VERMEIDUNG VON KOMPLIKATIONEN AN GEHIRN UND HERZ 14. Wiener Diabetestag 17. März 2017 Florian Höllerl 1. Med. Abteilung, KA Rudolfstiftung Wien 1 DIE PANDEMIE DES TYP 2 DIABETES MELLITUS TYP 2 DIABETES MELLITUS IN ÖSTERREICH • österreichischer Diabetesbericht (2013) • Schätzung auf rund 573.000 bis 645.000 Menschen • Entspricht ca. 8 bis 9 % der Bevölkerung • Davon 430.000 ärztlich diagnostizierte Diabetes-Fälle (ca. 6 %) sowie geschätzte 143.000 bis 215.000 undiagnostizierte Diabetiker (rund 2 bis 3 %). LINZ Österreichischer Diabetesbericht 2013 SIGNIFIKANTE REDUKTION DER LEBENSERWARTUNG DURCH DIABETES Ein 50-jährige/r Diabetes PatientIn ohne Herz-Kreislauf-Erkrankung verliert durchschnittlich 6 Jahre Lebenserwartung verglichen mit Person ohne Diabetes Seshasai et al NEJM 2011; 364:829-41 KOMPLIKATIONEN DURCH DIABETES Schlaganfall Ein erhöhter Blutzuckerspiegel führt zu einer Schädigung der Blutgefäße. Man unterscheidet: - Augenschädigungen Diabetische Makroangiopathien (Arteriosklerose= Einengung und Verhärtung der „großen Gefäße“) Herzinfarkt Nierenschädigung - Diabetische Mikroangiopathien (Schädigung der kleinen Gefäße) Störung im Sexualleben - Nervenschädigungen Schädigung der Beinaterien Diabetischer Fuß GEHIRN SCHLAGANFALL HINTERGRUND • 10 Mrd. Nervenzellen • Hoher Sauerstoffbedarf • 2 % des Körpergewichtes • 15 % des Herzminutenvolumens SCHLAGANFALL HINTERGRUND Gefäßversorgung des Gehirns ISCHÄMISCHER HIRNINFARKT PATHOPHYSIOLOGIE • keine relevanten Vorräte an Sauerstoff und Glukose im Gehirn • Ständige Durchblutung erforderlich • Unterbrechung der Blutzufuhr über 4 min • Absterben von Nervenzellen • Unterbrechung der Blutzufuhr über 10 min • schwerste unumkehrbare Schäden SCHLAGANFALL • Plötzlich auftretende Funktionsstörung des Gehirns bzw. einer Hirnregion bedingt durch: – Durchblutungsstörungen des Gehirns – Hirnblutung • TIA (transistorisch ischämische Attake) • SCHLAGANFALL: nicht reversibel, – bleibende Schäden 85% 15% SCHLAGANFALL SYMPTOME • Lähmungs- und Taubheitsgefühl • Sprachstörung • Sehstörung Sofort Rettung verständigen SCHLAGANFALL • Dritthäufigste Todesursache in Österreich • Jährlich 24 000 Österreicher betroffen • ca. 12-14 pro Tag in Wien • 60 000 Patienten leben mit den Schlaganfallfolgen • Häufigste Ursache körperlicher Behinderung SCHLAGANFALL UND DIABETES • Bei Diabetikern ist Risiko 2- bis 4-fach erhöht. • Jeder fünfte Patient, der einen Schlaganfall erlitten hat, ist Diabetiker • Wenn Kombination Bluthochdruck und Diabetes 10faches Risiko. • HbA1c-Wert >8% und systolischer Blutdruck 150 mmHg um Faktor 13 erhöht HERZ DAS HERZ… • schlägt pro Minute etwa 70 Mal, also 100.000 Mal am Tag. • schlägt bis zum Alter von 70 Jahren mehr als 2,5 Milliarden Mal • ist ungefähr so groß wie eine geballte Männerfaust und wiegt etwa 300 Gramm. Ca. 12 cm lang und 8 cm breit • sorgt dafür, dass das Blut durch unseren Kreislauf befördert wird und alle Organe mit Sauerstoff, Nährstoffen und lebensnotwendigen Substanzen versorgt wird • pumpt sechs bis acht Liter Blut in der Minute durch unsere Blutgefäße HERZINFARKT Atherosklerose der Herzkranzgefäße führt zu einer verminderten Durchblutung des Herzmuskels FOLGEN: • KHK (Angina pectoris): Herzmuskelgewebe leidet Sauerstoffnot • Herzinfarkt: Herzmuskelgewebe stirbt ab In Österreich erleiden täglich rund 70 Personen einen Herzinfarkt durchschnittlich alle 21 Minuten oder 25.000 Mal pro Jahr HERZINFARKT SYMPTOME: • • • • • • Starke Schmerzen mit Ausstrahlung in linke Schulter, Rücken, Bauch, Unterkiefer etc. Massives Engegefühl Heftiges Brennen Übelkeit, Erbrechen, Atemnot und Schmerzen im Oberbauch Vernichtungsgefühl, Todesangst Bei Auftreten sofort Rettung verständigen HERZINFARKT • nicht reversibel (Narbe) • bei Diabetes ist das Risiko eines Infarktes auf das 2-4 -fache erhöht • bei Patienten mit langjährigem Diabetes oft ohne Vorzeichen, da Angina pectoris schlecht oder gar nicht gespürt wird („stummer “ Herzinfarkt) • bei 10% der Diabetiker wird Diabetes erst nach einem Herzinfarkt diagnostiziert VERMEIDUNG VON KOMPLIKATIONEN AN GEHIRN UND HERZ WAS KANN MAN TUN? EMPFOHLENE MAßNAHMEN • Screening auf Diabetes • Lebensstilmodifikation mit gesunder Ernährung, Gewichtsreduktion und körperlicher Aktivität • Patientenschulung • Gute Blutzuckereinstellung • Kontrolle von weiteren Risikofaktoren SCREENING AUF DIABETES SCREENING AUF DIABETES • Bei asymptomatischen Erwachsenen ≥45 Jahre in 3jährigem Abstand die Nüchternblutzuckerspiegel (alternativ HbA1c oder oraler Glukosetoleranztest) - Gesundenuntersuchung • unabhängig vom Alter bei Übergewicht (BMI ≥25 kg/m²) und einem oder mehreren zusätzlichen Risikofaktoren (z.B.) – Bluthochdruck – Hohes Cholesterin – Verwandte mit Diabetes LEBENSSTILMODIFIKATION MIT GESUNDER ERNÄHRUNG, GEWICHTSREDUKTION UND KÖRPERLICHER AKTIVITÄT BEWEGUNG Körperliche Aktivität: • induziert keine gravierende Gewichtsreduktion! aber: • • • • • • aktiviert die Muskulatur verbessert Stoffwechselsituation verbessert Gefäßfunktion verbessert die Körperwahrnehmung stärkt das Selbstvertrauen reduziert Morbidität und Mortalität WELCHER SPORT BEI ÜBERGEWICHT? Kein Sport! -> Bewegung • • • • • Radfahren Spazierengehen Nordic Walking Stiegensteigen Schwimmen © M. Halle, Zentrum für Sportmedizin und Prävention, Klinikum rechts der Isar, Technische Universität München 2010 GEWICHTSREDUKTION UM 5-10% STEIGERT DIE LEBENSERWARTUNG Als wichtigen Aspekt des Diabetes-Managements empfehlen die Leitlinien eine Änderung der Lebensgewohnheiten in Form einer Gewichtsabnahme und einer vermehrten körperlichen Aktivität1,2 16 Laut Studie bei übergewichtigen Patienten mit neu diagnostiziertem Diabetes, die im ersten Behandlungsjahr 10 kg Gewicht abnehmen, ist Lebenserwartung um 4 Jahre verlängert3 Lebenserwartung (Jahre) 15 14 13 12 11 10 9 8 Schattierte Fläche = 95% KI Ziel: Gewichtsreduktion um 5-10% 7 0 2 4 6 8 10 12 14 16 Gewichtsabnahme in den ersten 12 Monaten (kg) 1. Guidelines on diabetes, pre-diabetes, and cardiovascular diseases. Eur Heart J. 2007;28:88-136. 2. Nathan DM, et al. Diabetologia. 2009;52:17-306. 3. Lean ME, et al. Diabet Med. 1990;7:228-33. PATIENTENSCHULUNG DIABETESSCHULUNG Die Diabetes-Therapie ist überwiegend in Patientenhand, eine Diabetesschulung ist daher wesentliche Voraussetzung und elementarer Bestandteil des Selbst-Managements Programme mit Stärkung der Selbstkompetenz des Patienten (Empowerment) Anerkennung der Kompetenz des Diabetikers (Unterstützung beim Kennenlernen seiner Fähigkeiten, Wertsetzungen, Ansichten zu Gesundheitsaspekten) ACP Diabetes Care Guide. Verfügbar unter: http://diabetes.acponline.org/custom_resources/ACP_DiabetesCareGuide_Ch02.pdf?dbp. Stand: 2007 Schulungsprogramme für Gruppen verbessern die Behandlungsergebnisse bei Typ 2 Diabetikern IABETESSCHULUNG D Senkung von HbA1c, Blutdruck und Körpergewicht durch Gruppenschulungen (GS) im Vergleich zur Routinebehandlung (Kontrolle, K) 4-6 Monate Follow-up 12-14 Monate Follow-up HbA1c (%) Durchhscnittl. Unterschied GS vs. K 0 n= GS: 198 K: 197 Syst. Blutdruck (mmHg) GS: 522 K: 522 GS: 198 K: 201 GS: 168 K: 159 Körpergewicht (kg) GS: 277 K: 289 GS: 297 K: 294 -1 -2 -3 -1,35 -0,82 *p<0,00001 *p<0,00001 -2,61 *p=0,22 -4 -5 -6 -5,37 *p=0,011 -7 GS: Gruppenschulung; K: Kontrollpopulation *p-Wert des Tests für Gesamteffekt GS vs. K Deakin TA, et al. Cochrane Database Syst Rev. 2005;(2):CD003417. -2,13 *p=0,11 -1,61 *p=0,020 Diabetes-Schulungen verbessern das Wissen IABETESSCHULUNG über Diabetes und den HbA1c-Wert D HbA1c -Wert in Abhängigkeit von Schulungsart oder Routinebehandlung (ohne Schulung) Schulung + unterstützende Gruppensitzungen Schulung 8,4* 10 HbA1c (%) 8 Keine Schulung 6,6 6,5 6 4 2 0 Gilden JL, et al. Am Geriatr Soc. 1992;40:147-50. GUTE BLUTZUCKEREINSTELLUNG DIABETES MELLITUS - THERAPIEZIELE ALLGEMEINE THERAPIEZIELE • Vermeiden von Akutkomplikationen • Vermeiden von Spätkomplikationen • Symptomfreiheit sowie Erhalt bzw. Wiederherstellung der Lebensqualität BASIS JEDER DIABETESTHERAPIE IST EINE DAUERHAFTE LEBENSSTILINTERVENTION INDIVIDUELLE THERAPIEZIELE • • HBA1C primäre Richtgröße Die Zielwerte möglichst individuell an den jeweiligen Patienten in einem Bereich zwischen 6,5 % und 8,0 % anpassen: – 6,0–6,5 % bei kurzer Diabetesdauer, langer Lebenserwartung und ohne relevante Herz-Kreislauf-Erkrankung – 7 % ausreichend Therapieziel nicht komplikationslos und ohne große Gefahr für Hypoglykämien erreicht werden kann – 8 % – nötigenfalls bis 9,0 % – als ausreichend zu bewerten: mehreren schweren Hypoglykämien, eingeschränkter Lebenserwartung, multiplen Spätkomplikationen oder anderen Begleiterkrankungen Aus: Diabetesforum HbA1c-Zielwerte in Diskussion,Guntram Schernthaner 06.07.2015 HYPOGLYKÄMIE • • • • Per definitionem: BZ unter 70mg/dl Schwere Hypoglykämie: Fremdhilfe erforderlich Symptome: verschwinden nach Gabe von Kohlenhydraten Konsequenzen: kognitiver Abbau, Hospitalisierung, Mortalität Bei jeder Konsultation sollte nach Hypoglykämien gefragt werden! Symptome der Hypoglykämie Quelle: Arznei und Vernunft 2016 Autonom Neuroglykopenisch • • • • • • • • • • • • • • • Zittern Palpitationen Schwitzen Unruhe Hunger Nausea Kribbeln Konzentrationsstörung Konfusion Schwäche Sehstörung Sprachstörung Schläfrigkeit Kopfschmerz Schwindel KONTROLLE VON WEITEREN RISIKOFAKTOREN RISIKOFAKTORMANAGEMENT HEIßT… • Generelles Cholesterinziel • LDL-Cholesterin <70 mg/dl • Generelles Blutdruckziel • RR < 140/90 mmHg • Jährliche Kontrolle der Eiweiße im Harn • Vorzugsweise Albumin/Kreatinin-Ratio • Jährliche Augenärztliche Kontrolle TYP 2 DIABETES – GIBT ES HOFFNUNG? • in den letzten 20 Jahren: deutlicher Rückgang der diabetischen Komplikationen Gregg et al., NEJM 370:1514, 2014 EINE SENKUNG DES HBA1C WERTES UM 1% LOHNT SICH!!! • • • • 15 % weniger Schlaganfälle 35% weniger Augen- und Nierenschäden 18 % weniger Herzinfarkte 17 % Verminderung der Gesamtsterblichkeit Zusammenfassung • Herzinfarkte und Schlaganfälle sind bei Diabetikern häufiger • Moderate Gewichtsreduktion (5-10%) ist bereits zielführend • Kein Sport notwendig -> Bewegung! • Patientenschulung (HbA1c bis zu -2%!) • Zielwerterreichung bei Blutzucker und andere Risikofaktoren • Dadurch möglich Herzinfarkte und Schlaganfälle zu verhindern HERZLICHEN DANK FÜR IHRE AUFMERKSAMKEIT! 40