N0 erhält man den Stoßquerschnitt s und damit den Durchmesser eines Atoms 11 Stoßquerschnitt s, Stoßwahrscheinlichkeit P, mittlere freie Weglänge L L 1 k T B 2ns 2 ps Es gibt weitere experimentelle Verfahren zur Abschätzung der Atomgröße. Allerdings ist in jedem Fall die Größe eines Atoms nicht scharf definiert, da sie von der Art der Wechselwirkung des Atoms mit seiner Umgebung abhängt. Der genaue Wert hängt daher stark von der Art der Messmethode ab. 12 1.2.1. Abschätzung aus der van-der-Waals Gleichung • ein reales Gas kann in guter Näherung durch die van-der-Waals-Gleichung beschrieben werden a p 2 Vm b RT Vm • dabei wird durch die Größe b das Eigenvolumen der Teilchen berücksichtigt, aus dem dann die Atomgröße bestimmt werden kann : r0 3 3b 16N A • Bestimmung der Konstanten b aus der Messung des Druckverlaufs p(T) eines konstanten Gasvolumens Vm bei Variation der Temperatur T : p(T) Vm = const. Konstanten in der van-der-Waals Gleichung Gas a [kPa·l3/ mol²] b [l/mol] Helium (He) 3,45 0,0237 Neon (Ne) 21,3 0,0171 Argon (Ar) 136,3 0,0322 Wasserstoff (H2) 24,7 0,0266 Stickstoff (N2) 140,8 0,0391 Sauerstoff (O2) 137,8 0,0318 Luft (80% N2, 20% O2) 135,8 0,0364 Kohlendioxid (CO2) 363,7 0,0427 Wasser (H2O) 557,29 0,031 Chlor (Cl2) 657,4 0,0562 Ammoniak (NH3) 422,4 0,0371 Methan (CH4) 225 0,0428 13 1.2.2. Abschätzung aus Transportkoeffizienten in Gasen • existieren in einem Gas zeitliche Variationen einer physikalischen Größe (z.B. Masse, Energie, Impuls) infolge von räumlichen Inhomogenitäten – so treten Transportvorgänge auf, die zum Ausgleich der Unterschiede führen • Beispiele dafür sind Diffusion, Wärmeleitung und innere Reibung (Viskosität) • bei der Diffusion besteht ein Teilchendichtegradient dn/dz, der einen Massenfluss dm/dt verursacht 1 dm dn Diffusionskoeffizient : D v L DA dt dz 3 • bei der Wärmeleitung besteht ein Temperaturgradient dT/dz, der einen Wärmefluss dQ/dt verursacht dQ dT 1 Wärmeleitungskoeffizient : nmcV v L A dt dz 3 • bei der Viskosität besteht ein Geschwindigkeitsgradient zwischen benachbarten Schichten dv/dr, der einen Impulsfluss dp/dt verursacht dp dt A dv dr 1 Koeffizient der inneren Reibung : mnv L 3 • alle Transportvorgänge werden durch die mittlere freie Weglänge L bestimmt, die wiederum vom Stoßquerschnitt (und somit der Atomgröße) s (r1+r2)2 abhängt Man kann also durch Messung von Diffusionskoeffizient, Wärmeleitungskoeffizient oder Viskosität den Wirkungsquerschnitt und damit den Durchmesser der Atome bestimmen, wenn man sie durch das Modell der harten Kugeln beschreibt. 14 1.2.3. Beugung von Röntgenstrahlung an Kristallen • Messung von Netzebenenabständen und Kristallstruktur in einem regelmäßigen Festkörperkristall mit Hilfe von Röntgenbeugung • aus dem gemessenen Abstand d zwischen den Netzebenen in einem Kristall bekannter Struktur läßt sich das Volumen VE der Einheitszelle bestimmen • unter Kenntnis des Raumfüllungsfaktors f SVa/VE erhält man bei NE Atomen pro Einheitszelle das Atomvolumen zu Va f VE / N E – und damit die Atomgröße f ~ 0,52 kubisch-primitiv f ~ 0,68 kubisch-raumzentriert (bcc) f ~ 0,74 kubisch-flächenzentriert (fcc) 15 1.2.4. Definition der Atomgröße • die verschiedenen Methoden liefern zwar alle die gleiche Größenordnung für die Atomradien – aber es gibt Abweichungen 1.2.1. 1.2.2. 1.2.3. in 10-10 m = 1A • aber die Unterschiede hängen mit dem Problem der Definition des Atomradius zusammen • bei harten, starren Kugeln ist der Radius r0 wohldefiniert • das reale Atom hat jedoch eine weitreichende Wechselwirkung, die aus abstoßenden und anziehenden Beiträgen besteht • Beschreibung durch Potentialmodelle, b a z.B. Lennard-Jones-Potential : V (r ) 12 6 r r • dann wäre rmin = r(Vmin) bzw. r0 = r(V=0) 1/ 6 rmin 2a b 1/ 6 a r0 b Die Radien der Atome haben die Größenordnung von 10-10 m. 15a Rudolf Clausius James Clerk Maxwell 1. Entwicklung der Atomvorstellung 1.3. Aus wie vielen Atomen besteht ein Makro-System? (Die Avogadro-Konstante) • die Zahl NA der Teilchen in der Stoffmenge 1mol heißt Avogadro-Konstante (bzw. LoschmidtZahl), das sind etwa 6x1023Teilchen pro Mol • für die Bestimmung dieser fundamentalen Größe sind verschiedenen experimentelle Methoden entwickelt worden Bestimmung aus der Gleichung für das ideale Gas allgemein: pV Nk BT, für 1 Mol eines Gases mit Molvolumen Vm : pVm N Ak BT RT , somit : N A R / k B • Bestimmung der Gaskonstante R und der Boltzmann-Konstante kB : (siehe 1.3.1. und 1.3.2.) • R. Clausius (1857) leitete die Zustandsgleichung der Gase pV 1 nmv 2V aus der Bewegung 3 der Gasmoleküle der Dichte n und der mittleren kinetischen Energie (m/2)v2 her • James Clerk Maxwell (1831-1879) hat dann die genaue Form der Geschwindigkeitsverteilung Cp f 2 berechnet und konnte das Verhältnis auf die Zahl f der Freiheitsgrade der CV f Teilchen zurückführen 16 1.3.1. Kinetische Gastheorie und Atomvorstellung • die inhärente und quantitative Bestimmung makroskopischer (thermodynamischer) Größen wie Druck, Temperatur, spezifische Wärme aus der kinetischen Energie (Mechanik) der Teilchen (Atome, Moleküle) eines Gases, sowie die Bestimmung der Transporteigenschaften durch Stoßprozesse zwischen den Teilchen haben sehr zur Akzeptanz der Atomvorstellung beigetragen • durch die kinetische Gastheorie konnten die zwei vorher als getrennt betrachteten Gebiete der Mechanik und der Thermodynamik auf eine gemeinsame mechanische Grundlage zurückgeführt werden (Vereinheitlichung der Naturphänomene) Messung der Gaskonstante R • man kann die Gaskonstante R z.B. aus der Messung der spezifischen Wärme erhalten : 1 U CV f R T V 2 R C p CV • am genauesten kann R durch die Messung der Schallgeschwindigkeit in einem Gas ermittelt werden : vS2 M m R T • die Schallgeschwindigkeit vS kann in einem gasgefüllten akustischen Resonator gemessen werden : f 0,n vS n r0 17 18 1.3.2. Bestimmung von kB • eine Methode zur genauen Messung von kB ist die Auswertung der mittleren quadratischen Abweichung <x2> der Teilchen bei der Brown‘schen Molekularbewegung (siehe 1.1.3.) • experimentelle Realisierung mit einem Drehspiegel am Torsionsfaden • die mittlere Auslenkung <f2> eines Spiegels ist durch die Stöße mit den Gasteilchen gegeben • es herrscht ein Gleichgewicht zwischen der potentiellen Energie des Spiegels und der mittleren kinetischen Energie in einem Freiheitsgrad der Gasmoleküle k BT D 2 2 Dr 4 ln 2 • kB kann auch aus der Boltzmann-Verteilung für Teilchendichte n(z) (z.B. Sedimentationsgleichgewicht kleiner Teilchen) experimentell bestimmt werden n( z ) n0 e mgz / kTB • im Gleichgewicht muss die nach unten gerichtete Teilchenstromdichte jg den entgegengesetzt gerichteten Diffusionsstrom jD ausgleichen 6rD • aus der Messung von Viskosität , Diffusionskoeffizient D, Temperatur T kB T und Teilchenradius r lässt sich dann die Boltzmann-Konstante bestimmen 19 1.3.3. Andere Methoden zur Bestimmung von NA Atomare Massenbestimmung • Messung der absoluten Masse mx eines Atoms (z.B. mittels Massenspektrometrie) und Kenntnis der Molmasse Mm N A M m / mx Bestimmung mittels Elektrolyse • Messung beruht auf der Elektrolyse (z.B. AgNO3) mittels Faraday-Konstante F F N Ae0 96485,3C / mol Bestimmung aus Röntgenbeugung an Kristallen • durch die Entwicklung moderner Methoden ist es heute möglich, auch NA direkt zu bestimmen • Grundlage ist die Röntgenbeugung an Kristallen • man erhält konstruktive Interferenz, wenn die Bragg-Bedingung erfüllt ist 2d sin m • durch die Bestimmung des Beugungswinkels q für konstruktive Interferenz erhält man den Netzebenenabstand d und damit das Volumen, das ein Atom einnimmt (V = d3 ) • die Avogadro-Konstante ergibt sich dann: N AV VM M M / r http://www.harfesoft.de/aixphysik/atom/Bragg/index.html 20 1. Entwicklung der Atomvorstellung 1.4. Woraus besteht ein Atom? (Elektronischer Aufbau und Struktur von Atomen) Experimentelle Hinweise auf geladene Atombausteine: # bei der Stromleitung in Elektrolyten können Moleküle in positive und negative Ladungsträger dissoziieren, die im E-Feld zu den Elektroden wandern und dabei Masse und Ladung transportieren # Leuchterscheinungen in Gasentladungen können durch elektrische und magnetische Felder beeinflusst werden # Beobachtung von Magnetfeldeffekten bei der elektrischen Leitung in Metallen und Halbleitern (z.B. Hall-Effekt) # bei der Radioaktivität fand man unterschiedliche Ablenkung von aund b-Strahlen im M-Feld Atome sind aus elektrisch geladenen Teilchen aufgebaut und können daher nicht unteilbar sein. Die elektrisch geladenen Bausteine der Atome haben Masse und Ladung. Welche Eigenschaften haben diese Teilchen ? Wie sind sie im Atom angeordnet (Substruktur) ? 21 1.4.1. Kathoden- und Kanalstrahlen • Untersuchungen von Gasentladungen haben wesentlich zur Aufklärung der elektrischen Struktur der Atome beigetragen : J. Plücker (1801-1868), J.W. Hittorf (1824-1914), J.J. Thomson (1856-1940), P. Lenard (1862-1947) • E. Goldstein (1850-1930) : Entdeckung der Kanalstrahlen (1886) = Ionenstrahlen (erste Ionenstrahlquelle) • W. Wien (1864-1928) zeigte, dass die Kanalstrahlen aus positiv geladenen Ionen des Füllgases bestehen und bestimmte q/m • J.J. Thomson : Entdeckung der Kathodenstrahlen (1897) = Elektronenstrahlen (erster Kathodenstrahloszillograph) • Messungen der Ablenkung in E- und M-Feldern zeigten, dass q/m viel größer als für die Kanalstrahlen und unabhängig vom Kathodenmaterial ist 22 1.4.2. Bestimmung der Elementarladung • erstmals bestimmte J.J. Thomson 1899 mit Hilfe der von C. Wilson entwickelten Nebelkammer die Ladung des Elektrons • einen viel genaueren Wert ergab die von R.A. Millikan (1868-1953) entwickelte Öltröpfchenmethode, die auf der Messung der Sink- bzw. Steiggeschwindigkeit von geladenen Öltröpfchen im elektrischen Feld eines Plattenkondensators beruht 4 3 F R ( röl rluft ) g 3 F 6Rv Fel ne0 E e0 1 4 3 R ( r öl rluft ) g nE 3 e0 = 1,6 10-19 C 1.4.3. Größe und Masse von Elektronen • die Größe eines Elektrons lässt sich klassisch herleiten unter der Annahme, dass ein Elektron ein Kugelkondensator der Kapazität C sei C 4 0 rel • die Energie W für das Aufbringen von Ladung auf diesen Kugelkondensator entspricht der potentielle Energie Epot : 2 W 1q 1 1 e02 E pot 2 C 2 4 0 rel • setzt man diese potentielle Energie mit der Ruheenergie des Elektrons E0 = mec2 gleich, so bekommt man den sogenannten klassischen Elektronenradius: e02 15 rel 1 , 4 10 m 2 8 0 me c • Streuexperimente zeigten allerdings, dass das Elektron als punktförmig anzusehen ist. • dies wird bei Streuexperimenten sichtbar, die selbst bei kleinem Abstand zwischen Streupartner und Elektron (= kleiner Stoßparameter) noch richtig durch das CoulombGesetz beschrieben werden können 23 23a 1.4.3. Größe und Masse von Elektronen • alle Verfahren zur Bestimmung der Elektronenmasse me beruhen auf der Ablenkung von Elektronen in elektrischen oder magnetischen Feldern F e0 ( E v B) • die Elektronenmasse lässt sich z.B. in einem Fadenstrahlrohr aus der Trajektorie der Elektronen (Krümmungsradius r) in einem homogenen Magnetfeld B bei Kenntnis der Elektronenladung e0 bestimmen : me v 2 FL e0vB Fz r e0 2U 2 2 me B r me = 9,1 10-31 kg e- U • eine genauere Messung von e/m ist mit einem Wien-Filter möglich B 24 1.4.4. Freie Elektronen und Ionen Erzeugung freier Elektronen • freie Elektronen lassen sich auf vielfältige Weise erzeugen : # thermische Emission aus Festkörperoberflächen (Glühemission, Richardson-Gesetz) # Feldemission (Tunneleffekt) # äußerer Photoeffekt an Metalloberflächen # Sekundäremission aus Festkörperoberflächen (z.B. beim Sputtern, Photomultiplier) Erzeugung freier Ionen • bei der Erzeugung (positiver) Ionen entstehen gleichzeitig auch immer Elektronen # Elektronenstoß-Ionisation (Plasma, Ionisierungsquerschnitte) # Photoionisation von Atomen (UV, Ionisierungsenergie) # Ladungsaustausch (Querschnitte, Anlagerung) # thermische Ionisation (Hochtemperatur-Plasma) • auf der Grundlage dieser Prozesse sind Elektronen- bzw. Ionenquellen entwickelt worden • für die Fokussierung von Elektronen- bzw. Ionenstrahlen gibt es spezielle Elektronen- und Ionenoptiken, die magnetische und elektrische Feldlinsensysteme benutzen, z.B. im Elektronenmikroskop • diese Kenntnisse sind wichtig für die Konstruktion von Massenspektrometern und Energiefiltern 1.4.5. Bestimmung der inneren Atomstruktur durch Streuversuche • Ladungsverteilungen im Atom und Wechselwirkungspotentiale zwischen Atomen können aus Streuexperimenten bestimmt werden • die Größe der Ablenkung zwischen zwei Teilchen A und B hängt vom Wechselwirkungspotential V(r), von der Entfernung r zwischen A und B, von den Massen mA, mB sowie der Relativgeschwindigkeit vA – vB ab Integraler Streuquerschnitt • als integralen Streuquerschnitt (integraler Wirkungsquerschnitt) bezeichnet man die Fläche s r2 um ein Teilchen B, durch die ein Teilchen A fliegen muss, damit es um einen Winkel Q (der größer ist als ein minimaler noch nachweisbarer Winkel Q0) abgelenkt wird • bei der Bestimmung des integralen Streuquerschnitts s wird also die Abnahme der nicht abgelenkten Teilchen gemessen 25 25a 1.4.5. Bestimmung der inneren Atomstruktur durch Streuversuche Differentieller Streuquerschnitt • beim differentiellen Streuquerschnitt ds/dW werden diejenigen Teilchen detektiert, die um einen Winkel Q im Bereich Q1/2DQ abgelenkt werden • es handelt sich dabei also um die Fläche eines Kreisrings (2b db) mit dem Stoßparameter b 26 Klassische Streutheorie • die Streuung von zwei Teilchen (m1, m2, v1, v2, V(r1-r2)) im Laborsystem kann völlig adäquat im Schwerpunktsystem dargestellt werden: m m1m2 m1 m2 v v1 v2 r r1 r2 1 2 1 mv E pot (r ) mv02 const 2 2 2 • Drehimpuls: L m r 1 2 1 1 2 L2 2 2 2 • kinetische Energie im Schwerpunktsystem: T Ekin mv m (r r ) mr 2 2 2 2mr 2 1 2 1 2 L2 • Gesamtenergie: E0 T E pot mv0 mr E pot (r ) 2 2 2 2mr • Energieerhaltung: 1/ 2 • für die „Koordinaten“ erhält man dann: 2 L2 r E0 E pot (r ) 2 2 mr m und L mr 2 27 • wenn r = rmin , dann ist f fmin = f(rmin) und somit q 2fmin • damit ergibt sich min min d rmin 0 d dt dr dt dr • und für den Streuwinkel ( E0 , L) 2 L m r v sin m b v0 und rmin ( E0 , b) 2b b 1/ 2 1 E pot (rmin ) / E0 rmin r dr rmin r dr L /( mr 2 )dr 2 2 0 E pot ( r ) L / 2 mr und E0 erhält man schließlich : 2 / m E rmin • mit rmin 1/ 2 1 2 mv0 L2 2mb 2 E0 2 dr b 2 E pot (r ) 2 r 1 2 r E 0 1/ 2 Der Ablenkwinkel q wird durch das Wechselwirkungspotential V(r) ~ Epot(r), durch den Stoßparameter b und die Anfangsenergie E0 bestimmt. 28 • im Experiment wird eine Probe (Target) mit energetischen Teilchen bestrahlt und die Winkelverteilung mit einem Detektor gemessen • hierzu muss man über alle möglichen Stoßparameter mitteln, die jeweils zu einem bestimmten Streuwinkel führen • Teilchenerhaltung fordert, dass die Zahl der Teilchen, die durch einen Ring der Fläche 2bdb treten, in einen Raumwinkel dW gestreut werden gemäß des differentiellen Wirkungsquerschnittes ds/dW ds 2 bdb 2 bdb b db dW R sin 2Rd 1 2 sin d sin d 2 R • um Ladungsverteilungen im Atom zu bestimmen, nimmt man elektrisch geladene Teilchen mit bekannter Ladung als „Sonden“, weil die Wechselwirkung dann durch die bekannte Coulomb-Wechselwirkung gegeben ist • dafür nahm man zunächst Elektronen (Kathodenstrahlen) bzw. a-Teilchen (radioaktive Substanzen) 29 1. Entwicklung der Atomvorstellung 1.5. Wie stellte man sich ursprünglich ein Atom vor? (Atommodelle von Thomson und Rutherford) • zu Anfang des 20. Jahrhunderts gab es zwei verschiedene Atommodelle, die man als zwei Grenzfälle der inneren Struktur eines Atoms betrachten kann: eine homogene Verteilung der positiven und negativen Ladungsträger (Thomson-Modell) und eine Konzentration der positiven Ladungen auf einen Atomkern, um den die Elektronen kreisen (Rutherford-Modell) • um die Jahrhundertwende stellte sich J.J. Thomson die Atome als Kugeln vor, die gleichmäßig mit positiv geladenen Masseteilchen gefüllt sind • diese Ladungen werden durch Elektronen kompensiert, die im Feld der positiven Ladungen Schwingungen um die Ruhelage ausführen können (Plasmafrequenz) Problem: Wie kann solch ein statistisches Atommodell stabil sein, wo sich doch positive Ladungen und Elektronen anziehen ? • nach E. Rutherford (1871-1937) besteht das Atom aus einem schweren (positiv geladenen) Atomkern und der (negativ geladenen) Elektronenhülle • damit dieses System nicht zusammenbricht, müssen sich die Elektronen sehr schnell um den Kern bewegen (Planetenmodell) Problem: Die kreisenden Elektronen stellen aber einen rotierenden Dipol dar, der nach der klassischen Vorstellung ständig Energie abstrahlen und demnach zum Kollaps des Atoms führen müsste. 30 1.5.1. Das Thomson‘sche Atommodell • J.J. Thomson hatte auf Grund seiner und anderer Experimente geschlossen, dass jedes Atom aus Z Elektronen der Ladung –Ze0 und Z positiven Ladungen mit der Ladung +Ze0 besteht und insgesamt neutral ist • für die räumliche Verteilung dieser Ladungen schlug er sein Rosinenkuchen-Modell vor, bei dem alle Ladungen statistisch gleichmäßig über das Atomvolumen verteilt sind (d.h. homogene Ladungsverteilung) • ausgehend vom elektrischen Feld einer homogen geladenen Kugel (Radius R, Ladung Ze0) und Überlegungen zur Impulsänderung der Stoßpartner erhält man einen durchschnittlichen Ablenkwinkel Ze02 8 0 R mv02 • im Experiment werden a-Teilchen durch eine Goldfolie geschossen und deshalb an vielen Atomen gestreut • der statistische Mittelwert der Ablenkwinkel ist nach n Streuungen an einzelnen Atomen : n Joseph John Thomson 1.5.2 . Das Rutherford‘sche Atommodell • E. Rutherford und seine Mitarbeiter führten ausführliche Streuversuche mit a-Teilchen an Goldfolien durch Ernest Rutherford • beim Rutherford-Modell benutzt man direkt die Formel für die Streuung im Coulombfeld an einer Punktladung Q : 2 d s 1 q Q 1 2 Ekin 4 0 cot( / 2) m v02 b dW 4 4 0 mv02 sin 4 ( / 2) E pot q Q • dieses Model ist in guter Übereinstimmung mit den Streuexperimenten • erst bei sehr kleinen Stoßparametern bzw. großen Streuwinkeln ist eine kleine Abweichung beobachtbar • Rutherford schloss daraus, dass die positive Ladung im Kern lokalisiert ist, der allerdings eine endliche Ausdehnung hat, was an der Abweichung bei q sichtbar wird • nach Auswertung der Experimente gelangte Rutherford zu der Erkenntnis, dass die positive Ladung des Atoms und fast die gesamte Masse in einem sehr kleinen Volumen im Zentrum des Atoms komprimiert sein musste (Atomkern), der Kernradius skaliert wie : rK = r0A1/3 31