Meine Zeit in deinen Händen - Sieben Säulen evangelischer Spiritualität Dr. Georg Gremels/ Entwurf XI Montag 10 Gebote Samstag Umkehr Dienstag Glaubensbekenntnis Sonntag Freitag Abendmahl Liebe Gottes Mittwoch Vaterunser Donnerstag Taufe 1 Die Geburt einer Idee: Sieben Säulen des Glaubens Die Bischöfin der Landeskirche Hannovers Margot Käßmann besuchte eine Schulklasse, in der auch Kinder islamischen Bekenntnisses unterrichtet wurden. Bei der Frage, was den Islam ausmache, sei auf islamischer Seite wie aus der Pistole geschossen die Antwort gekommen: Glaubensbekenntnis, Gebet, Fasten, Almosen und Pilgerfahrt! Die fünf Säulen des Islam kennt jedes Kind. Aber bei der Frage der Bischöfin, was das Christentum ausmache, herrschte verlegenes Schweigen. Ja, diese Frage könnte so manchen gestandenen Christen in Verlegenheit bringen! Denn wer traut sich noch zu, den christlichen Glauben zu bekennen? Und wer könnte ihn in wenigen, klaren Sätzen zusammenfassen? Wer ist sich noch der Sache seines Glaubens sicher? Dabei wäre die Antwort für evangelische Christen vergleichbar einfach und elementar. Als die fünf Säulen des Christentums können die fünf Hauptstücke des Kleinen Katechismus dienen: die zehn Gebote, das Glaubensbekenntnis, das Vaterunser, die Taufe und das Abendmahl. Darauf ruht das Christsein mit allem, was zum Heil zu wissen nötig ist. Darin ist nach Martin Luthers Auffassung die ganze heilige Schrift zusammengefasst. Und diese Einteilung hat sich seit fünfhundert Jahren bewährt. Um die heilige Siebenzahl zu erreichen, müssen nur noch die Umkehr (Buße) als sechste Säule aus dem Katechismus und die Liebe Gottes als innerste Mitte des Christentums hinzugefügt werden. 1. Vereinfachen bzw. Elementarisieren Doch wie könnte man diese sieben Säulen des Glaubens nach dem Katechismus mit dem alltäglichen Leben verbunden werden? Und wie ließe sich ein einfaches Schema finden, um sich an sie zu erinnern? Durch die Verbindung mit den Wochentagen! Dabei stieß ich darauf, dass die Antike die Wochentage religiös gefüllt hatte; die Planetenwoche wurde von babylonischen Astrologen konzipiert und setzte sich im römischen Reich durch. So bekamen die Namen der Wochentage religiöse Bedeutung. Waren sie doch alle nach Göttern benannt. Die römische Planetenwoche begann mit Saturn, ging über Sol, Luna, Mars, Merkur, Jupiter bis hin zur Venus. Doch sind diese „heidnischen Bedeutungen“ der Wochentage weitgehend verloren gegangen. Wer weiß noch, dass sich hinter den Tagesnamen Dienstag der germanische Kriegsgott Tiwasz-Dingsaz verbirgt, der Gott Donar hinter dem Donnerstag und die Göttin Freya hinter dem Freitag? Und dass der Sonntag mit dem Sonnengott und Montag mit dem Mondgott zu tun hat? Denn von den Römern übernahmen auch die Germanen die Namen der Wochentage. Da sich nur wenige altchristliche Bedeutungen durchgesetzt haben (der Sonntag als Auferstehungstag und der Freitag als Tag der Kreuzigung): Was hindert den Glauben daran, den Wochentagen neue Bedeutung, Sinn und Leben einzuhauchen, sie gleichsam zu taufen? Das Schema des Katechismus spricht fundamentale Glaubenswahrheiten an. Vergleicht man es mit den Traditionen der orthodoxen und der katholischen Kirche, der lutherischen Orthodoxie und den neueren Themen der Wochentage im Evangelischen Tagzeitengebetbuch und dem Evangelischen Gesangbuch, finden sich erstaunlich viele Übereinstimmungen. Also nichts gänzlich Neues soll begonnen, sondern das in der Tradition Bewährte am Leitfaden des Katechismus geordnet werden. Stehen auf diese Weise sieben grundlegende Themen fest, die an die Stelle antiker Füllung der Wochentage treten, dann können zur Elementarisierung die Einübung und die Praxis treten. Denn jedes Glaubensthema stellt die Frage nach seiner Verwirklichung im alltäglichen Leben. Meine Idee: die sechs Säulen des Katechismus mit den Alltagen zu verbinden und die siebte sonntags mit der Liebe Gottes in die Mitte zu stellen! So kommt es zu sieben Säulen des Glaubens, die den sieben Tagen einer Woche zugeordnet werden. Dadurch entsteht ein einfaches Merkschema für den Glauben mit seinen Grundwahrheiten. 2 Es geht also um die Vereinfachung bzw. Elementarisierung des Glaubens. Luther leistet sie im Katechismus, dessen fünf Hauptstücke auf sieben Säulen christlichen Glaubens erweitert werden: Zum Montag gehören dann die zehn Gebote, zum Dienstag das Glaubensbekenntnis, zum Mittwoch das Vaterunser, zum Donnerstag die Taufe, zum Freitag das Abendmahl und zum Samstag die Beichte als Selbstwerdung. Der Sonntag als erster und siebter, als heiliger Tag steht in der Mitte für Gottes Wesen, das nichts als lauter Liebe ist. Die sieben Säulen enthalten implizit elementare Lebensthemen: • Sonntags: Quelle des Lebens: die Liebe • Montags: Grenze des Lebens: die Gebote • Dienstags: Begründung des Lebens: der Glaube • Mittwochs: Verbundenheit mit dem Leben: das Vaterunser • Donnerstags: Verwandlung des Lebens: die Taufe und der Geist • Freitags: Hingabe des Lebens: das Abendmahl • Samstags: Erneuerung des Lebens: die Umkehr 2. Einüben bzw. Exerzieren Der kopfgesteuerte Mensch ist immer auf Neues aus. Wer seinen Verstand einsetzt, strebt daher nach Neuigkeiten. Wiederholungen langweilen! Ganz anders ist es mit dem Herzen. Den Satz: „Ich liebe dich!“ können zwei Liebende sich nicht oft genug sagen, ohne dass es ihnen dabei je langweilig wird. Das Herz liebt die Wiederholung. Religion ist aber eine Sache des Herzens. Deswegen erklärt Luther zum ersten Gebot: „Woran du nun (sage ich) Dein Herz hängst und Dich darauf verlässt, das ist eigentlich Dein Gott.“ Also muss die Religion die Wiederholung lieben (Ritualisierung). Denn nur so kann eine Wahrheit aus dem Kopf, d. h. aus einem wirkungslosen Wissen ins Herz dringen und so zu einem lebendigen Besitz eines Menschen werden. Um das religiöse Wissen aber vom Kopf in das Herz zu bringen, bedarf es der Wiederholung, der Einübung! Einüben und Exerzitien erfordern Zeit. Luther nahm sie sich noch ganz selbstverständlich. Davon zeugen sein Morgen- und Abendsegen. Und Zeit muss sich der Mensch für das Wichtigste – wenn denn der Glaube sich selbst ernst nimmt – nehmen: doch mindestens eine Viertelstunde pro Tag. Neben den vielen Möglichkeiten von Losungen, Andachtsbüchern und Kalendern will das Wochenschema eine tief eingeprägte Zeitstruktur mit den wichtigsten Wahrheiten des Glaubens verbinden und so eine evangelische Spiritualität fördern. Ist dieses Wochenschema erst einmal vertraut, kann ein Mensch verschiedenste „ökologische Nischen“ im Tageslauf für die Erinnerung an das Eingeübte nutzen. Die sieben Säulen bieten den Rahmen für eine Spiritualität im Alltag. Zum Einüben gibt es eine zweifache Zugangsweise: auf der einen Seite charakteristische Bibelworte, Psalmen, Gesangbuchlieder, Texte der Tradition. Auf der anderen Seite zeitgemäße Einführungen und Meditationen zu den Themen der Tage. Hier kann ein kleines Andachtsbuch Hilfestellung geben. Vermutlich geht aber nichts über die persönliche Einführung in bewährte Methoden des Gebets (so z. B. die ruminatio).1 3. Umkehren und Einkehren tut Not Das Wesen des Christentums liegt in der Umkehr. Deswegen konnte Jesus seine Predigt in einem einzigen Satz zusammenfassen: „Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen.“(Mt 4,17). Buße hat für viele einen bitteren und schlechten Beigeschmack. Sie ist aber eine durch und durch fröhliche und evangelische Angelegenheit. Denn immer ist 1 Das Andachtsbuch von mir ist bei Vandenhoeck&Ruprecht (2006²) erschienen: „Meine Zeit in deinen Händen - Sieben Säulen evangelischer Spiritualität“. 3 das Kommen Gottes mit einer Wende verbunden: einer Abwendung von beengenden, todbringenden Wegen und eine Zuwendung zu befreienden, lebensschaffenden Wegen. Beispielhaft versteigt sich der Mensch in der Geschichte vom Turmbau zu Babel ins Ungeheuerliche. Abraham wendet sich von der Stadt ab und wendet sich dem Geist zu, der Gott heißt. Ihm glaubt er, ihm folgt er und wird so der Vater der drei monotheistischen Religionen. Auch Mose oder Elia stehen für zwei Wenden: Abwendung von Ägypten und der Sklaverei und Zuwendung zur Wüste und Volkswerdung. Elia für die Abwendung von den kanaanäischen Fruchtbarkeitskulten und Zuwendung zum Gottesdienst Jahwes. Bezeichnender Weise erscheinen beide neben Jesus auf dem Berg der Verklärung. Auch nach Jesus bleibt die Umkehr das lebendige Element der Kirche. Deswegen beginnt die erste von 95 Thesen Luthers mit den Worten: „Wenn unser Herr und Meister Jesus Christus sagt: ‚Tut Buße’ usw., so will er, dass das ganze Leben seiner Gläubigen auf Erden eine stete Buße sein soll.“ Da sich die Zeiten wandeln, muss sich auch der Bereich verändern, in dem Umkehr, Wende, Reformation, ja Revolution notwendig wird. Die wissenschaftlichtechnische Gesellschaft fordert den Menschen im Äußeren. Der Materialismus, die Arbeit, das Vergnügen, das Wissen und die Medien machen die ungeheure Extroversion des modernen Menschen aus. Er droht aus dem Gleichgewicht zu geraten, weil er für sein inneres Leben keine Zeit und Kraft mehr hat. Sich von eine übersteigerten Extroversion abwenden und die Introversion als wesentliche Umkehr des Glaubens zu entdecken ist die Herausforderung der Gegenwart. Es geht um eine Umkehr, die existentiell vollzogen werden muss. Martin Heidegger sprach von der notwendigen Kehre, die in der Moderne vollzogen werden müsse. Er erwartet eine Umkehr von der ausbeutenden Technik hin zur Kunst (beides werde mit dem griechischen Wort Techné bezeichnet). Der permanenten „Auskehr“ des Menschen aus seinem Wesen und Glauben ist die „Einkehr“ in dasselbe entgegenzustellen. Nur so kann der Mensch wieder in ein Gleichgewicht seines äußeren und inneren Leben kommen. Nur so wird er zu einer Ausgewogenheit von Introversion und Extroversion finden. Und schließlich: Nur so können seine zentrifugale und zentripetale Kräfte in ein Gleichgewicht kommen. Die sieben Säulen des Glaubens bilden ein einfaches Gerüst, um die persönliche Einkehr zu strukturieren. Zugleich bieten sie wesentliche Glaubens- und Lebensthemen für die persönliche Einkehr. Sie können so für die notwendige Umkehr konkrete Schritte zeigen. Denn die Nähe Gottes führt zum Evangelium, zu einer fröhlichen Umkehr! Hermannsburg, im April 2007 Georg Gremels 4