3. Die Kalendermacher vom Nil Von der Vorherrschaft der Frau in der neolithischen Dorfgemeinschaft blieb am Ende des Neolithikums nur wenig erhalten. Die fortschreitende Domestizierung ließ den Mann immer mehr zum Betreuer des Tierbestandes werden, gleichzeitig ergriff er die Vormacht beim Bestellen der Felder, beim Pflügen und Säen. Die Frau wurde zur Herrin des heimischen Herdes, sie kochte und braute, außerdem oblag ihr die Erziehung der Kinder. In der Gemeinschaft wurde der Einfluss des „weisen alten Mannes“ immer mehr spürbar. In weiterer Folge festigte sich die Vormachtstellung des Mannes in einem neuen System des „Gottkönigtums“. Dazu bedurfte es jedoch auch einer überirdischen Autorität, einer Verquickung irdischer und Abbildung 1: Die Ruinen der Tempelanlage von Luxor kosmischer Kräfte, um dem König die totale Macht über seine Gemeinschaft zu sichern. Dafür sorgte die männliche Elite einer Priesterschaft, die unter anderem auch immense astronomische Kenntnisse erwarb und bewahrte. Ein Wissen, das auch machtpolitisch genutzt wurde. In diese Zeit legt man den Beginn der „Zivilisation“. Auch in den Zivilisationen der ersten Gottesstaaten in Ägypten und Mesapotamien blieb aber die Landwirtschaft die eigentliche volkswirtschaftliche Grundlage. Hochentwickelte Ackerbautechnik eines großflächigen, zentral gesteuerten und organisierten Getreideanbaues auf präzise vermessenen Feldern erlaubte den Bau städtischer Siedlungen, in denen wesentlich mehr Handwerker, Händler, Krieger und Verwaltungsbeamte wohnten als Ackerbauern, weit mehr Konsumenten als Produzenten. Regelmäßigkeit, Organisierung und Standardisierung bestimmten die neue Ökonomie der Zivilisation. Bürokratie und ein perfekter Verwaltungsapparat spielten dabei eine überragende Rolle. In diesen Gottesstaaten waren die Tempel nicht nur „Himmelshäuser“ – Wohnungen der Götter – , sie waren auch Verwaltungszentren der „göttlichen Liegenschaften“, Sitze von Steuerbehörden, Bankhäuser, Ausbildungsstätten, Büros, Zeremonienorte und natürlich auch astronomische Observatorien. Die als Tempelpersonal arbeitenden Astronomen nannte man „Stundenpriester“. Ihre Aufgabe war, aufgrund bestimmter Konstellationen der Himmelskörper den genauen Zeitpunkt für die Abhaltung gewisser Zeremonien festzulegen. Natürlich war der beherrschende Himmelskörper auch für die Priesterastronomen in Ägypten die Sonne. Sie wurde als Gottheit verehrt. Am Morgen bestieg der Sonnengott Ra seine Sonnenbarke und segelte damit sichtbar über das erhellte Firmament, während er am Abend in die Nachtbarke umstieg, um, von den Menschen unbeobachtet, die Unterwelt zu durchfahren. Die Ägypter hatten bereits konkrete Vorstellungen ihrer Welt. Die Abbildung 2: Nut über dem Erdgott geb. von Schu, auf ihr die auf einer unbegrenzten gestützt Sonnenbarken Wasserfläche schwimmende (vom Nil durchflossene) Erdscheibe wurde von einem sternenbedeckten Himmel überwölbt, der auf vier Himmelspfeilern ruhte, wobei der dazwischengeschobene Licht- und Luftgott Schu eine zusätzliche Stützfunktion erfüllte. Seit dem Neuen Reich wird der Himmel als Himmelsgöttin Nut wiedergegeben, die nackt und ebenfalls mit Sternen bedeckt über den Erdgott Geb gebeugt ist. Die auf Nuts Körper fahrenden Barken sind mit Sterngöttern oder dem Sonnengott Ra besetzt. Die Sterne wurden mit den an den Himmel versetzten Toten – vor allem den toten Königen – gleichgesetzt. Neben diesen religiösen Vorstellungen haben uns die ägyptischen Astronomen auch konkretes astronomisches Wissen übermittelt, das sie sich in jahrtausendelanger Beobachtung des in den Wüstengebieten so klaren Sternenhimmels angeeignet hatten. Zur Beobachtung des Sonnenlaufes verwendeten die Ägypter senkrechte Schattenstäbe („Gnomone“). Aus der Schattenlänge der Gnomone zum Zeitpunkt der Kulmination (Sonnenhöchststand) konnten die ägyptischen Astronomen den Zeitpunkt des „wahren Mittags“ (Schatten am kürzesten) ermitteln. Die Richtung des Schattens zu diesem Zeitpunkt gab auch die exakte Südrichtung an. Aus der Länge des Mittagsschattens konnten sie die Solstitien, die Zeitpunkte der „Sonnenwende“, bestimmen. Am 21.Juni („Sommersolstitium“) ist dieser Schatten am kürzesten, da zu diesem Zeitpunkt die Sonne den höchsten Punkt der Ekliptik erreicht. Am 21.Dezember („Wintersolstitium“) war dieser Schatten am längsten. Aus den Schattenstäben der Ägypter entwickelten sich die ersten Sonnenuhren. Da der Schatten des Stabes pro Stunde um 15° weiterwandert (360°:24 = 15°), braucht man auf der Schattenfläche nur entsprechende Abbildung 3: Schema eines Gnomons Marken anzubringen um die Zeit in gleiche Abschnitte zu unterteilen. Abbildung 4: Einfache Sonnenuhr Die eindrucksvollsten Gnomone hinterließen uns die Ägypter in Form gewaltiger Obelisken (obelos (griech.): Bratenspieß). Zahlreiche Obelisken wurden nach der Eingliederung Ägyptens in das Römische Imperium nach Rom transportiert. Einer dieser Obelisken – er steht heute auf der Piazza di Montecitorio im Zentrum Roms – stellte einst den Schattenstab der Sonnenuhr dar, die Kaiser Augustus auf dem Marsfeld errichten ließ und von der Archäologen später Reste sichergestellt haben. Abbildung 5: Sonnenuhr des Augustus auf dem Marsfeld. Rechts: Obelisk auf der Piazza di Montecitorio, Rom Aber nicht nur der Tageslauf der Sonne wurde von Priesterastronomen in Heliopolis, dem ägyptischen Zentrum der Sonnenbeobachtung, genau verfolgt und registriert. Besondere Aufmerksamkeit schenkten sie dem „Hundsstern“ Sirius, dem hellsten Stern am gesamten Sternenhimmel. Dieser Stern, Sothis genannt, spielte in der ägyptischen Astronomie eine überragende Rolle, doch darüber später. Die Ägypter verehrten die fünf (mit freiem Auge sichtbaren) Planeten als Götter: Jupiter: „Horus, der die beiden Länder begrenzt“ Saturn: „Horus, Herr des Himmels“ Mars: „Horus, der Horizontische“ oder „Der Rote“ Merkur: „Seth“ Venus: „Der Gott des Morgens“ Ägyptische Astronomen unterschieden bereits zwischen „Zirkumpolarsternen“, das sind Sterne, die auf ihrem Tageskreis nie unter den Horizont sinken, und „nicht zirkumpolaren Sternen“. Auf Abbildungen in ägyptischen Gräbern lassen sich auch verschiedene Sternbilder erkennen, die sich in eine nördliche und südliche Region teilen lassen. Die Trennung bildet dabei eine der Ekliptik entsprechende Linie. Dabei hat sich in der Nordhälfte ein dem „Großer Wagen“ entsprechendes Sternbild identifizieren lassen. Eine Konstellation, die offensichtlich auch von den Ägyptern als eigenes Abbildung 6: Dekansternbilder aus dem Sternbild gesehen wurde. Man Grab Sethos I kann von einer neuen Stufe der astronomischen Entwicklung sprechen, als die sternkundigen Priesterastronomen darangingen, systematische Listen von Sternbildern aufzustellen, die geeignet waren, den Lauf des Jahres auch zu den Nachtstunden aus dem Stand der Gestirne abzulesen. Solche Listen von Sternbildern, später als „Dekane“ bezeichnet, finden wir bei den Ägyptern bereits 2000 v.Chr. Dabei handelt es sich um insgesamt 36 Sterne oder Sternbilder, deren erstes Sichtbarwerden in der Morgendämmerung („heliakischer Aufgang“) die Bestimmung der „Jahreszeiten“ erlaubte. Außerdem machte es die Bestimmung der Position der Dekane während der Nachtstunden möglich, die Zeit auch nachts anzugeben. Die Dekansterne und Dekansternbilder liegen allesamt in einem Gürtel südlich der Ekliptik. Vom heliakischen Aufgang eines Dekans bis zum Aufgang des nächsten vergehen 10 Tage. Daraus ergibt sich eine Einteilung des Jahres in 36 „Wochen“ zu je 10 Tagen. Wie wir wissen, fehlen dabei aber 5 Tage für das volle Jahr. Diese Tage wurden als „Zusatztage“ („Epagomenen“) dem Jahr zugefügt. Innerhalb einer Nacht gingen – von der Dämmerung am Abend und am Morgen abgesehen – 12 Dekane auf. Dadurch wurde die Nacht in 12 gleiche „Stunden“ geteilt. Die Dekanen funktionierten wie eine Sternuhr. Man musste nur wissen, welcher der Dekane als erster aufgegangen war und in welcher Reihenfolge die Dekane angeordnet waren. Wie schon erwähnt, schenkten die Tempelastronomen am Nil dem „Hundsstern“ Sirius („Sothis“) besondere Aufmerksamkeit. Vor allem waren es seine Frühaufgänge („heliakischen Aufgänge“), die zusammen mit der Sonne erfolgten. Nacht für Nacht gehen nichtzirkumpolare Fixsterne praktisch an der gleichen Stelle (nur über längere Zeiträume verschieben sich diese Aufgangspositionen Abbildung 7: Der ägypwegen der Präzession der Erdachse merklich!) tische Orion und seine am östlichen Horizont auf. Tag für Tag verfrüht sich aber der Aufgang eines Sternes um ca. 4 Minuten (Unterschied zwischen Sonnen – und Sternzeit). So ergibt es sich, dass man jedes Jahr nur ein einziges Mal einen bestimmten Stern wie „Sothis“ in Heliopolis genau in der Morgendämmerung zu Gesicht bekommt. Dieser „heliakische Aufgang“ des Hundssternes erfolgt nach unserem Kalender etwa um den 20.Juli. In alt-ägyptischer Zeit, in der man diese Datierung natürlich nicht kannte, fiel dieser Frühaufgang mit dem Einsetzen der ersehnten Nilflut zusammen, einem Ereignis, das für die ägyptische Landwirtschaft von immenser Bedeutung war. Nun schien der Frühaufgang von Sothis recht verlässlich die ersehnte Nilüberschwemmung anzukündigen und war damit ein recht brauchbares jahreszeitliches Merkmal. Die Ägypter des 3.Jahrtausends vor unserer Zeitrechnung können für sich in Anspruch nehmen, die Erfinder des ersten Kalenders zu sein. Dieser Kalender richtete sich aber nach der göttlichen Sonne und nicht nach dem hellen Sirius. Wir wissen heute, dass die Sonne ein „Jahr“ zu 365,2422 Tagen braucht, um einmal die Ekliptik (scheinbare jährliche Sonnenbahn) vollständig zu durchwandern. Ein „vernünftiger“ Kalender muss aber in ganzen Tagen zählen und so rechneten die ägyptischen Astronomen das Jahr zu 365 Tagen mit drei Jahreszeiten („Überschwemmung“, „Aussaat“ und „Ernte“) zu je vier Monaten mit 30 Tagen. Die 5 verbliebenen Abbildung 8: Die szeptertragenden Figuren von Orion und Sothis am Himmel Extratage („Epagomenen“) wur-den am Ende des Jahres angehängt. Mit diesem 365-Tage-Zyklus verschoben sich aber alle astronomischen Phänomene wie Solstitien und Sothis-Frühaufgang alle 4 Jahre um einen Tag, alle 120 Jahre um rund einen Monat. Vor allem der Frühaufgang von Sothis wanderte so durch das Jahr und eignete sich gar nicht mehr zur Ankündigung der Nilflut. Erst nach dem Ablauf einer Periode von 1460 Jahren („Sothis-Periode“) fiel der Frühaufgang des Hundssternes wieder mit der ersehnten Nilflut – dem Neujahrstag des ägyptischen Jahres – zusammen. Im Jahre 139 n.Chr. wurde dieses bemerkenswerte Ereignis in Ägypten gebührend gefeiert. Damit lassen sich nun viele altägyptische Datierungen mit einem Spielraum von 4 Jahren astronomisch einordnen. Da in vielen alten Dokumenten exakt vermerkt wurde, in welchem Regierungsjahr eines Königs an welchem Jahrestag ein heliakischer Aufgang von Sothis erfolgte, kann man von 139 n.Chr. aus bequem über zwei Sothis-Perioden bis in das Jahr 2781 v.Chr. zurückrechnen. Vermutlich war es in dieser Zeit, der Regierungszeit von Pharao Djoser, als der berühmte ägyptische Gelehrte Imhotep die naturwissenschaftliche Meisterleistung des ersten Kalenders vollbrachte. Eine Korrektur der jährlichen Verschiebung zwischen Frühaufgang von Sothis und dem Neujahrsbeginn des bürgerlichen Wandeljahres wurde in altägyptischer Zeit nie versucht. König Ptolemäus III wollte bereits 238 v.Chr. diesen Missstand durch zeitweiliges Einschieben eines sechsten Zusatztages beseitigen. Erst Julius Caesar setzte auf Vorschlag von Sosigenes 46 v.Chr. eine Verbesserung des Kalenders durch, indem er einen zusätzlichen „Schalttag“ vorschrieb („Julianische Kalenderreform“) und die Tag- und Nachtgleiche auf den 25.März festlegte. Der Schalttag sollte alle vier Jahre an den Februar als Ende des römischen Jahres angehängt werden. Die Epagomenen verteilte er auf das ganze Jahr durch Bildung verschieden langer Monate mit 30 und 31 Tagen. Dieser nun mit dem 1.Jänner beginnende Julianische Kalender hatte eine Jahreslänge von 365,25 Tagen und war damit gegenüber dem „tropischen Sonnenjahr“ um 0,0078 Tage zu lang. Dieser unscheinbare Unterschied summiert sich in 1000 Jahren auf einen Fehler von ca. 8 Tagen. Im 16.Jhdt. war dieser Fehler bereits auf 11 Tage angewachsen und stellte die Berechnung des Ostertermins in Frage. Dieses Problem führte zu der von Papst Gregor XII angeordneten „Gregorianischen Kalenderreform“. Man ließ auf den 4.Oktober 1582 gleich den 15.Oktober folgen und ein Jahrhundertjahr sollte nur dann als Schaltjahr gelten, wenn es durch 400 teilbar ist. Die Genauigkeit des Gregorianischen Kalenders ist nun so groß, dass erst in 4900 Jahren ein Fehler von 1 Tag auftritt.