27. Umwelttag 2016 Schadstoffe in der Umwelt: Messen – Bewerten – Begrenzen Begründung von Orientierungswerten für Grundwasser und Boden am Beispiel der perfluorierten Verbindungen (PFC) und Heterozyklen Dr. K. Theo von der Trenck, ehem. LUBW Wegen ihrer wasser-, schmutz- und fettabweisenden Eigenschaften und ihrer außergewöhnlichen Beständigkeit auch unter extremen Bedingungen haben die PFC vielerlei Anwendungen in Technik und Haushalt. Bedingt durch die zahlreichen Anwendungsgebiete und ihren Einsatz seit den 1960er Jahren sind die PFC zu neuen Problemstoffen geworden, denn sie verbleiben lange (Jahrhunderte) in der Umwelt, wurden weltweit nachgewiesen und zwar in Biota (auch in menschlichem Blut und in Muttermilch) und stehen im Verdacht krebserregend zu sein. Punktuelle VerunreinigungsSchwerpunkte sind v. a. auf fluorhaltige Feuerlöschschäume zurückzuführen (Hauptkontaminante: PFOS/Perfluoroctansulfonsäure, auch zur Imprägnierung von Textilien, Teppichen und Papier). Hintergrund-Belastungen (bis in die Arktis) gehen auf den Einsatz von PFC in den Bereichen Textilien, Galvanik, Beschichtungen, Lacke, etc. zurück. Die Aufnahme in den menschlichen Körper erfolgt hauptsächlich über die Nahrung, kontaminiertes Trinkwasser sowie die Atemluft und Staub in Innenräumen. Die Bewertung von Umweltverunreinigungen mit PFC erfordert Prüfwerte. Insbesondere flächenhafte Kontaminationen in den Kreisen RA und BAD veranlassten das Umweltministerium (UM) BadenWürttemberg, die Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg (LUBW) mit der Erarbeitung von vorläufigen Prüfwerten für diese Substanzen zu beauftragen: GFS zur Beurteilung von kontaminiertem Grundwasser, Prüfwerte für den Wirkungspfad Boden Nutzpflanze und zum Schutz von Menschen vor der oralen und inhalativen Aufnahme kontaminierter Bodenpartikel. Das Wirkprofil und die Wirkungsschwelle der Leitsubstanzen PFOS und PFOA (Perfluoroctansäure; z.B. bei der Herstellung von Teflon eingesetzt) werden dargestellt sowie konkurrierende TDI (tolerable daily intake)-Werte der Trinkwasser- bzw. Lebensmittel-Toxikologen. Sodann geht der Vortrag auf den Erlass des UM Baden-Württemberg (vom 17. 6. 2015) über vorläufige Grundwasser-Prüfwerte für PFOA und PFOS sowie für 11 weitere PFC ein. Nach den Kriterien der LAWA (Bund/LänderArbeitsgemeinschaft Wasser) ist eine Verunreinigung des Grundwassers dann geringfügig, wenn sie nicht ökotoxisch ist und die Anforderungen der TrinkwV oder entsprechend abgeleitete Werte einhält (gesundheitlich unbedenklich und ästhetisch einwandfrei). Das Kriterium einer „Geringfügigkeitsschwelle“ (GFS) wurde von der LAWA erarbeitet, um den unbestimmten Rechtsbegriff der „nicht geringfügigen Beeinträchtigungen“ der Gewässereigenschaften aus dem Wasserhaushaltsgesetz (WHG) mit Inhalt zu füllen. Die Basis für die GFS sind ökotoxikologisch abgeleitete PNEC(predicted no effect concentration)-Werte und humantoxikologisch abgeleitete Trinkwasser-Leitwerte des UBA (Umweltbundesamt). Der Unterschied zu den gesundheitlichen Orientierungswerten (GOW) mit Vorsorgecharakter, die ebenfalls aus dem UBA stammen, wird am Beispiel der NSO-Heterozyklen (NSO-Het) erklärt. Die Berechnung von Prüfwerten für den Direktpfad Boden Mensch wird exemplarisch für PFOA und PFOS sowie für PFBA (Perfluorbutansäure, u.a. in Feuerlöschmitteln, Schmiermitteln). demonstriert. Da für den Wirkungspfad Boden Pflanze wegen Datenmangels für PFC keine Prüfwerte existieren, wird für Nahrungs-(und Futter-)pflanzen ein Vor-Ernte-Monitoring durchgeführt. Von einer von LAWA und LABO (Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Bodenschutz) eingesetzten Kleingruppe wurde ein Entwurf für neue bundesweit gültige GFS-Werte für PFOA und PFOS sowie für 5 weitere PFC erarbeitet. Dieser Entwurf wird abschließend kurz vorgestellt. 27. Umwelttag 2016 Schadstoffe in der Umwelt: Messen – Bewerten – Begrenzen Literatur Dieter, H.H. (2007): Humantoxikologische Bewertung perfluorierter Tenside (PFT) am Beispiel der Perfluoroctansäure (PFOA) und der Perfluoroctansulfonsäure (PFOS). Umweltmed Forsch Prax 12(2), 95-104 Dieter, H.H. (2009): Grenzwerte, Leitwerte, Orientierungswerte, Maßnahmenwerte – Definitionen und Festlegung mit Beispielen aus dem UBA. Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz 12, 1202-1206 Kohler, W., C. Schäfer, K. Sprösser, K.T. v.d. Trenck (2016): PFC in Böden – Eintrag durch Abfälle, Orientierungswerte, Sanierungsverfahren. LUBW-Fachvortrag, Karlsruhe, 9. Juni 2016 LAWA (2004): Ableitung von Geringfügigkeitsschwellen für das Grundwasser. Herausgegeben von der Länderarbeitsgemeinschaft Wasser (LAWA) unter Vorsitz von Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, Dezember 2004, KulturbuchVerlag, Berlin LAWA (2011): Ableitung von Geringfügigkeitsschwellen für das Grundwasser – NSO-Heterozyklen. Erarbeitet vom Unterausschuss „Geringfügigkeitsschwellenwerte für NSO-Heterozyklen“ des Ständigen Ausschusses „Grundwasser und Wasserversorgung“ der Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Wasser, zusammengesetzt aus H.H. Dieter, D. Frank, H. Herrmann, R. Konietzka, B. Moll (Obfrau), E. Six, R. Stockerl, K.T. v.d. Trenck. Redaktionsschluss 16. 8. 2010; im Internet verfügbar unter: http://www.lawa.de/documents/Bericht_NSO_Heterozyklen_9f8.pdf LUBW & LGA BW (2014): PFC-Prüfwerte für die Kontaminationspfade Boden-Mensch und Boden-Grundwasser. Gutachten im Auftrag des Ministeriums für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft (UM) Baden-Württemberg – 3. Auflage. Bearbeitung: Dr. K.T. v.d. Trenck, Referat 23 Medienübergreifende Umweltbeobachtung, Klimawandel, Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg (LUBW), Karlsruhe, & Stephan Kluge, Abteilung 96, Landesgesundheitsamt BadenWürttemberg im Regierungspräsidium Stuttgart, Stand: 12. 8. 2014 MLR BW (2015a): Lebensmittelüberwachung; Dynamisches Minimierungskonzept. Stellungnahme des BfR zum Thema „Kurzkettige perfluorierte Verbindungen in Lebensmitteln“. Erlass des Ministeriums für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg, Stuttgart, 19. 2. 2015 MLR BW (2015b): Trinkwasserüberwachung; Bewertung von PFC im Trinkwasser. Erlass des Ministeriums für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg, Stuttgart, 30. 4. 2015 Pabel, U. (2009): Perfluorierte Tenside: ein Problem in Lebensmitteln und Futtermitteln? Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), Berlin v.d. Trenck, K.T. (2012): Teeröle im Grundwasser jetzt besser bewertbar - Neue bundesweit gültige Beurteilungswerte. LUBW, Karlsruhe; im Internet verfügbar unter: http://www.fachdokumente.lubw.badenwuerttemberg.de/servlet/is/101754/U12S02N11.pdf?command=downloadContent&filename=U12-S02-N11.pdf&FIS=91063 v.d. Trenck, K.T., H.H. Dieter, R. Konietzka, B. Moll (2012): Evaluation of Heterocyclic Compounds (NSO-Het) and Reference Values (GFS) for the Management of Groundwater Contaminations. German Federal States’ Water Consortium (LAWA). Oral contribution at Intersol 2012, International Conference-Exhibition on Soils, Sediments and Water in Ivry sur Seine, Paris, France, March 27th -30th; online available: www.intersol.fr/edition2012.html v.d. Trenck, K.T. (2014): PFC-Orientierungswerte in Grundwasser und Boden – bisheriger Stand. Vortrag auf dem Seminar 05/2014 „PFC-Schadensfälle – fachliche Grundlagen und Einzelfallbearbeitung“ des Fortbildungsverbundes Boden und Altlasten Baden-Württemberg im Rathaus Heidelberg, 4. 6. 2014 UBA (2009): Grenzwerte, Leitwerte, Orientierungswerte, Maßnahmenwerte – Definitionen und Festlegungen mit Beispielen aus dem UBA. Autor: H.H. Dieter, Hrsg.: Umweltbundesamt, Dessau, Mai 2009; http://www.umweltdaten.de/publikationen/fpdfl/3812.pdf UM BW (2015): Vorläufige GFS-Werte PFC für das Grundwasser und Sickerwasser aus schädlichen Bodenveränderungen und Altlasten. Erlass des Ministeriums für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg, Stuttgart, 17. 6. 2015 Wölfle, D. (2007): Perfluorierte Tenside: Toxikologie. Fortbildung für den Öffentlichen Gesundheitsdienst: PFT. Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), Berlin, 21. 3. 2007 27. Umwelttag 2016 Schadstoffe in der Umwelt: Messen – Bewerten – Begrenzen Wer suchet, der findet? Vom Summenparameter zur universellen Non-Target-Methode. Prof. Dr. Wolfgang Honnen, Fakultät Angewandte Chemie, Hochschule Reutlingen Man findet nur, was man sucht, lautet eine alte Weisheit in der Analytik. Das widerspricht zwar der alltäglichen Lebenserfahrung, da man immer mal wieder etwas findet, obwohl man gar nicht danach gesucht hat. Aber in der Analytik war das bisher ein Prinzip. Und als die Welt noch in Ordnung war und wir als Parameter im häuslichen Abwasser noch den CSB, den BSB, N und P bestimmt haben oder im chemisch industriellen Abwasser außerdem noch diverse Schwermetalle, AOX und immerhin dessen Giftigkeit, da reichten uns die klassischen Verfahren. Inzwischen reden wir von Umwelthormonen, PFOS, PFC, Arzneimittelwirkstoffen und zahllosen anderen Mikroverunreinigungen, die außerdem noch in Konzentrationen auftreten, die man vor wenigen Jahren noch gar nicht messen konnte. Milligramm wurden zu Mikrogramm, Mikrogramm zu Nanogramm und Nanogramm zu Pikogramm. Die Substanzen über die man sich Gedanken macht, und welche die Akteure unzähliger Forschungsprojekte sind, werden immer mehr und immer mannigfaltiger. Ein Grund dafür ist möglicherweise die Non-Target Analytik (auch Non-TargetScreening genannt). 27. Umwelttag 2016 Schadstoffe in der Umwelt: Messen – Bewerten – Begrenzen Literaturquellen: (1) F. Szabadvary: KURZE GESCHICHTE DER ANALYTISCHEN CHEMIE, Periodica Polytechnica Ch. II/1. (1957) (2) Emscher Genossenschaft: Kläranlagen – Wie wir klarkommen mit unseren Abwässern (3) Stadt Karlsruhe Tiefbauamt: Die Stadtentwässerung in Karlsruhe (4) Triebskorn und Hetzenauer: Mikroverunreinigungen in den drei Bodenseezuflüssen Argen, Schussen und Seefelder Aach – eine Literaturstudie, Environmental Sciences Europe 2012, 24:8 (5) RICHTLINIE 2013/39/EU DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 12. August 2013, Amtsblatt der Europäischen Union L 226/1 (6) DURCHFÜHRUNGSBESCHLUSS (EU) 2015/495 DER KOMMISSION vom 20. März 2015 zur Erstellung einer Beobachtungsliste von Stoffen für eine unionsweite Überwachung im Bereich der Wasserpolitik gemäß der Richtlinie 2008/105/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, Amtsblatt der Europäischen Union L 78/40 (7) http://planetorbitrap.com/data/fe/image/QExactive_Schematic.jpg (8) Florian Wode: Screening und Quantifizierung organischer Spurenstoffe mittels UPLC-HRMS: Entwicklung von Methoden und Anwendung zur Unterscheidung historischer und aktueller Spurenstoffe in einem ehemaligen Rieselfeld, Dissertation, Berlin (2014) (9) Lucke, Thomas; Seitz, Wolfram; Schulz, Wolfgang: Suspect- und Non-Target-Screening von Wasserproben mittels LCHRMS, Zweckverband LW (2014) (10) Gloor, R., Haag, O., Bühler, F.: Screeninganalysen bei Abfall- und Altlastenuntersuchungen, Bundesamtes für Umwelt (BAFU), (2013) (11) van Baar, Patricia: Entwicklung und Anwendung von UHPLC-MS Verfahren für organische Spurenstoffe zur Bewertung der Sicherheit der Rohwasserressourcen der Wasserwerke der Stadt Berlin, Dissertation, Berlin (2015) (12) Bayer, A., Luthardt, M. et al.: RISK-IDENT – Identifizierung, Bewertung und Minderung bislang unbekannter Spurenstoffe in Gewässern, www.analytik-news.de (2013) (13) Letzel, T.: Retention time index (RTI) in the field of LC: Status Quo, openMASP Workshop, Freising, (2013) 27. Umwelttag 2016 Schadstoffe in der Umwelt: Messen – Bewerten – Begrenzen Schadstoffe im Boden – Herkunft und Bewertung Prof. Dr. Hans-Karl Hauffe, HfWU Nürtingen-Geislingen, Masterstudiengang Umweltschutz Boden wird bekanntermaßen von Menschen nicht als Nahrungsmittel genutzt. Es stellt sich daher die Frage, warum die Bewertung von Schadstoffgehalten für das Umweltkompartiment Boden erforderlich ist. Allerdings gibt es eine Ausnahme von der eingangs gemachten Aussage: Kleinkinder, die in ihrer oralen Phase (vor allem zweite Hälfte des ersten Lebensjahres) alles Greifbare in den Mund nehmen, d.h. zum Beispiel unter Umständen auch schadstoffbelastetes Bodenmaterial auf Kinderspielplätzen. Für diese sind daher im Vergleich zu anderen Nutzungen, bei denen ebenfalls der Wirkungspfad Boden Mensch zu bewerten ist, die Obergrenze für unbedenkliche Schadstoffgehalte im Boden deutlich weiter unten anzusetzen. Den rechtlichen Rahmen bzw. die Bewertungsgrundlage bilden vor allem das BundesBodenschutzgesetz (BBodSchG) sowie die Bundes-Bodenschutz- und Altlastenverordnung (BBodSchV). Schadstoffe sind nach den Begriffsbestimmungen in § 2 BBodSchV (1999) „Stoffe und Zubereitungen, die auf Grund ihrer Gesundheitsschädlichkeit, ihrer Langlebigkeit oder Bioverfügbarkeit im Boden oder auf Grund anderer Eigenschaften und ihrer Konzentration geeignet sind, den Boden in seinen Funktionen zu schädigen oder sonstige Gefahren hervorzurufen“. In der BBodSchV werden zwei Gruppen von Schadstoffen unterschieden: Halb- und Schwermetalle wie z.B. Arsen, Blei, Cadmium, Kupfer, Nickel, Quecksilber, Chrom und Thallium sowie organische Verbindungen wie z.B. Polycyclische Aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK), Polychlorierte Biphenyle (PCB) und Mineralölkohlenwasserstoffe (MKW). Die nachfolgenden Ausführungen beschränken sich auf die Erläuterung der Herkunft und Bewertung 1 von Halb- und Schwermetallen im Boden. Im Unterschied zu den organischen Schadstoffen sind die oben genannten Halb- und Schwermetallen bereits in den Ausgangsgesteinen der Böden enthalten. Die Ausgangsgesteine „vererben“ diese Metalle an die Böden, d.h. nach der Bodenbildung ist ein sog. geogener Anteil vorhanden. Zum Teil sind die Gehalte sogar höher, da sie durch die weitgehende Auflösung und Abfuhr anderer Gesteinsbestandteile (z.B. Kalk der Weißjura-Kalkstein) aufkonzentriert werden (sog. Rückstandsanreicherung). Unabhängig davon werden die Metalle häufig in andere Bindungsformen überführt. Jeder Boden hat also einen bestimmten geogenen Hintergrundgehalt. In der Regel steigen die Gesamtgehalte mit dem Tongehalt an. Zu diesem natürlichen Hintergrund kommen diffuse (ubiquitäre) Einträge aus unterschiedlichen Quellen (z.B. industrielle Produktion, Straßenverkehr, landwirtschaftliche Bodennutzung nach guter fachlicher Praxis). Lokal begrenzt können zusätzlich größere Mengen an Schadstoffen auf dem Gelände ehemaliger Industriestandort, Kraftwerke, Tankstellen usw. in die Böden bzw. den Untergrund eingetragen worden sein (sog. Altstandorte). Auch Altablagerungen (Deponien) besitzen das Potenzial, Schadstoffe in größeren Mengen in die Umwelt emittieren. Organische und anorganische Schadstoffe gelangen auf unterschiedlichen Pfaden in die verschiedenen Schutzgüter. In der BBodSchV werden neben dem Menschen die Nahrungs- und Futterpflanzen sowie das Grundwasser berücksichtigt. Zu beachten ist bei den Nutzpflanzen zusätzlich zur systemischen Schadstoffaufnahme in gelöster Form über die Wurzeln auch der mögliche Transferpfad über die Ausgasung aus dem Boden und anschließende Aufnahme durch die oberirdischen Pflanzenteile. Als dritte Möglichkeit kann durch aufprallende Regentropfen schadstoffhaltiges Bodenmaterial hochspritzen und an oberirdischen Pflanzenteilen anhaften ( Aufnahme durch Weidetiere möglich). Die Emission von Schadgasen in die Boden- und Atmosphärenluft muss in der Regel nur bei der Festlegung der Sanierungsanforderungen an Altlasten beachtet werden. Für die nachgewiesene negative Wirkung von Schadstoffen auf die Aktivität von 1 Auch hier gibt es Ausnahmen: vor allem die Formation des Lias Epsilon (Lage im Schwarzen Jura), enthält bituminöse Schiefer mit hochmolekularen (langkettigen und aromatischen) Kohlenwasserstoffen. 27. Umwelttag 2016 Schadstoffe in der Umwelt: Messen – Bewerten – Begrenzen Bodenlebewesen (z.B. Minderung der Nitrifikationsrate/ Nitratbildung durch hohe Kupfergehalte im Boden) sind bislang keine Wertekategorien festgelegt worden. Was ist zu berücksichtigen, wenn Schutzgüter vor zu starkem Schadstofftransfer aus dem Boden bewahrt werden sollen? Zum einen sind natürlich öko- und humantoxikologische Bewertungen/Vorgaben für Schadstoff-Höchstgehalte in Lebensmitteln zu beachten. Solche Bewertungen sind z.B. in die EG-Verordnung zur Festsetzung der Höchstgehalte für Kontaminanten in Lebensmitteln (EG 2006) eingegangen. Zum anderen bilden natürlich die Schadstoffgehalte im Boden selbst die Grundlage für die Bewertung. Für viele Problemstellungen ist der SchadstoffGesamtgehalt im Boden die geeignete Grundlage. Auch Stoffbilanzen (Stoffflüsse/-frachten) können nur mittels Gesamtgehalten erstellt werden. Für einige Schwermetalle und deren möglicher Transfer in Nutzpflanzen oder ins Grundwasser sind dagegen die mobilisierbaren bzw. löslichen Anteile besser geeignet. Nach BBodSchV sind die Gesamtgehalte an anorganischen Schadstoffen mittels Königswasser (HClconc : HNO3conc = 3 : 1) zu bestimmen, die mobilisierbaren Anteile mittels Ammoniumnitrat-Extraktion und die löslichen Anteile mittels Wasser-Extraktion (Eluat nach DEV S4). Nach BBodSchG bzw. BBodSchV werden folgende Wertekategorien für Schadstoffgehalte im Boden unterschieden: Hintergrundgehalte: geogene (natürliche) Grundgehalte + diffuse (ubiquitäre) Einträge Vorsorgewerte: bei Überschreiten unter Berücksichtigung von geogenen und großflächig siedlungsbedingten Schadstoffgehalten i.d.R. Besorgnis [des Entstehens] einer schädlichen Bodenveränderung Prüfwerte: bei Überschreiten unter Berücksichtigung der Bodennutzung einzel-fallbezogene Prüfung schädliche Bodenveränderung oder schädliche Altlast? Maßnahmenwerte: bei Überschreiten unter Berücksichtigung der Bodennutzung i.d.R. schädliche Bodenveränderung oder schädliche Altlast Maßnahmen erforderlich Im Folgenden wird beispielhaft die Bewertung von Cadmiumgehalten im Boden erläutert. Für die Gesamtbewertung sind neben den schon erwähnten bodengebundenen Wirkungspfaden (Nutzpflanzen, Trinkwasser und wassergebundene Organismen wie Fische und Algen) natürlich auch andere orale und zusätzlich die inhalativen Pfade (z.B. Tabakrauch, Umgebungsluft) von Belang (vgl. BfR 2006). Zum ersten Mal wurde man im Jahr 1950 auf die Möglichkeit einer Vergiftung durch Cadmium in Japan aufmerksam. Als Ursache für diese auch als Itai-Itai bezeichnete Krankheit (jap., wörtlich: „Aua-Aua-Krankheit“), die schwere Nieren- und Knochenschäden sowie Schäden am Nervensystem zur Folge hat, wurden Bergwerke, in den Nickel und andere Metalle abgebaut wurden, identifiziert. Stark belastete/r Abwässer und Abraum wurden in Flüsse und letztlich ins nahe Meer eingetragen. Die als Hauptnahrungsgrundlage genutzten Fische, Krustentiere usw. waren dadurch unter anderem hoch mit Cadmium kontaminiert. Man sollte aber bedenken, dass dieses Extrembeispiel ein absoluter Einzelfall ist. Allerdings ist in Bezug auf unsere Ernährungsgewohnheiten zu berücksichtigen, dass es Pflanzenarten mit vergleichsweise starker Cadmiumanreicherung gibt. Dazu gehören z.B. Mangold, Sellerie, Spinat, Salat, Grünkohl und die Körner von Winterweizen (Brotgetreide). Diese Eigenschaft wurde bei der Festlegung von Prüfwerten in der BBodSchV berücksichtigt. In Bezug auf das System Boden ist zudem das chemische Verhalten des Elements Cadmium zu beachten. Aus zahlreichen Untersuchungen ist bekannt, dass seine Löslichkeit mit sinkendem Boden-pH stark zunimmt. In einem möglichen Sanierungsfall kann die Mobilität im Boden daher durch eine gezielte pH-Anhebung (üblicherweise durch Kalkung) reduziert werden. Beispielhaft wird die Verteilung und Höhe der Cadmiumgehalte in Ober- und Unterböden des Schwarzwald-Baar-Kreises vorgestellt. Die geologische Karte zeigt, dass das Untersuchungsgebiet im Westen aus Grundgebirgsanteilen (Gneise, Granite usw.) aufgebaut ist. Nach Osten hin folgt das gesamte Sedimentpaket der südwestdeutschen Schichtstufenlandschaft bis zu den tertiären MolasseSedimenten am östlichen Rand. Die Hintergrund-Gesamtgehalte in Baden-Württemberg liegen 27. Umwelttag 2016 Schadstoffe in der Umwelt: Messen – Bewerten – Begrenzen überwiegend bei 0,1 bis 0,2 mg/kg (LABO 2003). Geogen erhöht mit 0,5 bis 2,2 mg/kg sind diese im Untergrund bzw. den Unterböden aus Lias epsilon (Posidonienschiefer) und in den Kalksteingebieten (Rückstandsanreicherung, vgl. oben). Die BBodSchV enthält bodenartendifferenzierte Vorsorgewerte für Cadmium sowie nutzungsabhängige Prüfwerte für den Wirkungspfad Boden Mensch, einen Maßnahmenwert für den Transfer Boden Grünland sowie einen Prüfwert für den Transfer Boden Grundwasser. Für Haus- und Kleingärten, die sowohl als Aufenthaltsbereiche für Kinder, als auch für den Anbau von Nahrungspflanzen dienen, ist ein deutlich niedrigerer Prüfwert anzuwenden als für reine Kinderspielflächen. Für Bodenflächen, auf denen Brotweizen oder stark Cadmium-anreichernde Gemüsearten (siehe oben) angebaut werden, gilt ein niedrigerer Maßnahmenwert als für Flächen mit Anbau nicht-anreichernder Getreide- und Gemüsearten. Die nach Bodenarten differenzierten Vorsorgewerte für Cadmium werden in den Oberböden bei der Bodenarten-Hauptgruppe Ton nicht überschritten, bei den beiden anderen Bodenarten-Hauptgruppen liegen einige Werte knapp darüber. Die drei Bodenarten-Hauptgruppen verteilen sich erwartungsgemäß wie folgt: im Westen (Grundgebirge, Buntsandstein) dominieren die Sande, im mittleren und östlichen Gebiet die Lehme/Schluffe und Tone entsprechend der Zusammensetzung der Sedimente (Schluffsteine/Mergel u.ä. versus Tonsteine/Mergeltone u.ä.). Die mesozoischen Gesteine der Schichtstufenlandschaft sind zudem vielfach von Löss(-lehm) überdeckt. Die nach Nutzungen (Acker, Grünland, Wald, Siedlung) differenzierten Cadmium-Gesamt-gehalte sind unter Grünland in der Tendenz etwas höher als unter Acker (bezogen auf die Mediane und Maxima). Jedoch liegt das Maximum unter Grünland (ca. 1,6 mg/kg) deutlich unter dem Maßnahmenwert von 20 mg/kg. Der Prüfwert für Wohngebiete wird in den untersuchten Oberböden von Siedlungsflächen ebenfalls nicht überschritten. Die zuvor beschriebenen statistischen Ergebnisse spiegeln sich auf den Karten bei der Verteilung der Gesamtgehalte wieder. In keinem der untersuchten Acker-Oberböden wurde der Prüfwert für den mobilisierbaren Anteil (NH4NO3-Extraktion) von 0.04 mg/kg erreicht. Und auch die auf ihren gelösten Anteil untersuchten Ober- und Unterböden liegen im „grünen Bereich“, d.h. es gibt keine Überschreitungen des Eluat-Prüfwertes von 5 μg/l. An diesen Standorten ist daher keine Belastung des Grundwassers mit Cadmium zu besorgen. Als Fazit ist für die auf ihre Cadmiumgehalte untersuchten Böden im Schwarzwald-Baar-Kreis) festzuhalten, dass die Gesamtgehalte z.T. geogen und anthropogen erhöht sind. Es besteht jedoch keine Besorgnis, dass die Schutzgüter Mensch, Nutzpflanzen und Grundwasser durch erhöhten Cadmiumtransfer gefährdet sind. Quellen BBodSchG (Bundes-Bodenschutzgesetz) (1999) BBodSchV (Bundes-Bodenschutz- und Altlastenverordnung) (1999) BfR (Bundesinstitut für Risikobewertung) - Pressestelle (Hrsg.) (2009): Cadmium in Lebensmitteln. Redaktion: BfR, mit Susanna Kramarz als freier Autorin, 44 S. Europäische Gemeinschaften (EG) (2006): Verordnung (EG) Nr. 1881/2006 der Kommission vom 19. Dezember 2006 zur Festsetzung der Höchstgehalte für bestimmte Kontaminanten in Lebensmitteln LABO (Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Bodenschutz) (2003): Hintergrundwerte für Böden – Baden-Württemberg, A 18 27. Umwelttag 2016 Schadstoffe in der Umwelt: Messen – Bewerten – Begrenzen Ableitung von Emissionswerten zur Einhaltung von Immissionszielen beim Gewässerschutz Prof. Dr.-Ing. Peter Baumann, Hochschule für Technik Stuttgart Einleitung Die Bekämpfung der Gewässerverschmutzung ist in Westeuropa seit rund 150 Jahren ein Dauerthema. Ausgehend von offensichtlichen Gewässerproblemen (Geruch, Verfärbung, Eutrophierung, Schlamm- und Schaumbildung) wurde immer wieder Maßnahmen auf der Emissionsseite ergriffen, um die Gewässerverschmutzung zu begrenzen. Mindestanforderungen für die Einleitung aus Kläranlagen wurden seit 1991 in Verordnungen des Bundes festgelegt und in der Regel nur nach der Größenklasse der Anlage (als Einwohnerwerte) spezifiziert. Regionale Gewässerbetrachtungen zur Festlegung von Ablaufwerten waren hier aber nur in Einzelfällen (wie am Bodensee) von Bedeutung. Auch die Bemessungsregeln für die Anlagen der Regenwasserbehandlung sind seit 1992 weitegehend unverändert. Im Jahr 2000 wurde die EU-Wasserrahmenrichtlinie (2000/60/EG), kurz WRRL, veröffentlicht. In der Präambel wurde die wesentliche Zielrichtung wie folgt ausgeführt: „Wasser ist keine übliche Handelsware, sondern ein ererbtes Gut, das verteidigt, geschützt und entsprechend behandelt werden muss.“ Die EU-WRRL ist ein umfassendes, modernes Gesetz zum Schutz aller Gewässer vor Beeinträchtigung durch den Menschen. Das Gesetz wird auf der Basis von Flussgebieten umgesetzt und verbindet chemisch-physikalische, biologische und morphologische Aspekte des Gewässerschutzes. Das Ziel ist die Herstellung bzw. Erhaltung des „guten“ Zustandes aller Gewässer bis 2015 (2027) im gesamten Gebiet der EU. Hier waren daher Monitoringprogramme (Flächendeckende Untersuchung / Bewertung sowie Identifikation von Defiziten) durchzuführen, Maßnahmenprogramme für die einzelnen Flussgebiete bzw. Wasserkörper und Bewirtschaftungszyklen aufzustellen und umzusetzen. Die wesentliche Neuerung gegenüber den bisherigen Ansätzen war, dass Emissionsbegrenzungen jetzt mit auch regionalen Qualitätszielen für Gewässer (Immissionswerte) verbunden werden. Dies ermöglicht einen höheren Standard im Gewässerschutz als bisher. Dieser Sachverhalt wird auch als „kombinierter Ansatz“ bezeichnet. 1 Festlegung von Anforderungen an die Gewässergüte Während in der Vergangenheit der Fokus zur Beurteilung der der Gewässerqualität auf biologischen Qualitätskriterien lag, sind heute für biologische und chemische Abwasserparameter bis hin zu Einzelstoffen sogenannte Umweltqualitätsnormen (UQN) im Gewässer definiert, die sich aus Kriterien für unterschiedliche Schutzgüter ableiten. Als maßgebliche Schutzgüter sind hier vor allem die „Trinkwasserversorgung“ und der „Schutz der aquatischen Lebensgemeinschaften“ zu nennen. Dabei hat beim Schutz der aquatischen Lebensgemeinschaften das Vorsorgeprinzip sehr an Bedeutung gewonnen. Für Einzelstoffe werde – vereinfacht - aus ökotoxikologischen Tests abgeleitete NOECWerte (no observed effect concentration) fixiert, anschließend über Sicherheitsbeiwerte (Faktor 10 – 1.000) der sogenannte PNEC-Wert (predicted no effect concentration) definiert und dann dieser als UQN eingeführt. Damit ergeben sich oft sehr niedrige Schutzziele im µg/l-Bereich. Die aktuell zusammengefassten Schutzziele finden sich in Deutschland in der Oberflächengewässerverordnung (2016) und der Grundwasserverordnung (2010): Änderungen auf europäischer Ebene machen hier regelmäßige Anpassungen notwendig. 27. Umwelttag 2016 Schadstoffe in der Umwelt: Messen – Bewerten – Begrenzen 2 Ableitung von Emissionszielen Die Ableitung von Emissionszielen für die jeweils maßgeblichen Einleiter ist oft schwierig. Zum einen werden nur die Einleitungen aus Kläranlagen überwacht, die emittierten Frachten aus Regenwasserbehandlungsanlagen sind oft rechnerisch grob nur abschätzbar, Frachten aus der Landwirtschaft aktuell nur über Modellbildung (vgl. MONERIS) darzustellen. Dazu sind Gewässerschutzziele in der Regel im Jahresmittel einzuhalten, Überwachungswerte für Kläranlagen bisher in der qualifizierten Stichprobe, so dass hier eine direkte Vergleichbarkeit auch nicht gegeben ist. Die Berücksichtigung von Vorbelastungen oder geogen bedingten Belastungen im Gewässer erschwert zudem die Betrachtung. Weiterhin fordern alle Einleiter in ein Gewässer vor der Umsetzung oft klare gesetzliche Vorgaben oder nachvollziehbare Begründungen für die Festlegung von einzuhaltenden Einzelwerten. In einem Leitfaden des Landes Baden-Württemberg (LUBW, 2015) ist daher die empfohlene Vorgehensweise skizziert. Für die Standardparameter (BSB5, CSB, NH4-N, Nanorg, Pges und Feststoffe) wird eine gewässerökologische Studie an der Einleitungsstelle (oder auch für ein größeres Gebiet) durchgeführt. Darauf aufbauend sind unter Beachtung der festgelegten Gewässerschutzziele und der erwarteten Verdünnungsverhältnisse die Emissionswerte (als Überwachungswerte) neu festzulegen. Damit ergeben sich für die Punktquellen im Land durchaus sehr unterschiedliche, standortbezogene Anforderungen. Andere Stoffgruppen (Einzelchemikalien), für die aber Gewässerschutzziele benannt sind, werden oft nur im Rahmen von übergeordneten Monitoring-Programmen analysiert. Defizite im Hinblick auf die Einhaltung der UQN werden somit erst langsam erkannt, und sind dann Einzeleinleitern oft kaum zuordenbar. Inwieweit (finanzierbare) technische Maßnahmen an Punktquellen überhaupt in der Fläche ausreichen werden, um alle benannten bzw. zukünftig genannten UQN immer sicher einzuhalten, ist auch noch völlig offen. 3 Zukünftige Entwicklung Von Seiten des Bundes sind nach aktuellem Stand weitere Aktivitäten erst zu erwarten, wenn im Zuge der Umsetzung der WRRL abschließend signifikante Defizite festgestellt werden (bis 2027). Inwieweit dann technische Maßnahmen anzudenken sind bzw. sogar die Relevanz wie die Größenordnung der einzelnen UQN überdacht werden müssen, ist offen. Einzelne Bundesländer setzen auf die Strategien der Freiwilligkeit und Einsatz von Fördergeldern (wie in Baden-Württemberg) zum Ausbau der Mikroschadstoffelimination als 4. Reinigungsstufe mit Ozon oder Aktivkohle, in Nordrhein-Westfalen soll zukünftig die Überschreitung nur einer UQN im Gewässer zu direkten Maßnahmen an den Punktquellen führen (4. Reinigungsstufe). Festzuhalten ist, dass die Abkehr der allein emissionsorientierten Betrachtung bei Gewässereinleitungen vollzogen ist. Inwieweit die gewässerspezifische Betrachtung wieder verloren geht, wenn flächendeckende Maßnahmen wie eine 4. Reinigungsstufe vollzogen werden, sei dahingestellt. Die „Baustellen“ der richtigen ökotoxischen Bewertung von Einzelsubstanzen im Gewässer ohne zu viele „Sicherheiten“ als auch der sachgerechten wie wirtschaftlich, technisch machbaren Lösung im Einzelfall auf der Emissionsseite sind gerade erst eröffnet. 27. Umwelttag 2016 Schadstoffe in der Umwelt: Messen – Bewerten – Begrenzen Industrielle Abwassereinleitung vor dem Hintergrund des Europäischen Standes der Technik Prof. Dr. Rainer Gräf, Hochschule Esslingen 1. Einleitung Mit der 5. Novelle des Wasserhaushaltsgesetzes in 1986 ergab sich eine gravierende Änderung der Pflichten, die ein Abwassereinleiter zu erfüllen hatte: es musste der Stand der Technik (SdT) eingehalten werden, der sich in einer Minimierung der mit dem Abwasser eingeleiteten Schadstofffracht ausdrückt. Damit umfasste der Pflichtenrahmen des Abwassereinleiters nicht mehr nur die Einhaltung von Überwachungswerten („Grenzwerten“), sondern auch bislang nicht gekannte Pflichten der Abwasser erzeugenden Produktionsanlagen, so dass die geeignete Abwasserbehandlungstechnik nicht mehr alleiniger Gegenstand der behördlichen Prüfung von Genehmigungsunterlagen darstellte. Präzisiert und damit umsetzungsfähig wurden die neu definierten Pflichten 1990 mit der Inkraftsetzung der Rahmenabwasser-Verwaltungsvorschrift und ihren branchenspezifischen Anhängen. Neben den Überwachungswerten für einleitfähiges Abwasser formulieren die Anhänge Produktionspflichten, die auf die Verringerung des anfallenden Abwasservolumenstroms und des Abfallaufkommens bei der Abwasserbehandlung zielen. 2. Der Europäische Stand der Technik Der Europäische Stand der Technik geht von einer integrierten Betrachtung der Auswirkungen von Produktionsanlagen auf die verschiedenen Umweltbereiche aus und umfasst auch den Schutz der Mitarbeiter bei der Arbeit. Die Inkraftsetzung des integrierten Ansatzes erfolgte 1996 mit der Richtlinie 96/61/EG über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung - IVURichtlinie - (Intergrated Pollution Prevetion and Control - "IPPC-Richtlinie"). Zur Definition des EUStandes der Technik sind sogenannte „BREFs“ geschaffen worden (BREFs = Best Available Techniques-Reference Documents), die durch multinational zusammengesetzte Arbeitsgruppen (TWGs = Technical Working Groups) aus eingereichten Beiträgen von nationalen Regierungsexperten wie auch NGOs (non governmental organizations) zusammengestellt wurden. Als Nachfolge-Richtlinie ist am 6.1.2011 die Richtlinie 2010/75/EU über Industrieemissionen (IE-R) ist in Kraft getreten, die sieben alte Richtlinien ersetzt, wodurch die Rechtsvorschriften über Industrieanlagen vereinfacht und klarer gestaltet werden sollen. In der IE-R sind die IPPC-(IVU)Richtlinie, die Großfeuerungsanlagen-Richtlinie, die Abfallverbrennungs-Richtlinie, die VOC-Richtlinie sowie drei Richtlinien betreffend die Titandioxid-Produktion zusammengefasst worden. Die IE-R hat – wie schon die IVU-RL – die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung infolge industrieller Tätigkeiten zum Inhalt. Sie sieht Vorschriften zur Vermeidung und, sofern dies nicht möglich ist, zur Verminderung von Emissionen in Luft, Wasser und Boden und zur Abfallvermeidung vor, um ein hohes Schutzniveau für die Umwelt insgesamt zu erreichen. Kap. II der IE-R folgt in den Grundzügen der alten IPPC-Richtlinie (2008/1/EG), beinhaltet aber gegenüber dieser einige wesentliche Änderungen. Diese reichen von einer verbindlicheren Anwendung der BAT-Schlussfolgerungen (BREFs) bis zu strengeren Überwachungs- und Berichtspflichten. 3. Das STM BREF als Beispiel des Europäischen Standes der Technik Das für die Oberflächenindustrie zugehörige STM-BREF (Surface Treatment of Metals and Plastics) ist 2006 im Amtsblatt der EU veröffentlicht worden und der europäische Stand der Technik damit für 27. Umwelttag 2016 Schadstoffe in der Umwelt: Messen – Bewerten – Begrenzen die Metallbe- und –verarbeitung in Kraft getreten. Der Umfang umfasst 582 Seiten, die sich wie folgt gliedern: Kapitel 1: Allgemeine Informationen zur Oberflächenbehandlung von Metallen und Kunststoffen ( 21 Seiten), Kapitel 2: Angewandte Prozesse und Techniken (124 Seiten), Kapitel 3: Aktuelle Verbrauchs- und Emissionsdaten der Oberflächenbehandlung von Metallen und Kunststoffen ( 41 Seiten), Kapitel 4: Bei der Festlegung der BAT/BVT zu betrachtende Techniken (200 Seiten), Kapitel 5: Bestverfügbare Techniken (28 Seiten), Kapitel 6: In der Entwicklung befindliche Techniken der Oberflächenbehandlung von Metallen und Kunststoffen (7 Seiten), Glossar, Verzeichnisse, Zusammenfassung etc. (restliche Seiten). Neben der Aufführung von Kennzahlen für die Emissionen über den Abwasser- und Abfallpfad werden auch „IPPC-Kennzahlen“ für Überwachungswerte dargestellt, die für Chrom gesamt, Kupfer, Blei und Nickel mit 1 mg/l allerdings das Doppelte der Deutschen Überwachungswerte betragen. Die bislang veröffentlichten Kennzahlen für Chemikalienverbräuche sowie Emissionen über den Wasser- und Abfallpfad differieren derart stark, dass sie bislang zu Vergleichszwecken nicht angewandt werden. 4. Umsetzung in Deutschland Da in Deutschland der Stand der Technik über Verordnungen rechtlich festgesetzt wird, ist in 2010 und 2011 für zwei Anhänge der Abwasserverordnung versucht worden, durch Neufassung der Anhänge die BREF-Beschreibungen und damit den EU-SdT einzubinden. Einer der Pilot-Anhänge war der Anhang 40, der für die Metallbe- und –verarbeitung den SdT formuliert und somit dem STM-BREF zugehörig ist. Die Arbeitsgruppe, die sich aus Bund-/Länder- sowie Industrie- und Hochschulvertretern zusammensetzte, entwarf nach zahlreichen Sitzungen und teilweise sehr kontroversen Diskussionen ein umfangreiches Papier, das vornehmlich die Produktionspflichten stark erweiterte und Bezüge zur REACH-Verordnung enthielt. Bezüglich der Abwassereinleitung wurde keine Notwendigkeit gesehen, die Überwachungswerte zu verringern, allerdings wurde ein Verbot von Cadmium (nicht enthalten, wenn < 0,005 mg/l), von organischen Komplexbildner, die einen DOC-Eliminierungsgrad nach 28 Tagen von mindestens 80 Prozent nicht erreichen, von Nonylphenolethoxylat (NPE) und Nonylphenol und von PFOS (Perfluoroktansulfonate) im Abwasser formuliert. Des Weiteren wurde für Cyanid und Chrom(VI) eine Teilstrom-Behandlungspflicht gefordert mit Einhaltung des Überwachungswerts im unvermischten Abwasser. Nach der zehnten Sitzung erfolgte keine Einladung mehr zur weiteren Fortführung der Arbeiten. 5. Fazit Unbeschadet aller BREF-Beschreibungen hat sich der im Anhang 40 der Abwasserverordnung beschriebene Stand der Technik für die Branche der Metallbe- und –verarbeitung seit 26 Jahren so gut wie nicht verändert, abgesehen von redaktionellen Änderungen und von Änderungen marginalen Ausmaßes. Positiv betrachtet war der in Deutschland geforderte Stand der Technik ab 1990 den Anforderungen Europäischer Partner in weiten Teilen voraus, allerdings erfuhr der beschriebene Europäische Stand der Technik inhaltlich bislang keinerlei Umsetzung.