Dokumentationsmappe zur Implementierung einer Kontaktstelle für AD(H)S Zwickau, 03.03.2015 Titel: Dokumentationsmappe zur Implementierung einer Kontaktstelle für AD(H)S Auflage: 1. 2015 Herausgeber: Lernwerkstatt Zwickau e.V., gemeinnütziger Verein Wostokweg 33, 08066 Zwickau www.lernwerkstatt-zwickau.de Autoren: Ken Bleyer, Projektleitung Kontaktstelle für AD(H)S Zwickau, Dipl. Soz.-Päd. (BA), Heilpraktiker auf dem Gebiet der Psychotherapie, in Ausbildung zum Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (VT) Jeannine Wurzer, wissenschaftliche Begleitung & Evaluation der Kontaktstelle für AD(H)S Zwickau, Durchführung und Auswertung der Bedarfsanalyse als Masterarbeit M. Sc. (Psychische Gesundheit und Psychotherapie) Kontakt: www.adhs-zwickau.de [email protected] Für Fragen, Anregungen, Lob oder Kritik steht das Team der Kontaktstelle für AD(H)S zur Verfügung. Dokumentationsmappe als Download: www.adhs-zwickau.de/dokumentation.pdf (oder QR-Code scannen) Zur gelingenden Etablierung der Kontaktstelle leisteten die Partner des gegründeten „Netzwerkes für AD(H)S Zwickau“ (www.adhs-zwickau.de) durch ehrenamtliches Engagement einem unschätzbaren Beitrag. Zur besseren Lesbarkeit verzichten wir darauf, jeweils die männliche Form von Personenbezeichnungen anzugeben. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichwohl für beiderlei Geschlecht. 1 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung..................................................................................................................... 4 2. Theoretischer Hintergrund ........................................................................................... 5 2.1. Symptomatik ................................................................................................................ 5 2.2. Klassifikation ............................................................................................................... 7 2.3. Besonderheiten bei der Klassifikation im Erwachsenenalter ...................................... 8 2.4. Diagnostik .................................................................................................................... 9 2.5. Bestandteile der Diagnostik ....................................................................................... 10 2.6. Epidemiologie ............................................................................................................ 11 2.7. Komorbidität .............................................................................................................. 12 2.8. Ätiologie .................................................................................................................... 13 2.8.1. Neurobiologische und genetische Veränderungen .................................................... 13 2.8.2. Psychosoziale und Umweltfaktoren .......................................................................... 15 3. Einfluss des Wissenstandes auf die AD(H)S Symptomatik ...................................... 15 3.1. Aufklärungsmaßnahmen zur Wissensvermittlung..................................................... 16 3.2. Psychoedukation ........................................................................................................ 16 3.3. Bibliotherapie ............................................................................................................ 17 3.4. Elterntraining ............................................................................................................. 18 4. Wissen von Fachkräften und dessen Auswirkung ..................................................... 19 4.1. Versorgung ................................................................................................................ 20 4.2. Aktuelle Versorgungssituation .................................................................................. 20 4.3. Versorgungs- und Informationsbedürfnisse .............................................................. 21 4.4. AD(H)S assoziierte Problembereiche und deren Einfluss auf die Versorgung ......... 23 4.5. Forderungen in der AD(H)S Versorgung .................................................................. 24 4.6. Maßnahmen zur Verbesserung der Versorgung ........................................................ 26 5. Bedarfsanalyse .......................................................................................................... 26 5.1. Methoden ................................................................................................................... 27 5.2. Stichprobenbeschreibung........................................................................................... 27 5.2.1. Betroffene .................................................................................................................. 27 5.2.2. Angehörige ................................................................................................................ 28 5.2.3. Fachkräfte .................................................................................................................. 28 2 5.3. Ergebnisse .................................................................................................................. 29 5.3.1. Schwerpunkte möglicher Unterstützungs- und Informationsbedürfnisse ................. 29 5.3.1.1. Häufigsten Unterstützungs- und Informationswünsche von Betroffenen .......... 30 5.3.1.2. Häufigsten Unterstützungs- und Informationswünsche von Angehörigen ........ 31 5.3.1.3. Häufigsten Unterstützungs- und Informationswünsche von Fachkräften .......... 33 5.3.2. Unterscheiden sich die Befragten mit subjektiv viel Wissen vs. Personen mit subjektiv weniger Wissen .......................................................................................... 35 5.3.3. Zusammenhang: Subjektives Wissen und Unterstützungs- sowie Informationsbedürfnisse bei Betroffenen .................................................................. 35 5.3.4. Zusammenhang: Subjektives Wissen und Unterstützungs- sowie Informationsbedürfnisse bei Angehörigen ................................................................ 35 5.3.5. Zusammenhang: Subjektives Wissen und Unterstützungs- sowie Informationsbedürfnisse bei Fachkräften .................................................................. 35 5.4. Schlussfolgerung und Diskussion .............................................................................. 36 6. Kontaktstelle für AD(H)S Zwickau ........................................................................... 38 6.1. Ziele ........................................................................................................................... 39 6.2. Eckpunkte .................................................................................................................. 39 6.3. Statistik ...................................................................................................................... 39 6.4. Aufbau und Etablierung einer Kontaktstelle - Handlungsempfehlungen .................. 42 6.4.1. Schritt 1: Qualitätssicherung & Netzwerkarbeit ........................................................ 44 6.4.2. Schritt 2: Öffentlichkeitsarbeit .................................................................................. 47 6.4.2.1. Erstellen einer Website ....................................................................................... 47 6.4.2.2. Erschließung Sozialer Medien ........................................................................... 48 6.4.2.3. Druck von Flyern oder Visitenkarten ................................................................. 48 6.4.2.4. Informationsveranstaltungen und Vorstellung der Kontaktstelle ....................... 49 6.4.3. Schritt 3: Angebote für Fachkräfte des psychosozialen Bereichs ............................. 49 6.4.4. Schritt 4: Angebote für Betroffene & Angehörige .................................................... 50 7. Resümee..................................................................................................................... 51 8. Literaturverzeichnis ................................................................................................... 53 9. Anlagen ...................................................................................................................... 58 3 1. Einleitung Bei dem Aufmerksamkeitsdefizitsyndroms mit und ohne Hyperaktivität, kurz AD(H)S, handelt es sich um eine Störung mit zahlreichen Gesichtern (Reinfelder, 2012). Nicht selten werden unter Laien, aber auch unter Fachkräften Vorbehalte und Diskussionen über die reale Existenz des Aufmerksamkeitsdefizitsyndroms geäußert (Bruchmüller & Schneider, 2012; Roll, 2014). Debatten zur Thematik bestehen in den verschiedensten Bereichen (Bruchmüller & Schneider, 2012; Gebhardt, Finne, von Rahden, Kolip, Glaseke & Würdemann, 2008; Rothenberger & Neumärker, 2005). Im klinischen Bereich besteht weitestgehend Einigkeit über die Verbreitung der Symptomatik, allerdings werden Fragen zum Ausmaß der Symptomatik, den Ursachen und zu verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten diskutiert (Gebhardt et al., 2008). Vor allem bezüglich der Ursachen der AD(H)S gibt es wissenschaftlich kontroverse Auseinandersetzungen. Einerseits werden genetisch bedingte Hirnstörungen betont, auf der anderen Seite Umweltfaktoren und kulturelle Phänomene für das Syndrom verantwortlich gemacht (Ayan, 2012; Gebhardt et al., 2008). Weitere Diskussionsschwerpunkte liegen auf politischer Ebene auf der Gefahr der Stimulanzienbehandlung und der Kritik bezogen auf die Validität der AD(H)S als psychiatrischem Syndrom (Rothenberger & Neumärker, 2005). Zudem werden auf politischer Ebene (Rothenberger & Neumärker, 2005) und in der Öffentlichkeit (Bruchmüller & Schneider, 2012) gehäuft Sorgen um Über-/ und Fehldiagnosen geäußert. Nach der Stellungnahme des Vorstandes der Bundesärztekammer (2005a) sei es in den letzten Jahren zu keiner Zunahme der AD(H)S Symptomatik gekommen. Die Wahrnehmung der Störung sei jedoch in den Medien und der Gesellschaft deutlich gestiegen (Bundesärztekammer, 2005a). Dies verdeutlicht auch eine Medline-Recherche von Mandell, Thompson, Weintraub, DeStefano & Blank (2005). So wurden für das Jahr 1989 unter dem Suchbegriff ADHD (ADHD, englisch für ADHS) 185 Artikel gefunden, während für das Jahr 2000 die Zahl auf 541 Artikel im Kalenderjahr anstieg (Mandell et al., 2005). Die Kontaktstelle für AD(H)S Zwickau stellt eine Anlaufstelle für Betroffene, Angehörige und Fachkräfte dar mit dem dahinterliegenden Ziel multimodale Behandlungskonzepte effizient umzusetzen (Rosin & Bleyer, 2014). Darüber hinaus sollen bestehende Versorgungsstrukturen durch die Schaffung eines Netzwerkes mit einander verknüpft werden um eine leitliniengerechte Behandlung zu sichern (Kontaktstelle für AD(H)S Zwickau, 2012). Für die effiziente Umsetzung der multimodalen Behandlung ist auch der Einbezug der 4 Bedürfnisse der jeweiligen Zielgruppen relevant. Diese wurden in Form einer Bedarfsanalyse untersucht. Für dieses Gebiet liegen bisher nur wenige Studien vor. Diese Bedarfsanalyse verfolgt das Ziel in Form einer prospektiven Bedarfsanalyse die Wünsche und Bedürfnisse von Betroffenen, Angehörigen und Fachkräften zu erheben um indessen Folge gezielt auf diese einzugehen. Auf dieser Grundlage stellten sich die folgenden Forschungsfragen: „Welche Schwerpunkte sollte eine Kontaktstelle für AD(H)S für Betroffene, Angehörige und Fachkräfte bieten? “ und der Einfluss des subjektiven Wissens: „Unterscheiden sich Befragte mit subjektiv viel Wissen gegenüber Personen mit subjektiv wenig Wissen“. Die vorliegende Dokumentationsmappe bildet zum einen die aktuellen Ergebnisse der Bedarfsanalyse ab, zum anderen erfolgt in diesem Zusammenhang eine Dokumentation zum Aufbau einer Kontaktstelle für AD(H)S. 2. Theoretischer Hintergrund1 2.1. Symptomatik Erste Symptome der AD(H)S treten in der Regel schon in den ersten fünf Lebensjahren auf (Dilling, Mombour & Schmidt, 2005). Charakteristisch für diese Störung ist eine hohe interund intraindividuelle Variabilität in den beobachtbaren und dominanten Kernsymptomen (Rossi, 2004). Als Kernsymptome gelten auf der einen Seite eine reduzierte Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit, welche eng mit dem Durchhalte- und dem Reaktionsvermögen verbunden ist. Zum anderen findet sich ein hyperaktiver Anteil, welcher mit Bewegungsdrang, überschießende Verhaltensweisen, Unruhe oder auch Leichtsinnigkeit einhergeht (Dilling, Mombour & Schmidt, 2005; Mehler- Wex & Deimel, 2013). Zu diesen beiden Bereichen können Begleitmerkmale auftreten, welche für die Diagnostik nicht zwingend gegeben sein müssen, aber die Diagnose stützen. Hierzu zählen Symptom der Impulsivität mit mangelnder Frustrationstoleranz und der Missachtung sozialer Regeln (Dilling, Mombour & Schmidt, 2005). Ähnlich wie bei anderen Erkrankungen mit einer biographischen Dimension kann davon ausgegangen werden, dass in verschiedenen Lebensabschnitten sich der psychopathologische Ausdruck verändert (Retz-Jungnieger, Sobanski, Alm, Retz & Rösler, 2008). Für den Rückgang der Kernsymptome sind nach Renner und Kollegen (Renner, Gerlach, Romanos, 1 Teile der Einleitung und des theoretischen Hintergrundes stammen aus der Masterarbeit: „Bedarfsanalyse für die Kontaktstelle für AD(H)S Zwickau. Unterstützungs- und Informationsbedürfnisse von Betroffenen, Angehörigen und Fachkräften.“(Jeannine Wurzer, M. Sc.; Projektmitarbeiterin) 5 Hertmann, Reif, Fallgatter & Lesch, 2008) kompensatorische Strategien verantwortlich. Zur Kompensierung können beispielsweise psychosoziale und pädagogische Bedingungen in der Kindheit beitragen (Schlack, Hölling, Kurth & Huss, 2007), aber auch klare Regeln und Strukturen bis in das Erwachsenenalter (Paal, 2007). Zudem steigen bei Jugendlichen mit zunehmend Alter die Autonomiebestrebungen und reflektierenden Kompetenzen, wodurch das Bewusstsein um die eigene Störung und die damit verbundene Probleme wachsen können (Spröber, Brettschneider, Fischer, Fegert & Grieb, 2013; Tischler, Schmidt, Petermann & Koglin, 2010). Außerdem ermöglichen diese Veränderungen eine Differenzierung zwischen allgemeiner Unzufriedenheit bzw. gesundheitlichen Beeinträchtigungen und einem signifikanten Anstieg der Stresstoleranz (Tischler et al. 2010). Trotz der veränderten Symptomatik beeinflusst die Störung die Betroffenen auf eine vielfältige Weise, besonders im beruflichen und sozialen Kontext (Freese, 2012). In Tabelle 1 werden die alters- und entwicklungsabhängigen Symptome je nach Lebensabschnitt zusammenfassend abgebildet. Tabelle 1: Alters- und entwicklungsabhängige Symptomatik der AD(H)S (modifiziert nach Mehler-Wex & Deimel, 2013; BZgA, 2013) Vorschulalter - ziellose motorische Unruhe - Schlafprobleme - geminderter Appetit - Reizbarkeit - geringe Spieldauer - oppositionelles Verhalten - kaum beständige Freundschaften Schulalter Erwachsenenalter Bestehend im Verlauf hinzukommend -„zappeln“ im Unterricht - soziale Ausgrenzung - Zwischenrufen - Störung des - Stören Sozialverhaltens - hohe Ablenkbarkeit - Aggressivität - Leistungs- - Delinquenz schwierigkeiten - Schulverweigerung - Impulsivität - Alkohol- und - kurze passive Aufmerksamkeitsspanne - Vergesslichkeit Drogenkonsum - Risikobereitschaft - Leichtsinn - Depression - geringe Frustrationstoleranz - Probleme bei den Hausaufgaben - impulsive Suizidalität & Selbstverletzung - innere Unruhe - Organisationsschwäche - Ablenkbarkeit - Vergesslichkeit - Stimmungsschwankungen Neben den alters- und entwicklungsabhängigen Besonderheiten bestehen weiterhin geschlechtsspezifische Unterschiede. So überwiegen beim weiblichen Geschlecht über die Lebenszeit die Symptome der Aufmerksamkeitsstörung (Grosse & Skrodzki, 2014). Das 6 männliche Geschlecht ist demgegenüber hauptsächlich durch hyperaktives und impulsives Verhalten gekennzeichnet (Skrodzki, 2005). 2.2.Klassifikation Eine Abgrenzung zwischen hyperkinetischem und „normalem“ Verhalten ist prinzipiell ab drei Jahren möglich (BZgA, 2013), wobei eine Diagnose nach der Bundesärztekammer (2005b) ab einen Alter von sechs Jahren sicher gestellt werden kann. „Für eine konkrete Diagnosestellung der ADHS ist eine umfassende Diagnostik anhand anerkannter Klassifikationsschemata erforderlich“ (Döpfner et al. 2007, S.26; siehe auch Punkt 2.3 Diagnostik). In Deutschland werden hierfür die verbindlichen Diagnosekriterien des internationalen Klassifikationsschema ICD- 10 der Weltgesundheitsorganisation verwendet (BZgA, 2013; Gebhardt et al. 2008). Um eine AD(H)S nach ICD-10 zu diagnostizieren, können drei verschiedene Diagnosen in Betracht gezogen werden, die einfache Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung, die hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens und der Aufmerksamkeitsstörung ohne Hyperaktivität (Dilling, Mombour & Schmidt, 2005; siehe auch Abbildung 1). Dabei wird eine Beeinträchtigung der Aufmerksamkeit immer als Kernsyndrom gesehen, welche allein unter F98.8 (Aufmerksamkeitsstörung ohne Hyperaktivität) verschlüsselt wird (Dilling, Mombour & Schmidt, 2005). Die Verschlüsselung der Aufmerksamkeitsstörung mit Hyperaktivität erfolgt im ICD 10 unter der einfachen Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung (F90.0; Dilling, Mombour & Schmidt, 2005). Sind zudem die Kriterien für eine Störung des Sozialverhaltens erfüllt (z.B. wiederholtes und andauerndes dissoziales, aufsässiges oder aggressives Verhalten), wird eine hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens (F90.1) kodiert (Dilling, Mombour & Schmidt, 2005). Aufgrund der vorliegenden Unsicherheit über eine befriedigende Untergliederung der hyperkinetischen Störungen, welche mit dem Begriff AD(H)S zusammengefasst werden, erfolgt die Hauptuntergliederung nach dem Vorkommen der Begleitmerkmale (Dilling, Mombour & Schmidt, 2005). Dabei sollten die Kernsymptome vor dem sechsten bis siebten Lebensjahr auftreten und sich in den verschiedensten Lebensbereichen bemerkbar machen und im Vergleich zu Gleichaltrigen besonders stark ausgeprägt sein (Bundesärztekammer, 2005b; Dilling, Mombour & Schmidt, 2005). Zudem ist eine Dauer von mindestens 6 Monaten relevant, welche zu eine altersuntypischen Anpassung führt (Döpfner, Fröhlich & Lehmkuhl, 2000). 7 Abbildung 1: Spezifikation der Komponenten der AD(H)S- Diagnose (Kienbacher & Zesch, 2012) Nach ICD- 10 (Dilling, Mombour & Schmidt, 2005) beeinflusst das begleitende Vorhandensein, von Aggressivität, Delinquenz oder dissoziales Verhalten den Verlauf der Störung bis in das Adoleszenz- und Erwachsenenalter. 2.3. Besonderheiten bei der Klassifikation im Erwachsenenalter Im Erwachsenenalter können diese Diagnosen anhand derselben Kriterien vergeben werden. Notwendig ist hierbei die entwicklungsmäßige Anpassung der Normen bezüglich der Hyperaktivität und der Aufmerksamkeit (Dilling, Mombour & Schmidt, 2005). Zudem ist zu beachten, dass die Kriterien der ADHS durchgehend über die gesamte Lebensdauer erfüllt sind (Ebert, Krause & Roth-Sackenheim, 2003). Die Leitlinie- ADHS im Erwachsenalter schlägt aufgrund des Mangels an expliziten Kriterien im Erwachsenenalter die Wender- UtahKriterien vor, welche speziell für das Erwachsenenalter formuliert wurden (Ebert, Krause & Roth-Sackenheim, 2003). Neben den Kriterien der Hyperaktivität und der Aufmerksamkeitsstörung bei fehlender Stimulation, werden hierbei entgegen ICD-10 (Dilling, Mombour & Schmidt, 2005) verstärkt die häufig auftretenden Stimmungsschwankungen berücksichtigt. Außerdem müssen zwei weitere, der folgenden Merkmalen gegeben sein: Affektlabilität, desorganisiertes Verhalten, gestörte Affektkontrolle, Impulsivität und emotionale Überreagibilität (Ebert, Kraus, Roth- Sackenheim, 2003; Philipsen, Heßlinger & van Elst, 2008). In der folgenden Tabelle 2 werden die beiden diagnostischen Konzeptionen zur ADHS- Diagnostik gegenübergestellt. 8 Tabelle 2: Gegenüberstellung der diagnostischen ADHS- Konzeptionen ICD-10 und UtahKriterien (modifiziert nach Rösler, Retz, Retz- Jungnieger, Stieglitz, Kessler, Reimherr & Wender) ICD- 10 Utah- Kriterien Einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung, Obligatorisch: F90.0 Hyperaktivität Aufmerksamkeitsstörung ohne Hyperaktivität, F98.8 Fakulativ Aufmerksamkeitsstörung (mindestens Temperament, 2:) affektive Stressintoleranz, und Labilität, Desorganisation, Impulsivität Hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens, F91.0 Wie eingangs betont handelt es Nicht vorgesehen sich bei dem Aufmerksamkeitsdefizit- Hyperaktivitätssyndrom um eine Störung mit zahlreichen Gesichtern (Reinfelder, 2012). Deutlich wird dies vor allem an den verschiedenen Formen der Störung (siehe Abbildung 1) und in den psychopathologischen Veränderungen im Ausdruck der Störung über die Lebenszeit (Retz- Jungnieger et al., 2008). Daraus ergeben sich besonders für Fachkräfte veränderte Anforderungen für den Umgang, die Behandlung und die Diagnostik von Betroffenen. 2.4. Diagnostik Für eine leitliniengerechte Diagnostik ist eine interdisziplinäre Zusammenarbeit verschiedener Fachgruppen relevant. Neben der ärztlichen Basis- und Differentialdiagnostik bilden Verhaltensbeobachtungen von Lehrern, Erziehern und Eltern einen wesentlichen Bestandteil im diagnostischen Prozess (Hamburger Arbeitskreis ADS/ADHS, 2008, Schulte- Körne, 2008). Sie geben wichtige Informationen über die Verhaltens- und Erlebensweisen des Patienten in verschiedenen sozialen Lebensräumen (Bundesärztekammer, 2005a). Besonders das Wissen über die charakteristischen Auffälligkeiten des Störungsbildes kann erheblich zur Verdachtsdiagnose beitragen (Hamburger Arbeitskreis ADS/ ADHS, 2008). Gerade die Schule stellt für Betroffene eine besondere Beanspruchung dar, sodass Lehrer in der Therapie und Diagnostik als wichtige Kooperationspartner fungieren können (Ulbricht, 2005). Nach Ergebnissen der KiGGS- Studie Welle 1 werden die meisten Diagnosen in der Grundschulzeit gestellt, wobei die Diagnosespitze bei 6 Jahren – also beim Eintritt in die Schule - liegt (Schlack, Mauz, Hebebrand & Höllig, 2014). 9 Die Ziele der Diagnostik liegen nach der Bundesärztekammer (2005a) in der „[…] Erfassung der individuellen Symptomatik, [im] Erkennen der individuellen Umgebungsbedingungen, [in der] differentialdiagnostische Abgrenzung gegenüber anderer Störungen sowie [in der] Erfassung von kognitiven, motorischen, emotionalen und sozialen Faktoren […]" (Bundesärztekammer, 2005a, S.5). Zudem ist eine frühzeitige Diagnose für die kindliche Entwicklung bedeutsam. Frühinterventionen, welchen in dessen Folge eingesetzt werden können, beeinflussen den Störungsverlauf und die Schwere der Ausprägung positiv (RKI, 2008). Im Folgenden soll auf die Bestandteile einer Richtlinien konformen Diagnostik eingegangen werden. 2.5. Bestandteile der Diagnostik Nach der europäischen Richtlinie „NICE Clinical Practice Guideline- Attention Deficit Hyperactivity Disorder“ (National Collaborartion Centre for Mental Health, 2009) bestehen weder auf psychologischer noch biologischer Ebene bisher aussagekräftige Tests, welche eigenständig für eine valide AD(H)S- Diagnose sprechen. Für eine komplexe Einschätzung der Symptomatik ist daher eine Kooperation mehrerer Fachkräfte aus den unterschiedlichen Bereichen mit verschiedenen Techniken notwendig (National Collaboration Centre for Mental Health, 2009). Zur besseren Versorgung Betroffener wurde vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung (BMGS) eine interdisziplinäre Konsensuskonferenz durchgeführt und indessen Folge ein Eckpunktepapier erstellt (BMGS, 2002). In diesem wird für die konkrete Diagnosestellung eine umfassende Diagnostik und Differentialdiagnostik nach einem anerkannten Klassifikationsschema gefordert, auf Grundlage von klinischen Untersuchungen, Exploration und Verhaltensbeobachtungen. Zudem wird die Einbeziehung des Umfeldes, insbesondere der Eltern, zur störungsspezifischen Anamnese sowie zur Identifikation erschwerender sowie entlastender Umgebungsfaktoren betont. Lehrer oder Erzieher sollen darüber hinaus zur Fremdbeurteilung einbezogen werden (z.B. für Eltern: CBCL oder für Lehrer: TRF). Ergänzend sind Untersuchungen zu Teilleistungsschwächen und eine Intelligenzdiagnostik bedeutsam (BMGS, 2002). Gerade umfangreiche Verfahren zur Intelligenztestung (wie z.B. HAWIK oder WIE) bilden die Stärken und Schwächen einer Person adäquat ab und erlauben Schlussfolgerungen zur kognitiven und schulischen Leistungsfähigkeit (Schulte- Körne, 2008). Für die differenzierte Beurteilung der kognitiven Funktionen, welche zentral für die Aufmerksamkeit, die exekutiven Funktionen und das Gedächtnis sind, werden neuropsychologische Testverfahren (wie z.B KiTAP oder TAP) eingesetzt (Schulte- differentialdiagnostischen Körne, 2008). Abklärung Zur ein Diagnosesicherung Schwerpunkt 10 auf die wird bei der Erfassung von Begleiterkrankungen und ähnlichen Symptomen oder Teilsymptomen anderer Störungen gelegt (BMGS, 2002) Aus den Ergebnissen der Konsensuskonferenz lässt sich zusammenfassend, dass heute für eine adäquate Diagnostik verschiedene Beobachterperspektiven, -beobachterbeurteilungen, sowie umfangreiche Anamneseerhebungen und Explorationen wichtig sind (Schulte- Körne, 2008). Zudem sollten komorbide Störungen berücksichtigt und die schulische Leistungsfähigkeit überprüft werden (Schulte- Körne, 2008). Für diesen diagnostischen Prozess müssen verschiedene Informationsquellen (Betroffene, Angehörige, Fachkräfte) einbezogen werden (Schmidt & Petermann, 2005). Hierfür sind die subjektiven Blinkwinkel (Selbstbeurteilung/ Fremdbeurteilung) und die objektive Erfassung von Verhalten, Empfindungen und kognitive Fähigkeiten mittels psychometrische Verfahren, neben den Anamnesen und Explorationen notwendig. Gerade gut geschulte Fachkräfte können über ihren subjektiven Blickwinkel entscheidend zur Verdachtsdiagnose beitragen. In Anlage A1 werden die wesentlichen diagnostischen Aspekte anhand des „Leitfadens des Hamburger Arbeitskreises zur Diagnostik der ADS/ADHS“ (2008, S.27) strukturiert und in obligatorische und fakultative Maßnahmen untergliedert. 2.6. Epidemiologie Die Angaben über die Prävalenz der AD(H)S variieren zwischen verschiedenen Studien stark, abhängig von der Erhebungsmethode, Art der Stichprobe der regionalen (klinisch Reichweite, vs. bevölkerungsbezogen), der Art des der diagnostischen Klassifikationssystems und dem Ausmaß der berücksichtigten Auswirkungen auf das psychosoziale Funktionsniveau (Bundesärztekammer, 2005b; Schlack et al. 2014). Aktuelle Schätzungen der Prävalenz liegen für Deutschland durch den Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (KiGGS) vor, dabei wird für das Alter von 3- 17 Jahren eine Prävalenz von 5,0% angegeben (Schlack et al. 2007, 2014). Weitere 5,8% erfüllten die Verdachtskriterien. Jungen wurden mit 8,0% deutlich häufiger diagnostiziert als Mädchen (1,7%). Unter Betrachtung des sozioökonomischen Status lag die Diagnosehäufigkeit bei einem niedrigen Status (8,1%) mehr als doppelt so hoch als bei einem hohen Status (3,0%) (Schlack et al., 2014). Entgegen der früheren Lehrmeinung, dass sich die Symptomatik bis in das Erwachsenenalter auswachse (Arolt, 2008; Roll, 2014), kann heute die AD(H)S im Erwachsenenalter als ein etabliertes Störungsbild betrachtet werden (Schmidt & Petermann, 2011). Nach einer aktuellen US-amerikanischen, prospektiven Studie wurde eine Persistenz in das 11 Erwachsenenalter von 29,3% aufgezeigt (Barbaresi, Colligan, Weaver, Voigt, Killian & Katusic, 2013). Zu einem anderen Ergebnis kommt die DGPPN-Leitlinie „ADHS im Erwachsenenalter“, in der auf eine Persistenz von bis zu 80% bis in das Erwachsenenalter verwiesen wird (Ebert, Krause & Roth-Sackenheim, 2003). Darüber hinaus konnte in einer Längsschnittstudie (Biedermann, Mick & Faraone, 2000) gezeigt werden, dass mit steigendem Alter die gesamte AD(H)S- Symptomatik abnimmt, besonders in den Bereichen der Hyperaktivität und Impulsivität. Allerdings erfolgte nur bei 10% eine vollständige Remission (Biedermann, Mick & Faraone, 2000), d.h. Symptome der ADHS treten im Erwachsenenalter fast genauso häufig, aber weniger stark ausgeprägt auf. Das höchste Risiko für eine persistierende Symptomatik liegt nach der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bei Personen vor, welche in der Kindheit an einem kombinierten Subtyp litten (Lara et al. 2009). Weitere Faktoren für ein gesteigertes Persistenzrisiko stellen die Ausprägung der AD(H)S, eine hohe Belastung von komorbiden Störungen in der Kindheit und Störungen des affektiven Spektrums sowie eine antisoziale Persönlichkeitsstörung des Vaters dar (Lara et al. 2009). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Störung an sich und ihre geringe Zahl der vollständigen Remission (Barbaresi et al., 2013) einen erheblichen Einfluss auf das Leben der Betroffen und deren Angehörigen hat. Aus den daraus resultierenden Problemen (siehe 2.8.3) und den häufig damit verbundenen komorbiden Störungen (siehe 2.5) entwickeln sich besondere Anforderungen für die Versorgung und Behandlung. Zudem ergeben sich aus den Problemen auch Bedürfnisse auf welche eingegangen werden sollten und zum Teil im Bereich der Versorgung und Behandlung liegen (Hingst, 2007). 2.7. Komorbidität Vor allem bei einem unbehandelten Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom mit Hyperaktivität steigen ab dem zwölften Lebensjahr die komorbiden Störungen sprunghaft (Mehler- Wex & Deimel, 2013). Nach den Befragungsergebnissen der Gmüder ErsatzKasse (Gebhardt et al., 2007) besitzen 97,7% aller Kinder mit einer AD(H)S- Symptomatik mindestens ein assoziiertes Problem mit einer deutlichen bis massiven Ausprägung. Bei 50,7% liegen sogar mehr als drei komorbide Probleme vor (Gebhardt et al., 2008). Geschlechtsspezifisch zeigen Jungen signifikant höhere Ausprägungen bei motorischen Defiziten sowie dissozialen Verhalten, während die Symptomatik der Mädchen geprägt ist durch Ängstlichkeit, emotionale und schulische Leistungsprobleme (Gebhardt et al., 2008). Im Erwachsenenalter weisen 37,5% der Probanden keine Komorbidität auf, während. 33,2% eine und 23,7% die Kriterien für mehr als eine weitere psychische Störung erfüllten (Barbaresi et al., 2013). Zu 12 den häufigsten komorbiden Störungen zählen die Abhängigkeitserkrankungen, sowie Missbräuche, Sozialverhaltensstörungen, oppositionelle Störungen, affektive Störungen, Angststörungen, Tic- Störungen, Zwangsstörungen, Teilleistungsstörungen, Persönlichkeitsstörungen und Enuresis (Barbesi et al., 2013; Romanos, Schwenck & Walitza, 2008; Rösler & Retz, 2008). Zudem treten gehäuft komorbid Störungen des autistischen Spektrums auf (Harpin, 2005). Beim weiblichen Geschlecht liegt zudem bei rund 4% eine Essstörung vor (Krause & Krause, 2011; Rösler & Retz, 2008). Nach Schmidt & Petermann (2011) führen hohe Ausprägungen von AD(H)S- Symptomen zum Teil zu erheblichen Risiken, in der Entwicklung weiterer Beschwerden im psychischen und somatischen Bereich. Die daraus resultierenden komorbiden Beschwerden erschweren den differentialdiagnostischen Prozess (Arolt, 2008) und stellen somit gesteigerte Anforderungen dar, für die Arbeit der Fachkräfte. 2.8. Ätiologie Bis heute konnten die Ursachen für die AD(H)S nicht umfassend geklärt werden (Gebhardt et al., 2008). Wie in der Einleitung bereits betont, bestehen kontroverse Diskussionen über die verursachenden Faktoren, welche in der Regel multipel miteinander interagieren (Millnet, Hohmann, Poustka, Petermann & Banaschewski, 2013). Einflüsse auf die Symptomatik werden auf neurobiologische, genetische, psychosoziale und Umweltfaktoren zurückgeführt (Holtmann, 2012), die im Folgenden überblicksartig vorgestellt werden. 2.8.1. Neurobiologische und genetische Veränderungen Neurobiologisch betrachtet handelt es sich bei der AD(H)S sehr wahrscheinlich um eine Störung der Kommunikation zwischen Frontalhirn und Basalganglien (Renner et al., 2008). Zur Signalübertragung über die Nervenbahnen wird bei beiden Hirnarealen der Neurotransmitter Dopamin genutzt, wobei es bei AD(H)S zu dopaminergen Veränderungen kommt (Roll, 2014). In der Folge kommen die vom Neurotransmitter vermittelte Informationen nicht im ausreichenden Maß an (Renner et al., 2008, Reinberger, 2012). An diese Stelle setzen Medikamente an. In erster Linie werden Stimulanzien mit dem Wirkstoff Methylphenidat verwendet, welche eine anregende Wirkung auf den Organismus haben und nachweisbar positive Effekte für die medikamentöse Therapie besitzen (Benkert, Krause, Wasem & Aidelsburger, 2010). Die Wirkungsweise ist hierbei noch nicht vollständig geklärt. Es wird davon ausgegangen, dass die Dopaminwiederaufnahme an den Synapsen des Statium gehemmt wird und somit die Verfügbarkeit in den Synapsen steigert. Dies geschieht 13 aufgrund der verhinderten Rückführung der freigesetzten Dopaminmoleküle in die feuernden Nervenzellen (Müller, Candrian & Kropotov, 2011). Zudem erfolgt eine Stimulation der Dopaminrezeptoren im Frontalhirn und der Noradrenalinrezeptoren der signalempfangenden Nervenzellen (Vaidya & Stollstorff, 2008 zitiert nach Müller, Candrian & Kropotov, 2011). Nach Krause & Ryffel- Rawak (2000) beeinflusst Dopamin wesentlich den Antrieb sowie die Motivation und Noradrenalin die Aufmerksamkeitsleistung. Die genetische Disposition von AD(H)S gilt weitgehend gesichert Schimmelmann, Friedel, Christiansen, Dempflw, Hinney & Hebbebrand, 2006). Nach Smidt et al. (2003) ergibt sich eine Heritabilitätsschätzung von 0,6 bis 0,8 für AD(H)S. Diese Ergebnisse sprechen für eine Erblichkeitsschätzung von 60 bis 80%. Unter Betrachtung von Zwillingsstudien konnte bei monozygote Zwillingen eine Konkordanzrate von 50 bis 80% festgestellt werden und bei dizygote Zwillingen von 30 bis 40% (Smidt et al., 2003). Darüber hinaus besteht bei Verwandten ersten Grades im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung ein zwei- bis achtfach erhöhtes Erkrankungsrisiko (Faraone et al., 2005; Mick & Faraone, 2008 zitiert nach Millenet et al., 2013). Des Weiteren wurde ein Polymorphismus im DAT-Gen gefunden, der mit dem Vorliegen einer AD(H)S assoziiert ist und einen Erbcode für den Dopamintransporter beinhaltet (Renner et al., 2008; Reinberger, 2012). Aus den Ergebnissen von Assoziationsstudien und Genomscans mit hohen Fallzahlen ist allerdings davon auszugehen, dass der Phänotyp ADHS erst durch das gemeinsame Auftreten verschiedener Gen- Varianten bedingt werden, und somit kein monogener Erbgang vorliegt. Diese Kombinationen können bei verschiedenen Betroffenen aus unterschiedlichen prädisponierenden Gen- Polymorphismen zu dem Phänotyp AD(H)S führen (Schimmelmann et al. 2006, Huss, 2008). Trotz des hohen genetischen Anteils besitzen auch Umwelteinflüsse, über die komplexen Gen- Umwelt- Interaktionen, einen wesentlichen Anteil an der Pathophysiologie der AD(H)S (Schimmelmann et al., 2006, Renner et al. 2008). Heute wird davon ausgegangen, dass jeder Mensch mit einer unterschiedlichen Vulnerabilität (Anfälligkeit) geboren wird (Hamburger Arbeitskreis ADS/ADHS, 2008). Die Höhe der Vulnerabilität sowie die ergänzenden Umgebungsfaktoren sind entscheidend dafür, ob es zur Ausbildung der Störung kommt (Huss, 2008). 14 2.8.2. Psychosoziale und Umweltfaktoren Nach den Ergebnissen der KiGGS- Studien tritt wie oben berichtet AD(H)S gehäuft in Familien mit einem niedrigen sozioökonomischen Status auf (Schlack et al. 2007, 2014). Zudem fanden Esser, Fischer, Wyschkon, Laucht und Schmidt (2007) als Prädiktoren für eine spätere hyperkinetische Störung: eine Vernachlässigung im Säuglingsalter, frühe Kontaktstörungen des Kindes sowie die Herkunft der Mutter aus zerrütteten Verhältnissen. Außerdem sprechen vereinzelte Ergebnisse für den Einfluss der väterlichen Delinquenz (Esser et al., 2007). Des Weiteren werden pränatal Infektionen im Mutterleib, Alkoholabusus und Rauchen der Mutter sowie postpartal ein niedriges Geburtsgewicht und Komplikationen während der Geburt als Risikofaktoren gesehen (Esser et al., 2007; Huss, 2008; Laucht & Schmidt 2004; Paal, 2007). Auch werden belastende Lebensereignisse, unklare Tagesstrukturen, inkonsequentes Erziehungsverhalten, unzuverlässige und/ oder schnell wechselnde Beziehungsbedingungen, ein gestörtes Mutter- Kind- Verhältnis sowie die Vernachlässigung des Kindes bis zur Misshandlung als Einflussfaktoren betrachtet (Hamburger Arbeitskreis ADS/ADHS; Mehler- Wex & Deimel, 2013; Paal, 2007). Zudem reagieren 5-10% der Betroffenen auf unterschiedliche Nahrungsmittel (z.B. Laktose, Histamin und Fruktose) mit einer Verstärkung der AD(H)S- Symptome (BZgA, 2013, Paal, 2007). Aus diesen Ergebnissen lässt sich zusammenfassen, dass es verschiedene Einfluss- und Risikofaktoren gibt die die Entwicklung beziehungsweise deren Verlauf negativ beeinflussen. Gerade Einflussfaktoren wie unklare Tagesstrukturen und inkonsistentes Erziehungsverhalten können in Form verschiedener Angebote und Förderungen entgegengewirken (Mehler- Wex & Deimel, 2013). Verschiedene basale Schutzmechanismen, welche zum Teil von der Familie und dem sozialen Umfeld gefördert werden können, erwiesen sich in diesem Zusammenhang ebenfalls prognostisch günstig (Huss, 2008). Zu ihnen gehören unter anderen emotionale Geborgenheit, familiäre Unterstützung, die Verfügbarkeit kontingenter Verstärker, körperliche Gesundheit und ein positiver Erziehungsstil (Huss, 2008, Paal, 2007). Zukünftige Angebote sollten vermehrt auf diese Faktoren achten. Darüber hinaus spielt der Faktor Wissen eine entscheidende Rolle in der Behandlung und Förderung (Paal, 2007). Auf diesem wird im Folgenden vertieft eingegangen. 3. Einfluss des Wissenstandes auf die AD(H)S Symptomatik Ein Ziel der Bundesregierung „ […]ist es, durch geeignete Maßnahmen die gesunde psychische Entwicklung von Kindern und Jugendlichen - insbesondere von solchen in Risikosituationen- zu stärken und psychische Auffälligkeiten frühzeitig zu erkennen und zu 15 behandeln“ (Bundesministerium für Gesundheit, 2008, S.14). Hierzu tragen besonders gesundheitliche Aufklärungsmaßnahmen bei, wobei unter anderen elterlichen Kompetenzen zu fördern sind und somit die Schutzfaktoren der Kinder unterstützt werden. (Bundesministerium für Gesundheit, 2008). Neben der Zielgruppe der Eltern sind verschiedene Aufklärungsmaßnahmen auch bei verschiedenen Fachkräften und bei den betroffenen Personen selbst relevant (u.a. Krause & Ryffel- Rawak, 2000; Gebhardt et al. 2008). Nach Paal (2007) ist der Faktor Wissen für die Förderung und Behandlung von Bedeutung. Sowohl sensibilisierte, gut informierte Eltern, als auch gut aus- oder weitergebildete Pädagogen können eine nahezu normale Entwicklung ermöglichen. Die Folgenden Unterpunkte sollen die Bedeutung des Wissens verdeutlichen. 3.1.Aufklärungsmaßnahmen zur Wissensvermittlung In der Praxis zählen gesundheitliche Aufklärungsmaßnahmen zu einer der drei wesentlichen Behandlungssäulen (siehe Abbildung 2) der multimodalen AD(H)S- Behandlung (Gehrmann & Brandl, 2013). Die Aufklärungsmaßnahmen sind in der Säule psychosoziale Betreuung verankert und beinhalten zur Wissensvermittlung die Bereiche Beratung und Psychoedukation sowie Elterntrainings (Bundesministerium für Gesundheit, 2008; Gehrmann & Brandl, 2013). Abbildung 2: Säulen der multimodalen Behandlung bei AD(H)S (modifiziert nach Bundesministerium für Gesundheit, 2008; Gehrmann & Brandl, 2013) 3.2.Psychoedukation Bei der Psychoedukation werden systematische didaktisch- psychotherapeutische Interventionen verbunden, um Patienten, deren Angehörige und Bezugspersonen über die vorliegende Störung zu informieren (D´Amelio, Retz & Rösler, 2009). Sobald wesentliche 16 Symptome auch in den Arbeitsbereich bestimmter Berufsgruppen fallen, umfassen psychoedukative Maßnahmen auch Fachkräfte (Gebhardt et al., 2008). Im Wesentlichen umfasst diese Methode zwei verschiedene Bereiche: die edukativen und psychotherapeutischen Anteile. Dabei liegt die Schwerpunkt im edukativen Bereich in der Vermittlung störungsspezifischen Wissens, welches in der Regel das Störungsbild an sich, die Diagnostik, den Verlauf, verschiedene Behandlungsmöglichkeiten und die Ursachen betreffen (Ahrbeck, 2009; D´Amelio, Retz & Rösler, 2009; Gebhardt et al., 2008). Die psychotherapeutischen Anteile verfolgen demgegenüber die folgenden Ziele: Stärkung der Selbstakzeptanz, eigenverantwortlicher Umgang mit der Störung, Erhöhung der Compliance und adaptiverer Umgang mit Problemsituationen (D´Amelio, Retz & Rösler, 2009; Gebhardt et al., 2008). Unter Betrachtung verschiedener Studien konnte gezeigt werden, dass psychoedukative Maßnahmen die Symptomatik verbessern, die Zufriedenheit bei Kindern und deren Eltern steigern sowie Konfliktsituationen reduzieren (Psychoedukation bei ADHS, 2012). Nach D´Amelio, Retz & Rösler (2009, S.5) „ […] kann Psychoedukation bei ADHS im Erwachsenenalter als Instrument zur psychotherapeutischen „Basisversorgung“ […] aufgefasst werden, das sich bei Bedarf mit den anderen Bausteinen einer multimodalen störungsspezifischen Therapie kombinieren lässt“. 3.3.Bibliotherapie Eine weitere Form der Wissensvermittlung stellt die Bibliotherapie dar (Ryffel & Ryffel, 2004). Der Schwerpunkt liegt hierbei im angeleiteten Lesen von literarischen Material, Betroffenenberichten, Patientenratgebern, Therapie- und Selbsthilfemanualen, welche von Experten meist für Laien verfasst wurden (Angenendt, 2009). Auf therapeutischer Seite sollte hierfür ein detailliertes Wissen über die Inhalte der Literatur bestehen, sowie im Anschluss Verständnisfragen geklärt und strittige Punkte diskutiert werden (Angenendt, 2009; Kierfelder & Döpfner, 2006). Auf Eltern hat die Bibliotherapie häufig eine entlastende Wirkung (Ryffel & Ryffel, 2004). Nach langen Phasen der Ungewissheit finden sie Erklärung für die Probleme ihrer Kinder in den verschiedensten Lebensbereichen. Auch betroffene Erwachsene erkennen sich in den Literatur häufig wieder und empfinden dies hilfreich (Ryffel & Ryffel, 2004). Nach einer Pilotstudie von Kierfelder & Döpfner (2006) an 21 Kindern im Alter von 6 bis 15 Jahren wurde die Wirkung der Bibliotherapie bei ADHS untersucht. Dabei erfolgte über einen Zeitraum von 10 Wochen schrittweise die Durcharbeitung des Elternbuches „Wackelpeter und Trotzkopf“. Außerdem erfolgten wöchentliche Telefonkontakte, ein Erstgespräch sowie eine Eingangs- und Abschlussdiagnostik. Nach Beendigung der Therapie nahmen weniger als 17 20% eine anschließende intensive Therapie in Anspruch. Die Zufriedenheit wurde hoch eingeschätzt, zudem konnte das Erziehungsverhalten der Eltern gestärkt und ein signifikanter Rückgang des expansiven Verhaltens der Kinder beobachtet werden (Kierfeld & Döpfner, 2006). 3.4.Elterntraining Stehen AD(H)S induzierte Probleme zu Hause oder in der Familie im Vordergrund, so werden Elterntrainings präferiert (Gebhardt et al. 2008). Dabei kann die alltägliche Belastung im Umgang mit der Erkrankung des Kindes zur Überlastung der Erziehungsperson führen. Infolgedessen kann es zur sozialen Vereinsamung, partnerschaftlichen Problemen oder sogar zu einer innen Ablehnung des Kindes kommen (Gebhardt et al. 2008). Aus lernpsychologischer Sicht liegt das Ziel von Elterntrainings in der Veränderung ungünstiger Interaktionsmuster bis hin zu für die Familie akzeptableren und positiveren Verhaltensweisen (Petermann, 2008). Inhaltlich werden den Eltern Verhaltenszusammenhänge erläutert und sie darin befähigt gezielt andere Verhaltensweisen und Reaktionen zu zeigen. Wesentlich für den Erfolg ist dabei ein konsistentes Erziehungsverhalten mit regelmäßigen Verstärkern (Gebhardt, 2008; Petermann, 2008). Verschiedene Studien zeigen, dass ein positiver Erziehungsstil das Funktionsniveau von Vorschülern mit einer AD(H)S Symptomatik günstig beeinflusst (Healey, Gopin, Grossman, Campbell & Harperin, 2010; Healey, Flory, Miller & Harperin, 2011;). Zudem konnten Schreyer & Hampel (2009) zeigen, dass sich der Erziehungsstill von Müttern mit von AD(H)S betroffenen Kindern signifikant von dem der Mütter mit nicht betroffenen Kindern unterscheidet. Sie verwendeten seltener positive Erziehungsstrategien und zeigten weniger persönliche Zuwendung (Scheyer & Hampel, 2009). Unter Betrachtung der Ähnlichkeit der Symptomatik zwischen Mutter und Kind zeigten Psychogiou und Kollegen, dass die elterlichen Reaktionen auf das Verhalten des Kindes liebevoller, toleranter und positiver waren, bei Müttern welche ebenfalls starke AD(H)S- Symptome aufwiesen. Daraus resultierenden konnten weniger negative Mutter- Kind- Interaktionen beobachtet werden (Psychogiou et al. 2008). Häufig erkennen diese Eltern eigene Verhaltensprobleme in ihren Kindern wieder (Schmidt & Petermann, 2011). Internationalen Interventionsstudien zu Folge können Elternerziehungsprogramme, welche zur Stärkung der Erziehungskompetenzen entwickelt wurden, die Symptome bei betroffenen Kindern vermindern (Jones, Daley, 18 Hutchings, Bywater & Eames, 2007; McDaniel, Braiden & Regan, 2014). Diese Ergebnisse weisen auf die Relevanz der Stärkung der elterlichen Erziehungskompetenzen hin. Wie aus den Punkten Psychoedukation, Bibliotherapie und Elterntraining deutlich wurde stehen verschiedenste Wege der Wissensvermittlung für Betroffenen und Angehörige zur Verfügung. Um diese weiter zu optimieren sollte speziell auf die Bedürfnisse der Zielgruppen (Betroffene und Angehörige) eingegangen werden. 4. Wissen von Fachkräften und dessen Auswirkung Neben der Familie stellt die Schule für Kinder- und Jugendliche mit AD(H)S einen besonders anspruchsvollen Bereich dar. Daher werden die in diesem Bereich tätigen Berufsgruppen als wichtige Kooperationspartner gesehen (Ulbricht, 2005). Häufig werden die Symptome der AD(H)S erst mit Eintritt in das Schulalter als problematisch wahrgenommen. Lehrer und andere Beratungsfachkräfte wie Schulpsychologen oder Beratungslehrer werden in diesem Zusammenhang häufig als erste Ansprechpartner genutzt (Schweifer, 2009; Ulbricht, 2005). Nach einer Studie von Ohan, Cormier, Hepp, Visser & Strain (2008) konnte gezeigt werden, dass mittleres bis hohes Wissen von Lehrern sich positiv auf ihr eigenes Verhalten auswirkt. Lehrer fungieren als Bezugsperson, fördern die Integration innerhalb der Klasse und begleiten den Entwicklungs- und Lernprozess der betroffenen Kinder- und Jugendlichen (Ulbricht, 2005). Um mit den behandlungsbedürftigen AD(H)S Symptomen umzugehen ist die Aufklärung und Beratung der entsprechenden Fachkräften wesentlich (Gebhardt et al., 2008). Im Rahmen einer Umfrage auf der Bildungsmesse didacta gaben 77% der Befragten Lehrer an, sich nur teilweise oder schlecht über die AD(H)S Thematik informiert zu fühlen (Ulbricht, 2005). Dies spiegeln auch die Ergebnisse einer österreichischen Pilotstudie (Plattner, Aglan, Juen & Conca, 2013) wider. Danach sind Lehrer nicht optimal für den Umgang mit AD(H)SBetroffenen gerüstet. Von den Befragten gaben 65% an theoretisches Wissen über die Thematik zu besitzen, wovon 88,5% dieses Wissen auch für praktisch anwendbar hielten. Dem gegenüber bestand bei 9,8% der Befragten keinerlei Wissen über die Existenz des Aufmerksamkeitsdefizitsyndroms mit und ohne Hyperaktivität (Plattner et al. 2013). Zudem erschweren vorhandene Vorurteile und Vorbehalte der Lehrer eine sachliche Diskussion über die Störung und deren Therapiemethoden (Schweifer, 2009; Ulbricht, 2005). Unter den Fachkräften welche im schulischen Bereich tätig sind (Schularzt, Schulpsychologe, Klassenlehrer und Beratungslehrer) wurde in einer weiteren Studie das Wissen als ausreichend bewertet (Schweifer, 2009). Trotzdem des Wissenstandes schaffen es Schulärzte und Klassenlehrer nicht ihre gegebenen Ressourcen zu nutzen um ein Kommunikationsnetz 19 aufzubauen. Das Potenzial für Veränderungen wird auf Seiten der Schulpsychologen gesehen, welche das notwendige Wissen und die Ressourcen besitzen. Praktisch werden diese selten im Schulsystem eingesetzt (Schweifer, 2009). Die Vermittlungsposition zu externen professionellen Stellen können nach Schweifer (2009) vor allem von Beratungslehrern übernommen werden um ein Kommunikationsnetzwerk aufzubauen. Diesen Ergebnissen zufolge spielt die Schule eine wesentliche Rolle in der Betreuung und Förderung von AD(H)S- Betroffenen (Ulbricht, 2005). Das damit verbundene Potenzial der beteiligten Fachkräfte scheint jedoch nicht hinreichend genutzt (Plattner et al., 2013; Schweifer, 2009). Über einen weiteren Einbezug und Förderung der Fachkräfte und einen damit verbunden Eingang auf ihre Bedürfnisse und Wünsche, könnte die Versorgung und Vermittlung Betroffener optimiert werden (Schweifer, 2009). Auf dieser Grundlage stellt die Erforschung der Unterstützungs- und Informationsbedürfnisse von Fachkräften einen wesentlichen Bestandteil in der Versorgung und Behandlung Betroffener dar. 4.1.Versorgung Die Versorgung und Behandlung der AD(H)S gestaltet sich ähnlich vielsichtig wie die Störung selbst. In der aktuellen Literatur besteht Einigkeit darüber, dass die Behandlung multimodal, unter Einbeziehung verschiedener Fachkräfte ablaufen sollte (u.a. Bundesärztekammer 2005b; Grosse & Skorodzki, 2014; RKI, 2008). 4.2. Aktuelle Versorgungssituation Nach Angaben des Bundesministeriums für Gesundheit (2008) liegt bei einem erheblichen Anteil der Betroffenen im Kinder- und Jugendalter keine adäquate Behandlung vor. Ergebnissen von Schander, Trott und Schwarz (2010) zufolge werden zwei Drittel der von AD(H)S Betroffenen nicht von einen spezialisierten Facharzt gesehen. Eine kontinuierliche fachärztliche Betreuung erfolgt nur bei 15%. Zudem wird bei nur 11% der Betroffenen Kindern und Jugendlichen eine psychotherapeutische Behandlung durchgeführt (Schander, Trott & Schwarz, 2010) Hauptsächlich wird die Diagnose AD(H)S von Kinderärzten gestellt (Schlander, 2007). Dies sollte kritisch betrachtet werden, da eine gründliche Abklärung der Diagnose nur multidisziplinär erfolgen kann (Hamburger Arbeitskreis ADS/ADHS, 2008). Zudem fehlen Allgemein- und Kinderärzten häufig die nötige Vertrautheit in der psychologischen Diagnostik und Behandlung sowie der zeitliche Rahmen für eine umfangreiche Problemabklärung (Rothenberger & Neumärker, 2005). Dieser gesteigerte zeitliche Aufwand wird jedoch von dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen nicht adäquat abgebildet, sodass eine umfangreiche Betreuung momentan nur unter 20 Missachtung wirtschaftlicher Grundsätze erfolgen kann (Flintrop, 2010). Nach Hingst (2007) ist eine gute ärztliche Betreuung für die Zufriedenheit aller Beteiligten relevant. Die Ergebnisse von Kinnen & Döpfner (2013) unterstreichen dies, da sie signifikante Korrelationen der therapeutischen Beziehung (Therapeut- Kind- und Therapeut- ElternBeziehung) mit den Konstrukten Behandlungszufriedenheit, Symptomminderung und Verbesserung des kindlichen Funktionsniveaus feststellten. Weiterhin ist unter Betrachtung der aktuellen Versorgungssituation zu betonen, dass heute trotz gut validierter diagnostischer Verfahren zur Feststellung der AD(H)S im Erwachsenenalter, ausreichend qualifizierte Ärzte und Psychotherapeuten für die Behandlung und Diagnostik fehlen (Döpfner, Banaschewski, Krause & Skrodzki, 2009). Die daraus resultierenden Un- und Fehlbehandlungen führen nach der kassenärztlichen Bundesvereinigung zu erheblichen Folgen (Kassenärztliche Bundesvereinigung, 2008). In der Zukunft sollte daher darauf geachtet werden Fachärzte sowie Fachkräfte weiterzubilden und zu qualifizieren .Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass an den verschiedensten Stellen weiterhin Bedarf besteht die Versorgung zu optimieren. Aufgrund der Angaben des Bundesminsterium für Gesundheit (2008) sowie den Ergebnissen von Schander, Trott und Schwarz (2010) zeigt sich ein erheblicher Bedarf an adäquater fachärztlicher Betreuung und der multimodalen Behandlung durch spezialisierte Fachkräfte besteht. Auch die Ergebnisse von Schlander (2007) sprechen für eine zukünftige vermehrte interdisziplinäre Zusammenarbeit in der Diagnosestellung und Behandlung. Des Weiteren sollten besonders Allgemein- und Kinderärzte, welche am häufigsten die Diagnose stellen weitergebildet (Rothenberger & Neumärker, 2005) und von der gesetzlichen Krankenversicherung durch Anpassungen der Leistungskataloge unterstützt werden (Flintop, 2010). 4.3. Versorgungs- und Informationsbedürfnisse Anhand der aktuellen Versorgungssituation in Deutschland stellt sich die Frage nach den Bedürfnissen der Betroffenen selbst und deren Umfeld. Bei einer Befragung (Ergebnisse siehe Anlage A2) zu Versorgungsbedürfnissen der Eltern mit von ADHS betroffenen Kindern wurde deutlich, dass sich diese im nicht- ärztlichen Leistungsbereich am häufigsten Elterntrainings, Verhaltenstherapien, Kurmaßnahmen und Schulungen über die Erkrankung (Psychoedukation) wünschen (Hingst, 2007). Demgegenüber gaben jeweils über 70% an Hilfsmittel, Krankenpflege, Krankengymnastik, Rehabilitationsmaßnahmen, Leistungen des Sozialdiensts und des Case Managements, Logopädie sowie eine Entlastungspflege nicht zu benötigen (Hingst, 2007). 21 In einer weiteren Elternbefragung, welche von der Gmüder ErsatzKasse (Gebhardt et al. 2008) durchgeführt wurde, zeigten sich die größten Defizite im Informationsstand bei den befragten Eltern zu folgenden Themen: Behandlungsmöglichkeit im Erwachsenenalter (79,4%), geeignete Einrichtungen (Schule oder Kindertagesstätte, 75,8%) und Selbsthilfegruppen (67,6%) in der Nähe, Möglichkeiten und Grenzen der Verhaltenstherapie (58,8%) und anderer psychologischer Therapien (66,8%) sowie zu geeigneten Erziehungsstrategien (58,2%). Nach den Unterstützungsbedürfnissen befragt, gaben die von AD(H)S Betroffenen folgende Aspekte an (Gebhardt et al. 2008): In 67,3% Unterstützungsbedarf durch Lehrer und Erzieher, 61,0% in der Hausaufgabenbetreuung, 50,5% in der Umsetzung von Erziehungsmaßnahmen, 48,4% in der Wahl einer geeigneten Schule, 42,4% in Maßnahmen zur zeitlicher Entlastung und 40,6% in der Bewältigung eigener Probleme. Abbildung 3 sind weitere Problembereiche abgebildet in denen Eltern Unterstützungsbedarf in der Adoleszenz und im Übergang in das Erwachsenenalter sehen. Dabei liegt der Schwerpunkt in der Planung und Organisation des eigenen Lebens der Betroffenen (Gebhardt et al. 2008). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich die Studienlage zu den Versorgungs- und Informationsbedürfnissen lückenhaft darstellt und somit weiterer Forschungsbedarf besteht. Vor allem fehlen Angaben zu den Bedürfnissen der Fachkräfte und den Betroffenen selbst. Bisher liegen Daten für Betroffenen und Angehörigen hauptsächlich aufgrund von Elternbefragungen vor (Gebhardt et al., 2008; Hingst, 2007). Im Bereich der Fachkräfte gestaltet sich der schulische Sektor am stärksten erforscht (Plattner et al., 2013; Schweifer, 2009). Daher sollten neben dem pädagogischen Personal weitere beteiligte Berufsgruppen in die Forschung einbezogen werden, um die Versorgung zu optimieren. Neben den beteiligten Personengruppen, welche für die Behandlung und Versorgung relevant sind, sollten auch mit der Störung verbundene Problembereiche betrachtet werden. 22 Abbildung 3: Prozentanteil Jugendlicher mit Unterstützungsbedarf in den verschiedenen Lebensbereichen (Gebhardt et al., 2008) 4.4. AD(H)S assoziierte Problembereiche und deren Einfluss auf die Versorgung Nicht zuletzt ergeben sich aus den verschiedenen Problembereichen Ansatzpunkte für eine multimodale Behandlung, welche wiederum kombiniert werden können (Döpfner & Lehmkuhl, 2000; Gebhardt et al. 2008). Durch das Vorhandensein von meist mehreren Einschränkungen in den Funktionsbereichen (Aufmerksamkeit, Impulskontrolle, Aktivität), führt die Symptomatik nicht selten zu verschiedenen Problembereichen (Döpfner & Lehmkuhl, 2000). Darüber hinaus wurden in der Umfrage ADHS 360° (World Federation for Mental Health [WFMH], 2009) Eltern und Ärzte betroffener Kinder bezüglich der Auswirkung der Diagnose auf die Kinder befragt. Unter anderem berichteten 55% der Eltern Schwierigkeiten in Alltagskompetenzen, mehr als 50% berichteten Beeinträchtigungen in der Entwicklung eines positiven Selbstwertgefühls, über 40% beschrieben Probleme in der Kontaktaufnahme und/ oder Pflege zu Beziehungen mit Gleichaltrigen und 47% der Kindern falle es aus Sicht der Befragten schwer sich in der Schule angemessen zu verhalten. Sowohl Ärzte als auch Eltern sahen einen Einfluss der Diagnose auf die soziale und emotionale Entwicklung (WFMH, 2009). Auch im Erwachsenenalter liegen typische Problembereiche vor. Diese umfassen im Wesentlichen die Arbeit, das soziale Umfeld (Familie, Freunde, Kollegen), die Freizeit, den Haushalt und die Finanzen sowie alltägliche Erledigungen (Boekhoff, 2013). Nach Barkley, Murphey & Fischer (2008) kann eine unbehandelte AD(H)S im Erwachsenenalter zu einer höheren Scheidungs- und Arbeitslosenrate führen, sowie zu einem gesteigerten Unfallrisiko. Markant für die Störung im Erwachsenenalter sind Defizite in der Alltagsorganisation, ineffiziente Arbeitsweisen, eine schlechte Impulskontrolle und 23 emotionale Labilität (Freese, 2012). Abbildung 4 stellt überblicksartig eine Auswahl an verschiedenen Problemen im Kindesalter vor, denen entsprechende Ansatzpunkte in der Versorgung gegenübergestellt sind (Abbildung 5). Gerade bei Kindern und Jugendlichen ist die Arbeit eltern-, patienten- und schulzentriert möglich (Döpfner & Lehmkuhl, 2000). Abbildung 4: Problembereiche bei Kindern Abbildung 5: Ansatzpunkte multimodaler mit AD(H)S ( Döpfner & Lehmkuhl, 2000) Therapie (Döpfner & Lehmkuhl, 2000) Aus den verschiedenen Problembereichen und Behandlungsansätze ergeben sich somit unterschiedliche Bedürfnisse, welche für einen besseren Umgang und Förderung Betroffener und Angehöriger untersucht werden sollten. Im Folgenden werden weitere wichtige Aspekte für die AD(H)S Versorgung beleuchtet. 4.5. Forderungen in der AD(H)S Versorgung Nach Petermann (2005) ist für die Erreichung einer qualitätsgesicherten AD(H)S- Versorgung hauptsächliche ein gemeinsames Verständnis der Problematik, sowie eine enge Zusammenarbeit aller involvierten Personen im therapeutischen und sozialen Umfeld des Betroffenen relevant. Um dies Umzusetzen werden die folgenden Maßnahmen gefordert (vgl. Petermann, 2005): ein gemeinsames biopsychosoziales Verständnis aller Beteiligten, enge Kooperationen zwischen Ärzten, Psychologen, Psychotherapeuten und Pädagogen, 24 Weiterbildungen für pharmazeutisches Personal und Apotheker, Beratung und Aufklärung von Patienten, Lehrern und Eltern, Schul- und Elterntrainings, psychosoziale Unterstützungen, die Durchführung medikamentöser Therapien anhand anerkannten Leitlinien und die Bildung von Netzwerken Darüber hinaus empfehlen Döpfner und Kollegen (2010) für eine Verbesserung der Versorgungsqualität, der -strukturen und der -kapazitäten die folgenden Schritte: eine Verbesserung des pharmakotherapeutischen Managements, welches verbesserte initiale Dosisoptimierungen und eine leitliniengerechte Psychoedukation und Beratung beinhaltet, eine Optimierung der verhaltenstherapeutischen Versorgung, welche häufig aufgrund der mangelnden Versorgungskapazität nicht durchgeführt werden kann, sowie den Ausbau von interdisziplinären Versorgungsstrukturen wie sie in regionaler interdisziplinärer Qualitätszirkel und Netzwerke bereits teilweise praktiziert werden. Unter Betrachtung der deutlichen Belastungen für die Betroffenen, deren Familie und Umfeld empfiehlt das Robert- Koch- Institut (RKI, 2008) darüber hinaus möglichst frühzeitig die Diagnosestellung durchzuführen. Beim Vorliegen eines Verdachts stellt die lange Wartezeit auf die Diagnose und das Fehlen von Ansprechpartnern eine zusätzliche Belastung dar. Daher sollten sogenannte Wegweisersysteme eingerichtet werden, welche unterstützen und Zugänge zu Versorgungssystemen herstellen. In diesem Zusammenhang ist die Zusammenarbeit in einem interdisziplinären Team wichtig, welches in einem regionalen Experten- Team und ADHS- Netzwerk die Voraussetzung für eine qualitätsgesicherte Therapie herstellt (RKI, 2008). Durch den engeren Kontakt zwischen den verschiedenen Berufsgruppen könnte die Diagnosestellung schneller ablaufen und ein besseres Störungsmanagement aufgebaut werden (RKI, 2008). Zusammengefasst fordern Spezialisten (Döpfner et al. 2010, Petermann, 2005, RKI, 2008) die Vermittlung von einem gemeinsamen Störungsverständnis, Weiterbildungen von Fachkräften, eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit beispielsweise durch Netzwerke, Beratung, Aufklärung und Trainings von Betroffene, Angehörige und Fachkräfte beispielsweise durch feste Ansprechpartner sowie eine leitliniengerechte medikamentöse Behandlung. Sofern sich diese Forderungen mit den Bedürfnissen der Betroffenen, Angehörigen und Fachkräfte 25 gleichen, sollten diese für die zukünftige Angebotsplanung verstärkt in Betracht gezogen werden. 4.6. Maßnahmen zur Verbesserung der Versorgung Bereits 2002 wurde vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung eine Konsensuskonferenz einberaumt um die Versorgung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit ADHS zu verbessern (BMGS, 2002). Ausgangspunkt dieser Konferenz stellt der starke Anstieg in der Methylphenidatverschreibung dar (Döpfner & Lehmkuhl, 2003). Das Ziel lag in der Vermittlung eines gemeinsamen Verständnisses über das Krankheitsbild der ADHS in der Öffentlichkeit und unter betroffenen Familien sowie in der Behandlung. Des Weiteren „[…] sollte sichergestellt werden, dass die Verschreibung von stimulierenden Medikamenten (z.B. Methylphenidat) auf der Grundlage wissenschaftlicher Standards im Rahmen einer abgestimmten Diagnosestellung und umfassenden Therapie erfolgt“ (RKI, 2008, S.57). Zudem sollte eine Grundlage zum weiteren Ausbau regionaler und überregionaler Netzwerke geschaffen werden und in Kooperation mit den Elternverbänden die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Berufsgruppen verbessert werden (RKI, 2008). Die Ergebnisse der Konsensuskonferenz wurden in einen Eckpunktepapier festgehalten, welche in Anlage A3 abgebildet sind. Aus dieser Konferenz wurde ein Konsensus über die verbindlichen Standards in der Behandlung und Versorgung von AD(H)S erzielt (Döpfner, Krause, Resch & Skrodzki, 2007). Dies bildet die Grundlage verschiedener Versorgungskonzepte (Döpfner et al. 2007; Kassenärztliche Bundesvereinigung [KBV], Kassenärztliche Vereinigung Baden- Württemberg [KVBW] & BKK-VAG BadenWürttemberg [VAG BW], 2011) unter anderem der Vertragswerkstatt der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (2008) und der Kontaktstelle für AD(H)S Zwickau (2012). Des Weiteren stellt sich die Frage, inwieweit die seit fast 12 Jahren bestehenden Eckpunkte des Konsensuspapieres (z.B. Öffentlichkeitsarbeit, multimodale Behandlung, Reduzierung der Medikamentenverschreibung, Vernetzung) den heutigen Bedürfnissen der Betroffenen, Angehörigen und Fachkräften entsprechen. 5. Bedarfsanalyse 2 Zur Feststellung der individuellen Bedürfnisse (Unterstützungs- und Informationsbedürfnisse) von Betroffenen, Angehörigen und Fachkräfte wurde eine Bedarfsanalyse für einen Zeitraum 2 Die ausführlichen Ergebnisse der Bedarfsanalyse können in der Masterarbeit: „Bedarfsanalyse für die Kontaktstelle für AD(H)S Zwickau. Unterstützungs- und Informationsbedürfnisse von Betroffene, Angehörigen und Fachkräften.“ nachgelesen werden. Dieser Abschnitt dient des groben Überblickes über die wesentlichen Ergebnisse. 26 von über einen Jahr (14.03.13 bis 03.06.14) durchgeführt. In diesem Zusammenhang wurden N = 275 Teilnehmer mittels schriftlicher und Online- Befragung untersucht. Für die Auswertung erfüllten N = 238 die Kriterien (Betroffene: n = 39; Angehörige: n = 121; Fachkräfte: n = 78). Die Schwerpunkte der Arbeit lagen in den folgenden Fragestellungen: Welche Schwerpunkte an Unterstützungs- und Informationsangeboten sollte eine Kontaktstelle für AD(H)S für Betroffene, Angehörige und Fachkräfte bieten? Unterscheiden sich die Befragten mit subjektiv viel Wissen vs. Personen mit subjektiv weniger Wissen 5.1. Methoden Die Erhebung der Daten erfolgte über eine prospektive, korrelative Querschnittsanalyse. Der Schwerpunkt lag auf den Konstrukten: Unterstützungsbedürfnisse; Informationsbedürfnisse und das subjektive Wissen. Die Auswertung der Unterstützungs- und Informationsbedürfnisse erfolgte über die zusammenfassende qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring. Dem gegenüber wurde das subjektive Wissen quantitativ erhoben über eine fünf-stufige Likertskala mit den Antwortmöglichkeiten „sehr gut“, „gut“, „befriedigend“, „gering“ und „sehr gering“. Diese wurden wiederrum zur Auswertung in zwei Gruppen unterteilt, „subjektiv gutes Wissen“ (Antwortmöglichkeiten: sehr gut und gut) und „subjektiv weniger gutes Wissen“ (Antwortmöglichkeiten: befriedigend, gering und sehr gering). 5.2. Stichprobenbeschreibung Insgesamt gaben n = 72 Teilnehmer der Onlinebefragung an auf die Studie über den Link der Website aufmerksam geworden zu sein, während n = 129 über andere Kanäle (z.B. soziale Netzwerke (n = 42), Studium (n = 28), Mitarbeiter der Kontaktstelle oder des Netzwerkes (n = 24), berufliche oder ehrenamtliche Veranstaltungen/ Treffen (n = 20), öffentliche Veranstaltungen (n = 8), Recherche (n = 6), andere (n = 6)) aufmerksam geworden sind. Dabei unterschieden sich die Subgruppen der Befragten signifikant hinsichtlich ihres Zugangsweges zur Studie (χ²(2) = 34,424, p ≤ .001). Die standardisierten Residuen sprechen dabei für eine signifikant höhere Nutzung der Verlinkung auf über die Website (ri = 2,8) durch Angehörige, während die Fachkräfte über andere Wege auf die Studie aufmerksam wurden (ri = 2,8). 5.2.1. Betroffene Die befragten Betroffenen ließen sich anhand ihrer Diagnose weiter differenzieren. So gaben 33,3% (n = 13) an, von ADS sowie 38,5% (n = 15) von ADHS betroffen zu sein. Weitere 27 28,2% (n = 11) seien sich nicht sicher, ob die Diagnose AD(H)S vorliegt. Das durchschnittliche subjektive Wissen der Gruppe über AD(H)S lag mit M = 2,36 (SD = 1,01) zwischen den Antwortkategorien subjektiv guten (2) und befriedigenden (3) Wissens. 5.2.2. Angehörige Die Untergruppe der Angehörigen (n = 121) besteht mit 87,6% (n = 106) hauptsächlich aus Müttern. Die restliche Gruppe der Angehörigen setzt sich aus Vätern (7,4%; n = 9) und sonstigen Familienangehörigen (5,0%; n = 6) zusammen. Unter den sonstigen Familienangehörigen werden Großmütter, Onkel, Tanten, Geschwister und Partner gefasst. Aufgrund der Dominanz der Mütter und die daraus resultierenden kleine Stichprobengröße der Väter und sonstigen Familienangehörigen wurde auf eine differenzierte Betrachtung der Angehörigen verzichtet. Nach dem subjektiven Wissen befragt schätzten n = 118 der befragten Angehörigen ihr eigenes Wissen im Durchschnitt mit M =2,51 (SD = 1,00) zwischen gut (2) und befriedigend (3) ein. Zu ihrer eigenen AD(H)S Symptomatik befragt, antworteten n = 120 Angehörige. Von diesen verneinten 53,3% (n = 64) eine eigene Betroffenheit. Eine weitere Person (0,8%) machte keine Angaben. Klar bejaht wurde die Frage von 7,5% (n = 9) bezüglich ADHS und 6,7% (n = 8) für ADS. Zudem gaben 31,7% (n = 38) an sich über die eigene Diagnose nicht sicher zu sein. 5.2.3. Fachkräfte Die Untergruppe der Fachkräfte wurde über die Inhaltsanalyse in verschiedene Berufsgruppen unterteilt. Die einzelnen Berufskategorien werden in Tabelle 3 dargestellt. Eine Person (1,3 %) gab hierbei keine Berufsgruppe an. Mit 37,2% (n = 29) bilden die Studenten (hauptsächlich aus der Fachrichtung: Sozialpädagogik) die größte Berufsgruppe. Jeweils 19,2 % (n = 15) der Fachkräfte konnten den Berufsgruppen im psychologisch/ sozialpädagogischen Bereich, zu den pädagogischen Berufen und zu den sonstigen Berufen im Rahmen der ADHS Behandlung zugeordnet werden. Zudem war die Berufskategorie Mediziner (n = 2; 2,6%) zweimal vertreten und eine Fachkraft wurde zu den sonstigen Berufen außerhalb der ADHS Behandlung (n = 1; 1,3%) zugeordnet. Das durchschnittliche Wissen aller Fachkräfte liegt bei M =2,65 (SD = 0,74) und zwischen den Antwortkategorien guten (2) und befriedigenden (3) Wissen Tabelle 3: Verteilung der Fachkräfte in die verschiedenen Berufsgruppen 28 Berufsgruppe Häufigkeit % psychologisch/ sozialpädagogische Bereich 15 19,2 Studenten 29 37,2 pädagogische Berufe 15 19,2 Mediziner 2 2,6 sonstige Berufe im Rahmen der ADHS-15 19,2 Behandlung sonstige Berufe 1 1,3 fehlende Berufsangabe 1 1,3 Gesamt 78 100 5.3. Ergebnisse Zur Beantwortung der Fragestellung: „Welche Schwerpunkte an Unterstützungs- und Informationsangeboten sollte eine Kontaktstelle für AD(H)S für Betroffene, Angehörige und Fachkräfte bieten?“ wurde ein Kategoriensystem induktiv aus den bestehenden Daten erstellt. Um diese Forschungsfragestellung detailliert beantworten zu können, werden die drei Teilnehmergruppen getrennt betrachtet. Die Basis dieser Differenzierungen stellt eine überblicksartige Darstellung der einzelnen Unterstützungs- und Informationswünsche aller Befragten dar. Für die Feststellung der Bedürfnisse werden die vergebenen Kategorien beider Beurteiler gemittelt (gH = gemittelte Häufigkeit). 5.3.1. Schwerpunkte möglicher Unterstützungs- und Informationsbedürfnisse Rund drei Viertel (75,6%, n = 180) aller Befragten bejahten die Frage nach weiteren Unterstützungswünschen, wie auch nach weiteren Informationsbedürfnissen (76,8%, n = 172). Nach den Informationswünschen befragt, lagen von n = 14 Teilnehmern fehlende Daten vor, sodass diese aus der diesbezüglichen Analyse ausgeschlossen werden mussten. Für beide erfragte Bedürfnisarten (Unterstützung: χ²(2) = 64,689, p ≤ .001; Informationen: χ²(2) = 64,689, p ≤ .001) ergaben sich signifikante Unterschiede zwischen den verschieden Gruppen der Befragten. Dabei schwankte der Anteil der Befragten, welche die Frage nach Unterstützungswünschen bejahten zwischen 91,7% der Angehörigen und 43,6 % der Fachkräfte (Betroffene: 89,7%). Dem gegenüber berichteten 88,3% der Angehörigen, 78,4% der Betroffenen und 59,2% der Fachkräfte Informationswünsche. Das standardisierte Residuum spricht für eine deutlich geringe Äußerung von Unterstützungsbedürfnissen bei 29 Fachkräften (ri = -3,3). Bei den Informationsbedürfnissen konnte anhand der standardisierten Residuen, nicht auf eine bestimmte Teilnehmergruppe geschlossen werden. 5.3.1.1. Häufigsten Unterstützungs- und Informationswünsche von Betroffenen Mit 19,2% (gH = 5) wurden am häufigsten Unterstützungswünsche hinsichtlich Therapieund Hilfsangeboten betont: „Beratung zum Thema Hilfsangebote […] (Teilnehmer ID: 1377227746)“, „Eine Art PIF private individual Förderung - die ich annehmen kann wenn es wichtig, dringend und nötig ist, die sich individuell einstellt um mir zu helfen und dann auch wieder weg ist wenn ich es alleine kann ... (Teilnehmer ID: 1380561467)“. Insgesamt wurden sechs verschiedene Kategorien an Unterstützungsbedürfnissen bei Betroffenen ermittelt, deren Häufigkeit über 10% (gH ≥ 2,6) lag. Neben der Kategorie Therapie- und Hilfsangebote zählen zu den fünf häufigsten die Kategorien Diagnostik (gH = 4,5), Fachkräfte/ Fachärzte mit Spezialisierung (gH = 4), Ansprechpartner (gH = 3,5), Training (gH = 3,5) und Einrichtungen mit Spezialisierung (gH = 3). Unter Betrachtung der Informationswünsche äußerten über 20% (gH ≥ 3,4) der Betroffenen den Wunsch nach Informationen zu Fachkräften und Fachärzten mit Spezialisierung (gH = 4): „Wer arbeitet wissenschaftlich fundiert und ist Experte aufgrund jahrelanger Erfahrung in der Arbeit mit erwachsenen ADHS-Betroffenen?“ (Teilnehmer ID: 1393938922), „Kontaktdaten zu Fachärzten/ Fachkliniken !“ (Teilnehmer ID: 1376056280), „Neurologen die ADHS behandeln […]“ (Teilnehmer ID: 1397131665). Zudem wurden konkrete Wünsche nach Informationen aus den folgenden Kategorien von mehr als 10% (gH ≥ 1,7) der Befragten formuliert: aktuelle Forschungsergebnisse (gH = 3), Erfahrungsaustausch (gH = 3), Einrichtungen mit Spezialisierung (gH = 2,5) und sonstige störungsspezifische Informationen (gH = 2). Tabelle 4 fasst die am häufigsten genannten Kategorien noch einmal überblicksartig zusammen. Tabelle 4: Unterstützungs- und Informationsbedürfnisse, welche von ≥ 10% der Betroffenen angegeben wurden Kategorie gH % κ „Beratung zum Thema Hilfsangebote […]“(1377227746) 5 19,2 ,505 „Einen guten Arzt für eine Diagnose, bin 30 und das Chaos 4,5 17,3 ,866 Ankerbeispiel (Teilnehmer ID) Unterstützungsbedürfnisse (n= 26) Therapie- und Hilfsangebote Diagnostik 30 nimmt kein Ende.....sehr schwere Zeit)“ (1389739276) Fachkräfte/ Fachärzte mit „Endlich einen engagierten Facharzt, welcher sich auch mit Spezialisierung ADS im Erwachsenenalter auseinandersetzt und etwas tut, 4 15,4 ,705 3,5 13,5 ,835 3,5 13,5 ,835 ADHSler“ 3 11,5 1,000 Fachkräfte/ Fachärzten mit „Wer arbeitet wissenschaftlich fundiert und ist Experte 4 23,5 1,000 Spezialisierung aufgrund 3 17,6 1,000 anstatt nur den Sachverhalt zur Kenntnis zu nehmen.“ (1392222272) „[…] Ansprechpartner allgemeine Meisterung des Lebens Ansprechpartner […]“ (1377227746) „Coaching für die Alltagsbewältigung“ (1396512553) Training Einrichtungen mit Spezialisierung Spezielle Job/ Ausbildungsangebote für (1398882119) Informationsbedürfnisse (n= 17) jahrelanger Erfahrung in der Arbeit mit erwachsenen ADHS-Betroffenen?“ (1393938922) aktuelle „Laufende Studien und Studienergebnisse, Zugang zu den Forschungsergebnisse Fachinformationen bzgl. Medikamente“ (1402966244) Erfahrungsaustausch „Gruppen in meiner Nähe“ (1397131665) 3 17,6 1,000 „Schulen wo man Ausbildung oder Umschulung machen 2,5 14,7 ,765 Einrichtungen Spezialisierung mit kann, die gefördert werden und für Erwachsene sind“ (1373584832) Anmerkung: Die gemittelte Häufigkeit (gH) stellt den Mittelwert der ermittelten Häufigkeiten für die Kategorien beider Rater dar. Prozentangaben (%) beziehen sich auf die jeweilige Gruppe der Befragten 5.3.1.2. Häufigsten Unterstützungs- und Informationswünsche von Angehörigen Annähernd ein Viertel (24,7%) der Befragten äußerten den Wunsch nach Unterstützung bei verschiedenen Therapie und Hilfsangeboten (gH = 18). Dazu äußerten sie beispielsweise: „bessere Betreuungsangebote, besseres Angebot für Jugendliche und junge Erwachsene […]“ (1393566933), „Angebote die man sich nicht mühsam zusammen suchen muss (1367365118)“ oder „klare Therapievorschläge […]“ (1368273831). Zwischen 10 (gH ≥ 7,3) und 20% (gH ≥ 14,6) der Angehörigen äußerten jeweils Wünsche bezüglich den folgenden Kategorien: Umgang mit Betroffenen (gH = 13,5), Erfahrungsaustausch (gH = 9), Training (gH = 8,5) Fachkräfte und Fachärzte mit Spezialisierung (gH = 8,5), Einrichtungen mit Spezialisierung (gH = 8,5), Ansprechpartner (gH = 7,5), Öffentlichkeitsarbeit (gH = 7,5). 31 Nach den Informationswünschen befragt, betonten 22,6% sich weitere Informationen bezüglich des Umgangs mit den Betroffenen (gH = 12) zu wünschen. Weitere vier Kategorien wurden von mehr als 10% (gH ≥ 5,3) benannt. Zu diesen gehören Informationen zu den Behandlungsmöglichkeiten (gH = 10), zu sonstigen störungsspezifischen Informationen (gH = 9), zum Erfahrungsaustausch (gH = 6), sowie zur Beantragung von Hilfen und Leistungen (gH = 5,5). Tabelle 5 verdeutlicht die jeweiligen Kategorien, welche sich aus den konkreten Wünschen der Angehörigen ergeben. Tabelle 5: Unterstützungs- und Informationsbedürfnisse, welche von ≥ 10% der Angehörigen angegeben wurden Kategorie Ankerbeispiel (Teilnehmer ID) gH % κ 18 24,7 ,488 13,5 18,5 ,864 9 12,3 1,000 8,5 11,6 ,688 Unterstützungsbedürfnisse (n = 73) Therapie- und Hilfsangebote „Beratung zum Thema Hilfsangebote […]“(1377227746) „Hilfe bei Alltags- und Umgangsfragen, Möglichkeiten Umgang mit Betroffenen wie ich mein Kind zur Ruhe bekomme“ (1380362025) „Selbsthilfe Erfahrungsaustausch für das Kind und die Familie ( Selbsthilfegruppe o.ä.)“ (1392556367) „Unterstützung in Bezug auf vorschulischen Therapien, Training z.B.: das Kind darauf vorbereiten das es in der Schule auf seinem Platz bleiben muss“ (1365756206) Fachkräfte/ Fachärzte mit „Informationen über Ärzte“ (1373698553) 8,5 11,6 ,801 mit „Spezielle Job/ Ausbildungsangebote für ADHSler“ 8,5 11,6 ,534 7,5 10,3 ,926 7,5 10,3 ,861 12 22,6 ,783 Spezialisierung Einrichtungen Spezialisierung (1398882119) Ansprechpartner „[…] Ansprechpartner allgemeine Meisterung des Lebens […]“ (1377227746) Öffentlichkeitsarbeit „mehr Verständnis vom Umfeld, Schule, Familie, etc.“ (1366210638) Informationsbedürfnisse (n = 53) Umgang mit Betroffenen „Wie bewältige ich den Alltag mit meinem Kind? Wie Reagiere ich richtig?“ (1380362025) 32 „"Leitfaden ADHS" Unterstützende Therapien zur Behandlungsmöglichkeiten 10 18,9 ,753 „Wie viel Autismus bei ADHS?“ (1402196330) 9 17,0 ,866 „Erfahrungen anderer Betroffener“ (1403426046) 6 11,3 ,898 „Leistungen der Krankenkasse“ (1397851014) 5,5 10,4 ,898 medikamentösen Behandlung“ (1384115545) sonstige störungsspezifische Informationen Erfahrungsaustausch Beantragung Hilfen und Leistungen Anmerkung: Die gemittelte Häufigkeit (gH) stellt den Mittelwert der ermittelten Häufigkeiten für die Kategorien beider Rater dar. Prozentangaben (%) beziehen sich auf die jeweilige Gruppe der Befragten 5.3.1.3. Häufigsten Unterstützungs- und Informationswünsche von Fachkräften Anhand der individuell geäußerten Bedürfnisse der Fachkräfte ergaben sich fünf Kategorien an Unterstützungsbedürfnissen und drei Kategorien an Informationsbedürfnissen welche von mehr als 10% (Unterstützungsbedürfnisse: gH ≥ 3,0; Informationsbedürfnisse: gH ≥ 3,6) der Fachkräfte benannt wurden. Mit 28,3% aller Fachkräfte bildet sich die Kategorie Interdisziplinäre Zusammenarbeit (gH = 8,5) als stärkste Kategorie heraus. Hierzu äußerten die Befragten konkret: „Bessere Vernetzung der Hilfsangebote, bessere Unterstützung durch die Jugendämter, bessere Unterstützung durch das Schulministerium/ Lehrer“ (Teilnehmer ID: 1375739731), „Rückinformation bei Vermittlung“ (Teilnehmer ID: 1373205546), „Erfahrungswerte bzgl. weiterer Behandlungs- bzw. Kombinationsbehandlungsmöglichkeiten“ (Teilnehmer ID: 1406702298). Weitere 20% der Fachkräfte äußerten Unterstützungswünsche in Bezug auf der Kategorie Schulung Fachkräfte (gH = 6): „Schulung von Lehrern (z.B. zur Frage: Wie gehe ich mit AD(H)S- Schülern um“ (Teilnehmer ID: 1392453896), „kostengünstige Fortbildung durch Netzwerk“ (Teilnehmer ID: 1399769428). Mehr als je 10% (gH ≥ 3,0) der befragten Fachkräfte äußerten zudem Unterstützungswünsche aus den Kategorien: Therapie- und Behandlungsangebote (gH = 4,5), Angebote für Angehörige (gH = 3,5) und Öffentlichkeitsarbeit (gH = 3,5) Bei den konkreten Informationswünschen wurde keine Kategorie von mehr als 20% der Teilnehmer, allerdings drei Kategorien von mehr als 10% der Teilnehmer benannt. Am häufigsten wurde hierbei mit 19,4% (gH = 7) der befragten Fachkräfte Antworten der Kategorie sonstige störungsspezifische Informationen formuliert. Diese äußerten beispielsweise Informationswünsche über die Krankheit: allgemein „Infobroschüre; bzw. Web-Seite mit aktuellen Informationen“ (Teilnehmer ID: 1375599769), deren „Entstehung 33 (neurologisch)…“ (Teilnehmer ID: 1371787266) und der „AD(H)S im Erwachsenenalter“ (Teilnehmer ID: 1378560426). Außerdem wurden von mehr als 10% der Befragten die Kategorie aktuelle Forschungsergebnisse (gH = 6) und Kooperationsmöglichkeiten (gH = 4) benannt. Die Kategorien Therapie und Hilfsangebote (gH = 3,5, κ = ,842) und Umgang mit Betroffenen (gH = 3,5, κ = ,842) liegen mit 9,7% knapp unter der festgesetzten Analysegrenzen und sollen daher in diesem Zusammenhang auch erwähnt werden. Zur Verdeutlichung der Ergebnisse bildet Tabelle 6 die Kategorien ab, welche von mehr als 10% der befragten Fachkräfte benannt wurden. Tabelle 6: Unterstützungs- und Informationsbedürfnisse, welche von ≥ 10% der Fachkräfte angegeben wurden Kategorie Ankerbeispiel (Teilnehmer ID) gH % κ 8,5 28,3 ,754 6 20,0 ,793 4,5 15,0 ,875 Unterstützungsbedürfnisse (n = 30) Interdisziplinäre „Kommunikationsprozesse Zusammenarbeit (Eltern, Schule, Jugendhilfeangebote, Therapiebereich...)“ zwischen den Beteiligten (1368927062) „Fortbildungsmöglichkeiten für Lehrer - Kl. 5-12“ Schulung Fachkräfte (1390213971) Therapie- und Hilfsangebote „Überblick – Angebote“ (1389013039) Angebote für Angehörige „Beibehaltung des niedrigschwelliges Beratungsangebots 3,5 11,7 ,839 für Eltern um sich dem Thema zu nähern, erste Klarheit zu gewinnen bzw. um sich für ein diagnostisches und therapeutisches Angebot entscheiden zu können.“ (1386489143) „Aufklärung Öffentlichkeitsarbeit der Eltern, dass AD(H)S kein 3,5 11,7 ,839 aktuellen 7 19,4 ,652 Therapieergebnisse“ 6 16,7 ,800 „Kooperationsmöglichkeiten“ 4 11,1 1,000 "Volkskrankheit" ist“ (1369239498) Informationsbedürfnisse (n = 36) 2c sonstige „Infobroschüre; bzw. Web-Seite mit Informationen“ (1375599769) störungsspezifische Informationen 2a aktuelle „Neuste Forschungs- Forschungsergebnisse (1368660420) 4c Informationen zu 34 und Kooperationsmöglichkeiten (1406897807) Anmerkung: Die gemittelte Häufigkeit (gH) stellt den Mittelwert der ermittelten Häufigkeiten für die Kategorien beider Rater dar. Prozentangaben (%) beziehen sich auf die jeweilige Gruppe der Befragten 5.3.2. Unterscheiden sich die Befragten mit subjektiv viel Wissen vs. Personen mit subjektiv weniger Wissen Insgesamt schätzten 53,4% (n = 126) der Befragten ihr Wissen bezüglich AD(H)S als gut und 46,4% (n =109) als weniger gut ein. Hierbei unterschieden sich die verschiedenen Teilnehmergruppen nicht signifikant (χ²(2) = 3,857, p = .145). Unter Berücksichtigung des subjektiven Wissen über AD(H)S, zeigte sich für die Unterstützungswünsche (C = , 177, p = .006) ein positiver Zusammenhang. Für die Informationsbedürfnisse wurde kein signifikanter Zusammenhang ersichtlich (C = ,103, p = .121). Dies bedeutet, dass Personen welche ein hohes subjektives Wissen angeben auch mehr Unterstützungsbedürfnisse besitzen. 5.3.3. Zusammenhang: Subjektives Wissen und Unterstützungs- sowie Informationsbedürfnisse bei Betroffenen Für die Teilnehmergruppe der Betroffenen ließen sich keine signifikanten Zusammenhänge für die Unterstützungs- (C = ,245, p = .114) und Informationsbedürfnisse (C = ,242, p = .130) im Hinblick auf das subjektive Wissen feststellen. 5.3.4. Zusammenhang: Subjektives Wissen und Unterstützungs- sowie Informationsbedürfnisse bei Angehörigen Auch für die Angehörigen wurde kein signifikanter Zusammenhang zwischen den Konstrukten ersichtlich. Die Ergebnisse der Kontingenzkoeffizienten sprechen hierbei für eine annähernde Unabhängigkeit zwischen dem subjektiven Wissen und den Unterstützungs(C = ,042, p = ,651) beziehungsweise Informationsbedürfnissen (C = ,023, p = ,841) der Angehörigen. 5.3.5. Zusammenhang: Subjektives Wissen und Unterstützungs- sowie Informationsbedürfnisse bei Fachkräften Für die Gruppe der Fachkräfte wurde zwischen den subjektiven Wissen und den Bedürfnissen ein positiver Zusammenhang ersichtlich (C = ,286, p = .008). Anhand der standardisierten Residuen konnte allerdings keine eindeutige Richtung des Zusammenhangs erfasst werden, allerdings ist mit einem Wert von 1,5 das Standardisierte Residuum in der Gruppe der Fachkräfte mit hohem subjektivem Wissen und Unterstützungsbedürfnis am höchsten 35 ausgeprägt. Das heißt, wenn Fachkräfte ihr eigenes Wissen über AD(H)S eher als hoch einstufen haben sie auch eher ein weiteres Unterstützungsbedürfnis. Kein signifikanter Zusammenhang fand sich in der Gruppe der Fachkräfte zwischen dem subjektiven Wissen und den Informationsbedürfnissen (C = ,204, p = .069). 5.4. Schlussfolgerung und Diskussion Die vorliegende Studie kann aufgrund ihres explorativen Charakters, ihrer geringen Stichprobengröße bei den konkreten Antworten zu den Bedürfnissen und ihrer Form als Adhoc-Stichprobe lediglich erste Tendenzen abbilden. Zur Prüfung der Stabilität der Ergebnisse werden weiterführende Studien notwendig. Aus den Ergebnissen der Bedarfsanalyse ergaben sich für alle drei Gruppen Unterstützungsbedürfnisse von mindestens 20% für die Oberkategorie Unterstützung in der Behandlung. Wobei der Unterstützungsschwerpunkt auf den Therapie- und Hilfsangeboten liegt. Zudem äußerten über 10% der befragten Angehörigen, Informationswünsche zur Beantragung von Hilfen und Leistungen. Demzufolge sollten zukünftige Angebote aus der Kategorie Unterstützung in der Behandlung nach den Ergebnissen dieser Bedarfsanalyse vor allem darin liegen Betroffenen, Angehörige und Fachkräfte bei der Suche nach Therapie- und Hilfsangeboten zu unterstützen und die Angehörigen über die Möglichkeiten zur Beantragung von Hilfen und Leistungen zu informieren. Hingst (2007) konnte bei der Untersuchung der Versorgungsbedürfnisse von Kindern mit ADHS aus Elternsicht ebenfalls bei den Befragten Wünsche nach Therapie- und Hilfsangeboten finden. Zudem sollte in diesem Zusammenhang berücksichtigt werden, dass ein nicht unerheblicher Teil, mit annähernd 30% der befragten Fachkräfte sich Unterstützung in der interdisziplinären Zusammenarbeit wünschen. Dieses gesteigerte Interesse und die Bereitschaft zur Zusammenarbeit spiegelt sich auch in den Informationswünschen der Kategorie Kontaktstelle/ Netzwerk wider und könnte Einfluss auf die vermehrten Unterstützungswünsche zu den Therapie- und Hilfsangeboten haben. Um diese Annahme zu bestätigen wären weiterführende Studien notwendig. Die Informationswünsche der Fachkräfte aus der Kategorie Kontaktstelle/ Netzwerk liegen vor allem in den Kooperationsmöglichkeiten, sowie in Informationen zu den Angeboten, Inhalten und Aktivitäten der Kontaktstelle und des Netzwerkes. Des Weiteren sprechen diese Ergebnisse dafür, dass die Bemühungen verschiedener Netzwerke (z.B. zentrales ADHSNetzwerk), Anlaufstellen (z.B. Kontaktstelle für AD(H)S Zwickau) und Versorgungsverträge 36 (z.B. Vertragswerkstatt der kassenärztlichen Bundesvereinigung) die Versorgung zu verbessern, sich mit den Bedürfnissen eines nicht unerheblichen Teils der Fachkräfte überschneiden. Außerdem wünschen sich annähernd ein Drittel aller Betroffenen (36,5%) und Angehörigen (30,1%) Angebote zur Unterstützung aus der Kategorie Spezialisierung, besonders bei der Suche von Fachkräften/ Fachärzten mit Spezialisierung, Ansprechpartner und Einrichtungen welche sich auf ADHS spezialisiert haben. Hinzukommend gaben fast 50% der Angehörigen an sich, Informationen vor allem für spezialisierte Fachkräfte, Fachärzte und Einrichtungen zu wünschen. Daraus resultierend sollten aus der Kategorie Spezialisierung Angebote entwickelt werden, welche sowohl die Unterstützungs- und Informationsbedürfnisse der Betroffenen und Angehörigen erfüllen und sie dabei befähigen, spezialisierte Einrichtungen, Ansprechpartner und Fachpersonal zu finden. Im Rahmen der Informationsbedürfnisse äußerten jeweils um die 40% der Gruppen der Befragten Wünsche an Informationen aus der Kategorie störungsspezifisches Wissen. Bei den Betroffenen lag hierbei der Schwerpunkt auf den aktuellen Forschungsergebnissen, bei den Angehörigen auf den sonstigen störungsspezifischen Informationen (z.B. Symptomatik, Ursachen, Verlauf, Komorbiditäten). Die Gruppe der Fachkräfte äußerte vermehrt die Informationswünsche zu den aktuellen Forschungsergebnissen und den sonstigen störungsspezifischem Informationen. Daraus lässt sich schließen, dass die Vermittlung von störungsspezifischen Wissen für alle Befragtengruppen ein großes Informationsbedürfnis darstellt. Diese Ergebnisse unterstreichen die Bedeutsamkeit von verschiedenen Angeboten wie Elterntrainings, Weiterbildungen und psychoedukativen Angeboten welche diese Schwerpunkte beinhalten. Für die Gruppe der Betroffenen ergaben sich außerdem vermehrt Unterstützungsbedürfnisse zur Durchführung einer Diagnostik. Die Ergebnisse der Bedarfsanalyse bezüglich der gewünschten Unterstützungs- und Informationsbedürfnisse spiegelt sich in den Defiziten des aktuellen Versorgungssystems wider (2.8.1). Defizite liegen vor allem im Fehlen adäquater fachärztliche Betreuung und multimodalen Behandlung durch spezialisierte Fachkräfte (Bundesministerium für Gesundheit, 2008, Schander, Trott und Schwarz, 2010). Diese äußern sich in den Unterstützungsbedürfnissen nach Therapie- und Hilfsangeboten sowie der Suche nach spezialisierten Fachkräften. Des Weiteren werden eine zu geringe interdisziplinäre 37 Zusammenarbeit in der Diagnosestellung und Behandlung (Schlander, 2007) sowie Defizite in der Weiterbildung von Fachpersonal angemerkt (Rothenberger & Neumärker, 2005). Zusammenfassend lässt sich aus den Bedürfnissen der Betroffenen, Angehörigen und Fachkräften für spätere Angebote ableiten, dass Unterstützungen bei dem Zugang zu möglichen Therapie- und Hilfsangeboten geschaffen werden sollten beziehungsweise die bestehenden (z.B. Psychiatriewegweiser, zentrales adhs- netz) zu optimieren wären. Wie eben bereits angesprochen sollte nach den Bedürfnissen die Vermittlung von störungsspezifischen Wissens ausgebaut werden. Zudem sollten nach den Bedürfnissen von Betroffenen und Angehörigen auch Informationen und Hilfen zu spezialisierten Fachpersonal, Einrichtungen und Ansprechpartnern gegeben und vermittelt werden. Das Thema Öffentlichkeitsarbeit besitzt aus Sicht der Angehörigen und Fachkräfte hinzukommend Ausbaupotenzial. In der Zukunft sollte in diesem Zusammenhang darüber nachgedacht und geforscht werden, in welcher Form flächendeckend Informationen über die Störung vermittelt werden könnten und sich als wirkungsvoll erweisen. Für die Betroffenen selbst sollten zudem Trainings für den besseren Umgang mit der eigenen Störung etabliert werden. Auch hier wäre eine Arbeit in Gruppen wünschenswert. Neben der allgemeinen Strategievermittlung sollte der Erfahrungsaustausch einen wesentlichen Baustein darstellen, wie von den Betroffenen gewünscht. Die Arbeit in Gruppen würde daneben die Möglichkeit geben soziale Kompetenzen und damit verbundene Problembereiche (z.B. Aufbau und Aufrechterhaltung von Kontakten) zu bearbeiten. 6. Kontaktstelle für AD(H)S Zwickau Wie die Ergebnisse des ADHS- Vertrages der KBV- Vertragswerkstatt (John, Becker & Mattejat, 2013) zeigen und verschiedene Experten fordern (Döpfner et al. 2013; Petermann, 2005; RKI, 2008), sind regionale AD(H)S- Netzwerke für eine qualitätsgesicherte Therapie wesentlich. Bei der Kontaktstelle für AD(H)S handelt es sich um ein zunächst für zwei Jahre (01/201212/2014) geplantes, durch die Landesdirektion Sachsen (LDS) gefördertes Projekt, welches von dem Lernwerkstatt Zwickau e.V. ins Leben gerufen wurde. Der gemeinnützige Verein und anerkannte Träger der Jugendhilfe ist seit Jahren in die Arbeit mit Betroffenen und Angehörigen involviert und Teil des multimodalen Behandlungsansatzes. Während der Tätigkeit wurden in der Zusammenarbeit mit Partnern und im interdisziplinären Austausch in 38 Fachgruppen nach Wegen gesucht und schlussendlich die Kontaktstelle für AD(H)S Zwickau eröffnet (Rosin & Bleyer, 2014). Sie stellt eine Anlaufstelle für Betroffene, Angehörige und Fachkräfte dar und verfolgt als Ziel die effiziente Umsetzung eines multimodalen Behandlungskonzeptes (Rosin & Bleyer, 2014). Bestehende Versorgungsstrukturen werden durch die Schaffung eines Netzwerkes miteinander verknüpft, um eine leitliniengerechte Behandlung zu sichern (Kontaktstelle für AD(H)S Zwickau, 2012). 6.1. Ziele Das oberste Ziel liegt in der Implementierung und Sicherstellung eines ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen multimodalen Behandlungskonzeptes, in dem bestehende Hürden des Systems, z.B. Stigmatisierung in der Bewertung von Behandlungsmodulen oder institutionelle Grenzen, überwunden werden. Des Weiteren rückt die Selbstbestimmung und gesellschaftlich-gleichberechtigte Teilhabe von Betroffenen sowie der Verbesserung der Lebensqualität in den Fokus der Arbeit der Kontaktstelle. Damit verbunden ist die Aktivierung und Stärkung der Ressourcen der Betroffenen. Eine weitere wesentliche Zielstellung stellt die Schaffung eines realistischen Krankheits- und Behandlungsverständnisses durch Informationsvermittlung und Aufklärung von Fachkräften, Betroffenen und Angehörigen dar. Im Rahmen dieser Dokumentationsmappe zur Implementierung einer Kontaktstelle sind die Ergebnisse zusammengefasst. (Kontaktstelle für AD(H)S, 2014). 6.2. Eckpunkte Zur Sicherung der Versorgungsqualität arbeitet die Kontaktstelle für AD(H)S nach den Eckpunkten der Ergebnisse des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherheit durchgeführten interdisziplinären Konsensuskonferenz, welches die verbindlichen Standards in der Behandlung und Versorgung von AD(H)S zusammenfasst (Anlage A3). Zudem gehört die Kontaktstelle zu den regionalen Netzwerken des zentralen ADHS- Netzwerkes (www.zentrales-adhs-netz.de), welches unter anderen zum Austausch zwischen den verschieden regionalen Netzwerken (Chemnitz, Erzgebirge, Vogtlandkreis) beiträgt und zum anderen den Kontakt zwischen Experten und Betroffenen fördert (RKI, 2008). 6.3. Statistik Der Umfang der Arbeit in der Kontaktstelle in ausgewählten Kennzahlen beschrieben. Diese dienen in Verbindung mit der Expertise der durchführenden Personale als Grundlage für die Empfehlungen zur Umsetzung einer Kontaktstelle für AD(H)S. 39 Tabelle 3: Statistik der Kontaktstelle für AD(H)S Gesamt Kontakte vor Ort Beratung via Mail (ohne weiteren Kontakt) Beratung via Telefon (ohne weiteren Kontakt) Vor Ort, bei Einzel- und Gruppenveranstaltungen (z.B. Gesprächsrunden) Seitenaufrufe Website (Startseite/ Index) Facebook (Anzahl der Personen, die der Seite folgen) Teilnehmer Bedarfsanalyse Störungsmodell Videoaufrufe 2014 (Januar bis 19.12.2014) Betroffene & Angehörige ca. 140 91 (davon 68 zum Informationstag) 47 26 3 3 Gespräche mit Fachkräften ca. 311 161 2013 (März bis Dezember) ca. 50 21 nicht erfasst ca. 150 Sonstige Daten 1362 762 600 124 124 101 441 452 193 452 248 nicht erfasst 18 2 16 1 Netzwerk 18 3 Partner Treffen Um Hinweise für die inhaltliche Gestaltung zu geben, wurde zudem exemplarisch ein Zeitraum festgelegt, der Details über die Beratungsgespräche liefert. In der Zeit vom 15.04.13 bis 29.07.2014 wurde das Angebot von 29 Personen (Eltern: 23; Betroffene: 6) genutzt. Die Gründe der Kontaktaufnahme lagen in den Bereichen: Verdacht auf AD(H)S Auffällige Konzentration, Ausdauer und/ oder Aufmerksamkeit Schulprobleme Leistungsprobleme Umgang mit Betroffenen Soziale Ausgrenzung Suche nach möglichen Beschäftigungen und Durch eine ärztliche Empfehlung Von Seiten der Kontaktstelle erfolgten Maßnahmen in den folgenden Bereichen: Möglichkeit der Schilderung der Problematik zur emotionalen Erleichterung 40 Vermittlung psychoedukativen Wissens über die Problematik sowie die bildliche Ableitung des Vulnerabilitäts- Stress- Modells Aufklärung möglicher therapeutischer Maßnahmen, Förder-, Hilfs- und Betreuungsangebote Abfrage der aktuellen Symptomatik Materialien zur Dokumentation zum Verlauf der Stimmung, der Schulleistungen und der Wirkung von Medikamenten Um die durchgeführten Gespräche qualitativ zu evaluieren und somit auch eine Rechtfertigung für Empfehlungen zu praktischen Maßnahmen, z.B. im Bereich der Informationsvermittlung, zu geben, wurden die Personen bezüglich der Beratung befragt. Von den N = 29 in der Kontaktstelle erfolgten Beratungen, bewerteten n = 20 die Beratung in anonymisierter Form auf einer vierstufigen Ratingskala (1 = trifft zu; 2 = trifft eher zu; 3 = trifft eher nicht zu; 4 = trifft nicht zu). Die Zufriedenheit mit der Beratung erscheint insgesamt hoch. Die Ergebnisse der Beratungsevaluation werden grafisch in Tabelle 8 abgebildet. Hierbei wurden alle acht Fragestellungen zwischen zutreffend (1) und eher zutreffend (2) beurteilt. Die Diskrepanz zwischen den erfolgten Beratungen und durchgeführten Evaluationen resultiert aus der Freiwilligkeit der Teilnahme3. Gespräche mit Fachkräften, auf Fachtagen oder ähnlichen wurden, ebenso wie Kontakte mit Betroffenen und Angehörigen außerhalb der Beratung in der Kontaktstelle (z.B. Informationsveranstaltungen, Treffen der Elternratsvertreter, etc.), nicht in die Evaluation einbezogen. 3 Anmerkung: Bis zum 31.12.2014 wurden weitere Beratungen evaluiert. Die durchschnittliche Abweichung zu den im Zeitraum vom 15.04.13 bis 29.07.14 evaluierten Beratungen beträgt -0,17 und weist somit eine positive Tendenz auf. 41 Tabelle 4: Beratungsevaluation der Kontaktstelle für AD(H)S Zwickau Das Gespräch hat sich gelohnt. Ich habe mich von dem Berater verstanden gefühlt. Ich fühlte mich bei meiner Entscheidungsfindung … 1,20 1,15 1,30 1,60 Ich sehe zuversichtlich in die Zukunft Ich bin zufrieden mit der Beratung. Ich habe alle Informationen für den nächsten Schritt. Ich werde die Kontaktstelle weiterempfehlen. Ich habe Klarheit über meine/ unsere Ziele… Ich fühle mich gut beraten. 1,20 1,25 1,10 1,60 1,25 Neben den Beratung in der Kontaktstelle erfolgten für den Zeitraum vom 21.01 bis 21.10.2014 weitere n = 15 Beratungen per Email und n = 2 via Telefon, die nicht evaluiert werden konnten. 6.4. Aufbau und Etablierung einer Kontaktstelle - Handlungsempfehlungen Auf Grundlage der Bedarfsanalyse, der quantitativen Auswertung der Angebote sowie der qualitativen Evaluation der Beratungsgespräche ergeben sich Hinweise, dass weiterführende Angebote und das Bestehen der Kontaktstelle von Bedeutung sind. Zum einen wünschen sich Betroffene und Angehörige Informationen und Unterstützung bei der Suche von spezialisierten Einrichtungen und Fachkräften, sowie Ansprechpartner für die aktuelle Symptomatik. In Form einer Beratung über weiterführende Therapie- und Hilfsangebote, Möglichkeiten der Beantragung von Hilfen, die Vermittlung von störungsspezifischen Wissens und bei der Hilfe zum besseren Umgang mit der Symptomatik kann die Kontaktstelle für AD(H)S Zwickau ansetzen und wurde von den bisherigen Besuchern gut bis sehr gut bewertet. Des Weiteren leistet eine Kontaktstelle für AD(H)S die vermehrt gewünschte Öffentlichkeitsarbeit. In Form von Präsenz auf diversen AD(H)S- Tagen, die Ausrichtung eines eigenen Informationstag zum Thema AD(H)S und über Vorstellung der Thematik und Kontaktstelle in Einrichtungen, vor Fachkräften und über verschiedene Medien. Zum besseren 42 Verständnis der Ursachen der Symptomatik und der bestehenden Möglichkeiten von Hilfen wurden Informationsbroschüren und ein Video4 entwickelt. Aufgrund des entstandenen Netzwerkes an spezialisierten Fachkräften und Einrichtungen und der Verfügbarkeit der Kontaktstelle, ist eine Kontaktanbahnung im Regelfall ohne lange Wartezeiten möglich. Die Kontaktstelle ermöglicht so neben der Informationsweitergabe und Beratung eine kurzfristige Entlastung und Reduzierung der Hilflosigkeit der Betroffenen, Angehörigen und Fachkräften in schwierigen Phasen und Situationen. In Form regelmäßiger halbjährlicher Netzwerktreffen werden wichtige Themen gemeinsam besprochen und bearbeitet. Zudem erfolgen ein fachbereichsübergreifendes Verständnis zwischen den einzelnen Arbeitskräften und Einrichtungen sowie die Vernetzung für eine engere Zusammenarbeit. Es zeichnet sich ein stetig größer werdender Nutzen der Kontaktstelle ab. Für den Aufbau der Kontaktstelle für AD(H)S Zwickau wurde eine zweijährige Förderung durch die Landesdirektion Sachsen bewilligt. Da diese beim Aufbau weiterer Kontaktstellen voraussichtlich nicht zur Verfügung steht, stellt der abschließende Abschnitt eine Zusammenfassung der Erkenntnisse aus der Umsetzung des theoretischen Konzeptes mit praktischen Anmerkungen für die Etablierung einer Kontaktstelle dar. Eine Prioritätenliste (siehe Tabelle 6), die im Konsens der durchführenden Fachpersonale erstellt wurde, liefert sowohl eine Orientierung zur Schwerpunktsetzung als auch eine Schrittfolge zum Aufbau und der Etablierung einer Kontaktstelle. Vorrangig sollten Punkte mit hoher bis sehr hoher Priorität umgesetzt werden. Bereiche, denen eine mittlere bis geringe Priorität zugeordnet wurde, erwiesen sich in der Arbeit einer Kontaktstelle als nicht zielführend oder ineffizient. Gleichermaßen bedeutet dies nicht, dass beispielsweise eine weiterführende Bedarfsanalyse zu vernachlässigen ist. Vielmehr steht hier der zu betreibende Aufwand in keinem Verhältnis zum Nutzen für die Zielgruppe, wenn es im Rahmen der Arbeit einer Kontaktstelle umgesetzt wird. Diese Aufgabe sollte einer anderen Institution, z.B. im Kontext einer expliziten Forschungsarbeit zukommen. Die Wichtung orientiert sich im Wesentlichen am Wirtschaftlichkeitsgebot, welches den Folgekapiteln als Leitgedanke übergeordnet ist. Auf die „Konzeptualisierung“ wird im Detail nicht weiter eingegangen. Vielmehr dienen die Ausführungen als roter Faden für den Entwurf eines eigenen Konzeptes. 4 Kostenfrei auf www.adhs-zwickau.de/wissenswertes.php 43 Tabelle 5: Prioritätenliste Priorität Themenschwerpunkt Schritt 1: Qualitätssicherung & Netzwerkarbeit Konzeptualisieren Gewinnung von Netzwerkpartner Netzwerktreffen Bedarfsanalyse Dokumentation Schritt 2: Öffentlichkeitsarbeit Homepage Social Media Flyer Informationsveranstaltungen/ Vorstellung der Kontaktstelle Schritt 3: Angebote für Fachkräfte des psychosozialen Bereichs Individuelle Einzelkontakte Schulungen von Fachkräften Teilnahme an Fachtagen Schritt 4: Angebote für Betroffene & Angehörige Sprechzeiten via Telefon Beratungsgespräche vor Ort Informationen via Mail sehr hoch sehr hoch sehr hoch gering hoch sehr hoch sehr hoch gering mittel mittel hoch sehr hoch gering hoch sehr hoch 6.4.1. Schritt 1: Qualitätssicherung & Netzwerkarbeit Als Grundlage für die gelingende Etablierung eines Netzwerkes, welches wiederum die Basis für den Aufbau einer Kontaktstelle darstellt, bietet sich nach Meinung der Autoren das Eckpunktepapier der vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherheit durchgeführten interdisziplinären Konsensuskonferenz (BMGS, 2002) an. Im Austausch mit anderen Netzwerken ergaben sich zwei Strategien für die Gründung von Netzwerken. Zum einen schlossen sich aus bestehenden Arbeitsgruppen Fachkräfte zu einem spezifischen AD(H)S Netzwerk zusammen. Arbeitsgruppe Kinderspsychiatrische Versorgung Zwickau Netzwerk AD(H)S Zwickau Abbildung 4: Beispiel „Subgruppe – AD(H)S spezifisches Netzwerk“ 44 Ein anderes Vorgehen stellt der Zusammenschluss einzelner Partner des multimodalen Behandlungsmodelles dar (siehe Abbildung 7), die vorab keine regelmäßige netzwerkartige Kooperation aufwiesen. Schnittpunkt: ADHS Versorgung Partner A Modul 3: Eltern- & Familientraining Modul 6: Behandlung begleitender Störungen Partner C Modul 1: Weiterbildende Maßnahmen (Psychoedukation) Abbildung 5: Beispiel „Schnittmenge – AD(H)S spezifisches Netzwerk“ In der Praxis erwies sich eine Kombination beider Vorgehensweisen als zielführend. Im ersten Schritt erfolgt die Festlegung der Rolle des Koordinators. Dieser verfügt einerseits über fundierte Kenntnisse zum multimodalen Behandlungskonzept in Theorie und Praxis sowie genügend zeitliche Ressourcen. Der wöchentliche Aufwand für die Arbeit der Kontaktstelle beträgt im Schnitt ca. 5,0 Arbeitsstunden, der sich aus Gesprächen, Dokumentation und Netzwerkarbeit zusammensetzt. Im Anfangsstadium ist mit einem erheblichen Mehraufwand zu rechnen, der sich aus der Akquise von Netzwerkpartnern des multimodalen Arbeitsfeldes und der Öffentlichkeitsarbeit ergibt. Zur Grundausstattung der Kontaktstelle gehören ein Telefon- und Internetanschluss sowie ein Computer. Ein PKW erweist sich zudem für die Öffentlichkeitsarbeit (z.B. Vorstellung der Kontaktstelle in Arbeitskreisen) als äußerst nützlich. Für Netzwerktreffen und Informationsveranstaltungen wird zudem ein Raum für ca. 20 Personen benötigt. Alternativ zu eignen Räumlichkeiten, kann im Netzwerk ein Arbeitsbereich für Treffen zur Wissensvermittlung bereitgestellt werden. Ein halbjährlicher Rhythmus wurde von den Partnern gut angenommen. Als Quelle für den effizienten Erwerb aktuellen Wissens zur Vermittlung erwiesen sich die Newsletter des „zentralen adhs-netzes“ und des "ADHS Deutschland e. V." sowie die zugehörigen Websites als nützlich. Sind die Eckpunkte des Netzwerkes geklärt, geht es um die Etablierung der konkreten Anlaufstelle. Die nachstehende Grafik gibt Aufschluss über eine generelle strukturelle Aufstellung. 45 Betroffene, Angehörige & Fachkräfte (Lehrer, Erzieher, Pädagogen, Psychologen, etc.) Kontaktaufnahme via Mail, Social Media & Telefon Beratungsgespräche & Informationsveranstaltungen Kontaktstelle für AD(H)S Austausch & Netzwerktreffen Multimodales Netzwerk Abbildung 6: Kontaktaufnahme zur Kontaktstelle mit Netzwerk Da die Kontaktaufnahme im nächsten Kapitel ausführlich beschrieben ist, liegt der abschließende Fokus auf der Dokumentation der Beratungsgespräche und Informationsveranstaltungen. Um die Arbeit vor Ort effektiv zu gestalten, werden Gespräche und Informationsveranstaltungen fortlaufend dokumentiert. Dieses Vorgehen hat mehrere Vorteile: Es lassen sich für die Arbeit Ziele und Interventionen ableiten, Beratungsgespräche haben einen Standard und bei der Akquise von Mitteln erweisen sich qualitative und quantitative Informationen (siehe auch Kapitel 6.3. Statistik) als hilfreich. Der aktuell genutzte dreiseitige Dokumentationsbogen für Beratungsgespräche ist als Anlage A4 mit Hinweisen beigefügt. Exemplarisch wird nun der Ablauf eines Beratungsgespräches skizziert. Zu Beginn eines Gespräches werden die Interessenten darauf hingewiesen, dass alle Angaben auf freiwilliger Basis erfasst und in anonymisierter Form, z.B. für die Evaluation und die Arbeit im Netzwerk, genutzt werden. Soziodemographische Daten und Kontaktdaten werden nach Möglichkeit erfasst. Es folgen eine Zusammenfassung der aktuell berichteten Symptomatik sowie ein Abriss zur Krankengeschichte und zu bisherigen Behandlungen. Wünsche und Ziele werden erfragt. Liegt zum Zeitpunkt der Kontaktaufnahme keine Diagnose vor, wird an entsprechende Anlaufstellen (Fachärzte, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, Psychologische Psychotherapeuten, Fachkrankenhäuser) verwiesen. Zur Überbrückung etwaiger Wartezeiten erwies es sich zudem als sinnvoll, Eltern und Kinder in niedrigschwellige Angebote des Netzwerkes zu integrieren (z.B. betreute Freizeitangebote, Elternberatung). 46 Ist der Gesprächspartner bereits in therapeutische Maßnahmen integriert, werden Wünsche und Ziele im Konkreten besprochen und entsprechend einer leitliniengerechten Behandlung, Vorgehensweisen entwickelt. Zwei Beispiele sollen dies verdeutlichen: 1. Patient (17) wird vom Hausarzt geschickt, Aufklärung zu therapeutischen Möglichkeiten gewünscht, ergotherapeutische Behandlung mit Schwerpunkt Aufmerksamkeit angedacht (Wartezeit bis Termin: 3 Tage) Kurzfristige Maßnahmen: Aufklärung des Patienten über multimodale Behandlung; Broschüre zu AD(H)S Zwickau als Infomaterial mitgegeben; Auszug Wegweiser für seelische Gesundheit (Landratsamt Zwickau, 2013) mit Adressen für KJP/ FA; Kontakt zu Ergotherapie mit Erfahrung in der Arbeit mit ADHS- Patienten; Klärung konkreter Fragestellungen zu THOP, Attentioner und MTK Mittelfristige Maßnahmen: Kontaktaufnahme KJP/ FA/ Ergotherapie 2. Patientin (8) wird mit Eltern von der Bildungsagentur geschickt, ein Kontakt zu Fachpersonalen wird v.S.d. Eltern nicht gewünscht (Wartezeit bis Termin: 8 Tage): Kurzfristige Maßnahmen: Aufklärung der Patientin und Eltern über multimodale Behandlung (Schwerpunkt: Vor- und Nachteile von Behandlungen/ Nicht-Behandlung); Broschüre zu AD(H)S Zwickau als Infomaterial mitgegeben; Auszug Wegweiser für seelische Gesundheit mit Adressen für KJP/ FA Mittelfristige Maßnahmen: Kontaktaufnahme zu Selbsthilfegruppe für Eltern von Betroffenen zum Erfahrungsaustausch; Kontaktaufnahme KJP/ FA In jedem Fall erfolgt der Hinweis, dass etwaige kurz- oder mittelfristige Maßnahmen mit dem fallführenden Behandler abgestimmt werden sollten. 6.4.2. Schritt 2: Öffentlichkeitsarbeit Um die geschaffene Anlaufstelle der Öffentlichkeit zugängig zu machen, empfiehlt sich folgende Vorgehensweise: 6.4.2.1. Erstellen einer Website Die Website ist einfach und klar strukturiert. Sie enthält Informationen zu Kontaktmöglichkeiten und Ansprechpartnern. Da in der Arbeit mit Fachpersonalen immer wieder Fragen zum Netzwerk eine Rolle spielten, ist auch eine kurze Vorstellung der Partner 47 vorstellbar. Als Veranschaulichung kann die Website der Kontaktstelle für AD(H)S (www.adhs-zwickau.de) dienen.5 6.4.2.2. Erschließung Sozialer Medien Um dem Trend der digitalen Vernetzung gerecht zu werden, wurde für die Kontaktstelle ein Facebook Profil erstellt. Besonders für die Verbreitung erarbeiteter Materialien (z.B. Video zum Störungsmodell, Broschüre) und die Weitergabe von Terminen (z.B. Informationstag) erscheinen die sozialen Medien als nützlich. Gleiches gilt für die Rückmeldung durch Betroffene, z.B. bezüglich des Webauftrittes, der über ADHS-spezifische Gruppen innerhalb der Netzwerke eingeholt wurde. Anpassungen konnten so zielgruppengerecht vorgenommen werden. 6.4.2.3. Druck von Flyern oder Visitenkarten Für die Arbeit der Kontaktstelle wurden Visitenkarten und Flyer mit folgenden Informationen gedruckt (siehe Abbildung 9 und 10) Abbildung 7: Visitenkarte Kontaktstelle AD(H)S Zwickau (Vorder- und Rückseite) Abbildung 8: Flyer Kontaktstelle für AD(H)S Zwickau (14,8 x 14,8 cm) 5 Der Quellcode der Webseiten kann auf Anfrage zur Verfügung gestellt werden. 48 Der Flyer bringt, im Vergleich zur Visitenkarte, keinen erkennbaren zusätzlichen Nutzen. Zudem genügt auf der Visitenkarte lediglich die Information zum Webkontakt (vgl. Abbildung 10). Dies hat einen großen Vorteil: Ändert sich die Sprechzeit, die Telefonnummer oder eine andere Information, kann diese problemlos auf der Website angepasst werden ohne Gültigkeitsverlust der Visitenkarten. Nahezu alle Personen mit vor Ort Kontakt berichteten davon, mindestens einmal auf die Website geschaut zu haben, um ein Plus an Informationen zur Kontaktstelle bzw. zum Netzwerk zu erhalten. 6.4.2.4.Informationsveranstaltungen und Vorstellung der Kontaktstelle Um mit wenig Aufwand eine breites Publikum zu erreichen, wurde die Kontaktstelle für AD(H)S in verschiedenen Netzwerkrunden (z.B. Netzwerk für Kindeswohlgefährdung), Arbeitsgruppen (z.B. Arbeitsgruppe kinderpsychiatrische Versorgung) und internen Informationsveranstaltungen (z.B. Teamsitzung einer Erziehungsberatungsstelle, Regionalstelle Bildungsagentur, Kreiselternratsversammlung) vorgestellt. Dabei wurde deutlich, dass die tatsächliche Nähe zur Zielgruppe der Anwesenden ausschlaggebend für den Nutzen der Informationsveranstaltung für die Öffentlichkeitsarbeit war. Besonders Institutionen, deren Zielgruppe Eltern (z.B. Erziehungsberatungsstellen) sowie (Beratungs-) Lehrer und Schulpsychologen (z.B. Regionalstelle der Bildungsagentur) waren, erscheinen für einen Einstieg in die Öffentlichkeitsarbeit als empfehlenswert. 6.4.3. Schritt 3: Angebote für Fachkräfte des psychosozialen Bereichs Um eine effiziente Information von Fachkräften zu gewährleisten ist eine Gruppenveranstaltung individuellen Einzelkontakten vorzuziehen. Diese Erkenntnis resultiert aus der Tatsache, dass fast alle durchgeführten Einzelveranstaltungen für Fachkräfte eine Gruppenveranstaltung für Kollegen der Fachkräfte nach sich zogen. Finanziell lassen sich Gruppenveranstaltungen in der Regel durch einen Teilnehmerbeitrag finanzieren. Vorab sollte deshalb ein Kostenplan für die Durchführung solcher Veranstaltungen erarbeitet werden. Im Einzelfall gibt es zudem die Möglichkeit Fördergelder bzw. Zuschüsse zu erschließen (z.B. schulinterner Lehrerfortbildungen, SCHILF). Um ein breites Publikum zu erreichen, wird zudem die aktive Teilnahme an Fachtagen, z.B. durch Fachvorträge oder Stände, unbedingt nahegelegt. In der Regel resultieren daraus weitere Verknüpfungspunkte für das Netzwerk und es eröffnen sich neue Perspektiven die Arbeit einer Kontaktstelle. Die durchgeführten Veranstaltungen für Fachkräfte und angehende Fachkräfte des psychosozialen Bereichs (Lehrer, Sozialpädagogen, Pädagogen, Psychologen, Erzieher, 49 Studenten) wurden entsprechend der geäußerten Wünsche im Laufe der Arbeit adaptiert. Für die inhaltliche Gestaltung scheint folgendes Vorgehen als geeignet: Tabelle 6: Aufbau Informationsveranstaltung Themenpunkt Diathese-StressModell/ VulnerabilitätsModell Entstehungs-/ Krankheitsmodell Diagnostik und multimodale Behandlung Fallbeispiele & Raum für Fragen Inhalt Vermittlung eines Grundverständnisses für Gesundheit bzw. Krankheit Hinweis/ Material Anlage A5: Diathese-Stress-Modell Erarbeitung eines realistischen Modells als Grundlage für die Auseinandersetzung mit dem Thema AD(H)S Differenzierte Betrachtung von Angeboten sowie Aufzeigen von konkreten Anlaufstellen Anwendung und Festigung vermittelten Wissens Broschüre und Video auf www.adhszwickau.de/wissenswertes.php Broschüre; Finanzierungsmodalitäten sollten im Detail bekannt sein Alltagsnahe Beispiele: „Stellen Sie sich vor eine Mutter vermutet Ihr Kind habe ADHS und möchte Unterstützung- Was können Sie im Kontext ihrer Tätigkeit tun?“ Als Impuls für die Gestaltung weiterer Angebote sei auf die Bedarfsanalyse (siehe auch Kapitel 5) verwiesen. 6.4.4. Schritt 4: Angebote für Betroffene & Angehörige Im Zeitalter digitaler Kommunikation und mit Blick auf die Statistik (vgl. 6.3 Statistik) kann das Angebot von regelmäßigen Telefonsprechzeiten als obsolet beschrieben werden. Es empfiehlt sich stattdessen in folgender Abbildung (11) beschriebenes Vorgehen: Webpräsenz mit Kontaktdaten Mail-Adresse Telefonnummer* Anfrage Anfrage Antwort (Tel./ Mail) Antwort (Tel.) ggf. Kontakt vor Ort * mit folgendem Hinweis: „Niemanden erreicht? Schreiben Sie uns eine Mail mit Ihrer Telefonnummer und wir rufen Sie zurück!“ Abbildung 9: Kontaktaufnahme per Mail und Rückruf 50 Der Verzicht auf festgelegte Sprechzeiten, die im Projekt zunächst vorgesehen waren, führt zu einer höheren Flexibilität in der Umsetzung der Kontaktstelle. Seit der Umstellung auf eine Kontaktaufnahme per Mail und Rückruf, können viele Fragen schnell vorab geklärt werden. Vorgefertigte Musterantworten sparen dabei viel Zeit. In der folgenden Abbildung 12 wird eine Musterantwort abgebildet. […] Im Anhang übersende ich Ihnen eine Liste der KollegInnen, die für eine Diagnostik/ Therapie in Betracht kommen (Seiten 34-37; S. 56). Beachten Sie bitte die Arbeitsschwerpunkte: 1. Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie: ambulante Therapie, u.a. über Gespräche und Übungen 2. Kinder- und Jugendlichenpsychiatrie: ambulante Therapie, Medikamente Eine Kombination der beiden Schwerpunkte in einer ambulanten Therapie ist möglich. 3. Kliniken für Kinder- und Jugendpsychiatrie und –psychotherapie: beide Schwerpunkte möglich (stationär/teilstationär/ambulant) […] Abbildung 10: Musterantwort Durch das strukturierte Sammeln von Daten, z.B. bestehender Anlaufstellen für Diagnostik und Therapieangebote, lässt sich die Effizienz erhöhen. Bei der Beratung vor Ort erwies es sich als sinnvoll, ein möglichst umfassendes Bild von der Praxis angebotener Therapiemöglichkeiten (Dauer, Umfang, Wartezeit, Elternbezug, etc.) zu haben. Um sich auf Gespräche vorbereiten zu können, bietet das Kapitel 6 „Statistik“ einen Überblick zu inhaltlichen Fragestellungen. Wie bereits im vorangestellten Kapitel, verweisen wir abschließend auf die Bedarfsanalyse (siehe Kapitel 5), das als Impuls für die Gestaltung weiterer Angebote dienen kann. 7. Resümee Ob sich die Kontaktstelle in ihrer Form langfristig halten kann, ist gegenwärtig zwar noch nicht absehbar, aber wohl wahrscheinlich. Im Rahmen eines effizienten multimodalen Behandlungssettings stellt sie zweifelsohne eine Bereicherung für Betroffene, Angehörige und Fachkräfte dar und leistet einen Beitrag zur gelingenden Therapie, die letztendlich Betroffenen eine gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft eröffnet. Im Setting diverser Hilfsangebote bietet die Kontaktstelle eine Orientierung, die Hilfesuchende ohne größeren Aufwand zur Selbstbestimmung befähigt. Die im Rahmen dieser Arbeit aufgezeigten Maßnahmen sind Herausforderung und Chance zugleich, wenn das Potenzial in der Praxis ausgeschöpft wird. Bereits bestehende Angebote, die einen hohen Standard bei der 51 Unterstützung von Betroffenen erreicht haben, bedürfen einer fortwährenden interdisziplinären Vernetzung. Die Implementierung einer Kontaktstelle stellt in diesem Prozess eine geeignete Steuerungsform dar. Diese Möglichkeit nicht zu konsultieren hieße, die Augen vor den Perspektiven eines multimodalen Behandlungsansatzes im Zeitalter der digitalen Kommunikation zu verschließen, denn die Kontaktstelle bietet insbesondere eine niedrigschwellige Anlaufstelle auf eben diesem Wege. Durch die Schaffung eines Netzwerkes und der damit verbundenen Erhöhung der Leistungsfähigkeit einzelner Angebote, kann zudem langfristig eine Schonung von Ressourcen erreicht werden. Welche Institutionsform der ideale Boden für eine Kontaktstelle für ADHS darstellt, bleibt offen. Je weniger Interessenkonflikte bei der Umsetzung eines vergleichbaren Vorhabens entstehen oder vielmehr gelöst werden können, desto fruchtbarer scheint das Instrument und das gelebte multimodale Modell als solches. Insofern sei am Ende dieser Arbeit gesagt, dass die durchdachte Realisierung einer Anlaufstelle für Betroffene in vielerlei Hinsicht ein lohnenswertes Unterfangen sein kann, welches sich in Zwickau Stadt und Land bereits bewährt hat. Die Implementierung einer Kontaktstelle im Setting einer bestehenden, niedrigschwelligen Anlaufstelle, z.B. einer Beratungsstelle oder dem sozialpsychiatrischen Dienst (SpDi), erscheint im besonderen Maße Wert, in Erwägung gezogen zu werden. 52 8. Literaturverzeichnis Ayan, S. (2012). ADHS ist keine Krankheit. Gehirn und Geist(9), S. 37-39. Barbaresi, W. J., Colligan, R. C., Weaver, A. L., Voigt, R. G., & Killian, J. M. (2013). Mortality, ADHD, and Psychosocial Adverdity in Adults With Childhood ADHD: A Prospective Study. 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Anlagen Anlage A1: Leitfaden des Hamburger Arbeitskreises zur Diagnostik der ADS/ADHS“ (2008, S.27) T ABELLE 7: LEITFADEN DES H AMBURGER ARBEITSKREISES ZUR D IAGNOSTIK DER ADS/ADHS ( MODIFIZIERT NACH H AMBURGER A RBEITSKREIS ADS/ADHS, 2008, S. 27-28) Bestandteile Inhaltliche Schwerpunkte Ärztliche Basisdiagnostik - Allgemeine und störungsspezifische Anamnese und Familienanamnese unter besonderer Berücksichtigung des Psychodynamik - Fragebögen: Eltern, Kind, Kindergarten, Schule - Einbeziehung von Entwicklungsaspekten und Milieubedingungen - Psychiatrischer Befund - Körperliche und neurologisch- motoskopische Untersuchung - EEG Labor: Blutbild, Differentialblutbild, Leberwerte, Schilddrüsenwerte, Creatinin Psychodiagnostik Obligat: - Standardisierte Intelligenztestung - Überprüfung der Teilfunktionen (z.B. Gedächtnis und Wahrnehmung) - Testung und Überprüfung der Aufmerksamkeit Fakulativ: - Erfassung komorbider Störungen (z.B. durch Fragebögen) - Erfassung von emotionalen Bedingungen (z.B. projektive Verfahren) Videogestützte Diagnostik Fakulative weiterführende Diagnostik Untersuchungen Beginn zu einer medikamentösen Therapie - Phoniatrische Differentialdiagnostik - Pädaudiologische Differentialdiagnostik - Pädophtalmologische Differentialdiagnostik - Genetische Differentialdiagnostik Bildgebende/ elektophysiologische Verfahren Obligat: - Überprüfung der Compliance der Familie EKG Labor: Blutbild, Differentialblutbild, Leberwerte, Schilddrüsenwerte, Creatinin - Körpergröße und Gewicht Ausschluss Drogenmissbrauch 58 Anlage A2: wahrgenommene Versorgungsbedürfnisse nicht- ärztliche Leistungen genutzte Angebote ja wenig benötigte Angebote ja, nein, nein, würden wir teilweise brauchen aber benötigen fehlende wir nicht Versorgungsbedürfnisse 1 Psychotherapie 40,6% 21,9% 28,1% 6,3% 3,1% 2 Verhaltenstherapie 25,0% 9,4% 34,4% 21,4% 9,4% 3 Elterntraining 34,4% 3,1% 18,8% 34,4% 9,4% 4 Lernangebote 18,8% 21,9% 40,6% 12,5% 6,3% 5 Gruppentherapie 12,5% 6,3% 65,6% 9,4% 6,3% 6 Krankenpflege 0,0% 12,5% 84,4% 0,0% 3,1% 7 Gesundheitsdienstleistungen 0,0% 12,5% 68,8% 3,1% 15,6% 8 Schulung über Erkrankung 15,6% 18,8% 46,9% 15,6% 3,1% 9 Rehabilitationsmaßnahme 3,1% 6,3% 78,1% 9,4% 3,1% 10 Entlastungspflege 0,0% 12,5% 71,9% 12,5% 3,1% 11 Selbsthilfegruppen 43,8% 15,6% 18,8% 12,5% 3,1% 12 Telefonberatung 9,4% 15,6% 65,6% 3,1% 6,3% 13 Sozialdienst 3,1% 15,6% 78,1% 3,1% 0,0% 14 Hilfsmittel 0,0% 6,3% 87,5% 0,0% 6,3% 15 Case Management 0,0% 9,4% 75,0% 12,5% 3,1% 16 Logopädie 6,3% 9,4% 75,0% 12,5% 3,1% 17 Ergotherapie 9,4% 15,6% 56,3% 12,5% 6,3% 18 Krankengymnastik 6,3% 6,3% 81,3% 3,1% 3,1% 19 Kurmaßnahmen 6,3% 6,3% 62,5% 21,9% 3,1% 59 Anlage A3: Eckpunktepapier der interdisziplinären Konsensuskonferenz (Quelle: Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung [BMGS], 2002, S.1-2) Eckpunkte der Ergebnisse der vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung durchgeführten interdisziplinären Konsensuskonferenz zur Verbesserung der Versorgung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS). Bonn, 28. und 29. Oktober 2002 1. Aktuelle Prävalenzschätzungen zur ADHS gehen von 2 bis 6 % betroffenen Kindern und Jugendlichen zwischen 6 und 18 Jahren aus. ADHS ist damit eines der häufigsten chronisch verlaufenden Krankheitsbilder bei Kindern und Jugendlichen. Die bedarfsgerechte Versorgung dieser Patienten – die durch unterschiedliche Berufsgruppen getragen wird – ist derzeit nicht flächendeckend gewährleistet. Es besteht noch oft eine ungenügende Verzahnung kooperativer Diagnostik. Es fehlt häufig an verlaufsbegleitenden Überprüfungen der Diagnostik nach dem Einsetzen therapeutischer Maßnahmen. 2. Bei einem nicht unerheblichen Teil der Betroffenen dauern die Symptome bis ins Erwachsenenalter an. ADHS stellt somit auch bei Erwachsenen eine behandlungsbedürftige psychische Störung dar. Es fehlen hier verbindliche diagnostische Kriterien und angemessene Versorgungsstrukturen. Die Behandlung mit Methylphenidat erfolgt derzeit im Erwachsenenalter „off label“, da dieses Medikament für die Behandlung von Erwachsenen bei dieser Indikation nicht zugelassen ist. 3. In der Öffentlichkeit besteht noch weitgehende Unkenntnis und Fehlinformation über das Krankheitsbild. Schulen, Tageseinrichtungen und andere Erziehungsinstitutionen sowie an der öffentlichen Gesundheitsfürsorge beteiligte Verwaltungen (Jugendamt, Gesundheitsamt, Sozialamt, Strafvollzug und Polizei) sollten verstärkt über ADHS informiert werden. Die Konsensuskonferenz erhebt die Forderung nach einem Awareness- Programm als gemeinsame Aktion. 4. Für eine korrekte Diagnosestellung der ADHS ist eine umfassende Diagnostik und Differenzialdiagnostik anhand anerkannter Klassifikationsschemata (ICD 10 oder DSM IV) erforderlich. Grundlage der Diagnosestellung sind Exploration und klinische Untersuchung mit Verhaltensbeobachtung. Die störungsspezifische Anamnese soll Familie und weiteres Umfeld (z.B. Schule) einbeziehen und zusätzlich erschwerende sowie entlastende Umgebungsfaktoren berücksichtigen. Fremdbeurteilungen durch Lehrer und Erzieher sollen einbezogen werden. Die Benutzung von Fragebögen als diagnostische Hilfen ist sinnvoll. Intelligenzdiagnostik und Untersuchung von Teilleistungsschwächen sollen das diagnostische Mosaik ergänzen. Die differenzialdiagnostische Abklärung zu anderen Erkrankungen mit ähnlichen (Teil-) Symptomen und die Erfassung von Begleiterkrankungen bildet einen notwendigen Baustein zur Diagnosesicherung. Eine solche mehrdimensionale Diagnostik bildet die Grundlage der multimodalen Behandlung. Die Diagnostik der ADHS ebenso wie die Therapie, auch die psychotherapeutische Behandlung, orientieren sich an den 60 evidenzbasierten Leitlinien der beteiligten Fachverbände. Derzeit scheitert die multimodale Diagnostik noch in einigen Regionen Deutschlands an der Versorgungsrealität. Um die Versorgungsstruktur zu verbessern, ist Unterstützung der Politik erforderlich. 5. Eine qualitätsgesicherte Versorgung von ADHS ist unter Einbeziehung aller beteiligten Berufsgruppen notwendig. Die Therapie der ADHS ist als multimodales Behandlungsangebot definiert. Nur ein Teil der Kinder bedarf der medikamentösen Therapie. Nach ausführlicher Diagnostik und erst wenn psychoedukative und psychosoziale Maßnahmen nach angemessener Zeit keine ausreichende Wirkung entfaltet haben, besteht die Indikation zu einer medikamentösen Therapie. Stimulanzien wie Methylphenidat stellen empirisch gesicherte Medikamente zur Behandlung der ADHS dar, wobei der langfristige Einfluss dieser Medikation auf die Entwicklung des Kindes verstärkt erforscht werden muss. Auch andere Medikamente haben ihre Wirksamkeit bewiesen. Im Vorschulalter soll erst nach Ausschöpfung aller Maßnahmen eine medikamentöse Behandlung im Einzelfall in Erwägung gezogen werden. Für die Behandlung sind spezielle Kenntnisse der biologischen, psychischen und sozialen Entwicklung des Kindes Voraussetzung. 6. Die spezielle Indikationsstellung zur medikamentösen Behandlung mit Stimulanzien ist im Einzelfall ebenso wie die Entscheidung über Zeitpunkt, Dauer und Dosis sorgfältig und entsprechend dem aktuellen wissenschaftlichen Standard zu treffen. Auf altersspezifische Besonderheiten im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter ist zu achten. Jede medikamentöse Behandlung mit Stimulanzien ist in ein umfassendes Therapiekonzept im Sinne einer multimodalen Behandlung einzubinden. Jede medikamentöse Behandlung bedarf als Mindeststandard einer intensiven ärztlichen Begleitung und ausführlichen Beratung. Die alleinige Verabreichung von Stimulanzien ist keine ausreichende Behandlungsmethode. Der Ausbau von Versorgungsstrukturen für begleitende psychosoziale und andere therapeutische Maßnahmen soll von der Politik intensiv unterstützt werden. 7. Die bedarfsgerechte Versorgung erfordert eine enge Zusammenarbeit der Ärzte untereinander (Kinder- und Jugendärzte, Kinder- und Jugendpsychiater, Psychiater, Allgemeinmediziner) und mit Psychologen, Psychotherapeuten, Pädagogen, Heilmittelerbringern (z.B. Ergotherapeuten) und Selbsthilfeverbänden. Die enge Zusammenarbeit mit weiteren an der gesundheitlichen Versorgung beteiligten Berufsgruppen ist notwendig. Erziehungsberatungsstellen sollen unter einer pädagogischen Zielsetzung im Rahmen kooperativer Netzwerke tätig werden. Auch Kindergärten, Tagesstätten und Schulen sowie weitere psycho- soziale Bereiche sollen unter Einschluss der Jugendhilfe in das Behandlungsnetzwerk als Kompetenzpartner einbezogen werden, um einer schädlichen Desintegration der Kinder vorzubeugen. 8. Je nach Fachgruppe und therapeutischer Ausbildung besteht eine unterschiedliche Qualifikation zur Behandlung von ADHS. Die Verbesserung der Qualifikation muss daher differenziell erfolgen. Angestrebt wird ein modulares Fortbildungskonzept mit unterschiedlicher Gewichtung der Inhalte. Grundlage dieses Konzeptes soll empirisches Tatsachenwissen über Entstehung, Verlauf und Therapie von ADHS sein. Die Grundlage für interdisziplinäre Zusammenarbeit bildet ein allen Berufsgruppen zugängliches Basiswissen, dessen Vermittlung eine gezielte Fortbildung der unter- schiedlichen Beteiligten erfordert. 61 Eine fachüber- greifende gemeinsame Fortbildung im Sinne einer wechselseitigen Erkenntniserweiterung ist anzustreben und ermöglicht eine qualifizierte Kooperation. 9. Interdisziplinäre Zusammenarbeit beruht auf der Fachkompetenz und dem wechselseitigen Respekt der beteiligten Berufsgruppen. Die Verantwortung für die Koordination der interdisziplinären Behandlung liegt in der Hand des zuständigen Arztes. Ziel ist ein abgestimmtes multimodales störungsspezifisches Vorgehen zur Behandlung der Kernsymptomatik und der Begleitstörungen auf Evidenzbasis. 10. Aus berufspolitischer Sicht der beteiligten Verbände besteht Klärungsbedarf im Hinblick auf Leistungsanreize und eine leistungsgerechte Honorierung bzw. Finanzierung der Versorgungstätigkeit. Unter Einbezug von Leistungsträgern und Leistungserbringern müssen solidarische Finanzierungsmodelle im Rahmen der Leistungen der SGB V, VIII und IX gewährleistet sein. Die Politik soll ihren Einfluss im Rahmen der Zuständigkeiten geltend machen. 11. Regionale und überregionale Netzwerke sollen gebildet und die vorhandenen Netzwerke ausgebaut werden. Von der Politik wird eine Hilfestellung bei der Bestandsaufnahme bestehender regionaler Netzwerke gewünscht. Diese regionalen Netzwerke sollen die Umsetzung der Leitlinien in die Praxis unterstützen. Die Politik soll die Bildung qualifizierter interdisziplinär orientierter Arbeitsgruppen zum Thema ADHS unter Einbezug von Betroffenenvertretern begleiten und unterstützen. 12. Zum Thema ADHS besteht weiterhin erheblicher Forschungsbedarf. Dies betrifft sowohl den langfristigen Einfluss medikamentöser Therapien, besonders des Methylphenidats auf die Entwicklung des Kindes, als auch empirische Untersuchungen zur Wirkungsweise weiterer Behandlungsmaßnahmen bei ADHS. Auch die Intensivierung der Forschung zur Evaluation der Struktur-, Verlaufs- und Ergebnisqualität in Bezug auf diese unterschiedlichen Therapieverfahren und der bedarfsgerechten Versorgung ist notwendig und erwünscht. Parlamentarische Staatssekretärin und Drogenbeauftragte der Bundesregierung Frau Caspers-Merk Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie Prof. Dr. Resch Für die Gesellschaften der Kinderheilkunde und Jugendmedizin Dr. Skrodzki 62 Anlage A4: Dokumentationsbogen für Beratungsgespräche Seite 1/3 63 Seite 2/3 64 Seite 3/3 Hinweise: 65 Die „ID“ (1) und weitere Fragestellungen auf Seite 1 dienen der Zuordnung zum Fragebogen und ist lediglich für die durchgeführte Bedarfsanalyse von Interesse. Die Abfrage zu bereits genutzten Angeboten und deren „Nutzen“ (2) soll die Bereitschaft des Hilfesuchenden bzgl. der Angebotsstruktur eruieren. Für Überlegungen zur Planung weiterer Schritte, erweist sich dieses Vorgehen in der Praxis als sehr nützlich. Es wird in jedem Fall abgeklärt, ob eine „Notfallsituation“ (3), z.B. aufgrund von Selbst- oder Fremdgefährdung bestehen könnte. Besteht Gefahr für Leib und Leben, sind entsprechende Schritte einzuleiten. Zudem ist eine Kenntnis der örtlichen Regelungen zum Umgang mit Kindeswohlgefährdung unabdingbar. Das Erfragen zeitlicher Ressourcen (4) soll eine Überforderung des Kindes durch Überförderung verhindern. „Bedenkzeit“, „Alternativen“, „Wiederholt“ (5) soll die Rechte des Patientens unterstreichen und einer Fehlinformation vorbeugen. Es erfolgt ein Hinweis, sich Bedenkzeit zu nehmen und (alternative) Behandlungsmöglichkeiten mit dem fallführenden Behandler zu besprechen. Um Missverständnisse zu vermeiden, wird der Hilfesuchende abschließend darum gebeten, vermittelte Inhalte zu wiederholen. 66 Anlage A5: Diathese-Stress-Modell Hinweis: Geeignet für Magnettafel zur Verdeutlichung verschiedener Entwicklungen („Disposition“) mit (1) und ohne (2) „Intervention“ bzw. ohne Notwendigkeit zur Intervention (3). Verschiedene, kombinierbare Stresslevel (4) zur Verdeutlichung individueller Anforderungen.; Literaturempfehlung: Wittchen, H. & Heyer K. (2006). Klinische Psychologie und Psychotherapie 67