Universität Hohenheim - ZVH - GV

Werbung
3. Fortbildungsveranstaltung
für Tierschutzbeauftragte
5.-6.5.2010, München
Wie tiergerecht sind Labortierhaltungen?
Sibylle Ott
Universität Hohenheim
ZVH
Inhalt
• Was brauchen Labortiere?
- Bedarf und Wertigkeit
• Labortierhaltung heute
- Bewertung
• Tierhaltung unter experimentellen Bedingungen
- Machbarkeit
• Zukunft – wohin geht´s?
Bedarfserfassung
rechtliche Grundlagen:
Tierschutzgesetz
ETS123
Beobachten:
Normales-/ abnormales Verhalten
Experiment: Wahlversuch
Rechtliche Grundlagen
Tierschutzgesetz:
art- und verhaltensgerecht
ETS 123:
konkrete Angaben, Käfigdimensionen,
Besatzdichten und Käfigausgestaltung
(environmental enrichment)
z.B. Maus: Einstreu, Nistmaterial und
Unterschlupf
fakultativ Nagemöglichkeiten
Rennmaus (Meriones): dicke Einstreuschicht oder
Bauersatz (Sandbad* ist nicht genannt)
ETS 123: sozial lebende Arten sollen in Gruppen gehalten
werden „so lange diese Gruppen stabil und harmonisch sind“
Dank an das Institut für Tierernährung,
Univ. Hohenheim
Verhaltensbeobachtung
• Normalverhalten:
qualitativ/Verhaltensrepertoire
quantitativ/ Aktivitätsniveau
• Abweichendes Verhalten
Stereotypien (Maus, Meriones, Kanin – nicht:
Ratte)
gesteigerte Aggression/Automutilation
(Depression/Autismus: learned helplessness)
Erfassen und Bewerten von Verhaltensweisen:
im Zweifel für das Tier
Wahlversuche
preference and consumer demand test
• Mäuse arbeiten für komplexere Käfige,
Nistmaterial, Verstecke, erhöhte Flächen,
Laufrad und strukturierte größere Käfige
(Balcombe 2006)
• Ratten arbeiten für Sozialpartner, komplexe
Käfige, Laufrad, Nestboxen (bevorzugt dunkel,
nicht transparent) (Hutchinson 2005)
• Ratten sind neugierig und interessieren sich für
jedes neue Objekt
Humanes Denken und tierische Präferenzen:
was wollen Tiere?
Zusammenfassung Bedarf
Ratten und Mäuse schätzen und brauchen die
Gelegenheit sich zu verstecken, Nester zu
bauen, Sozialkontakte, Bewegung und ein
gewisses Maß an Kontrolle über ihr soziales
Milieu, sonst erleiden sie psychische und
physische Schäden, die Gehirnentwicklung
bleibt zurück und Verhaltensanomalien (z.B.
Stereotypien) treten auf (Balcombe 2006)
Inhalt
• Was brauchen Labortiere?
- Bedarf und Wertigkeit
• Labortierhaltung heute
- Bewertung
• Tierhaltung unter experimentellen Bedingungen
- Machbarkeit
• Zukunft – wohin geht´s?
Gibt es haltungsbedingte Schäden bei
Labortieren?
Gibt es haltungsbedingte Stereotypien bei
Labornagern?
• umfassende Verhaltensprofile stehen erst seit kurzem für
einzelne Mausstämme zur Verfügung (Moy 2008, Ryan
2010)
• allgemeine Angaben zur Stereotypiehäufigkeit sind nicht
möglich
• Meriones: haltungsbedingte Stereotypien**
• Maus: inwieweit sind routinierte, repetitive
Bewegungsmuster „normal“? Wie hoch ist die
Stereotypieneigung bei welchem Stamm? Wieviel davon ist
haltungsinduziert?
• Ratten: keine spontanen Stereotypien (als
Stereotypiemodell chemisch induziert)
Standardhaltung Maus: Käfige
Standardhaltung Maus: Nestmaterial und
Unterschlupf
Improvement:
Anforderungen
•Beschäftigung
•Verstecken, Ausweichen
•Kontaktliegen erleichtert
•Temperaturgradient
•Mikroklima für
Jungtiere und Schlaf
•autoklavierbar
•geprüft unschädlich
•Ausweichmöglichkeit für
Rangniedere!!!
•möglichst einsehbar
•Manipulierbarkeit /
Variationsmöglichkeit
Welche Bedürfnisse werden erfüllt, welche nicht?
Raumangebot
+/-
Tendenz steigend
Revierbildung
(-)
Ausweichmöglichkeit für Rangniedrige
unzureichend
Soziale Interaktion
+/-
Problem aggressive Männchen
Futter/Wasser
+
Fütterungsmethode (ad
libitum)
+/-
Verfettung, keine Futtersuche
Verstecken
+
Unterschlupfe (hohe Wertigkeit im
Wahlversuch)
Graben/Bauen
-
Dickere Einstreuschicht, Röhren u.ä.
Nestbau
+
Lokomotion qualitativ
(artspezifisch)
+/-
Laufen , wühlen, vertikale Raumaufteilung /
klettern*
Lokomotion quantitativ
(-)
Laufrad (hohe Wertigkeit, großer Einfluß)
1/2
Kontrolle, Entscheidung (+)/-
Mehr manipulierbares Material?
Exploration/Neugier
(-)
Variation
Spielen
(+)/-
Sozial, Laufspiele +, objektgerichtet?
Entwickeln kognitive
Fähigkeiten (Lernen,
Gedächtnistraining)
-
Bewegung steigern / Laufrad
Variation
2/2
Inhalt
• Was brauchen Labortiere?
- Bedarf und Wertigkeit
• Labortierhaltung heute
- Bewertung
• Tierhaltung unter experimentellen Bedingungen
- Machbarkeit
• Zukunft – wohin geht´s?
These: Enrichment beeinträchtigt
Tier und Experimente
• erhöhte Corticosteronspiegel und Stresssymptome bei
Mäusen und Ratten, z.T. mit erhöhten Varianzen der
Versuchsergebnisse (Marashi 2003, Moncek 2004,
Hutchinson 2005)
• E-Effekte variieren zwischen den Geschlechtern und erhöhen
Varianz (Tsai 2003)
• Enrichment kann Stammunterschiede verstärken (Vergleich
zw. B6 und 129, Abramov 2008) bzw. sichtbar machen
• einzelne Enrichmentfaktoren können einzelne (Verhaltens-)
Experimente beeinflussen, z.B. durch Training der
Lokomotion (z.B. Zusammenhang zwischen Klettergerüst und
Barrieretest, Lewejohann 2006)
These: Enrichment beeinträchtigt Experimente nicht
wesentlich oder negativ
• Vergleichsstudie in einem Vaccine-Test: E-Mäuse fressen und
wiegen mehr, kein Unterschied der relevanten Parameter (van
de Weerd 2002)
• Enrichment hat keinen größeren Einfluss als Labor und
Experimentator (Lewejohann 2006)
• Standardisierung ist auch in anderen Bereichen nicht erreicht,
z.B. Licht (Intensität, Wellenlänge); Einfluss des
Experimentators kann größer sein als der Genotyp (Chesler
2002 nach Balcombe 2006)
• vollständige Standardisierung ist eine Illusion (Würbel)
• Enrichment, besonders Bewegung, hat einen extrem positiven
Effekt auf das Gehirn
Inhalt
• Was brauchen Labortiere?
- Bedarf und Wertigkeit
• Labortierhaltung heute
- Bewertung
• Tierhaltung unter experimentellen Bedingungen
- Machbarkeit
• Zukunft – wohin geht´s?
Dank an Prof. Hilbig
Spiegel 18/02: „Viagra für´s Gehirn“
(Lernexperimente von Eric Kandel)
experimentelle Käfiganreicherung (Neurologie)
„An enriched environment consists
of a combination of enhanced
social relations, physical exercise
and interactions with non-social
stimuli that leads to behavioral
and neuronal modifications.“
(Leggio 2005)
Laviola 2008
„…combination of multiple,
notably different enrichment
strategies, whether
simultaneously or in periodic
rotation…..commonly used used in
the neurological research.“
(Hutchinson, 2005)
Environmental enrichment and the effects of enhanced sensory,
cognitive and motor stimulation on different brain areas
(Nithianantharajah 2006. fig.1)
Effects of exercise on hippocampal brain-derived
neurotrophic factor (BDNF) mRNA and protein levels
(Cotman, Trends Neurosc 2002)
Effects of exercise on hippocampal brain-derived
neurotrophic factor (BDNF) mRNA and protein levels
(Cotman, Trends Neurosc 2002)
Bewegung/ Laufrad: offene Fragen und negative
Effekte
• warum laufen Tiere: Ersatz für motorische Aktivität allgemein,
Exploration, Flucht, Wanderverhalten…?
• wieviel Laufaktivität ist normal? (Ratten: bis zu 20 km/Nacht
(Cotman 2002), 5-6 km/d (Afonso 2003))
• Mäuse laufen auch in stark angereicherter Umgebung im Rad
• Belohnungseffekt ? Suchtpotential? (entspr. Hirnzentren
aktiviert)
• komplexer, verlaufsabhängiger Zusammenhang zwischen
Laufaktivität, Fressen, Trinken, Energiebalance und
Körpergewicht (Afonso 2003)
• hohe interindividuelle Unterschiede zwischen Laufaktivität von
Ratten (bis 40fach), aber hohe intraindividuelle Stabiltät
(Afonso 2003)
• Förderung von Aggression und Destabilisation der Hierarchie
bei männlichen CD-1 (Howerton 2008)
Bewegung/ Laufrad: positive Effekte
• hohe Attraktivität, Nager arbeiten für Laufradzugang (Afonso
2003 u.a.)
• Laufrad kann manche negativen Effekte der intermittierenden
Einzelhaltung aufheben, gegenüber angereicherter, sozialer
Umgebung (Pham 2005)
• voluntary wheel running regt neurotrophe Wachstumsfaktoren
an, ganz besonders im Hippocampus (Cotman 2002)
• Modell für Auswirkung von Training auf Gesundheit, Alter und
Hirnfunktion (Nithianantharajah 2006)
• Hirnareale für Lernen, Gedächtnis und Motivation aktiviert
• Training, aber nicht EE, verbessert Rekonvaleszenz nach
Hirnverletzung (Gobbo 2005)
• Rückgang von Stereotypien (Umleitung auf Laufrad oder
weniger Frustration?; Howerton 2008)
Schlußbetrachtung
• derzeitiges Enrichment hat keine negativen Effekte auf
Experimente und wird von den Tieren angenommen
• die positiven Effekte dieses Standard-Enrichments sind
möglicherweise gering, motorische und kognitive
Fähigkeiten (und Bedürfnisse?) bleiben unterentwickelt
• Verbindung zwischen Enrichmentelementen und
Wohlbefinden bzw. Einfluss auf Experimente noch immer zu
wenig erforscht!
• in „superangereicherten“ Käfigen werden Stamm- und
Geschlechtsunterschiede sichtbar, evtl. bis in die F2
• „Superenrichment“ ist in der Haltungspraxis weder machbar
noch wünschenswert
• Strukturen im Käfig verschärfen die Problematik der
Gruppenhaltung männlicher Mäuse und Kaninchen
• Unterschiede im Spontanverhalten von Inzuchtstämme sind
sehr unterschiedlich (Moy 2008) – unterschiedliche
Haltungsanforderungen?
Es bleibt spannend!
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit
Institut für TE der Univ. Hohenheim
Herunterladen