Die prämenstruelle Dysphorie – Ursachen und Behandlung Thomas Stompe Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Allgemeines Krankenhaus Wien Einleitung Die Prämenstruelle Dysphorie (PMDD) ist eine schwere Störung der Stimmung mit kognitiv-affektiven und körperlichen Symptomen vorwiegend vor der Menses von der weltweit mehrere Millionen Frauen betroffen sind (Hantsoo & Epperson 2015). Seit 2013 ist die PMDD als eigenständige Diagnose im Klassifikationssystem der American Psychiatric Association (DSM 5) angeführt (APA 2013). 1. Definition Körperliche Symptome des Prämenstruellen Syndroms Ödeme Mastodynie Hautveränderungen Erhöhte Reizempfindlichkeit Übelkeit und Kreislaufbeschwerden Migräne Durchfälle Synkopen Krämpfe im Unterbauch Völlegefühl Kopf- und Rückenschmerzen Dyspareunie Heißhunger oder Appetitlosigkeit Schleimhautreizungen Definition nach DSM 5 (2013) – Kriterien A-C A. In the majority of menstrual cycles, at least five symptoms must be present in the final week before the onset of menses, start to improve within a few days after the onset of menses, and become minimal or absent in the week postmenses. B. One (or more) of the following symptoms must be present: 1. Marked affective lability (e.g., mood swings: feeling suddenly sad or tearful, or increased sensitivity to rejection). 2. Marked irritability or anger or increased interpersonal conflicts. 3. Marked depressed mood, feelings of hopelessness, or self-deprecating thoughts. 4. Marked anxiety, tension, and/or feelings of being keyed up or on edge. C. One (or more) of the following symptoms must additionally be present, to reach a total of five symptoms when combined with symptoms from Criterion B above. 1. Decreased interest in usual activities (e.g., work, school, friends, hobbies). 2. Subjective difficulty in concentration. 3. Lethargy, easy fatigability, or marked lack of energy. 4. Marked change in appetite; overeating; or specific food cravings. 5. Hypersomnia or insomnia. 6. A sense of being ovenwhelmed or out of control. 7. Physical symptoms such as breast tenderness or swelling, joint or muscle pain, a sensation of “bloating,” or weight gain. Note: The symptoms in Criteria A-C must have been met for most menstrual cycles that occurred in the preceding year. Definition nach DSM 5 (2013) – Kriterien D-G D. The symptoms are associated with clinically significant distress or interference with work, school, usual social activities, or relationships with others (e.g., avoidance of social activities; decreased productivity and efficiency at work, school, or home). E. The disturbance is not merely an exacerbation of the symptoms of another disorder, such as major depressive disorder, panic disorder, persistent depressive disorder (dysthymia), or a personality disorder (although it may co-occur with any of these disorders). F. Criterion A should be confirmed by prospective daily ratings during at least two symptomatic cycles. (Note: The diagnosis may be made provisionally prior to this confirmation.) G. The symptoms are not attributable to the physiological effects of a substance (e.g., a drug of abuse, a medication, other treatment) or another medical condition (e.g., hyperthyroidism). 2. Epidemiologie Early Developmental Stages of Psychopathology (Wittchen et al. 2002) In einer deutschen prospektiven populationsbasierten Längschnittuntersuchung mit 1.488 Mädchen und Frauen (14-24 Jahren) wurde die Belastung mit psychischen Erkrankungen und Störungsbildern erfasst. 12- Monatsprävalenz – Frauen 14-24 a Nikotinabhängigkeit 14,6 Einfache Phobien 12,5 Somatoforme Störungen 10,4 Major Depression 6,9 Sozialphobie 6 PMDD 5 Generalisierte Angststörung 2,6 Agoraphobie 1,6 Panikstörung 1,4 Drogenabhängigkeit 1 Biplare Störung 0,8 PTSD 0,8 Zwangsstörung 0,5 0 Wittchen et al. 2002 2 4 6 8 10 12 14 16 Early Developmental Stages of Psychopathology (Wittchen et al. 2002) In einer deutschen prospektiven populationsbasierten Längschnittuntersuchung mit 1.488 Mädchen und Frauen (14-24 Jahren) wurde die Belastung mit psychischen Erkrankungen und Störungsbildern erfasst. Vergleichbare Zahlen finden sich in anderen Studien (z.B.: Ramcharan et al. 1992; Robinson & Ismail 2015) 3. Ätiologie Ätiologie der PMDD Hormone → Neurotransmitter Allgemeines Der Zeitpunkt von Beginn und Ende der Symptomatik führt zum Schluss, dass die Fluktuation der reproduktiven Geschlechtshormone eine Schlüsselfunktion in der Ätiologie der PMDD hat. Es hat sich aber gezeigt, dass sich die Hormonspiegeln von Frauen mit und ohne PMDD nicht unterscheiden. Unterschiede fand man hingegen in der Sensitivität für hormonelle Fluktuationen von hormonsensitive Rezeptoren im Gehirn (Hantsoo & Epperson 2015). Progesteron, Allopregnanolon → GABA In der Lutealphase steigen die Spiegel von Progesteron und des neuroaktiven Metaboliten Allopregnanolon an, um rasch in der Zeit um die Menses abzufallen. Progesteron, Allopregnanolon → GABA In der Lutealphase steigen die Spiegel von Progesteron und des neuroaktiven Metaboliten Allopregnanolon an, um rasch in der Zeit um die Menses abzufallen. Dieser rasche Abfall dürfte ein wichtiger Faktor in der Pathogenese des PMDD sein (Smith et al. 2006). Allopregnanolon ist ein potenter Modulator des GABAA Rezeptors mit einer Benzodiazepinen vergleichbaren anxiolytischen und sedierenden Wirksamkeit (Schüle et al. 2014). Progesteron, Allopregnanolon → GABA In der Lutealphase steigen die Spiegel von Progesteron und des neuroaktiven Metaboliten Allopregnanolon an, um rasch in der Zeit um die Menses abzufallen. Dieser rasche Abfall dürfte ein wichtiger Faktor in der Pathogenese des PMDD sein. Allopregnanolon ist ein potenter Modulator des GABAA Rezeptors mit einer Benzodiazepinen vergleichbaren anxiolytischen und sedierenden Wirksamkeit. In Studien fanden sich bei Frauen mit PDMM verschiedene Störungen dieses Regelkreises wie suboptimale luteale Phasen, Störungen des Abbaus von Progesteron zu Allopregnanolon oder abgeschwächtes Ansprechen der ZNS-Rezeptoren auf Allopregnanolon. Östrogene → Serotonin Östrogene haben einen starken Effekt auf verschiedene Neurotransmittersysteme, die wiederum Stimmung, Kognitionen, Schlaf, Appetit und verschiedenste Verhaltensweisen regulieren (Shanmugan & Epperson 2014). Am wichtigsten ist Einfluss auf des Serotoninsystem im Gehirn. Östrogene → Serotonin Östrogene haben einen starken Effekt auf verschiedene Neurotransmittersysteme, die wiederum Stimmung, Kognitionen, Schlaf, Appetit und verschiedenste Verhaltensweisen regulieren. Am wichtigsten ist Einfluss auf des Serotoninsystem im Gehirn. Östrogene verändern die Expression des 5-HT2a Rezeptors und der mRNA des Serotonintransporters (↑) sowie der MAOA und der COMT (↓) (Kugaya et al. 2003, Rehavi et al. 1998) Frauen mit PMDD reagieren sensitiver auf diese Prozesse. Ursache dafür sind nach ersten Studien Genpolymorphismen (Östrogenrezeptor ἀ) Weiters fand sich ein Polymorphismus des 5-HT1a Gens, der zu einer reduzierten Serotonintransmission führt und sowohl mit schweren Depressionen als auch mit PMDD assoziiert ist. Ätiologie der PMDD Hormone → Neurotransmitter Brain-derived neurotrophic factor (BDNF) Brain-derived neurotrophic factor (BDNF) o Brain-derived neurotrophic factor (BDNF) ist ein Protein aus der Gruppe der Neurotrophine. o BDNF wirkt auf verschiedene Neuronen des zentralen und des peripheren Nervensystems. o Es schützt existierende Neuronen und Synapsen und fördert das Wachstum neuer (Gray et al. 2013). o Im Gehirn ist es vor allem in Hippocampus, Striatum, Hypothalamus und im Frontallappen aktiv. BDNF und PMDD Genetisch bedingte niedrige Spiegel von BDNF sind mit einem höheren Risiko für verschiedene psychische Störungen und Erkrankungen verbunden (Colle et al. 2015). Frauen mit PMDD haben im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen einen höheren Spiegel in der Lutealphase mit einem stärkeren Abfall vor der Menses (Comaso et al. 2014, Oral et al. 2015). Ätiologie der PMDD Hormone → Neurotransmitter Brain-derived neurotrophic factor (BDNF) Stress Stress In einer Studie mit etwa 4000 Frauen fand sich eine Assoziation zwischen traumatischen Erfahrungen und PMDD (Pilver et al. 2011). In einer Längsschnittuntersuchung mit über 3000 Frauen zeigte sich eine starke Korrelation von emotionale und physische Missbrauch mit PMDD, nicht jedoch von sexuellem Missbrauch (Segebladh et al. 2011). Es gibt Hinweise, dass hier der oben erwähnte Einfluss von Allopregnanolon auf das GABA-System eine Rolle spielt (Girdler et al. 2001). 12- Monatsprävalenz von komorbiden psychischen Störungen bei PMDD – Frauen 14-24 a Nikotinabhängigkeit 36,8 Einfache Phobien 31,7 Somatoforme Störungen 28,4 Major Depression 16 Sozialphobie 21,1 Generalisierte Angststörung 1,3 Agoraphobie 5,2 Panikstörung 2,5 Drogenabhängigkeit 2,1 Biplare Störung 5,7 PTSD 8,3 Zwangsstörung 3,1 0 Wittchen et al. 2002 5 10 15 20 25 30 35 40 Odds-ratio bei Frauen mit und ohne PMDD Odds-ratio Signifikanz Alkoholmissbrauch 2,2 Drogenabhängigkeit 2,1 Nikotinabhängigkeit 3,4 *** Bipolare affektive Störung 7,9 ** Major Depression 3,0 * Dythymia 2,6 * Panikstörung 1,8 Agoraphobie 3,4 Sozialphobie 4,2 Generalisierte Angststörung 0,5 Zwangsstörung 3,1 PTSD 11,7 *** Somatoforme Störungen 3,4 *** * p < .05; ** p < .01; *** p < .001 *** 3. Behandlung Beeinträchtigungen durch PMDD D UK Ital. Span F Bras. Ung. Mex. Sexualität (%) 30,5 22,6 24,2 18,6 26,9 24,6 35,8 26,0 Soziales Leben (%) 14,5 20,4 18,2 15,4 22,8 26,8 24,0 15,0 Freizeit (%) 31,3 26,8 24,2 18,6 26,9 24,6 35,8 26,0 Familie (%) 38,6 42,2 33,7 24,2 37,1 39,4 40,6 26,8 Haushalt (%) 33,3 25,6 27,9 22,2 25,5 35,4 34,2 34,4 Schule (%) 10,4 11,2 14,1 11,6 11,4 17,2 20,4 15,8 Arbeit (%) 26,0 29,6 27,9 21,6 23,6 28,8 32,0 20,5 KS-Tage letzte 3 Zyklen 9,26 1,16 10,0 5,12 1,88 5,6 1,03 2,0 Serotoninwiederaufnahmehemmer (SSRI) Gegenwärtig werden in Österreich und Deutschland sechs SSRI verwendet: Fluoxetin (Fluctine, Mutan), Sertraline (Tresleen, Gladem, Sertralin), Citalopram (Seropram, Pram), Escitalopram (Cipralex), Paroxetin (Seroxat, Paroxat), Fluvoxamin (Floxyfral). Im Gegensatz zur Behandlung von Depressionen können SSRI kurzfristig und intermittierend verabreicht (mit Einsätzen der Symptome) PMDD wirksam bekämpfen (Lovick 2013). Metaanalysen ergaben, dass die intermittierende Verordnung von SSRI der kontinuierlichen gleichwertig ist (Landen et al. 2007). Bei beiden Regimen zeigt sich ein moderater bis großer Effekt. Dieser rasche Wirkungseintritt der SSRI ist auf die Verstärkung der Allopregnanolonwirkung zurückzuführen. Zwischen den einzelnen Präparaten fand sich kein Wirkungsunterschied. Behandlung mit SSRI – was ist zu beachten? Die Medikamenteneinnahme Präparat Dosis erfolgt in der Früh. Fluoxetin 20 mg Sertraline 50 mg Citalopram 20 mg Escitalopram 5 mg Paroxetin 20 mg Fluvoxamin 50 mg Nicht auf nüchternen Magen, die Patientinnen sollten eine Kleinigkeit gegessen haben. Ausreichende Flüssigkeitsaufnahme, zumindest 2l/die. Intermittierende Verordnung ist zwar möglich, SSRI sind aber keine Bedarfsmedikation und sollen daher kontinuierlich über 5 Tage eingenommen werden. Mögliche akute Nebenwirkungen • Übelkeit, Erbrechen, Durchfall • Kopfschmerzen • Mundtrockenheit, Sehstörungen, Schwitzen • Schwindel, Benommenheit • Zittern, Tremor, Unruhe Hormonelle Behandlung Es gibt noch relativ wenig Studien zur Effizienz dieser Behandlungsmethode (Cunningham et al. 2009). In einer Metaanalyse zeigte sich, dass ein Kombinationspräparat (Drospirenone plus Ethinyl-Östradiol) sich als wirksam bei schweren PMDD erwies, wobei zu beachten ist, dass sich ein großer Placeboeffekt fand (Lopez et al. 2012). Hormonelle Monotherapien mit Progesteron erwiesen sich als weniger wirksam als Kombinationstherapien (Ford et al. 2012). Bei Frauen, die auf SSRI nicht ansprechen, findet sich manchmal ein positiver Effekt von GnRH Agonisten (Wyatt et al. 2004). Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) Die KVT hilft bessere Copingstrategien zu entwickeln und kann dysfunktionale Attributionen verändern. In Metaanalysen fand sich ein kleiner bis mittlerer Effekt (Busse et al. 2009). Eine Kombinationsbehandlung mit SSRI ergab keinen besseren Effekt als eine Monotherapie (Kleinstäuber et al. 2012). Neu entwickelt wurden Internettools für KVT, die sich ebenfalls als wirksam erwiesen (Kues et al. 2014). Zusammenfassung und Ausblick Die PMDD ist eine multifaktoriell bedingte, affektive Störung, die sich durch den Fokus auf Ängstlichkeit und Affektlabilität von Depressionen unterscheidet. SSRI, hormonelle Behandlung und kognitive Verhaltenstherapie erwiesen sich bei vielen der betroffenen Frauen als wirksam. Effizienzverbesserungen sind durch in Entwicklung befindende Substanzen zu erwarten, die direkt das gabaerge System beeinflussen.