Planegg, Mai 2011 Review 4. Neuromarketing Kongress „ebrain: Die Zukunft des Kaufens“ Der Faktor Mensch: Auch im Netz braucht‘s Gefühl Wie sieht die Zukunft des Kaufens aus? Mehr Mensch, mehr Gefühl, weniger Technik, so das Fazit des diesjährigen Neuromarketing Kongresses. Die Veranstaltungsreihe, die 2011 bereits zum 4. Mal in der BMW Welt in München stattfand, begeisterte auch in diesem Jahr fast 400 Teilnehmer. Die hochklassigen und spannenden Vorträge aus den Bereichen der Neurowissenschaften, des Marketings, der Forschung und der Philosophie machten den Kongress auch in diesem Jahr zu einem spannenden Exkurs in die Welt des menschlichen Denkens. POS – Zukunfts- oder Auslaufmodell? Die Auswirkungen der neuen Medien auf Verkaufen und Kaufen thematisierten Norbert Wittmann, Dr. Thomas Rotthowe und Dr. Anna Barbara Holstein von der Gruppe Nymphenburg. Die MarketingExperten fassten die Durchdringung unseres Alltags durch Internet und Handy in eindrucksvolle Zahlen: 18 Millionen Deutsche verfügen über einen Facebook-Account, 80 Prozent der iPad/Tablet-Besitzer sind täglich eine Stunde und mehr online. Ohne Handy das Haus zu verlassen, ist für 73 Prozent der Handybesitzer undenkbar – über 40 Prozent legen es beim Zubettgehen sogar auf den Nachttisch. Mit der selbstverständlichen Nutzung der neuen Medien ändern sich auch die Konsumgewohnheiten. 88 Prozent der Internetnutzer kaufen im Internet ein und verwenden dazu den klassischen PC ebenso wie Smartphones oder Tablets. Ebenfalls beliebt ist der Einkauf über interaktives TV, Callcenter oder Katalog. Der Neo-Shopper schätzt es, jederzeit, an jedem Ort und rund um die Uhr bequem einkaufen zu können – auch über Ländergrenzen hinweg. Hat der klassische Point of Sale dagegen überhaupt eine Chance? Ja, lautet die klare Einschätzung der Experten. Bedingung ist jedoch, dass der Handel Konsequenzen aus den veränderten Konsumgewohnheiten zieht und seine Vorteile gezielt ausspielt: Das Unbehagen, sensible Bankdaten im Internet preiszugeben, ist dabei nur ein Aspekt, der Kunden bewegt, dem klassischen POS den Vorzug vor dem Online-Einkauf zu geben. Anders als im Internet hat der POS die Chance, seinen Kunden ein einmaliges Einkaufserlebnis zu bieten und mit persönlichem Kontakt und Beratung ihr Vertrauen zu gewinnen. Nicht zuletzt profitiert der Kunden vom direkten Produktkontakt. Material, Farbe, Verarbeitung – diese Aspekte sind im Geschäft einfacher zu beurteilen als online. Ein entscheidender Vorteil des klassischen POS: Man kann das gekaufte Produkt gleich mitnehmen, die sofortige Befriedigung der Bedürfnisse ist damit garantiert. 1 Persönliche Beratung auch im Netz Persönlicher Kontakt und Beratung – noch scheint dies die Domäne des stationären Handels zu sein. Doch auch hier ändern sich die Zeiten, das zeigten Ralf Pispers und Ingo Gregus von der .dotkomm rich media solutions GmbH. Ihr Kritikpunkt am bestehenden Online-Handel: Viele Webseiten sind schlichtweg langweilig, denn sie werden vorwiegend nach rationalen Gesichtspunkten gestaltet. Hier noch ein Link, da noch eine Anzeige – zu oft verlieren Gestalter und Entscheider die Wünsche der Kunden aus dem Fokus. Dass es auch anders geht, machten die Online-Experten am Beispiel einer Versicherung deutlich, die von .dotkomm rich media solutions betreut wird. Ohne Umwege gelangt der Kunde dort zum gewünschten Produkt, z.B. Altersvorsorge. Ein Moderator führt den Kunden durch die interaktive Webseite, berät, gibt Tipps, hilft bei der Berechnung. Die multisensorische Ansprache aktiviert den Kunden, schafft eine emotionale Bindung zum Produkt. Wichtig für den Erfolg eines solchen Konzepts: Der Moderator muss abhängig von der Zielgruppe ausgewählt werden. Denn wie im richtigen Leben verkauft auch der Online-Moderator nur, wenn die Chemie zwischen Käufer und Verkäufer stimmt. Neuro-Conversion: Absatzsteigerung durch Emotionen Warum entscheiden sich Menschen für ein bestimmtes Online-Portal? Wie macht man im Internet aus Kaufinteressenten Käufer? Oder auf Marketing-Deutsch: Wie steigert man die Conversionrate und damit auch die Absätze? Für viele Entscheider, die den Blick nur auf ihren Return on Investment fokussieren, scheint das noch immer ein Mysterium zu sein. Diese Erfahrung schilderte André Morys, Gründer der Web Arts AG. Seine These lautet dagegen: Verkaufen im Netz ist kein Zufall. Sein Erfolgsrezept für scharf kalkulierende Manager sind Emotionen – wer die im Netz erfolgreich anspricht, kann mehr verkaufen. In einem ersten Schritt geht es darum, den Kunden zu verstehen. Wer kauft und aus welchen Motiven? Welche Barrieren hindern den Kunden möglicherweise am Kauf? Wer die Antworten kennt, kann seinen Online-Auftritt mithilfe der Erkenntnisse des Neuromarketings und der limbischen Motive ganz nach den Bedürfnissen seiner Kunden gestalten. Generell gilt: Statt Pop-ups und Flash-Intros sind einfache Botschaften, Authentizität und klare Strukturen der Schlüssel zum Erfolg und zu steigenden Umsätzen. Eye-Tracking: Nur was gesehen wird, wirkt Welcher Verkäufer im stationären Handel würde seine interessantesten Produkte hinter der Ladentheke verstecken? Oder den Verkäufer möglichst unsichtbar platzieren? Richtig: keiner. Und wenn er es doch tut, gehen die Kunden eben einfach in den nächsten Laden. Zu den Betreibern vieler Online-Shops scheint diese simple wie wichtige Erkenntnis allerdings bisher nicht durchgedrungen zu sein. Informationen, die für den User wichtig oder interessant sind oder Produkte, die er kaufen soll, sind auf der Seite kaum zu finden. Und da der Kunde im Netz immer nur einen Klick vom nächsten Shop entfernt ist, ist es umso entscheidender, dass der 2 User gleich in den ersten Augenblicken für ihn interessante Informationen auf der Webseite fokussiert. Damit das gelingt, muss man wissen, worauf sich die Blicke der User beim Besuch einer Webseite als erstes richten. Prof. Dr. Peter König analysiert in seiner WhiteMatter Labs GmbH seit Jahren die Blicke von Nutzern auf Webseiten und entwickelte auf Basis dieser Untersuchungen ein Computermodell, mit dem sich Augenbewegungen voraussagen und somit optimieren lassen. So versetzen die Auswertungen des Modells Web-Designer und Unternehmen in die Lage, ihren Online-Shop passgenau auf die erwarteten Blicke der künftigen Besucher auszurichten – beziehungsweise die Blicke der Besucher gezielt zu lenken. Die Folge: benutzerfreundliche Oberflächen, mehr Aufmerksamkeit für das wirklich Wichtige und mehr Umsatz. Die Gehirne der Digital Natives: Verändert das Internet unser Denken? Vergleicht man die Gehirne internet-unerfahrener Menschen mit denen von Viel-Surfern, lassen sich deutliche Unterschiede bei der Nutzung und dem Ausbau der Hirnareale feststellen. Und das bereits nach einer verstärkten Internetnutzung von fünf Tagen. Worin diese Unterschiede bestehen und wie sie das Denken und die Wahrnehmung beeinflussen, damit beschäftigte sich der Braunschweiger Hirnforscher Prof. Dr. Martin Korte in seinem Vortrag. Immer wenn wir lernen, so Korte, werden Bereiche unseres Gehirns beansprucht und ausgebaut, die vorher weniger oder noch nicht genutzt wurden. Bei verstärkter Internetnutzung zeigten sich die Auswirkungen vor allem im Bereich des dorsolateralen präfronalen Kortex. Dieser Bereich ist die Kommandozentrale unseres Gehirns. Er ist für strategisches Denken sowie die logische Analyse und das Treffen von Entscheidungen zuständig. Dieses Areal nimmt zudem Einfluss auf die Art, wie wir Probleme lösen, auf die Emotionskontrolle und wie wir Gefühle anderer erkennen, die Fähigkeit zum Belohnungsaufschub, die Konzentrationsfähigkeit sowie die Fähigkeit, langfristig Ziele verfolgen zu können. Surft man häufig im Netz, hat das also Konsequenzen auf unser Denken. Zwar verbessert sich die räumliche Wahrnehmung, der IQ bei Bildaufgaben und die Multitasking-Fähigkeit. Die Konzentrationsfähigkeit, die Sprachkompetenz und die Empathiefähigkeit hingegen nehmen ab, gleichzeitig steigt die Fehleranfälligkeit. Stichwort Multitasking: Während viele noch glauben, das sei der Inbegriff der Effizienz, passiert de facto genau das Gegenteil, so Korte. Konzentrieren wir uns auf mehr als zwei Aufgaben gleichzeitig, arbeiten wir weit weniger effizient. Werden wir bei einer Tätigkeit unterbrochen, zum Beispiel durch das Lesen einer E-Mail, braucht das Gehirn 28 Minuten, um sich danach wieder auf die ursprüngliche Aufgabe konzentrieren zu können. Um sich auf eine komplett neue Aufgabe einzustellen, braucht es ganze 15 Minuten „Eindenkzeit“. Last but not least: Surft man sehr viel im Internet, nimmt die Fähigkeit zur Empathie deutlich ab. Welche Auswirkungen das auf die sozialen Kompetenzen hat, lässt sich heute bereits in den Schulklassen beobachten. 3 Social Media: Eine soziale Revolution? Facebook, Twitter & Co sind jüngst vor dem Hintergrund des „Arabischen Frühlings“ als Kommunikationskanäle der Revolution in Erscheinung getreten. Wie aber genau verändern die Social Media unsere Gesellschaft? Diese Frage stellte sich Frank Schomburg, Mitarbeiter des Methoden- und Beratungsunternehmens nextpractice GmbH. Der erste Internetboom, so Schomburg, basierte auf der Faszination, jederzeit und überall Zugang zu einem weltweiten Wissens-Netzwerk zu haben. Im Web 2.0, zu dem ja bekannterweise auch die sozialen Netzwerke zählen, geht es nicht mehr um reine Informationsbeschaffung, sondern vielmehr um Mitbestimmung. Menschen wollen sich einbringen und beteiligen, sie wollen ihre Meinung kundtun und ernst genommen werden. Das zeigen nicht nur die Zuwachsraten der sozialen Medien, sondern auch der Fall Guttenberg, Stuttgart 21, oder die AtomkraftDebatte. Die Zahlen geben der Idee des Web 2.0 Recht: Noch nie hat irgendetwas so schnell so viele Menschen aktiviert wie Facebook. Das führende soziale Netzwerk gewann 100 Millionen Nutzer in neun Monaten. Wäre Facebook ein Land, wäre es die drittgrößte Nation nach China und Indien. Und auch Twitter verzeichnet 370.000 neue Mitglieder – täglich. Für Unternehmen wichtig: Durch die sozialen Netzwerke findet ein Machtwechsel vom Anbieter zum Nachfrager statt. Jeder Schritt eines Unternehmens oder einer öffentlichen Person kann im Netz dokumentiert und kommentiert werden und im Zweifelsfall hohe Wellen schlagen – siehe der Fall Guttenberg. Ein weiteres aktuelles Beispiel: Regierungssprecher Seibert twitterte Obama statt Osama und erlangte kurz darauf einen deutlichen Peak bei Google. Und: Empathie wird zum entscheidenden Wettbewerbsvorteil. Nur wenn Firmen aktiv auf das Netzrauschen reagieren und mit den Usern kommunizieren, bleibt ihnen die Netzgemeinde gewogen – und kauft auch die Produkte. Außerdem: Nachhaltigkeit und Moral wird wichtiger als Gewinnmaximierung. Durch die rasante Mund-zu-MundPropaganda im Netz wirkt sich ethisch inkorrektes Verhalten sofort auf die Umsätze aus. Fazit: In Zeiten des Web 2.0 wollen die User Transparenz, Empathie und Authentizität statt Präsenz, Perfektion und Aufmerksamkeit. Marketing oder Manipulation? Die hidden agenda der Werber Macht Einkaufen glücklich? Und was darf, was kann Werbung versprechen und was können die Produkte halten? Philosophische Reflexionen zur Manipulation lieferte zum Schluss der Veranstaltung der Jesuitenpater Prof. Dr. Michael Bordt. Die Kernfrage seines Vortrags: Was macht den Menschen glücklich? Seine Antwort: zu lieben und geliebt zu werden. Nur wenn wir Menschen in unserer Umgebung haben, die uns so akzeptieren, wie wir sind und die uns annehmen, können wir dauerhaft glücklich werden. Zum anderen: Sinnhaftigkeit. Wir müssen etwas tun, was uns mit Sinn erfüllt. Sei es Arbeit, sei es ein Ehrenamt oder ein Hobby. Geht Werbung auf diese Werte ein und nimmt sie ernst – ohne sie allerdings zu versprechen – ist sie 4 legitim, so Bordt. Kritisch wird es dann, wenn Werber den Kunden suggerieren, sie würden durch den Kauf ein besserer Mensch oder hätten ein dauerhaft glückliches Leben. Produkte zu erwerben, so Bordt, kann keine Bedingung für Liebe und Sinn sein. Wird das versprochen, folgt nach dem Kauf schnell die Ernüchterung. Daher sein Appell an alle Werbetreibenden: Manipulation ja, wenn sie dem Glück und der Zufriedenheit des Menschen dient. Weitere Infos zu den Vorträgen, den Referenten, Hintergrundliteratur und Bildmaterial unter www.haufe.de/neuromarketing2011 oder www.nymphenburg.de/neuromarketing2011. 5