mit Tempo in die Zukunft

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Heft 6 | Dezember 2016 / Januar 2017
ÖSTERREICH
Attraktiver Standort vor der Haustür
ARGENTINIEN
Mit neuer Politik zu mehr Wachstum
SAMBIA
Aufstrebender Musterschüler aus Afrika
Das Magazin der Sparkassen-Finanzgruppe für internationale Märkte
INDIEN
MIT TEMPO IN
DIE ZUKUNFT
Indien vereint Tradition
und Moderne – und
dank kluger Reformen wächst die
Wirtschaft
des Landes
enorm.
Eine Schwesterzeitschrift von PROFITS, dem Unternehmermagazin der Sparkassen-Finanzgruppe
EDITORIAL
Wachstumsmotor Indien
2017 wird ein spannendes Jahr für die Weltwirtschaft. Die Karten diesseits und jenseits des Atlantiks werden gerade neu gemischt. Noch ist
offen, was der Weltwirtschaft daraus an Impulsen und Hindernissen
erwächst. Wird der neue US-Präsident Donald Trump eine protektionistischere Politik machen als Barack Obama? Immerhin sind die USA
Deutschlands wichtigster Exportmarkt. Mehr als 1,5 Millionen deutsche Jobs hängen am US-Geschäft. Spannend wird auch, welchen Brexit-Kurs die britische Premierministerin Theresa May verfolgt. Und wird
die EU das Embargo gegen Russland lockern?
Belebende Impulse täten der Weltwirtschaft gut. Laut der WelthandelsThomas Stoll,
Chefredakteur
[email protected]
organisation WTO ist der globale Handel 2016 so langsam gewachsen
wie seit 2009 nicht mehr. Doch es gibt auch noch Wachstumsmotoren,
zum Beispiel Indien. Der Internationale Währungsfonds IWF erwartet
für den Subkontinent 2017 ein Plus von 7,5 Prozent – kein anderes größeres Schwellenland kann da mithalten.
Und das ist erst der Anfang: Indiens Regierung macht Ernst mit wichtigen Reformen. An erster Stelle steht eine neue landesweite Steuer, die
den bunten Flickenteppich an regionalen und lokal erhobenen Steuern
weitgehend ersetzen soll. Auf diese Weise erhält Indien endlich einen
seit Jahrzehnten überfälligen Binnenmarkt. Zudem wirbt die Regierung eifrig mit attraktiven Konditionen um deutsche Mittelständler. In
unserer Titelstory stellen wir ab Seite 10 diese Entwicklungen vor.
Sparkassenkunden sind beim Markteintritt in Indien nicht auf sich allein
gestellt. Wir begleiten Sie bei Ihrem Engagement. Unsere Experten im
S-CountryDesk und vor Ort im German Centre von BayernLB und LBBW
in Delhi warten auf Sie. Sprechen Sie uns einfach an!
Eine gewinnbringende Lektüre wünscht
Thomas Stoll
6/2016 AUSSEN WIRTSCHAFT
3
6|2016
In Indien sind robuste Lkw wie die von Daimler im
Moment sehr gefragt. Kein Wunder, denn das Wirtschaftswachstum des Subkontinents ist enorm.
[Seite 10]
6|2016
Alpines Büro. Österreich
bemüht sich um innovative
Firmen und Startups.
[Seite 16]
INHALT
NAMEN & NACHRICHTEN
6 Trump schafft Unsicherheit
Der Wahlsieg von Donald Trump
könnte sich negativ auf die USKonjunktur und den bilateralen
Handel auswirken.
7 Teurere Büros in Stockholm
Während die Mietpreise in London und Istanbul sinken, werden
Büros in Stockholm teurer.
8 Die Politik schafft Fakten
Die Wirtschaftskrise in den meisten Ländern der GUS-Region
klingt zwar ab, doch der politische
Einfluss Russlands nimmt stark zu.
RUBRIKEN
3 Editorial
5 Impressum
50 Kolumne Interkulturelles
4
AUSSEN WIRTSCHAFT 6/2016
TITELGESCHICHTE
10 Vorturner der Nation
Indien, das Land des wirtschaftsfreundlichen Premiers
Narendra Modi, glänzt mit den
höchsten Wachstumsraten
unter allen größeren Schwellenländern. Nun hofft der boomende Subkontinent auf eine
umfassende Steuerreform.
LÄNDER & REGIONEN
16 Arbeiten in den Bergen
Österreich lockt neben Startups
auch forschungsintensive Firmen
an, denen attraktive steuerliche
Anreize winken.
19 Bolívars traurige Erben
Im aktuellen Bonitätsranking des
US-Fachmagazins „Institutional
Investor“ ist Venezuela einer der
großen Verlierer.
20 Ungleiche Nachbarn
Der Südkaukasus eignet sich als
Drehscheibe für die gesamte
Region. Georgien steht wirtschaftlich aktuell deutlich besser da als
Armenien und Aserbaidschan.
24 Die Musterschüler
Sambias Wirtschaft wächst jährlich um rund 5 Prozent. Das bietet
deutschen Firmen Chancen.
26 Neustart am Rio de la Plata
Ausländische Investoren sollen
Argentiniens Wirtschaft beflügeln.
Der wirtschaftsfreundliche Kurs
der Regierung macht Mut.
BRANCHEN & MÄRKTE
29 Heilende Kräfte
Die Ausfuhrquote der deutschen
Medizintechnik-Branche beträgt
fast 65 Prozent. Größter Abnehmer sind die Vereinigten Staaten.
IMPRESSUM
Wissen ohne Grenzen.
Viele deutsche Firmen
forschen im Ausland.
[Seite 35]
Herausgeber und Verlag:
Deutscher Sparkassen Verlag GmbH,
70547 Stuttgart, Telefon: +49 711 782-0
Chefredakteur: Thomas Stoll
Stv. Chefredakteur: Ralf Kustermann
Art Director: Joachim Leutgen
Redaktionsleitung: Gunnar Erth,
Telefon: +49 711 782-12 72,
Fax: +49 711 782-12 88,
E-Mail: [email protected]
Chefin vom Dienst: Antje Schmitz
Bildredaktion: Gabriele Forst
Layout und Grafik:
Glückert Graphic Design, Köln
32 Echte Traumwelten
Viele internationale Hotel- und
Restaurantketten bewegen sich
auf Wachstumskurs – und benötigen eine hochwertige Ausstattung. Hier können auch deutsche
Unternehmen zum Zuge kommen,
vor allem, wenn sie schon vor Ort
präsent sind.
AUSSENHANDEL &
INVESTITIONEN
35 Forschen in der Fremde
Deutschlands innovative Unternehmen forschen immer häufiger
im Ausland. Vor allem Europa, die
USA und Asien stehen im Fokus
der Mittelständler.
38 Baggern im Norden
Skandinavier veranstalten ihre
Messen bevorzugt an außergewöhnlichen Orten abseits der
klassischen Messegelände.
STEUERN & RECHT
40 Kein Pardon an der Grenze
Die Volksrepublik China gilt als
risikoreicher Handelspartner mit
hohen Zollhürden. Doch da das
Land ein wichtiges Exportziel ist,
müssen sich deutsche Firmen
den Problemen stellen.
LÄNDERPORTRÄTS
42 Belarus
Alexander Lukaschenko regiert
das Land autokratisch. Er bleibt
Russland eng verbunden, bemüht
sich aber auch um bessere Beziehungen zum Westen.
46 Nigeria
Das afrikanische Land bekommt
Korruption und Inflation nicht
in den Griff. Die Arbeitslosigkeit
bleibt hoch, die Wirtschaft steckt
in einer tiefen Krise.
Autoren dieser Ausgabe: Peter Borstel,
Eli Hamacher, Brigitte Hild, Manfred
Kurz, Derek Lee, Ernst Leiste, Christine
Mattauch, Eva Neuthinger, Jochen
Schmidt, Birga Teske, Veronika Wengert
Inhalt: Trotz sorgfältiger Bearbeitung
keine Gewähr. Alle Rechte vorbehalten.
Nachdruck nur mit Erlaubnis der Redaktion. Diese Publikation enthält keine
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Artikel-Nummer: 330 220 569
ISSN 0936-5400
6/2016 AUSSEN WIRTSCHAFT
Foto: Elmia Wood, Mauritius
Raus ins Freie.
Elmia Wood, die
weltgrößte forstwirtschaftliche
Messe, findet im
schwedischen
Wald statt.
[Seite 38]
5
NAMEN & NACHRICHTEN
CHARTS & TRENDS
Höher, schneller,
weiter im Export
Protektionistisch.
Trump will mehrere
Handelsabkommen
aufschnüren.
Die deutschen Ausfuhren und
ihre Bedeutung für das Bruttoinlandsprodukt sind in den letzten Jahren gestiegen. Fast jeder
zweite Euro hängt am Export.
Hauptziel ist Europa …
Deutsche Exporte nach Erdteilen 2015.
Sonstige
13
Afrika
24
Amerika
Trumps Wahlsieg wirft viele Fragen auf
157
Asien
197
Gesamtexporte
1 196
Milliarden
Euro
Europa
805
Quelle: Destatis
… größter Boom in Asien …
Entwicklung der Ausfuhren auf den
Kontinent in den letzten Jahren.
179
168
120
197
113
2008
2009
2011
2013
Angaben in Milliarden Euro. Quelle: Destatis
2015
… bei einer allgemein
steigenden Exportquote
Anteil der Ausfuhren und Importe am BIP.
50
Prozent des BIP
45
40
35
30
25
2000
2003
2006
2009
2012
2015
Exportquote
Importquote
Quelle: Destatis, BMWI
Handel. Der Wahlerfolg des künftigen
US-Präsidenten Donald Trump kann
dem deutsch-amerikanischen Handel 2017 schaden. „Die Verunsicherung ist sehr groß“, sagt Volker Treier,
Außenwirtschaftschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertags. „Trumps außenwirtschaftliches Programm macht keinen Mut,
denn er hat sich wiederholt für neue
Zölle ausgesprochen.“ Die deutschen
US-Exporte gaben von Januar bis
September gegenüber dem Vorjahr
um 6,3 Prozent auf knapp 80 Milliarden Euro nach. Die Zurückhaltung
vieler US-Kunden sei auch auf den
harten Wahlkampf zurückzuführen,
so Treier. Die Helaba senkte bereits
ihre BIP-Wachstumsprognose für
die USA im Jahr 2017 nach Trumps
Wahlsieg von 2,5 auf 2,2 Prozent.
Hermesdeckungen
werden einfacher
Unterstützung auf
Auslandsmessen
Sicherheit. Der Bund hat die Einbeziehung von ausländischen Zulieferungen in die Hermesdeckung vereinfacht. Im neuen System „49 Plus“
können Exportgeschäfte mit einem
Auslandsanteil von bis zu 49 Prozent
ab sofort ohne nähere Begründung
abgesichert werden. Exportgeschäfte
mit einem höheren Anteil können im
Einzelfall ebenfalls hermesgedeckt
werden, wenn sie mit dem im Inland
verbleibenden Anteil zum Beispiel
in besonderem Maße der Schaffung
und dem Erhalt von Jobs dienen.
Präsenz. 2017 will das Bundeswirtschaftsministerium deutsche Mittelständler durch 239 Gemeinschaftsstände auf Messen in rund
50 Ländern unterstützen. Allein 87
Beteiligungen werden in Südost- und
Zentralasien organisiert, davon 45 in
China und Hongkong, berichtet der
Messeverband Auma. Mit 34 Messen
ist auch wieder Russland stark vertreten. Neben den kostengünstigen
Ständen in den German Pavilions
erhalten die Firmen organisatorische und technische Unterstützung.
m i de
6
AUSSEN WIRTSCHAFT 6/2016
dih de
auma de
he a a de
Fotos: ddpa Images, Huber Images
6|2016
NAMEN & NACHRICHTEN
Stockholm wird zum
teuren Pflaster
Immobilien. Die Büromieten in
Stockholm lagen im dritten Quartal
2016 um 29 Prozent über dem Vorjahreswert. Keine andere von 110
untersuchten Großstädten weltweit erzielte ein so hohes Büropreiswachstum, konstatiert die Immobilienberatung JLL in ihrem aktuellen
Global Office Index. Auf den Folgeplätzen lagen Oakland/East Bay an
der US-Pazifikküste, Buenos Aires
und Dubai. Berlin kam auf den
sechsten Platz mit einem Jahresplus von 15 Prozent. Günstiger werden zurzeit vor allem Büros in London und Istanbul. In Istanbul hatten
die Terroranschläge für Verunsicherung unter den Mietern gesorgt. Der
Rückgang in Großbritannien hatte
lokale Gründe und war bisher nicht
auf das Brexit-Votum zurückzuführen, so die Immobilienexperten. Für
das Gesamtjahr 2016 geht JLL von
einem globalen Mietpreisanstieg
um 3 Prozent aus. 2017 dürfte sich
das Plus eher um 2 Prozent bewegen.
de
Die interessante Zahl
Italiens Winzer haben 2015
50 000 000 000
Liter Wein gekeltert - ein
Fünftel der Weltproduktion
Quelle: Istat
Piratenangriffe
lassen stark nach
Mehr Risiken für
Großbritannien
Bedrohung. Die Zahl der weltweit
gemeldeten Piratenüberfälle ist
im 3. Quartal 2016 auf den tiefsten
Stand seit 20 Jahren gefallen. Insgesamt wurden zwischen Januar und
September 111 Schiffe geentert, fünf
entführt, zehn beschossen und fünfzehn Angriffe abgewehrt, berichtet
die International Chamber of Commerce. Die Küste Nigerias war der
größte Brennpunkt der Gewalt mit
26 Prozent aller Vorfälle, gefolgt von
Indonesien, Malaysia, Guinea und
der Elfenbeinküste.
Abschwung. Der Brexit wirft seine
Schatten voraus. „Obwohl die britische Wirtschaft recht widerstandsfähig ist, steigt das Risiko schon jetzt,
sowohl im Inland als auch für Exporteure aus dem Ausland“, analysiert
Kreditversicherer Euler Hermes. Die
Profitabilität der Firmen auf der Insel
gerate zunehmend unter Druck und
die Zahlungsmoral leide. Der Kreditversicherer Coface hat die Bewertung
des Landes im Oktober auf A3 herabgestuft. „Der Brexit ist das größte Problem Europas“, so Coface.
icc erman de
co ace de
eu erhermes de
EU will Steuertransparenz schaffen
Reform. Die EU-Kommission hat Ideen zu einer einheitlichen EU-Unternehmensbesteuerung vorgelegt. Aktuell gibt es große Unterschiede.
Gefragt. Wer ein Büro in Stockholm mieten will, muss tiefer in die Tasche greifen.
Die Höhe der Steuersätze sollen die Länder weiter selbst festlegen. Vereinheitlicht
werden sollen bis 2020
die Vorschriften, welche
Unternehmenswerte
in welcher Höhe abgeschrieben werden können, welche Ausgaben
abgesetzt und Gewinne
besteuert werden.
38,00
Frankreich
29,83
Deutschland
Großbritannien
20,00
Polen
19,00
16,47
24,44
15,39
22,00 0
Slowakei
Bulgarien
18,51
31,40
Italien
26,35
10,00
4,50
Unternehmensebene
Anteilseignerebene Unternehmensbesteuerung in der EU in Prozent. Quelle: Bundesfinanzministerium
6/2016 AUSSEN WIRTSCHAFT
7
6|2016
6|2016
NAMEN & NACHRICHTEN [ Konjunktur GUS ]
Die Politik schafft Fakten
Wende. Die Wirtschaftskrise klingt in den meisten Ländern der Region ab. Der konjunkturelle Silberstreif fehlt zwar noch, doch es gibt wegweisende politische Entwicklungen.
D
ie Rezession hielt 2015 fast
alle Länder der Gemeinschaft
Unabhängiger Staaten (GUS) fest
im Griff. Im Sog der Großmacht
Russland, deren Wirtschaftsleistung preisbereinigt um 3,7 Prozent eingebrochen ist, mussten
auch die Ukraine, Moldau und
Belarus einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) verkraften. Auch Turkmenistan, Georgien,
Kasachstan und Aserbaidschan
erlebten einen Wachstumseinbruch – teils hervorgerufen durch
die sinkenden Rohstoffpreise, teils
durch fehlende Konsum- und
Investitionsgüternachfrage sowie
ausbleibende Transferleistungen
der Expats aus Russland.
Ukraine wächst wieder
2016 verharrt die Wirtschaft von
Belarus und Russland weiter in der
Rezession, während die Ukraine
wieder leicht ins Positive dreht.
Usbekistan
5,7
Tadschikistan
5,2
Turkmenistan
4,7
Georgien
3,4
Armenien
3,0
Kirgistan
2,4
Moldau
1,7
Ukraine
1,5
Kasachstan
0,5
Tiefpunkt fast überall erreicht
Für Kasachstan und Aserbaidschan dürfte sich die Rezession
bis ins Jahr 2017 erstrecken. In der
Summe sank 2015 der Gesamtoutput in den GUS-Ländern – Russlands Anteil daran liegt bei mehr
als 70 Prozent – preisbereinigt um
2,6 Prozent. Keine Region der Welt
schnitt schlechter ab. Symptome
waren sich rapide entwertende
Währungen, Kapitalflucht und
schmelzende Fremdwährungsreserven. Bei der überwiegenden
Anzahl der Länder scheint der Tiefpunkt erreicht oder durchschritten,
der Adaptionsprozess an eine Welt
billigerer Rohstoffe abgeschlossen.
Wenn sich die Rohstoffpreise
nicht massiv erholen, ist trotz der
8
AUSSEN WIRTSCHAFT 6/2016
Russland
–0,9
Belarus
–2,4
Aserbaidschan
–2,8
BIP-Wachstum
in Prozent.
Quelle: BayernLB
wirtschaftlichen Orientierung an
China schwer vorstellbar, woher
die Triebkräfte für einen nennenswerten Anstieg der realen
Wachstumsraten kommen sollen. Verkrustete, teils korrupte
bürokratische Systeme, ein Hang
zu Wirtschaftsinterventionismus,
eine verbesserungswürdige Infrastruktur und Unsicherheit über die
weitere politische Marschrichtung
trüben die Standortbedingungen.
Die vergangenen Monate brachten aber auch wichtige Erkenntnisse. Zunächst verleitet der
triumphale Sieg der Regierungspartei „Einiges Russland“ bei den
Parlamentswahlen zur Annahme,
die zunehmend autoritäre Herrschaft Putins werde kaum noch
angefochten. Bei den Präsidentschaftswahlen 2012 war es noch
zu massiven Protesten gekommen.
Nun deuten Lethargie und der
geringe Stimmenanteil der wenigen Oppositionsparteien auf eine
Zementierung des Status quo hin.
Ebenfalls zu einer überraschend reibungslosen Fortschreibung autoritärer Herrschaft kam
es nach dem Tod des Potentaten
Islom Karimow in Usbekistan.
Sein designierter Nachfolger hat
sich den Ruf erworben, über eine
ähnlich harte Hand zu verfügen.
In der Region gibt es kaum noch
Beispiele funktionierender Demokratien, zumal sich in der Ukraine
sowie in Georgien Macht und Einfluss zunehmend auf die Oligarchie konzentrieren.
os au ent a tet
usehends seine
a te ominan
Die wichtigsten Länder der GUS in Zahlen
Russland dominiert die Region, auch wenn 2015 und 2016 das BIP zurückging.
Einwohner
Russland
Gebhard Stadler, BayernLB
Während innenpolitisch autoritäre Herrschaft konsolidiert wird,
mündet der Verfall der Rohstoffpreise in einen außenpolitischen
Bedeutungsverlust der Region. Insbesondere die zentralasiatischen
Länder verschwinden zusehends
von der Landkarte westlicher Politik. Zudem ist fraglich, ob der lange
Atem, welcher zur Stabilisierung
der Ukraine nötig sein wird, vom
Tandem aus EU und USA erbracht
werden kann. Vielen Staaten der
GUS bleibt nur die Reorientierung
Richtung Moskau oder Peking.
Foto: Stadler
Eine Region kapselt sich ab
Der Konfrontationskurs zum Westen hat sich auch in der russischen
Gesellschaft in den letzten Monaten zementiert. Eine Kursumkehr
ist unwahrscheinlich, zumal viele
Unternehmen in der EU und den
USA auf eine Lockerung der Wirtschaftssanktionen drängen. Dies
dürfte beim künftigen US-Präsidenten Donald Trump, dem eine
gewisse Nähe zu Putin nachgesagt
wird, nicht vollends auf taube
Ohren stoßen. Eine komplette Restitution der Vorkrisenverhältnisse
scheint aber mittelfristig kaum
möglich. Es verfestigt sich der Eindruck einer ökonomisch angeschlagenen, an wirtschaftlicher
Zusammenarbeit interessierten,
sich politisch und gesellschaftlich
aber vom Westen abkapselnden
Region, in der Moskau alte Dominanz entfaltet.
Gebhard Stadler
BIP
Doing-Business-Index
143,5
1326
40
Ukraine
42,6
91
80
Usbekistan
31,0
66
87
Kasachstan
17,7
184
35
Belarus
9,5
55
37
Aserbaidschan
9,4
54
65
Einwohner in Millionen; BIP 2015 in Mrd. USD; Rang im Doing-Business-Index. Quellen: BayernLB, IWF, Weltbank
Schlechter Kurs
Russland dreht ins Plus
Russland erzielt geringere Erlöse für sein
Öl – auch wegen des Wechselkurses.
Die Wirtschaft des wichtigsten GUSLandes wird 2016 wieder wachsen.
120
6
100
4
80
2
60
40
20
01/14
Wechselkurs RUB/USD
Preis Ölsorte Ural in USD
Quelle: Thomson Reuters Datastream
0
–2
–4
2013
2014
2015
2016*
2017*
BIP-Wachstum
Leistungsbilanzsaldo
* = Prognose; Angaben in Prozent. Quellen: BayernLB, IWF
Russland dominiert eindeutig den Warenverkehr
Deutsche Ausfuhren in die GUS in Millionen Euro in der ersten Jahreshälfte 2015.
6/2016 AUSSEN WIRTSCHAFT
9
6|2016
TITELGESCHICHTE [ Indien ]
Für Daimler ist Indien ein sehr wichtiger Markt.
Die Schwaben bauen dort robuste Busse und Lkw.
Kräftig
auf Achse
Reform. Gut zwei Jahre nach Narendra Modis
Erdrutschsieg hofft Indiens Wirtschaft auf
das Meisterstück des umtriebigen Premiers:
eine historische Steuerreform. Davon würden auch deutsche Firmen profitieren.
iermal ist Adarsh Mehta in diesem Jahr schon um
die Welt geflogen. Eigentlich. Die Myriaden an
Meilen hat der gebürtige Inder ausschließlich auf der
Strecke Köln – Delhi – Köln gesammelt. Das ist seine
Rennstrecke, seitdem Mehta 2015 im Abstand von
einem Monat zwei Firmen gründete. Die deutsche
in Köln beheimatete Testtailor GmbH prüft mit einer
Crowdtesting-Plattform die Leistungsfähigkeit von
Websites. Die indische Firma entwickelt Software für
deutsche Kunden. Der 42-Jährige, der seit 20 Jahren
in Köln lebt und sein Deutsch mit dem Anschauen
von Talkshows trainiert hat, will vom Besten aus beiden Welten profitieren: „Die Deutschen haben ein viel
besseres Qualitätsverständnis als die Inder. Da müssen wir lernen.“ Aber die Inder seien schnell in der
Umsetzung, sie würden auch mal spontan etwas ausprobieren und nicht alles im Vorfeld zerreden: „Und
verglichen mit Deutschland sind die Löhne deutlich
niedriger.“ Für einen Informatiker mit vier bis fünf
Jahren Erfahrung zahlt der Gründer umgerechnet
1000 bis 1500 Euro im Monat.
10 AUSSEN WIRTSCHAFT 6/2016
Foto: Xxxx Xxxx Xxxx Xxxx
Foto: Getty Images
V
6/2016 AUSSEN WIRTSCHAFT 11
TITELGESCHICHTE [ Indien ]
Indien ist obenauf
Goa mit der höchsten Wirtschaftskraft
Die BIP-Entwicklung der vier BRIC-Staaten im Vergleich.
Bundesstaaten mit dem höchsten Pro-Kopf-BIP.
8
Angaben in Prozent
Goa
4 903
Delhi
4
4 812
Sikkim
0
3 861
Chandigarh
3 433
–4
2011
Indien
2012
China
2013
Russland
2014
Brasilien
2015
2016
2017
Quellen: ADB, GTAI
Mehta hat sich von der Aufbruchsstimmung in
seiner Heimat anstecken lassen. Das Land des wirtschaftsfreundlichen Premiers Narendra Modi glänzt
mit den höchsten Wachstumsraten unter allen größeren Schwellenländern und hat sogar China abgehängt. Kampagnen wie „Make in India“ und „Make
in India Mittelstand“, mit denen Modi die Industrialisierung des Landes fördern und ausländische
Investoren locken will, zeigen erste Erfolge. Laut einer
Schätzung der Konferenz der Vereinten Nationen für
Handel und Entwicklung haben sich die Direktinvestitionen 2015 im Vergleich zum Vorjahr auf 59 Milliarden US-Dollar fast verdoppelt. Unternehmer loben
vereinfachte und schnellere Abläufe dank Digitalisierung im Steuer- und Bankenwesen und machen Verbesserungen in der Infrastruktur aus.
Foto: Getty Images
Kaum noch Beschränkungen für Investoren
Für Dirk Matter, Geschäftsführer der Indo-German
Chamber of Commerce in Düsseldorf, sind unter
Modi wichtige Fortschritte erzielt worden: „Indien
muss sich mit seinen Regelungen für Investoren
nicht verstecken. Nur noch in wenigen Sektoren wie
bei Versicherungen und Banken gibt es Obergrenzen für ausländische Firmen. In wichtigen Branchen wie Maschinenbau, Automotive oder Chemie
können deutsche Firmen 100 Prozent des Kapitals
halten.“ Zudem existiere kein Joint-Venture-Zwang.
Die ganz großen Reformen blieben bislang allerdings aus, da Modi im Oberhaus keine Mehrheit
besitzt. Doch jetzt kommt Bewegung in das Land mit
seinen gut 1,2 Milliarden Einwohnern. Drei Buchstaben elektrisieren die Wirtschaft: GST. Die Abkürzung steht für die Goods and Services Tax, ein bahnbrechendes Gesetz. Indien will mit der GST zum 1.
April 2017 eine einheitliche Mehrwertsteuer einfüh12 AUSSEN WIRTSCHAFT 6/2016
Puducherry
3 143
Angaben für 2014 in US-Dollar. Quelle: Statisticstimes
ren und einen gemeinsamen Markt schaffen. Bisher
ist der Subkontinent, dessen Fläche zehnmal so groß
wie Deutschland ist, überzogen mit einem Dickicht
aus Zoll-, Steuer- und Transportabgaben, die jeder der
29 Bundesstaaten selbst festgelegt hat. Hinzu kommen Steuern und Abgaben auf Bundesebene. Klaus
Maier, Geschäftsführer der Maier+Vidorno GmbH,
der Mittelständler bei der indischen Markterschließung in Indien berät (siehe Interview), sieht als Vorteil, dass „der grenzüberschreitende Warenaustausch
entbürokratisiert und beschleunigt wird“.
Die Hauptstadt Delhi mit Gurgaon, Noida, Ghaziabad und Faridabad gehört zu den vier wichtigs-
Starke Helfer beim Markteintritt
Helfer. Eine Reihe von Dienstleistern unterstützt deutsche Mittelständler bei ihren Indien-Geschäften.
Erste Anlaufstelle ist meist die Deutsch-Indische Handelskammer mit sechs Büros in Indien und einem Verbindungsbüro in Düsseldorf. www.indien.ahk.de.
Das German Centre Delhi.Gurgaon vermietet Büros und
bietet Serviceleistungen rund um Markteintritt und Tagesgeschäft. www.gurgaon.germancentre.com.
Indien-Spezialist Maier+Vidorno bietet Marktanalysen,
berät bei Firmengründung und Personalsuche und verwaltet Vertriebsgesellschaften. www.maiervidorno.de.
Seit 2015 unterstützt die indische Botschaft mit dem Programm „Make in India Mittelstand“ deutsche Firmen auf
ihrem Weg auf den Subkontinent. Im Fokus stehen Unternehmen aus Branchen wie Maschinenbau, erneuerbare
Energien und Automotive. www.makeinindiamittelstand.de.
Ein ausführliches Verzeichnis von Dienstleistern findet
sich unter www.indienaktuell.de/marktplatz.
Foto: Xxxx Xxxx Xxxx Xxxx
ten Wirtschaftsregionen des Landes. Die anderen
drei sind Kolkata im Osten, Chennai, Bengaluru und
Hyderabad im Süden sowie Mumbai, Pune, Ahmedabad im Westen. Laut Schätzung der Indo-German
Chamber of Commerce haben sich 14 Prozent der
1800 deutschen Betriebe in der Hauptstadtregion
angesiedelt. Ein Viertel aller ausländischen Direktinvestitionen floss im abgelaufenen Finanzjahr in
diese Region. Noch stärker steht nur Mumbai da mit
einem Anteil von 35 Prozent.
Wer im Einzugsgebiet der Hauptstadt mit insgesamt 55 Millionen Einwohnern arbeitet, braucht gute
Nerven. Laut Weltgesundheitsorganisation WHO war
Delhi 2015 die Stadt mit der höchsten Luftverschmutzung. Der Verkehr ist oft so dicht, dass Mitarbeiter von
Firmen nicht selten vier Stunden für Hin- und Rückfahrt in Kauf nehmen. Zu ihnen gehört auch Jochen
Landes, Chef von TII India. Zu der Firma gelangt man
nach längerer Irrfahrt durch ein dünn besiedeltes
Industriegebiet. Der Spezialist für Schwerlasttrailer
hat nach der Übernahme des Herstellers Tratec einen
Transporter für die Flügel von Windrädern für den
lokalen Markt entworfen. Das Kalkül: Bis 2020 will die
Regierung die Windkraftkapazität um 60 Gigawatt aufstocken. Entsprechend groß ist der Bedarf an Fahrzeugen, die die Flügel von der Fabrik an ihr Ziel bringen.
Zweiter wichtiger Wachstumstreiber sei die Infrastruktur, so Landes. Um die schweren Lasten von A
nach B bringen zu können, hat TII einen modularkonfigurierbaren Trailer im Programm. „German Engineering – Make in India“, mit dieser Strategie will
TII India den Markt erschließen. Gleichzeitig lässt
der asienerfahrene Manager keinen Zweifel daran,
wie steinig der Weg in Indien ist. Die Bürokratie sei
ausufernd, die Mitarbeitersuche mühselig, das Finden von qualifizierten Zulieferern ebenfalls. Landes’
Faustformel lautet: 50 – 10 – 1. Aus einer Gruppe von
50 Mitarbeitern und Lieferanten kommen zehn in die
engere Auswahl, einer bleibt übrig. Aber der sei dann
auch gut, unterstreicht der Physiker.
In der Cyber City sind Firmen gut aufgehoben
Für seinen Einstieg auf dem Subkontinent hat sich
Unternehmer Adarsh Mehta die Cyber City in Gurgaon im Südwesten der Hauptstadt ausgesucht. Seit
2007 ist das auf ehemaligem Ackerland erschlossene
Areal fest in der Hand bekannter Industriefirmen und
Dienstleister, unter ihnen Siemens, BMW und Lufthansa. 150 000 Menschen arbeiten hier. Drei Gasturbinenkraftwerke versorgen die gläsernen Bürotürme
mit Strom. Metrostationen verbinden seit 2013 die
Cyber City mit dem Zentrum
der Hauptstadt, der Indira
Gandhi International Airport
ist nur zehn Kilometer entfernt.
Dies sind Pluspunkte, von
denen auch Jana Helbig,
Geschäftsführerin des German
Centre Delhi.Gurgaon profitiert.
Das von BayernLB und Landesbank Baden-Württemberg
betriebene Center unterstützt
deutsche Firmen in Indien, von
der Marktanalyse über Vermietung von Büros bis zum Aufbau eigener Produktionsstätten. Auf zwei Etagen mit 4300
Quadratmetern vermietet Helbig, die ihre Doktorarbeit über
deutsche Mittelständler in
Indien schrieb, Büroflächen
vom Einzelschreibtisch im
Großraumbüro bis zum Office
Indiens Premier
Narendra Modi
für 50 Mitarbeiter. Die Mieter nutzen gemeinsam die
6/2016 AUSSEN WIRTSCHAFT 13
TITELGESCHICHTE [ Indien ]
Infrastruktur aus Telekommunikation, Konferenzund Besprechungsräumen, einem Café und profitieren vor allem vom Networking untereinander.
Ein kleiner Belegungsplan an Helbigs Schreibtisch nennt bekannte Namen: Kuka, Rational, Ferrostaal und, ganz neu, Leica. Indien habe zwar nicht so
eine große Anziehungskraft wie China, sagt Helbig.
„Nichtsdestotrotz bietet der Subkontinent aufgrund
seines großen, stetig wachsenden Binnenmarkts
sowie zahlreicher Produktionsstätten internationaler Konzerne Chancen und attraktive Marktbedingungen für deutsche Firmen.“
Wirtschaftswachstum ist Pflicht
SAP-Mitarbeiter in der Electronic City in Bengaluru. Gutes
Personal ist oft schwer zu finden, aber relativ günstig.
Autos sind eher weniger gefragt
Maschinen dominieren die deutschen Ausfuhrgüter nach Indien.
Sonstige
Kfz und -Teile
Mess-/Regeltechnik
Elektrotechnik
32,9
Maschinen
17,9
Chemische
Erzeugnisse
26,1
6,5
6,8
9,8
Angaben in Prozent. Quelle: GTAI
14 AUSSEN WIRTSCHAFT 6/2016
Mag Indien China beim Wachstum abgehängt haben,
so zeigt der Blick auf einige Fakten, wie groß dennoch der Vorsprung der Volksrepublik ist. Mit knapp
8000 Dollar lag das Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt
in China 2015 fast fünfmal höher als in Indien. Im
Ease-of-Doing-Business-Index, mit dem die Weltbank
misst, wie einfach es ist, Geschäfte zu machen, rangiert das demokratisch regierte Indien an 130. Stelle
von 189 Ländern, während das autoritär gelenkte
China Platz 84 belegt.
Immerhin profitiert Indien von einer viel jüngeren
Bevölkerung. Die „demografische Dividende“ kann
das Land allerdings nur dann ausspielen, wenn es
über Wachstum gelingt, die vielen Menschen zu
ernähren und auszubilden. Noch immer leben Millionen Inder in tiefster Armut, haben keinen Zugang
zu Strom und Wasser. Erst im Herbst 2016 sorgte eine
Studie für Schlagzeilen, wonach 83 Millionen Kinder
gar nicht zur Schule gehen, zumeist weil sie arbeiten
müssen. Umso wichtiger ist es, dass Modis Konjunkturprogramme greifen. Doch das wird dauern.
Dass in Indien nur Erfolg haben kann, wer einerseits typisch deutsch hartnäckig, andererseits
typisch indisch geduldig und findig ist, weiß Oliver
Mirza nur zu genau. Für den Bielefelder Backspezialisten Dr. Oetker baute der Sohn eines Inders und
einer Deutschen im 6000 Kilometer entfernten Delhi
das Indien-Geschäft auf. Schnell wurde klar, dass der
Einstieg mit Dr.-Oetker-Klassikern wie Backmischungen für Schwarzwälder Kirschtorte oder Käsekuchen
nicht gelingen kann – denn dafür benötigt man Quark
und Sahne, die es vor Ort nicht gibt. Die importierten „Vitalis“ -Flocken mit Schokolade mutierten in der
indischen Hitze zu klebrigen Brocken. Dr. Oetker zog
die Reißleine und entschied sich für einen Zukauf.
Fotos: Laif, Maier
Die Deutschen erwarben 2008 das indische Familienunternehmen Fun Foods, das Dressings, Brotaufstriche und Soßen produzierte. Dr. Oetker passte
zudem die eigenen Sortimente an, nahm etwa die
Eier aus dem Kuchen, brachte Innovationen wie
Mayonnaise mit dem bei Indern beliebten TandooriGeschmack auf den Markt, verkleinerte Verpackungen und etablierte behutsam auf allen Produkten Dr.
Oetker als Dachmarke mit Fun Foods als Submarke.
2015 sind die Westfalen in die Fernsehwerbung eingestiegen, um noch mehr Kunden zu erreichen. Immerhin gibt es im Land zwölf Millionen Tante-EmmaLäden, über die 90 Prozent des Verkaufs laufen.
Bei der stark wachsenden Bevölkerung mit einer
konsumfreudigen Mittelschicht rechnet sich Dr. Oetker beste Chancen aus. Gerade erst wurde für 30 Millionen Euro ein neues Werk in Betrieb genommen.
Der Umsatz mit den Markenprodukten hat sich seit
2009 auf 20 Millionen Euro verzehnfacht und soll sich
bis 2020 mehr als verdoppeln. Noch besser könnte
es mit einer einheitlichen GST laufen. Mirza ist überzeugt: „Die Harmonisierung wird den Geschäftsalltag
entbürokratisieren und die Distribution deutlich
erleichtern, weil nicht mehr an jeder Grenze eines
Bundesstaates ein Sales-Tax-Officer mit endlosen Formalitäten die Fahrer aufhält.“ Experten gehen davon
aus, dass die GST das Bruttoinlandsprodukt um ein
bis zwei Prozentpunkte steigern könnte.
Sonia Prashar, stellvertretende Hauptgeschäftsführerin der Indo-German Chamber of Commerce
(IGCC), stellt ein steigendes Interesse an dem Subkontinent fest. Sollte die GST wie geplant im April 2017
kommen, könnte dies ein Grund sein, warum sich
potenzielle Investoren das Land genauer anschauen
würden. Doch auch dann werde das Tempo verhalten
sein. „Indiens Stärke und Problem ist die Demokratie.
Deshalb geht es bei uns nicht so schnell wie in China,
sondern nur in kleinen Schritten voran“, so Prashar.
Zur IGCC kommen deutsche Firmen auch, wenn
sie Probleme etwa mit Regulierungen oder Importzöllen haben. Die Kammer und auch die deutsche
Botschaft bringen diese Anliegen bei den Ministerien
zur Sprache. Dieser Fast-Track-Mechanismus habe
sich sehr gut bewährt, unterstreicht Prashar. Etwas
skeptisch blickt sie dagegen auf die vielen Initiativen,
die Modi angestoßen habe. „Fast zu viele“, findet sie.
Jetzt müsse man abwarten, welch positiven Einfluss
sie auf die Effizienz hätten. Ohne Geduld geht es nicht
in Indien, daran wird auch der reformfreudige Premier nichts ändern.
Eli Hamacher
Klaus Maier, Geschäftsführer des Indien-Dienstleisters
Maier+Vidorno GmbH
„Indiens Steuersystem wird
einfacher und transparenter“
AUSSEN WIRTSCHAFT: Wie hat sich das Interesse
deutscher Mittelständler an Indien seit Modis Amtsübernahme verändert?
Maier: Nach den Flautejahren von 2011 bis 2014 zieht
das Interesse wieder an. Hinzu kommt, dass die Regierung bei öffentlichen Ausschreibungen eine inländische
Wertschöpfung von bis zu 40 Prozent vorschreibt.
AW: Was ist seit dem Amtsantritt besser geworden?
Maier: Noch sind es nur viele kleine Änderungen, sei es,
dass Genehmigungen schneller erteilt oder bürokratische
Abläufe vereinfacht werden. Dank der Schwarzgeldinitiative der Regierung sind viele Schlupflöcher geschlossen
worden. Der große Wurf, sei es beim Steuersystem oder
bei der Ausbildung, ist aber noch nicht gelungen.
AW: Wie werden Unternehmen von der Goods and
Services Tax profitieren?
Maier: Das gesamte Steuersystem wird einfacher und
transparenter. Wie in der EU werden Unternehmer dann
grenzüberschreitend in allen 29 Bundesstaaten ihre
Waren transportieren können. Aber es dauert sicher
zwei bis drei Jahre, bis alle Vorteile zum Tragen kommen.
AW: Wird diese Steuer zum 1. April 2017 kommen?
Maier: Vor einem Vierteljahr hätte ich Nein gesagt.
Jetzt bin ich unsicher. Die Regierung macht unglaublich
Druck. Wenn es klappt, ist das klar ein Verdienst Modis.
AW: Wird ein vereinfachtes Steuersystem Auswirkungen auf deutsche Neuansiedlungen haben?
Maier: Die positive Wahrnehmung Indiens wird sich im
Ausland definitiv verstärken. Und diese Signalwirkung
wird auch das Investitionsverhalten positiv beeinflussen.
AW: Wo lauern die Fallstricke für Indien-Newcomer?
Maier: Viele Unternehmen bereiten sich schlecht vor.
Für eine intensive Marktrecherche und die Ausarbeitung
eines passenden Geschäftsmodells braucht man sechs
bis zwölf Monate. Und man muss sehr genau prüfen, mit
wem man in enge Geschäftsbeziehungen tritt.
6/2016 AUSSEN WIRTSCHAFT 15
LÄNDER & REGIONEN [ Österreich ]
Arbeiten in den Bergen
Standort. Viele deutsche Investoren schätzen die steuerlichen Schmankerl, die Österreich
im Forschungsbereich bietet. Zudem will sich Wien als Drehscheibe für Startups etablieren.
H
err Kommerzialrat, Frau Magister oder Herr Hofrat – die
Österreicher nutzen ihre Titel gern
und reichlich: Fast 900 Amts- und
Berufstitel können in der Alpenrepublik vor oder hinter den Nachnamen gestellt werden. Die Wirkung ist nicht zu unterschätzen.
„Oft jedoch werden österreichische Besonderheiten nicht berücksichtigt, etwa die Verwendung von
Titeln, speziell im Osten des Landes“, sagt Steffen Lenke. Der Abteilungsleiter bei der Deutschen Handelskammer in Österreich (DHK)
kennt die Stolperfallen für deutsche Investoren: „Österreich wird
16 AUSSEN WIRTSCHAFT 6/2016
oft nicht als eigenständiger Markt
wahrgenommen, sondern als 17.
Bundesland.“ Dabei mangele es
häufig schon an Grundkenntnissen etwa von der geografischen
Lage der österreichischen Bundesländer und größeren Städte.
Lenke: „Für deutsche Firmen ist es
von Vorteil, in Österreich präsent
zu sein. Wer seine Bestandskunden regelmäßig besucht, drückt
Wertschätzung aus.“ Es komme
nicht gut an, wenn man dem österreichischen Geschäftspartner
das Gefühl vermittle, man würde
den österreichischen Markt „von
Deutschland aus mitbearbeiten“.
Österreich bemüht sich aktiv
um deutsche Investoren, vor
allem aus dem Landessüden –
mit Erfolg: Gegenwärtig sind etwa
5000 Unternehmen mit deutscher
Beteiligung in der Alpenrepublik
aktiv. Diese schaffen, laut Statistik Austria, 280 000 Arbeitsplätze.
Vor allem der Einzelhandel boomt:
Die Rewe-Tochter Billa ist die führende Supermarktkette, die AldiTochter Hofer beliebtester Discounter im Nachbarland.
Die ausschlaggebenden Standortfaktoren sind meist geografische Nähe und Sprachgleichheit.
Zudem könnten laut Lenke Unter-
Foto: Mauritius
6|2016
Starkes Personal
Stabiles Wachstum
EU-Länder mit der höchsten Arbeitsproduktivität je Beschäftigten.
Entwicklung des realen Bruttoinlandsprodukts Österreichs.
Irland
180,6
Luxemburg
1,5
1,6
167,0
0,9
Belgien
128,5
Österreich
115,0
Frankreich
114,3
0,4
0,3
2013
2014
2015
2016
2017
In Indexpunkten 2015. EU-Durchschnitt = 100. Quelle: Wurostat
Angaben in Prozent. 2016 und 2017 Prognose. Quelle: GTAI
nehmen eine Forschungsprämie
für jene Aufwendungen beantragen, die in Forschung und Entwicklung (F&E) investiert werden.
Dieser Anreiz kann in Höhe von
zwölf Prozent der Aufwendungen für F&E geltend gemacht werden und wird dem Abgabenkonto
als Cash-Prämie gutgeschrieben,
selbst bei negativem Steuerergebnis. Unabhängig davon gibt
es eine umfangreiche Projektförderung für F&E-Vorhaben.
heim, BMW und Bosch. Der deutsche Mittelstand, wie Otto Bock
Healthcare, Trumpf und Bionorica,
trägt ebenfalls zu den F&E-Ausgaben in Österreich erheblich bei,
sagt Bachleitner. Der Experte nennt
Zahlen: Die Töchter internationaler Unternehmen haben dieses
Jahr rund 1,72 Milliarden Euro für
F&E ausgegeben. Ein Sechstel der
österreichischen Aufwendungen
für F&E stammt aus dem Ausland.
Einer der großen Investoren
ist Infineon. Zwar produziere der
Münchner Halbleiterkonzern
in vielen Ländern, sagt Unternehmenssprecher Gregor Rodehüser: „Entscheidend ist jedoch die
Hohe Forschungsquote
Die Maßnahmen tragen Früchte:
Die Forschungsquote hat sich in
den vergangenen 20 Jahren auf
mehr als drei Prozent verdoppelt.
Zum Vergleich: In der EU liegen die
Ausgaben für F&E bei gut 2 Prozent.
Die ersten Plätze belegen Finnland,
Schweden und Dänemark, gefolgt
von Österreich und Deutschland,
so die Zahlen von Eurostat. „Am
Anstieg der Forschungsquote zeigt
sich die Dynamik Österreichs“,
sagt Bernhard Bachleitner, der
bei der österreichischen Ansiedelungsagentur Austrian Business
Agency (ABA) für Süddeutschland
zuständig ist (siehe Interview).
Die forschungsstärksten Unternehmen in Österreich seien Tochterniederlassungen deutscher
Konzerne wie Boehringer Ingel-
Das Gewand im Kasten
Austriazismen sind Begriffe, die für das
österreichische Deutsch typisch sind – etwa
7000 sind gebräuchlich. Eine Kostprobe.
Deutschland
Österreich
Vergütung
Abgeltung
Brückentag
Fenster-/Zwickeltag
Zahlendreher
Ziffernsturz
Gerichtsvollzieher
Exekutor
Treppenhaus
Stiegenhaus
Raumpflegerin
Bedienerin
Schrank
Kasten
Kleidung
Gewand
Neuer Wein
Sturm
Eisbein
Stelze
Quelle: AUSSEN WIRTSCHAFT
Nähe zum Kunden und vor allem
zu Wissensträgern.“ Daher nehme
Österreich, neben Deutschland,
eine herausragende Stellung ein.
Bei Infineon Technologies Austria sind unter den 3500 Mitarbeitern aus 60 Nationen fast 1400
Forscher tätig. Die meisten arbeiten am Standort Villach, der den
Schwerpunkt Energieeffizienz
hat. In Linz wird vorwiegend zum
Thema Radar geforscht, während
in Graz Sicherheitstechnologien
im Mittelpunkt stehen. Wo die
Möglichkeit besteht, nehme Infineon die Forschungsprämien für
F&E in Anspruch. Aufgrund der im
internationalen Vergleich hohen
Löhne heben sich diese Vorteilseffekte zum Teil allerdings auf.
2015 hat Infineon Technologies Austria für F&E rund ein Viertel des Gesamtumsatzes in Höhe
von 1,4 Milliarden Euro aufgewendet. Diese Quote veranlasste das
österreichische Wirtschaftsmagazin „Trend“ dazu, Infineon als das
„forschungsstärkste Unternehmen
Österreichs“ zu bezeichnen.
Das niedersächsische Healthcare-Unternehmen Otto Bock hat
Österreich ebenfalls längst für sich
entdeckt. Dies begründet Chief
Technology Officer (CTO) Hans
Dietl so: Die Infrastruktur, Kooperationen mit Universitäten, hoch
qualifizierte Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter sowie der Nachwuchs
hätten dazu beigetragen, dass der
Standort Wien innerhalb der Firmengruppe das Zugpferd für Innovationen im Unternehmen sei.
„Wien bietet uns die nötige Nähe
zu Forschungseinrichtungen und
Kliniken und ist ein attraktiver
Standort für High Potentials“, sagt
Dietl. Von den 660 Mitarbeitern in
Wien sind rund ein Drittel im F&EBereich tätig. Das Ausbildungsniveau sei hoch, und arbeits6/2016 AUSSEN WIRTSCHAFT 17
LÄNDER & REGIONEN [ Österreich ]
rechtlich gebe es ein günstigeres
Umfeld als in Deutschland. Potenziellen deutschen Investoren empfiehlt Dietl, auf die spezifisch passende Infrastruktur zu achten, so
wie für Otto Bock die maßgeblichen Forschungseinrichtungen.
Wien lockt mit gutem Leben
Vor allem Wien gibt sich als überaus attraktiver Standort für F&E
mit über 1000 privaten und öffentlichen Forschungsstätten, die
35 000 Menschen beschäftigen.
Hinzu kommt eine hohe Lebensqualität, die von Kunst, Kultur,
Heurigen-Lokalen und schmackhaften Mehlspeisen geprägt wird.
In Wien verdichtet sich seit einigen Jahren auch eine rege StartupKultur, die in Fachkreisen als sehr
agil und innovativ gilt – und sich
als zentrale Drehscheibe für Startups in Europa etablieren möchte.
„Wien versucht sich, wie Berlin auch, einen Namen als Placeto-be für Startups zu erarbeiten“,
sagt DHK-Experte Lenke. Traditionell werbe Wien mit seiner geografischen Lage und der Nähe zu
den Märkten Ost- und Südosteuropas. Diese beiden Vorteile haben
Die Startups
Wiens sind kreativ – wie Reinhold Baudisch
und Michael
Doberer mit
dem Portal
Durchblicker.at.
18 AUSSEN WIRTSCHAFT 6/2016
bislang rund 300 multinationale
Großkonzerne, darunter Henkel,
in den Großraum Wien gezogen.
Die meisten Investoren in Österreich sind allerdings eher kleine
und mittelständische Betriebe.
Chancen im Startup-Bereich
gibt es auch für deutsche Investoren: „Österreich verfügt über eine
pulsierende Gründerszene und
positioniert sich zunehmend als
Gründerland“, sagt Bachleitner. Er
nennt konkrete Fördermaßnahmen: Ein Startup-Paket, das Förderungen und Entlastungen im
Umfang von 185 Millionen Euro
vorsehe, wurde von der österreichischen Regierung gemeinsam
mit der dortigen Gründerszene
erarbeitet. Hinzu kämen ein Business-Angel-Fonds sowie die SeedFinanzierung der Austria Wirtschaftsservice Gesellschaft mbH
(AWS), einer Tochter der Förderbank der Republik Österreich,
die mit jeweils 20 Millionen Euro
dotiert würden. Bachleitner nennt
weitere Anreize: Eine neue Risikokapitalprämie fördere Beteiligungen an innovativen Startups.
Dabei würden kumulierte Investitionsbeiträge von bis zu 250.000
Euro pro Jahr unterstützt.
Das englischsprachige Onlineportal für die Startup-Szene „Tech
Cocktail“ hat Wien auf Rang sechs
der „zehn beliebtesten StartupStädte weltweit“ platziert. Als
Gründe werden die vielen kreativen Köpfe genannt, die hier leben,
aber auch das „ideale Startup-Ökosystem“ der Stadt: Erschwingliche
Co-Working-Spaces, Unternehmergeist, Investoren und das
„Pioneers“-Festival mit 2500 teilnehmenden Startups, das als das
größte Event seiner Art in Mitteleuropa gilt – hier treffen Startups
und Investoren in der Hofburg
aufeinander.
Veronika Wengert
Bernhard
Bachleitner,
Direktor für Süddeutschland der
Austrian Business
Agency (ABA)
„Ein Top-Standort
für Life Sciences“
AUSSEN WIRTSCHAFT: Österreich
ist einer der wichtigsten Auslandsstandorte für F&E-Investitionen deutscher Firmen. Warum?
Bachleitner: Österreich bietet
deutschen Mittelständlern, die hier
forschen, hervorragende Rahmenbedingungen. Maßgeschneiderte
Innovationsförderungen, Fachkräfte und mehr als 50 BranchenCluster vernetzen Wissenschaft,
Forschung und Wirtschaft optimal.
Ein Meilenstein, von dem Unternehmen nun noch mehr profitieren,
ist die Erhöhung der Forschungsprämie auf zwölf Prozent.
AW: In welchen Bereichen wird
besonders intensiv geforscht?
Bachleitner: Österreich ist ein
europäischer Top-Standort für
Life Sciences. Das Land ist in den
Zukunftsfeldern der Biotechnologie und Medizintechnik sowie der
Krebsforschung besonders stark.
Boehringer Ingelheim investiert
derzeit in die biopharmazeutische
Produktion am Standort Wien.
AW: Gibt es weitere Beispiele?
Bachleitner: Auch Smart Grids,
also intelligente Stromnetze,
ergänzen die traditionell starken Bereiche wie Maschinen- und
Fahrzeugbau, Umwelttechnologien, innovative Werkstoffe und die
Metallindustrie, die als exportorientierte Technologiegeber auftreten.
[ Länderbonitätsranking ] LÄNDER & REGIONEN
Schweden ist der Gewinner
Deutschland verbessert sich um einen Platz,
Schweden klettert sogar um drei Ränge.
Land
Aktuell
Rang 3/16
Schweiz
1
1
Deutschland
2
3
Norwegen
3
2
Schweden
4
7
Luxemburg
5
5
Kanada
6
8
USA
7
4
Singapur
8
6
Dänemark
9
10
10
9
Niederlande
Quelle: Institutional Investor
Bolívars traurige Erben
Krisenstimmung. Von Rang 95 auf 162: Venezuela stürzte im Länderbonitätsranking des
US-Fachmagazins „Institutional Investor“ in fünf Jahren auf einen der hinteren Plätze ab.
Fotos: Bachleitner, ddp Images, dpa Picture Alliance
D
ie Zeitschrift fragt alle sechs
Monate Volkswirte von rund
100 international tätigen Banken,
wie sich die Risikolage von 179
Staaten entwickelt. Die Rangliste
gilt als eines der besten Konjunkturbarometer der Welt. In Europa
ist Großbritannien der größte Verlierer des aktuellen Rankings. Das
Königreich gab zwar nur um zwei
Plätze nach und liegt weiterhin auf
einem guten 15. Rang; ein Minus
um 3,1 Bewertungspunkte auf
einer Skala von 0 bis 100 bedeutet aber die größte Verschlechterung unter den Top-40-Ländern –
eine Folge des Brexit-Votums.
Sorgen in Europas Süden
Weitere Risiken in Europa gibt es
vor allem im Süden: Spanien, Italien und Griechenland wurden von
den Volkswirten schwächer bewertet. Insgesamt schneidet Westeu-
ropa aber gut ab und macht die
ersten fünf Plätze unter sich aus.
Mit der Schweiz und Deutschland
liegen zwei Stabilitätsanker vorn.
Spannend wird die Frage sein,
welchen Kurs die USA unter Präsident Donald Trump einschlagen
werden; seine Ankündigung, Handelsabkommen zu kündigen oder
neu zu verhandeln, könnte sich
negativ auswirken. Im Süden Amerikas macht Argentinien einen Satz
nach vorn: von Platz 129 auf 92.
Das ist zwar weiterhin nur ein Platz
im Mittelfeld, aber eine gewaltige
Anerkennung für den Reformkurs
unter Präsident Mauricio Macri.
Das krisengeschüttelte Venezuela geht den entgegengesetzten
Weg und stürzt auf Rang 162 ab.
Die Opposition gegen den Präsidenten und ehemaligen Busfahrer
Nicolás Maduro wächst. Venezuelas Wirtschaft ist wegen Ölpreisabsturz und Planwirtschaft ein gro-
ßer Risikofaktor für die Region.
Spitzenreiter der Region ist weiterhin Chile auf Rang 23.
In Asien ist Singapur auf Platz 8
weiter das Maß aller Dinge. China
hält sich stabil auf Rang 23. Besser
wird insbesondere Südkorea beurteilt, während die Einschätzung
für Japan diesmal um 1,5 Bewertungspunkte schlechter ausfällt.
Das hohe Wirtschaftswachstum
in der dynamischsten Region der
Welt zeigt sich in der besseren
Beurteilung einer Reihe südostasiatischer Staaten. Insbesondere
in Vietnam, das jetzt auf Platz 70
liegt, sind nach Ansicht der Experten die Risiken deutlich gesunken.
Gunnar Erth
D O W N L O A D -T I P P
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6/2016 AUSSEN WIRTSCHAFT 19
6|2016
6|2016
LÄNDER & REGIONEN [ Kaukasus ]
Öl und Gas haben Baku reich
gemacht, doch jetzt wird die
Wirtschaft diversifiziert.
ASERBAIDSCHAN
Ungleiche Nachbarn
Einwohner: 9,5 Millionen
BIP 2016: 60,7 Mrd. USD
Wachstum 2016: –2,4 %
Schnittstelle. Der Südkaukasus gilt als Drehscheibe zwischen Europa und Zentralasien.
Wer hier Geschäfte macht, kann mehrere Märkte erschließen, auch Nahost oder Russland.
S
chwäbische Maultaschen, Balkan-Grillplatte und Elsässer
Flammkuchen: Im Restaurant
„Rainers“ verschmilzt halb Europa, zumindest aus kulinarischer
Sicht. Die meisten Gäste von Rainer Kaufmanns Restaurant in Tiflis, der Hauptstadt Georgiens, sind
Einheimische. Die fünf Mitarbeiterinnen in der Küche musste er
selbst ausbilden: „In Georgien
gibt es handwerklich kaum qualifiziertes Personal, jedoch sehr
viele Studienabgänger.“
Seit 25 Jahren pendelt Kaufmann zwischen seiner badischen
20 AUSSEN WIRTSCHAFT 6/2016
Heimat Bruchsal und Georgien,
wo er sich die meiste Zeit des Jahres aufhält. Neben seinem Restaurant betreibt er einen CateringService, ein Hotel, ein Reisebüro
und einen Verlag, in dem er die
deutschsprachige „Kaukasische
Post“ herausgibt. Zudem engagiert
er sich im Vorstand der Deutschen
Wirtschaftsvereinigung Georgien.
Wer im Land investieren wolle,
müsse wissen, dass man sich nicht
unbedingt auf praktisch gut ausgebildete Mitarbeiter verlassen
kann. „Die ersten Jahre sollte man
verstärkt in Führungs- und Ausbil-
dungspersonal vor Ort investieren“, rät Kaufmann, „da braucht
man einen langen Atem.“ Das
hat auch die Regierung erkannt
und verspricht für 2017 „massive
Reformen im Berufsschulwesen“.
Georgien gibt sich offen
Überhaupt gibt sich die Führung
des kleinen Landes am Schwarzen Meer, das gerade mal so groß
wie Bayern ist, seit Jahren äußerst
reformfreudig: Die Wirtschaft
wurde stark liberalisiert, das Land
dadurch deutlich attraktiver für
Investoren. Die Handelsbarrieren
sind gering, das Einfuhrzollverfahren einfach und die Steuern
niedrig. So gilt bei der Gewinnbesteuerung eine Flatrate von gerade
mal 20 Prozent. Und bei Reinvestitionen, bei denen die Gewinne im
Unternehmen verbleiben, könne
die Steuer auch mal gänzlich wegfallen, sagt Kaufmann. „Georgien
ist wirklich ein Steuerparadies.“
Zudem wurde die Bürokratie
gestrafft: Moderne Verwaltungszentren mit One-Stop-Shops
ermöglichen es, in kürzester Zeit
eine Firma zu gründen. So viel
Reformgeist zahlt sich aus: Im
Doing-Business-Report 2017 der
Weltbank belegt Georgien Rang 16
von 190 Ländern – und liegt einen
Platz vor Deutschland. Beim Grad
der Korruptionswahrnehmung,
den Transparency International
jährlich ermittelt, hat Georgien
mit Rang 48 längst EU-Mitglieder
wie Italien oder Ungarn eingeholt.
Kaufmann: „Korruption sucht
man heute vergeblich, zumindest
auf der Ebene, dass Beamte überall die Hand aufhalten oder die
Sanitätsinspektion zum Abkassieren ins Restaurant kommt.“
Oliver Regner, Geschäftsführer der Deutschen Wirtschaftsvereinigung Georgien: „Von solchen Werten profitieren deutsche
Unternehmen unmittelbar, sei es
bei der Unternehmensgründung
oder beim alltäglichen Geschäftsgebaren.“ Speziell Deutschland
genieße einen sehr guten Ruf, was
man an einer wahren Fülle deutscher Produkte im Handel sehe.
Vertrag mit EU gibt Impulse
Georgien mit seinen 3,7 Millionen Einwohnern ist sehr stark
vom Außenhandel abhängig. Der
Handel mit den Nachbarländern
Türkei und Armenien ist frei, ein
Assoziierungsabkommen mit
der EU seit Kurzem in Kraft. „Das
Abkommen stellt hohe Ansprüche
an die georgische Wirtschaft“, sagt
Regner. Dass alle Standards nicht
von heute auf morgen erfüllt würden, sei klar. „Die Ansprüche sind
jedoch exakt im Sinne deutscher
Unternehmer, die mit ihren qualitativ hochwertigen Angeboten
nur auf Märkten bestehen können,
die ebensolche verlangen anstelle
von Massenwaren“, so Regner.
Die Jahre, in denen Georgien ein
zweistelliges Wirtschaftswachstum verzeichnete, sind allerdings
gezählt. Als der Oppositionspolitiker Michail Saakaschwili nach der
Rosenrevolution Anfang 2004 an
die Macht kam, reformierte er den
postsowjetischen Wirtschafts- und
Verwaltungsapparat grundlegend.
Das Wachstum Georgiens wurde
erst 2008 durch den Krieg mit Russland gebremst: Moskau verhängte
einen Importstopp. Der für Georgien sehr wichtige Weinbau, aber
auch die Mineralwasser-Industrie
mussten sich nach neuen Märkten
umsehen. Nach Ende der Ära Saakaschwili 2013 haben sich Russland und Georgien zögerlich wieder angenähert. Die Frage um die
umstrittenen Gebiete Abchasien
und Südossetien ist jedoch offen.
Nun wird Georgiens Wachstum
erneut gebremst: Die wichtigen
Abnehmer Russland, Ukraine und
Aserbaidschan leiden unter einer
Wirtschaftskrise. Das hat zu geringeren Geldüberweisungen georgischer Gastarbeiter in die Heimat
geführt. Hinzu kommt die Abwertung der Landeswährung Lari, was
die Nachfrage senkt. Dies spie-
Spannungsgeladene Region am Rande Europas
Foto: dpa/Picture Alliance
Streit. So zerklüftet wie die Natur ist auch
die politische Lage im Südkaukasus.
Alle drei Märkte integrieren sich wegen der
oft schwachen Infrastruktur nur schwer in
internationale Wertschöpfungsketten. Die
regionale Zusammenarbeit ist aufgrund politischer Auseinandersetzungen unzureichend.
Die Gefahr eines Kriegs zwischen Armenien
und Aserbaidschan wegen Berg-Karabach
liegt weiter als Schatten auf der Region. Und
Teile Georgiens haben sich nach bewaffneten
Konflikten für unabhängig erklärt.
6/2016 AUSSEN WIRTSCHAFT 21
LÄNDER & REGIONEN [ Kaukasus ]
gelt sich vor allem im Gebrauchtwagensektor wider, der zu Bestzeiten ein Fünftel der georgischen
Gesamtexporte ausmachte und
nun drastisch eingebrochen ist.
Aufgrund der liberalen Handelsgesetze hatte sich Georgien zur
Drehscheibe für Gebrauchtfahrzeuge, viele aus Deutschland, im
Südkaukasus etabliert. Die sinkende Kaufkraft in Aserbaidschan
setzte den Autohändlern stark zu.
Überhaupt hat die Wirtschaft in
Aserbaidschan schon bessere Zeiten erlebt: Der Reichtum des kleinen Landes am Kaspischen Meer
basiert auf den üppigen Öl- und
Gasvorkommen. Diese bilden den
Grundpfeiler der aserbaidschanischen Wirtschaft und stellen 90
Prozent der Exporteinnahmen.
Entsprechend hart trifft der niedrige Ölpreis auf dem Weltmarkt
das Wirtschaftswachstum, das in
diesem Jahr laut Schätzungen des
Internationalen Währungsfonds
(IWF) ein Minus von 2,4 Prozent
erreichen soll. Bereits im Frühjahr
2015 wurde die Landeswährung,
der Aserbaidschan-Manat, um gut
ein Drittel abgewertet, zum Jahresende folgte eine zweite Devaluationswelle von etwa 50 Prozent, als sich der Manat vom Dollar
löste. Das Land belegt Rang 65 im
Doing-Business-Report 2017.
Frischer Wind in Baku
Ungeachtet dessen führt die Regierung in Baku seit einigen Jahren
Reformen durch, zu denen auch
einfachere Verwaltungsprozesse
gehören. Es ist leichter geworden,
eine Niederlassung zu registrieren oder Geschäfte abzuwickeln.
Ein Hindernis ist hingegen die
Erhöhung der Einfuhrzölle, die
den Binnenmarkt schützen soll,
aber auch die Auflage für staat22 AUSSEN WIRTSCHAFT 6/2016
GEORGIEN
Einwohner: 3,7 Millionen
BIP 2016: 13,9 Mrd. USD
Wachstum 2016: 3,4 %
liche Stellen, keine eingeführten
Waren zu erwerben. Dies kann zu
einem Rückgang der Importe führen – auch für deutsche Anbieter.
Aserbaidschan hat jedoch nicht
nur Öl und Gas zu bieten, wie die
Regierung in Baku gern betont.
Die Wirtschaft wird diversifiziert:
Informations- und Kommunikationstechnologien verzeichnen
einen Aufschwung, ebenso die
Agrar- und Nahrungsmittelindustrie. Ebenso offen zeigt sich die
Regierung für Projekte im Bereich
erneuerbare Energien und Energieeffizienz. Überhaupt scheint
Baku für solche Vorhaben ideal zu
sein: Die starken Küstenwinde, die
die Region prägen, verliehen der
Metropole ihren Namen: „Stadt
der Winde“, so nannten die alten
Perser Baku einst.
Georgien hängt Nachbarn ab
Das reale Bruttoinlandsprodukt wird 2017
im Kaukasus wieder überall zunehmen.
6 Angaben in Prozent
4
2
0
–2
–4
2013
2014
2015
2016
Armenien
Aserbaidschan
Georgien
2016 und 2017 Prognose. Quelle: GTAI
2017
Ein rauer politischer Wind prägt
Aserbaidschans Beziehungen zum
Nachbarland Armenien: Die autonome Region Berg-Karabach, die
beide Länder für sich beanspruchen, hat in der Vergangenheit zu
erbitterten Kämpfen geführt. Die
seit 1994 andauernde Waffenruhe
wurde im vergangenen Frühjahr
gebrochen, was mehrere Dutzend
Opfer mit sich brachte. Nicht ganz
unkompliziert ist auch die Nachbarschaft Armeniens zur Türkei,
die sich strikt gegen eine internationale Anerkennung des Genozids an den Armeniern im Ersten
Weltkrieg ausspricht.
Die festgefahrene Situation hat
dazu geführt, dass Armenien geostrategisch fast isoliert ist: Von
vier Landesgrenzen sind zwei
geschlossen, nach Aserbaidschan
und in die Türkei. Warentransporte verlaufen auf dem Landweg über das nördlicher gelegene
Georgien oder über den Iran im
Süden. Viele ausländische Investoren erschließen sich dadurch
neue Märkte im Nahen Osten.
Wirtschaftlich ist Armenien
allerdings stark von Russland
abhängig: Beide Länder gehören, gemeinsam mit Belarus und
Kasachstan, zur Eurasischen Wirtschaftsunion. Mehr als die Hälfte
der ausländischen Direktinvesti-
ARMENIEN
Einwohner: 3,0 Millionen
BIP 2016: 10,1 Mrd. USD
Wachstum 2016: 3,2 %
tionen stammt aus Russland, wo
eine starke armenische Diaspora
mit zwei Millionen Menschen lebt.
Darunter sind viele Gastarbeiter,
die Geld in die Heimat überweisen – angesichts der Wirtschaftskrise derzeit allerdings weniger.
Als deutscher Vorzeigeinvestor in Armenien gilt das Familienunternehmen Cronimet aus
Karlsruhe, das hier Kupfer und
Molybdän fördert. 2004 wurde
das vormals staatliche Bergwerk
Kadscharan mehrheitlich übernommen. Mger Poloskov, der die
Cronimet Mining AG vor Ort leitet,
ermutigt potenzielle ausländische
Investoren: „Armenien hat eine
gute Infrastruktur, eine liberale
und offene Wirtschaft, einen günstigen Rechtsrahmen und relativ
niedrige Steuern“, fasst der TopManager die Vorzüge zusammen.
Zudem gebe es Investitionsga-
rantien und Unterstützung durch
die Regierung. Armeniens bedeutendstes Kapital seien aber die vielen qualifizierten Fachkräfte.
Im Doing-Business-Report 2017
der Weltbank belegt Armenien
Rang 38. Eine Top-Position nimmt
dabei der Bereich Unternehmensgründung ein, der Armenien weltweit Rang 5 einbringt. Das kleine
Land im Südkaukasus will sich vor
allem als Hightech-Standort profilieren: Seit Jahren verzeichnet der
IT- und Kommunikationssektor
steigende Umsätze, in den vergangenen neun Jahren sind mehr als
250 neue Branchenunternehmen
entstanden. Auch bekannte Unternehmen wie Synopsys, Oracle und
Microsoft betreiben Niederlassungen in Armenien. Zumindest für
die IT-Branche gilt: Hier trifft sich
nicht nur halb Europa, sondern
die Welt im Kleinen – worauf das
Kaukasus-Land ganz besonders
stolz ist.
Veronika Wengert
Fotos: Getty Images, Huber Images, Scheuer
„Drei Länder mit höchst unterschiedlichen Stärken“
AUSSEN WIRTSCHAFT: Welches Land im Südkaukasus bietet die besten Chancen?
Scheuer: Alle drei Länder haben höchst unterschiedliche Stärken und Schwächen. So hat Georgien ein Assoziierungsabkommen mit der EU
ausgehandelt, erhält dadurch besseren Zugang
zum EU-Binnenmarkt und dürfte zudem in Kürze
die visafreie Einreise in die EU für seine Bürger
erreichen. Im Geschäftsklimaindex der Weltbank
erreicht Georgien regelmäßig Spitzenplätze. Da
haben die anderen Länder Nachholbedarf.
AW: Inwiefern?
Scheuer: Armenien hat sich der Eurasischen
Wirtschaftsunion angeschlossen, orientiert sich
stärker an Russland und ist durch seine politischen Konflikte mit der Türkei und Aserbaidschan
stärker isoliert, konnte aber insbesondere im ITSektor Akzente setzen. Aserbaidschan geht einen
Mittelweg zwischen der EU und der Eurasischen
Union. Durch seinen Öl- und Gasreichtum ist es
mit Abstand das wirtschaftlich stärkste Land.
Über 80 Prozent des deutschen Handels mit der
Region in Höhe von 3,9 Milliarden Euro entfallen
auf Aserbaidschan. Alle drei Länder investieren
derzeit stark in Verkehrsprojekte und die EnergieInfrastruktur. Auch der Agrarsektor und die Ernährungswirtschaft sind chancenreich. Der SüdkauAlbert Scheuer,
kasus ist eine sehr fruchtbare Region. In Georgien
Sprecher des
hat zudem der Tourismus großes Potenzial.
Arbeitskreises
Südkaukasus im AW: Welche Tipps haben Sie für deutsche MitOst-Ausschuss,
telständler mit Interesse an der Region?
Vorstandsmitglied
Scheuer:
Es lohnt, sich unvoreingenommen vor
HeidelbergCement
Ort einen Eindruck zu verschaffen. Und es gibt
Beispiele für erfolgreiche deutsche Investments
in der Region, die sich studieren lassen. Der OstAusschuss hilft gern mit Kontakten vor Ort.
6/2016 AUSSEN WIRTSCHAFT 23
6|2016
LÄNDER & REGIONEN [ Sambia ]
S
eit gut einem halben Jahr hat
Johannes Kurt eine neue berufliche Herausforderung fernab der
Heimat in der sambischen Hauptstadt Lusaka. Er ist dort Repräsentant der Deutschen Industrie- und
Handelskammer für das südliche
Afrika. Und das Interesse an Sambia, der nach Südafrika und Angola
drittgrößten Volkswirtschaft im
südlichen Afrika, wächst. Kurt:
„Die Gründung der AHK-Vertretung ist sehr begrüßt worden. Wir
haben bereits eine Vielzahl von
Anfragen zu Marktinformationen
und Kontaktvermittlungen von
deutschen, aber vor allem sambischen Unternehmen erhalten.“
Von 2010 bis 2014 erzielte das
Land, das als politisch stabil gilt
und eine junge, aber relativ gefestigte Demokratie aufweist, mit
durchschnittlich 6,7 Prozent hohe
reale Wachstumsraten. In den
mehr als 50 Jahren seit der Unabhängigkeit vom Vereinigten Königreich gab es bislang keine gewaltsamen Auseinandersetzungen.
Wirtschaftsfaktor Kupfer
Nach Informationen des AfrikaVereins sind in dem Binnenstaat,
der mehr als doppelt so groß wie
Deutschland ist, 35 deutsche Firmen aktiv. Etwa BASF, das Frankfurter Ingenieurbüro Gauff
Consultants und das Berliner
Unternehmen Amatheon Agri, das
50 Millionen US-Dollar in die Sektoren Feldanbau, Viehzucht und
Fleischverarbeitung investiert hat.
Viele Mittelständler haben teils im
Rahmen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit attraktive
Geschäftsnischen gefunden.
Sambia ist Afrikas zweitgrößter
Kupferproduzent und ungeachtet der aktuellen Preiskrise investieren die Minenbetreiber in die
24 AUSSEN WIRTSCHAFT 6/2016
Erschließung neuer Lagerstätten
sowie die Minenmodernisierung.
Für deutsche Firmen bieten sich
dabei interessante Chancen, etwa
bei effizienten Kälte- und Lüftungsanlagen, Aufzugs- und Fördertechnik oder Solar-Diesel-Hybridsystemen zur Energieversorgung.
Der Vorsitzende des Afrika-Vereins, Stefan Liebing, schätzt die
Perspektiven der sambischen Wirtschaft überaus positiv ein: „Neben
dem Bergbau zählen die Bauindustrie, der Transport- und Kommunikationssektor, die Finanzwirtschaft
und der Handel zu den Wachstumsstützen.“ Die wachsende kon-
sumfreudige Mittelschicht sorge
in den Ballungsräumen für eine
rege wirtschaftliche Aktivität: „Die
Nachfrage nach Wohn- und Bürokomplexen steigt, und in vielen
Städten entstehen Shopping-Center. Eine wichtige Zukunftsaufgabe
ist die Diversifizierung der Wirtschaft, um die Abhängigkeit vom
Kupferbergbau zu reduzieren.“
Chancen für deutsche Firmen
sieht Liebing vor allem bei Leistungen und Technologien zur Verbesserung der Infrastruktur oder
der Wasserver- und -entsorgung.
Großes Potenzial böte sich auch
im Bereich erneuerbare Energien.
Die Musterschüler
Aufschwung. Sambias Wirtschaft soll bis 2020 jährlich um
etwa 5 Prozent wachsen. Der afrikanische Binnenstaat
bietet zahlreiche Chancen für den deutschen Mittelstand.
Foto: Huber Images
Bislang hängt viel an der Wasserkraft, langfristig soll aber mehr
Solarenergie gewonnen werden.
Gefragt sind auch Modelle für netzferne Regionen und die Selbstversorgung in Städten. Aufgrund der
guten geografischen und klimatischen Bedingungen gelten auch
die Landwirtschaft und Nahrungsmittelproduktion als attraktiv.
Das bestätigt auch Stephan
Klosterkamp, Regionalgeschäftsführer Africa & Middle East der
Claas KGaA mbH, eines weltweit
führenden Herstellers von Landtechnik. Das Familienunternehmen aus dem westfälischen Harsewinkel ist seit über zehn Jahren
in Sambia tätig und vertreibt dort
über lokale Partner sein gesamtes Produktportfolio: „Die Landwirtschaft in Sambia wird zwar
von kleinen Farmern dominiert,
die ihren Mechanisierungsgrad
schrittweise ausbauen, aber es gibt
auch einzelne Großinvestoren.“
Land mit vielen Nachbarn
Rund 15 Millionen Menschen leben in dem
afrikanischen Binnenstaat, dessen Name
sich vom Fluss Sambesi ableitet.
Den Schlüssel zum Erfolg in
Sambia sieht Klosterkamp im
Training der Landwirte. In Kooperation mit dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft unterstützt Claas ein
deutsch-sambisches Agrartrainingszentrum: „So lernen die
potenziellen Kunden, dass der
Tipps für das Sambia-Geschäft
Hilfe. Sambier sind gegenüber internationalen Managern sehr
aufgeschlossen, viele haben im Ausland studiert oder gearbeitet.
Auftritt. Die Geschäftskultur ist in Kommunikation und Kleidung
sehr formell. Bei Geschäftsterminen ist nie Eile geboten, erst nach
einem ausführlichen Gespräch über Themen wie die Familie oder die
jüngsten sportlichen Highlights wird man zum Geschäft übergehen.
Kontakte. Ein persönliches Netzwerk zu wichtigen Entscheidungsträgern und anderen Unternehmern ist wichtiger als ein technologisches Alleinstellungsmerkmal. Gute Möglichkeiten dazu bieten die
Angebote des Afrika-Vereins.
Politik. Insbesondere prominente Fürsprecher sind hilfreich. Ein
Anruf aus einem Ministerbüro kann festgefahrene Situationen lösen.
Sprache. Mit Englisch als Amtssprache fällt deutschen Unternehmern der Kontakt meist leichter als in französisch- oder portugiesischsprachigen Ländern.
Tipp. Der Subsahara-Afrika-Blog der IHK Neuss bietet lesenswerte
Publikationen rund um das interkulturelle Know-how. Momentan
entsteht auch eine Neufassung des Länderprofils Sambia.
Kaufpreis einer Maschine nur ein
Element in der Gesamtbetrachtung ist und ein Qualitätsprodukt
mit höherem Anschaffungspreis
deutliche Produktivitäts- und Effizienzvorteile mit sich bringt.“
Newcomern in Sambia rät Klosterkamp: „Wagen Sie den Schritt in
den Markt. Reisen Sie mehrfach in
das Land, sprechen Sie mit Ihrem
Kundensegment, nehmen Sie
Kontakt auf mit Regierungsstellen, Banken und lokalen Verbänden.“ Bei Projektideen sollte der
Aspekt berufliche Bildung, ein
Alleinstellungsmerkmal, mit dem
deutsche Unternehmen verlässlich punkten könnten, unbedingt
mit bedacht werden.
Abschlüsse benötigen Zeit
In jedem Fall sollte die nationale
Investitionsagentur Zambia Development Agency (ZDA) konsultiert
werden. Sie vermittelt Gespräche
mit Ministerien und Regierungsbehörden. „Zudem unterstützt sie bei
der Überwindung erster bürokratischer Hürden wie der Beantragung einer Arbeitserlaubnis oder
der Unternehmensregistrierung“,
so Liebing. Ein Investitionsschutzund ein Doppelbesteuerungsabkommen vereinfachten und
sicherten die Geschäfte zwischen
Sambia und Deutschland. Aber
man sollte sich darauf einstellen,
dass ein Vertragsabschluss eine
lange Vorbereitungszeit braucht.
Der Besuch von Fachmessen
lohnt sich, wie der Agritech Expo
Zambia, die vom 27. bis 29. April
2017 in Chisamba stattfindet, 60
Kilometer nördlich von Lusaka. Die
Messe wird durch einen Gemeinschaftsstand deutscher Unternehmen im Rahmen des Auslandsmesseprogramms des Bundes
gefördert.
Ernst Leiste
6/2016 AUSSEN WIRTSCHAFT 25
6|2016
LÄNDER & REGIONEN [ Argentinien ]
Im Hafen von Buenos
Aires könnte bald
deutlich mehr Betrieb
herrschen.
Neustart am Río de la Plata
Neustart. Argentinien will die schweren Jahre hinter sich lassen. Der Kurs der neuen Regierung weckt dabei Hoffnungen. Ausländische Investoren sollen die Wirtschaft beflügeln.
D
as altehrwürdige ehemalige
Hauptpostamt von Buenos
Aires, heute das größte Kulturzentrum Lateinamerikas, erlebte
Mitte September einen ungewöhnlichen Publikumszustrom. Argentiniens neuer Präsident, Mauricio
Macri, hatte zum „1st Argentina
Business & Investment Forum“ ins
Centro Cultural Kirchner geladen;
mehr als 1900 führende Manager von knapp 1000 Unternehmen aus 67 Ländern waren dem
Ruf zu diesem „Mini-Davos“-Gipfel
gefolgt. Unter ihnen Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel,
26 AUSSEN WIRTSCHAFT 6/2016
der vor Ort auf die erheblichen
Investitionschancen für deutsche
Firmen am Río de la Plata hinwies.
Ein Beleg dafür ist der SiemensKonzern, der – wie der Vorstandsvorsitzende Joe Kaeser auf dem
Kongress erläuterte – sein Argentinien-Geschäft bis 2020 verdoppeln will. Es geht dabei um ein
Finanzierungs- und Investitionspotenzial von bis zu 5 Milliarden
Euro in den Sektoren Energie,
Transport und intelligente Städte.
Als Tätigkeitsfelder nennt eine im
Beisein von Minister Gabriel und
Präsident Macri unterzeichnete
Absichtserklärung die Verbesserung der Effizienz und des Betriebs
des Energieerzeugungsnetzes, die
Modernisierung der Bahninfrastruktur, Smart Grids sowie intelligente Verkehrssysteme.
Die Bedingungen für einen
Neustart am Río de la Plata sind
so günstig wie lange nicht mehr.
Nach Einschätzung von Carl
Moses, seit 1989 Marktbeobachter von Germany Trade & Invest
in Buenos Aires, hat sich Argentinien zum neuen Hoffnungsträger
Lateinamerikas entwickelt. „Nach
der Beilegung der Schuldenkon-
flikte hat das Land nach 15 Jahren
wieder Anschluss an die internationalen Finanzmärkte gefunden.“
Ganz ohne Reibungen verläuft
die 180-Grad-Wende der Wirtschaftspolitik allerdings nicht. Die
Wirtschaft steckt derzeit in einer
Anpassungsrezession. Die Reformen schmerzen, tragen aber noch
keine Früchte. Und das Staatsdefizit ist noch nicht im Griff. „Für
2017 ist aber ein kräftiger, auch
von Exporten und Investitionen
getragener Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts von mindestens
3 Prozent zu erwarten“, so Moses.
Foto: Mauritius
Viele Hindernisse beseitigt
Innerhalb weniger Monate hat der
seit Dezember 2015 regierende
liberal-konservative Staatschef
Macri viele Hindernisse beseitigt,
die Beschränkungen des Außenhandels und des Devisenverkehrs
weitgehend aufgehoben, Exportsteuern abgeschafft und den
Wechselkurs freigegeben.
Die Deutsche Auslandshandelskammer in Buenos Aires spürt die
Hoffnungen der Wirtschaft auf
das neue Argentinien in Form steigender Anfragen. Als Pluspunkte
im Standortwettbewerb nennt die
AHK vor allem das Vorhandensein
von qualifiziertem Personal, die
solide Mittelschicht, das europäische Umfeld sowie das gute Ansehen deutscher Produkte.
Sehr gute Geschäftschancen
sieht Germany Trade & Invest für
deutsche Firmen bei erneuerbaren Energien, im Bergbau, bei der
Erschließung der immensen Schiefergasvorkommen in Patagonien,
die das Energiedefizit decken und
der Petrochemie eine neue Wachstumsbasis bringen sollen, und bei
der Agroindustrie, die von Exportbeschränkungen befreit wurde.
Richtig verhalten
Vorsicht. Fettnäpfchen gibt es
viele. Hier sind einige Tipps.
Politik. Argentinier schimpfen
gern über ihr Land. Aber von
Ausländern hören sie das nicht
gern. In den zwölf Jahren der
Kirchner-Regierungen hat sich
eine Polarisierung zwischen
„Kirchneristen“ und „Anti-Kirchneristen“ herausgebildet. Aus
diesen innenpolitischen Konflikten sollte man sich heraushalten.
Falklands. Nie den Anspruch
Argentiniens auf die Falklandinseln infrage stellen! Schon der
britische Name „Falkland“ ist zu
vermeiden; Argentinier sprechen
von den Islas Malvinas.
Fußball. Vor allem als Deutscher sollte man nicht in den
Wunden der argentinischen Fußballseele stochern. Nicht über
den Fußballheiligen Maradona
lästern, trotz seiner Skandale.
Vertrauen. Mit Argentiniern
ist man schnell per Du. Man
nennt sich gern beim Vornamen
und ist gleich „Amigo“. Das sollte
man aber nicht als Vertrauensverhältnis interpretieren. Das
Spiel zwischen Nähe und Distanz
hier richtig auszutarieren fällt
Mitteleuropäern oft nicht leicht.
Noch im Wellental
2017 soll das Bruttoinlandsprodukt
Argentiniens wieder steigen.
2,9
2,8
1,2
0,5
– 1,0
2013
2014
2015
Angaben in Prozent. Quelle: GTAI
2016
2017
Vor allem durch neue Windkraft- und Solaranlagen soll der
Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung von
heute 2 bis 2025 auf 20 Prozent
steigen, was 10 Gigawatt an Neukapazität entspräche. Nach der
drastischen Erhöhung der Energiepreise sind zudem effiziente
Lösungen für Firmen und Haushalte gefragt. Bei einer Stabilisierung der Weltmarktpreise dürften auch die Bergbauinvestitionen
steigen. Gute Förderperspektiven
bestehen vor allem für Kupfer,
Gold, Silber, Lithium und Kaliumchlorid. Nachholbedarf sieht die
GTAI auch bei der Modernisierung der Telekommunikationsbranche, in der 4G-Netze erst im
Aufbau sind. Und im Rahmen des
Infrastrukturprogramms der Provinz Buenos Aires sind Aufträge
in den Sektoren Wasser, Kanalisation und Straßenbau zu erwarten.
Ansatzpunkte für deutsche Mittelständler bieten sich nach Einschätzung des Wirtschaftsanwalts
und Beraters Martin Jebsen, der in
über 45 Jahren etliche deutsche
Mittelständler bei der Ansiedlung
in Lateinamerika betreut hat, ebenfalls in der Bauindustrie für Zulieferer moderner Produkte und Technologien. „Auch Software- und
Beratungsunternehmen für technologiebasierte Problemlösungen,
agroindustrielle und biotechnologische Betriebe sollten ihre Marktchancen sondieren.“
Zudem bestehe in Argentinien
ein hoher medizinischer Standard,
daher wachse die Nachfrage nach
neuer Technik und neuen Produkten. Jebsen: „Viele Patienten lateinamerikanischer Länder kommen
zur Behandlung nach Buenos
Aires.“ Die Stadt biete sich auch
als Drehkreuz für die spanischsprachigen Nachbarländer an.
6/2016 AUSSEN WIRTSCHAFT 27
LÄNDER & REGIONEN [ Argentinien ]
Möglichkeiten, den Markt zu
erkunden, gibt es reichlich, etwa
durch den Besuch von Fachmessen, die teilweise auch im Rahmen
des Auslandsmesseprogramms
des Bundes gefördert werden.
So etwa die internationale Wohnungsbau-Ausstellung Batimat
Expovivienda, die für die Sparten
Bautechnik, Baustoffe, Baumaschinen und Innenausbau Ende Juni
2017 in Buenos Aires stattfindet.
Auch eine vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie
(BMWi) geförderte Geschäftsanbahnungsreise nach Argentinien
vom 27. bis 31. März 2017 für Produkte und Dienstleistungen für
die Erdöl- und Gasindustrie bietet Ansatzpunkte für deutsche Firmen der Energiewirtschaft sowie
des Maschinen- und Anlagenbaus.
Partner vor Ort sind wichtig
Argentinien ist allerdings kein Billiglohnland. Es gelten auch nicht
dieselben Regeln wie in Deutschland, obwohl der größte Teil Argentiniens im Vergleich zu anderen
Ländern der Region sehr europäisch wirkt. Ein Partner vor Ort ist
daher zur Marktbearbeitung unerlässlich, betont Berater Jebsen.
Nicht unterschätzt werden sollten
zudem die langwierigen bürokratischen Prozesse, die das Einplanen
einer entsprechenden Vorlaufzeit
notwendig machen. Auch wird
Pünktlichkeit eher kleingeschrieben, vom deutschen Unternehmer aber erwartet – bei Terminen
in Buenos Aires mit seinem Großraum von über 15,5 Millionen Einwohnern nicht immer leicht.
Luft nach oben, um die Exporte
an den Río de la Plata zu steigern,
gibt es noch genug. Die deutschen
Ausfuhren nach Argentinien sanken nach Daten des Statistischen
Bundesamts im 1. Halbjahr 2016
um 2,1 Prozent auf 1,3 Milliarden
Euro. Ins krisengeplagte Nachbarland Brasilien gingen immer noch
mehr als dreimal so viele Waren.
Immerhin: Im September beschloss der Interministerielle Ausschuss für Exportkreditgarantien,
den seit Anfang 2002 bestehenden Deckungsausschluss für Geschäfte im öffentlichen Sektor
aufzuheben. Voraussetzung für eine entsprechende Absicherung
durch den Bund ist allerdings,
dass Sicherheiten des argentinischen Finanzministeriums oder
der Zentralbank vorliegen. Zudem
wurden die Beschränkungen im
privaten Sektor vollständig aufgehoben.
Ernst Leiste
Argentiniens
Präsident
Macri besuchte
Kanzlerin
Merkel im Juli
im Kanzleramt.
28 AUSSEN WIRTSCHAFT 6/2016
Carl Moses,
Korrespondent von
Germany Trade &
Invest für Argentinien, Bolivien, Paraguay und Uruguay
„Argentinien kann
zum Star werden“
AUSSEN WIRTSCHAFT: Wie stehen die Chancen für die deutsche
Wirtschaft in Argentinien?
Moses: Wenn Präsident Macri seinen Reformkurs durchhält, wird
Argentinien in den nächsten Jahren der Star in Lateinamerika. Kein
anderes Land hat so breit diversifizierte Ressourcen – nicht nur Rohstoffe sowie ein riesiges Agrar- und
Energiepotenzial, sondern auch gut
ausgebildete, kreative Menschen
mit europäischen Wurzeln.
AW: Wie können deutsche Unternehmen in Argentinien punkten?
Moses: Indem sie die langfristigen
Kostenvorteile und Produktivitätseffekte ihrer Angebote gut erklären
und vor Ort Spitzenservice vor und
nach dem Kauf anbieten.
AW: Welche Tipps haben Sie für
Argentinien-Newcomer?
Moses: Der erste Weg sollte zur
AHK führen. Wenn möglich, die Förderprogramme des Bundes für die
Markterkundung nutzen. Für viele
Branchen gibt es Fachmessen, bei
denen man sich einen Überblick
verschaffen kann. Zudem sind spezielle Dienstleistungen von Anwälten, Steuerfachleuten und anderen
Beratern hilfreich. Auch wenn es
oft nicht billig ist, würde ich daran
nicht sparen. Gerade für kleine
und mittlere Unternehmen geht es
kaum ohne einen lokalen Partner.
[ Medizintechnik ] BRANCHEN & MÄRKTE
Gesundheit. Der Export von Medizintechnik ist zwar stark
reguliert, bietet aber kleinen und mittleren Firmen großes
Potenzial. So gelingt der Einstieg in neue Märkte.
Im Einsatz. Medizintechnikhersteller
führen ihre Produkte
bisweilen sogar bei
Operationen vor.
D
ie Meyer-Haake GmbH in OberMörlen erzielt den größten Teil
ihres Umsatzes im Export. Das
Unternehmen bietet im Schwerpunkt Materialien und Geräte für
die Wundversorgung und Radiochirurgie bis hin zu Einmalinstrumenten und Einweg-Urinalen an.
Die Produkte werden in Deutschland hergestellt und über Handelsvertreter in zahlreiche Länder
verkauft. „Wir sind regelmäßig auf
Messen wie der Medica in Düsseldorf vertreten, auch im Ausland,
etwa auf der Arab Health in Dubai“,
erklärt Heike Jordan, Managing
Director des Unternehmens.
Kontaktpflege sieht die Firmenchefin als A und O für einen erfolgreichen Export. „Wir nehmen
jedes Jahr an mehreren Unternehmerreisen teil, um unser Netzwerk
auszubauen und um uns über die
Marktbedingungen zu informieren“, sagt die Geschäftsführerin.
Viele der Produkte sind erklärungsbedürftig. „Wir stehen mitunter mit im OP, um in der Praxis
zu zeigen, wie die Kunden zum
Beispiel mit den chirurgischen
Instrumenten umzugehen haben“,
so Jordan. Insbesondere Europa
und die USA sind für die Firma
wichtige Märkte. In den kommenden Jahren steht die Expansion
nach China auf dem Plan.
Lebenswichtiger Export
Die meisten Anbieter von Medizintechnik leben vom Export. So entwickelte sich nach Angaben des
Branchenverbands Spectaris in
den letzten Jahren der Export der
Branche besser als das Inlandsgeschäft. 9,9 Milliarden Euro Inlandsumsatz standen 2015 rund 17,6
Milliarden Euro Exporteinnahmen gegenüber. Die Ausfuhrquote
der Branche beträgt beinahe
6/2016 AUSSEN WIRTSCHAFT 29
Fotos: ddp Images, Mauritius. Moses
Heilende Kräfte
6|2016
BRANCHEN & MÄRKTE [ Medizintechnik ]
65 Prozent. Mehr als ein Sechstel
der Ausfuhren gehen in die USA,
vorn liegen ebenso EU-Länder wie
Frankreich und Großbritannien.
Auch China bietet Potenzial. „Allerdings reglementiert die Regierung
hier stark und fördert zusehends
lokale Anbieter“, erläutert Jennifer Goldenstede, Leiterin Außenwirtschaft und Exportförderung
bei Spectaris (siehe Interview).
Wer Medizintechnik exportiert,
benötigt im Zielland eine Zulassung. In den USA wird der Markt Deutsche Medizintechnik ist weltspitze, doch Länder wie China schließen schnell auf.
durch die U.S. Food & Drug Administration (FDA) reguliert. Germany Trade & Invest (GTAI) weist Normen und Standards – berei- Ziel, verstärkt lokale Firmen zu
darauf hin, dass Hersteller und ten kleinen und mittleren Fir- fördern. Quantität und Qualität
Händler ihr Geschäft anmelden men hohe Kosten und Mehrauf- der heimischen Produktion sollen
und ihre Geräte registrieren las- wand. Die Hoffnung liegt auf dem verbessert sowie der Import redusen müssen. Erst dann können umstrittenen Transatlantischen ziert werden. Dazu veröffentlichte
sie an Ausschreibungen teilneh- Freihandelsabkommen (TTIP). die Regierung eine lange Liste mit
men. Informationen dazu liefert „Es muss das Ziel sein, über TTIP mehr als 100 Produkten der Medidas Bundesprojektregister. „Um zu erreichen, dass die gegensei- zintechnik sowie medizinischer
eine Marktzulassung zu erhalten, tige Anerkennung bereits auf dem Verbrauchsmaterialien. Bis 2020
verlangen die USA oft teure Audits. heimischen Markt zugelassener sollen beispielsweise deutlich
Mitarbeiter der Behörden kommen Medizinprodukte auf den jeweils weniger chirurgische Instrumente,
in die Firma und prüfen die Rah- anderen erleichtert wird“, so Gol- Prothesen und selbst Watte eingemenbedingungen sowie die Quali- denstede. Der Ausgang der Ver- führt werden. Zum anderen kürzt
tät der Produkte“, sagt Goldenstede. handlungen ist offen.
die Regierung die GesundheitsbudWeit mehr Handelshemmnisse gets. Experten gehen davon aus,
Vielfältige Handelsbarrieren
als in den USA bestehen in Russ- dass sich der Markt erst in etwa
land. Der Markt ist sehr reguliert zwei Jahren erholen wird. „Die
Das Engagement kann sich den- und Zulassungen nur schwer zu zahlreichen neuen Bestimmungen
noch lohnen. Denn der US-Markt erhalten. Seit Anfang 2015 hat die sowie die schwierige wirtschaftliist der größte weltweit. Der demo- russische Regierung zudem das che Lage erschweren den Export
grafische Wandel vollzieht sich
auch in den USA, die Bevölkerung wächst. Rund ein Drittel
des Bedarfs der Vereinigten Staaten wird durch Importe gedeckt.
Markt. Das sollten Firmen beachten, wenn sie nach China liefern wollen.
Andererseits besteht aber auch ein
hoher Wettbewerbsdruck. Made
Unternehmer sollten bereits vor Ort gewesen sein, bevor sie sich den chinesischen Markt erschließen. Denn es warten viele Herausforderungen: Die
in Germany hat zwar einen guten
Zahlungsmoral gilt als schlecht, Fristen werden oft nicht eingehalten. Der
Namen, doch auch die Hersteller
Markt ist stark reguliert. Und in China ist es sehr schwer, bei Problemen zu
aus den USA bieten Qualität an.
seinem Recht zu kommen. Zudem wird man nicht den Markt als Ganzes ins
Außerdem gibt es zahlreiVisier nehmen können. Besser ist es, sich im ersten Schritt auf eine chinesiche Handelsbarrieren. Gerade
sche Region zu konzentrieren und hier mit einem Distributor zu arbeiten.
sogenannte nichttarifäre Hemmnisse – wie etwa unterschiedliche
30 AUSSEN WIRTSCHAFT 6/2016
Fotos: Goldenstede, Mauritius
Erfolgreich im Reich der Mitte
nach Russland“, so Marion Lükemann, Expertin für den Export von
Medizintechnik der GTAI.
Solche wichtigen Informationen erhalten Firmenchefs beispielsweise von der GTAI. Aber
auch von den Auslandshandelskammern, Verbänden wie Spectaris sowie dem Bundeswirtschaftsministerium. Unternehmen, die
Unterstützung bei der Zusammenarbeit mit einer ausländischen Regierungsstelle benötigen,
können sich an das Auswärtige
Amt wenden. Die Mitarbeiter leiten die Anfragen an den richtigen
Ansprechpartner in den Auslandsvertretungen weiter.
Wichtige Vertriebspartner
Für die Zulassungen und Genehmigungen benötigen Firmenchefs
vor Ort oft einen Vertriebspartner.
„Die Bestimmungen sind immer
unterschiedlich. Gerade mittelständische Unternehmer sind deshalb hier auf eine vertrauensvolle
Zusammenarbeit mit dem Distributor angewiesen“, sagt Lükemann. Auf einen solchen Partner setzt die Firma Angiokard
Medizintechnik in Friedeburg. Das
Unternehmen wurde als Familienbetrieb 1987 gegründet, beschäftigt heute 160 Mitarbeiter. Einen
Gefragte Güter
Entwicklung des Medizintechnikexports.
30
20
10
0
2011
2012
2013
2014
Auslandsumsatz
Inlandsumsatz
Angaben in Milliarden Euro. Quelle: Spectaris
2015
großen Teil des Umsatzes erzielt
es im Ausland. „Wir arbeiten hier
mit in unserem Werk geschulten
Exklusivhändlern zusammen,
die unsere Kunden bestmöglich
betreuen. Das sehen wir als einen
wichtigen Erfolgsfaktor“, sagt
Geschäftsführerin Ulrike Marczak.
Wer sich Kontakte aufbauen
will, sollte an Unternehmerreisen teilnehmen. Das Bundeswirtschaftsministerium organisiert
diese regelmäßig. Vorab sollte der
Unternehmer allerdings die Situation und den Bedarf im Zielland
analysiert haben. „Es ist wichtig,
früh einen genauen Plan zu haben,
welche Ziele das Unternehmen
mit dem Export erreichen will“,
so Lükemann. Das erfordert Zeit
für eine ausführliche Recherche –
vor allem der Wettbewerbssituation: Die Produktlebenszyklen in
der Branche sind kurz.
Nach Angaben der GTAI erzielen Hersteller ein Drittel ihrer Einnahmen mit Produkten, deren
Markteinführung nicht länger als
drei Jahre zurückliegt. „Wer wachsen will, braucht Innovationen“,
so Lükemann. Im Schnitt investiert die Branche rund 10 Prozent
ihres Umsatzes in neue Produkte.
Das ist nötig, denn die Konkurrenz schläft nicht. Die Unternehmen entwickeln mehr und mehr
eigene Lösungen. Beispiel China:
Die Medizintechnik wird hier in
den kommenden Jahren schneller wachsen als der Weltmarkt.
Buy-local-Vorgaben der staatlichen Krankenhäuser machen es
gleichzeitig deutschen Firmen
schwer, hier einzusteigen (siehe
„Erfolgreich im Reich der Mitte“).
Heike Jordan: „Wir entwickeln
unser Angebot und unsere Produkte stetig weiter, um so wettbewerbsfähig zu bleiben“, sagt die
Firmenchefin.
Eva Neuthinger
Interview
mit Jennifer
Goldenstede,
Leiterin Export
beim Verband
Spectaris
„Kuba und Iran
stehen im Kurs“
AUSSEN WIRTSCHAFT: Exporteure von Medizintechnik müssen zahlreiche Regularien beachten. Welche Chancen bestehen
für eine Harmonisierung?
Goldenstede: Im TTIP-Abkommen
ist ein Medizinprodukte-Anhang
vorgesehen. Ziel ist es, die regulatorische Zusammenarbeit zwischen
der EU und den USA zu stärken. Wir
sehen darin gute Chancen für einen
Abbau der Handelshemmnisse.
AW: Was ist wichtig, um in neuen
Märkten Fuß zu fassen?
Goldenstede: Unternehmer sollten sich systematisch über die Rahmenbedingungen im Land informieren. Die Registrierung im
Land ist mitunter mit hohen Kosten verbunden. Der US-Markt beispielsweise ist zwar groß, aber die
Markterschließung auch teuer. Mittelständler sollten es sich gut überlegen, ob sie hier einsteigen wollen.
AW: Welche Regionen bieten
gute Chancen für den Export?
Goldenstede: Neben Europa, USA
und China stehen vermehrt Kuba,
Iran oder Ostafrika im Kurs. Unternehmer sollten sich ein Netzwerk
mit Partnern im Land aufbauen. Die
Reisen des Markterschließungsprogramms des Bundeswirtschaftsministeriums oder auch das Auslandsmesseprogramm des Bundes
können wir dabei nur empfehlen.
6/2016 AUSSEN WIRTSCHAFT 31
Gastlichkeit. Viele Hotels
im In- und Ausland haben
eine hohe Investitionsbereitschaft. Wie Firmenchefs
diverser Branchen als Zulieferer zum Zuge kommen.
Echte
Traumwelten
E
nde September eröffnete die
Schweizer Gesellschaft Mövenpick am Roten Meer das Hotel „City
Star Jeddah“ – das elfte Haus in
Saudi-Arabien. Der Stil des Interieurs ist zeitlos elegant und europäisch. „Wir wollen aber auch
durch einen modernen Charakter mit neuestem Stand der Technik überzeugen“, erklärt Andreas Mattmüller, Chief Operating
Officer der Mövenpick Hotels &
Resorts. In Paris eröffnete die
Gruppe Pentahotels derweil ihr
erstes Resort in Frankreich. Bis
2020 will sie 80 Hotels bauen. Weiteres Beispiel: Anfang 2018 wollen
die Meininger Hotels in Mailand in
zentraler Lage ein Haus mit 131
Zimmern und 500 Betten eröffnen.
Branche im Wachstum
Dies sind nur drei von mehreren
Hundert Premieren, die zeigen:
Die internationalen Hotel- und
Restaurantketten bewegen sich
auf Wachstumskurs. Im ersten
Halbjahr erwirtschaftete die Hotelbranche hierzulande ein Umsatzplus von nominal 3,3 Prozent
im Vergleich zum Vorjahr. „Die
robuste Konjunktur und die positive Konsumlaune sorgen für gute
Stimmung im Gastgewerbe“, sagt
Ernst Fischer, Präsident des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga).
Auch im Ausland steigen die
Besucherzahlen von Hotels. Entsprechend engagiert zeigen sich
32 AUSSEN WIRTSCHAFT 6/2016
die Betreiber in puncto Neueröffnungen. Für Betriebe unterschiedlicher Branchen ergeben
sich daraus Chancen als Zulieferer. „Beispielsweise bei technischen Ausstattungen wie der
Klimatisierung, bei der Einrichtung von Fahrstühlen, Licht- oder
IT- und Kommunikationstechnik
arbeiten wir häufiger bei unseren
Projekten im Ausland mit deutschen Firmen zusammen“, erklärt
Stephan Langemeyer, Geschäftsführer Procurement Director der
Im Nahen Osten werden zurzeit zahlreiche neue Luxusherbergen gebaut.
Accor Purchasing Solutions GmbH,
eines Mitglieds der Accor-HotelGruppe (siehe Interview).
Der Einstieg ins Geschäft mit
Unternehmen der Hotelbranche will aber gut vorbereitet sein.
Denn der Bedarf ist sehr heterogen; er ist abhängig vom Konzept
des Betreibers sowie der Zielregion. Und die Konkurrenz ist groß.
Lokale Anbieter haben oft Heimvorteile. „In der Regel will der Gast
ein Ambiente, das der Kultur des
Landes entspricht“, so Langemeyer. Außerdem haben die Hoteliers strikte Auswahlkriterien für
ihre Lieferanten und Dienstleister,
etwa in Sachen Compliance.
Das sollte aber nicht abschrecken. Denn in vielen Ländern
boomt der Tourismus. Beispiel
Mexiko: Das Land verzeichnet
nach Angaben von Germany Trade
& Invest (GTAI) exorbitant steigende Besucherzahlen. Betreiber
von Hotels und Erlebniseinrichtungen investieren. Mexiko hält
Platz 9 unter den meistbesuchten
[ Hotelausstatter ] BRANCHEN & MÄRKTE
Kreative und technisch hochwertige Lösungen sind bei
der Ausstattung von Hotels besonders gefragt.
Wichtige Messen
Fotos: ddp Images, Huber
Akquise. Vor allem drei Veranstaltungen der Branche sind
einen Messebesuch wert.
Hoga. In Nürnberg stellen
vom 15. bis 17. Januar 2017 wieder 680 Aussteller mit Zielgruppe Hotellerie oder Gastronomie aus. Sie gilt als drittgrößte
Fachmesse für das Gastgewerbe.
www.hoga-messe.de
Invest-Hotel. Die Messe findet
jährlich in Posen statt, 2017 zwischen dem 2. und 5. Oktober, und
lockt 17 000 Besucher an. Vorgestellt werden Einrichtungen von
Hotel- und Badezimmern bis hin
zur Ausrüstung von Konferenzräumen. www.investhotel.pl/en
Igeho. 800 Aussteller präsentieren in Basel 70 000 Besuchern
Küchentechnik, Restaurant- und
Hotelbedarf sowie Speisen. Vom
18. bis 22. November 2017 ist es
wieder so weit. www.igeho.ch
Ländern. „Die Entwicklung eröffnet ein enormes Potenzial für
Hotelausstatter, Reiseveranstalter und Logistikanbieter sowie
für Unternehmen im Bereich der
Infrastruktur“, kommentiert Florian Steinmeyer, GTAI-Experte in
Mexiko-Stadt.
Verschiedene Hoteliers in
Mexiko haben Expansionspläne,
vor allem in den Tourismushochburgen Quintana Roo, Los
Cabos und Puerto Vallarta. „Aufstrebende Regionen sind auch
die Bundesstaaten Queretaro im
Zentrum des Landes und Jalisco
im Westen“, so Steinmeyer. Die
Hotelkette Grupo Posadas ist mit
101 Hotels der größte Betreiber,
gefolgt von der spanischen RiuGruppe. Auch große Namen wie
Hilton und Marriott sind mit Businesshäusern vertreten.
Auf Expansionskurs steuert
auch der Tourismus in Ägypten
trotz der jüngsten Terrorängste.
Der zuständige Minister des Landes prognostiziert 142 000 neue
Hotelbetten für die kommenden
Jahre. Vor allem die Urlaubsziele
am Roten Meer und im Sinai sind
beliebt. Bei der Ausstattung der
Hotels spielt innovative Gebäudetechnik eine große Rolle. „Umweltund Energiethemen rücken
stärker in das Bewusstsein. Im
Tourismussektor gewinnen thermische Solaranlagen für das Heizen von Pools, für Wäschereien
und sonstigen Wasserheizungsbedarf an Bedeutung“, erklärt Oli-
ver Idem, GTAI-Experte in Kairo.
100 000 Hotelzimmer sollen bis
2019 auf solare Warmwasseranlagen umgestellt werden.
Nächstes Beispiel China: Die
internationalen Hotelketten
expandieren, vor allem im Bereich
der Luxusunterkünfte. In den
Regionen Shenzhen, Schanghai
und Sanya bestehen für die Hoteliers noch Wachstumspotenziale.
Der Markt zeigt allerdings Sättigungstendenzen. Das Land verfügt bereits über fast 12 000 Häuser (siehe „Im Reich der Sterne“).
Europa ist einfachster Markt
Die Hürden für Exporteure sind
daher in China hoch. Zumal die
Regierung strikt das Ziel der Lokalisierung verfolgt. Heimische
Anbieter kommen zuerst zum
Zuge. Jedes dritte Hotel wird von
einem Staats- und Kollektivunternehmen betrieben. Einsteiger in
den Export sollten sich deshalb
vorab einen Überblick über die
Rahmenbedingungen verschaffen. Die Auslandshandelskammern beispielsweise informieren.
Deutlich einfacher dürfte für
deutsche Hotelausstatter eine
Akquise innerhalb der europäischen Grenzen sein. Tischlermeister Thomas Fischer aus Bahretahl
bei Dresden hat sich 2007 darauf
spezialisiert, im eigenen Betrieb
Schlafzimmer für Hotels zu fertigen. „Wir arbeiten vielfach mit
internationalen Hotelketten
6/2016 AUSSEN WIRTSCHAFT 33
6|2016
BRANCHEN & MÄRKTE [ Hotelausstatter ]
zusammen und erhalten auch
Aufträge etwa in Österreich oder
Belgien“, erklärt der Firmenchef.
Das kommt nicht von ungefähr,
denn Fischers Bornaer Hotel Concept GmbH mit zehn Mitarbeitern
hat in der Branche einen Namen.
Die Kunden nehmen oft von
sich aus Kontakt mit ihm auf, wenn
sie für ein neues Projekt besondere Wünsche haben. Um seinen
Bekanntheitsgrad zu steigern,
stellt der Unternehmer regelmäßig auf Messen aus – in der Regel
im Inland. „Dorthin kommen auch
die Hoteliers, um sich zu informieren“, so der Handwerkschef.
Spezialisierung in der Nische
Zu Fischers Auftraggebern zählen die Accor-Gruppe, Sheraton,
Hilton Hotels und viele privat
geführte 4-Sterne-Häuser. Sein
Erfolgsrezept: Kein Entwurf und
keine Fertigung sind standardisiert. „Wir entwickeln immer wieder neue Ideen und konzipieren
Im Reich der Sterne
Unter den Hotels in China dominieren
Häuser mit drei Sternen.
Ein Stern
125
Fünf Sterne
739
Drei Sterne
Vier Sterne
Zwei Sterne
5631
2361
Gesamtanzahl
11 687
2831
Quelle: GTAI/China National Tourism Administration
individuelle Lösungen“, so Fischer.
Der Handwerksbetrieb besetzt
mit dieser Spezialisierung eine
Nische und verschafft sich damit
als mittelständisches Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil.
Einen guten Namen in der Branche hat auch der Armaturen- und
Brausenhersteller Hansgrohe
aus Schiltach im Schwarzwald.
Anfang dieses Jahres stattete er
die Bäder des Pariser Designhotel
„Les Bains“ aus, kurz zuvor lieferte
er Armaturen und Brausen an
das Schweizer Hotelresort „Frutt
Family Lodge & Melchsee Apartments“ in den Alpen. Und auch
das Kreuzfahrtschiff „Quantum of
the Seas“ – nichts anderes als ein
schwimmendes Hotel – erhielt im
vergangenen Jahr Kabinenbäder
aus dem Schwarzwald.
Referenzen zählen im Ausland
fast noch mehr als im Inland. Die
Erfahrung kann Hans-Peter Proff
bestätigen. Er ist Geschäftsführer
der Firma Proffdesign Hotel- und
Objektausstattung in Saarbrücken.
„Mein Großvater gründete das Unternehmen bereits 1932“, erklärt
Proff. Die Firma war bei der Ausstattung des „Mandarin Oriental“Hotels in Prag, des „Ritz Carlton“ in
Montreal oder des „The Dolder
Grand“ in Zürich involviert. Ein
internationales Team und eigene
Designer garantieren Qualität.
„Unser Fokus liegt auf der Herstellung hochwertiger Hotelmöbel im
Bereich der 3- bis 5-Sterne-Kategorien. Wir fahren gut damit“, erläutert Proff.
Eva Neuthinger
„Firmen mit lokalen Tochtergesellschaften haben gute Chancen“
AUSSEN WIRTSCHAFT: Welche Bedeutung
haben deutsche Unternehmen für die Ausstattung Ihrer Hotels im Ausland?
Langemeyer: Wir wollen bei Aufträgen das
lokale Gewerbe und den regionalen Markt fördern. Firmen, die vor Ort einen Standort haben,
zeigen sich meist flexibler als Exporteure. Deutsche Unternehmen haben im Ausland nur dort
einen Wettbewerbsvorsprung, wo hohe Skaleneffekte oder technologischer Fortschritt Vorteile
bringen. Gute Chancen haben Firmen, wenn sie
durch im Ausland ansässige Tochtergesellschaften globale und lokale Pluspunkte verknüpfen.
AW: Wie wählen Sie die Anbieter aus?
Langemeyer: Wir haben strikte Auswahlkriterien
für Lieferanten und Dienstleister. Sie verpflich-
34 AUSSEN WIRTSCHAFT 6/2016
Stephan
Langemeyer,
Geschäftsführer der Accor
Purchasing Solutions GmbH
ten sich dazu, unsere Nachhaltigkeits-, Corporate-Governance- und Ethikleitlinien einzuhalten,
ebenso wie die nationalen Gesetze. Außerdem
müssen sie hohe technische und qualitative
Anforderungen erfüllen. Wir vergleichen in der
Regel die Angebote von mindestens drei Anbietern. Bei besonders innovativen Anforderungen
erwägen wir aber auch exklusive Partnerschaften.
AW: Aus welchen Branchen und Gewerken
sind besonders Leistungen gefragt?
Langemeyer: Insbesondere bei spezifischen
Leistungen wie Gebäudereinigung oder Wäscheversorgung ist die Nachfrage hoch, aber auch
bei Lebensmitteln sowie technisch innovativen
Ausstattungen. Weniger Bedarf haben wir bei
Möbeln oder Dekoration, Bau und Design.
[ Unternehmensstrategie ] AUSSENHANDEL & INVESTITIONEN
Wissen kennt
keine Grenzen.
Immer mehr deutsche Firmen forschen im Ausland.
Forschen in der Fremde
Kreativ. Deutschlands Unternehmen sind innovativ – und das nicht nur im
Inland. Europa, die USA und Asien stehen im Fokus der Mittelständler.
Fotos: Langemeyer, Mauritius
D
eutsche Firmen geben knapp
ein Drittel ihres Budgets für
Forschung und Entwicklung
(F&E) im Ausland aus. Und auch
ein Fünftel ihrer Patente wird
von Auslandstöchtern angemeldet, hat das Deutsche Institut
für Wirtschaftsforschung ermittelt. Zwar spielen Großkonzerne
bei dieser Entwicklung eine führende Rolle. Doch auch mittelständische Unternehmen sind fernab
der Heimat innovativ – vor allem
in Europa, den USA und Asien.
Gemessen an den außerhalb
Deutschlands angemeldeten Patenten ist China der größte Forschungs-Hub deutscher Firmen
in Asien. Danach folgen Japan,
Indien, Singapur und Korea. Vor
allem in China und Indien wurden
zuletzt zahlreiche Forschungsabteilungen eröffnet. „Die Entwicklung spiegelt die Größe des Absatzmarkts wider“, sagt Christian
Rammer, Wissenschaftler am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim.
Lokale Anpassung oft das Ziel
Die Eröffnung einer F&E-Abteilung
steht meist am Ende einer längeren Anlaufphase. „Zuerst konzentrieren sich die Firmen auf den
Export, anschließend eröffnen
sie eine Niederlassung vor Ort und
stellen dann fest, dass sie ihre Pro-
dukte den lokalen Bedürfnissen
anpassen müssen“, erläutert Rammer. Meist würden dann für etwa
ein Jahr Entwickler aus der Zentrale entsandt, bevor im Ausland
eine eigene kleine F&E-Abteilung
eröffnet wird. Nur selten dagegen
falle die Entscheidung für einen
Forschungsstandort aus strategischen Aspekten – etwa weil ein
Land gute Rahmenbedingungen
für die Forschung bietet.
Umfragen zufolge hat Entwicklung im Ausland vor allem ein Ziel:
die Akquise neuer Kunden. Auch
die Anpassung der Produkte an
lokale Bedürfnisse sowie die Senkung von Produktionskosten spielen eine große Rolle. Zwar gibt
6/2016 AUSSEN WIRTSCHAFT 35
6|2016
AUSSENHANDEL & INVESTITIONEN [ Unternehmensstrategie ]
es in Asien eine schnell wachsende
Mittelschicht, doch die Nachfrage
nach deutschen High-End-Produkten ist eher gering. Gefragt sind einfache und günstige Lösungen, die
an die klimatischen Bedingungen
und regulatorischen Vorschriften
angepasst sind. Da ist es oft einfacher, Anpassungen von lokalen
Kräften vornehmen zu lassen.
Die innovative Forschung hingegen bleibt meist in der Zentrale. „Es ist nicht einfach, eine
F&E-Abteilung im Ausland zu
managen“, sagt Audrey D’Souza,
Regional Director der IndischDeutschen Handelskammer in
Bengaluru. Zwar gebe es in Indien
viele junge Talente. Doch diese
benötigten gute Produktkenntnisse und persönliche Anleitung,
um innovativ tätig werden zu können. Außerdem ist die Angst vor
Wissensklau und Plagiaten groß.
„Den deutschen Firmen liegt F&E
sehr am Herzen“, sagt D’Souza,
„sie überlegen es sich gut, bevor
sie nennenswerte Teile auslagern.“
Dabei hat Indien in Sachen Forschung und Entwicklung viel zu
bieten. Erstens gibt es gute Universitäten und Arbeitskräfte. Zweitens ist das Land in Bereichen
wie Design und Software führend.
Und drittens bietet das Milliardenvolk einen riesigen Absatzmarkt
für sogenannte Frugal Innovation
– für Ideen, die Produkte günstiger und leichter nutzbar machen.
Gleichzeitig sind die Standort- und
Personalkosten relativ niedrig.
Völlig anders stellt sich Singapur dar: Der kleine Stadtstaat
im südchinesischen Meer gilt
als Handelsdrehscheibe in den
Asean-Raum – und darüber hinaus. Viele ausländische Firmen
unterhalten dort ihre Asien-Zentrale und betreiben Forschung und
Entwicklung. Eine gute Infrastruk36 AUSSEN WIRTSCHAFT 6/2016
Patente am Fließband
China dominiert die globale Statistik der
Patentanmeldungen.
928 177
China
578 802
USA
Japan
Südkorea
Deutschland
325 989
210 292
65 965
Zahl der 2014 angemeldeten Patente. Quelle: Wipo
tur, ein hohes Bildungsniveau,
politische Stabilität, Rechtssicherheit sowie eine große Offenheit
gegenüber ausländischen Unternehmen und Arbeitskräften wiegen aus Sicht vieler Investoren die
vergleichsweise hohen Kosten auf.
„Die Forscherteams sind oft sehr
international“, sagt Tim Philippi,
Geschäftsführer der Deutsch-Singapurischen Industrie- und Handelskammer. Die Verbreitung der
englischen Sprache, internationale Schulen und die gute Sicherheitslage machten Singapur zu
Gerade in Hightech-Branchen profitieren deutsche Firmen sehr vom großen
Know-how im Ausland.
einem Magnet für ausländische
Talente. Tatsächlich finden einige
deutsche Firmen hier die Mitarbeiter, die sie in der Heimat erfolglos gesucht haben. „Es gibt in Singapur viele Design-Zentren und
Experten für Prozessindustrie“,
sagt Marion Sommerwerck, Sprecherin beim Industrieunternehmen Weidmüller. Weil solche Spezialisten in Ostwestfalen-Lippe rar
sind, beschäftigt Weidmüller nun
in Singapur zehn Entwickler.
Gutes Personal in Japan
Auch in Japan wird auf Spitzenniveau geforscht. In Bereichen wie
Sensorik, Nanotechnologie und
Robotik gilt der Inselstaat als führend. Vor allem deutsche Großkonzerne aus der Automobil- und
Chemiebranche forschen in Japan,
doch auch einige kleinere Adressen betreiben dort F&E. Darunter LP-Research, ein Start-Up, das
Bewegungssensoren entwickelt.
Der deutsche Co-Gründer Klaus
Petersen ist mit seiner Standortwahl zufrieden. Zusammen mit
zwei Partnern und 14 Angestellten
betreibt er zwei Labore in Tokio
und im chinesischen Guangzhou.
Zwar seien die Gehaltsvorstellungen japanischer Forscher hoch,
sagt Petersen, der an einer Tokioter Universität im Fach Robotik promovierte. Doch konnte er
offene Stellen bisher problemlos
mit internationalen Mitarbeitern
besetzen. „Japans Infrastruktur
ist gut, das Land ist politisch sehr
stabil und die Lebensqualität
hoch“, lobt Petersen. Zudem sei
die Begeisterung für Innovationen
groß. In China, wo LP-Research
ebenfalls ein Labor unterhält, sei
der Innovationstrieb der Bevölkerung sogar noch deutlich ausgeprägter, so Petersen. Angst
Europa gerät ins Hintertreffen
Nur die USA halten einigermaßen mit China bei der Zahl der Patentanmeldungen mit.
1000 Wertangabe in 1000 Patenten pro Jahr
800
600
400
200
0
1970
China
1980
USA
Japan
Korea
1990
2000
Europäisches Patentamt
vor Wissensklau hat er nicht. „In
China selbst finden inzwischen
viele Innovationen statt“, sagt er.
Ein Unternehmen, das besonders stark auf Forschung in China
setzt, ist Altana. Der Spezialchemiehersteller aus Wesel beschäftigt weltweit 6000 Mitarbeiter,
jeder sechste davon arbeitet im
Bereich F&E. Etwa 50 Service- und
Forschungslabore betreibt die
Firma, zehn davon in Asien. Der
2014
Quelle: Wipo
Schwerpunkt liegt auf China, doch
auch in Indien, Japan, Korea und
Singapur ist Altana vertreten. Vorstandsmitglied Christoph Schlünken sieht die Dezentralisierung der
F&E als Chance. „Wir entwickeln
individuelle Lösungen für Kunden rund um den Globus“, sagt er.
Deshalb müsse Altana auch überall an neuen Ideen arbeiten.
Um die Aufgaben der Standorte
zu koordinieren, haben sich die
Chief Technology Officer der einzelnen Geschäftsbereiche zu einem
Gremium zusammengeschlossen.
Außerdem tauschen sich die Mitarbeiter der F&E-Standorte über eine
firmeneigene Online-Plattform
zu aktuellen Forschungsthemen
aus. Und innerhalb Asiens gibt
es lokale Koordinatoren, die sich
regelmäßig besprechen. Darüber
hinaus richtet die Firma daheim
alle zwei Jahre eine weltweite Konferenz zum Thema Innovation aus;
die letzte wurde von rund 150 Mitarbeitern besucht. In einem ähnlichen Turnus findet eine vergleichbare Veranstaltung in Asien statt.
Der hohe Aufwand zahlt sich
aus. Eine Studie des Zentrums
für Europäische Wirtschaftsforschung zeigt: Deutsche Betriebe,
die auch im Ausland forschen,
erwirtschaften höhere Gewinne
als ihre Wettbewerber. Und da
Asien der Wachstumsmotor der
Welt bleiben dürfte, könnten bald
noch mehr Mittelständler in FernBirga Teske
ost forschen.
Fotos: Getty Images, Lim
„Die strategische Standortwahl ist entscheidend“
AUSSEN WIRTSCHAFT: Rohde & Schwarz ist in Asien in
der Forschung und Entwicklung sehr aktiv. Warum?
Lim: Asien ist ein großer Wachstumsmarkt und wird es auf
absehbare Zeit bleiben. Wir greifen hier neue Trends auf,
kommunizieren diese an unsere Zentrale in München und
können in der Produktentwicklung darauf eingehen.
AW: Wo in Asien lassen Sie entwickeln?
Lim: Wir beschäftigen Entwickler in Singapur, Korea,
Indien und China. Singapur ist unser globaler Hub außerhalb Deutschlands, wo wir viele Kernaktivitäten, einschließlich Produktion, betreiben. Seit 2010 haben wir
dort ein modernes F&E-Zentrum mit aktuell 150 Mitarbeitern. In den drei anderen Ländern arbeiten die Entwickler
vor allem an Produktanpassungen.
AW: Wie funktioniert der Austausch mit den Entwicklern in Deutschland?
Boon Huat Lim, Geschäftsführer
des Asien-Headquarters der Rohde
& Schwarz GmbH & Co. KG
Lim: Wir sprechen genau ab, welche Produkte wo entwickelt werden. Außerdem gibt es gemeinsame Projekte, für
die Kollegen aus Singapur nach München entsandt werden und umgekehrt. Diese persönlichen Kontakte sind
sehr wichtig.
AW: Was gilt es noch zu beachten?
Lim: Wenn man innovative F&E in Asien betreiben will, ist
die Standortwahl entscheidend. Sie sollte nicht nur marktgetrieben, sondern strategisch langfristig ausgerichtet
sein. Neben den Kosten ist entscheidend, ob man vor Ort
die passenden Talente finden kann.
6/2016 AUSSEN WIRTSCHAFT 37
Baggern
im Norden
S
kandinavier sind immer ein
bisschen anders, auch im
Messegeschäft: Den klassischen
Beweis dafür liefert die seit 1975
ausgetragene weltgrößte forstwirtschaftliche Messe Elmia Wood in
Schweden. Sie lädt alle vier Jahre
nicht auf ein Messegelände ein,
sondern in ein natürliches Umfeld
– in einen Wald südlich von Jönköping. Dort können die über 500
Aussteller ihre Exponate in Aktion
zeigen. In diesem ungewöhnlichen Umfeld entstehen manchmal ungeahnte Geschäftsmöglichkeiten, wie das Beispiel von
Tommy Karlsson zeigt. Animiert
von einem glimpflich verlaufenen Unfall, entwickelte der Tüftler
einen hydraulischen Anbauprozessor für Traktoren, heute unter
der Marke Hypro bekannt. 1987
hatte er das einzige vorhandene
Exemplar auf der Elmia Wood
ausgestellt. Bereits während der
Messe verkaufte er den ersten Prozessor und in den Wochen danach
gab es 14 weitere Bestellungen.
38 AUSSEN WIRTSCHAFT 6/2016
Tommy Karlsson erinnert sich
besonders an eine spätere Auflage der Elmia Wood. „Ein Herr aus
Portugal besuchte unseren Stand
und schlug eine Präsentation in
seinem Land vor. Dort sollten wir
einen Prozessor mit Eukalyptusbäumen arbeiten lassen.“ Der Firmenchef persönlich übernahm die
Vorführung, die ein Riesenerfolg
wurde – und den Weg nach Südamerika frei machte. Mittlerweile
hat die Firma Kunden in 32 Märkten, die vor allem durch die Messe
in Jönköping gewonnen wurden.
Hohe Qualitätsansprüche
Ohnehin bieten schwedische Veranstaltungen gute Testmöglichkeiten für neue Produkte, da es
sich um einen sehr reifen Markt
handelt. Hier sind nur wirkliche
Innovationen erfolgreich. Wenn
ein Produkt hier Akzeptanz findet, wird es sich mit großer Wahrscheinlichkeit ebenso anderswo
absetzen lassen.
Mit dem Faktor Holz eng verbunden ist Papier. Die PulPaper,
weltweit die wichtigste Messe für
Zulieferer der Papierindustrie, findet im Frühsommer 2018 in Helsinki statt. Veranstalter des alle
vier Jahre ausgetragenen Ereignisses ist Adforum, ein Joint Venture der Messegesellschaften
Stockholmsmässan und Messukeskus aus Helsinki. Die grenzüberschreitende Kooperation
zeigt, dass pragmatisch zusammengearbeitet wird, weil der recht
kleine skandinavische Markt nicht
überall Konkurrenz verträgt.
Diese familiäre Atmosphäre
spürte auch der Aussteller Richter Papiertechnologie aus Düren,
ein Unternehmen, das in Deutschland seit vier Jahrzehnten besteht.
„Nachdem wir eine finnische Fabrik in Karhula übernommen hatten, wollten wir im nordeuropäischen Markt noch bekannter
werden“, argumentiert Geschäftsführer Dirk Richter. „Durch die
erstmalige Beteiligung an der
Foto: Elmia Wood
Nordlicht. Die wichtigen skandinavischen Messen finden in Nischen
statt. Meistens dort, wo einzelne
Branchen große Bedeutung haben.
[ Messen in Skandinavien ] AUSSENHANDEL & INVESTITIONEN
PulPaper haben wir viele neue
wertvolle Kontakte im finnischen
Markt gewonnen.“ Ein wichtiger Grund, warum der deutsche
Anbieter immense Aufmerksamkeit unter den 453 Ausstellern
erhielt, waren Marketingaktivitäten rund um das Gelände.
Generell läuft es seit einiger Zeit
wieder richtig rund für die Messeausrichter. Beispiel Schweden,
wo Stockholmsmässan pro Jahr
rund 10 000 Aussteller und über
eine Million Besucher begrüßt.
In der schwedischen Hauptstadt
sind die Verantwortlichen aktuell sehr zufrieden. „2015 ist für
uns ziemlich gut gelaufen“, bilanziert Patric Sjöberg. „Der Messemarkt hat sich anscheinend langsam erholt“, argumentiert der CEO
von Stockholmsmässan.
Zuvor gab es einige Jahre, in
denen sich Aussteller aufgrund
der Konjunkturlage Zurückhaltung auferlegt hatten. 2016 stand
dagegen im Zeichen des Aufschwungs. Wie in allen geraden
Jahren war der Kalender in Stockholm prall gefüllt – mit großen
Veranstaltungen, die im 2-Jahres-Rhythmus ausgerichtet werden. Dazu gehören die Baumesse
Nordbygg und die Gastro Nord
für den Hotel-, Restaurant- und
Cateringsektor.
Doch die positiven Signale gelten nicht für alle Branchen. Noch
vor einem Jahrzehnt boomte der
Bootsbau. Der eine oder andere
russische Käufer zahlte sogar bar
auf den Bootsmessen. Der Markt
ist aber durch die Boomjahre
gesättigt, es werden deutlich weni-
Die wichtigsten Messen im Norden
Insbesondere in Schweden steigen zahlreiche Großereignisse der Region.
Ort
Messe
Branche
Jahr
Göteborg
Elfack
Elektrotechnik
2017
Göteborg
Scanpack
Verpackung
2018
Helsinki
PulPaper
Papierzulieferer
2018
Kopenhagen
CIFF
Mode
2017
Jönköping
Elmia Wood
Forstwirtschaft
2017
Jönköping
Elmia Subcontractor
Zulieferer
2017
Oslo
Nor-Shipping
Schiffstechnologie
2017
Stavanger
ONS
Offshore
2018
Stockholm
Furniture Fair
Möbelmesse
2017
Stockholm
Nordbygg
Bau
2018
Recherche: AUSSEN WIRTSCHAFT
ger Jachten gebaut. Das hat Auswirkungen auf das Messegeschäft.
Ohnehin ist der Bedarf in Skandinavien begrenzt – viele Veranstaltungen finden daher nur alle zwei,
drei oder gar vier Jahre statt.
Neben der klassischen Absatzfunktion fungieren die Veranstaltungen auch als Trendsetter – etwa
die zweimal im Jahr steigende
Modemesse CIFF in Kopenhagen.
In Schweden sind Veranstaltungen im Möbel- und Lichtbereich
im Trend. Die jährliche Stockholm Furniture & Light Fair steht
für skandinavisches Design im
Einrichtungsbereich: Es gibt in
Schweden also noch weitaus mehr
als das berühmte „Billy“-Regal.
Maritimes Mekka Oslo
In Norwegen stechen zwei Messen
heraus, die eng mit der Wirtschaft
des Landes verbunden sind. Im
September schloss die OffshoreAusstellung ONS mit 1241 Ausstellern aus 40 Ländern und knapp
66 000 Besuchern. Die Messe in
Stavanger litt in diesem Jahr allerdings ein wenig unter dem niedrigen Ölpreis. In Lilleström bei Oslo
wird im Frühjahr 2017 die NorShipping ausgerichtet. Norwegen verfügt über die fünftgrößte
Handelsflotte der Welt. Der maritime Cluster der Region Oslo gilt
mit mehr als 1200 Unternehmen
aus den verschiedensten Sektoren
und fast 20 000 Arbeitsplätzen als
einer der komplettesten weltweit.
Kein Wunder also, dass da auch
zahlreiche Anbieter aus Deutschland gute Geschäfte machen wollen: Auf der Nor-Shipping 2017 ist
ein deutscher Gemeinschaftsstand mit 650 Quadratmeter Fläche geplant, der von der DeutschNorwegischen Handelskammer
organisiert wird.
Peter Borstel
6/2016 AUSSEN WIRTSCHAFT 39
6|2016
6|2016
STEUERN & RECHT [ Chinesischer Zoll ]
Kein Pardon an der Grenze
Regelungen. Für die Bundesrepublik ist China der viertwichtigste Absatzmarkt. Das Zollrecht der Volksrepublik ist daher für deutsche Firmen von erheblicher Bedeutung.
E
in guter Überblick über aktuelle
Entwicklungen und Trends im
chinesischen Zollrecht verschafft
deutschen Exporteuren einen Vorteil bei der Gestaltung und Entwicklung ihrer Lieferkette. In jüngster Vergangenheit führte etwa die
Insolvenz der Hanjin Shipping
Co. Reederei zu Lieferengpässen
im internationalen Warenverkehr.
Viele Firmen bewerten zurzeit
ihre Lieferbedingungen neu, um
entsprechende Risiken zu minimieren. Derartige Anpassungen
haben direkte Auswirkung auf das
Zollrecht. Gleichzeitig nimmt laut
WTO-Halbjahresbericht 2016 die
globale protektionistische Stimmung zu, was die Zahl der Handelsrestriktionen im Welthandel
erhöht. In einer zweiteiligen Serie
untersuchen wir, welche Entwicklungen nach China liefernde Firmen im Blick haben sollten.
SERIE: ZOLL IN CHINA
Dokumentationspflichten
Nicht tarifäre Hemmnisse
Mit Chinas Zoll
ist nicht zu spaßen. Das betrifft
nicht nur die reinen Kontrollen,
sondern auch die
Dokumentation.
Aufgrund ihrer komplexen „gewöhnlich“ – mit divergierenden
regulatorischen Anforderungen Steuersätzen eingeordnet werden.
wird die Volksrepublik regelmäßig Mit Wirkung zum 1. Oktober 2016
als risikoreicher Handelspartner wurde der Steuersatz bei „Highangesehen. Aus der letzten „PwC End“ von 30 auf 15 Prozent reduChina Customs and international ziert; der Steuersatz bei gewöhnliTrade“-Studie geht hervor, dass 71 chen Kosmetikprodukten beläuft
Prozent der befragten Unterneh- sich auf null Prozent.
men 2015 durch die chinesische
Zollbehörde überprüft wurden; Sich wappnen lohnt sich
bei 38 Prozent wurden Nacherhebungen angeordnet. Für einige Unternehmen sollten auf solche
Firmen hatte die Überprüfung wei- Anpassungen reagieren, nicht nur
ter gehende Konsequenzen, wor- um von Steuervorteilen zu profitieaus unter anderem eine Unterbre- ren, sondern auch, um etwa durch
chung der Lieferkette resultierte.
die Dokumentation der TarifieDamit es bei Prüfungen nicht rungsbegründung bei künftigen
zu Feststellungen kommt, müs- Auseinandersetzungen mit der
sen Unternehmen proaktiv han- Zollbehörde gewappnet zu sein.
deln. Ein Beispiel: China kündigte
Überraschend wurden Anfang
Änderungen bei der Verbrauchs- 2016 weitere Anforderungen bei
steuer für kosmetische Produkte Zollanmeldungen, denen Transan. Diese Erzeugnisse sollten in aktionen zwischen verbundenen
zwei Kategorien – „High-End“ und Unternehmen zugrunde liegen,
eingeführt. In der Zollanmeldung
muss seither angegeben werden,
ob es sich beim Transaktionspartner um eine verbundene Firma
handelt, und gegebenenfalls, ob
der Einfuhrpreis dem Fremdvergleichsgrundsatz aus zollwertrechtlicher Sicht entspricht.
Steuerbehörden und Zollbehörden wenden unterschiedliche Regeln in Bezug auf die Festlegung des Fremdvergleichs an.
Die Zollbehörden nutzen die sich
aus dem WTO-Recht ergebenden
Regeln zum Zollwert, wohingegen die Steuerbehörden überwiegend die OECD-basierten Verrechnungspreisregeln anwenden. Dies
kann dazu führen, dass die Steuerbehörden einen Verrechnungspreis anerkennen, jedoch nicht
die Zollbehörde – und umgekehrt.
Fotos: Getty Images, Lee, Schmidt
Mit zweierlei Maß gemessen
Von den Unternehmen wird
erwartet, dass sie sowohl den
steuerrechtlichen als auch den
zollrechtlichen Ansprüchen
bezüglich des Fremdvergleichsgrundsatzes gerecht werden. Die
Zollbehörden benötigen oft über
die Verrechnungspreisdokumentation hinausgehende Informationen, um zum Beispiel Unterfakturierungen zwischen verbundenen
Unternehmen auszuschließen.
Ein Beispiel: Aus der Verrechnungspreisdokumentation für
eine deutsche Vertriebsgesellschaft kann entnommen werden, dass der Nettogewinn aus
ertragsteuerlicher Sicht oberhalb
der als angemessen gesehenen
Interquartilsbandbreite liegt. Aus
ertragsteuerlicher Sicht liegt der
Wert zwar außerhalb der Bandbreite, da die deutsche Gesellschaft jedoch ein höheres Ergebnis erzielt, ist das Risiko einer
DIE AUTOREN
Derek Lee ist Partner
bei PwC im Bereich Customs & International
Trade in Schanghai und
Hongkong. Seit 1999
berät er international
tätige Unternehmen.
Jochen Schmidt ist
seit 2006 für PwC tätig,
seit 2010 als Partner.
Er leitet deutschlandweit den Bereich Zoll-,
Verbrauchsteuer und
Außenwirtschaftsrecht.
Anpassung im Rahmen einer
Betriebsprüfung gering.
Aus zollrechtlicher Sicht ist dies
ebenfalls eine Indikation für eine
Unterfakturierung. Eine Erhöhung
des Verrechnungspreises würde
zu einem geringeren steuerbaren
Ergebnis führen und damit keinen
Anreiz für die Finanzverwaltung
bieten, eine Anpassung zu fordern.
Allerdings führt die Erhöhung des
Zollwerts zu einer Erhöhung des
fälligen Zolls. Das Risiko, für fehlerhafte Anmeldungen belangt
zu werden, steigt damit bedeutend. Um diesem Risiko zu begegnen, ist ein komplexes Vorgehen
nicht zwingend notwendig. Eine
Anpassung der Dokumentation
an die zollwertrechtlichen Anforderungen erscheint aber auf jeden
Fall lohnenswert.
Eine weitere Entwicklung ist die
chinesische Umsetzung der „Base
Erosion and Profit Shifting“-Initiative (BEPS) der OECD. Ausgangspunkt war eine Reihe hochkarätiger Fälle von multinationalen
Unternehmen, die Gestaltungsspielräume der Steuersysteme
verschiedener Länder zur Steuervermeidung genutzt haben.
Die OECD hat daher einen
Aktionsplan veröffentlicht, zu dem
die Volksrepublik China die öffentliche Mitteilung Nr. 42/2016 veröffentlichte. Dies erfordert wesentliche Änderungen des Steuerrechts.
Eines der Ziele der BEPS-Initiative ist die Besteuerung am Ort der
wirtschaftlichen Aktivität und der
Wertschöpfung. So müssen multinationale Unternehmen mit Gesellschaften in China nun die „lokalspezifischen Vorteile“ im Land
identifizieren, etwa die günstigeren Kostenfaktoren, Marktfaktoren und eine höhere Profitabilität.
Darüber hinaus ergeben sich
auch maßgebliche Änderungen im
Zollwertrecht, denen jedoch weniger Aufmerksamkeit geschenkt
wird. Beispielsweise ergibt sich
aus der öffentlichen Mitteilung
Nr. 42 ein dreistufiger Ansatz bei
der Verrechnungspreisdokumentation, bestehend aus dem sogenannten Master File, dem Local
File und dem Special Issue File.
Firmen müssen in diesem
Zusammenhang detaillierte Informationen zur Konzernwertschöpfung vorhalten. Hieraus könnten
sich Änderungen bei den Lizenzgebührenvereinbarungen ergeben.
Dies ist von großer Bedeutung für
den Zollwert. Aus der aktuellen
„China Customs and international
Trade“-Umfrage von PwC ergibt
sich, dass bei 80 Prozent der befragten Unternehmen im Zuge zollwertrechtlicher Prüfungen Verrechnungspreisdokumentationen
verlangt wurden. Durch die neuen
Anforderungen an diese Dokumentation haben Chinas Zollbehörden
zukünftig Einblick in ihnen vorher
unbekannte Kennzahlen, die den
der Zollwertbemessung zugrunde
zu legenden Preis beeinflussen
können.
Derek Lee/Jochen Schmidt
[email protected]
6/2016 AUSSEN WIRTSCHAFT 41
Belarus
Kennzahlen
Einwohner:
9,5 Millionen
Fläche:
207 600 km2
Einwohner pro km :
46
2
BIP:
45 Mrd. EUR
Warenimporte:
24 Mrd. EUR
Wechselkurs:
Währungsreserven:
22,1 BYR/EUR
3,8 Mrd. EUR
Quellen: CIA Factbook, IWF
Spagat. Der seit mehr als
zwei Jahrzehnten autokratisch regierende weißrussische Präsident Lukaschenko bemüht sich um
bessere Beziehungen
zum Westen – ohne aber
die engen Bande mit
Russland zu kappen.
Minsk will ein besseres Image
Die Republik Belarus, auch Weißrussland genannt, wurde 1991
nach der Auflösung der Sowjetunion unabhängig. Die Urbanitätsrate beträgt fast 77 Prozent.
Allein in der Hauptstadt Minsk
lebt mit annähernd zwei Millionen Menschen jeder fünfte Bürger.
Weißrussen bilden rund 84 Prozent der Bevölkerung, die größte
Minderheit mit gut 8 Prozent
42 AUSSEN WIRTSCHAFT 6/2016
sind Russen. Staatssprachen sind
Weißrussisch und Russisch als die
dominierende Verkehrssprache.
Das Bevölkerungswachstum ist
bei 1,2 Kindern je Frau mit 0,2 Prozent pro Jahr rückläufig. Die Grenzen des Binnenstaats mit Russland
und der Ukraine betragen jeweils
mehr als 1000 Kilometer. Außerdem grenzt die Republik an Polen,
Litauen und Lettland. Umweltschäden bestehen durch den
intensiven Einsatz von Pestiziden
im Agrarsektor. Südliche Landesteile sind zudem seit der Katastrophe von Tschernobyl kontaminiert.
Der Staat
Im März 1994, zwei Jahre und drei
Monate nach der Unabhängigkeit, verabschiedete der Oberste
Sowjet die neue Verfassung mit
der Staatsform eines präsidialen
Systems. Im Sommer 1994 fanden erstmals Präsidentschafts-
Foto: dpa/Picture Alliance
Das Land
LÄNDERPORTRÄT
wahlen statt, aus denen Alexander Grigorjewitsch Lukaschenko
mit über 80 Prozent der Stimmen
als Sieger hervorging. Er war mit
dem Versprechen angetreten, die
alte Nomenklatur aus ihren Positionen zu verdrängen, der Korruption ein Ende zu bereiten und eine
neue Verwaltung zum Wohle der
Bevölkerung aufzubauen.
Im November 1996 ließ Lukaschenko ein Referendum abhalten, das ihm erweiterte Machtbefugnisse bescherte. Seither verfügt
er über umfassende legislative
Rechte. Dazu gehören präsidiale
Dekrete, Erlasse sowie Gesetze.
Mithilfe eines Referendums wurde
zudem die Begrenzung auf zwei
Amtszeiten des Präsidenten aufgehoben. Die Nationalversammlung besteht aus zwei Kammern:
der Repräsentantenkammer mit
110 Abgeordneten und dem Rat
der Republik mit 64 Mitgliedern.
Die politische Lage
Bei den Parlamentswahlen im September 2016 schafften erstmals
seit zwölf Jahren zwei oppositionelle Kandidaten den Einzug ins
Parlament. Die Mehrheit der Mandate ging an regimetreue Kandidaten. Obwohl einige Forderungen
der Organisation für Sicherheit
und Zusammenarbeit umgesetzt
worden waren, bemängelte sie
nach wie vor Inkorrektheiten und
die fehlende Transparenz. Bereits
ein Jahr zuvor hatte Lukaschenko
mit 83,5 Prozent die Präsidentschaftswahl für sich entschieden.
Die hauptsächlich außerparlamentarisch agierende Opposition
ist nach Jahren massiver Repressionen geschwächt und zersplittert.
Da sich die Regierung in Minsk
um ein besseres Image im westlichen Ausland bemüht, gibt es
immerhin erste Signale für einen
weniger repressiven Umgang
mit der Opposition. Die EU honorierte dies sowie die Vermittlerdienste bei den Verhandlungen im
Ukraine-Konflikt mit einem Abbau
politischer und wirtschaftlicher
Sanktionen. Die Wiederannäherung an die EU brachte eine Neuauflage von Partnerprogrammen.
Brüssel prüft auch eine neuerliche
Vergabe von Förderkrediten durch
die Europäische Investitionsbank.
Außenpolitisch haben die Beziehungen zu Russland hohe Priorität. Dies schließt weitgehende Verträge mit der EU aus, etwa in Form
eines Partnerschaftsabkommens
einschließlich einer verstärkten
Integration in die EU-Wirtschaft.
Langzeitpräsident
Alexander Lukaschenko (2. v. r.) ist
seit der Staatsgründung im Amt – und
möchte, dass sein
Sohn (rechts) ihn
eines Tages beerbt.
Beitrag zum BIP
Belarus verfügt über eine nicht zu
unterschätzende Industrie.
Primärsektor
Sekundärsektor
9
42
Tertiärsektor
49
Angaben in Prozent. Quelle: CIA Factbook
BIP pro Kopf
Wachstumsschwäche und Abwertung der
Währung führen zu Einbußen.
2014
2015
2016*
2017*
8038
5749
5090
5270
* = Prognose; Angaben in US-Dollar. Quelle: IWF
Die Wirtschaft
Lange hielt die Regierung am System einer zentralen Lenkungswirtschaft fest. Dabei greift der Staat in
großem Umfang in die Preis- und
Lohnbildung sowie in die Beschäftigungs- und Produktionsentscheidungen der Betriebe ein. Seit rund
zehn Jahren sind vorsichtige
Ansätze erkennbar, die Rahmenbedingungen für Unternehmen
und Investoren zu verbessern.
Diese Bestrebungen sind auch auf
den wachsenden Einfluss des IWF
zurückzuführen, der das Land seit
Jahren finanziell fördert. Private
Unternehmen tragen mittlerweile
zu rund einem Drittel zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei.
In seinem im September erschienenen Bericht zur wirtschaftlichen
Lage des Landes fordert der IWF
zwar zusätzliche Reformen, er
6/2016 AUSSEN WIRTSCHAFT 43
6|2016
LÄNDERPORTRÄT [ Belarus ]
honoriert aber auch die Anstrengungen der Regierung, die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft
zu erhöhen. Dazu gehören Wachstumsstrategien für die noch immer
zahlreichen Staatsunternehmen,
um deren Produktivität und Effizienz zu erhöhen. Generell ist aber
zu beobachten, dass die Regierung
Reformen nur in dem Maß vorantreibt, wie es zum Erlangen von
IWF-Hilfsgeldern unabdingbar ist.
Industrielle Güterherstellung
prägt die Wirtschaftsstruktur.
Der Agrarsektor trägt rund 9 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt
bei. Beide Bereiche profitieren als
Ersatzlieferanten von den Sanktionen, die Russland und die
EU gegenseitig verhängt haben,
wenngleich der steile Wirtschaftsabschwung in Russland die Konjunktur dämpft. Im Mai 2014
gründete Belarus zusammen mit
Russland und Kasachstan die
Eurasische Wirtschaftsunion, die
eine enge Zusammenarbeit in
den Bereichen Energiewirtschaft,
Industrie, Landwirtschaft und Verkehrswesen zum Ziel hat. Weißrussland, das früher als Hightech-
BIP-Wachstum
Staatsschulden
Von früher gewohnte Wachstumsraten
werden nicht mehr erreicht.
Fiskalreformen und Privatisierungen sollen
die Staatsverschuldung begrenzen.
20
60
50
15
40
10
30
5
20
10
0
5
0
2014
2015
2016*
2017*
10
2014
2015
2016*
Wachstum BIP
Arbeitslosenquote
Inflationsrate
* = Prognose; Angaben in Prozent. Quelle: IWF
Staatsverschuldung
Haushaltssaldo
* = Prognose; Angaben in Prozent des BIP. Quelle: IWF
Abteilung der Sowjetunion galt,
verstärkt aber auch seine Anstrengungen, die Abhängigkeit von
Russland zu verringern. Engere
Wirtschaftsbeziehungen werden
sowohl mit der EU als auch mit
China angestrebt, allerdings unter
wohlweislicher Berücksichtigung
der Erfahrungen im UkraineKonflikt. Für China ist Belarus
ein wichtiger Baustein beim Aufbau der neuen Seidenstraße, mit
der die Handelsbeziehungen mit
der EU und den Wirtschaftsregionen auf dem Landweg intensiviert
werden sollen.
Die Konjunktur
2017*
Der weltweite Wirtschaftsabschwung hat auch Belarus erfasst.
Nachteilig wirkt sich darüber hinaus die starke Abhängigkeit von
Russland aus, das bisher fast
zwei Fünftel der weißrussischen
Exporte abnahm und nun selbst
eine schwere Krise durchläuft.
Hinzu kam der Preisverfall mehrerer von Belarus exportierter Rohstoffe, darunter vor allem Ölprodukte und Kalidünger.
Mit einem Pro-Kopf-Einkommen von aktuell weniger als 6000
IM SPIEGEL DER KENNZAHLEN
Kontrolliertes Land mit guten Bedingungen für Geschäftsstarts
In den großen Wirtschaftsvergleichen belegt Belarus
zumeist mittlere Plätze. Weißrussland ist eines von nur
zwei europäischen Ländern, die die Heritage Foundation
im Index der wirtschaftlichen Freiheit unter den unterdrückten Staaten einsortiert. Ursache sind staatliche Kontrollen auf vielen Gebieten. Institutionelle Reformen sind
dringend notwendig. Im Corruption Perceptions Index
befindet sich Weißrussland mit Rang 107 in unmittelbarer Nachbarschaft zu Argentinien und Ecuador. Im DoingBusiness-Report der Weltbank schneidet die Republik bei
den Bedingungen des Geschäftsstarts und der Registrierung von Eigentum mit den Welträngen zwölf und sieben
besser ab als zahlreiche Industriestaaten. Nachholbe-
44 AUSSEN WIRTSCHAFT 6/2016
darf herrscht in den Sektoren Kredite, Stromversorgung,
Steuersystem und Insolvenzrecht. Dort existiert im Vergleich zu Ländern Europas und Asiens bei Zeitdauer und
Kosten ein erheblicher Malus. Im Länderbonitätsranking
des „Institutional Investor“ wird Belarus im letzten Drittel
aufgeführt, liegt aber noch vor dem Nachbarn Ukraine.
Rangliste
Doing-Business-Report
Platz
Länderzahl
44
189
Index of Economic Freedom
157
186
Corruption Perceptions Index
107
168
Institutional Investor
132
179
Quellen: Weltbank, Heritage Foundation, TI, Institutional Investor
Handel mit Deutschland
Außenbilanz
Stadtentwicklungsprogramme und auch
das Seidenstraßenprojekt geben Hoffnung.
Die unzureichende Diversifizierung der
Wirtschaft reduziert die Exportchancen.
1,8
6
1,6
4
1,4
1,2
2
1,0
0
0,8
0,6
2
0,4
4
0,2
0
2014
2015
2016*
2017*
6
2014
2015
2016*
2017*
Einfuhr
Ausfuhr
Saldo aus deutscher Sicht
* = Prognose; Angaben in Milliarden Euro. Quelle: Destatis
Handelsbilanz
Leistungsbilanz
Währungsreserven
* = Prognose; Angaben in Milliarden US-Dollar. Quelle: IWF
US-Dollar hat sich das Wohlstandsniveau im Vergleich zu
2014 deutlich verringert, vor allem
wegen der Wachstumsschwäche
und der Abwertung des BelarusRubels. Nach Angaben des IWF
sank das reale BIP 2015 um fast
4 Prozent. Für dieses und das
nächste Jahr wird ein weiterer
Rückgang der realen Wirtschaftsleistung prognostiziert. Der IWF
erwartet für die kommenden fünf
Jahre ein durchschnittliches reales BIP-Wachstum von lediglich
knapp 2 Prozent.
Zu den Schwachstellen der Wirtschaft gehört seit Jahren die hohe
Inflationsrate. Durch den Wegfall
der Vorzugskonditionen für die
Gas- und Öllieferungen aus Russland hat sich der Preisauftrieb in
den letzten Jahren beschleunigt.
2014 lag die Teuerung im Jahresdurchschnitt bei 18,1 Prozent und
2015 bei 13,5 Prozent. In diesem
Jahr dürfte der Preisanstieg rund
13 Prozent betragen.
Die starke Abwertung der Landeswährung um jeweils ein Zehntel im vergangenen und im laufenden Jahr verteuert die Einfuhren.
Bei den Energieimporten ist das
Land mehr denn je von der Preisgestaltung Russlands abhängig.
Die Arbeitslosenrate ist im inter-
nationalen Vergleich sehr niedrig,
aber durch die große Anzahl von
Staatsbetrieben und den relativ
hohen Anteil des wenig produktiven Primärsektors wenig aussagekräftig. Problematisch ist die
hohe Verschuldung der Unternehmen, die sich auf das Vierfache
ihrer gemeldeten Umsatzerlöse
beläuft. Die starke Abwertung
des Belarus-Rubels verteuert
überdies die Rückzahlung von
Devisenkrediten.
Die Außenwirtschaft
Fast zwei Fünftel der Exporte werden in Russland abgesetzt. Noch
intensiver ist die Abhängigkeit bei
den Importen, die 2015 zu 56 Prozent aus Russland stammten. Mit
einem Anteil von 11 Prozent sind
die Niederlande der zweitwichtigste Exportmarkt. Auf Deutschland entfielen bei den Exporten
nur 4 Prozent. Unter den Lieferländern belegt die Bundesrepublik mit
knapp 5 Prozent den dritten Platz.
Insgesamt schrumpft der Außenhandel seit Jahren. 2016 sind Exund Importe weiter rückläufig.
Negativ bemerkbar macht sich
dabei die unzureichende Diversifizierung der Produktpalette
bei den Ausfuhren. Geliefert wer-
den vor allem verarbeitete Ölprodukte, Chemieerzeugnisse und
Nahrungsmittel. Bei den Einfuhren dominieren Erdöl, Nahrungsmittel und chemische Produkte.
Das Handelsbilanzdefizit liegt bei
2,5 bis 3 Milliarden US-Dollar.
Anhaltend negativ ist die Leistungsbilanz. Wegen der relativ
geringen ausländischen Direktinvestitionen ist Belarus dauerhaft
auf den Beistand des IWF angewiesen. Im bilateralen Handel mit
Weißrussland erzielt Deutschland
kontinuierlich Überschüsse. Bei
den deutschen Exporten dominieren Maschinen, chemische Erzeugnisse sowie Kfz und -Teile. Bei
anstehenden Stadtentwicklungsprojekten bestehen Absatzchancen. Ansonsten ruhen die Hoffnungen auf Maßnahmen im Rahmen
des Seidenstraßenprojekts.
Der Finanzstatus
Der IWF erwartet ab 2018 eine Stabilisierung der wirtschaftlichen
Lage. Als problematisch erweist
sich der hohe Anteil der wenig
wettbewerbsfähigen Staatsbetriebe bei der Verschuldung im
Ausland. Der IWF fordert daher
eine Bereinigung dieses Sektors.
Vorerst wird aber nicht zuletzt
wegen des abgewerteten BelarusRubels ein Anstieg der Auslandsverschuldung, gemessen am BIP
und in US-Dollar, auf gut 80 Prozent bis 2019 erwartet. Durch
den Abruf der vor allem vom IWF
bereitgestellten Finanzmittel
bleibt allerdings der Finanzstatus
auf niedrigem Niveau stabil.
Manfred Kurz
Weitere Infos
Repräsentanz der Deutschen
Wirtschaft in Belarus
Leiter: Wladimir Augustinski
[email protected], www.belarus.ahk.de
6/2016 AUSSEN WIRTSCHAFT 45
Nigeria
Kennzahlen
Einwohner:
183 Millionen
Fläche:
923 768 km2
Einwohner pro km :
2
BIP:
Warenimporte:
198
380 Mrd. EUR
45 Mrd. EUR
Wechselkurs:
345 NGN/EUR
Währungsreserven:
19,5 Mrd. EUR
Quellen: CIA Factbook, IWF
Niedergang. Nigerias
Regierung steht vor alten
Problemen. Korruption,
Inflation und Arbeitslosigkeit sorgen für Unzufriedenheit im Volk. Das von
der Ölindustrie abhängige
Land befindet sich in einer
tiefen Wirtschaftskrise.
Erneut im Krisenmodus
Die Federal Republic of Nigeria ist
der mit Abstand bevölkerungsreichste Staat Afrikas. Genaue
Angaben sind allerdings wegen
der unzureichenden Statistiken
schwierig zu ermitteln. Jüngste
Schätzungen gehen von 183 Millionen Menschen aus. Das jährliche
Bevölkerungswachstum liegt bei
fast 2,5 Prozent. Annähernd die
Hälfte der Bürger lebt in Städten.
46 AUSSEN WIRTSCHAFT 6/2016
Der Niger, der das Land von
Nordwesten durchfließt, fächert
sich zu einem Delta auf, in dessen
Einzugsgebiet große Erdölvorkommen lagern. 250 Volksgruppen mit
500 Sprachen leben in Nigeria. Das
Land leidet seit Jahrzehnten unter
ethnischen und religiösen Spannungen, die sich immer wieder in
Gewalt entladen. Muslime stellen
die Hälfte der Bevölkerung und
leben vorwiegend im Landesnorden, Christen mit einem Anteil von
40 Prozent im Süden. Abuja in der
Landesmitte ist die Hauptstadt. Mit
13 Millionen Einwohnern ist die
Hafenstadt Lagos die größte Metropole. Amtssprache ist Englisch.
Der Staat
Am 1. Oktober 2015 beging Nigeria
den 55. Jahrestag der Unabhängigkeit von Großbritannien. Während dieser Zeit stand es 29 Jahre
unter Militärherrschaft: von 1966
Foto: Getty Images
Das Land
LÄNDERPORTRÄT
bis 1979 und von 1984 bis 1999.
Die Föderation besteht aus 36 Bundesstaaten sowie dem Bundesterritorium der Hauptstadt Abuja.
Das Justizwesen ist gespalten in
ein System allgemeinen englischen Rechts und die Scharia in
zwölf nördlichen Bundesstaaten.
Der Präsident besitzt als Staatsund Regierungschef weitreichende Vollmachten. Zusammen
mit dem Vizepräsidenten wird
er für vier Jahre vom Volk direkt
gewählt. Die maximale Amtszeit
beträgt acht Jahre. Präsident und
Vizepräsident treten bei der Wahl
zusammen als christliches und
muslimisches Team an. Gesetzgebende Gewalt ist das als National Assembly bezeichnete ZweiKammer-Parlament, bestehend
aus dem House of Representatives und dem Senat. Das Repräsentantenhaus umfasst 360 Abgeordnete, die in Wahlkreisen nach
Mehrheitswahlrecht bestimmt
werden. Dem Senat gehören 109
Mitglieder an, von denen jeweils
drei in jedem der 36 Bundesstaaten sowie einer im Federal Capital
Territory gewählt werden.
BIP pro Kopf
Beitrag zum BIP
Die größte Volkswirtschaft Afrikas ist trotz
ihrer Rohstoffe arm.
Die ineffiziente Landwirtschaft beschäftigt
70 Prozent der Arbeitskräfte.
2014
3268
2015
2016*
2017*
2763
Primärsektor
Sekundärsektor
21
20
2260
2200
Tertiärsektor
59
* = Prognose; Angaben in US-Dollar. Quelle: IWF
Angaben in Prozent. Quelle: CIA Factbook
kampf einen effektiveren Kampf
gegen die Terrororganisation Boko
Haram versprochen hatte. Zudem
konnte er von der sich verschlechternden Wirtschaftslage profitieren. Pikant ist der Umstand, dass
Buhari dieses Amt bereits von
1983 bis 1985 innehatte, als er sich
durch einen Militärputsch an die
Spitze des Staats gesetzt hatte.
Die politischen Herausforderungen an die Regierung sind groß. Die
enorme Korruption sorgt für eine
sich ausweitende Spreizung der
Einkommen und erhöht die Unzufriedenheit immer größerer Bevölkerungsteile. Der starke Rückgang
der Öleinnahmen, die für 75 Pro-
zent der Staatseinnahmen stehen,
verstärkt diesen Trend.
Engpässe in der Lebensmittelversorgung aufgrund fehlender
Devisen und hohe Preissteigerungen wegen der starken Abwertung
der heimischen Währung werden
der Regierung ebenso angelastet
wie die steigende Arbeitslosigkeit.
Der Kampf gegen die Terrororganisation Boko Haram im Norden
bringt nicht die versprochenen
Ergebnisse. Zugleich häufen sich
im Süden die Anschläge auf Einrichtungen der Ölindustrie durch
Gruppen, die eine gerechtere Verteilung der staatlichen Öleinnahmen verlangen.
Die politische Lage
Die Wirtschaft
Die Präsidentschaftswahlen 2015
waren insofern ein Novum, als
noch nie zuvor ein amtierender Staatschef sein Amt bei einer
Wahl verloren hatte. Der christliche Präsident Goodluck Jonathan
hatte als Vizepräsident des vormaligen Präsidenten Umaru Yar’Adua
nach dessen Tod im Mai 2010 das
Amt übernommen und die Wahl
2011 gewonnen. Er verlor 2015
knapp gegen seinen Herausforderer Muhammadu Buhari. Der neue,
muslimische Präsident erhielt
dabei auch im christlichen Süden
Zuspruch, nachdem er im Wahl-
Nigeria verfügt über das höchste
Bruttoinlandsprodukt (BIP) Afrikas und ist der mit Abstand bevölkerungsreichste Staat. Das Land
besitzt reichhaltige Bodenschätze:
gesicherte Reserven von 37 Milliarden Barrel Öl und Erdgasreserven von gut 5 Billionen Kubikmetern. Öl und Gas erzielen gut
90 Prozent der Exporterlöse und
rund drei Viertel der Staatseinnahmen. Daneben werden noch weitere Rohstoffe gefördert, darunter Blei, Zink, Gold, Phosphat und
Kohle. Dennoch zählt Nigeria mit
einem Pro-Kopf-Einkommen
Präsident Muhammadu Buhari. Schwerer
Stand in der aktuellen Wirtschaftskrise.
6/2016 AUSSEN WIRTSCHAFT 47
6|2016
LÄNDERPORTRÄT [ Nigeria ]
von weniger als 3000 US-Dollar
zu den armen Ländern. Die Landwirtschaft beschäftigt 70 Prozent
der Erwerbspersonen und generiert gut ein Fünftel des BIP.
Alle Regierungen versuchen
seit Jahren, sowohl die strukturschwache verarbeitende Industrie
als auch die Landwirtschaft zu fördern, deren Produktion zu gering
ist, um eine Eigenversorgung zu
gewährleisten. So entfallen 15 Prozent der Importe auf Nahrungsmittel. Zu den generellen Mängeln
der Wirtschaft zählen die schwache Infrastruktur, eine ineffiziente
Verwaltung, zunehmender Protektionismus im Außenhandel und
eine weitverbreitete Korruption.
Ursprünglich war geplant, die
Ölförderung von zwei auf vier Millionen Barrel pro Tag zu steigern.
Die Produktion stagnierte in den
letzten Jahren und fiel in diesem
Jahr sogar auf 1,5 Millionen Barrel pro Tag. Das lag zum einen an
den zu geringen Investitionen in
der Ölwirtschaft, zum anderen an
der Unsicherheit im Nigerdelta.
Es wird von vielen kleinen Volksgruppen bewohnt, die die ihrer
BIP-Wachstum
Staatsschulden
Nach hohem Wachstum ist das Land in eine
Rezession abgerutscht.
Auf Drängen des IWF muss der öffentliche
Haushalt saniert werden.
20
20
15
15
10
10
5
5
0
0
5
2014
2015
2016*
5
2017*
2014
2015
2016*
Wachstum BIP
Arbeitslosenquote
Inflationsrate
* = Prognose; Angaben in Prozent. Quelle: IWF
Staatsverschuldung
Haushaltssaldo
* = Prognose; Angaben in Prozent des BIP. Quelle: IWF
Ansicht nach zu geringe Beteiligung am Ölreichtum kritisieren.
Das führt seit Jahren zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit
der Staatsmacht bis hin zu Entführungen von Arbeitskräften. Auch
der Öldiebstahl aus den Pipelines
ist weitverbreitet.
Die Erdgasförderung entwickelt
sich mit einem Anteil von 12 Prozent an den Exporterlösen zum
zweiten Stützpfeiler der Wirtschaft.
Verbesserte Chancen zur Vermarktung böten sich in Zukunft durch
den Aufbau von Kapazitäten zur
Verflüssigung von Erdgas.
Die Konjunktur
2017*
Nigeria rutschte 2016 nach vielen
Jahren mit zum Teil zweistelligen
realen Wachstumsraten in eine
Rezession. Nach einem realen BIPWachstum von 2,7 Prozent im vergangenen Jahr ist 2016 mit einem
Minus von 1,7 Prozent zu rechnen.
Der IWF prognostiziert für 2017
unter der Annahme eines steigenden Ölpreises eine Stabilisierung der Wirtschaftslage, für die
kommenden fünf Jahre aber nur
ein gedämpftes Wirtschaftswachstum mit Raten bis 3,5 Prozent.
IM SPIEGEL DER KENNZAHLEN
Die Problembereiche werden immer zahlreicher
In den wichtigsten Wirtschaftsranglisten liegt Nigeria
auf den hinteren Plätzen. Das Entwicklungsland bietet
im Doing-Business-Report der Weltbank ein schlechtes
Bild. So schneidet es lediglich bei Kreditversorgung und
Schutz von Minderheitsbeteiligungen noch verhältnismäßig gut ab. Gravierende Mängel gibt es in allen anderen Bereichen, etwa der Stromversorgung, dem Ablauf bei
Baugenehmigungen, der Registrierung von Eigentum, der
Umsetzung von Verträgen und im Steuersystem. Im Global Competitiveness Index des World Economic Forum
sieht das Bild kaum besser aus. Dort mangelt es insbesondere bei den Faktoren Infrastruktur, Gesundheitswesen und Bildung. Positiv bewertet werden die Marktgröße
48 AUSSEN WIRTSCHAFT 6/2016
und mit leichten Abstrichen die Effizienz des Arbeitsmarkts. Ähnlich negativ wie bei vielen anderen afrikanischen Ländern wird die Korruptionsanfälligkeit von Transparency International bewertet. Im Länderbonitätsranking
des „Institutional Investor“ belegt Nigeria bislang noch
einen Mittelplatz, etwa gleichauf mit Argentinien.
Rangliste
Platz
Länderzahl
Doing-Business-Report
169
189
Global Competitiveness Index
124
140
Corruption Perceptions Index
136
168
90
179
Institutional Investor
Quellen: Weltbank, WEF, TI, Institutional Investor
Handel mit Deutschland
Außenbilanz
Wirtschaftskrise und Devisenknappheit
beeinträchtigen den Güteraustausch.
Der Verfall des Ölpreises wiegt schwer bei
den Außenbilanzen.
4
40
3
30
2
20
1
10
0
0
1
10
2
3
2014
2015
2016*
2017*
20
2014
2015
2016*
2017*
Einfuhr
Ausfuhr
Saldo aus deutscher Sicht
* = Prognose; Angaben in Milliarden Euro. Quelle: Destatis
Handelsbilanz
Leistungsbilanz
Währungsreserven
* = Prognose; Angaben in Milliarden US-Dollar. Quelle: IWF
Die Gründe für die Wirtschaftskrise resultieren zum überwiegenden Teil aus dem Verfall des Ölpreises, aber auch aus gravierenden
strukturellen Problemen. Hatte
nigerianisches Öl 2014 auf dem
Weltmarkt noch gut 100 US-Dollar
je Fass erzielt, waren es in diesem
Jahr lediglich rund 40 US-Dollar.
Die Einnahmen aus dem Öl- und
Gasexport haben sich von 76,5 Milliarden US-Dollar 2014 auf voraussichtlich nur noch 35 Milliarden
US-Dollar in diesem Jahr reduziert.
Die Inflation wächst zweistellig.
In diesem Jahr werden gut 15 Prozent und im nächsten Jahr rund
17 Prozent Preissteigerung erwartet. Die expansive Haushaltspolitik der amtierenden Regierung
verstärkt den inflationären Druck.
Bei einer weiter kräftig steigenden Bevölkerungszahl wächst das
Unzufriedenheitspotenzial in der
Gesellschaft. Seit Jahren sinkt das
Pro-Kopf-Einkommen. Besonders
groß ist die Armut im Norden.
Die Arbeitslosigkeit steigt, und
die Unterbeschäftigung ist hoch.
Nach offiziellen Angaben liegt
die Arbeitslosenrate bei 12 Prozent. Wegen der umfangreichen
Schattenwirtschaft dürfte sie aber
deutlich höher sein. Die Wirtschaft
leidet neben der geringen Produk-
tivität im verarbeitenden Gewerbe
unter weiteren Engpassfaktoren,
insbesondere unter der mangelhaften Stromversorgung und der
Verkehrsinfrastruktur. Außerdem
dämpfen politische Instabilität,
Kriminalität und Korruption die
Investitionsbereitschaft. Dies gilt
auch für das Engagement ausländischer Unternehmen. Die Ausschöpfung des wirtschaftlichen
Potenzials bleibt unzureichend.
Die Außenwirtschaft
Im Gleichklang mit dem Ölpreisanstieg erzielte das Land über
Jahre hohe Überschüsse in der
Handels- und Leistungsbilanz. Mit
dem Preisverfall seit 2014 endete
diese Periode. Seit 2015 weisen
beide Außenbilanzen Negativsalden auf. Der IWF erwartet mittelfristig zwar eine Stabilisierung,
aber keine Überschussposition.
Die Wirtschaft Nigerias ist stark
von der Einfuhr von Maschinen,
Fahrzeugen und Nahrungsmitteln und wegen nicht ausreichender Raffineriekapazitäten sogar
von Treibstoffen abhängig. Um die
Wirtschaftsstruktur zu verbessern,
sollen nicht zuletzt auf IWF-Druck
die Bereiche Landwirtschaft und
Leichtindustrie gefördert werden.
Im Handel mit Deutschland
steht die Zusammenarbeit im
Energiebereich im Fokus. Für 2016
und 2017 ist wertmäßig mit sinkenden Importen Deutschlands
zu rechnen. Kein Wunder: 90 Prozent der Einfuhren entfallen auf
Öl. Der Absatz deutscher Produkte
leidet unter der Wirtschaftskrise,
rückläufigen Investitionen und
der Devisenknappheit Nigerias.
Bessere Marktchancen erwarten
Beobachter ab 2018. Gründe sind
der wieder anziehende Ölpreis
und die steigende internationale
Unterstützung durch IWF, EU und
China. Investitionen in die zu teuer
produzierende Ölwirtschaft, in die
Infrastruktur und zur Steigerung
der Produktivität im Agrarsektor
dürften im Vordergrund stehen.
Der Finanzstatus
Die Auslandsverschuldung hat
sich in den vergangenen vier Jahren verdoppelt und liegt inzwischen bei 16 Milliarden US-Dollar.
Nach Auflagen des IWF, der dem
Land mit Hilfskrediten beisteht,
sollen mit strengerer Kontrolle
Haushaltsdisziplin und -transparenz vorangetrieben werden. Vor
zehn Jahren konnte Nigeria durch
ein Abkommen mit dem Pariser
Club sowie dem Londoner Club
seine Auslandsschulden schon
einmal um 30 Milliarden US-Dollar reduzieren. Dafür praktizierte
Nigeria eine mit dem IWF abgestimmte Wirtschaftspolitik, verbunden mit zahlreichen Auflagen.
Angesichts steigender Auslandsschulden und rückläufiger Währungsreserven ist der Finanzstatus
erneut sehr fragil.
Manfred Kurz
Weitere Infos
GIZ-Büro Nigeria
Landesdirektor: Thomas Kirsch
[email protected], www.giz.de
6/2016 AUSSEN WIRTSCHAFT 49
KOLUMNE [ Argentinien interkulturell ]
Müheloser Rollenwechsel
Kollegen gelegt. Das
Die deutsche Marketingzweitgrößte Land Südspezialistin verstand
amerikas ist eine beziedie Welt nicht mehr.
hungsorientierte Kultur,
Mit mulmigem Gefühl
in der persönliche Konwar sie zur Geschäftsreise nach Buenos Aires
takte die Basis für gute
aufgebrochen, denn
Geschäfte bilden. Jeder
Argentinier verfügt über
bereits seit Monaten
ein Netzwerk aus Angehatte sich die Koopehörigen, Geschäftspartration mit dem argennern und Freunden, auf
tinischen Niederlasdas er in jeder Lebenssungsleiter schwierig
lage zurückgreifen kann.
gestaltet. Zentrale Vorgaben hatte er ignoriert,
Unbezahlbar in einem
Brigitte Hild, Going Global, München, unterstützt international tätige Firmen bei der
telefonisch war er nicht
Land, das seit Jahren
Betreuung ihrer Auslandsmitarbeiter durch
Informationen, Coaching und Beratung.
erreichbar, und auf ihre
politisch und wirtschaftunzähligen E-Mails
lich mit Problemen
hatte sie selten und nur äußerst nichts- kämpft. Alleine lässt sich da wenig aussagende Antworten erhalten. Doch nun richten, gemeinsam geht’s leichter. Oder
saß sie einem charmanten, eloquenten wie es heißt: „It takes two to tango“.
Gesprächspartner gegenüber, der ihre
Ideen nicht nur vollkommen zu unter- Exzellente argentinische Tangotänzer
stützen schien, sondern sie durch inte- wechseln auf dem Parkett übrigens
ressante Anregungen und konstruktive mühelos die Rollen. Aus dem, der führt,
Ergänzungen mit ihr weiterentwickelte. wird der, der geführt wird. Das gilt auch
für die Geschäftsbeziehungen. Wer heute
Nie käme es Argentiniern in den Sinn, zur hilft, braucht morgen Unterstützung –
Klärung offener Fragen E-Mails zu ver- und erwartet, dass er sie bekommt. Nicht
schicken oder einen heiklen Sachverhalt immer leicht für deutsche Firmen mit
am Telefon klären zu wollen. Man setzt ihren Compliance-Regeln. Doch grundsich zusammen an einen Tisch. Mit ihrem sätzlich ergänzen sie sich gut: die deutBesuch hat die Marketingchefin daher sche Gründlichkeit und die argentinische
den Grundstein für eine bessere Zusam- Gabe, mit Herzblut und Pragmatismus
menarbeit mit ihrem argentinischen auch schwierige Situationen zu meistern.
50 AUSSEN WIRTSCHAFT 6/2016
Foto: Uwe Nölke
6|2016
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