International vergleichende Parteienforschung Thomas Poguntke Keele European Parties Research Unit (KEPRU) Working Paper 17 © Thomas Poguntke, 2003 ISSN 1475-1569 ISBN 1-899488-84-7 KEPRU Working Papers are published by: School of Politics, International Relations and the Environment (SPIRE) Keele University Staffs ST5 5BG, UK Tel +44 (0)1782 58 4177/3088/3452 Fax +44 (0)1782 58 3592 www.keele.ac.uk/depts/spire/ Editor: Professor Thomas Poguntke ([email protected]) KEPRU Working Papers are available via SPIRE’s website. Launched in September 2000, the Keele European Parties Research Unit (KEPRU) was the first research grouping of its kind in the UK. It brings together the hitherto largely independent work of Keele researchers focusing on European political parties, and aims: • • • • • to facilitate its members' engagement in high-quality academic research, individually, collectively in the Unit and in collaboration with cognate research groups and individuals in the UK and abroad; to hold regular conferences, workshops, seminars and guest lectures on topics related to European political parties; to publish a series of parties-related research papers by scholars from Keele and elsewhere; to expand postgraduate training in the study of political parties, principally through Keele's MA in Parties and Elections and the multinational PhD summer school, with which its members are closely involved; to constitute a source of expertise on European parties and party politics for media and other interests. The Unit shares the broader aims of the Keele European Research Centre, of which it is a part. KERC comprises staff and postgraduates at Keele who are actively conducting research into the politics of remaking and integrating Europe. Convenor KEPRU: Dr Kurt Richard Luther ([email protected]) Thomas Poguntke is Professor of Political Science in the School of Politics, International Relations and the Environment (SPIRE) at Keele University. 2 International vergleichende Parteienforschung ∗ 1 Einführung Parteien sind das zentrale Bindeglied zwischen staatlichen Institutionen und der Gesellschaft (Sartori 1976: 25). Die genaue Ausgestaltung dieser ‚Linkage’, so der angelsächsische Begriff (Lawson 1980), hängt in erheblichem Maße von deren organisatorischen Eigenheiten ab. Folgerichtig ist die vergleichende Parteienforschung seit ihren Anfängen immer auch in besonderem Maße Parteiorganisationsforschung gewesen. Von frühen Einzelstudien mit komparativem Anspruch (Michels 1989) und grundlegenden theoretischen Arbeiten (Weber 1980: 837-51) über die klassischen Studien der 50er und 60er Jahre (Crotty 1968, Dahl 1966; Duverger 1964, Epstein 1967, Eldersveld 1964; Neumann 1956; Kirchheimer 1965) bis zu den theoretischen und empirischen Arbeiten jüngeren Datums (Panebianco 1988; Katz/Mair 1994; Katz/Mair 1995; Lawson/Merkl 1988); Morlino 1998; Poguntke 2000; Harmel/Janda 1994; Harmel/Janda 1982) hat ein erheblicher Teil der Parteienforschung organisatorischen Fragen besondere Aufmerksamkeit gewidmet. So hat bereits Michels in seiner klassischen Studie über die deutsche Sozialdemokratie an der Schwelle zum 20. Jahrhundert auf den engen Zusammenhang zwischen interner Verfasstheit einer Partei und ihrer Fähigkeit, ihre Linkagefunktion zu erfüllen, hingewiesen. In dem Maße, in dem das ‚eherne Gesetz der Oligarchie’ zur Herausbildung einer stabilen innerparteilichen Machtelite führte, büßte die SPD ihre Fähigkeit ein, ein echtes Bindeglied zwischen ihrer Wählerschaft und den staatlichen Institutionen zu sein, weil sich - so Michels die Interessen der professionalisierten Parteioligarchie von denen ihrer Wähler zu entfernen begannen. Auch wenn man Michels Folgerungen nicht in jeder Hinsicht teilen mag und, vor allem, die Generalisierbarkeit seiner Fallstudie anzweifelt, so richtet er zu Recht den Blick auf die Wechselwirkung zwischen organisatorischer Verfasstheit und politischer Funktion politischer Parteien. Dementsprechend haben die meisten einflußreichen Parteitypologien ebenfalls die gegenseitige Bedingtheit von Parteiorganisation und Linkagefunktion sowie ∗ Draft chpater for Dirk Berg-Schlosser & Ferdinand Müller-Rommel (Hrsg) (2003), Vergleichende Politikwissenschaft, 4. Auflage, Leske + Budrich. 3 deren Prägung durch die gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen gestellt (Lenk/Neumann 1974). Ein knapper Überblick über die Entwicklung der Diskussion im folgenden Kapitel soll auf die Präsentation aktueller Forschungsthemen und Forschungsansätze in den folgenden Abschnitten hinführen. 2 Parteitypologien und gesellschaftlicher Wandel Ausgehend von der Überlegung, dass unterschiedliche gesellschaftliche und politische Rahmenbedingungen politischen Parteien jeweils spezifische Organisationsleistungen abverlangen, sah Max Weber die Honoratiorenpartei als das typische Produkt der Ära liberaler Politik im 19. Jahrhundert (Weber 1980: 837-51). In Zeiten eingeschränkten Wahlrechtes waren die vorpolitischen Kommunikationszusammenhänge gesellschaftlicher Eliten für die Rückbindung von politischem Handeln an die Präferenzen der Wählerklientel weitgehend ausreichend. Mit anderen Worten: Parteien waren kaum mehr als lose geknüpfte Netzwerke von Honoratioren, wobei sich gesellschaftliche und politische Aktivitäten überschnitten. Erst mit der (häufig schrittweisen) Ausweitung des Wahlrechtes (Nohlen 1989) sahen sich die Honoratiorenparteien mit der Notwendigkeit konfrontiert, durch die Schaffung permanenter Organisationsstrukturen zu versuchen, neue Wählerschichten an sich zu binden. Sie gerieten hierbei unter erheblichen Konkurrenzdruck eines neuen Parteientyps, der den Bedingungen der „plebiszitären Demokratie“ (Weber 1980: 843) viel besser gewachsen war: der Massenpartei, die durch die Schaffung einer permanenten Mitgliederorganisation ein dauerhaftes und machtvolles Bindeglied zwischen den neuen Wählerschichten und den politischen Institutionen bereitstellte. Mit anderen Worten: Während die Honoratiorenpartei des 19. Jahrhunderts soziale Linkages politisierte, schuf die Massenpartei des 20. Jahrhundert genuin politische Linkages. Die unterprivilegierten neuen Wählerschichten konnten sich politisch nur Gehör verschaffen, indem sie sich eine machtvolle politische Organisation schufen, die durch kollektive Anstrengungen den Mangel an individuellen Ressourcen ausgleichen konnte. Sigmund Massenparteien Neumann hat sich auseinandergesetzt Massenintegrationsparteien mit der demokratietheoretischen Ambivalenz der und zwischen demokratischen und unterschieden. Während die Integrationspartei totalitäre totalitären faschistischer oder kommunistischer Provenienz die vollständige Dominanz der Partei über die politischen und privaten Aktivitäten ihrer Mitglieder einfordere, lasse die demokratische Massenintegrationspartei dem Individuum persönlichen Freiraum (Neumann 1965; Neumann 4 1956). Diesen beiden Parteitypen stellt er die individuelle Repräsentationspartei gegenüber, die der Weberschen Honoratiorenpartei entspricht. Die Namensgebung verweist auf die unterschiedlichen sozialen und politischen Funktionen von individuellen Repräsentationsparteien und Massenintegrationsparteien. Während Erstere keine über die politische Vertretung ihrer Wählerklientel hinausgehenden Leistungen erbringen, sind Integrationsparteien nicht nur politische, sondern auch soziale Organisationen, die mit ihren sozial-moralischen Milieus aufs engste verknüpft waren. Ihren Kulminationspunkt erreichten die Integrationsparteien Gesellschaften in in den europäischen weltanschaulich Staaten durchdrungene der Zwischenkriegszeit, Teilgesellschaften deren zerfielen, deren Mitglieder ‚von der Wiege bis zur Bahre’ kaum miteinander in Berührung kamen (Lepsius 1973). Nach dem zweiten Weltkrieg setzte ein durch gesellschaftliche Modernisierungsprozesse beförderter Erosionsprozess dieser Subkulturen ein, der allerdings in den Ländern langsamer verlief, in denen die gesellschaftlichen Spaltungen zur Herausbildung konkordanzdemokratischer Regelungen und Institutionen geführt hatten, die nun ihrerseits die subkulturellen Differenzen aufrechtzuerhalten suchten (Lijphart 1968, Daalder 1987, Daalder 1974; Luther/Deschouwer 1999). Maurice Duverger hat in seiner 1951 erschienen komparativen Analyse politischer Parteien die gegenseitige Bedingtheit organisatorischer und ideologischer Faktoren herausgearbeitet. Während bürgerliche Parteien als Komiteeparteien entstanden und nur zögerlich begannen, Mitgliederorganisationen dauerhafte zu Organisationsstrukturen schaffen, sei die und eine Massenintegrationspartei permanente die typische Organisationsform der Arbeiterklasse (und, in religiös gespaltenen Ländern, des politischen Katholizismus). Die kollektive Bereitstellung von Ressourcen zur Durchsetzung politischer Ziele geschah entweder Mitgliederorganisation direkt durch (Ortsvereinspartei) die oder in territoriale (überwiegend) Einheiten indirekt gegliederte durch eine unterstützende Großorganisation (Gewerkschaften, Kirchen) (Duverger 1964: 4-17). Im Zeitalter des allgemeinen Wahlrechtes seien die Massenparteien den bürgerlichen Komiteeparteien aufgrund ihrer Ressourcenstärke und ihrer Fähigkeit überlegen, über die eigene Mitgliederorganisation oder durch Kollateralorganisationen einen erheblichen Teil ihrer Wähler zu binden oder zumindest zu erreichen. Folgerichtig prognostizierte er eine „Ansteckung von links“ (Duverger 1964: XXVII), also die Übernahme des überlegenen Organisationsmodelles der politischen Linken durch die konservativen und liberalen Parteien. Dem widersprach Epstein, der im Zeitalter der Massenkommunikation und der Dominanz des Wahlwettbewerbes erwartete, europäische Parteien würden sich dem Modell der US5 amerikanischen Komiteeparteien annähern, die hinsichtlich ihrer internen Strukturen den europäischen Honoratiorenparteien des 19. Jahrhunderts ähnelten (Epstein 1967). Ausgehend von der Prämisse, dass Massenorganisationen die strategische Flexibilität der Parteieliten einengten, glaubte er den Wettbewerbsvorteil eher auf der rechten Seite des europäischen politischen Spektrums angesiedelt, weil sich die Eliten der ‚unechten’ Massenparteien bürgerlicher Provenienz mehr Autonomie gegenüber ihren Mitgliederorganisationen bewahrt hatten. Ein typisches Beispiel hierfür sind die britischen Konservativen, die zwar ungeheuer erfolgreich beim Aufbau einer Mitgliederorganisation waren (mit zeitweise über zweieinhalb Millionen Mitgliedern), dieser jedoch lange keine echten politischen Mitspracherechte einräumten (Whiteley/Seyd/Richardson 1994: 19-39; Scarrow 1996: 206; Webb 2000: 19299) Die erwähnten gesellschaftlichen Modernisierungsprozesse und der Ausbau der wohlfahrtsstaatlicher Daseinsvorsorge unterminierte sukzessive die Existenzbedingungen der ideologisch orientierten Massenintegrationsparteien. Anstelle weltanschaulich determinierter Auseinandersetzungen über die (Um)Verteilung gesellschaftlicher Güter (oder gar über eine grundlegende Änderungen des Wirtschaftssystems) rückten nun Fragen des effizienten Managements des Wirtschafts- und Sozialsystems in den Vordergrund. Statt um die Verteilung knapper Güter zu streiten, konkurrierten Parteien nun zunehmend darum, wer am besten in der Lage sei, eine stabile wirtschaftliche Entwicklung zu gewährleisten, von der letztlich alle Bürger profitieren würden. Otto Kirchheimer stilisierte diese Entwicklung zu einem Trend zur ‚Catch-All Partei’ (schlecht übersetzt mit ‚Allerweltspartei’ oder ‚Volkspartei’) und sagte voraus, dass die Logik des Stimmenwettbewerbes die Konkurrenz zwischen politischen Ideologien verdrängen werde (Kirchheimer 1965). Was die SPD mit ihrem berühmten Godesberger Programm von 1959 vorgemacht hatte, würde sich, so Kirchheimer, zumindest in den großen europäischen Demokratien wiederholen. Parteien würden zunehmend ihre Bindung an klar definierte soziale Interessen zugunsten des Versuches aufgeben, durch allgemein gehaltene politische Programme möglichst viele Wähler aus unterschiedlichen sozialen Gruppen zu gewinnen. Dies verlange eine Lockerung ihrer Bindungen an Kollateralorganisationen wie Gewerkschaften und Kirchen, die ohnehin selbst internen Charakter Pluralisierungsprozessen als politische ausgesetzt Heimat ihrer seien. Gleichzeitig Mitglieder: Die verlören Parteien Integrationspartei werde ihren zur Mitgliederpartei, offen für politisch Interessierte mit sehr unterschiedlicher sozialer Herkunft. Kirchheimers These hat empirischen Überprüfungen nur bedingt standgehalten. So hat beispielsweise Steven Wolinetz gezeigt, dass der behauptete Trend zu Catch-All Parteien 6 nicht zu einem universellen Rückgang des Fragmentierungsgrades westeuropäischer Parteiensysteme geführt hat (Wolinetz 1979; Wolinetz 1991). Zwar steht außer Frage, dass Kirchheimer grundlegende Änderungen politischer Parteien zutreffend beschrieben und analysiert hat. Dies Integrationsfunktion und gilt vor ihrer allem hinsichtlich zunehmenden ihrer abnehmenden weltanschaulichen sozialen Beliebigkeit. Die weitergehenden Implikationen der These, nämlich die Tendenz zu einer Konzentration des Parteiensystems, ließen sich vor allem im westdeutschen Parteiensystem feststellen, das einen einzigartigen Konzentrationsprozess durchlief, bevor der Erfolg der Grünen eine gegenläufige Entwicklung einleitete (Alemann 2000, Poguntke 1999). So ist Gordon Smith zuzustimmen, der argumentiert, dass die Catch-All Partei nur unter den besonderen historischen Bedingungen des Nachkriegsdeutschland zur vollen Entfaltung kommen konnte, weil hier die Tabuisierung links- und rechtsextremer Positionen die zentripetalen Tendenzen des Parteienwettbewerbes verstärkt habe (Smith 1982b; Smith 1982a). Der von Kirchheimer beschriebene Prozess der Entideologisierung und die von Panebianco (1988) beschriebene Entwicklung zur ‚professionalisierten Wählerpartei’ sowie deren deutlich schwächer werdende soziale Verankerung (Katz 1990; Katz et al. 1992; Mair/van Biezen 2000; Poguntke 2002a) haben zu der Vermutung geführt, Parteien könnten sich schleichend zu quasi-staatlichen Institutionen entwickeln. Zugespitzt in der These vom Trend zur Herausbildung von Kartellparteien haben Richard Katz und Peter Mair argumentiert, dass etablierte Parteien dazu neigten, sich zunehmend auf staatliche Alimentierung zu verlassen, den Wettbewerb untereinander zu begrenzen und die Regeln des politischen Wettbewerbes zum Nachteil neuer Herausforderer zu gestalten (Katz/Mair 1995; Katz/Mair 1996; Katz/Mair 2002). Auch wenn die Bezeichnung ‚Kartellpartei’ unglücklich gewählt ist, weil sie primär auf ein kollektives Verhalten der etablierten Parteien abhebt (Koole 1996), so hat die These zu Recht ein umfangreiche Diskussion in der vergleichenden Parteienforschung ausgelöst, weil sie auf den sich verändernden Charakter politischer Parteien im ausgehenden 20. Jahrhundert hingewiesen hat. Die zahlenmäßig schwächer werdenden Mitgliederorganisationen verlieren zunehmend ihre Funktion als organisatorisches Bindeglied zwischen Wählerbasis Individualisierung von und Parteieliten, während Mitgliederpartizipation gleichzeitig durch die ein Prozess Ausweitung der von Mitgliederreferenden zu beobachten ist (Scarrow 1999). Auch die Verankerung über Kollateralorganisationen wird trotz erheblicher Stabilität der formalen Bindungen schwächer (Poguntke 2000). Mit anderen Worten: Die Linkagefunktion tritt immer mehr in den Hintergrund, Parteien werden zu Anbietern meist nur noch marginal variierender politischer 7 Programme - und, vor allem, politischen Personals, Parteipolitiker wird endgültig zu einem Karriereberuf (Beyme 1993). Daran haben auch die Anläufe grün-alternativer Parteien nichts zu ändern vermocht. Betrachtet man die verschiedenen Parteiarenen getrennt und unterscheidet zwischen der Partei in öffentlichen Ämtern (party in public office), den Parteiführungsstäben (party central office) und der Mitgliederorganisation (party on the ground) (Katz/Mair 1993), so ist als Folge der ‚Verstaatlichung’ der Parteien eine Verschiebung der innerparteilichen Machtbalance zugunsten der Partei in öffentlichen festzustellen. Während die Kartellparteien-These zu einer regen theoretischen Diskussion geführt hat (siehe beispielsweise Kitschelt 2000; Beyme 2001; Wiesendahl 1999; Koole 1996; Helms 2001), sind empirische Überprüfungen bislang die Ausnahmen geblieben (Detterbeck 2002; Poguntke 2002b). Die von den Urhebern der Kartellparteien-These diagnostizierte Schwächung der gesellschaftlichen Verankerung politischer Parteien hat eine umfangreiche Diskussion über den ‚Niedergang der Parteien’ hervorgerufen, die vor allem deren schwindende gesellschaftliche Integrationskraft, aber auch ihre rückläufige Kraft zur Wählerbindung in den Blick nahm (Gibson et al. 1983; Dalton/Wattenberg 2000; Schmitt/Holmberg 1995; Reiter 1989; Daalder 1992). Wie eingangs erwähnt, teilen die hier referierten Typologien die grundlegende Annahme, dass jeder Parteityp den gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen einer bestimmten Entwicklungsstufe moderner Gesellschaften besonders gut entspricht. Dies führt bisweilen zur Vernachlässigung der Tatsache, dass zu allen Zeiten neben vorherrschenden Parteitypen auch andere Parteiformen existierten, die entweder im Niedergang begriffen waren oder sich auf eine bestimmte Wählerklientel spezialisiert hatten, die sich hinsichtlich ihrer sozialen Lage oder politischen Überzeugung hinreichend von der Mehrheitsgesellschaft unterschied. Erinnert sei an die linkssozialistischen Parteien, die in den sechziger Jahren die These vom ‚Ende der Ideologien’ in Frage stellten, sowie an die grün-alternativen, neopopulistischen und ethno-regionalistischen Parteien, die später die etablierten Parteien teils erfolgreich herausforderten (siehe unten). 8 3 Parteiorganisation Aufs engste verbunden mit der Analyse von Parteien als Organisationen, die das Handeln von politischen Eliten Untersuchung an ihrer die Präferenzen der innerorganisatorischen Wahlbevölkerung Verfaßtheit zurückbinden, sowie die ist Erklärung die von Wandlungsprozessen. Die Frage der innerparteilichen Machtverteilung nimmt nicht zuletzt aufgrund ihrer demokratietheoretischen Relevanz breiten Raum in der Parteienforschung eingenommen. In Auseinandersetzung mit der Oligarchiethese von Michels, der aufgrund seiner Analyse der SPD zu dem Schluss kam, Massenparteien neigten zwangsläufig zur Ausbildung einer Oligarchie (Michels 1989), sind innerparteiliche Entscheidungsprozesse detailliert untersucht worden. Im Anschluss an Eldersveld, der Parteien als intern mehrfach fragmentierte Organisationen konzeptualisierte, deren interne Machtverteilung einer Stratarchie gleiche (Eldersveld 1964: 9-13; Eldersveld 1982: 99), haben Katz und Mair die bereits erwähnte analytische Dreiteilung (party in public office, party central office, party on the ground) in die Diskussion gebracht. In föderalen Systemen sorgt die bundesstaatliche Gliederung für eine zusätzliche Zergliederung der Parteiorganisation (und damit für eine Vervielfältigung der Machtzentren. In Zuspitzung des Stratarchiekonzeptes ist deshalb die Organisationswirklichkeit verkoppelten der Anarchie“ bundesdeutschen belegt worden Parteien (Wiesendahl mit 1998: dem Begriff 242-49; der „lose Lösche 1993; Lösche/Walter 1992: 192-200; Schmid 1990: 276-80). Macht konzentriert sich in diesen komplexen Organisationen also nicht bei einer herrschenden Oligarchie, sondern wird von einer jeweils dominanten Koalition ausgeübt, die gemeinsam über die notwendigen Machtressourcen verfügt (Panebianco 1988). In der international vergleichenden Forschung ist lange der Mangel an verlässlichen und vergleichbaren Informationen zur Organisation politischer Parteien beklagt worden. Dem hat eine von Richard S. Katz und Peter Mair koordiniertes 12-Länder-Studie zumindest teilweise abgeholfen. Ein umfangreicher Datenband dokumentiert unter anderem die Mitgliederentwicklung, Finanzausstattung, formale Machtverteilung und die Wahlergebnisse aller relevanter Parteien in 11 europäischen Ländern und den USA zwischen 1960 und 1990 (Katz/Mair 1992). Darauf aufbauend hat die Forschergruppe einen in Länderkapitel gegliederten Band vorgelegt, der die Stratarchiethese empirisch untermauert (Katz/Mair 1994). Fortgeführt wurde die Sammlung der Mitgliederzahlen, so dass sich der vielfach behauptete säkulare Trend zur Erosion der Parteimitgliederorganisationen mittlerweile durch eine eindrucksvolle Datenbasis belegen lässt (Katz at al. 1992; Mair/van Biezen 2000; 9 Scarrow 2000; Poguntke 2000, Kap. 10; Widfeldt 1995). Es ist vermutet worden, dass diese Entwicklung den Parteieliten gar nicht so ungelegen komme, weil Parteimitglieder deren strategische Beweglichkeit einengten und außerdem der Unterhalt einer Mitgliederorganisation Geld koste, während der Stellenwert der Mitgliedsbeiträge im Vergleich zu anderen Finanzquellen geringer werde (Katz 1990: 145f.; Katz 2002: 108-15; Epstein 1967: 116). Dem ist aufgrund von Analysen zur Organisationspolitik von Parteien widersprochen worden (Scarrow 1994; Scarrow 1996). Zudem haben empirische Analysen gezeigt, dass Parteimitglieder nicht nur als „legitimizing Myth“ (Katz/Mair 1995: 18) nützlich sind, sondern durchaus zum Wahlerfolg beitragen (Whiteley/Seyd/Richardson 1994: 210-13; Seyd/Whiteley 1992: 195f.; Poguntke 2000: 248-60). Dies gilt auch für formale Bindungen zwischen Parteien und ihren Kollateralorganisationen, wie durch eine Sekundäranalyse der vom Katz/Mair-Projekt gesammelten Informationen zur Formalstruktur von Parteien in westlichen Demokratien gezeigt werden konnte (Poguntke 2000). Beitrittsmotive und Partizipationserwartungen von Parteimitgliedern sind mit dem Instrumentarium der Umfrageforschung empirisch untersucht worden. Nachdem zunächst das ‚Middle Level Elite Project’ international vergleichend Parteitagsdelegierte befragt hat (Schmitt 1987; Reif/Cayrol/Niedermayer 1980), kooperiert gegenwärtig eine von Pat Seyd and Paul Whiteley koordinierte internationale Forschergruppe bei der Durchführung nationaler Parteimitgliederumfragen. Zusätzlich liegen eine Reihe von neueren und älteren Einzelstudien vor Seyd/Whiteley (siehe 1992; beispielsweise Heidar 1994, Bille/Pedersen 2002; Whiteley/Seyd/Richardson 1994; Bürklin/Neu/Veen 1997; Falke 1982; Becker/Hombach et al. 1983; Niedermayer 1989; Boll/Holtmann 2001). Die eingangs referierten Typologien implizieren, dass erfolgreiche Parteien sich jeweils an sich veränderne Umweltbedingungen anpassen. Parteiwandel wird also in erster Linie als Reaktion auf sich verändernde Umweltbedingungen interpretiert. Diese Perspektive hat eine zweite Form von Wandlungsprozesse Parteiwandel in Reaktion weitgehend auf abrupte vernachlässigt, Veränderungen nämlich der abrupte relevanten Umweltbedingungen oder der innerorganisatorischen Verhältnisse (Panebianco 1988). Robert Harmel und Kenneth Janda haben auf breiter empirischer Grundlage, gewonnen durch systematisches Kodieren der Sekundärliteratur und der Wahlprogramme, diese Thesen empirisch überprüft und dabei gezeigt, dass neben dem ‚externen Schock’ von Wahlniederlagen auch interne Faktoren zu abrupten Parteiwandel führen können (Janda et al. 1995; Harmel/Janda 1994; Harmel et al. 1995; Harmel/Janda 1994). Methodisch bauen diese Arbeiten auf einer breit vergleichende Studie Jandas aus dem Jahr 1980 auf, in welcher 158 10 Parteien aus allen Regionen der Welt aufgrund von standardisierten sekundäranalytischen Verfahren untersucht wurden (Janda 1980). Darüber hinaus sind zur Erklärung von Parteiwandel auch Stadien der Parteientwicklung herangezogen worden. In Anlehnung an das Bild vom Lebenszyklus wird hier argumentiert, dass Organisationswandel politischer Parteien auch durch die verschiedenen Entwicklungsstadien zu erklären ist, die Parteien durchlaufen (Harmel 2002; Harmel/Svasand 1993; Harmel/Robertson 1985; Pedersen 1982; Rochon 1985). Die Art der Finanzierung politischer Parteien hat, wie die bisherige Diskussion gezeigt hat, deutliche Rückwirkungen auf deren organisatorische Verfasstheit und innerparteilichen Entscheidungsprozesse. Wie die erhebliche Zahl einschlägiger Skandale zur Parteienfinanzierung zeigt, bestehen auf diesem Forschungsfeld, das in jüngerer Zeit international vergleichende Studien hervorgebracht hat, erhebliche Validitätsprobleme (Landfried 1990, Alexander/Shiratori 1994, Arnim 1996; Gunlicks 1993). Auch wenn Zweifel hinsichtlich der Genauigkeit der in diesen Analysen verwandten Daten angebracht sind, so lassen Veränderungen über die Zeit doch klare Rückschlüsse bezüglich des sich verändernden Stellenwertes der verschiedenen Einkommensquellen politischer Parteien zu. Außerdem kann bei der Untersuchung öffentlicher Parteienfinanzierung auf staatliche Dokumente zurückgegriffen werden. Eng verbunden mit dem deutlichen Trend zu einer stärkeren staatlichen Alimentierung politischer Parteien - aber auch mit der Veränderungen der Massenkommunikation - ist die Zunahme kapitalintensiver, technologisch anspruchsvoller Wahlkampfmethoden. Politische Parteien, so die auf einer breiten empirischen Basis beruhende Argumentation von David Farrell und Paul Webb, werden immer mehr zu Organisationen, deren interne Logik durch ihre Funktion als Wahlkampforganisation beeinflusst wird (Farrell/Bowler 1992; Farrell/Webb 2000). Dies zeigt sich auch an der Tendenz, Wahlkämpfe auf die Person der Spitzenkandidaten zu fokussieren, obgleich international vergleichende Forschungen zumindest Zweifel erlauben, ob der Glaube der Wahlkampfmanager an den (fast) alles entscheidende Einfluss des Spitzenkandidaten berechtigt ist (King 2002). 4 Parteien als ideologische Familien Neben der Analyse der organisatorischen Eigenheiten und Veränderungen politischer Parteien und ihrer Funktion als zentrale demokratische Linkage sind Parteien auch aus der Perspektive ihrer Zugehörigkeit zu ideologischen Familien untersucht worden. In einer breit 11 vergleichenden Studie identifiziert Klaus von Beyme neun ideologische Familien (Beyme 2000: 64-88). Betonen die vergleichenden Studien zur Parteiorganisation die Gemeinsamkeiten aller Parteien in einer bestimmten gesellschaftlichen Epoche, so richtet sich das Augenmerk hier auf die ideologischen, aber auch organisatorischen Besonderheiten bestimmter weltanschaulicher Strömungen. Besonders augenfällig ist der Zusammenhang zwischen Ideologie und innerorganisatorischer Verfasstheit bei den Grünen, aber auch sozialdemokratische Parteiorganisationen ähneln sich aufgrund ihrer Entstehungsbedingungen als Massenintegrationspartein stark. Ähnliches gilt für Parteien der extremen Rechten, die häufig auf eine starke Führungspersönlichkeit zugeschnitten sind. Genuin komparative Studien sind in der Parteienforschung die Ausnahme geblieben. Hier sind vor allem Klaus von Beyme (1984), Leon Epstein (1967) und Jean Blondel (1978) zu nennen, die einen breiten Überblick über den Gegenstand bieten, sowie die nach wie vor nützlichen Sammelbände von Raschke (1978), LaPalombara und Weiner (1966) und Dahl (1966), die ausführliche Informationen über die Genese der Parteien und Parteiensysteme in westlichen Demokratien bieten. Es dominieren Sammelbände zu den einzelnen Parteifamilien, die nach Länderkapiteln gegliedert sind und die wichtigsten Aspekte die jeweiligen nationalen Parteien abhandeln (Programmatik, Organisation, gesellschaftliche Beziehungen, Wähler, Mitglieder). Die folgenden Angaben erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit, erschließen jedoch die weiterführende Literatur: Zur liberalen Parteifamilie hat Kirchner (1988) einen umfangreichen Konservativen Hanley (1994) Sammelband und vorgelegt; Veen (1983a; zu den 1983b; Christdemokraten 1991; 1994); zu und den Sozialdemokraten liegen neben den komparativen Arbeiten Bartolinis (2000), Kitschelts (1994) und Merkels (1993) eine Reihe von Sammelbänden vor (siehe Paterson/Thomas 1977; Bell/Shaw 1994; Ladrech/Marliere 1999; Karvonen/Sundberg 1991). Während es um die Kommunisten und Linkssozialisten in den vergangenen Jahren eher still geworden ist (Baumgarten 1982, Tarschys 1977; White/Nelson 1986), haben die Herausforderungen der grün-alternativen und gefunden. allem Vor demokratietheoretischen rechtspopulistischen bei den erhebliche Grünen Positionen und ist der Aufmerksamkeit der enge in der Zusammenhang Organisation der Literatur zwischen parteiinternen Entscheidungsprozesse stark beachtet worden (Burchell 2001; Kitschelt 1989, Raschke 1993, Poguntke 1993, Frankland/Schoonmaker 1992). Diese lassen sich nicht zuletzt durch die Verankerung (Bürklin grün-alternativer 1984; Parteien Dalton/Kuechler/Bürklin im postmaterialistischen 1990; Müller-Rommel Wählersegment 1990; erklären Müller-Rommel 1985b). Vergleichende empirische Analysen haben gezeigt, dass sich grün-alternative 12 Parteien hinsichtlich ihrer Organisation, ihrer Wählerschaft und ihrer programmatischen Grundpositionen vergleichsweise ähnlich sind (O'Neill 1997; Poguntke 1987; Müller-Rommel 1985a; Sammelwerke: Müller-Rommel 1989; Richardson/Rootes 1995), während eine Reihe nationaler Kontextfaktoren erklären, weshalb sie sich hinsichtlich ihrer Wahlerfolge deutlich unterscheiden (Müller-Rommel 1993). Ähnliches gilt für ihre Erfolgbilanz in nationalen Regierungen, die erheblich vom Format des Parteiensystems determiniert wird, also vom regierungsinternen Erpressungspotential grün-alternativer Regierungsparteien (Müller- Rommel/Poguntke 2002). Während Peter Mair zu Recht darauf hingewiesen hat, dass die Wahlerfolge grünalternativer Parteien hinter den Erwartungen vieler Beobachter zurückgeblieben sind (Mair 2001), haben die Erfolge rechtspopulistischer Parteien bisweilen die kühnsten Hoffnungen ihrer Protagonisten übertroffen; man denke nur an die Erfolge der FPÖ, der niederländischen Liste Fortuyn, der französischen Front National, der dänischen Volkspartei, der norwegischen Fortschrittspartei oder Forza Italia. Diese knappe Aufzählung zeigt, dass es sich um eine ideologisch vergleichsweise heterogene Gruppe politischer Parteien handelt, was Anlass zu teils komplementären, teils konkurrierender Typologien gegeben hat. (Beyme 1988; Betz/Immerfall 1998; Betz 1991; Ignazi 1992; Ignazi/Ysmal 1992; Minkenberg 1991; Minkenberg 1998). Die Wahlerfolge dieser Parteien haben bislang stark fluktuiert, so dass systematisch-vergleichende Erklärungsversuche für den Wahlerfolg dieser Parteifamilie naturgemäß auf unsicherer empirischer Grundlage beruhten, weil schon der nächste überraschende Wahlausgang aus einer vergleichsweise erfolglosen Partei eine vorrübergehend erfolgreiche machen konnte (Kitschelt 1995). Zu erwähnen sind schließlich noch die aus den Agarparteien hervorgegangenen skandinavischen Zentrumsparteien (Berglund/Lindström 1978; Elder/Thomas/Arter 1982; Rubart 1983) sowie die vergleichsweise große, aber ebenfalls heterogene Gruppe der ethno-regionalistischen Parteien (De Winter 1994). Die programmatischen Veränderungen im Unterschiede Zeitverlauf sind zwischen den mittlerweile einzelnen durch eine Parteifamilien Reihe sowie empirischer Untersuchungen gut dokumentiert. Drei Zugänge konkurrieren hier: Die sekundäranalytische Auswertung der inhaltsanalytische meisten auf existierenden Auswertungen Literatur, von Expertenbefragungen Expertenbefragungen Parteiprogrammen beruhenden Studien und und standardisierte Regierungserklärungen. sind auf einen oder Die wenige Messzeitpunkte beschränkt (Laver/Hunt 1992; Huber/Inglehart ; Castles/Mair 1984) und die Aussagekraft sekundäranalytischer Untersuchungen wird durch die ungleichmäßige Beachtungen einzelner Parteien, Parteifamilien oder Länder in der Literatur begrenzt. 13 Demgegenüber haben die Arbeiten der ‚Manifesto Research Group’ valide, längsschnittlich vergleichbaren Daten produziert, die zu einer wichtigen Datenbasis für die vergleichende Analyse von Parteien und Parteiensystemen geworden sind (Budge/Robertson/Heark 1987; Klingemann/Hofferbert/Budge 1994). Der jüngsten Veröffentlichung der Projektgruppe ist eine Daten-CD beigefügt (Budge et al. 2001). Die Daten basieren auf standardisierten Kodierungsverfahren aller Wahlprogramme relevanter politischer Parteien in 19 europäischen Ländern seit 1945 (später wurde der Kreis der untersuchten Länder erweitert). Eines der wichtigsten Ergebnisse ist, dass die oft behauptete Konvergenz politischer Parteien hin zu moderaten Positionen empirisch nicht belegbar ist (Volkens/Klingemann 2002: 148). 5 Parteiensysteme Die Analyse von Parteiensystemen ist naturgemäß eng mit den Forschungen zur Veränderung der programmatischen Positionen politischer Parteien verbunden, wird der Parteienwettbewerb doch in erheblichem Maße über den Streit um diese Positionen vermittelt. Ausgehend von einfachen numerischen Klassifikationen (Blondel 1990; Duverger 1990; Dahl 1990), die zwischen Zweiparteiensystemen und Mehrparteiensystemen unterschieden, hat die Forschung mittlerweile eine Reihe von quantifizierbaren Kriterien entwickelt, um die Veränderung von Parteiensystemen systematisch beschreiben zu können. Grundlegendes hat hier Giovanni Sartori geleistet, der mit seinem Modell des ‚polarisierten Pluralismus’ die Zahl der in einem Parteiensystem vertretenen Parteien mit ihrem Polarisierungsgrad verband und auf dieser Grundlage zu systematischen Aussagen über die Richtung des Parteienwettbewerbes gelangte (zentripetal versus zentrifugal) (Sartori 1976). Aufbauend auf den dargestellten Untersuchungen zur programmatischen Entwicklung politischer Parteien lässt sich mittlerweile der Polarisierungsgrad von Parteiensystemen quantitativ bestimmen. Hinzu kommen verschiedene Indices zum Fragmentierungsgrad (Zersplitterung), die nicht nur die Zahl der Parteien, sondern auch deren Größe berücksichtigen. Der bekannteste ist der von Laakso und Taagepera (1979) entwickelte Index zur Berechnung der ‚effektiven Parteienzahl’, der sich, wie auch der ältere Fragmentierungsindex von Rae, sowohl auf das parlamentarische als auch auf das außerparlamentarische Parteiensystem anwenden lässt (für einen guten Überblick siehe Niedermayer 1996). Zu Recht ist allerdings eingewandt worden, dass die Tendenz zur Konzentration auf numerische Kennwerte die Gefahr birgt, die Analyse der inhärenten Bewegungsgesetze von Parteiensystemen zu vernachlässigen (Smith 1989; Mair/Smith 1990; Pennings/Lane 1998; Mair 1997; van Deth/Janssen 1994). 14 Ein wichtiger Kennwert für die Analyse der Entwicklung von Parteiensystemen ist die Volatilität des Elektorates, also die Zahl der Wähler, die ihre Wahlentscheidung von einer Wahl zur nächsten ändern, abgeschätzt anhand der Stimmengewinne und Verluste der konkurrierenden Parteien (Pedersen 1979). Mit diesem Instrumentarium haben Bartolini und Mair (1990) gezeigt, dass die Cleavage-Theorie von Lipset und Rokkan (1967) nach wie vor grundlegend für das Verständnis der Genese von Parteiensystemen ist. Nach ihr lässt sich die Grundstruktur europäischer Parteiensysteme auf vier zentrale, historisch entstandene Konflikte zurückführen, die sich in sozialstrukturellen Konfliktlinien (Cleavages) verfestigt haben, die den Parteienwettbewerb bis heute prägen (Karvonen/Kuhnle 2001). Komplementär zu diesem makro-soziologischen Erklärungsansatz erklären institutionelle Ansätze das Format von Parteiensystemen vor allem durch die Art des Wahlsystems (Lijphart 1993; Nohlen 1989). 6 Parteien in der Regierung Das Verständnis der Prozesse der Regierungsbildung und des Regierens wird grundlegend davon beeinflusst, welche Annahmen man hinsichtlich der zentralen Parteiziele trifft. Konzeptualisiert man Parteien als ausschließlich ämterorientiert (office seeking) (Downs 1968; Riker 1962) ergeben sich andere Prognosen hinsichtlich ihres Verhaltens, als wenn man auch in Rechnung stellt, dass Parteien gleichermaßen an Wählerstimmen (vote seeking) und an der Verwirklichung politischer Ziele (policy seeking) interessiert sind (Strom 1990; Müller/Strom 1999). Hinzu kommt die Frage, ob Parteien als einheitliche Akteure (unitary actor) ansieht, oder aber berücksichtigt, dass innerparteiliche Opposition das Handeln der Parteieliten im Regierungsprozess beeinflusst (Raschke 1977). Mittlerweile liegt eine umfangreiche, empirische orientierte Literatur zur Koalitionsbildung, zur Regierungsstabilität und zum Regierungshandeln vor, die sich theoretisch überwiegend im Kontext der verschiedene Laver/Shepsle Spielarten der Rational 1994;Laver/Shepsle Choice-Theorie 1996; Laver/Budge bewegt (Budge/Keman 1990; 1992; Laver/Schofield 1990; Müller/Strom 2000). Als Unterkategorie der langjährigen Debatte zum Einfluss von Politik auf Systemperformanz (does politics matter?) kann hierbei die Diskussion über den direkten Einfluss von politischen Parteien betrachtet werden, also die Frage ob die weltanschauliche Zusammensetzung von (Koalitions)regierungen Regierungshandeln und Systemleistungen beeinflusst (Caul/Gray 2000; Castles 1982, Rose 1980; Schmidt 1931; für einen Überblick siehe Keman 2002). 15 Ein anderer Forschungszweig hat sich auf die Erforschung der regierungsinternen Entscheidungsprozesse mit dem Instrumentarium der Eliteninterviews konzentriert sowie umfangreiche empirische Studien zum Karriereverlauf von Regierungsmitgliedern vorgelegt (Blondel/Müller-Rommel 1993; Blondel/Müller-Rommel 1997; Blondel/Thiebault 1991; Mackie/Hogwood 1985). Neben der direkten Konzentration auf das Handeln von Parteien in der Regierung hat die vergleichende Forschung auch den Einfluss politischer Parteien auf den gesamten Regierungsprozess konzeptionell und empirisch in den Blick genommen. Unter der Perspektive der Parteiendemokratie (party government) versteht man die Überformung und Verklammerung der Institutionen demokratischer Regierung durch politische Parteien. Anders ausgedrückt: Parteien sind nicht nur die zentrale Linkage zwischen Regierungssystem und Wahlbevölkerung, sie koordinieren auch die verschiedenen Arenen des Regierungssystems (Blondel/Cotta 2000; Katz 1987, Castles/Wildenmann 1986; Gabriel/Niedermayer/Stöss 2001). 7 Perspektiven der vergleichenden Parteienforschung Die international vergleichende Parteienforschung hat, wie der hier präsentierte Überblick zeigt, in mehreren komparativen Projekten die Datenbasis für die Erforschung politischer Parteien erheblich erweitert und ein eigenes methodisches Instrumentarium erarbeitet. Dies gilt vor allem für Forschungen zum Parteiwandel und zur Parteiprogrammatik. Systematische Datensammlungen (Manifesto Parteimitgliederbefragungen, Research Harmel/Janda Group, Projekt) Middle sowie Level einschlägige Elite Study, Veröffentlichungen zu politischen Basisdaten (Katz/Koole 1992ff.; Lane/McKay/Newton 1991; Mackie/Rose 1991; Kimber ; Siaroff 2000) haben die Möglichkeiten zur empirischen Überprüfung komparativer und längsschnittlicher Fragestellungen beträchtlich erweitert, wobei methodische Probleme der Identität und Äquivalenz der Vergleichsobjekte beachtet werden müssen (Poguntke 1998). Auch die einschlägige Literatur ist umfassend dokumentiert (Bartolini/Caramani/Hug 1998). Unverzichtbar für solch breit vergleichend angelegten Studien ist jedoch die genaue Kenntnis detaillierter Fallstudien zu einzelnen Parteien oder Parteiensystemen, die mit einem methodischen Mix aus standardisierten Verfahren, Eliteninterviews und teilnehmender Beobachtung ein ungleich detaillierteres Bild zu liefern vermögen. Sie liefern nicht nur wertvolle Detailkenntnisse über den Untersuchungsgegenstand, sondern generieren häufig die Thesen, deren Gültigkeit mit breit vergleichenden Studien untersucht wird (Lijphart 1971; 16 Lijphart 1975). Daneben spielen nach Länderkapiteln oder thematischen Gesichtspunkten gegliederte Sammelbände nach wie vor eine wichtige Rolle in der internationalen wissenschaftliche Diskussion. Sie sind häufig das Produkt intensiver Diskussionen von Länderexperten in speziellen Workshops und zeichnen sich bisweilen durch erheblich thematische Kohärenz aus (jüngere Beispiele hierfür sind Dalton/Wattenberg 2000; Gunther/Montero/Linz 2002; Ignazi/Ysmal 1998; Webb/Farrell/Holliday 2002). Hinsichtlich der thematischen Ausrichtung sind in jüngster Zeit drei Forschungsfelder hinzugekommen, die die zukünftige Diskussion erheblich beeinflussen dürften. Zunächst haben die Tendenzen zur Ausweitung individueller Partizipationsrechte von Parteimitgliedern die Frage nach der Entmachtung der mittleren Parteieliten gestellt, denen May nachgesagt hat, sie neigten zu besonderer ideologischer Grundsatztreue und stellten somit eine Beeinträchtigung der strategische Bewegungsfähigkeit der Parteieliten dar (May 1973; Norris 1995; Scarrow 1999). Damit verbunden rückt die Frage nach dem Einfluss der neuen Kommunikationstechnologien immer mehr ins Blickfeld. Eröffnen Internet und Email neue Chancen auf direktdemokratische Kontrolle der Parteieliten oder führen sie zur plebiszitär legitimierten Verselbständigung der Parteieliten, die die ungeliebten Einsprüche der Parteiaktivisten nun endgültig unter Berufung auf den direkt festgestellten Willen der Parteibasis (und Wählerbasis) bei Seite schieben können (Budge 1996, Gibson/Römmele/Ward 2003)? Dies könnte den Trend zur Verselbständigung von Parteieliten verstärken, den andere auch als Folge der Europäisierung nationaler politischer Parteien erwarten (Ladrech 2002; Poguntke et al. 2002). In engem Zusammenhang hiermit steht die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen der Fortentwicklung der europäischen Parteienföderationen zu echten ‚Euro-Parteien’ (Bardi 1994; Dietz 1997; Niedermayer 1997), die innerhalb des europäischen Regierungsprozesses tatsächliche Linkagefunktionen wahrnehmen könnten. 17 Literatur Alemann, Ulrich von (2000): Das Parteiensystem der Bundesrepublik Deutschland, Opladen: Leske + Budrich. Alexander, Herbert E./Shiratori, Rei (1994): (Hrsg.): Comparative Political Finance among the Democracies, Boulder, CO: Westview. Arnim, Hans Herbert von (1996): Die Partei, der Abgeordnete und das Geld, München: Knaur. 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