SCHMERZMEDIZIN Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin e.V. 30. Jahrgang 2014 4 I 2014 Editorial Allein dem Patienten verpflichtet? _ _______2 Geriatrie/Traumatologie Gelenkersatz bei älteren Menschen _ ______4 Praxisdokumentation/Versorgungsforschung Das Warten hat ein Ende! ________________7 Impressum ���������������������������8 Pharmakotherapie Medikamentöse Schmerztherapie bei Arthrose __________________________9 Psychosomatik Somatoforme Störungen _ _____________11 Palliativmedizin: Der besondere Fall Die Amyotrophe Lateralsklerose _________14 DGS-Veranstaltungen �����������������15 Weltkongress/Schmerzkongress �������16 Internet User Stalking – werde ich im Netz beobachtet? _________________________18 Praxismanagement Finanzbuchhaltung: Souverän und selbst___19 Die Deutsche Schmerzliga Auf dem Rücken anderer! _ _____________20 Medizin und Recht Leitlinien kein Ersatz für Sachverständigengutachten _ _________________________22 Psychopharmakotherapie Im Fokus: Trizyklische Antidepressiva _ _____24 © C. Schiller / fotolia.com Interview Exazerbierte Tumorschmerzen: Effektive Opioidtitration mit Hydromorphon _ _____26 Kasuistik Postherpetische Neuralgie ������������27 Dem Schmerzpatienten verpflichtet? ISSN 2194-2536 www.dgschmerzmedizin.de Editorial Allein dem Patienten verpflichtet? Liebe Kolleginnen und Kollegen, Hippokrates von Kos (460 bis ca. 370 v. Chr.) gilt als Stifter des für alle Ärzte gültigen ethischen Kodex. Der „Hippokratische Eid“ formuliert die ausschließliche Verpflichtung gegenüber dem Patienten als Quintessenz medizinischer Ethik und Vorgabe ärztlichen Handelns. Diesem Gedanken folgt auch das nach den (auch ärztlichen) Gräueltaten des Dritten Reiches entstandene „Genfer Gelöbnis“, das formuliert:„ … Die Erhaltung und Wiederherstellung meiner Patienten soll oberstes Gebot meines Handelns sein …“ Und gleichermaßen in der Berufsordnung für Ärzte in: ●● § 1 (1) Aufgaben des Arztes: „Der Arzt dient der Gesundheit des einzelnen Menschen und des gesamten Volkes...“ ●● § 2: „Der Arzt übt seinen Beruf nach seinem Gewissen, den Geboten der ärztlichen Ethik und der Menschlichkeit aus. Er darf keine Grundsätze anerkennen und keine Vorschriften oder Anweisungen beachten, die mit seiner Aufgabe nicht vereinbar sind…“ Alle drei Dokumente konstatieren: „Der Arzt ist allein den Patienten verpflichtet.“ Was, werden Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, fragen, hat all das mit Schmerzmedizin zu tun? Oder, lassen sich aus diesen ethischen Leitgedanken irgendwelche Konsequenzen für die Schmerzmedizin ableiten? Zunächst stellt sich die Frage, ob diese ethischen Grundsätze nur für den Arzt als Individuum gültig sind, oder ob sie in gleicher Weise für ärztlich geleitete Fachgesellschaften und Körperschaften Gültigkeit besitzen. Wenn Ärzte als Individuen – gleichgültig in welcher Funktion – diesen ethischen Grundsätzen unterliegen, müssen sie ihren Grundsätzen als unteilbare Individuen auch als Funktionsträger – gleichgültig in welcher Position – folgen. Das bedeutet, dass sie auch als Funktionsträger in einer Fachgesellschaft, in einem Berufsverband oder einer staatlichen Institution unabdingbar dem ethischen Grundsatz unterliegen, allein dem Patienten verpflichtet zu sein. Ethische Grundsätze, kondensiert im„Eid des Hippokrates“, stellen damit eine Messlatte dar für individuelle ärztliche Entscheidungen, aber auch für Positionen und Aktivitäten ärztlicher Verbände und Fachgesellschaften. Unteilbare Verpflichtung Folgerichtig verstoßen Ärzte, die im direkten Arzt-PatientenKontakt dem Wohl ihres Patienten verpflichtet sind, als Verbandsfunktionäre aber Eigeninteressen von Institutionen oder Berufsgruppen höher einschätzen als das Wohl des Patienten, eklatant gegen diesen ethischen Fixstern ärztlichen Handelns. Genau an diesem Konflikt scheitert in Deutschland die Versorgung von Patienten mit chronischen Schmerzerkrankungen. 2 Gerhard H. H. MüllerSchwefe, Göppingen Schmerzmedizin ein Fachgebiet? Unstrittig wird heute die chronische Schmerzerkrankung als eine die Grenzen einzelner Fachgebiete überschreitende chronische Erkrankung verstanden, deren Diagnostik und Therapie an den Grenzen einzelner Fachgebiete scheitern muss, sofern sie auf diese beschränkt bleibt. Das biopsychosoziale Krankheitsverständnis erfordert einen komplexen diagnostischen und therapeutischen Zugang, der neurologische, funktionell-orthopädische, anästhesiologische, psychiatrische, psychologische Kenntnisse und Fähigkeiten voraussetzt und zur Zeit mit hohem personellen Aufwand und hohem Kommunikationsbedarf nicht nur bei der Diagnostik, sondern auch als Begleitung der Therapie nur für ganz einzelne Patienten im Rahmen der „multimodalen Therapie“ zur Verfügung steht. Für die 23 Millionen Deutschen mit chronischen Schmerzen, davon 2,2 Millionen mit schwersten beeinträchtigenden chronischen Schmerzen (Häuser et al. 2014) sind diese mit hohem Aufwand betriebenen Insellösungen ein Tropfen auf dem heißen Stein und stellen keinesfalls ein Modell für eine flächendeckende Versorgung dar. Woran scheitert schmerzmedizinische Versorgung? Seit die Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin e. V. (damals STK) 1994 unter der Federführung von Dietrich Jungck die erste „Schmerztherapievereinbarung“ mit Ersatzkassen abgeschlossen hat, ist an der schmerztherapeutischen Versorgung in den letzten 20 Jahren weitgehender Stillstand zu konstatieren. Übereinstimmend hatten noch 2012 alle schmerzrelevanten Fachgesellschaften in Deutschland im Rahmen einer abgestuften Versorgung einen „Facharzt für Schmerzmedizin“ als Querschnittsfach gefordert und sich daran gemacht, die Kompetenzen dieses Facharztes zu definieren. Dieser gemeinsame Aufbruch, mit dem Ziel einer besseren schmerzmedizinischen Versorgung, hatte in zahlreichen Arbeitsgruppen und gemeinsamen Vorstandssitzungen bis zum Frühjahr 2014 schließlich an der Ausgestaltung eines Facharztes für Schmerzmedizin gearbeitet, mit dem Ziel, eine flächendeckende Versorgung zu ermöglichen. Mehrfach habe ich bereits früher an dieser Stelle auf die Notwendigkeit eines „Facharztes für Schmerzmedizin“ hingewiesen, da die ambulante Versorgung mit Bedarfsplanung SCHMERZMEDIZIN 4/2014 (30. Jg.) Editorial und Sicherstellung sich ausschließlich an Fachgebietsgrenzen orientiert und damit die Sicherstellung schmerzmedizinischer Versorgung an das Fachgebiet Schmerzmedizin gekoppelt ist. Für Zusatzbezeichnungen wie die „Spezielle Schmerztherapie“ gibt es keinerlei Bedarfsplanung, die Verfügbarkeit schmerzmedizinischer Versorgung ist damit eher zufällig und vom Interesse einzelner Ärzte abhängig. Gleichzeitig erfordert die Komplexität der chronischen Schmerzerkrankungen einen Facharzt, der in seiner Ausbildung Kenntnisse und Fähigkeiten, die für die Diagnostik und Versorgung dieser Patienten notwendig sind, erworben hat, den Facharzt für Schmerzmedizin. Fachgebietsegoismen verhindern Schmerzmedizin Diese gemeinsame Arbeit für eine bessere schmerzmedizinische Versorgung in der Zukunft hat im Oktober 2014 ein abruptes Ende gefunden. Die Deutsche Schmerzgesellschaft (DGSS), ein wichtiger Partner in diesen gemeinsamen Anstrengungen, hat im Oktober 2014 eine abrupte Kehrtwende vollzogen. Diese – ursprünglich der Erforschung akuter und chronischer Schmerzen gewidmete Fachgesellschaft (Deutsche Gesellschaft zum Studium des Schmerzes) hat mit der Aufnahme der DIVS (Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Schmerztherapie, dem Zusammenschluss der einzelnen medizinischen Fachgesellschaften wie beispielsweise Chirurgie, Innere Medizin, Anästhesiologie etc.) ihre eigenständige, nur den Individualmitgliedern verpflichtete Ausrichtung aufgegeben und beugt sich fortan dem Diktat der einzelnen Fachgesellschaften. Welche Bedeutung dies für die Entwicklung der Schmerzmedizin hat, wird an dem rechts oben stehenden Auszug eines Schreibens der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin verständlich. Das Rad wird zurückgedreht In der letzten gemeinsamen Kommissionssitzung der Vorstände der Fachgesellschaften wurde deshalb zunächst auf Wunsch der Deutschen Schmerzgesellschaft in den Verlaufsprotokollen der beiden zurückliegenden Sitzungen in jedem Wortbeitrag von Mitgliedern der Deutschen Schmerzgesellschaft das Wort „Facharzt für Schmerzmedizin“ entfernt, ein Vorgehen, das durchaus historische Vorbilder hat. In den nachfolgenden Diskussionen wurde deutlich, dass die Deutsche Schmerzgesellschaft nicht mehr an einem gemeinsamen Facharzt für Schmerzmedizin festhält, sondern glaubt, durch „Einflussnahme“ auf Kassenärztliche Bundesvereinigung und Bundesärztekammer im Rahmen der einzelnen Fachgebiete schmerzmedizinische Versorgung zu verbessern. Allen Argumenten, dass ambulante vertragsärztliche Versorgung klaren Regeln folgt, in denen die Sicherstellung der Versorgung von einer Bedarfsplanung auf der Grundlage von Fachgebietsbezeichnungen erfolgt, prallten an den Vertretern der Deutschen Schmerzgesellschaft ab. Mir persönlich erscheint es unerträglich, dass angestellte Klinikärzte oder Hochschullehrer – mit nur rudimentären Kenntnissen ambulanter Versorgungsstrukturen – aus ihrer gesicherten Position heraus mit dieser Haltung flächendeckende ambulante schmerzmedizinische Versorgungsstrukturen verhindern. SCHMERZMEDIZIN 4/2014 (30. Jg.) Nur dem Wohl des Patienten verpflichtet? Oder stehen hier vermeintliche Pfründe von Fachgebieten oder Ambulanzeinrichtungen über der höchsten ärztlichethischen Maxime? Ihre Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin e. V., liebe Kolleginnen und Kollegen, wird sich weiterhin vehement gemeinsam mit der Deutschen Schmerzliga e. V. und dem Berufsverband der Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten in der Schmerz- und Palliativmedizin in Deutschland e. V. (BVSD) für eine gesicherte flächendeckende schmerzmedizinische Versorgung einsetzen. Dafür brauchen wir und vor allem die Patienten Sie mit all Ihren Kenntnissen und Fähigkeiten. Werden Sie Mitglied, beteiligen Sie sich an der gemeinsamen Gestaltung für eine bessere Versorgung von Patienten mit chronischen Schmerzen in Deutschland. Mit um diese Ziele zu erreichen, hat die Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin das weltweit größte PatientenVersorgungsregister mit Dokumentation und Ärztekommunikationsmöglichkeiten gestartet. Über all diese Aktivitäten und viele weitere schmerzmedizinische spannende Inhalte informiert Sie dieses Heft SCHMERZMEDIZIN. SCHMERZMEDIZIN in neuem Gewande Mit diesem Heft SCHMERZMEDIZIN halten Sie zum letzten Mal eine Ausgabe in Händen, die in dieser Form erscheint. Ab 2015 wird SCHMERZMEDIZIN sechsmal jährlich in weit größerem Umfang erscheinen. Freuen Sie sich mit mir auf eine noch größere Themenvielfalt in der SCHMERZMEDIZIN im Jahr 2015. Sollten Sie durch den Wechsel der Redaktion Ihr Heft SCHMERZMEDIZIN nicht wie gewohnt erhalten, fordern Sie es bitte über die Geschäftsstelle der DGS an: info@dgschmerzmedizin. de. Ihnen allen, liebe Leserinnen und Leser, danke ich für Ihre langjährige Verbundenheit und Ihr Interesse und wünsche Ihnen, dass der Zauber der Weihnachtszeit Sie berühren kann und Sie mit Freude und Zuversicht in ein gutes Jahr 2015 starten. Herzlichst Ihr Dr. med. Gerhard H. H. Müller-Schwefe Präsident Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin e. V. 3 Geriatrie/Traumatologie Gelenkersatz bei älteren Menschen Immer mehr ältere Menschen erhalten aufgrund degenerativer Gelenkveränderungen künstliche Gelenke und erhoffen sich dadurch die Wiederherstellung der vollen Mobilität. Über die operativen Erfahrungen bei diesen multimorbiden, internistischen und osteoporotischen Problempatienten berichtet Dr. Jürgen Nothwang, Klinik für Unfallchirurgie, Orthopädie und Wirbelsäulenchirurgie, Rems-Murr-Klinik Schorndorf. Jürgen Nothwang, Schorndorf D ie Arthrose eines Gelenkes stellt die häufigste Indikation für die Implantation einer Prothese dar. Sieht man von frühzeitigem Gelenkverschleiß in Folge einer den Gelenkknorpel zerstörenden Gelenkfraktur mit der Entwicklung einer sogenannten posttraumatischen Arthrose oder aber entzündungsbedingter Gelenkknorpelzerstörungen ab, so steigt mit zunehmendem Alter die Wahrscheinlichkeit, einen Gelenkverschleiß zu entwickeln. Auf Grund von statistischen Erkenntnissen von Querschnittsuntersuchungen unserer Bevölkerung, die eine Arthrosewahrscheinlichkeit von bis zu 90 % ab dem 65. Lebensjahr offenlegten wurde die Arthrose lange Zeit als typische „Alterskrankheit“ bezeichnet. Volksleiden Arthrose Typischerweise sind die während des Alltags statisch belasteten Extremitäten bevorzugt von Arthrose betroffen. So verwundert es nicht, dass unter den großen Gelenken der Extremitäten (Hüfte, Knie, Sprunggelenk, Schulter, Ellenbogen) das biomechanisch und anatomisch komplexe Kniegelenk mit seinen zwei Gelenkpartitionen am häufigsten vom Gelenkverschleiß betroffen ist (bis zu 92 %), gefolgt vom Hüftgelenk (36 %). Erst an dritter Stelle rangiert das vorrangig muskelgeführte Schultergelenk (27 %), noch vor Sprung- (11 %) und Ellengelenk (8 %). Bei den kleinen Gelenken der Extremitäten dominiert die Polyarthrose der Finger. Unser Verständnis von der Arthrose hat sich während der letzten 20 Jahre grundlegend verändert, und gewiss ist der „Lernprozess“ über diese komplexe Erkrankung noch lange nicht abgeschlossen. Betrachtete man die Arthrose früher als degenerative Erkrankung, die das konsequente Resultat des Älterwerdens darstellte (sogenannte „Wear and Tear Theorie“), wird heutzutage bei der Arthroseentstehung von einem metabolischen, dynamisch aktiven Prozess ausgegangen, der gegenläufige – nämlich destruktive wie auch reparative – Prozesse beinhaltet. So darf die Arthrose als ein Ergebnis konkurrierender Prozesse verstanden werden, das durch verschiedene, biochemische und physikalische Faktoren beeinflusst wird und, wenn einmal © Rems-Murr-Klinik, Schorndorf Abb. 1: 86-jährige Patientin mit zentraler Acetabulumluxationsfraktur: Versorgung mit einer Pfannenbodenplastik, einem sogenannten Burch-Schneider-Ring und zementierter Prothese: präoperative Computertomografie-Rekonstruktion (a), postoperatives Röntgenbild (b) in Gang gesetzt, eine Anpassungsreaktion des Gelenkes auf diese Faktoren darstellt. Schwere und Chronizität der Gelenkschädigung auf der einen Seite sowie Wirksamkeit der Reparaturprozesse auf der anderen Seite definieren und erklären den unterschiedlichen Verlauf der Erkrankung. Während diverse Pathologien wie Trauma, Entzündung, Instabilität, Achsenfehlstellungen oder neuromuskuläre Störungen in der Pathophysiologie der Arthroseentstehung bekannt sind, liegt ein gegenwärtiger Forschungsschwerpunkt auf genetischen Ursachen der Chondrozytenfunktionssteuerung. Hierüber ließen sich familiäre Häufungen klinisch relevanter Gelenkabnützungen erklären. Symptomatologie und Prothesenindikation Leitsymptom der Arthrose ist der belastungsoder bewegungsabhängige Schmerz, häufig assoziiert mit einer initialen Gelenksteife. Typischerweise handelt es sich um einen gelenkassoziierten, brennenden Schmerz, der beispielsweise im Falle des Hüftgelenks häufig am Oberschenkel entlang nach distal zum Kniegelenk hin ausstrahlt. Während an den statisch belasteten Gelenken der unteren Extremitäten die schmerzbedingten Mobilitäts- und Aktivitätseinschränkungen im Vordergrund stehen, sind arthrosebedingte Schmerzen der oberen Extremitäten vorrangig durch eine schmerzhafte Bewegungs- und Gebrauchseinschränkung charakterisiert. Zwar lässt sich der Erkrankungsbeginn häufig nicht eindeutig bestimmen, doch werden Patienten mit Schultergelenksarthrosen deutlich früher symptomatisch (durchschnittlich mit bereits 60 Jahren) als Patienten mit Hüft- und Kniegelenksarthrosen. Die insgesamt seltene Indikation zur Implantation einer Ellengelenksprothese stellt sich bei ausgedehnten Destruktionen des Humeroulnargelenks, wobei therapieresistente Schmerzen mit Funktionseinschränkungen, Gelenkeinsteifungen bis hin zur Ankylose als auch Instabilitäten, die einen Einsatz des betroffenen Armes unterbinden, therapie- und verfahrensbestimmend (gekoppelter, teilgekoppelter oder ungekoppelter Prothesentyp) sind. Da die Belastungsfähigkeit einer Ellengelenksprothese auf 4–5 kg begrenzt ist, bleibt sie dem älteren Menschen mit limitiertem Funktionsanspruch vorbehalten. Diagnostik bei Arthrosen a 4 b Diagnosebestimmend sind: 55patientenbezogene Befunde (Schmerzlokalisation und -ausstrahlung, Gelenksteife und Gehstreckeneinschränkungen) SCHMERZMEDIZIN 4/2014 (30. Jg.) Geriatrie/Traumatologie (Schmerzdruckpunkte, Gelenkbeweglichkeit und -stabilität) 55apparative Befunde (Röntgen-, Sonographie-, Magnetresonanztomografie [MRT]-, Computertomografie [CT-] und Laborbefunde). Bei älteren Patienten liefern Lebensalter, Allgemeinzustand, Begleiterkrankungen und Einschränkungen sowohl der Lebensqualität als auch des Aktivitätsgrades zusätzliche Entscheidungskomponenten, die Einfluss auf das klinische, postoperative Ergebnis, aber auch auf die soziale Reintegrationsfähigkeit des Patienten nehmen. Da evidenzbasierte Richtlinien für die Indikationsstellung zur Prothesenindikation fehlen, geben internationale Konsensuspapiere und Leitlinien eine Orientierungshilfe. Allgemein besteht eine Indikation zur Prothesenindikation dann, wenn 1. erhebliche, trotz suffizienter konservativer Therapie persistierende Beschwerden, 2. klinisch nachweisbare funktionelle Einschränkungen und 3. radiologisch deutliche Gelenkveränderungen nachweisbar sind. Tools für die quantitative und qualitative Einschätzung des Gelenkzustandes und der Aktivität sind sogenannte Arthrose-Scores wie bspw. der Harris-Hip-, der Western-Ontarioand-McMaster-Universities-Arthritis-Index (WOMAC)- oder der Kellgren-Laurence-Score. (Hemi-)Alloarthroplastik bei Frakturen Einfacher gestaltet sich der OP-Entscheid bei der zweiten großen Indikationsgruppe, den gelenkbeteiligenden Knochenbrüchen bei älteren Menschen: Bei allen verschobenen Brüchen des Hüftgelenkes oder des Schenkelhalses ist die (Hemi-)Alloarthroplastik Therapie der Wahl. Dabei kann bei Acetabulumfrakturen der Wiederaufbau der Gelenkkontur mit Pfannenbodenplastik und Pfannenabstützschale erforderlich werden (Abb. 1). Die unmittelbar belastungsfähige untere Extremität definiert das Therapiecredo und dient der Vermeidung typischer Sekundärkomplikationen wie Thrombose und Pneumonie. In sehr seltenen Einzelfällen kann sich hieraus auch die Notwendigkeit einer primären, gekoppelten Knieendoprothese bei komplexen Tibiakopffrakturen plus/minus ligamentärer Begleitverletzungen ergeben. Ansonsten steht unterhalb des Hüftgelenkes altersunabhängig stets die Rekonstruktion des Knochens und der Gelenkkonturen vor dem Gelenkersatz. An den oberen Extremitäten wird die Indikation für den prothetischen Gelenkersatz des SCHMERZMEDIZIN 4/2014 (30. Jg.) Abb. 2: 83-jähriger Patient mit fortgeschrittener Arthrose des linken Hüftgelenk und Femurkopfnekrose nach vorausgegangener, unter Fehlstellung verheilter Oberschenkelfraktur: präoperatives Bild, laterale Projektion (a), Hybridversorgung mit Kurzschaftprothese und zementierter Hüftpfanne (b) a Schulter- oder Ellengelenkes wesentlich vom Ausmaß der traumatischen Gelenkzerstörung bestimmt. So gilt eine Destruktion der Gelenkfläche von >40 % oder aber die Zertrümmerung der Humeruskopfkalotte als absolute Indikation für einen Gelenkersatz. Entsprechendes gilt für die distale, intraartikuläre Humerusmehrfragmentfraktur, die durch eine sogenannte distale, humerale Hemi-Ellengelenksprothese versorgt werden kann. Die Wahl des Prothesentyps wird dabei wesentlich von zusätzlichen Gelenkpathologien bestimmt. So sind die Erfolgsaussichten und Ergebnisse einer (Hemi-) Alloarthroplastik am Schultergelenk bei größeren Rotatorenmanschettendefekten und insbesondere Defekten des Musculus subcsapularis und infraspinatus als schlecht zu bezeichnen. In diesen besonderen Konstellationen empfiehlt sich eine sogenannte inverse Schulterprothese trotz der bekannten Standzeitlimitierung dieses Prothesentyps. Differenzialdiagnosen Nicht immer aber ist ein Gelenkschmerz zwangsläufig gleichzusetzen mit einem Arthroseschmerz. So stellt die Gelenkhaut mit ihren Typ-A- und Typ-B-Synovialozyten eine hochsensible und biochemisch aktive „Fabrik“ dar, die bei systemischen und infektiösen Erkrankungen mitreagieren kann (Begleitsynovialitiden). Daher müssen vor Diagnosestellung einer symptomatischen Arthrose alle möglichen Differenzialdiagnosen ausgeschlossen werden. Abhängig von den anamnestischen Angaben des Patienten können spezielle Laboruntersuchungen wie die Bestimmung der Rheumafaktoren, der Entzündungswerte, des Transferrin, © Rems-Murr-Klinik, Schorndorf 55untersuchungsabhängige Befunde b der antizyklisch zitrullierten Antikörper oder des Borrelientiters erforderlich werden. Beim Schultergelenk sind vor allem Läsionen der Rotatorenmanschette, beim Hüftgelenk – mit seiner engen anatomischen Nachbarschaft zum Kreuz-Darmbeingelenk und der Lendenwirbelsäule – alle von dort herrührenden Einflussfaktoren zu beachten. Dabei gilt es, den Blick nicht nur auf skelettale Ursachen zu lenken, sondern auch auf muskuläre. So fokussieren sich Beckenstatikstörungen, das Piriformissyndrom, Pathologien des Iliosakralgelenkes, aber auch der Wirbelsäulenbewegungsabschnitt L4/5 funktionell auf das Hüftgelenk. Dies dürfte auch ein Grund dafür sein, weshalb ein Teil der mit einer Hüfttotalendoprothese versorgten Patienten auch postoperativ noch seine Beschwerden behält. Auch viszeralchirurgische Ursachen sollten insbesondere bei einer Coxarthrose in Betracht gezogen werden, allen voran Leisten- und Femoralhernien. Zu beachten sind zudem Schmerzprojektionen: So führen Arthrosen der Hüftgelenke typischerweise zu Kniegelenksschmerzen. Dies muss bei jeder Arthropathie des Kniegelenkes mitberücksichtigt werden. Schulterschmerzen können nicht nur vom Schultergelenk, sondern auch vom Akromioklavikular (AC)-Gelenk oder fortgeleitet von der Halswirbelsäule verursacht werden. Behandlungsziele und -strategie Abhängig von der Lokalisation der Arthrose – sei es nun an den oberen oder den unteren Extremitäten – gibt es unterschiedliche Zielsetzungen für die Behandlung. Die Behebung des arthrosebedingten Schmerzes hat oberste Priorität und gelingt mit der Implantation eines künstlichen Gelenkes regelmäßig. Zu berück- 5 Geriatrie/Traumatologie sichtigen ist, dass die postoperative Funktion beispielsweise einer Schulterprothese ganz wesentlich von einer funktionstüchtigen Muskulatur abhängt. So gilt es, einen Patienten mit völligem Verlust seiner Rotatorenmanschette und insbesondere des Musculus infraspinatus und des Musculus subscapularis darauf hinzuweisen, dass auch postoperativ die Funktion des Schultergelenks limitiert sein wird. Anders ist die Zielsetzung an der unteren Extremität, an der nicht nur die Schmerzfreiheit, sondern die Funktion, die gerade beim älteren Patienten Mobilität und damit Lebensqualität definiert, im Vordergrund steht. Für die Implantation spielen daher die Verankerungsform mit der Möglichkeit der uneingeschränkten Vollbelastung, der korrekte Sitz der Prothese sowie die ohne wesentliche Beinverlängerung erreichbare Muskelvorspannung eine besondere Rolle. Am Hüftgelenk sind zudem die Rekonstruktion des Pfannenzentrums und ein korrektes Offset wichtige Zielgrößen für eine gute Prothesenfunktion. Ähnliche Bedeutung erlangt am Kniegelenk die Rekonstruktion der Kniebasislinie (Soft Tissue Balancing) sowie die korrekte Rotation der femoralen und tibialen Komponente. Diese haben unmittelbaren Einfluss auf die Funktion der Kniescheibe und dienen der Vermeidung eines sog. postprothetischen, peripatellaren Schmerzsyndroms. Weitere Ursachen für diesen in ca. 10 % der Fälle vorhandenen Beschwerdekomplex sind Instabilitäten im femoropatellaren Gelenk oder auch Veränderungen der muskulären Hebelarme. Ein Patellarückflächenersatz rettet in solchen Fällen über die eigentlich ursächliche Pathologie nicht hinweg, sondern ist vielmehr durch eine frühzeitige Lockerung gefährdet. Im Gegensatz zum jungen Patienten spielen bei der Knieprothetik des älteren Menschen partielle prothetische Gelenksubstitutionen wie die Schlittenprothese oder gar der Trochleaersatz keine besondere Rolle, da Folgeoperationen gerade in dieser höheren Altersgruppe vermieden werden müssen. Andererseits stellt der Oberflächenersatz bei intaktem Seitenbandapparat beim älteren Menschen – sofern es die Achsverhältnisse zulassen – ein probates Mittel dar, um dem Patienten die Mobilität zurückzugeben. Erst wenn auch der Bandapparat – zumeist fehlstellungsbedingt – insuffizient wird, bedarf es gekoppelter Kniegelenkssysteme. Wahl der Prothesenverankerung Da die Reduktion der Knochendichte mit dem Alter zu-, hierdurch aber die zementfreie Verankerungsfähigkeit der Prothese abnimmt, hat sich beim älteren Patienten die zementierte 6 Prothesenimplantation durchgesetzt. Durch neue Zementiertechniken sind die ZehnjahresStandzeiten der Prothesen mit 95–99 % beruhigend. Ein weiterer Vorteil von Zementiertechniken gerade an der unteren Extremität ist die unmittelbare Bewegungs- und Vollbelastungsfähigkeit, die eine sofortige und uneingeschränkte Mobilisation – zunächst unter Zuhilfenahme eines Gehwagens, später zweier Gehstützen oder eines Rollators – ermöglicht. Überraschenderweise kommt eine aktuelle Studie zu dem Ergebnis, dass eine Hüft-Totalendoprothese (TEP) bei älteren Arthrosepatienten das Risiko für Herzversagen, Depression und Diabetes sogar senken könnte. Frühfunktionelle Nachbehandlung Eine besondere Bedeutung erlangt die frühfunktionelle Nachbehandlung und Mobilisation bei älteren Patienten mit Schenkelhalsfraktur und Implantation einer zementierten (Hemi-)Alloarthroplastik. In einer Untersuchung aus dem Jahr 2011 ergab sich bei mit einer Hüftprothese versorgten Patienten eine Einjahresmortalität von 27 %, wobei die Mortalitätsrate der Männer über der der Frauen lag. Insgesamt erhöhte sich die Mortalitätsquote in Relation zur einer nicht operierten Vergleichspopulation über den gesamten Beobachtungszeitraum um das Dreifache. Hieraus lässt sich folgern, dass die untersuchten Patienten zu einer Hochrisikogruppe gehören und einer besonders eng geführten, auf Mobilität ausgerichteten Behandlung bedürfen. Versorgungsstrategien am Beispiel der Hüftprothese Vorreiter einer differenzierten, an Alter, Risikofaktoren und definierten Therapiezielen angepasste Versorgungsstrategie ist die Endoprothetik am Hüftgelenk. Dabei beeinflussen auch skelettale Befunde die Wahl des operativen Verfahrens wesentlich. So können beispielsweise vorausgegangene und in Fehlstellung verheilte Frakturen, die Implantation einer „Langschaftprothese“ unterbinden und bei entsprechender Knochenqualität die Indikation für eine zementfreie Kurzschaftprothese definieren (Abb. 2). Zwar definiert eine kalendarisch ausgerichtete Versorgungsstrategie das angemessene Operationsverfahren, entbindet aber nicht davon, individuell die Wahl des Verfahrens (zementiert, Hybrid oder zementfrei) der Knochenqualität und dem biologischen Alter des Patienten anzupassen. Eine Auswertung von eigenen Patientendaten unterstreicht die unmittelbare Kohärenz zwischen Verankerungstechnik und Alter und Geschlecht. So wurde bei über 80-Jährigen nur bei 13 % eine zementfreie Totalendoprothese implantiert. 89 % dieser Patienten waren Männer. In allen Fällen handelte es sich um eine Prothesenversorgung wegen Coxarthrose. Zementierte Femurschäfte erhielten 85 % der Überachtzigjährigen, sei es im Rahmen einer Hybridversorgung mit zementfreier Pfanne (14 %) oder als komplett zementierte Prothese mit zementierter Schaft- und Pfannenkomponente (71 %). Lag eine Schenkelhalsfraktur vor, die bei hohem Aktivitätsgrad des Patienten mit einer TEP versorgt wurde, war in 82 % der Fälle eine zementierte Prothese notwendig, lediglich bei 18 % konnte die Prothese zementfrei eingesetzt werden. Bei den Patienten mit zementfreien Fraktur-TEPs handelte es sich – mit einer Ausnahme – um Patienten, die jünger als 76 Jahre waren. Häufiger als eine TEP wurde bei medialer Schenkelhalsfraktur älterer Patienten eine zementierte Duokopfprothese eingesetzt. Nur in Einzelfällen erfolgte die Implantation dieses Prothesentyps zementfrei. Dabei handelte es sich immer um Hochrisikopatienten, bei denen zementapplikationsanhängige Herzkreislaufbelastungen unbedingt vermieden werden mussten. Die bei den früheren Monoblockprothesen feststellbaren, prothesenkopfbedingten Pfannenprotrusionen sind bei Duokopfprothesen eine Seltenheit, sodass diese Prothesenversorgung bei älteren Patienten mit Schenkelhalsfraktur ohne Coxarthrose, aber mit limitiertem Bewegungsradius eine patientengerechte und erfolgreiche Versorgungsalternative darstellt. Fazit Durch innovative Prothesen und Prothesendesigns erfährt die Endoprothetik ständigen Zuwachs an neuen Implantaten für die Versorgung von Arthrosen und Frakturen der Gelenke der oberen und unteren Extremitäten. Auch für den älteren Patienten steht ein umfangreiches Prothesenportfolio zur Auswahl, das aber einer an skelettale wie patientenorientierte Vorgaben ausgerichteten Anpassung bedarf. Das Anforderungsprofil des Patienten sowie Lebenserwartung, Komorbiditäten, Knochenqualität und Bewegungsanspruch müssen in den Therapieentscheid und die Verfahrenswahl einfließen. Funktion und Mobilitätserhalt sind wesentliche Kernelemente für die Lebensqualität älterer Mitmenschen. Sie zu bewahren, ist Aufgabe aber auch Verpflichtung einer angemessenen operativen Behandlung von Gelenkarthrosen und -verletzungen des älteren Menschen. ■ Jürgen Nothwang, Schorndorf Literatur beim Verfasser SCHMERZMEDIZIN 4/2014 (30. Jg.) Praxisdokumentation/Versorgungsforschung Das Warten hat ein Ende! Endlich möchte man rufen – endlich ist es soweit. Mit dem offiziellen Launch des DGS-PraxisRegister Schmerz am 17.11.2014 gab die Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS) e.V. den Startschuss für das weltweit größte Versorgungsforschungsprojekt für die Indikation Schmerz. Grundlage des PraxisRegisters ist die Vernetzung ambulanter Schmerzzentren über eine einheitliche Dokumentationsplattform (iDocLive®), informiert Priv.-Doz. Dr. med. Michael A. Überall, Vizepräsident der DGS, Präsident der Deutschen Schmerzliga (DSL),Nürnberg. iele des PraxisRegisters sind es, nicht nur versorgungsrelevante epidemiologische Fragestellungen beantworten zu können, sondern insbesondere auch Untersuchungen des Versorgungsbedarfs (Input), der verfügbaren bzw. benötigten Versorgungsstrukturen bzw. -prozesse (Throughput), der erbrachten Versorgungsleistungen (Output) und des Zugewinns an Gesundheits- bzw. Lebensqualität Betroffener (Outcome) durchzuführen. Im Fokus Versorgungsbedarf und Lebensqualität Die seit Jahren von den Gesundheitssystemen der westlichen Welt unter dem Einfluss von Kostendruck, Industrialisierung und Qualitätsprüfung vollzogene Entwicklung hin zu einem ausschließlich auf externe Evidenzkriterien (d. h. randomisierte Placebo-kontrollierte klinische Studien) fokussierten Gesundheitssystem wird den komplexen Konstellationen chronischer Krankheiten, insbesondere denen chronisch schmerzkranker Menschen, nicht gerecht, sondern allenfalls den ökonomischen Interessen Dritter. Trotz umfangreichster Anstrengungen haben Leitlinien und sog. evidenzbasierte Entscheidungsfindungsprozesse – die seit geraumer Zeit das deutsche Gesundheitssystem zu dominieren suchen – weder die Versorgung chronisch schmerzkranker Menschen in Deutschland verbessert, noch das Chronifizierungsrisiko wahrnehmbar gesenkt. Immer mehr und immer stärker betroffene chronische Schmerzpatienten werden von dem auf externe Evidenz und Kosteneffizienz getrimmten deutschen Gesundheitssystem immer häufiger im Stich gelassen – u. a. weil belastbare empirische Zahlen und hochwertige wissenschaftliche Analysen des Versorgungsbereichs fehlen. geringere und immer geringer wertgeschätzte Zahl verwertbarer epidemiologischer und versorgungsbasierter empirischer Untersuchungen gegenüber. Gleichzeitig wächst die Kluft zwischen der patientenfernen universitären Forschung und der patientennahen Versorgungsrealität immer stärker und scheint insbesondere auf Seiten von Forschern, Krankenkassen und Gesundheitspolitikern das Verständnis um die Nöte und Bedürfnisse von Ärzten im Versorgungsalltag – unter anderem begründet mit dem gebetsmühlenartig vorgetragenen Argument fehlender und vor allem belastbarer Versorgungsdaten – immer geringer zu werden. Dieser Entwicklung hat sich die Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS) e. V. lange genug im Bestreben einer einvernehmlichen Lösung entgegengestemmt – musste jedoch letztlich einsehen, dass auf Seiten ihrer Gesprächspartner (insbesondere der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin, DGSS e. V.) mangels dortiger Erfahrung und Einfühlungsvermögen nicht nur jegliches Verständnis für die Bedürfnisse und Nöte einer flächendeckenden schmerzmedizinischen Versorgung durch freiberuflich tätige engagierte Ärzte fehlt, sondern auch jegliche Bereitschaft für gemeinsame Problemlösungsansätze. Damit war der Schritt hin zu eigenen Versorgungsforschungsprojekten, insbesondere hin zu einem flächendeckenden PraxisRegister Schmerz vorgegeben und es letztlich nur noch eine Frage der Zeit, bis die für ein solches umfangreiches Versorgungsforschungsprojekt notwendigen logistischen, technischen und verwaltungsrechtlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden konnten. PraxisRegister Schmerz Mit dem DGS-PraxisRegister hat die Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS) e. V. nun endlich einen nicht nur wissenschaftlich richtigen, sondern für die konkrete Patientenversorgung auch eminent wichtigen Schritt getan, um sich vom Forschungsdiktat einer zunehmend versorgungsfernen Schmerzforschung an Hochschulen und Universitätskliniken zu lösen. Die Versorgung chronisch schmerzkranker Menschen, wie auch die Vorbeugung drohender Chronifizierungsprozesse und die optimale Behandlung akuter Schmerzen bedarf dringend einer engen Kooperation von Forschern und Versorgern, um der zunehmenden Probleme Herr werden zu können. Freundschaftliche Kooperation Diese Kooperation sollte einvernehmlich, freundschaftlich, zielführend und vor allem unter Achtung der jeweiligen spezifischen DGS-PraxisRegister Schmerz – voll elektronisch, online, papierlos, kostenlos, schnell und intelligent © Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin e.V. Z Michael A. Überall, Nürnberg Patientenferne Forschung Dem zunehmenden Übergewicht kontrollierter randomisierter Studien steht eine immer SCHMERZMEDIZIN 4/2014 (30. Jg.) 7 Praxisdokumentation/Versorgungsforschung · Impressum © VRD - Fotolia Einladung an alle an der Versorgung von Schmerzpatienten beteiligten Ärzte mitzumachen! Kompetenzen aller Beteiligten realisiert werden und darf sich – im Interesse Betroffener – nicht dem Diktat Einzelner oder den durch ökonomische Zwänge bedingten gesundheitspolitischen Trends unterwerfen. Die konkrete Versorgung betroffener Schmerzpatienten bedarf endlich konkreter Antworten auf all die Fragen, die für den Versorgungsalltag wichtig sind und nicht noch mehr Antworten auf Fragen, die keiner stellt und allenfalls der Befriedigung wissenschaftlicher Sekundärinteressen (wie z. B. der Publikationsliste oder dem wissenschaftlichen Renommee) dienen. Aus diesem Grund muss die Versorgungsforschung auch von denen realisiert werden, die ein primäres Interesse an einer Verbesserung der Patientenversorgung haben und nicht von Gruppen oder Gesellschaften, denen primär der Science Citation Index am Herzen liegt. Dass dieser Eingriff in die Wissenschaftshoheit von Forschung und Lehre gerade für den Bereich Schmerzmedizin dringend notwendig ist, liegt angesichts der zunehmenden Zahl chronischer Schmerzpatienten und der zunehmend geringer werdenden finanziellen Ressourcen auf der Hand. Dass er den etablierten Wissenschaftlern nur bedingt gefallen wird, auch! Gemeinsame Aktivität mit Netzsoftware Somit es ist es also an der Zeit, dass nicht nur die Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS) e. V. als Interessenvertretung aller an einer konkreten Verbesserung der Versorgungsbedingungen interessierten Ärzten Deutschlands Flagge zeigt und sich der gesundheitspolitischen Fehlentwicklung und zunehmend irrationalen Ökonomisierung wiedersetzt, sondern auch jedes einzelne ihrer Mitglieder. Es ist an der Zeit, endlich gemeinsam aktiv zu werden, wenn sich etwas ändern soll. Mit dem PraxisRegister Schmerz hat die DGS einen 8 großen Schritt gemacht, sich als eigenständig aktive und für die Interessen freiberuflich bzw. in verantwortlicher Position tätiger angestellter Schmerztherapeuten jedweder Fachrichtung einzusetzen. Mit dem DGS-PraxisRegister Schmerz und der ihm zugrunde liegenden Netzsoftware iDocLive® besteht die einmalige Möglichkeit, gemeinsam aktiv zu werden, ohne selbst besonders viel dafür tun zu müssen. Voll elektronisch, online, papierlos, kostenlos, schnell und intelligent – das sind nur einige wenige Kriterien, die der Entwicklung dieses Versorgungsforschungsprojekte zugrunde lagen. Und objektiv spricht nur wenig dagegen, an diesem Gesellschaftsprojekt teilzunehmen – allenfalls die eigene Trägheit oder die Illusion, es werde sich auch ohne eigenes Engagement alles zum Besseren wenden. Aufruf an alle! Mit dem PraxisRegister Schmerz lädt die Deutsche Gesellschaft (DGS) e.V. alle konkret an der Versorgung von Schmerzpatienten beteiligten Ärzte Deutschlands ein mitzumachen. Egal ob Einzelkämpfer mit oder ohne Zusatzbezeichnung. Egal ob Allgemeinarzt, Orthopäde, Anästhesist, Neurologe oder Kinderarzt. Egal ob wenige oder viele Schmerzpatienten Ihren Versorgungsalltag bestimmen. Egal, wer oder was Sie sind. Sobald Sie auch nur einen Schmerzpatienten pro Woche behandeln, besitzen Sie Wissen und Erfahrung, die dringend benötigt werden, um die Versorgung von Patienten mit akuten, subakuten oder chronischen Schmerzen jedweder Ätiologie und Pathogenese zu verbessern. Nur gemeinsam wird es gelingen, diesen Wissens- und Erfahrungsschatz zu bergen und zu analysieren. Die Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS) ist bereit, alle interessierten Ärzte Deutschlands dabei zu unterstützen und ihnen im Gegenzug über die für die Vernetzung notwendige und allen DGS-Mitgliedern kostenlos bereit gestellte Software auch kontinuierlich und in Echtzeit Daten und Auswertungen zu Verfügung zu stellen, die Beteiligten helfen Ihren eigenen Versorgungsalltag konkret zu optimieren. Kollektives Wissen und kollektive Erfahrung in Echtzeit analysiert zum Wohle aller: nicht nur der teilnehmenden Patienten oder der teilnehmenden Ärzte, sondern auch unserer Gesellschaft und dem deutschen Gesundheitssystem. Das ist Versorgungsforschung „at its best“ – das ist das PraxisRegister Schmerz mit iDocLive® und das ist die Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS) e. V. – patientennah und versorgungsorientiert! ■ Michael A. Überall, Nürnberg Impressum Organ der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin Herausgeber Gerhard H. H. Müller-Schwefe Schillerplatz 8/1, D-73033 Göppingen Tel. 07161/976476, Fax 07161/976477 E-Mail: [email protected] Schriftleitung Oliver Emrich, Ludwigs­hafen; Johannes Horlemann, Kevelaer; Klaus Längler, Erkelenz; Silvia Maurer, Bad-Bergzabern; Michael A. Überall, Nürnberg; Stephanie Kraus (verantw.), Stephans­kirchen, Tel.: 08036/1031 Beirat Christoph Baerwald, Leipzig; Wolfgang Bartel, Halberstadt; Heinz-Dieter ­Basler, Marburg; Günter Baust, Halle/Saale; Klaus Borchert, Greifswald; Burkhard Bromm, Hamburg; Ingunde Fischer, Halle/Saale; Gideon Franck, Fulda; Gerd Geiss­linger, Frankfurt; Hartmut Göbel, Kiel; Olaf Günther, Magdeburg; Winfried Hoerster, Gießen; Stein Husebø, Bergen; Uwe Junker, Remscheid; Uwe Kern, Wiesbaden; Edwin Klaus, Würzburg; Eberhard Klaschik, Bonn; Lothar Klimpel, Speyer; Bruno Kniesel, Hamburg; Marianne Koch, Tutzing; Bernd Koßmann, Wangen; Michael Küster, Bonn-Bad Godesberg; Klaus Längler, Erkelenz; Peter Lotz, Bad Lippspringe; Eberhard A. Lux, Lünen; Christoph Müller-Busch, Berlin; Joachim Nadstawek, Bonn; Thomas Nolte, Wiesbaden; Robert R­ eining, Passau; Robert F. Schmidt, Würzburg; Günter ­Schütze, Iserlohn; Harald Schweim, Bonn; Hanne ­Seemann, ­Heidelberg; Ralph Spintge, Lüdenscheid; Birgit Steinhauer, Limburg; ­Roland Wörz, Bad Schönborn; Walter Zieglgänsberger, München; Manfred Zimmermann, Heidelberg In Zusammenarbeit mit: Deutsche Gesellschaft für Algesiologie – Deutsche Gesellschaft für Schmerzforschung und Schmerztherapie; Deutsche Akademie für Algesiologie – Institut für schmerztherapeutische Fort- und Weiterbildung; Deutsche Gesellschaft für interdisziplinäre Palliativversorgung e. V.; Deutsche Schmerzliga e.V. (DSL); Gesellschaft für algesiologische Fortbildung mbH (gaf mbH); Gesamtdeutsche Gesellschaft für Manuelle Medizin e.V. (GGMM); Institut für Qualitätssicherung in Schmerztherapie und Palliativmedizin (IQUISP); Berufsverband der Schmerztherapeuten in Deutschland e.V. (BVSD); Deutsche Gesellschaft für Akupunktur und Neuraltherapie (DGfAN) Mit der Annahme eines Beitrags zur Veröffent­lichung erwirbt der Verlag vom Autor alle Rechte, insbesondere das Recht der weiteren Vervielfältigung zu gewerblichen Zwecken mithilfe fotomechanischer oder anderer Verfahren. Die Zeitschrift sowie alle in ihr enthaltenen e­ inzelnen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Hinweis: Die in dieser Zeitschrift angegebenen Dosierungen – vor allem von Neuzulassungen – sollten in jedem Fall mit dem Beipackzettel der verwendeten Medikamente verglichen werden. Bezugspreis: Einzelheft 12,– Euro; Abonnement für 4 Ausgaben pro Jahr 40,– Euro (zzgl. Versand, inkl. MwSt.). Der Mitgliedsbeitrag der DGS schließt den Bezugspreis der Zeitschrift mit ein. Die Zeitschrift erscheint im 30. Jahrgang. Verlag: Springer Medizin © Urban & Vogel GmbH, München, Dezember 2014 Leitung Corporate Publishing: Ulrike Hafner (verantw.) Redaktion: Dr. Michael Brysch, Teresa Windelen Druck: Stürtz GmbH, Würzburg Titelbild: © C. Schiller / fotolia.com Inhaber- und Beteiligungsverhältnisse Die Urban & Vogel GmbH ist 100%ige Tochter­gesellschaft der Springer Medizin Verlag GmbH, Heidelberg. Die alleinige Gesellschafterin der Springer Medizin Verlag GmbH ist die Springer-Verlag GmbH mit einer Beteiligung von 100%. Die Springer-Verlag GmbH ist eine 100%ige Tochtergesellschaft der Springer Science + Business Media Deutschland GmbH. Die ­alleinige Gesellschafterin der Springer Science + Business Media Deutschland GmbH ist die Springer Science + Business Media Netherlands B.V., die 100% der Anteile hält. Die Springer Science + Business Media Netherlands B.V. ist eine 100%ige Tochtergesellschaft der Springer Science + Business Media Finance S.àR.L. Die Springer Science+Business Media Finance S.àR.L. ist eine 100%ige Tochter der Springer Science+Business Media S.A. SCHMERZMEDIZIN 4/2014 (30. Jg.) Pharmakotherapie Medikamentöse Schmerztherapie bei Arthrose Die Arthrose ist eine metabolische aktive, nicht entzündliche degenerative Erkrankung des Gelenkknorpels, die langsam progredient verläuft. Neben einer eingeschränkten Funktionalität der Gelenke, sind Muskelatrophie und -kontrakturen sowie Gelenkdeformitäten und -instabilitäten typische Symptome. Schmerzen treten relativ frühzeitig auf und nehmen mit Fortschreiten der Erkrankung an Intensität zu. Eine rechtzeitige und gezielte Therapie der Schmerzen stellt neben der Verbesserung der Funktionalität, der Behandlung sekundärer Entzündungen und der Verzögerung der Progression ein wichtiges Therapieziel dar. Die wichtigsten Bestandteile der medikamentösen Arthrosetherapie schildert Dr. med. Jürgen Eiche, HCM, Facharzt für Anästhesiologie, Palliativmedizin, Notfallmedizin, Algesiologe der DGS e.V., Eisenach. D urch eine suffiziente Schmerztherapie ist der Patient oft erst in der Lage, an notwendigen physiotherapeutischen Maßnahmen aktiv teilzunehmen. Eine Chronifizierung des Schmerzes kann verhindert werden. unter der Berücksichtigung ursächlicher Schmerzmechanismen. Wir sprechen heute von einer Mechanismen orientierten Schmerztherapie. Unzureichend behandelter akuter Schmerz kann zu chronischen Schmerzzuständen führen. Hierbei kommt es zu peripheren und zentralen Sensibilisierungsvorgängen im schmerzleitenden System mit einer anhaltenden Freisetzung von vielen Entzündungsmediatoren. Die Folge sind Spontanaktivitäten von Schmerzfasern, ein Fortschreiten der neurogenen Entzündung bis hin zu nachweisbaren morphologischen Veränderungen im peripheren und zentralen Nervensystem. Weitere Folge ist der damit verbundene Funktionsverlust des körpereigenen schmerzhemmenden Systems. Idealerweise sollte vor jeder Schmerztherapie eine ausführliche Anamnese und eine gezielte klinische Untersuchung mit dem Ziel durchgeführt werden, Symptome zu erkennen, die auf den Mechanismus der Schmerzentstehung schließen lassen, der dann differenziert therapiert werden kann. Leider ist das Erkennen des ursächlichen Mechanismus schwierig, weil die Symptome nicht immer dem Mechanismus entsprechen. Danach erfolgt die bildgebende Diagnostik, de- Schmerztherapie oft nicht ausreichend Leider wird die Schmerztherapie dieser hohen Anforderung nicht immer gerecht. Bei einer Telefonbefragung in Europa mit über 45.000 Befragten, einschließlich Patienten mit Arthrose, die an chronischen Schmerzen litten, wurden 5.000 Patienten eingehend befragt. Viele dieser Patienten gaben an, dass ihr Schmerz nicht gut kontrolliert wird. Mehr als 30 % der Befragten fanden ihren Schmerz unerträglich, mehr als 60 % fanden ihre verordnete Schmerzmedikation hinsichtlich der Analgesie unzulänglich. Betrachtet man die Schmerzkarriere vieler Patienten, so dauert es vom ersten Schmerzempfinden bis zur ersten hausärztlichen Beratung durchschnittlich drei Jahre. Eine Überweisung an einen Schmerztherapeuten, die in 47 % der Fälle auf Bitten des Patienten erfolgt, findet im Durchschnitt erst nach 12 Jahren statt. Diese Situation ist durchaus verbesserungswürdig. Eine multimodale interdisziplinäre Schmerztherapie ist hier unbedingt erforderlich. Abb. 1: WHO-Stufenschema Mechanismen Chronischer Schmerzen SCHMERZMEDIZIN 4/2014 (30. Jg.) starke Opioide Morphin, Fentanyl, Oxycodon © Jürgen Eiche, Eisenach Die medikamentöse Schmerztherapie orientierte sich bisher an dem WHO Stufenschema, das 1986 für Tumorpatienten konzipiert worden ist (Abb. 1). Dieses Schema ist bei chronisch gutartigen Schmerzen ein überholtes Therapieprinzip, da es weder neue pathophysiologische noch neue pharmakologische Erkenntnisse berücksichtigt. Die heutige moderne medikamentöse Schmerztherapie erfolgt schwache Opioide Tramadol, Tilidin Nichtopioide NSAR, Coxibe, Paracetamol, Metamizol Jürgen Eiche, Eisenach ren Ergebnisse oft nicht mit der Schmerzstärke korrelieren. Grundsätzlich unterscheidet man den nozizeptiven vom neuropathischen Schmerz. Bei bestimmten Krankheitsbildern kommen beide Formen nebeneinander vor, wir sprechen hier von einem Mixed Pain. Medikamentöse Schmerztherapie Bei der Arthrose kann man davon ausgehen, dass im frühen Stadium ein rein nozizeptiver Schmerz vorliegt. Kommt es im Stadium der klinisch manifesten, dekompensierten Arthrose oder nach einer operativen Intervention zu Dauerschmerzen, ist dies ein Zeichen dafür, dass es zu einer Schädigung oder Dysfunktion zentraler oder peripherer Nervenstrukturen gekommen ist, die mit speziellen Schmerzmitteln gezielt behandelt werden müssen. Eine mögliche Strategie der medikamentösen Schmerztherapie bei Patienten mit Arthrose ist in Abbildung 2 dargestellt. Ist die Arthrose nicht entzündlich, kann die medikamentöse Schmerztherapie mit Paracetamol oder Metamizol erfolgen, wobei Metamizol das potentere Schmerzmittel darstellt. Hinsichtlich der Nebenwirkungen ist bei einer Daueranwendung höherer Dosen von Paracetamol (> 6g/d) mit eine Lebertoxizität zu rechnen. Bei Metamizol werden selten allergische Reaktionen beobachtet. In sehr seltenen Fällen kommt es zu einer Agranulozytose. Kommt es unter dieser Therapie zu einer ausreichenden Schmerzreduktion, können nichtmedikamentöse Maßnahmen begonnen werden. Reicht die Schmerzreduktion unter Paracetamol/Metamizol nicht aus oder handelt es sich um eine aktivierte, entzündliche Arthrose, sind Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) oder selektive Cyclooxygenase-2-Hemmer (Coxibe) Mittel der ersten Wahl. Die Wirksamkeit dieser entzündungshemmenden Analgetika ist in mehreren Studien belegt. Unterschiede in der Wirksamkeit zwischen den einzelnen Substanzen sind marginal. Zu berücksichtigen ist allerdings das erhebliche Potential an unerwünschten 9 Pharmakotherapie dikamentöse Maßnahmen begonnen werden. Reicht die Schmerzreduktion unter NSAR/Coxiben nicht aus, die Patienten haben Kontraindikationen für diese Medikamente oder es treten Nebenwirkungen auf, stellt der niedrig dosierte Einsatz von Opioiden oder Tapentadol eine gute Alternative dar (Tab. 1). Da weder für Opioide noch für Tapentadol eine Organtoxizität bekannt ist, sind beide Substanzen für eine Langzeittherapie geeignet. Als Nebenwirkungen für die Opioide sind Obstipation, Übelkeit/ Erbrechen, Müdigkeit, Juckreiz und Halluzinationen bekannt. Während Übelkeit und Erbrechen sowie die Müdigkeit nach einer Initialtherapie oft verschwinden, stellt die Obstipation ein großes Problem dar. Chronische Schmerzpatienten brechen die Behandlung mit Opioiden häufiger wegen unerwünschter Nebenwirkungen ab, als wegen unzureichender schmerzreduzierender Wirkung. Ein Ansatz ist die Kombination eines Opioid-Rezeptor-Agonisten mit einem Opioid-Rezeptor-Antagonisten, worunter es zu einer geringeren Obstipation kommt. Tapentadol bietet eine dem Oxycodon vergleichbare starke schmerzreduzierende Wirkung bei gleichzeitigem niedrigerem Nebenwirkungspotential. Eine Dosisanpassung bei eingeschränkter Nierenfunktion ist nicht und nur bei einer hochgradigen Leberfunktionsstörung notwendig. Tapentadol bietet wegen seiner doppelten Wirkung (Blockade der μ-Opioid-Rezeptoren und Wiederaufnahmehemmung von Noradrenalin) Vorteile beim Mixed Pain. Kommt es unter Opioiden oder Tapentadol zu einer ausreichenden Schmerzreduktion, können auch hier nichtmedikamentöse Maßnahmen begonnen werden. Reicht die Schmerzreduktion unter Opioiden/ Tapentadol nicht aus, oder besteht der Verdacht auf eine neuropathische Schmerzkomponente, ist eine Kombination mit Koanalgetika indiziert. Der Verdacht auf eine neuropathische Komponente besteht immer dann, wenn Abb. 2: Medikamentöse Schmerztherapie bei Arthrose 1. Anamnese; 2. klinische Untersuchung; 3. bildgebende Diagnostik schmerzhaft nicht entzündlich aktiviert entzündlich Arthrose Paracetamol Metamizol ausreichende Wirkung? nein Coxibe/NSAR (KI beachten) ja ja nein © Jürgen Eiche, Eisenach Nebenwirkung Kontraindikation Coxibe/NSAR Weitergabe/Aufnahme nichtmedikamentöser Maßnahmen Verdacht auf neuropathische Komponente ausreichende Wirkung? Opioide Tapentadol ja ausreichende Wirkung? nein Co-Analgetika Antidepressiva Antiepileptika Nebenwirkungen und Medikamenteninteraktionen der NSAR, die die Koenzyme 1 und 2 der Cyclooxygenase unselektiv hemmen. Genannt seien hier gastrointestinale (Erosionen, Ulzerationen, Blutungen, Perforationen), renale (interstitielle Nephritis, Nierenversagen) sowie kardio- und zerebrovaskuläre (Herzinfarkt, Hirninfarkt) Effekte, die auch zu lebensbedrohlichen Situationen führen können. Ein besonders hohes Risiko unter der Therapie mit NSAR haben Patienten im hohen Lebensalter und bekannten gastrointestinalen Ereignissen in der Anamnese. Weitere Risikofaktoren sind die gleichzeitige Einnahme von Medikamenten (Kortikoide, Acetylsalicylsäure, Antikoagulanzien), H. pylori-Infektion, schwere systemische Grunderkrankungen, Stress und chronischer Alkoholabusus sowie hohe NSAR-Dosierungen und lange Therapiedauer. Die Entwicklung selektiver Cyclooxygenase-2-Hemmer ließ zunächst hoffen, dass durch den Einsatz dieser analgetisch wirksamen Substanzen die gastrointestinale Toxizität deutlich gesenkt werden könne. Diese Erwartungen wurden nur zum Teil erfüllt. Heute gelten für Patienten mit erhöhtem gastrointestinalem Risiko ähnliche Warnhinweise für Coxibe wie für NSAR. Das kardiovaskuläre Risiko limitiert den Einsatz sowohl von Coxiben als auch von nichtselektiven NSARs. Die renale Toxizität scheint für beide Substanzgruppen gleich. Kommt es unter NSAR und Coxiben zu einer ausreichenden Schmerzreduktion, können auch hier nichtme- 10 Tab. 1: Opioide und Tapentadol © Jürgen Eiche, Eisenach Weitergabe/Aufnahme nichtmedikamentöser Maßnahmen Substanz Applikation Dosierung Tramadol oral 2x100–200 mg/d Tilidin oral 2x50–200 mg/d Morphin oral 2x10–100 mg/d Oxycodon oral 2x5–40 mg/d Hydromorphon oral 1x4–64 mg/d Tapentadol oral 2x50–250 mg/d Fentanyl transdermal 12–50 µg/h Buprenorphin transdermal 5–20 µg/h die Schmerzen einen brennenden, einschießenden Charakter haben und neurologische Begleitsymptome (Hypo-Hyperästhesie, Parästhesie, Hyperalgesie, Allodynie) vorliegen. Auch autonome Begleitsymptome (starke Schweißbildung) sind in einigen Fällen nachweisbar. Koanalgetika sind hauptsächlich den Stoffgruppen der Antidepressiva und Antiepileptika zuzuordnen. Ihre Wirkung entfalten sie über die Blockade von bestimmten Ionenkanälen oder Hemmung der Wiederaufnahme von Neurotransmittern wie Noradrenalin und Serotonin. Hierdurch kommt es zu einer Hemmung der primären Schmerzleitung sowie zu einer Verstärkung des körpereigenen schmerzhemmenden Systems. Als Nebenwirkungen sind Müdigkeit, Schwindel, Mundtrockenheit und Miktionsstörungen zu nennen. Deshalb sollte die Therapie, hauptsächlich in Kombination mit Opioiden, langsam eingeschlichen und eine möglichst niedrige Dosis gewählt werden. Probleme der Schmerztherapie bei älteren Patienten Patienten mit Arthrose gehören häufig höheren Altersgruppen an. Mit zunehmendem Alter kommt es zu einer Reihe von physiologischen Veränderungen verschiedener Organe, woraus eine eingeschränkte Organreserve und eine abnehmende Organfunktion resultieren. Für die Schmerztherapie sind Nierenund Leberfunktion von großer Bedeutung. Eine Anpassung der Dosis von Schmerzmedikamenten ist oft notwendig, damit Überdosierungen vermieden werden können. Ältere Menschen sind zudem häufig multimorbid und müssen deshalb viele Medikamente einnehmen. Bei der Gabe von Analgetika kommt es mit diesen Medikamenten zu einer Reihe von Interaktionen, die die Pharmakodynamik aller Medikamente beeinflussen kann. Dadurch kann es zu einer Reduktion der Wirkung jedes einzelnen Medikamentes oder zu einer Wirkverstärkung und Überdosierung kommen. Deshalb sollte jede Schmerztherapie individuell für jeden Patienten maßgeschneidert, an Mechanismen orientiert und zielgerichtet durchgeführt und überwacht werden. Die Therapie sollte in der Regel mit einer geringen Dosis begonnen werden, die Steigerung der Dosis muss langsam erfolgen. Die Komplexität ist mittlerweile so groß, dass nur eine interdisziplinäre Therapie zum Erfolg führt. Die Reduktion der Schmerzen und eine möglichst lange Erhaltung der Mobilität bedeuten für den Patienten Lebensqualität. ■ Jürgen Eiche, Eisenach Literatur beim Verfasser SCHMERZMEDIZIN 4/2014 (30. Jg.) Psychosomatik Somatoforme Störungen Somatoforme Störungen (ICD-10: F45) sind häufige Störungen in der täglichen Praxis, die anhaltende somatoforme Schmerzstörung (ICD-10: F45.4) tritt– naturgemäß – besonders häufig bei schmerztherapeutisch tätigen Kollegen auf. Über dieses Krankheitsbild informiert Prof. Dr. med. Hans-Peter Volz, Krankenhaus für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin, Schloss Werneck. as Konzept dieser Störungsgruppe, geht auf Briquet (1859) zurück, der von ihm verwendete Begriff war Hysterie. Er stellte eine Liste somatischer und psychologischer Symptome zusammen, die er als typisch für diese Form der Erkrankung (heute als Syndrom oder Symptomencluster bezeichnet) ansah: 55Hypästhesie 55Anästhesie 55Verminderte sensorische Wahrnehmung 55Krämpfe 55Anfälle 55Hysterische Lähmung Dieses Konzept wurde in der Folgezeit von Freud und Beuer (1893, 1895) deutlich beeinflusst. Hier stand nicht die möglichst genaue Beschreibung des klinischen Bildes im Vordergrund, vielmehr die tiefenpsychologische Erklärung der auftretenden Symptome. Erst im späten 20. Jahrhundert – v. a. durch die Einführung der modernen Diagnosemanuale – erfolgte die Aufspaltung dieses Syndroms in somatoforme und dissoziative (Konversions-) Störungen. Diagnostische Einteilung nach der ICD-10: Somatoforme Störungen Unter der Obergruppe der somatoformen Störungen sind in der ICD-10 einzelnen Störungen zusammengefasst (Tabelle 1). Definition In der ICD-10 sind somatoforme Störungen wie folgt definiert:„Charakteristikum ist die wiederholte Darbietung körperlicher Symptome in Verbindung mit hartnäckigen Forderungen nach medizinischen Untersuchungen trotz wiederholter negativer Ergebnisse und Versicherung der Ärzte, dass die Symptome nicht körperlich begründbar sind. Wenn somatische Störungen vorhanden sind, erklären sie nicht die Art und das Ausmaß der Symptome, das Leiden und die innerliche Beteiligung des Patienten“ (angemerkt sei schon an dieser Stelle, dass die vorgenannten Kriterien für die Anwendung der Schlüsselnummer F45.41 [Chronische Schmerzstörung mit somatischen SCHMERZMEDIZIN 4/2014 (30. Jg.) und psychischen Faktoren] nicht anzuwenden sind; für diese Störung gelten die dort genannten speziellen Kriterien). Die diagnostischen Leitlinien für die Kerngruppe der somatoformen Störungen, für die Somatisierungsstörung, sind wie folgt: 1. Mindestens zwei Jahre anhaltende multiple und unterschiedliche körperliche Symptome, für die keine ausreichende somatische Erklärung gefunden wurde; 2. hartnäckige Weigerung, den Rat oder die Versicherung mehrerer Ärzte anzunehmen, dass für die Symptome keine körperliche Erklärung zu finden ist; 3. eine gewisse Beeinträchtigung familiärer und sozialer Funktionen durch die Art der Symptome und das daraus resultierende Verhalten. Bei der somatoformen autonomen Funktionsstörung wird je nach dem hauptsächlich betroffenen Organsystem eine Unterteilung eingeführt. Während bei der Somatisierungsstörung, der undifferenzierten Somatisierungsstörung, der somatoformen autonomen Funktionsstörung sowie der anhaltenden somatoformen Schmerzstörung das Empfinden körperlicher Symptome im Vordergrund steht, ist dies bei der hypochondrischen Störung etwas anders: Hier steht entweder die Beschäftigung mit dem Gedanken, an einer schweren körperlichen Erkrankung zu leiden, im Zentrum oder empfundenen Symptomen wird eine überstarke Bedeutung beigemessen, diese Symptome werden als „abnorm“ oder „belastend“ erlebt. Schmerz, der „durch einen physiologischen Prozess oder eine körperliche Störung nicht hinreichend erklärt werden kann“ charakterisiert ist, also dem 'Grundprinzip' der somatoformen Störungen folgt, dass keine oder keine hinreichend erklärende organische Ursache vorhanden sein darf, handelt es sich bei der zweiten Störung um eine „chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren“. Hier nehmen die Schmerzen ihren Ausgangspunkt in einem „physiologischen Prozess oder einer körperlichen Störung“, „psychischen Faktoren wird eine wichtige Rolle für Schwergrad, Exazerbation oder Aufrechterhaltung der Schmerzen beigemessen, jedoch nicht die ursächliche Rolle für deren Beginn“. Mit dieser Definition stellt sich die „chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren“ in gewisser Weise außerhalb der Kerndefinition der somatofor- Tabelle 1: ICD-10-Einteilung Anhaltende somatoforme Schmerzstörung Eine interessante Modifikation ergibt sich bereits im ICD-10 in der Unterteilung der anhaltenden somatoformen Schmerzstörung (ICD10: F45.4) in 'anhaltende somatoforme Schmerzstörung' (ICD-10: F45.40) und 'chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren' (ICD-10: F45.41, s. o.). Während die erstere Störung durch einen modifiziert nach Dilling H et al., 2005 D Hans-Peter Volz, Werneck F45: somatoforme Störung F45.0 Somatisierungsstörung F45.1 Undifferenzierte Somatisierungs störung F45.2 Hypochondrische Störung F45.3 somatoforme autonome Funktions störung F45.30 kardiovaskuläres System F45.31 oberer Gastrointestinaltrakt F45.32 unterer Gastrointestinaltrakt F45.33 respiratorisches System F45.34 urogenitales System F45.38 andere Organsysteme F45.4 anhaltende somatoforme Schmerz störung F45.40 anhaltende somatoforme Schmerzstörung F45.41 Chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren F45.8 sonstige somatoforme Störungen 11 Psychosomatik men Störungen, nämlich dass kein oder kein ausreichend erklärendes Korrelat den Beschwerden zu Grunde liegen darf. Mit dieser Unterform der Somatoformen Schmerzstörung wird konzeptionell der im DSM-5 dann breit erfolgende Perspektivwechsel vorweggenommen. Modifikation in der DSM-5 Das Diagnostic and Statistical Manual in seiner fünften Revision der American Psychiatric Association ist letztes Jahr erschienen (DSM-5). Dieses Manual hat, weit über die Grenzen der USA hinaus, seit vielen Jahrzehnten eine große Bedeutung, da es von vielen Psychiatern als Kasuistik: Somatoforme Störungen Frau L., 58 Jahre alt, kommt zur stationär-psychiatrischen Aufnahme, eingewiesen von ihrem Hausarzt. Eindeutig liegt – basierend auf einer langjährigen Partnerproblematik – eine mittelschwere bis schwere depressive Episode vor (ICD-10: F32.1/.2). Anamnese und Befunde Neben eindeutig diesem depressiven Syndrom zuordenbaren Beschwerden berichtet die Patientin über multiple Körperbeschwerden: 55Immer wieder habe sie Kopfschmerzen, wobei einerseits eindeutig eine Migräne vorliegt, daneben aber andererseits immer wieder bifrontale drückende Kopfschmerzen auftreten. Eine breite diagnostische Abklärung (einschließlich kranielles MRT mit KM) sei durchgeführt worden, ohne dass ein Befund erhoben habe werde können. Es sei dann die Diagnose „Spannungskopfschmerz“ erfolgt. 55Daneben hätten sich wechselnde Rückenschmerzen seit ca. fünf Jahre eingestellt. Hier habe die diagnostische Abklärung mehrere Bandscheibenprotrusionen, v. a. LWK1/2, LWK 3/4, ohne die Notwendigkeit einer operativen Intervention. 55Seit Jahren nehme die Patienten Omeprazol, zwischen 20 und 40 mg/Tag, da sie häufig Aufstoßen und Sodbrennen habe. Gastrologische Untersuchungen hätten keinen pathologischen Befund erbracht. 55Daneben berichtet die Probandin über Darmprobleme. Sie habe häufig Darmgeräusche, der Darm ziehe sich zusammen, sie habe dann dranghaften Stuhldrang und häufig Durchfall. Sie könne dies überhaupt nicht kontrollieren. Die genaue anamnestische Abklärung ergab, dass diese wechselhaften körperlichen Beschwerden – wenngleich nicht so heftig – vor dem Beginn der Depression für mehrere Jahre bestanden habe. Trotz zahlreicher körperlicher Untersuchungen mit im wesentlichen negativen Resultaten blieben die Beschwerden hartnäckig bestehen. Hier wurde die zusätzliche Diagnose einer Somatisierungsstörung (ICD-10: F45.0) gestellt. Therapie und Verlauf Zunächst konzentrierten sich die behandelnden Ärzte auf die Therapie der Depression, wobei ein multimodaler Behandlungsansatz mit im Vordergrund stehender psychodynamisch-orientierter Einzeltherapie und die Gabe des dualen Antidepressivums Duloxetin, zunächst 60 mg/d, dann 90 mg/d, im Vordergrund stand. Daneben nahm die Patientin an Themen-zentrierten Gruppentherapien, an der Ergo- und Sporttherapie teil. Zusätzlich erhielt sie intensiv verschiedene physiotherapeutische Anwendungen. Die depressiven Beschwerden besserten sich, insbesondere als auch zunehmend die problematische Beziehung in das Zentrum der therapeutischen Bemühungen rückte. Die multiplen Körperbeschwerden persistierten jedoch deutlich. Nunmehr wurde der psychotherapeutische Ansatz in Richtung kognitiver Verhaltenstherapie mit dem Ziel, einen besseren Umgang mit den somatoformen Beschwerden zu erwerben. Daneben wurde die Duloxetin-Therapie durch Opipramol, das bis 200 mg, als Einzeldosis zur Nacht gegeben, ergänzt. Hierunter kam es zu einer weiteren zögerlichen Besserung der Beschwerden. Zwischenzeitlich wurde die Patientin, nach siebenwöchiger stationärer Therapie entlassen, ambulant jedoch in der Klinik weiterbehandelt. Nach nunmehr weiteren acht Wochen zeigte sich eine gute Besserung auch der somatoformen Beschwerden. Hans-Peter Volz, Werneck 12 richtungsweisend für diagnostische Manuale gilt und wegen seiner häufig stringenteren Operationalisierungsregeln klarere Diagnosen erlaubt. Häufig lehnte sich in den vergangenen Jahren die international verbindliche ICDKlassifikation bei den psychiatrischen Störungen dann an die von der DSM-Klassifikation vorgegebene Richtung an. Insofern sind, gerade für den Schmerztherapeuten, die dort nun vorgenommenen Änderungen wichtig. Das Konzept der Somatoformen Störungen erfuhr durch die Einführung des DSM-5 eine deutliche konzeptionelle Änderung. Noch in der DSM-IV(-R) und in der ICD-10 (Dilling et al., 2005) war das wesentliche Charakteristikum, dass der Betroffene – neben körperlichen Beschwerden – an keiner körperlichen Erkrankung, die diese Beschwerden erklären kann, leiden durfte. Obwohl es schon immer Unterschiede zwischen dem DSM- und dem ICD-10System gab, war der Grundsatz, dass die Beschwerden kein (ausreichend erklärendes) organisches Korrelat haben dürfen, im Wesentlichen gleich. Mit Einführung des DSM-5 ist hier eine gravierende Modifikation eingetreten. Nun ist es nicht mehr notwendig, dass eine 'negative' Feststellung getroffen werden muss, nämlich dass„kein“ organisches Korrelat vorhanden ist, vielmehr werden die Beschwerden unabhängig von einem eventuell zu Grunde liegenden organischen Korrelat gewertet, es kommt nun lediglich darauf an, wie die Beschwerden affektiv vom Patienten bewertet werden. Wie Dimsdale und Levenson 2013 ausführen, sei nunmehr die Diagnose der 'Somatic Symptom Disorder' basiert auf Kriterien, die vorhanden seien, nicht auf das Fehlen eines organischen Korrelats. Sie fahren fort, dass die Tatsache, dass der Focus der Diagnose nun nicht mehr auf unerklärten somatischen Symptomen liege, es möglich mache, dass das Leiden des Patienten in den Mittelpunkt rücke, ohne dass dessen Legitimation in Frage gestellt werde. Allerdings ist es so, dass die abnorme Bewertung der verspürten Symptome das charakteristische Symptom ist, was aber auch bedeutet, dass die ehemals als Somatisierungsstörung diagnostizierten Patienten („medically unexplained symptoms“) und jene, die ein organisches Korrelat aufweisen („medically explained symptoms“) in einer diagnostischen Kategorie zusammengefasst werden. Es geht mehr um eine unangemessene, schlecht angepasste Reaktion auf körperliche Symptome unabhängig von deren (pathophysiologischer) Erklärbarkeit. Weiterhin hat sich auch die Sichtweise zur vormals als hypochondrische Störung bezeich- SCHMERZMEDIZIN 4/2014 (30. Jg.) Psychosomatik · DGS-Nachrichten neten Erkrankung geändert. Während vormals hierunter eine Störung verstanden wurde, bei der eine übermäßige Beschäftigung mit der Angst oder der Überzeugung, eine ernsthafte Krankheit zu haben, verstanden wurde, wird dieser Begriff in der DSM-5durch„Illness Anxiety Disorder“ (unter derselben Diagnosenummer 300.7 geführt) ersetzt; das A-Kriterium lautet nun: „preoccupation with having or acquiring a serious illness“, im weiteren wird dann darauf eingegangen, dass körperliche Symptome entweder nicht vorhanden sein oder nur gering ausgeprägt sein dürfen. Besonders wird nun der Aspekt Angst betont, und zwar Angst weniger in Zusammenhang mit empfundenen körperlichen Beschwerden, als vielmehr in Zusammenhang mit der Bedeutung, Wichtigkeit und Ursache der Beschwerden stehend. Laut Mayou (2014) sei es ein Fehler, diese Entität nicht gleich im DSM-System unter den Angststörungen zu führen. ter und selektiver Kontrolle in einem Ausmaß gestört ist, das von Tag zu Tag oder sogar von Stunde zu Stunde wechselt. Es lässt sich nur schwer feststellen, ob und in welchem Umfang dieser Funktionsverlust willkürlich kontrolliert werden kann.“ Hieraus lässt sich schon ableiten, dass das von dieser Störung betroffene Patientenklientel eher selten in der Praxis von Schmerztherapeuten vorkommen wird. Die diagnostische Entität ist wesentlich näher als die Somatoformen Störungen am Konzept der Hysterie im Sinn v. a. von Freud und Breuer (s. o.). Die einzelnen Unterformen der dissoziativen Störungen (ICD-10: F44) sind: 55F44.0: dissoziative Amnesie 55F44.1: dissoziative Fugue 55F44.2: dissoziativer Stupor 55F44.2: Trance und Besessenheitszustände 55F44.4 – F44.7: dissoziative Störungen der Bewegung und der Sinnesempfindung 55F44.8: sonstige dissoziative Störungen (z. B. Ganser Syndrom, multiple Persönlichkeit[sstörung]) 55F44.9: nicht näher bezeichnete dissoziative Störung Dissoziative Störungen In der ICD-10 wird folgende Charakterisierung für diese Störungsgruppe gegeben: „Das allgemeine Kennzeichen der dissoziativen oder Konversionsstörungen ist der teilweise oder völlige Verlust der normalen Integration von Erinnerungen an die Vergangenheit, des Identitätsbewusstseins, der unmittelbaren Empfindungen, sowie der Kontrolle von Körperbewegungen. Normalerweise besteht ein hoher Grad bewusster Kontrolle darüber, welche Erinnerungen und Empfindungen ausgeführt werden. Von den dissoziativen Störungen wird angenommen, dass die Fähigkeit zu bewuss- Pharmakotherapie Bei der Pharmakotherapie gibt es nur eine zugelassene Option für somatoforme Störungen, Opipramol, das auch in einer doppelblinden Studie im Vergleich zu Placebo untersucht wurde (Volz et al., 2000). Daneben liegen auch positive Placebo-kontrollierte Studien für Johanniskrautextrakte vor. Allerdings gibt es keine ausreichende Evidenz, um derzeit ein Medi- kament für die Behandlung der anhaltenden somatoformen Schmerzstörung empfehlen zu können. Ein Placebo-kontrollierter Nachweis, welche Medikation bei dieser Störung empfehlenswert sein könnte, steht noch aus. Aus der Erfahrung mit der Behandlung von Schmerzpatienten (, die nicht der strikten diagnostischen Zuordnung, wie sie in der ICD-10 vorgenommen wird, genügt) kann abgeleitet werden, dass sogenannte duale Antidepressiva, v. a. Duloxetin und Venlafaxin, gefolgt von trizyklischen Antidepressiva, hier ist in erster Linie Amitryptylin zu nennen, zu empfehlen sind. Angesichts der Häufigkeit von Somatoformen Störungen, insbesondere auch von anhaltenden somatoformen Schmerzstörungen, ist es erstaunlich und therapeutisch äußerst unbefriedigend, dass für die letztgenannte Störungsgruppe kein anerkannter pharmakotherapeutischer Standard existiert. Fazit Das Konzept der somatoformen Störungen ist vergleichsweise einfach, wie auch unbefriedigend: somatische Beschwerden ohne organisches Korrelat. Zukünftig wird wahrscheinlich `ohne organisches Korrelat´ an Bedeutung verlieren. Während für die Somatisierungsstörung pharmakologische Behandlungsoptionen existieren, ist dies für die anhaltende somatoforme Schmerzstörung nicht der Fall. ■ Hans-Peter Volz, Werneck Literatur beim Verfasser In Würdigung und Anerkennung seines Engagements für Patienten mit chronischem Schmerz verlieh die Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin e. V. PD Dr. med. Roland Wörz, Bad Schönborn, den Baden Württembergischen PALLIATIV- und SCHMERZPREIS 2014. Der Preis wurde im Rahmen des Innovationsforums der Gesellschaft am 15. November 2014 in Berlin überreicht. »Dr. Wörz hat durch seine umfangreichen wissenschaftlichen Arbeiten wesentlich zur Entwicklung des heutigen Verständnisses von Chronifizierungsprozessen und chronischen Schmerzen beigetragen«, würdigt Dr. med. Gerhard H. H. Müller-Schwefe, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin den Preisträger. Dr. Wörz SCHMERZMEDIZIN 4/2014 (30. Jg.) © Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin e.V. PD Dr. Roland Wörz erhält Baden-Württembergischen Palliativ und Schmerzpreis 2014 v.l.n.r.: Dr. Gerhard H.H. Müller-Schwefe, Erika Wörz, Dr. Roland Wörz, Dr. Christine Tober, TEVA GmbH habe die vielfältigen Beeinträchtigungen von Patienten und deren Folgen mit dem von ihm geprägten und definierten Terminus „algogenes Psychosyndrom“ belegt und sich für eine adäquate Begutachtung und Würdigung der betroffenen Patienten ein- gesetzt. «Bis heute kümmert sich Dr. Wörz mit seinem umfangreichen Wissen, seinen vielfältigen Fähigkeiten und seiner Empathie um die betroffenen Patienten mit chronischen Schmerzerkrankungen.«, so Dr. Müller-Schwefe. R/DGS 13 Palliativmedizin: Der besondere Fall Die Amyotrophe Lateralsklerose Die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist eine degenerative Erkrankung des motorischen Nervensystems. Patienten leiden im Endstadium an Dyspnoe, Dysphagie, Sprachstörungen und inkontinenz. Eine palliativmedizinische Betreuung ermöglicht ein menschenwürdiges Begleiten, schildert Norbert Schürmann, Departmentleiter der Abteilung für Schmerztherapie und Palliativmedizin, Moers, anhand eines Fallbeispiels aus seiner Klinik. chen und Möglichkeiten der Therapien sowie deren Verläufe diskutiert. Diagnose, Symptome, Behandlung 55Dysphagie: Als Mahlzeiten wurden JoNorbert Schürmann, Duisburg A LS ist nicht heilbar und hat eine Inzidenz von 3 bis 8 pro 100.000 Einwohner. Dabei sind Männer im Verhältnis (1,5:1) häufiger betroffen als Frauen. Der Altersgipfel liegt zwischen dem 56. und 58. Lebensjahr. Die Ätiologie ist unklar, genetische Faktoren werden bei den meisten ALS Patienten festgestellt. Der Fall aus der Schmerzklinik Herr B. ist 52 Jahre alt, seit seiner Diagnose vor sechs Jahren hat er viel über die Erkrankung nachgedacht, Betreuungs- und Patientenverfügung wurden frühzeitig von ihm auf den Weg gebracht. Er hat darüber entschieden, welche medizinischen Maßnahmen beim Fortschreiten der Erkrankung für akzeptabel und gewünscht sind, aber auch von ihm abgelehnt werden. Stationäre Aufnahme Herr B. wünscht die stationäre Aufnahme auf Grund von zunehmender Dyspnoe und Dysphagie, die es ihm immer schwieriger machen, bei fortgeschrittener muskulärer Schwäche der Schluck- und Atemmuskulatur, Sekret zu mobilisieren. Der zunehmende Speichelfluss quält den Patienten: Zum einen kommt es durch den erhöhten Bronchial-Sekretfluss zu Infekten der Bronchialwege und bei zunehmendem Verlust der Körperkraft zu einer verstärkten Dyspnoe. Zum anderen ist das Herauslaufen des Sekretes bei offenem Mund für den Patienten sehr unangenehm. In ausführlichen Gesprächen mit ihm und in Gegenwart seiner Ehefrau wurden Wünsche, Sorgen und Erwartungen bespro- 14 ghurts und Puddings angeboten, die der Patient gut schlucken konnte. Auf feste oder „krümelige Ernährung“ wurde verzichtet. 55Neuroprotektion: Zur neuroprotektiven Therapie war der Patient bereits mit Riluzol, einem Glutamat-Antagonist neurologisch eingestellt. Laut Studien führt die Applikation zu einer Lebensverlängerung im Mittel um drei Monate. 55Dyspnoe: Um die zähe Verschleimung des Bronchialtraktes zu vermindern, wurde dem Patienten 1.000 ml Ringer Lösung intravenös täglich appliziert. Auf Acetylcysteingaben wurde auf Grund mangelnder Effizienz verzichtet. Um die Sekretproduktion zu vermindern, wurde Buscopan s. c. bei Bedarf verordnet. Geringe Dosen von Morphin (5 mg s. c.) führten zu einer suffizienteren Atmung. Auf Sauerstoffgaben wurde verzichtet, weil diese den Atemantrieb reduzieren und den Patienten schneller in eine Hyperkapnie führen. 55Zunehmende Sprachstörungen: Eine Dysarthrie kann zum vollständigen Verlust der Kommunikationsfähigkeit führen. Zu Beginn kann eine logopädische Therapie sehr hilfreich sein. 55Unspezifische Rückenschmerzen: Herr B. gab bei Aufnahme noch leichte Schmerzen im HWS und LWS Bereich an. Diese standen aber nicht im Vordergrund der Behandlung. Die analgetische Behandlung mit einem 25 µg Fentanyl-Pflaster (Wechsel alle 3 Tage) wurde fortgeführt. 55Allgemeiner Kraftverlust: Regelmäßige Krankengymnastik, um sekundäre Immobilisationsschäden zu vermeiden. 55Harn und Stuhlinkontinenz: Häufige und intensive Pflege und frühzeitige Anlage eines suprapubischen Dauerkatheters. Depressionen und Angstzustände Unruhe und Angstzustände wurden mit geringen Morphindosen (5 mg s. c.) und Lorazepam (Tavor expidet®) erfolgreich kupiert. Die Atmung wurde suffizienter und der Patient ruhiger und entspannter. Der Nachtschlaf konnte deutlich verbessert werden. Therapie und Verlauf Durch Gespräche mit den Ärzten, der Psychoonkologie und der Seelsorge konnte ein gemeinsames, individuelles palliatives Konzept erarbeitet werden. Die Angst, dass er und seine Frau mit Fortschreiten der Erkrankung nicht mehr in Lage seien, dieses physisch und psychisch zu kompensieren, konnte im Gespräch erörtert werden und auch über die Angst vor dem Ersticken, dass dies bei vollem Bewusstsein des Patienten geschieht. Eine palliative Sedierung wurde angeboten. Herr B. hatte in seiner Patientenverfügung jede Form von lebensverlängernden Maßnahmen abgelehnt. Hierzu gehörten auch die künstliche Beatmung und die Versorgung durch parenterale Ernährung. Die palliative Sedierung Eine palliative Sedierung sollte nach Absprache mit Herrn B. erst eingesetzt werden, wenn die Symptomlast der Dyspnoe soweit überwiegt, dass der Patient im Finalstadium eine medikamentöse Unterstützung zur Sedierung benötigt. Zunächst besserte sich der Zustand des Patienten. Nach einer Woche jedoch verschlechterte sich der Zustand zusehends, die Muskelkraft ließ nach und das Atmen und Abhusten des Sekretes fielen dem Patienten deutlich schwerer. Ein Morphin®-/Dormicum®-Perfusor mit 30 mg Morphin + 5 mg Dormicum wurde i. v. angelegt und das Fentanylpflaster entfernt. Der Perfusor war so eingestellt, dass 2 ml/h kontinuierlich über die Vene zugeführt wurden. Bei einer weiteren Verschlechterung der Symptomatik konnte ein Bolus von 2,5 ml i.v. abgerufen werden. Herr B. starb in der achten Nacht auf unserer Palliativstation. Die Ehefrau war zu diesem Zeitpunkt zugegen. Zum Zeitpunkt des Todes war unser Patient ausreichend sediert, so wie er sich das gewünscht hatte. Epilog Suizide sind bei Patienten mit ALS selten. In der aktuellen Diskussion über aktive Sterbehilfe und assistierter Suizid zeigt dieses Fallbeispiel, welche Möglichkeiten die palliative Versorgung hat, um ein menschenwürdiges Begleiten bis hin zum Tod zu bieten. ■ Norbert Schürmann, Duisburg SCHMERZMEDIZIN 4/2014 (30. Jg.) DGS-Veranstaltungen März 2015 DGS-Veranstaltungen Weitere Informationen zu den Seminaren erhalten Sie über die Geschäftsstelle der DGS Oberursel, Tel.: 06171/286060, Fax: 06171/286069, E-Mail: [email protected]. Die aktuellsten Informationen zu den Veranstaltungen und den Details finden Sie im Internet unter www.dgschmerzmedizin.de mit der Möglichkeit zur Online-Anmeldung. Curriculum Spezielle Schmerztherapie, Block B 02.03.–03.03.2015 in Frankfurt am Main; Geschäftsstelle DGS Kein Kopfzerbrechen – Pragmatische Diagnose und Therapie von Kopfschmerzen in der Praxis 04.03.2015 in Celle; Regionales Schmerzzentrum DGS – Celle Fußschmerz – konservativ orthopädische Behandlungsmöglichkeiten 04.03.2015 in Osnabrück; Regionales Schmerzzentrum DGS – Osnabrück Der Deutsche Schmerz- und Palliativtag 2015 – PRAKTISCHE SCHMERZTHERAPIE und PALLIATIVVERSORGUNG: Im Fokus: Schmerzmedizin – dem Leben Zukunft geben 04.03.–07.03.2015 in Frankfurt am Main; Geschäftsstelle DGS Curriculum Algesiologische Fachassistenz – Kursteil 1 Einführungsveranstaltung 07.03.2015 in Frankfurt am Main; Geschäftsstelle DGS Update Migräne 11.03.2015 in Bielefeld; Regionales Schmerzzentrum DGS – Bielefeld Alternative Methoden in der Schmerztherapie 11.03.2015 in Haan; Regionales Schmerzzentrum DGS – Haan Dezember 2014 CME-Update Schmerz: Arzneimittelinteraktionen: Neues aus der pharmakologischen Schmerz-Forschung 01.12.2014 in Ludwigshafen; Regionales Schmerzzentrum DGS - Ludwigshafen Journal report 18.12.2014 in Bad Säckingen; Regionales Schmerzzentrum DGS – Bad Säckingen Januar 2015 Funktionelle Schmerztherapie I 15.01.2015 in Bad Säckingen; Regionales Schmerzzentrum DGS – Bad Säckingen Lübecker Schmerztherapie – Praxisseminar – Schmerzupdate 2015 17.01.2015 in Lübeck; Regionales Schmerzzentrum DGS – Neustadt/ Holstein Update Kopfschmerzbehandlung 21.01.2015 in Bad Mergentheim; Regionales Schmerzzentrum DGS – Bad Mergentheim Palliativbasiskurs 26.01.–31.01.2015 in Moers; Regionales Schmerzzentrum DGS – Duisburg Tumor bedingte Fatigue 27.01.2015 in Solingen; Regionales Schmerzzentrum DGS – Solingen Der Notfall in der Praxis – Reanimationsmaßnahmen, praktische Übungen am Dummy – Für Ärzte und medizinisches Personal 28.01.2015 in Halle; Regionales Schmerzzentrum DGS – Halle Saale SCHMERZMEDIZIN 4/2014 (30. Jg.) Februar 2015 CME-Update Schmerz: Mitochondriale Schmerztherapie 02.02.2015 in Ludwigshafen; Regionales Schmerzzentrum DGS – Ludwigshafen Aktuelle Erkenntnisse zur Leberverträglichkeit / Toxizität von Analgetika 11.02.2015 in Chemnitz; Regionales Schmerzzentrum DGS – Chemnitz FMS-News: Fibromyalgie – Was gibt es Neues? 14.03.2015 in Stade; Regionales Schmerzzentrum DGS – Stade Schmerzen bei peripheren Durchblutungsstörungen 18.03.2015 in Bad Lippspringe; Regionales Schmerzzentrum DGS – Bad Lippspringe Update Schmerztherapie und Palliativmedizin 19.03.2015 in Olpe; Regionales Schmerzzentrum DGS – Olpe Ambulante multimodale Schmerztherapie 11.02.2015 in Fürth; Regionales Schmerzzentrum DGS – Fürth Hypnose / Hypnotherapie I 19.03.2015 in Bad Säckingen; Regionales Schmerzzentrum DGS – Bad Säckingen Psychosoziale Aspekte bei chronischen Schmerzen 11.02.2015 in Stade; Regionales Schmerzzentrum DGS – Stade Curriculum Spezielle Schmerztherapie, Block C 21.03.–22.03.2015 in Frankfurt am Main; Geschäftsstelle DGS Funktionelle Schmerztherapie II 19.02.2015 in Bad Säckingen; Regionales Schmerzzentrum DGS – Bad Säckingen Schmerztherapie bei Palliativpatienten 25.03.2015 in Bad Salzungen; Regionales Schmerzzentrum DGS – Bad Salzungen Curriculum Biofeedback-Therapeut DGS / Biofeedback-Trainer DGS – Grundlagenseminar 1 21.02.–22.02.2015 in Frankfurt am Main; Geschäftsstelle DGS Viszeraler Schmerz Teil I: Abdominal 25.03.2015 in Gießen; Regionales Schmerzzentrum DGS – Gießen Praktische und praxisrelevante Aspekte aus dem Blickwinkel eines ärztlichen Psychotherapeuten 25.02.2015 in Halle; Regionales Schmerzzentrum DGS – Halle Saale Curriculum Spezielle Schmerztherapie, Block A 28.02.–01.03.2015 in Frankfurt am Main; Geschäftsstelle DGS Schmerz und Sport 28.02.2015 in Lüdenscheid; Regionales Schmerzzentrum DGS – Lüdenscheid Interventionelle Therapie nach Umstellung des EBM – erste Erfahrungen 25.03.2015 in Herford; Regionales Schmerzzentrum DGS – Herford Update Rückenschmerzen – Update Chronische Kopfschmerzen 25.03.2015 in Kassel; Regionales Schmerzzentrum DGS - Kassel Curriculum Biofeedback-Therapeut DGS / Biofeedback-Trainer DGS – Grundlagenseminar 2 28.03.–29.03.2015 in Frankfurt am Main; Geschäftsstelle DGS 15 Kongresse Retardiertes Oxycodon und Naloxon lindert chronische Rückenschmerzen Bei chronischen Rückenschmerzen ist die Fixkombination aus retardiertem Oxycodon und Naloxon stärker analgetisch wirksam als Oxycodon und Morphin und zudem besser verträglich. Zu diesem überraschenden Ergebnis kam eine nicht-interventionelle Studie im PROBE-Design der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS), die beim Weltkongress in Buenos Aires als Poster und im Rahmen des Deutschen Schmerzkongresses in Hamburg erstmals der Presse vorgestellt wurde. Zudem besserten sich unter der Fixkombination die Lebensqualität und die Alltagsaktivitäten deutlich. A Hocheffektive Analgesie Nach Einstellung auf retardiertes Oxycodon/ Naloxon (Targin®) sank die Schmerzintensität während der dreimonatigen Erhebung deutlich von 45,5 auf 17,8 auf der visuellen Analogskala (VAS) (0=keine Schmerzen, 100=stärkste vorstellbare Schmerzen). Das entspricht einer signifikanten Verbesserung von 60,9 % (p<0,001). Das individuelle ge- 16 Vom 6. bis 11. Oktober 2014 fand in Buenos Aires der 15th World Congress on Pain statt © http://iasp.files.cms-plus.com/images/buenos-aires.jpg uch die überarbeitete Version der Leitlinie zum Langzeiteinsatz von Opioiden bei nichttumorbedingten Schmerzen LONTS-2 behauptet, dass Opioide kaum wirksam und nur geringfügig die Funktionalität und Lebensqualität verbessern. Opioide besäßen demnach zu viele Nebenwirkungen und daher würde die Therapie meist vorzeitig abgebrochen. Alle Opioide werden in der neuen S3Leitlinie, kritisierte Dr. Michael Überall, DGSVizepräsident, Nürnberg, „über einen Kamm“ geschert. Mit einer neuen prospektiven, randomisierten, offenen Studie mit verblindeten Endpunkten (PROBE-Design, open-label, blinded endpoint, ein 1992 entwickeltes Design für Alltagsdaten) wurden diese Thesen in einem praxisnahen Design überprüft. 901 Patienten mit chronischen Rückenschmerzen wurden aufgenommen, deren vorherige Therapie mit Nicht-Opioiden oder Opioiden der WHO Stufe 2 nicht ausreichend war. Die Ärzte konnten die Randomisierung durchbrechen und dem Patienten ein anderes Opioid zuordnen. Dies erfolgte in 49,7 % der Fälle. In jedem Therapiearm waren 300 Patienten. Das Durchschnittsalter der Patienten lag bei 46 Jahren, Frauen waren etwas häufiger betroffen und überwiegend handelte es sich um Rückenpatienten, die länger als vier Monate daran litten und zu 70 % mit WHO-Stufe 2 Opioden vorbehandelt waren. höher, das heißt die Darmfunktion war stark eingeschränkt. Dies deckt sich mit älteren Studien, die die überlegene Verträglichkeit der Fixkombination – auch im Hinblick auf Übelkeit, Bauchschmerzen und Schwindel – verglichen mit Tramadol, Tilidin/Naloxon, Fentanyl, Morphin und Oxycodon gezeigt hatten. Höhere Lebensqualität Eine adäquate Analgesie verbunden mit einer guten Verträglichkeit erhöht die Lebensqualität. Diese steigerte sich unter Einsatz der Fixkombination signifikant (p<0,001). Zu Studienbeginn lag die Beeinträchtigung der Lebensqualität durch den Schmerz bei den drei Opioidgruppen auf einem ähnlichen Niveau von etwa 17. Innerhalb von zwölf Wochen stieg diese unter Oxycodon/Naloxon um 78,9 % auf 30,6, unter Oxycodon um 60,8 % auf 27,5 und unter Morphin um 53,5 % auf 26,4. Ähnlich verhielt es sich mit der Fähigkeit, alltägliche Aktivitäten durchzuführen. Hier sank die schmerzbedingte Einschränkung bei den mit der Fixkombination behandelten Patienten um 56,6 % von 42,4 auf 18,4. Unter Morphin und Oxycodon verringerten sich die Werte um etwa 45,0 % (von 41,7 auf 23,3 bzw. von 42,3 auf 22,8). Weniger Therapieabbrüche wünschte Behandlungsziel war 21 und wurde nur mit der Fixkombination erreicht. Unter Oxycodon sanken die Schmerzen um 47,5 % (von 45,7 auf 24,0) und unter Morphin um 46,1 % (von 46,0 auf 24,8). Stark wirksame Opioide und insbesondere die Fixkombination aus Oxycodon/Naloxon sind somit hoch wirksame Analgetika beim chronischen Rückenschmerz, so Überall. Bei mehr als der Hälfte der Patienten kam es darunter zur starken analgetischen Wirkung mit über 50 % Schmerzlinderung. Sehr gut verträglich Genauso relevant für den Therapieerfolg wie die Analgesie ist die Verträglichkeit. Nebenwirkungen können die Compliance der Patienten stark beeinträchtigen und zum vorzeitigen Therapieabbruch führen. Die mit dem Bowel Function Index (BFI) gemessene Darmfunktion lag zu Studienende bei der Behandlung mit Oxycodon/Naloxon bei 30,1 und somit im Normbereich. Unter Morphin und Oxycodon waren die Werte mit 53,6 und 48,3 deutlich Die Vorteile von Oxycodon/Naloxon spiegeln sich auch in der Dauer der Studienteilnahme wider. Mit durchschnittlich 10,2 Wochen war die Therapietreue unter der Kombination deutlich länger als in der Morphin- und Oxycodon-Gruppe mit 9,0 bzw. 9,3 Wochen. Zudem war die Anzahl der Patienten, die die Behandlung vorzeitig abgebrochen hatten, bei Gabe der Fixkombination signifikant niedriger: Während unter Morphin 129 und unter Oxycodon 115 Patienten die Therapie beendeten, waren es unter der Fixkombination nur 76 (p<0,001). In der Daueranwendung ist die opioidinduzierte Obstipation das größte Problem. Die Fixkombination führt wesentlich seltener dazu und daher brechen auch die Patienten deutlich seltener diese Therapie wegen Verträglichkeitsproblemen ab. Den beiden anderen Opioidanalgetika war die Fixkombination in seiner Wirkung auf Schmerz, Funktion und Lebensqualität klinisch relevant überlegen. Den analgetischen Wirkunterschied zugunsten der Fixkombination erklären laut Überall zum einen eine verbesserte Resorption des Wirkstoffes Oxycodon aufgrund der geringeren Obstipation und die zusätzlichen analgetischen zentralen Effekte des ultraniedrig dosierten Naloxons. ■ Stephanie Kraus, Stephanskirchen SCHMERZMEDIZIN 4/2014 (30. Jg.) Kongresse Schmerztherapie befreit? Abhängigkeit zeigen 50 % eine psychiatrische Komorbidität. An einem Beispiel seiner Praxis illustrierte Poehlke, wie ein Opioidentzug in der Schmerzambulanz gelingt: Eine 53-jährige Angestellte erhielt seit Jahren wegen chronischer Schulterschmerzen Tilidin/Tramadol, Tilidin bis zu 800 mg/d mit zunehmenden Nebenwirkungen und zur Besserung der Stimmung Dosiserhöhung bis 1.200 mg Tramadol. Am Arbeitsplatz kam es durch Minderung der Konzentration und Müdigkeit zu Abmahnungen, sie wirkte vor dem Entzug passiv und antriebsgemindert, klagte über Einschlaf- und Durchschlafstörungen. Sie wurde auf 8 mg der Kombination eingestellt, ihre Beschwerden weiter diagnostisch abgeklärt (Schlafapnoe-Syndrom und Testosteronmangel) und die Therapie konnte schrittweise in der Dosis wieder reduziert werden. Um die Vorteile der Substanz nutzen zu können, muss allerdings einer im schmerztherapeutischen Team die Qualifikation für Suchtmedizin haben. Ein erfolgreicher Entzug erfordert zusätzlich Information/Schulung, klare Zielvereinbarungen und begleitende Alternativen (Physiotherapie, Ergotherapie, Edukation, multimodale Programme). Buprenorphin hat aufgrund seines partiellen Agonismus ein niedrigeres Suchtpotenzial und keine euphorisierende Wirkung im Vergleich zu den schnell anflutenden Vollagonisten, daher eignet es sich besonders für den Entzug opioidabhängiger chronischer Schmerzpatienten. StK Unter dem Motto „Schmerztherapie befreit – befreit Schmerztherapie“ trafen sich im Hamburger Congress Center vom 22. bis 25.10.2014 über 2.500 Schmerzexperten, Forscher, Wissenschaftler, Ärzte, Psychologen, Pflegende und Physiotherapeuten. Intensiv wurden die Beschränkungen und Tabus erörtert, die die Behandlung von Schmerzerkrankungen erschweren. Auch die Gefahren von Medikamentenmissbrauch wurden thematisiert. I mmer mehr Patienten erhalten weltweit Opioide und es werden auch immer mehr Patienten von dieser Medikation psychisch abhängig oder missbrauchen sie unter anderer Indikation. Was tun bei Opioidfehlgebrauch? Ein Verdacht auf Fehlgebrauch der Opioide sollte, laut Dr. Dirk Risack*, Nürnberg, immer dann vermutet werden, wenn Arzttermine versäumt werden, Dosierungen eigenmächtig erhöht werden, ein Rezepthopping besteht, die Patienten suchtkrank sind oder Abhängigkeitsprobleme in ihrer Familie bestehen. Risikofaktoren sind auch funktionelle Schmerzsyndrome mit ihrer hohen Prävalenz von affektiven Störungen, wenn eine maladaptive Krankheitsverarbeitung besteht, die Kranken hilflos oder depressiv sind, eine hohe psychische Komorbidität und eine Stressvulnerabilität besteht. Die Opioide werden dann oft wegen innerer Unruhe, zur Schlafinduktion und vor allem wegen ihrer psychischen Effekte ein- genommen. Die Schmerzlinderung ist bei Fehlgebrauch weniger bedeutsam wie die Euphorie, die Energiesteigerung, Beruhigung und die Schlafverbesserung. Aufgrund der Missbrauchsgefahr sollte eine Substitution bei gefährdeten Patienten laut Risack auf keinen Fall aus Gefälligkeit oder Hilflosigkeit heraus fortgeführt werden. Die Warnsignale sollten früh beachtet werden und die Therapie entweder stationär oder ambulant interdisziplinär beendet werden. Die Kombination aus dem partiellen Opioidagonisten Buprenorphin und dem Opioidantagonisten Naloxon (Suboxone®), hat sich in der Suchtmedizin zum Opioidentzug bestens bewährt, so Dr. Thomas Poehlke, Münster. Die Substanz liegt in zwei Dosierungen 2 mg/0,5 mg oder 8 mg/2 mg als Sublingualtablette vor. Sie erlaubt die Therapie der OpioidEntzugssymptome, vermeidet das Craving, verbessert die Behandlungscompliance und vermeidet Euphorisierung bei hoher Vigilanz. Nach seinen Erfahrungen an 360 Patienten mit * nach Vorträgen beim Lunchsymposium Reckitt Benchiser Pharmaceuticals, Schmerzkongress 2014 Im Rahmen des Deutschen Schmerzkongresses in Hamburg erhielt die Gesundheits- und Krankenpflegerin Regina Frommherz-Sonntag, Freiburg, die Auszeichnung„Pain Nurse des Jahres 2014“. Sie wurde aufgrund ihres langjährigen Engagements im Schmerzmanagement und zahlreichen von ihr initiierten Projekten geehrt. Die an der Klinik für Tumorbiologie in Freiburg tätige Pain Nurse konnte den wissenschaftlichen Beirat durch eine Vielzahl von Projekten im Bereich Schmerzmanagement überzeugen. Die Auszeichnung wurde 2014 zum dritten Mal – gesponsert von Mundipharma – vergeben. Aufgerufen zur Teilnahme war Pflegefachpersonal, das heißt Pain Nurses, algesiologisches Fachassistenzpersonal sowie Pain Care Assistants. SCHMERZMEDIZIN 4/2014 (30. Jg.) Aus eigener Erfahrung weiß die Preisträgerin Frommherz-Sonntag, dass Pflegende maßgeblich zum Therapieerfolg beitragen können. Zu ihren herausragenden Leistungen zählt der Aufbau und die Weiterentwicklung der interdisziplinären Abteilung Schmerz- und Palliativmedizin in der Klinik für Tumorbiologie. Zudem ist sie für die Inhalte und die Durchführung einer Fortbildungsreihe für Pflegefachkräfte verantwortlich. Sie hat die Anwendung von komplementären Methoden, wie zum Beispiel Wickel und Auflagen, Aromatherapie, und Heilpflanzenanwendungen, etabliert. Auch das Pflegekonzept der Klinik für Tumorbiologie wurde von ihr mitentwickelt und die Integration von Expertenstandards umgesetzt. Regina Frommherz-Sonntag initiiert Schmerzkonferenzen innerhalb der Klinik © Mundipharma Schmerzkongress 2014: „Pain Nurse des Jahres 2014“ Regina Frommherz-Sonntag aus Freiburg ist „Pain Nurse des Jahres 2014“ und nimmt an Qualitätszirkeln teil. Zudem setzte sie sich sehr für die Etablierung eines Palliative Care Konzepts ein. StK 17 Internet User Stalking – werde ich im Netz beobachtet? Wer sich derzeit im Netz beobachtet fühlt, den trügt sein Gefühl nicht sonderlich! Nicht nur die ständigen Nachrichten von staatlichen Einrichtungen, die im Netz über uns lesen, oder der Personalchef, der bei einer Bewerbung den Facebookaccount des Bewerbers durchschaut. Auch die Werbeindustrie scannt uns permanent, um noch effektiver Werbung an uns heranzutragen. Schon das Besuchen einer Homepage verrät ziemlich genau, wer wir sind und was wir in der letzten Zeit im Netz so getrieben haben. Über die Risiken des Internets informiert Hans-Jörg Andonovic-Wagner, der Webmaster DGS, AOS-Design, Eislingen. präsentieren. Schauen Sie sich z. B. ein Hotel bei Holidaycheck an, dann wird eine Werbeanzeige dieses oder eines ähnlichen Hotels immer wieder auf den unterschiedlichsten Webseiten eingeblendet werden, die Sie besuchen. Das funktioniert nicht nur mit Reisen sondern mit so gut wie allen Artikeln, die es bei den populären Onlineshops zu kaufen gibt. Suchen Sie z. B. bei Amazon nach einem bestimmten Fernseher, dann erscheint nicht Ihr Hotel sondern der Fernseher auf den dynamischen Werbeplakaten. Hans-Jörg Andonovic-Wagner, Eislingen B eginnen wir mit dem Begriff „Fingerprinting“. Wie der Name schon sagt, wird ein digitaler Fingerabdruck von Ihrem System erstellt. Dieser besteht aus verschiedenen Eckdaten, die der Browser bei jedem Klick auf einer Homepage mitliefert. Kombiniert mit der IP-Adresse eines Computers kann ein wiederkehrender Besucher recht gut identifiziert werden. Zielgruppenmarketing vom Feinsten! Der Echoeffekt bei der Produktsuche ist ein nützliches Tool, um den Besuchern wiederholt Ihre Produkte vor Augen zu führen. Dies geschieht bei Amazon z. B. per Email nach ein bis zwei Wochen oder mit dynamischen Werbebannern auf verschiedenen anderen Homepages. Der Effekt ständiger Wiederholungen ist in der Werbebranche unumstritten – irgendwann greift der Verbraucher dann bewusst oder unbewusst zu. Des Weiteren ent- Was gebe ich beim Anklicken einer Webseite von mir Preis? 18 Durch seinen digitalen Fingerabdruck kann ein Nutzer gut identifiziert werden © luther2k - Fotolia In Google Analytics kann praktisch in Echtzeit verfolgt werden, welche Schritte von wem auf der Homepage unternommen werden. Es gibt auch Programme, die da noch um einiges weitergehen – bis über den Rand der datenschutzrechtlichen Legalität hinaus. Cookies werden benutzt, um z. B. Suchanfragen zwischenzuspeichern, um Ihnen beim nächsten Besuch des Onlineshops oder der Website die richtigen Artikel vorzuschlagen. Dazu wird auf Ihrem Rechner eine kleine Datei abgelegt, die entsprechende Informationen enthält. Beim nächsten Besuch wird die Datei ausgelesen und so ergibt sich ein Bild über das Verhalten der Besucher auf der Webseite. Übergreifende Verfahren wie z. B. Google Adsense benutzen diese Aufzeichnungen über Ihr Suchverhalten, um bestmögliche Werbeanzeigen – auf Sie persönlich zugeschnitten – zu steht der Eindruck, dass ein Produkt massiv beworben wird und es gerade „der Renner“ sein muss. Hier spielt noch der„MeeToo“ Effekt ordentlich mit. Social Marketing: Höchste Trefferquote Im Gegensatz zu den Echosystemen, wo ich den Inhalt praktisch durch meine Aufrufe selber bestimme, lösen die Sozialen Netzwerke wie z. B. Facebook die Anzeigen nach verschiedenen demographischen Merkmalen, Interessensgebieten und nach Regionalität. Des Weiteren wird nicht der Computer als Werbemedium benutzt (benutzen mehrere Personen mit verschiedenen Interessen denselben Computer, dann verwässern die Echosysteme), sondern jeder wird in seinem persönlichen Profil bewertet. Gehe ich z. B. verstärkt auf Seiten mit Pferden, bekomme ich den passenden Sattel oder Reitstunden angeboten. Ab einem bestimmten Alter bekomme ich den Treppenlift zu Gesicht, im Moment werden bei mir persönlich verstärkt Auto- und Kontaktanzeigen geschaltet. Ein Mann meines Alters muss nach den Facebook Gesichtspunkten also Single und autoverliebt sein. Setze ich meinen Status auf „In einer Beziehung“, verschwinden die Kontaktanzeigen weitestgehend und Werbeanzeigen für z. B. romantische Lokale werden eingeblendet. Facebook ist werbetechnisch also in der Lage auf meine Vorlieben zu reagieren und mir für jede Lebenssituation die richtige Werbung zu präsentieren. Gibt es den „Alleswisser“? Es gibt verschiedene große Konzerne, die jeweils in ihrem Bereich recht gut über die User Bescheid wissen. Microsoft weiß recht genau, was Sie auf Ihrem Rechner installieren und wie der Rechner von Ihnen benutzt wird. Apple hat Daten aller Iphonebesitzer – welche Apps habe ich installiert, welche Musik höre ich mir an etc. Google hat in meinen Augen das größte Wissen über die Onlinenutzer, da die Suchmaschine von nahezu jedem benutzt wird und unsere Suchanfragen über das Fingerprinting recht gut zugeordnet werden können. Facebook ist in der Lage unsere sozialen Beziehungen einzusehen – wer kann mit wem etc. aber einen wirklichen Generalisten gibt es bisher noch nicht. Das Wissen verteilt sich in die verschiedenen „Web-Kontinente“. SCHMERZMEDIZIN 4/2014 (30. Jg.) Internet · Praxismanagement Vergisst das Internet irgendwann? Eigentlich nicht! Warum auch? Immer leistungsfähigere Server und Speichermedien kommen mit der Datenflut ganz gut zurecht. Die Frage ist eher – bringt es etwas, die Daten ewig zu speichern. Irgendwann habe ich so viel Informationen, dass ich nicht mehr überblicken kann, was zählt und was nicht. In Deutschland müssen z. B. Serverlogfiles nach 80 Tagen gelöscht werden. Ich darf aber eine Auswertung der Daten bereitstellen, was diesen Mechanismus datenschutztechnisch wei- testgehend aushebelt. In anderen Ländern ist der Datenschutz um einiges lockerer. Hier wird munter über die gesamte Zeit hinweg gesammelt und gespeichert. Gibt es einen effektiven/dauerhaften Schutz? Derzeit sind verschiedene Programme auf dem Markt, mit denen man die eigene Identität relativ gut verdunkeln kann. Neben einem guten Virenscanner gehört schon eine Firewall zum guten Ton bei aktiv genutzten Rechnern und eine Software, die den Austausch von Daten verhindert oder uns zumindest fragt, ob wir dem Anbieter der Homepage Daten übermitteln sollen. Die Marktführer der Antivirensoftwares haben auf diesen Trend schon lange reagiert und bieten umfassende Schutzpakete an. Wer professionellen Schutz will, der sollte nicht auf die Gratisanbieter zurückgreifen. Deren Erfolgszahlen sind oft dürftig bzw. die Schutzfunktion ist umstritten! ■ Hans-Jörg Andonovic-Wagner, Eislingen Finanzbuchhaltung: Souverän und selbst Die Parallele zwischen Schriftkundigen im Mittelalter und Steuerberatern des 21. Jahrhunderts heißt „Outsourcing.“ Wer vor der Alphabetisierung etwas schriftlich mitzuteilen hatte, musste zum Spezialisten. Der Weg zum Steuerberater wird allerdings zunehmend zur Option. Lohnbuchhaltung und/oder Finanzbuchhaltung outsourcen oder selber machen? Argumente für das Do-it-yourself schildert Dr. med. Silvia Maurer, DGS-Leiterin Bad Bergzabern. D ie vergangenen Jahrzehnte brachten uns einen dramatischen Do-it-yourselfTrend. Nolens volens holen wir unser Bargeld aus dem Bankomat, buchen Flüge online und tanken selber, um nur drei von zahlreichen Beispielen zu nennen. Diese Tendenz erreicht Arztpraxen und Privatkliniken, wie überall mit dem üblichen Für und Wider. Lohnbuchhaltung und/oder Finanzbuchhaltung outsourcen oder selber machen? Ein scharfer Blick auf die konkreten, eigenen Bedingungen lohnt sich. Der Zeitaufwand für eine sorgfältige Prüfung ist gut investiert, um eine qualifizierte Entscheidung zu treffen. Worauf ist zu achten? Zahl der Angestellten Ab vier medizinischen Mitarbeitern, neigt sich das betriebswirtschaftliche Pendel in Richtung selber machen. Steuerberater berechnen hierfür bis zu € 15 pro Monat und Mitarbeiter. Im Vergleich hierzu sinken die Kosten mit einer soliden Software um Faktoren. Gab es früher das Argument des Meldeaufwandes, so werden heute von fortschrittlichen Herstellern automatisierte Meldungen zur Verfügung gestellt. Ein Kriterium, auf das allerdings bei der Auswahl kompromisslos zu achten ist. Hinzu kommt, dass Steuerberater bei An- und Ab- SCHMERZMEDIZIN 4/2014 (30. Jg.) meldungen verständlicherweise Gebühren verlangen. Gleiches gilt bei allen Änderungen der Personalakte. Auch diese eher unauffälligen Gebühren summieren sich im Laufe der Zeit und entfallen mit einer eigenen Software. Neben den direkten Ersparnissen lernt der Arzt mit einer eigenen Lohnbuchhaltung schnell weitere Annehmlichkeiten schätzen, wenn beispielsweise eine Personalzeiterfassung integriert ist, oder Meldefristen wie selbstverständlich eingehalten werden. Aufwand für die Einarbeitung Etwas schwieriger wird die Beurteilung beim Aufwand für die Einarbeitung. Der reale Aufwand steht in deutlichem Kontrast zum vorab befürchteten Aufwand. Moderne Lohnbuchhaltung und Finanzbuchhaltung werden heute intuitiv und menügesteuert angewandt, erfordert also weder technisches Geschick noch vertiefte Buchhaltungskenntnisse. Selbst Softwarephobiker unter Ärzten könnten also schon nach einer zwei- bis dreistündigen Einweisung mit ihrer Lohnbuchhaltung beginnen. Bei der Auswahl ist demnach darauf zu achten, dass Software und Service vor Ort angeboten werden, Online-Tutorials zur Verfügung stehen und auf die Hotline Verlass ist. Silvia Maurer, Bad Bergzabern Finanzbuchhaltung problemlos? Auch Finanzbuchhaltung lässt sich in einer überschaubaren Einarbeitung problemlos bewältigen. Wichtig bei der Auswahl einer FibuSoftware ist die Integration von Funktionen, die den Arzt deutlich entlasten. Dazu gehören Mahnwesen, Überwachung offener Rechnungen, Lieferantenbuchhaltung, Kassenbuch und Onlinebanking. Vor allem ist darauf zu achten, dass die Software dem Arzt komfortable, flexible und übersichtliche Auswertungen bietet. Mit ein paar Klicks ad hoc den betriebswirtschaftlichen Status aufzurufen, erspart nicht nur unnötige Bedenken, sondern erleichtert auch das Gespräch mit Banken bei Investitionen. Topsysteme und Schnittstellen Topsysteme verfügen heute über eine beachtliche Intelligenz, die dem gesamten Praxismanagement zu Gute kommt, aber vor allem den Arzt zeitlich entlastet. Sie zeigt sich z. B. in der Lernfähigkeit der Software, die wiederkehrende Vorgänge erkennt und automatisch kontiert oder im automatischen Einlesen von Bankauszügen. Bietet die Software für Lohn & Gehalt und die Finanzbuchhaltung noch Schnittstellen zu den gängigen Arztprogrammen, gewinnt der Arzt mit einer überschaubaren Investition von € 500 bis € 1.000 einen unverzichtbaren Helfer. ■ Silvia Maurer, Bad Bergzabern 19 Die Deutsche Schmerzliga Auf dem Rücken anderer! Die Diskussion um den Facharzt für Schmerzmedizin zwischen den verschiedenen Fachverbänden ist fast schon bizarr und wird auf dem Rücken der chronisch Schmerzkranken ausgetragen, kritisieren Priv.-Doz. Dr. med. Michael A. Überall, Präsident der Deutschen Schmerzliga (DSL), Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS), und Harry Kletzko, Vizepräsident der DSL. Michael A. Überall, Nürnberg Harry Kletzko, Oberursel W er kennt es nicht das alte Sprichwort „etwas auf dem Rücken anderer austragen“. Gemeint ist damit umgangssprachlich „einen Konflikt auf Kosten anderer austragen“ oder „mehr Arbeit für andere verursachen“ oder „etwas tun, worunter andere leiden müssen“ bzw. „etwas zum Nachteil anderer tun“. Aktuell kommen einem bei diesem Sprichwort vor allem Piloten und Lokführer in den Sinn, die ihre mehr oder weniger berechtigten Interessen bzgl. einer Änderungen von Arbeitszeiten, Gehalt oder Einfluss im Arbeitskampf mit ihren jeweiligen Arbeitgebern (Lufthansa und Bahn) „auf dem Rücken“ der jeweiligen Kunden, d. h. eigentlich unbeteiligten Flug- und Bahnreisenden „austragen“. (IGOST) e. V. und der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Schmerztherapie (DIVS) e. V. auf der anderen Seite (contra) im wahrsten Sinne des Wortes auf dem Rücken leidgeplagter Betroffener geführt wird. Pro und Contra Facharzt Ein politisches Ränkespiel, welches auf dem Rücken der betroffenen Schmerzpatienten ausgetragen wird 20 Begonnen hatte das Ganze eigentlich noch ganz harmonisch. Die Mitglieder der DGS beauftragten bereits vor geraumer Zeit den Vorstand ihrer Gesellschaft, sich für die Schaffung eines Facharztes für Schmerzmedizin einzusetzen und die entsprechenden Gespräche mit BVSD und DGSS zu führen Diese wurden beim BVSD unmittelbar positiv aufgenommen, so Politisches Ränkespiel Doch was die an den, mittlerweile seit Jahren stattfindenden, Vorstandsgesprächen zwischen DGS, BVSD, DGSS und IGOST teilnehmenden Vertreter der Deutschen Schmerzliga dort erleben müssen, ist ein wider besseren Wissens auf dem Rücken betroffener Schmerzpatienten ausgetragenes politisches Ränkespiel erster Güte, bei dem es vor allem um eines geht: die Wahrung der Interessen Dritter, die bei den Verhandlungen um den Facharzt für Schmerzmedizin offiziell gar nicht mit am Tisch sitzen. Die großen Fachgesellschaften der Anästhesisten (Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie & Intensivmedizin, DGAI) und der Orthopäden (Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie, DGOU) sind es, die im Hintergrund offensichtlich an den Fäden ziehen und ihre Marionetten in DGSS und IGOST nach ihrem Willen tanzen lassen. Angst vor Einbußen © jokapix / fotolia.com So bedeutsam diese Auseinandersetzungen für die beteiligten Parteien auch sein mögen und egal, wie publikumswirksam sie jeweils zur Unzeit umgesetzt werden, für die Schmerzmedizin sind derartige Ereignisse trotz ihres durchaus beträchtlichen volkswirtschaftlichen Schadens nicht relevant. Ganz anders hingegen die schon fast bizarr anmutende Diskussion um den Facharzt für Schmerzmedizin, die seit geraumer Zeit zwischen der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS) e. V. und dem Berufsverband der Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten in der Schmerz- und Palliativmedizin in Deutschland (BVSD) e. V. auf der einen Seite (pro) und der Deutschen Schmerzgesellschaft (DGSS) e. V., der Interdisziplinären Gesellschaft für orthopädisch/unfallchirurgische und allgemeine Schmerztherapie Harmonischer Start dass die weitere Einbindung der DGSS seitens der Beteiligten von DGS und BVSD eigentlich nur noch als eine reine Formsache betrachtet wurde – insbesondere angesichts der Selbstverpflichtung der DGSS in Abschnitt 10 (Handlungsbedarf) ihrer eigenen Ethik-Charta: „Aus systematischen Gründen ist die Einrichtung eines Facharztes für Schmerztherapie erforderlich. Nur so kann eine qualitative Grundlage an den Universitäten gelegt werden.“ (Ethik-Charta der DGSS. Deutscher Schmerzverlag, Köln, ISBN 978-3-9806595-4-3; http://www.dgss. org/fileadmin/pdf/Ethik-Charta.lang_01.pdf). Eigentlich also alles kein Problem. Alle fachübergreifend aktiven, primär schmerzmedizinisch interessierten Organisationen sehen den Bedarf. Alle sehen die Notwendigkeit entsprechend aktiv zu werden. Alle haben sich zum Ziel gesetzt, die schmerzmedizinische Versorgung chronisch schmerzkranker Menschen in Deutschland zu verbessern. Eigentlich alles beste Voraussetzungen für ein einheitliches, abgestimmtes und zielführendes Vorgehen. Eigentlich! Wesentliche Triebkraft dieser Aktivitäten ist offensichtlich Angst. Die Angst nämlich, dass mit der Einführung eines neuen Facharztes für Schmerzmedizin nicht nur die Zuständigkeiten und Kompetenzen dieser bereits etablierten Fachgesellschaften schwinden, sondern auch deren Anteil am Vergütungstopf. Bei all dem geht es seitens der Verhandlungspartner von DGSS und IGOST also primär um Macht, um Einfluss, um die Wahrung des Status quo bestehender Besitzstände und zu guter Letzt natürlich insbesondere auch um Geld. SCHMERZMEDIZIN 4/2014 (30. Jg.) Die Deutsche Schmerzliga Wann kommt der „Facharzt für Schmerzmedizin“? © querbeet / iStock.coms INFO-Telegramm Gar nicht geht es um die Sorgen und Nöte Betroffener oder um eine Verbesserung der Versorgungssituation oder um die Entwicklung geeigneter Strukturen zu Prävention und Behandlung chronischer Schmerzpatienten – die eigentlichen Interessen von DGS und BVSD. Nun könnte es uns als Patientenvertretern ja eigentlich grundsätzlich egal sein, mit welchen politischen Ränkespielen und Possentheatern die für die Versorgung chronischer Schmerzpatienten zuständigen ärztlichen Gesellschaften und Verbände sich ihre Zeit vertreiben – wenn denn dadurch die schmerzmedizinische Versorgung besser werden würde. Tut sie aber nicht! Ganz im Gegenteil, wird offensichtlich, dass die für die aktuelle Fehl- bzw. Unterversorgung von Schmerzpatienten primär zuständigen Fachgesellschaften offensichtlich ein eminentes Interesse an der Wahrung des Status quo haben. Einer Optimierung der Versorgung chronisch schmerzkranker Menschen in Deutschland ist dieses Vorgehen naturgemäß eher abträglich, denn wäre die durch die blockierenden Fachgesellschaften geschützte Versorgung so gut, dass man sie unverändert beibehalten könnte, dann sollte entweder a) die Zahl der chronisch Schmerzkranken deutlich niedriger liegen als zuletzt durch Häuser et al. veröffentlicht, oder b) im Laufe der Zeit zumindest ein Rückgang der Gesamtzahl Betroffener verzeichnet werden. Einigung utopisch? Bedauerlich ist, dass wir angesichts dieser Entwicklungen von der für eine Umsetzung des Facharztes Schmerz dringend erforderlichen Einigkeit von Fachgesellschaften und Berufsverbänden weit entfernt sind – u. U. weiter als jemals zuvor. Bei neutralen Beobachtern in Bundesärztekammer und Bundesgesundheitsministerium lösen derartige Entwicklungen kaum mehr als Verwunderung aus. Bei ersteren aber eben auch eine gewisse Erleichterung, SCHMERZMEDIZIN 4/2014 (30. Jg.) würde die sachlich berechtigte Forderung nach einem Facharzt für Schmerzmedizin doch die Kammerbemühungen um eine Reduktion der Zahl bestehender Fachgebiete konterkarieren. Und zu allem Überfluss scheinen wir aktuell noch nicht einmal das Ende dieses traurigen Possenspiels erreicht zu haben – wenn man sich den hektischen Aktionismus betrachtet, mit dem die DGSS derzeit hinter den Kulissen versucht, all ihre früheren Aktivitäten zur Einführung eines Facharztes für Schmerzmedizin aus den Aufzeichnungen und Sitzungsprotokollen zu eliminieren. Somit scheint es nur noch eine Frage der Zeit, bis wir mit einer Überarbeitung der DGSS Ethik-Charta rechnen dürfen, bzw. der „Facharzt für Schmerzmedizin“ zum gesellschaftspolitischen Unwort des Jahres gewählt wird. Lösung nicht in Sicht Dass die von DGAI und DGOU betriebenen Aktivitäten innerhalb der DGSS Wirkung zeigen, belegt die Verabschiedung eines auf Betreiben von DGS und BVSD im Rahmen der DGSS-Mitgliederversammlung am 22.10.2014 gestellten Antrags„über den Facharzt für Schmerzmedizin zu diskutieren“. Was für ein wirklich bemerkenswerter Erfolg: Die Mitglieder der Deutschen Schmerzgesellschaft diskutieren und studieren mal wieder ein wirklich eminentes schmerzmedizinisches Problem, das dringend einer Lösung und keiner neuerlichen Diskussion bedarf. Angesichts dieser Strategie ist es wohl auch nur noch eine Frage der Zeit, bis es zu einer neuerlichen Namensänderung kommt und sich die DGSS wieder in „Deutsche Gesellschaft zum Studium des Schmerzes“ rückbenennt. Dann passen nicht nur Akronym und Name wieder zusammen, sondern auch Name und Programm: Probleme studieren – statt lösen. ■ Michael A. Überall, Nürnberg, und Harry Kletzko, Oberursel Falscher Einsatz von NSAR bei älteren Patienten Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) werden bei älteren Patienten über 70 Jahren in 8,7 % der Fälle als Langzeitmedikation mit einer mittleren Behandlungsdauer von 4,9 Jahren eingesetzt – und nur in 2,9 % als Bedarfsmedikation. Dies ergab eine australische Untersuchung mit 1.696 über 70-Jährigen. Nur jeder Vierte der Langzeitbehandelten bekam zusätzlich Protonenpumpenhemmer verordnet. Aufgrund dieser Daten folgern die Autoren, dass die Leitlinien zur Therapie bei älteren Patienten nur unzureichend umgesetzt werden. Zwar erhielten die Patienten unter einer NSAR-Langzeittherapie häufig zusätzlich Opioide verordnet. Dennoch entspricht eine solche Medikation nicht der von den Leitlinien empfohlenen und sollte weiter untersucht werden (Gnjidic D et al., Pain 2014, doi: 10.1016/j.pain.2014.06.009, Epub ahead of print). StK Welche Antikonvulsiva bei Neuropathien? Bei der diabetischen Neuropathie und auch bei postherpetischen Neuralgien lassen sich die Schmerzen unter Pregabalin und Gabapentin im Vergleich zu Placebo reduzieren. Bei neuropathischen Schmerzen im Rahmen einer Fibromyalgie führt dagegen nur das Antikonvulsivum Pregabalin verglichen mit Placebo zu einer relevanten Schmerzreduktion (Moore A et al., JAMA 2014, 312:182–183). StK Stabile Proteinbindung Eine prospektive Studie mit 50 Erwachsenen Patienten zwischen 40 und 81 Jahren ergab, dass die Proteinbindung von am ersten postoperativen Tag mittels PCA (Patient Controlled Analgesia) appliziertem Hydromorphon nach Herzoperationen nahezu konstant war, während die Proteinbindung von intraoperativ appliziertem Sufetanil bei diesen Patienten stark schwankte. Die Proteinbindung wurde jeweils während der ersten 24 Stunden nach dem Eingriff analysiert (Saari TI et al., Br J Anaesth 2014, doi: 10.1093/ bja/aeu160, Epub ahead of print). StK Frühe palliative Begleitung wertvoll Eine Studie an 24 onkologischen Zentren ergab, dass Krebskranke im fortgeschrittenen Stadium mit einer Lebenserwartung von sechs bis 24 Monaten von einer frühzeitigen palliativen Begleitung profitieren: Die gesamte Lebensqualität, die Lebensqualität am Lebensende, die Symptomschwere und die Zufriedenheit mit der Betreuung waren bei der palliativen Begleitung besser (Zimmermann C et al., Lancet 2014, 383:1721–1730). StK 21 Medizin und Recht Leitlinien kein Ersatz für Sachverständigengutachten träge auf die Erteilung einer Erlaubnis nach § 3 Abs. 2 BfArM für den Eigenanbau von Cannabis entschieden hatte. In allen fünf Verfahren war den jeweiligen Schmerzpatienten vom BfArM bereits die Erlaubnis gemäß § 3 Abs. 2 Betäubungsmittelgesetz (BtMG) zum Erwerb vom Medizinal-Cannabisblüten erteilt worden. Die jeweiligen Krankenkassen der Schmerzpatienten hatten die Übernahme der Therapiekosten für Medizinal-Cannabis abgelehnt. Aus diesem Grund beantragten die Kläger die Erlaubnis zum Eigenanbau, da dieser im Vergleich zu den Kosten des Erwerbs von Medizinal-Cannabis erheblich kostengünstiger und damit die Therapie für sie in ihrer jeweiligen beengten finanziellen Situation überhaupt erst erschwinglich wurde. Arno Zurstraßen, Köln H andlungsanweisungen in Leitlinien ärztlicher Fachgremien oder Verbände dürfen nicht unbesehen mit dem medizinischen Standard gleichgesetzt werden. Dies gilt in besonderem Maße für Leitlinien, die erst nach der zu beurteilenden medizinischen Behandlung veröffentlicht worden sind. Diese ersetzen im Streitfall kein Sachverständigengutachten. Zwar können sie im Einzelfall den medizinischen Standard für den Zeitpunkt ihres Erlasses zutreffend beschreiben; sie können aber auch Standards ärztlicher Behandlung fortentwickeln oder ihrerseits veralten (Urteil des Bundesgerichtshofs [BGH] vom 15.04.2014, Az. VI ZR 382/12). Eigenanbau erschwinglich In zwei Fällen hat das VG Köln die Klage der Schmerzpatienten abgewiesen, zum einen mit dem Argument, dass die Wohnsituation des Klägers einen sicheren Anbau nicht zuließe, da in dessen Zweizimmerwohnung ein separater abschließbarer Raum nicht zur Verfügung stehe, zum anderen aus dem Grunde, dass der Kläger ebenfalls zur Verfügung ste- Cannabis-Eigenanbau zu therapeutischen Zwecken im Einzelfall zulässig 22 Das Verwaltungsgericht Köln hat in fünf Verfahren zum Eigenanbau von Cannabis für den Eigenkonsum aus therapeutischen Gründen Urteile erlassen © Matthew Benoit Am 22.07.2014 hat das Verwaltungsgericht (VG) Köln in fünf Verfahren zwischen den klagenden Schmerzpatienten und dem beklagten Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zum Eigenanbau von Cannabis für den Eigenkonsum aus therapeutischen Gründen Urteile erlassen: In drei von fünf Fällen wurde das BfArM zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des VG Köln zur Sicherung der Räume, in denen der Eigenanbau stattfinden soll, verurteilt und unterlag. Alle Fälle waren aufgrund einer Untätigkeitsklage der jeweiligen Schmerzpatienten anhängig gemacht worden, da das BfArM nicht in entsprechender Zeit über deren An- © VIPDesign / fotolia.com Auch Leitlinien können veralten und sind somit kein Ersatz für das Gutachten eines Sachverständigen. Urteile aus der aktuellen Rechtsprechung zum immer noch umstrittenen Anbau von Cannabis erläutert Arno Zurstraßen M.A., Rechtsanwalt und Mediator im Gesundheitswesen, Fachanwalt für Medizinrecht und Fachanwalt für Sozialrecht, Köln. hende alternative Medikamente nachweislich nicht ausprobiert habe. Bei den drei stattgebenden Urteilen wies das VG Köln auf die ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) hin, demzufolge die Behandlung eines einzelnen schwerkranken Patienten mit Cannabis im öffentlichen Interesse liegen kann, wenn hierdurch die Heilung oder Linderung von bestimmten Beschwerden möglich ist und dem Betroffenen kein gleichwirksames zugelassenes und für ihn erschwingliches Medikament zur Verfügung steht (BVerwG, Urteil vom 19.05.2005 – 3 C 17.04-juris). Dem ist das BfArM zwar teilweise nachgekommen, indem es den jeweiligen Schmerzpatienten zumindest die Erlaubnis zum Erwerb von Medizinal-Cannabis erteilte. Jedoch ging das VG Köln in den drei Fällen mit stattgegebenem Urteil davon aus, dass der Bescheid der BfArM die Ablehnung der Erlaubniserteilung zum Anbau von Cannabis betreffend rechtswidrig war und die Kläger in ihren Rechten verletzt hat, weil nicht berücksichtigt wurde, dass ihnen die Bezahlung des teuren Medizinal-Cannabis aufgrund ihrer finanziellen Situation unmöglich war. Separater verschlossener Raum ein Muss Die vom BfArM angeführten Versagungsgründe, insbesondere der Hinweis auf die fehlende Möglichkeit, den Anbauort sowie die Ernte vor dem Zugriff Dritter zu sichern (§ 5 Abs. 1 Nr. 4 BtMG), stehen nach Ansicht des Gerichtes einer Erlaubniserteilung nicht entgegen bzw. können durch eine entsprechende Nebenbestimmung zur Erlaubnis beseitigt werden. Dabei machte das VG Köln deutlich, dass es einen separaten, stets verschlossen zu haltenden Raum, der nicht auch zu Wohnzwecken genutzt wird und nur den Klägern zugänglich ist (wie bspw. eine Abstellkammer oder Gästetoilette) für eine grundsätzlich ausreichende Sicherung hält. Die vom BfArM erlassenen SCHMERZMEDIZIN 4/2014 (30. Jg.) Medizin und Recht Argumente für ein Verbot Das BfArM trug weiter vor, der Erlaubnis für den Anbau stünden zwingende Versagungsgründe entgegen, da die erforderlichen räumlichen Sicherungsmaßnahmen nicht getroffen wurden (§ 5 Abs. 1 Nr. 4 BtMG). Auch spreche der schwankende Wirkstoffgehalt gegen den Eigenanbau (§ 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG). Darüber hinaus verbiete das Internationale Suchtstoffübereinkommen von 1961 den Anbau zum Zwecke der Eigentherapie. Individuelle Prüfung Das VG Köln entschied, dass die Voraussetzungen für die Zulassung des Eigenanbaus in jedem Fall eingehend und individuell zu prüfen sind. Die vom BfArM getroffene Ermessensentscheidung weist nach Auffassung des Gerichtes einen offensichtlichen und schwerwiegenden Mangel auf. Die Beklagte habe im Endeffekt die persönlichen Interessen der Kläger am Zugang zu dem einzigen Betäubungsmittel, das ihnen zu einer Linderung ihrer Schmerzen verhilft, gar nicht in die Ermessensentscheidung einbezogen. Die Beklagte sei demnach unzutreffend davon ausgegangen, dass die Interessen dadurch gewahrt würden, dass den Klägern eine Erwerbserlaubnis für Medizinal-Hanf aus Holland erteilt worden sei. Sie habe hierbei jedoch nicht zur Kenntnis genommen, dass diese Therapiealternative den Klägern tatsächlich nicht zur Verfügung stehe, weil sie sich die hohen Therapiekosten bei ihren geringen Einkommen nicht leisten könnten und ihre Krankenkassen die Erstattung nach der- SCHMERZMEDIZIN 4/2014 (30. Jg.) Als Versagungsgrund angeführt wurde der Hinweis auf die fehlende Möglichkeit, den Anbauort sowie die Ernte vor dem Zugriff Dritter zu sichern © lassedesignen / fotolia.com Richtlinien zur Sicherung von Betäubungsmittelvorräten seien nicht für die Fälle des ausnahmsweisen Eigenanbaus in geringem Umfang konzipiert und hier nicht maßgeblich (vgl. auch das Urteil des Oberverwaltungsgerichts [OVG] Nordrhein-Westfalen [NRW] vom 11.06.2014 – 13 A 414/11). Das vom BfArM angeführte Argument, der Schmerzpatient möge bei seiner Krankenkasse erneut die Erstattung von Dronabinol beantragen, wies das VG Köln zurück, da dieser Antrag nach der ständigen Rechtsprechung der Sozialgerichte keine Aussicht auf Erfolg verspricht. Die Voraussetzung für eine Übernahme der Kosten im Rahmen eines Off-labelUse wie bei „Systemversagen“ bzw. „Seltenheitsfällen“ liegt nach Auffassung des Gerichts nicht vor. Die Kostenerstattung sei nur bei lebensbedrohlichen, regelmäßig tödlich verlaufenden oder wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankungen geboten – und somit nicht in den vorliegenden Fällen eines chronischen Schmerzsyndroms. zeit geltendem Recht zu Recht abgelehnt hätten. Bei sachgerechter Berücksichtigung der Interessen der Kläger habe sich das Ermessen in den drei vorliegenden Fällen zugunsten einer Erteilung einer Erlaubnis so verdichtet, dass eine Versagung nicht mehr in Betracht komme. Nach Auffassung des VG Köln haben die Interessen der Kläger an einer Behandlung ihrer Dauerschmerzen ein ganz überragendes Gewicht, während die öffentlichen Interessen an einer Versagung der Erlaubnis eine so geringe Bedeutung haben, dass sie zwingend zurücktreten müssen. Das Internationale Suchtstoffübereinkommen von 1961 sei auf die Fälle des ausnahmsweisen Eigenanbaus nicht anwendbar und hat de facto keinen Verfassungsrang. Das Risiko des schwankenden Wirkstoffgehalts treffe lediglich die Kläger, die dies in Kauf nähmen. Der medizinische Hanf aus Holland sei für die Kläger nicht finanzierbar, teilweise nicht lieferbar und ein Zuwarten auf die künftige Zulassung eines Fertigarzneimittels für die Schmerztherapie nicht zumutbar. Nach Auskunft des BfArM ist derzeit auch kein Zulassungsantrag anhängig. Legaler Zugang? Unter Berufung auf das BVerwG rechtfertigen die verbleibenden abstrakten Gefahren des Cannabiskonsums für die Gesamtbevölkerung nicht, den schwerkranken Klägern den legalen Zugang zu Cannabis zu verweigern. Das VG Köln sieht zwar, dass deutlich bessere Lösungsansätze für die Versorgung von einzelnen Patienten mit Cannabis erkennbar sind, die auch die Überwachung der in Verkehr befindlichen Drogenmengen effektiver gewährleisten könnten, allem voran die Erstattung der Kosten von Medizinal-Cannabisblü- ten durch die Krankenkassen oder die Zulassung eines inländischen gewerblichen Anbaus zu medizinischen Zwecken unter der Kontrolle einer staatlichen Stelle. Solange jedoch die gesetzlichen Grundlagen nicht geschaffen sind, muss nach Auffassung des Gerichtes im Einzelfall den betroffenen Schmerzpatienten der Anbau von Cannabis nach § 3 Abs. 2 BtMG gestattet werden, damit ihre Grundrechte aus Artikel 1 Abs. 1 und Artikel 2 Abs. 2 Grundgesetz gewahrt werden. Da die Anordnung von Richtlinien zu den Sicherungsvorkehrungen durch die dem BfArM angegliederte Bundesopiumstelle noch aussteht, liegen derzeit noch nicht alle Voraussetzungen für die Erlaubniserteilung vor. Aus dem Grunde der Notwendigkeit einer Nebenbestimmung konnte dem Hauptantrag auf Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung der Erlaubnis mangels Spruchreife nicht stattgegeben werden, hingegen verpflichtete das VG Köln das BfArM zur Neubescheidung vorbehaltlich einer noch zu treffenden Ermessensentscheidung – unter Beachtung der Rechtsauffassung des VG Köln – über die erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen in Form einer Nebenbestimmung. In vier der Verfahren hat das VG Köln die Berufung gegen die Urteile wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung zugelassen. In einem Verfahren, in dem der klagende Schmerzpatient wegen der Nichtausschöpfung der Behandlungsalternativen unterlag, kann dieser innerhalb eines Monats einen Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil beim OVG Münster stellen (Sozialgesetzbuch [SGB] II § 34; Bürgerliches Gesetzbuch [BGB] § 839; Grundgesetz [GG] Art. 34). ■ Arno Zurstraßen, Köln Literatur beim Verfasser 23 Psychopharmakotherapie Im Fokus: Trizyklische Antidepressiva Die medikamentöse Entscheidungsrationale in der Schmerztherapie beschränkt sich keineswegs auf ausgewiesene Analgetika und Antiphlogistika. Wichtige Koanalgetika sind psychoaktive Substanzen. Anwendungshinweise und Empfehlungen formuliert SanRat Dr. med. Oliver Emrich, Vizepräsident der DGS und Leiter des Regionalen Schmerzzentrum DGS Ludwigshafen. gen, minor oder major Depression bis hin zu bipolaren Störungen und Manien finden sich gehäuft auch bei Schmerzpatienten. Vor allem die Koinzidenz von Angststörungen hat eine enorme Bedeutung. Diese (Ko-)Morbiditäten im psychischen Bereich sind klare weitere Therapieadressen neben dem Symptom Schmerz und bilden eine der wichtigsten Merkmale einer „Schmerzkrankheit)“. Affektive Störungen finden sich schon in einer Normalpopulation bei über 10 % der Patienten und extrem viel höher im Zusammenhang mit chronischen Schmerzen. 84 % aller Depressionen sind sekundär (Leitlinie Depression der DGN 2013), d. h. reaktiv bezogen auf die Grundkrankheit z. B. chronischer Schmerz. Oliver Emrich, Ludwigshafen A nalgetika und Psychopharmaka werden im Gesamtkonzept einer medikamentösen Schmerzbehandlung sehr häufig eingesetzt und nicht nur, aber da besonders, kombiniert, wenn psychische Miterkrankungen/ Diagnosen neben Schmerzen vorliegen bzw. „chronische Schmerzen mit somatischen und psychischen Faktoren“ (ICD 45.41). Die Leitlinie neuropathischer Schmerz der DGN (Deutsche Gesellschaft für Neurologie) weist (trizyklische) Antidepressiva und bestimmte Antiepileptika bei Vorliegen von neuropathischen Schmerzkomponenten (z. B. bes. bei primär neuropathischen Schmerzen, Postzoster-Neuropathie, CRPS etc.) sogar als „First Line Drugs“ noch vor den originären Analgetika aus. Depressionen häufig Die Symptome einer (konkomitanten) Depression sind genauso in der gültigen ICD 10, in der aktuellen Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) und dem DSM-5 (auch DSM-V) ist die fünfte Auflage des von der American Psychiatric Association (APA) herausgegebenen Klassifikationssystems Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders von 2013 eindeutig beschrieben. Übereinstimmend sind dies 55erkennbar gedrückte Stimmung Komorbidität und Neurobiologie 24 Trizyklische Antidepressiva gelten als „first line drugs“ zur Behandlung neuropathischer Schmerzen ken bis hin zu stattgehabten Suizidversuchen Letztere sind ohnehin zwingend akut-interventionspflichtige Hinweise auf eine bedrohliche Entwicklung und müssen damit unbedingt nicht nur in Fragebogeninventaren eruiert und beachtet und im Behandlungssetting sehr ernst genommen werden. Die medikamentöse Therapie der vorgenannten Störungen ist etabliert und an der Schnittstelle affektiver Störungen und Schmerz ganz besonders bedeutsam. Neuralgien Bei chronischen (neuropathischen) Schmerzsyndromen, aber auch bei akuten neuropathischen Schmerzen (z. B. Perizosterische Neuralgie) werden häufig psychoaktive Substanzen und Analgetika kombiniert. Da viele dieser Patienten, vorzugsweise die älteren unter ihnen, daneben auch noch eine Vielzahl anderer Medikamente einnehmen, werden mögliche Wechselwirkungen unter den Pharmaka wichtige Faktoren. Einen hervorragenden uns aktuellen Überblick über klinisch relevante Interaktionen zwischen Analgetika und Psychopharmaka wurde von D. Strobach 2012 in der „Arzneimtteltherapie“ (AMT, Heft 3, 2012, S. 83 ff) veröffentlicht. Die trizyklischen Antidepressiva (TCA) gelten nach wie vor als „first line drugs“ zur Behandlung neuropathischer Schmerzen (aktuelle Leitlinie der DGN), denn sie entfalten neben der antidepressiven auch eine dezidierte analgetische Wirkung. Sie sind als nicht selektive Monoamin-Wiederaufnahme-Hemmer (Leitsubstanz Amitriptylin) zweifellos die analgetisch bedeutsamsten Substanzen unter allen bekannten Antidepressiva. Ihre Wirkung ist sowohl bei der schmerzhaften diabetischen Polyneuropathie, der postzosterischen Neuralgie, bei partiellen Nervenläsionen als auch bei zentralen Schmerzsyndromen nachgewiesen. Die in der Schmerzmedizin gebräuchlichsten TCAs sind neben dem Hauptvertreter Amitryptilin, Trimipramin und Doxepin. Trizyklika © eyetronic / fotolia.com Zwei Faktoren sind in diesem Zusammenhang wichtig, die einen Einbezug von psychoaktiven Substanzen in ein Schmerztherapiekonzept frühzeitig sinnvoll oder gar zwingend erscheinen lassen: 1. Die hohe Komorbidität von affektiven Störungen und Schmerz, d. h. wenn sich anamnestisch oder in Fragebogeninventaren Hinweise auf depressive Symptome oder Erkrankungen zeigen und 2. die ähnliche Neurobiologie von Depression und chronischem Schmerz suggeriert, dass auch bei subklinischen, anzunehmenden Neurotransmissionsstörungen der Einsatz von Neurotransmitter-modulierenden Substanzen erwogen werden kann. Affektive Störungen mit dem gesamten Spektrum von anhaltenden affektiven Störungen (Dysthymie, Zyklothymie), Anpassungsstörun- 55Antriebsstörungen 55Hoffnungslosigkeit und Freudlosigkeit 55Müdigkeit und Schlafstörungen 55Appetitstörungen oder gar Suizidgedan- Amitryptilin wirkt in niedrigen Dosierungen schmerzlindernd auf (neuropathische) Schmerzen und ist auch in kleinsten Dosisbereichen ab 5 mg am Abend schon wirksam Schlaf anstoßend. TCAs wirken erst in höheren Dosisbereichen antidepressiv und auch nicht sofort, sondern mit einer Wirklatenz von bis zu 14 Tagen. Amitryptilin hat eine blockierende SCHMERZMEDIZIN 4/2014 (30. Jg.) Psychopharmakotherapie Allgemeine Hinweise zu TCA Wegen der Hemmung auf die Ionenkanäle ist die potenzielle Kardiotoxizität eines der zentralen Probleme, die Kautelen erfordert: Vor der Behandlung sollte bei allen Patienten ein EKG abgeleitet werden. QT-Zeit über 450 (Männer) oder 460 ns (Frauen) gelten als long QT-Syndrom und Kontraindikation für Medikamente die mit einer Verlängerung der QT-Zeit über die Bindung an Kaliumkanäle assoziiert sind (Endstrecke im EKG). Die Folge könnten fatale Rhythmusstörungen (Torsades des Pointes) sein. Wenn die eingesetzten Dosen über 75 mg/d liegen oder bei entsprechenden Komorbiditäten, empfehlen sich, insbesondere bei älteren Patienten, regelmäßige EKG-Kontrollen. Vor und während der Therapie sollten auch regelmäßige Laborkontrollen der Leber- und Nierenwerte, der Elektrolyte und des Blutbildes durchgeführt werden. Wichtige Arzneimittel-Interaktionen ergeben sich über die serotonerge Wirkung, die Natrium-Kanal-Blockade und über Wechselwirkungen mit CYP-abhängigen Enzymen. Bei Amitriptylin sollte aus schmerzmedizinischer Sicht unter anderem keine Kombination mit Tramadol (potenzierte serotonerge Effekte) und Carbamazepin (Natriumkanalblockade-Potenzierung) erfolgen. Vorsicht ist auch bei CYP2D6- oder CYP1A2-Inhibitoren (z. B. Metoprolol, Propanolol, Duloxetin) und CYP3A4-Induktoren (z. B. Carbamazepin), die die Wirksamkeit stark verändern können. Fehlt Cyp2D6, wie bei bis zu 10 % der Bevölkerung (poor metabolizer) oder ist Cyp2 D6 medikamentös blockiert (Fluoxetin, Paroxetin) ist dies nicht nur für die mögliche abgeschwächte Wirkung von analgetischen Pro-Drugs (Tilidin, Codein, Tramadol) verantwortlich, sondern auch für den verzögerten Abbau von TCAs und damit möglichen Wirkungs- und Nebenwirkungsverstärkungen. Duloxetin konkurriert um den Cyp2D6 Abbau. Serotonismus und Wirkverstärkungen sind mögliche Folgen. All diese Wechselwirkungen sind besonders für hohe Dosisbereiche klinisch relevant, oder im Alter und bei neurologischen Vorschädigungen, wenn schon geringe monoaminerge Wirkungen klinisch eher bedeutsam werden. Allgemein gilt seit Paracelsus: „Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift; allein die Dosis machts, dass ein Ding kein Gift sei.“ Wirkung auf Natriumkanäle und auf Kaliumkanäle und wirkt somit nicht nur Neurotransmitter (5HT und NA) modulierend. All dies erklärt die komplexe Wirkung auf die neuronale Schmerzleitung und Perzeption, sowie auf das absteigende Schmerzhemmsystem. Die Natriumkanal und Kaliumkanal blockierende Eigenschaft erklärt aber auch einen Gutteil der gegenüber anderen Antidepressiva besonderen Risiken und Nebenwirkungen dieser Substanz. Die lokalanästhetische Wirkung von Amitryptilin zeigte sich in Studien sogar der von Bupivacain überlegen. Das Betropfen der Zunge mit Amitryptilin bewirkt ein taubes Gefühl. Die generelle Wirkung auf Ionenkanäle erklärt dies genauso wie die potenzielle Kardiotoxizität. Neben den möglichen Nebenwirkungen am Reizleitungssystem des Herzens sind über die Neuro-Rezeptormodulation muskarinerg-anticholinerge, unerwünschte serotonerge und Wirkungen am Alpha1 Adrenorezptor und dem Histaminrezeptor typisch. Trockener Mund, Harnverhalt, Akkomodationsstörungen, Obstipation, Augeninnendruckerhöhung, Orthostase, Sedierung, Vigilanzstörungen u. a. sind mögliche Folgen und durchaus häufig berichtete unangenehme Folgen der Einnahme, wenn man nicht streng niedrig eindosiert. In der Langzeitanwendung berichten darüber besonders Frauen häufig über Gewichtszunahme. Wahrscheinlich reduziert Amitryptilin, über die Natriumkanalblo- SCHMERZMEDIZIN 4/2014 (30. Jg.) ckade den Grundumsatz und steigert via Besserung der Depression und Lebensfreude direkt den Appetit. Beides befeuert den ungeliebten Effekt einer möglichen Gewichtszunahme. Deshalb liegen die zur Analgesie relevanten Dosierungen z. T. erheblich weit unterhalb den für eine Antidepressivität benötigten. Die Einstiegsdosierungen für TCAs werden von Baron et al. (Therapietabellen 2008) bei Amitryptilin zur Schmerztherapie mit 10 mg angegeben. (Der Autor beginnt sogar mit nur 5 mg). Die Empfehlungen für eine antidepressive Wirkung beginnen bei 25 mg und reichen in Dosisbereiche von 50–150 mg ambulant und bis 300 mg stationär. Die Halbwertszeit der Ursubstanz und der wirksamen Metabolite (Nortryptilin) beträgt bis zu 50 Stunden. Dies erklärt die Vigilanz beeinträchtigenden Overhang Effekte höherer Dosierungen in den Tag. Doxepin ist das zweite heute in der Schmerzmedizin breit gebräuchliche TCA, es kommt in offiziellen schmerzmedizinischen Therapieempfehlungen im Gegensatz zu Amitryptilin aber kaum explizit vor. Doxepin ist von der Rezeptorspezifität und den Wirkungen auf Ionenkanäle dem Amitryptilin ausgesprochen wesensverwandt. Der einzige klinisch wichtige Unterschied dürfte in der noch stärker sedierenden Wirkung bestehen. Deshalb eignet sich Doxepin besonders für die begleitende Behandlung bei Medikamenten- entzügen oder agitierten affektiven Störungen, bei denen die Schlafstörung absolut im Vordergrund steht. Auch Doxepin hat dem Amitryptilin vergleichbare Natriumkanal blockierende Eigenschaften und Wirkungen auf die Kinetik der Kaliumkanäle. Auch bezüglich der nicht selektiven Wirkung auf Serotoninund Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmung ist das Doxepin von Amitryptilin kaum zu unterscheiden. Die durchschnittliche Halbwertszeit beträgt bis 24 Stunden, die Halbwertszeit des Hauptmetaboliten Desmethyldoxepin beträgt 51 (33–80) Stunden. Bei Einnahme von 75 mg täglich werden die Steadystate-Spiegel am neunten Tag erreicht. Trimipramin, das dritte gebräuchliche TCA, wirkt aber anders als Amitryptilin und Doxepin Serotoninrezeptor blockierend und NA wiederaufnahmehemmend. Die Wirkung bezüglich Erhöhung der Wirkung über 5HT und NA ist im Vergleich zu Amitryptilin schwächer. Es wirkt aber, wie Amitryptilin ebenfalls an Alpha 1 und Histamin-Rezeptoren. Trimipramin ist nicht explizit zur Anwendung in einem schmerzmedizinischen Konzept zugelassen, wird aber hier doch breit verwendet. Eine Natriumkanal blockierende Eigenschaft ist nicht beschreiben, allerdings wirkt Trimipramin ebenfalls QT Zeit verlängernd, wegen Wirkungen auf den Kaliumkanal. Das generelle Nebenwirkungsspektrum verglichen mit Amitryptilin ist jedoch schwächer und es wirkt genauso antidepressiv. Wegen der vergleichsweise geringeren kardiovaskulären Implikationen wird es in der Geriatrie dem Amitryptilin vorgezogen. Ansonsten sind die Schlaf anstoßenden Wirkungen und die anticholinergen Nebenwirkungen vergleichbar, weswegen Trimipramin bis heute im „off label use“, wie Amitryptilin als nicht-benzodiazepine schlaffördernde und auch angstlösende Substanz in Gebrauch und u. a. deswegen auch unter schmerzmedizinischen Aspekten eine wichtige Substanz ist. Die Einleitung der Therapie ist durch schrittweise Dosissteigerung beginnend mit 10-25-50 mg Trimipramin/Tag vorzunehmen. Falls erforderlich, kann die Dosis anschließend langsam gesteigert werden. Bei mittelgradigen depressiven Zuständen beträgt die gebräuchliche Dosis 100–150 mg Trimipramin/Tag, in schweren Fällen 300– 400 mg. Die Einnahme kann sowohl über den Tag verteilt (morgens, mittags, abends) als auch als Einmaldosis am Abend erfolgen. Insbesondere bei Schlafstörungen ist die Einnahme am Abend als Einmaldosis geeignet. ■ Oliver Emrich, Ludwigshafen Literatur beim Verfasser 25 Interview Exazerbierte Tumorschmerzen: Effektive Opioidtitration mit Hydromorphon In einer am St. Josef Krankenhaus Moers durchgeführten Untersuchung konnte gezeigt werden, dass die intravenöse (i. v.) Opioidtitration mit Hydromorphon eine schnelle, einfache und effiziente Methode zur Behandlung von Patienten mit exazerbierten Tumorschmerzen ist. Norbert Schürmann erläutert Vorgehensweise und Vorteile dieses Verfahrens, das er seit mehreren Jahren erfolgreich bei seinen Patienten anwendet. ? Worauf kommt es bei der Therapie exazerbierter Tumorschmerzen an? Schürmann: Entscheidend ist es, den Schmerz schnell und effizient zu reduzieren, um die Lebensqualität des PatienNorbert Schürmann, ten zu erhöhen, ihm die Moers Ängste vor den Schmerzen zu nehmen und ihn auf die nachfolgende Behandlung einzustellen. Schmerz ist ein subjektives Empfinden, dessen Ausmaß sich über die von 0 (keine Schmerzen) bis 10 (stärkste vorstellbare Schmerzen) reichende numerische Analogskala (NRS) messen lässt. Bereits bei einer Schmerzreduktion auf 3 bis 4 Skalenpunkte durch i. v.-Applikation eines Opioids wie Hydromorphon (Palladon injekt®) wird eine wesentlich bessere Lebensqualität erreicht. Schmerzsyndromen durchgeführt. Wie stark wurden die Schmerzen durch die i. v.-Applikation von Hydromorphon gelindert? Schürmann: Durch die Hydromorphontitration wurde der NRS-Mittelwert von 7,4 auf 2,6 gesenkt, was einer signifikanten Schmerzreduktion um 60 % entspricht (p<0,0001). Bei 94 % der Patienten konnte mit einer Menge von maximal 2 mg Hydromorphon eine ausreichende bis gute Analgesie erzielt werden. Bei 98 % der Studienteilnehmer verbesserte sich die Schmerzsymptomatik innerhalb von nur 20 Minuten so deutlich, dass eine weitere Behandlung möglich wurde (Schürmann N, Hampf A, Deutscher Schmerz- und Palliativtag 2014, Frankfurt/Main, Poster). ? Wie gehen Sie bei diesem Verfahren vor? gleich zu anderen Opioiden? Schürmann: Wir unterscheiden zwischen wasserlöslichen Opioiden wie Morphin oder Hydromorphon und fettlöslichen Opioiden wie Fentanyl. Fentanyl diffundiert in das Fettgewebe und es besteht das Risiko eines Reboundphänomens. Auch wirksame Metabolite von Morphin können kumulieren. Bei Hydromorphon besteht diese Gefahr nicht. Zudem zeigt sich im Gegensatz zu Morphin keine Suppression des Immunsystems. Aus diesen Gründen ist Hydromorphon gerade bei älteren Patienten und bei Patienten mit Nieren- und/oder Leberfunktionsstörungen dem Morphin vorzuziehen. Schürmann: Zu Beginn wird das Ausmaß des Schmerzes über die NRS gemessen und ein sicherer Zugang gelegt. Dann erhält der Patient eine Emesisprophylaxe mit 10 mg Metoclopramid (MCP) oder 4 mg Dexamethason i. v. als Kurzinfusion. Anschließend erfolgt die i. v.-Applikation von 0,2 mg/Minute Hydromorphon, bis der Schmerz nach Patientenaussage einen NRS-Wert von 3 bis 5 erreicht hat. Ein leichter Restschmerz ist ein guter Atemstimulus und senkt somit die Gefahr einer Atemdepression. Das Verfahren ist einfach, effektiv wie auch rasch durchführbar und hat den Vorteil, dass es überall anwendbar ist – im Altenheim ebenso wie zu Hause. Ich setze mich während der Titration neben den Patienten, halte vielleicht noch die Hand dabei, spreche mit ihm. Das schafft eine starke Bindung zwischen Arzt und Patient. ? Sie haben eine Untersuchung zur Opioidtit- ? Wie sieht die weitere schmerztherapeuti- ? Welche Vorteile hat Hydromorphon im Ver- ration bei Tumorpatienten mit exazerbierten sche Behandlung aus? Schürmann: Bei der Umstellung von der i. v.auf die orale Hydromorphon-Gabe wird unter Einbeziehung eines Sicherheitsfaktors mit zwei und bei einer Wirkdauer von etwa vier Stunden nochmals mit sechs multipliziert; so ergeben z. B. 1,8 mg i v.-Hydromorphon alle vier Stunden mal zwei mal sechs 21,6 mg orales Hydromorphon pro Tag. Allerdings verordnen wir nur etwa 75 % der errechneten oralen Tagesdosis, also z. B. 16 mg verteilt auf zweimal täglich 8 mg. Trotz dieser titrationsangepassten Opioidneueinstellung können körperliche Aktivitäten – unter Umständen schon das Aufstehen – zu starken Schmerzen führen. Der Patient benötigt daher zusätzlich zu der Basismedikation eine Bedarfsmedikation, die ca. ein Sechstel der gesamten Tagesopioiddosis betragen sollte. ? Inwieweit kann ein solches ambulantes Vor- gehen auch durch eine patientenkontrollierte Schmerztherapie (PCA) mittels Pumpe funktionieren? Schürmann: Die Schmerzreduktion durch Hydromorphontitration ist eigentlich nicht zu übertreffen, sie ist kurz und exakt: Der Patient vermag genau zu sagen, wann er weniger Schmerzen verspürt und die Titration beendet werden kann. Die PCA-Pumpe hingegen läuft erst einmal weiter und ich als Arzt kenne das Ausmaß der Schmerzreduktion nicht. Das kann dazu führen, dass die Opioiddosis zu gering oder zu hoch gewählt wird. Die Hydromorphontitration kann ich zudem überall und jederzeit durchführen, bei der PCA-Pumpe ist das wesentlich umständlicher. Sinnvoll ist eine PCA-Pumpe meiner Ansicht nach bei Patienten, die nach der Opioidtitration nicht oral eingestellt werden können. Impressum Interview • Medizin Report aktuell Nr. 407911 in: Angewandte Schmerztherapie und Palliativmedizin, Band 7, Heft 4, Dezember 2014 und in Schmerzmedizin, Band 30, Heft 4, Dezember 2014 • Berichterstattung: Gudrun Girrbach, Hilden • Redaktion: Dr. Michael Brysch • Leitung Corporate Publishing: Ulrike Hafner (verantwortlich) • Springer Medizin, Springer-Verlag GmbH, Tiergartenstraße 17, 69121 Heidelberg • © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 • Mit freundlicher Unterstützung der Mundipharma Deutschland GmbH & Co. KG, Limburg Die Herausgeber der Zeitschrift übernehmen keine Verantwortung für diese Rubrik. 26 SCHMERZMEDIZIN 4/2014 (30. Jg.) Kasuistik Postherpetische Neuralgie: Oxycodon/Naloxon besser wirksam als Oxycodon alleine? Postherpetische Neuralgien sind in der Schmerzmedizin häufig eine gravierende Herausforderung. Trotz einer Vielzahl von topischen und systemischen Therapien gestaltet sich bei vielen Patienten der Verlauf der Erkrankung schwierig, da zahlreiche wirksame Therapien aufgrund ihrer Nebenwirkungen abgebrochen werden müssen oder keine ausreichenden Dosierungen erzielt werden können. Die analgetische Überlegenheit von Oxycodon/Naloxon gegenüber Oxycodon alleine beschreibt der Göppinger Schmerzmediziner Dr. med. Gerhard H. H. Müller-Schwefe anhand eines Krankheitsverlaufs. Der Praxisfall Die 56-jährige Patientin stellt sich mit brennenden und prickelnden Schmerzen im Bereich des vierten bis sechsten Thorakalsegmentes rechts vor. Ein Jahr zuvor war eine akute Herpes Zoster Infektion mit massiven Hauteffloreszenzen und Ulzerationen vorausgegangen. Die Patientin schildert trotz des ausgedehnten Hautbefundes initial keine Schmerzen, so dass ausschließlich mit Aciclovir behandelt wurde. Etwa 4 Wochen nach Abklingen der Hautaffektion und zunehmender Narbenbildung begannen prickelnde und brennende Schmerzen sowie eine ausgeprägte Berührungsüberempfindlichkeit im betroffenen Segment. Die jetzt durchgeführte Therapie mit zunächst Metamizol, dann Gabapentin bis zu 2.400 mg/täglich und bei Unwirksamkeit zusätzlich Pregabalin bis zu 2x300 mg hatte keine ausreichende Schmerzlinderung zur Folge, die Patientin schildert jedoch massive kognitive Einschränkungen und imperativen Schlafzwang. Weitere Therapieversuche mit Amitriptylin führten bereits in niedrigen Dosen von abends 10 mg zu einer anhaltenden Sedierung, die auch 3 Wochen nach Therapiebeginn unverändert bestand, deshalb Wechsel zu einer Therapie mit Opioiden, zunächst transdermalem Fentanyl, das bis zu einer Dosis von 50 µg/Stunde gesteigert wurde, ohne dass eine ausreichende Schmerzlinderung erzielt wurde. Insbesondere unter der ausgeprägte Allodynie litt die Patientin weiterhin, der Nachtschlaf war schmerzbedingt gestört. Die Schmerzintensität wurde von der Patientin zum Zeitpunkt der Erstuntersuchung mit VAS 90 beschrieben, Individuelles Behandlungsziel 15. Bei unzureichender Wirksamkeit von Fentanyl wurde umgestellt auf Oxycodon 2x40 mg/täglich. Unter dieser Dosierung stellt sich die Patientin auch im Schmerzzentrum vor. Befund Im Segment thorakal 4 bis 6 rechts ausgeprägte Narben nach Herpes Zoster mit deutlichen Indurationen und Verfärbungen, in diesem Be- SCHMERZMEDIZIN 4/2014 (30. Jg.) reich massive dynamische Allodynie (Berührungsempfindlichkeit), statische Allodynie (Druckschmerzhaftigkeit) und spontan elektrisierend einschießende Schmerzen. Nach einem Jahr Krankheitsgeschichte fand sich im Hospital Anxiety and Depression Scale (HADS) eine massive depressive Störung wie auch auffällige Werte für Angst. Therapie und Verlauf Aufgrund der massiven gastrointestinalen Nebenwirkungen der Opiattherapie, die im Wesentlichen aus ausgeprägter Obstipation bestand mit einer Stuhlfrequenz von 1/Woche trotz aller Laxantienmaßnahmen mit osmotischen Laxantien sowie Natriumpicosulfat und Einläufen, wurde zunächst Oxycodon/Naloxon (Targin®) in einer äquianalgetischen Dosis von 40 mg zweimal täglich umgestellt bei Beibehaltung der Laxantientherapie. 10 Tage nach Umstellung kam es aufgrund der Wirkung des Naloxons im Darm (Besetzung der Opioidrezeptoren) zu einer Stuhlnormalisierung mit Stuhlgängen alle zwei Tage, so dass die Laxantientherapie reduziert wurde. Gleichzeitig stellte sich ein deutlich besserer analgetischer Effekt ein, die zuvor bei VAS 90 angegebene Schmerzintensität ging schrittweise zurück, in der ersten Woche auf VAS 55, in der zweiten Woche auf VAS 25 (Individuelles Behandlungsziel 15). Unter der Annahme, dass die Kombination mit Naloxon eine deutlich bessere analgetische Wirkung erzielt als Oxycodon alleine, wurde versucht, nun die Opiatdosis schrittweise zu reduzieren. In 14-tägigen Abständen erfolgte eine Reduktion von Oxycodon/Naloxon von jeweils 5 mg morgens und abends. Bei gleich wirksamer Analgesie trotz reduzierter Opiatdosis konnte schließlich mit 10 mg Oxycodon/Naloxon zweimal pro Tag ein gleicher Therapieeffekt erzielt werden wie mit anfangs zweimal täglich 40 mg Oxycodon. Nicht nur verbesserte sich die Lebensqualität aufgrund der verbesserten gastrointestinalen Situation der Patientin, sondern die niedrigere Opiatdosis resultierte in einer besseren Vigilanz, Wiederaufnahme von sozialen Aktivitäten und Zunahme der Lebensfreude. Mit einer Erhaltungsdosis von Oxycodon/Naloxon 10/5 zweimal täglich konnte schließlich über den Beobachtungszeitraum von über einem Jahr hinweg eine konstante Analgesie erzielt werden mit einer Schmerzintensität von VAS 15, das entspricht dem Individuellen Behandlungsziel. Diskussion Die Therapie der Postzoster Neuralgie kann außerordentlich schwierig sein, da die verfügbaren medikamentösen Strategien, insbesondere aus der Substanzgruppe der Antikonvulsiva und Antidepressiva oft von massiven Nebenwirkungen begleitet sind, die eine Fortführung der Therapie unmöglich machen. Die prinzipielle Wirksamkeit von Opioiden wurde in mehreren Studien nachgewiesen, wobei Oxycodon gegenüber Morphin einen deutlichen Wirksamkeitsvorteil zu haben scheint. Die anhaltend gute analgetische Wirkung bei deutlich niederen Dosen von Oxycodon/ Naloxon gegenüber Oxycodon alleine lassen sich allerdings nicht nur durch den Wirkmechanismus von Oxycodon erklären. Vielmehr scheint hier die Naloxonbeigabe von entscheidender Bedeutung zu sein. Entsprechende Hinweise finden sich auch in anderen Daten, die nahelegen, dass die geringen, auch im Zentralnervensystem zur Verfügung stehenden Naloxondosen entweder selbst einen analgetischen Effekt erzielen oder die Ansprechbarkeit von Opiatrezeptoren beeinflussen. Damit stellt niedrig dosiertes Oxycodon/Naloxon nicht nur prinzipiell eine gute Therapieoption bei neuropathischen Schmerzen dar, sondern die Kombination von Oxycodon mit Naloxon scheint gegenüber einem reinen Opioid deutliche therapeutische Vorteile und eine höhere analgetische Potenz zu bieten. ■ Gerhard H. H. Müller-Schwefe, Göppingen Literatur beim Verfasser 27