1.1 Mengen und Abbildungen - Fakultät für Mathematik, TU Dortmund

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Lineare Algebra – 2016/17
1.1
c Rudolf Scharlau
3
Mengen und Abbildungen
In diesem Abschnitt stellen wir die grundlegende mathematische Sprache
und Notation zusammen, die für jede Art von heutiger Mathematik unverzichtbar ist. Wir knüpfen an übliches (schul-)mathematisches Vorwissen über Zahlen und Funktionen an, auch setzen wir ein Grundverständnis von analytischer Geometrie voraus (Beschreibung von Punkten durch
Koordinaten). Der Rahmen unserer Ausführungen ist allerdings viel weiter gesteckt und dementsprechend die Darstellung abstrakt“ im Sinne
”
der axiomatischen Vorgehensweise der modernen Mathematik. (Im folgenden Abschnitt 1.3 wird dieser Aspekt noch deutlicher werden.) Im
ersten Teil dieses Abschnittes geht es um Mengen: Darstellung von Mengen, Standard-Bezeichnungen für gewisse Mengen, Teilmengen, Vereinigung, Durchschnitt, Differenzmenge, kartesisches Produkt, Mächtigkeit.
Im zweiten Teil geht es um das Konzept einer Abbildung (Funktion);
hierzu gehören die Begriffe Definitionsbereich, Zielbereich, Bild und Urbild (von Elementen und von Teilmengen). Besonders wichtig sind die
Begriffe injektiv, surjektiv, bijektiv und Umkehrabbildung (inverse Abbildung). Nicht jede Abbildung besitzt eine Umkehrabbildung, vielmehr
trifft dieses genau für die bijektiven Abbildungen zu. Zum Schluss des
Abschnittes stellen wir den Zusammenhang zwischen Abbildungen und
Mächtigkeit von Mengen her und führen den Begriff einer abzählbaren
Menge ein.
Erklärung 1.1.1 (G. Cantor1 ) Eine Menge ist eine Zusammenfassung
bestimmter wohlunterschiedener Objekte unserer Anschauung oder unseres Denkens – welche die Elemente der Menge genannt werden – zu
einem Ganzen.
Schreibweise:
x∈M
x 6∈ M
x ist ein Element von M
x ist nicht ein Element von M
Definition 1.1.2 (Standard-Bezeichnungen für Mengen)
N
= {1, 2, 3, 4, . . .} die natürlichen Zahlen
N0 = {0, 1, 2, 3, 4, . . .} die natürliche Zahlen mit Null
Z
= {. . . , −2, −1, 0, 1, 2, . . .} die ganzen Zahlen
Q
= {m
n | m ∈ Z, n ∈ N} die Bruchzahlen, rationalen Zahlen
R
die reellen Zahlen
∅
die leere Menge
Neben den natürlichen, ganzen und rationalen Zahlen (Bruchzahlen) setzen wir auch die reellen Zahlen (dargestellt zum Beispiel durch endliche
oder unendliche Dezimalbrüche) grundsätzlich als bekannt voraus.
Beispiele: 3 ∈ N, 3 ∈ R, 1, 5 6∈ Z, −1 ∈ Z, −1 6∈ N, 1, 2121 · · · ∈ R
Definition 1.1.3 Eine Menge M heißt endlich, wenn sie aus nur endlich
vielen Elementen besteht. In diesem Fall heißt die Anzahl der Elemente
die Mächtigkeit oder auch Kardinalität von M , in Zeichen: |M | oder #M .
Wir kommen unten auf diesen Begriff zurück und gehen dann auch auf
unendliche Mengen ein.
1 Georg
Cantor, 1845 - 1918, deutscher Mathematiker, Professor in Halle (Saale)
4
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Erklärung 1.1.4 (Beschreibung von Mengen)
1. Durch Aufzählung der Elemente, z.B.
M = {1, 3, 5, 6},
A = {a, b, c, d, e, f } ;
dieses ist prinzipiell bei endlichen Mengen möglich, u.U. auch bei
unendlichen Mengen, wenn keine Missverständnisse zu befürchten
sind:
N0 = {0, 1, 2, 3, 4 . . .}
G = {2, 4, 6, 8, . . .} die Menge der geraden Zahlen.
2. In beschreibender Form, d.h. durch Angabe der Eigenschaften der
Elemente, z.B.
G = {x | x ∈ N und x ist gerade} .
Die allgemeine Form ist:
M = {x | A(x)} ,
dabei steht A für eine Eigenschaft, die potentielle Elemente haben
können; A(x) heißt: die Eigenschaft A trifft für das Objekt x zu.
Man kann auch schreiben:
G = {x ∈ N | x ist gerade},
d.h. die größere Menge, in der sich die Elemente der zu definierenden Menge befinden, hier die Menge N, wird nicht unter den
Eigenschaften, sondern bereits vor dem Trennstrich in der Mengenklammer genannt.
3. In abgekürzter beschreibender Form, z.B.
G = {2 · m | m ∈ N} .
Man verzichtet hier auf einen speziellen Namen für die Elemente
und gibt sofort ein Bildungsgesetz, z.B. einen Term oder algebraischen Ausdruck, an. Ein anderes Beispiel hierzu:
K
=
=
{1 + 3z | z ∈ Z}
{. . . , −5, −2, 1, 4, 7, 10, . . . } .
Beispiel: die Menge der Quadratzahlen in allen drei Beschreibungsformen:
Q = {1, 4, 9, 16, 25, . . .}
= {y | es existiert ein x ∈ N so dass x2 = y}
= {x2 | x ∈ N}
Wir führen an dieser Stelle einige größtenteils aus der Aussagenlogik
stammende Symbole ein, die für das strukturierte und etwas abgekürzte
Aufschreiben von Sätzen und Definitionen sehr praktisch sind.
Bezeichnungen 1.1.5 (einige Symbole der Logik)
∃
∀
∧
∨
=⇒
⇐⇒
:⇐⇒
heißt
heißt
heißt
heißt
heißt
heißt
heißt
es gibt ein“
”
für alle“
”
und”
”
oder”
”
impliziert“, aus . . . folgt“
”
”
genau dann, wenn“
”
genau dann, wenn“(Definition der linken Seite)
”
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Z.B. können wir damit kürzer schreiben Q = {y | ∃x ∈ N : x2 = y}.
Definition 1.1.6 (Teilmenge)
a) Eine Menge A heißt Teilmenge einer Menge M , falls jedes Element
von A auch Element von M ist. Die entsprechende Beziehung zwischen A und M heißt auch Inklusion (von A in M ).
Bezeichnung:
A⊆M .
b) Eine Menge A heißt echte Teilmenge einer Menge M , falls A Teilmenge von M und A 6= M ist. Die entsprechende Beziehung zwischen A und M heißt auch echte Inklusion (von A in M ).
Bezeichnung:
A(M
oder
A&M .
Wir weisen ausdrücklich darauf hin, dass bei der Inklusion die Gleichheit
der beiden Mengen erlaubt ist: es gilt M ⊆ M . Für die Inklusion wird oft
auch die Schreibweise A ⊂ M benutzt; die von uns gewählte Konvention
hat den Vorteil, dass sie zu den üblichen Zeichen ≤ bzw. < für den
Größenvergleich von Zahlen passt.
Definition 1.1.7 (Operationen mit Mengen)
A∩B
A∪B
ArB
= {x | x ∈ A und x ∈ B}
= {x | x ∈ A oder x ∈ B}
= {x | x ∈ A und x ∈
6 B}
Durchschnitt
Vereinigung
Differenz(menge)
Beachte, dass bei der Bildung der Differenzmenge B nicht in A enthalten
sein muss. Man kann sich allerdings immer auf diesen Fall zurückziehen,
denn es gilt offensichtlich
A r B = A r (A ∩ B) .
Mit den logischen Symbolen schreiben wir etwas förmlicher
A∩B
A∪B
= {x | x ∈ A ∧ x ∈ B}
= {x | x ∈ A ∨ x ∈ B}
Es ergibt sich hier eine natürliche Korrespondenz der Symbole ∩ zu ∧
und ∪ zu ∨.
Für die Mengenoperationen gibt es eine ganze Reihe von Rechenregeln”,
”
von denen wir zwei wichtige im folgenden Satz festhalten.
Satz 1.1.8 (Distributivgesetz für Durchschnitt und Vereinigung)
Für drei beliebige Teilmengen A, B, C einer Menge M gilt immer
A ∩ (B ∪ C) = (A ∩ B) ∪ (A ∩ C)
A ∪ (B ∩ C) = (A ∪ B) ∩ (A ∪ C).
Der Beweis ergibt sich aus elementaren logischen Regeln für die AussageVerknüpfungen und” und oder”. Man zeigt jeweils, dass die linke Seite
”
”
in der rechten enthalten ist, weiter, dass die rechte Seite in der linken
enthalten ist, und benutzt ein offensichtliches Prinzip für Mengengleichheit:
X = Y ⇐⇒ X ⊆ Y ∧ Y ⊆ X.
Man beachte die Analogie dieses Distributivgesetzes zum Distributivgesetz für das Rechnen mit Zahlen a · (b + c) = a · b + a · c, siehe 1.2.5; für
einen allgemeineren Rahmen siehe Abschnitt 1.3.
Mengen und Mengenoperationen können durch sog. Venn-Diagramme
veranschaulicht werden; hier ist die Veranschaulichung der Differenzmenge:
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A
A
B
A\B
B
A\B
Abb. 1.1: Differenzmenge
Falls alle betrachteten Mengen Teilmengen einer festen Menge M sind
(in einer solchen Situation wird M auch als Grundmenge bezeichnet),
wird die Differenzmenge M r A auch als das Komplement von A in M
bezeichnet. Oft schreibt man für diese Menge {A oder A; wir werden
diese Bezeichnungen nicht verwenden, weil sie den Bezug auf die Grundmenge M nicht mehr ausdrücken.
Vereinigung und Durchschnitt kann man auch für mehr als zwei Mengen
definieren. Z.B. für drei Mengen A, B, C in zwei Schritten als (A∪B)∪C
(zur Vereinigung von A und B noch C hinzufügen), oder auch A ∪ (B ∪
C) = (B ∪ C) ∪ A (zur Vereinigung von B und C noch A hinzufügen).
Trotz unterschiedlicher Vorgehensweise erhält man das gleiche Ergebnis.
Man kann A ∪ B ∪ C (ohne Klammern) aus dem Stand direkt definieren:
Definition 1.1.9 Es seien Teilmengen A1 , A2 , . . . , Ak einer Menge M
gegeben.
a) Der Durchschnitt, auch Schnittmenge genannt, der Ai ist definiert
als
k
\
Ai := {x | ∀i ∈ {1, . . . k} : x ∈ Ai }.
i=1
b) Die Vereinigung der Ai ist definiert als
k
[
Ai := {x | ∃i ∈ {1, . . . k} : x ∈ Ai }.
i=1
Der Durchschnitt besteht also aus den Elementen, die in allen Ai liegen,
während die Vereinigung aus den Elementen besteht, die in wenigstens
einem Ai liegen.
Definition und Bemerkung 1.1.10 (disjunkt)
a) Zwei Teilmengen A und B einer Menge M heißen disjunkt zueinander, falls A ∩ B = ∅ ist.
b) Wenn A und B disjunkt zueinander sind, benutzt man für die
Vereinigung auch die Bezeichnung A ∪˙ B.
c) Für die Mächtigkeiten disjunkter Teilmengen und ihrer Vereinigung gilt
|A ∪˙ B| = |A| + |B| .
Sprechweise Eine Menge M heißt disjunkte Vereinigung von zwei Teilmengen A und B, falls M = A ∪˙ B. Definitionsgemäß ist dann also
A∪B = M , und zusätzlich sind A und B disjunkt zueinander: A∩B = ∅.
Das Kürzel disjunkte Vereinigung” ist zwar üblich und praktisch, aber
”
sprachlogisch eigentlicht nicht ganz korrekt: Das Adjektiv disjunkt” be”
zeichnet hier nicht etwa eine Eigenschaft der Vereinigungsmenge, sondern
eine gewisse Beziehung zwischen den beiden ursprünglichen Mengen A
und B. Diese Situation taucht in einem mathematisch komplizierteren
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Kontext später noch einmal völlig analog auf, nämlich bei der direkten
Summe von Untervektorräumen eines Vektorraumes.
Die Verallgemeinerung der zuletzt betrachteten Situation auf mehr als
zwei Teilmengen macht keine Schwierigkeiten:
Definition und Bemerkung 1.1.11 Gegeben sei eine Familie Ai , i =
1, . . . , k vom Teilmengen von M ,
a) Die Ai heißen paarweise disjunkt, falls Ai ∩ Aj = ∅ für alle i, j mit
i 6= j.
b) Unter der Voraussetzung von a) gilt für die Mächtigkeiten
k
k
[ X
|Ai | .
Ai =
i=1
i=1
Aus Teil b) kann man sich leicht eine allgemeine Formel für die Mächtigkeit der Vereinigung von zwei Mengen herleiten:
Bemerkung 1.1.12 Es sei M irgendeine Menge und A, B zwei endliche
Teilmengen von M . Dann gilt
|A ∪ B| = |A| + |B| − |A ∩ B|.
Bei der Bildung von Vereinigungen und Durchschnitten sind die beteiligten Mengen oft Teilmengen von ein und derselben (genügend großen)
Grundmenge”. Bei der jetzt folgenden Mengenoperation müssen die
”
Ausgangsmengen A und B nichts miteinander zu tun haben.
Definition 1.1.13 (Kartesisches Produkt, Produktmenge)
a) Das kartesische Produkt zweier Mengen A und B ist definiert als
A × B := {(a, b) | a ∈ A, b ∈ B}.
Ein Element (a, b) ∈ A × B heißt geordnetes Paar. Nach Definition
gilt für beliebige a, a0 ∈ A, b, b0 ∈ B:
(a, b) = (a0 , b0 ) :⇐⇒ a = a0 ∧ b = b0
b) Allgemeiner ist das kartesische Produkt von n Mengen A1 , A2 , . . . ,
An definiert als
A1 × A2 × · · · × An = {(a1 , a2 , . . . , an ) | ai ∈ Ai für i = 1, . . . , n} .
Ein Element (a1 , a2 , . . . , an ) ∈ A1 × A2 × · · · × An heißt n-Tupel.
Nach Definition gilt für beliebige ai , bi ∈ Ai , i = 1, . . . , n:
(a1 , a2 , . . . , an ) = (b1 , b2 , . . . , bn ) :⇐⇒ ai = bi für i = 1, . . . , n .
Das kartesische Produkt wird auch einfach als Produktmenge bezeichnet.
Zwei n-Tupel sind also nur dann gleich, wenn an entsprechenden Stellen
dasselbe Element der jeweiligen Menge Ai steht. Insbesondere kommt
es in geordneten Paaren auf die Reihenfolge der beiden Elemente an:
Es gilt (a, b) 6= (b, a), falls a 6= b. (Es müssen a und b beide in A und
B liegen, damit die fraglichen Paare in A × B liegen. Wir denken bei
dieser Bemerkung insbesondere an den wichtigen Fall A = B.) Bezüglich
Reihenfolge verhält sich also (a, b) anders als die Menge {a, b}, für die
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offenbar {a, b} = {b, a} gilt. Übrigens sollte man die Notation {a, b} nur
benutzen, wenn a 6= b ist (sonst notiert man die einelementige Menge
natürlich als {a}), während ein geordnetes Paar (a, a) durchaus Sinn
macht.
Bei n-Tupeln (wir nehmen hier der Einfachheit halber den Fall A1 =
A2 = · · · = An =: A an) kommt es erst recht auf die Reihenfolge an:
wenn etwa a, b, c drei verschiedene Elemente aus A sind, dann können
wir hieraus 6 verschiedene Tripel in A × A × A bilden, nämlich
(a, b, c), (a, c, b), (b, a, c), (b, c, a), (c, a, b), (c, b, a).
Als Spezialfall eines kartesischen Produktes ist vor allem die Menge
R × R =: R2 bekannt. Hier handelt es sich um reelle Zahlenpaare, die
nach Einführung eines Koordinatensystems mit den Punkten der Ebene
identifiziert werden. Wenn M ⊆ R und N ⊆ R Intervalle sind, kann
man sich entsprechend M × N als Rechteck vorstellen. Von dieser geometrischen Interpretation kommt auch die Wortwahl kartesisch“ beim
”
kartesischen Produkt her: Descartes 2 führte als erster ein solches kar”
tesisches“ Koordinatensystem ein.
Die Bezeichnung eines kartesischen Produktes als Produkt“ wird auch
”
durch den folgenden Satz unterstützt.
Satz 1.1.14 Es seien M und N zwei endliche Mengen. Dann ist auch
ihr kartesiches Produkt endlich und seine Mächtigkeit gleich dem Produkt
der Mächtigkeiten von M und N :
|M × N | = |M | · |N | .
Beweis: Sei |M | = m, |N | = n, M = {x1 , x2 , . . . , xm }. Dann ist M × N
die disjunkte Vereinigung der m Mengen {xi } × N, i = 1, . . . , m. Jede
dieser Mengen hat n Elemente (sie ist gleichmächtig zur Menge N , siehe
unten 1.1.26 a)). Die Mächtigkeit von M ×N ergibt sich nach Bemerkung
1.1.11.b) also als die m-fache Summe der Zahl n, also als m · n, wie
behauptet.
Wir behandeln noch eine andere Abzählfrage im Zusammenhang mit
endlichen Mengen.
Definition und Satz 1.1.15 Die Menge aller Teilmengen einer Menge
M heißt Potenzmenge von M und wird mit P(M ) bezeichnet:
P(M ) := {X | X ⊆ M } .
Wenn M endlich mit n Elementen ist, dann besteht P(M ) aus 2n Elementen:
|P(M )| = 2|M | .
Beweis (vorläufig, Details in der Vorlesung, vollständiger Beweis später
im Unterabschnitt 1.2.4):
Es sei z.B. n = 3, M = {1, 2, 3}. Dann ist
P(M )
= {∅, {1}, {2}, {3}, {1, 2}, {1, 3}, {2, 3}, {1, 2, 3}}
= {∅, {1}, {2}, {1, 2}, {3}, {1, 3}, {2, 3}, {1, 2, 3}} .
Die zweite Zeile zeigt die grundsätzliche Idee des Beweises (gleichgültig,
ob man ihn dann formal oder weniger formal aufschreibt): Man ordnet
die Teilmengen geschickt an und erkennt dabei, dass bei Hinzunahme
eines Elementes sich die Anzahl der Teilmengen jeweils genau verdoppelt.
2 René
Descartes, 1596 – 1650, französischer Philosoph und Mathematiker
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Z.B. sehen wir in der Menge {1, 2, 3} vier Teilmengen ohne die 3, und
vier Teimengen mit 3.
Wir kommen zum zweiten Teil dieses Unterkapitels, nämlich dem mathematischen Begriff einer Abbildung.
Definition 1.1.16 Es seien X und Y zwei Mengen. Eine Abbildung von
X in Y ist gegeben durch eine Vorschrift f , die jedem Element x ∈ X
genau ein Element y ∈ Y zuordnet. Man schreibt y = f (x) (lies: f von
”
x“). Für die gesamte Abbildung schreibt man
f : X → Y (lies: f von X nach Y “ oder . . . in Y “).
”
”
Für ein Element x ∈ X benutzt man die Notation
x 7→ f (x) (lies: x wird abgebildet auf f (x)“).
”
f (x) heißt das Bild von x unter f .
X
heißt Definitionsbereich.
Y
heißt Zielbereich oder die Zielmenge.
Die Elemente von X heißen auch die Argumente der Abbildung
Wichtig: Zwei Abbildungen sind nur dann gleich, wenn die Vorschriften
und auch die Definitions- und Zielbereiche übereinstimmen.
Die Abbildungen unter (1) des folgenden Beispiels sind alle verschieden,
auch wenn die Vorschrift immer die gleiche, nämlich das Quadrieren einer
Zahl ist.
Beispiele 1.1.17 (Abbildungen)
(1a) X = N, Y = N, f (x) = x2
(1b) X = Z, Y = N0 , f (x) = x2
(1c) X = Z, Y = Z, f (x) = x2
(2) X = Y = R, f (x) = ex , cos x, sin x
reelle Funktionen“, wie man sie in der Analysis studiert, sind
”
ebenfalls Abbildungen.
(3) X = P({1, 2, . . . , n}), Y = N0 , f (x) = |x| die Mächtigkeit von x.
(4) X wie eben, Y = X, f (x) = x := {1, 2, . . . , n} r x das Komplement von x.
(5) X sei endlich. Dann kann die Vorschrift“ als eine (endliche) Ta”
belle aufgefasst werden.
Zum Beispiel: X = {1, 2, 3, 4, 5}, Y = {u, v, w, x, y, z},
x
1 2 3 4 5
f (x) y v w x w
Abbildungen zwischen endlichen Mengen (mit wenigen Elementen) kann
man auch durch ein Pfeildiagramm veranschaulichen: die Mengen X und
Y werden in geeigneter Weise skizziert, und jedes Element des Definitionsbereiches wird mit seinem Bild durch einen Pfeil verbunden:
1
u
2
v
3
w
4
x
5
y
z
Abb. 1.2 Pfeildiagramm einer Abbildung
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Das Pfeildiagramm einer Abbildung kann nicht beliebig aussehen, vielmehr hat es folgende charakteristische Eigenschaft: Bei jedem Element
des Definitionsbereichs X beginnt genau ein Pfeil.
Ist eine Abbildung f mit Definitionsbereich X gegeben, kann man den
Begriff des Bildes unter f“ von den Elementen von X auf Teilmengen
”
von X ausdehnen; wir ergänzen ihn nun um den Begriff des Urbildes:
Definition 1.1.18 (Bilder und Urbilder von Teilmengen)
Es sei f : X → Y eine Abbildung.
a) Für A ⊆ X definiere
f (A) := {y ∈ Y | es gibt ein a ∈ A mit f (a) = y}
= {f (a) | a ∈ A}
das Bild von A unter f .
b) Für B ⊆ Y definiere
f −1 (B) := {x ∈ X | f (x) ∈ B}
das Urbild von B unter f .
Zur Illustration dieser Begriffe benutzen wir die obigen Beispiele 1.1.17.
Beispiele 1.1.19
(1a) X = N, Y = N, f (x) = x2
f ({1, 2, 3}) = {1, 4, 9}
f ({5, 7, 12}) = {25, 49, 144}
f −1 ({25, 36, 49}) = {5, 6, 7}
f −1 ({10, 11, 12, . . . , 20}) = {4}
f −1 ({100, 101, . . . , 200}) = {10, 11, 12, 13, 14}
(1c) X = Z, Y = Z, f (x) = x2
f −1 ({25}) = {5, −5}
f −1 ({25, 36, 49}) = {±5, ±6, ±7} (6 Elemente)
f −1 ({−1, −2, −3, . . .}) = ∅ (leere Menge)
(5)
(siehe 1.1.17 (5)): X = {1, 2, 3, 4, 5}, Y = {u, v, w, x, y, z}
f −1 ({u, v}) = {2}
f −1 ({z}) = ∅
f −1 ({v, w}) = {2, 3, 5}
Man mache sich auch klar, wie man Bilder und Urbilder sieht“, wenn
”
eine Abbildung durch ein Pfeildiagramm gegeben ist.
Definition 1.1.20 Eine Abbildung f : X → Y heißt
injektiv
:⇐⇒
für alle x, x0 ∈ X gilt: x 6= x0 =⇒ f (x) 6= f (x0 ),
(Verschiedene Elemente in X haben auch verschiedene Bilder unter f .)
surjektiv :⇐⇒
für alle y ∈ Y gibt es ein x ∈ X mit f (x) = y,
(Jedes Element in Y kommt als Bild unter f vor.)
bijektiv
:⇐⇒
f ist injektiv und surjektiv.
Bemerkung
a) Die Injektivität kann man auch wie folgt formulieren:
∀ x, x0 ∈ X : f (x) = f (x0 )
=⇒
x = x0 .
Wenn zwei Elemente das gleiche Bild haben, so sind sie gleich.
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b) Die Menge f (X) (also das Bild von ganz X unter f ) heißt auch die
Bildmenge oder einfach das Bild von f . Eine Abbildung f : X → Y
ist surjektiv genau dann, wenn f (X) = Y ist, d.h. ihr Bild gleich
ganz Y ist.
Im Pfeildiagramm bedeuten diese Eigenschaften:
injektiv
surjektiv
:
:
es laufen keine zwei Pfeile zusammen
bei jedem y in Y endet ein Pfeil
Aus einer beliebigen Abbildung f : X → Y kann man leicht eine surjektive Abbildung machen: Man ersetze nämlich Y durch die Bildmenge
f (X).
Definition 1.1.21 Es sei f : X → Y eine Abbildung. Der Graph von f
ist definiert als
Γf := {(x, f (x) | x ∈ X} ⊆ X × Y .
Definition 1.1.22 Es seien f : X → Y und g : Y 0 → Z, dabei Y ⊆ Y 0
zwei Abbildungen, wobei der Zielbereich der ersten im Definitionsbereich
der zweiten enthalten ist. Die Komposition, Verkettung oder Hintereinanderausführung
g◦f :X →Z
(lies: g nach f“) ist definiert durch
”
(g ◦ f )(x) = g(f (x)) für alle x ∈ X .
Bemerkung 1.1.23 Die Komposition ist assoziativ, d.h. wenn f : X →
Y , g : Y 0 → Z, h : Z 0 → W drei Abbildungen sind mit Y ⊆ Y 0 und
Z ⊆ Z 0 , so ist
h ◦ (g ◦ f ) = (h ◦ g) ◦ f : X → W .
Definition und Bemerkung 1.1.24 Es sei X irgendeine Menge. Die
identische Abbildung
idX : X → X
ist definiert durch idX (x) = x für alle x ∈ X. Wenn f : X → Y eine
beliebige Abbildung ist, so gilt
f ◦ idX = f = idY ◦f .
Satz und Definition 1.1.25 (Umkehrabbildung) Es sei f : X → Y
eine Abbildung.
a) Die folgenden beiden Eigenschaften sind äquivalent:
i) f ist bijektiv.
ii) Es gibt eine Abbildung g : Y → X so, dass
g(f (x)) = x für alle x ∈ X, d.h. g ◦ f = idX und
f (g(y)) = y für alle y ∈ Y , d.h. f ◦ g = idY .
b) Falls f bijektiv ist, so gibt es nur eine Abbildung g, die ii) erfüllt.
Schreibe g =: f −1 . Diese Abbildung heißt die zu f inverse Abbildung, oder Umkehrabbildung von f .
c) Wenn f : X → Y bijektiv ist, so ist auch f −1 : Y → X bijektiv,
und es gilt (f −1 )−1 = f .
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Beweis:
zu a): Es sind zwei Implikationen zu zeigen:
i) =⇒ ii)“: Zu jedem y ∈ Y gibt es genau ein x ∈ X mit f (x) = y,
”
denn f ist surjektiv und injektiv. Setze nun g(y) := x. Dann gilt nach
Konstruktion
g(f (x)) = x für alle x ∈ X ,
wie unter ii) als erstes behauptet.
Wir zeigen nun die zweite Behauptung unter ii). Sei y ∈ Y beliebig.
Weil f surjektiv ist, existiert ein x ∈ X mit f (x) = y. Es folgt
f (g(y)) = f (g(f (x))) = f (x) = y,
wie gewünscht.
ii) =⇒ i)“:
”
1) f ist injektiv: Es seien x, x0 ∈ X mit f (x) = f (x0 ). Dann ist x =
g(f (x)) = g(f (x0 )) = x0 , wie gewünscht.
2) f ist surjektiv: Sei y ∈ Y gegeben. Setze x := g(y). Dann ist
f (x) = f (g(y)) = (f ◦ g)(y) = y,
wie gewünscht.
zu b): (Eindeutigkeit von g): Angenommen, h : Y → X hat die
gleichen Eigenschaften wie g. Dann gilt h = h ◦ idY = h ◦ (f ◦ g) =
(h ◦ f ) ◦ g = idX ◦g = g.
zu c): Dieses folgt sofort aus der in a) gegebenen Kennzeichnung
bijektiver Abbildungen.
Wir kehren noch einmal zum Begriff der Mächtigkeit einer Menge zurück,
den wir jetzt mit Hilfe des Abbildungsbegriffs vertiefen können.
Definition 1.1.26
a) Eine Menge M heißt gleichmächtig zu einer
Menge N , falls eine bijektive Abbildung f : M → N existiert.
b) Eine Menge heißt abzählbar, falls sie gleichmächtig zur Menge der
natürlichen Zahlen ist.
Bemerkung: Wenn M gleichmächtig zu N ist, so können wir statt der
Abbildung f : M → N aus der Definition auch die (ebenfalls bijektive) Umkehrabbildung f −1 : N → M betrachten. Es folgt, dass N
gleichmächtig zu M ist. Etwas lässiger können wir also auch sagen Die
”
Mengen M und N sind gleichmächtig“, wobei es dann auf die Reihenfolge, in der M und N genannt werden, nicht ankommt. (Später werden
wir sagen: Die Relation gleichmächtig“ ist symmetrisch, siehe Definition
”
1.5.4.)
Wir überlegen uns, dass die Definition der Beziehung gleichmächtig“ für
”
endliche Mengen zur ursprünglichen Definition der Mächtigkeit passt:
Eine Menge M hat n Elemente“, wenn ihre Elemente in der Form
”
x1 , x2 , . . . , xn aufgezählt werden können (wobei natürlich alle xi voneinander verschieden sind). Eine solche Aufzählung (oder Abzählung) ist
aber nichts anderes als eine bijektive Abbildung
{1, 2, . . . , n} → M ,
i 7→ xi .
D.h. jede n-elementige Menge M ist gleichmächtig zur Menge {1, 2, . . . , n},
die also die Rolle einer Art Standardmenge“ der Mächtigkeit n hat. Wir
”
halten diese Überlegung in etwas vervollständigter und zitierbarer Form
fest:
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Bemerkung 1.1.27 Es sei n ∈ N. Eine Menge M hat die Mächtigkeit
n genau dann, wenn sie gleichmächtig zur Menge {1, 2, . . . , n} ist.
Wer mag, kann dieses auch als Definition einer Menge der Mächtigkeit n
ansehen, womit dann die endlichen und abzählbaren Mengen einheitlich
behandelt werden. Um allerdings jeder endlichen Menge eine eindeutige
Mächtikeit zuordnen zu können, muss man wissen, dass für m 6= n die
Mengen {1, 2, . . . , m} und {1, 2, . . . , n} nicht gleichmächtig sind, dass also keine bijektive Abbildung zwischen ihnen exstiert. Hier sind wir dann
doch wieder auf unser intuitives Verständnis endlicher Mengen angewiesen, das bereits der obigen Definition 1.1.3 zugrundegelegt wurde.
Zum Schluss dieses Abschnitts kommen wir noch einmal auf die Begriffe
injektiv“ und surjektiv“ zurück:
”
”
Satz 1.1.28 Es seien f : X → Y und g : Y → Z zwei injektive (surjektive, bijektive) Abbildungen. Dann ist auch die Verkettung g ◦ f injektiv
(bzw. surjektiv, bijektiv).
Den Beweis überlassen wir als Übungsaufgabe; wir haben oben beim
Beweis von Satz 1.1.25 vorgeführt, wie solch ein im Prinzip einfacher, jedoch abstrakter“ Beweis aussieht. Folgender Hinweis ist noch nützlich:
”
Wenn man den Satz für injektive und surjektive Abbildungen bewiesen hat, so ist für bijektive Abbildungen kein Beweis mehr nötig (denn
definitionsgemäß sind bijektive Abbildungen diejenigen, die gleichzeitig
injektiv und surjektiv sind). Einen von den anderen Fällen unabhängigen
direkten Beweis im bijektiven Fall kann man in wenigen Zeilen geben,
wenn man die Kennzeichnung bijektiver Abbildungen aus Satz 1.1.25,
Teil a) benutzt: Man prüft nämlich nach, dass die Abbildung f −1 ◦ g −1
die Eigenschaften der Inversen zu g ◦ f erfüllt. Dieser Beweis erspart das
Rechnen“ mit Elementen der beteiligten Mengen, man rechnet“ mit
”
”
den Abbildungen selbst und benutzt nur das Assoziativgesetz sowie die
Eigenschaft der identischen Abbildung aus Bemerkung 1.1.24.
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Lineare Algebra – 2016/17
c Rudolf Scharlau
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