1 Naturwissenschaftliche Grundlagen 19 09 08

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Kapitel 2
Naturwissenschaftliche Grundlagen
Abbildung 2- 1
Atomzeichen - einmal anders..
NATURWISSENSCHAFTLICHE GRUNDLAGEN
2
Einleitung
2
Grundlagen der Atomphysik
Elemente
Das RUTHERFORD-Experiment
Atomaufbau
Anti-Materie
Kernspaltung
Kernspaltung
2
2
3
3
10
11
12
Grundlagen der Strahlenphysik
Ionisierende Strahlung
Der radioaktive Zerfall
Strahlungsarten
13
13
13
20
Wechselwirkung von Strahlung mit Materie
Energieübertragung und Strahlenwirkung
Wechselwirkungen von α - Strahlung
Wechselwirkungen von β - Strahlung
Wechselwirkungen von γ - und Röntgenstrahlung
Wechselwirkungen von Neutronen
27
27
33
33
35
40
Strahlendosen, Dosisgrößen und Dosiswirkungsbeziehungen
Ionendosis I
Energiedosis D
Äquivalentdosis H
Erweiterte Dosisbegriffe nach ICRU und ICRP
Dosiswirkungsbeziehungen
42
42
43
43
45
47
Dosisleistung und Geometrieeinflüsse
Dosisleistung bei punktförmige Strahlenquellen:
Dosisleistung bei kreisscheibenförmigen Strahlenquellen:
49
50
50
Strahlung im Alltag
51
Beispiele für Radionuklidanwendungen in der Nuklearmedizin
52
Übungsfragen
54
Literatur:
55
Dazu im Internet
55
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Mahling / E. Foßhag
Fachkunde im Strahlenschutz
Naturwissenschaftliche Grundlagen
...Manchmal musste ich einen ganzen Tag lang eine siedende Masse mit einer Eisenstange umrühren, die fast ebenso groß war wie ich. Abends war ich zum Umfallen müde...in das Laboratorium
kamen nur sehr wenige Leute: der eine oder der andere Physiker oder Chemiker besuchte uns von
Zeit zu Zeit, entweder um unsere Experimente zu sehen, oder um Pierre Curie...um einen Rat zu
bitten. Dann gab es vor der schwarzen Tafel jene Gespräche, an die man so gerne zurückdenkt, weil
sie auf das wissenschaftliche Interesse und die Arbeitsintensität stimulierend wirken...
Marie Curie um 1900
Einleitung
Die Atomphysik handelt vom Aufbau der Materie und vom Umwandeln der Masse in Energie,
bzw. umgekehrt. In der Strahlenphysik werden die Gesetze des radioaktiven Zerfalls behandelt,
sowie die Wechselwirkungen von Strahlung mit der Materie, welche die wichtigste Grundlage für
das Verständnis der Technik von Strahlenmessungen ist. Diese Wechselwirkungsprozesse sind auch
Ursache biologischer Strahlenschäden. Die Lehre von Wirkung und Anwendung ionisierender
Strahlen auf Substanzen (im "Reagenzglas") dagegen wird als Strahlenchemie bezeichnet. Unter
Radiologie verstehen Naturwissenschaftler ganz allgemein die Lehre von den ionisierenden Strahlungen und ihren Anwendungen in Medizin und Biologie. Häufig wird Radiologie in der Medizin
mit Strahlenheilkunde gleichgesetzt, also den Anwendungen ionisierender Strahlung in Diagnostik
und Therapie.
Grundlagen der Atomphysik
Elemente
Die stoffliche Welt um uns herum lässt sich zerlegen in kleine - einst als unteilbar geglaubte - Teilchen, die als Atome bezeichnet werden. Bis heute sind ca. 114 verschiedenen Atomsorten bekannt.
Unter einem chemischen Element versteht man einen Stoff, der aus Atomen mit gleichen chemischen Eigenschaften aufgebaut ist.
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Kapitel 2
Naturwissenschaftliche Grundlagen
Das RUTHERFORD-Experiment
Grundlegende Erkenntnisse zum Aufbau der Materie fand RUTHERFORD durch seine Streuexperimente heraus. Er beschoss eine dünne Goldfolie mit 2-fach positiv geladenen He-Kernen (sog. αStrahlung). Viele der He-Kerne gelangten durch die Folie nahezu ungehindert hindurch, andere
wurden in Winkeln von > 90° zur Ausbreitungsrichtung gestreut. Diese Ergebnisse ließen sich nur
durch die Annahme erklären, dass die Materie eigentlich aus "Nichts" mit einigen wenigen kleinen
Streuzentren besteht, wobei diese Streuzentren eine positive Ladung tragen mussten, sonst wäre
eine derartige Rückstreuung nicht möglich.
Atomaufbau
Atomkern
Atome bestehen aus einem positiv geladenen Atomkern (dem RUTHERFORDschen Streuzentrum)
und einer darum befindlichen negativ geladenen Hülle. Dabei beträgt der Durchmesser des Atoms
ca. 10-10 m. Fast die gesamte Masse des Atoms ist in seinem Kern vereinigt, der einen Durchmesser
von ca. 10-15 m aufweist. Materie besteht demnach also aus Massezentren, die relativ weit voneinander entfernt sind. Der Atomkern - so stellte es sich bei genaueren Untersuchungen heraus - besteht aus einzelnen positiv geladenen Bausteinen, den Protonen (je eine positive Elementarladung)
und einzelnen elektrisch neutralen Bausteinen, den Neutronen. Protonen und Neutronen besitzen
beide annähernd die gleiche Masse (Differenz ca. 1 / 2000tel), sie werden zusammen auch als Nukleonen (Kernbausteine) bezeichnet. Protonen bzw. Neutronen gehören zu den Elementarteilchen
aus denen Materie aufgebaut ist. Es herrschen zwischen den Protonen im Kern elektrostatisch abstoßende Kräfte. Diese werden jedoch durch noch stärkere Wechselwirkungen mit Neutronen kompensiert (Kernkräfte). Ein stabiler Kern verfügt deshalb stets über ein bestimmtes Zahlenverhältnis
von Protonen zu Neutronen. Stimmt dieses Zahlenverhältnis nicht, so wird der Kern instabil und das
betreffende Atom zerfällt nach einer gewissen Zeit, was als Phänomen der Radioaktivität beobachtet wird. Wegen der vielen positiven Ladungen sind Atome, die mehr als 92 Protonen besitzen, immer radioaktiv. Durch Kombination verschiedener Anzahlen von Neutronen und Protonen erhält
man verschiedene Kernarten, die auch als Nuklide bezeichnet werden.
Die Summe der Protonen eines Nuklids wird als seine Ordnungszahl bezeichnet, die Summe von
Protonen und Neutronen eines Nuklids wird als seine Massenzahl bezeichnet.
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Mahling / E. Foßhag
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Man findet, dass die Atomkerne der leichteren Elemente dann stabil sind, wenn die Anzahl von
Protonen und Neutronen etwa gleich ist. Bei den schwereren Elementen ist dagegen ein immer größerer Neutronenüberschuss zur Stabilität erforderlich. Untersucht man bei stabilen Nukliden das
Verhältnis der Protonen zur Neutronenzahl, dann findet man sehr häufig sowohl geradzahlige Protonenzahlen als auch geradzahlige Neutronenzahlen. Neben weiteren Stabilitätsregeln lassen sich
auch "magische Zahlen" an Protonen bzw. Neutronen auffinden, die besonders häufig mit stabilen
Kernen einhergehen: 2, 8, 20, 28, 50, 82, 126. Die große Häufigkeit des Auftretens dieser Zahlen
bei stabilen Atomkernen wird durch einen schalenförmigen Aufbau der Atomkerne (ähnlich der
Elektronenhülle) zu erklären versucht.
Abbildung 2- 2
Anfang einer Nuklidkarte
Eine ausführliche Übersicht über alle Nuklide, sowie deren Eigenschaften bietet die (Karlsruher)
Nuklidkarte. Dort werden als Ordinate die Protonenzahl und als Abszisse die Neutronenzahl aufgetragen. Zur Zeit sind ca. um die 2500 Nuklide bekannt, die sich auf 112 verschiedene chemische
Elemente verteilen. Es gibt 274 stabile Nuklide und 66 natürlich vorkommende radioaktive (z.T.
sehr langlebige) Nuklide, welche auch als Radionuklide bezeichnet werden. Von den letzteren treten 46 in den Zerfallsreihen des Urans und des Thoriums auf, z.B. das Nuklid U-235 (p = 92, n =
143), das als spaltbarer Kernbrennstoff Verwendung findet oder das Nuklid U-238 (p = 92, n =
146), das zu 98% in sogenanntem Natururan auftritt. Alle anderen der 2500 Nuklide zerfallen spontan.
Andere (künstliche) Radionuklide wurden nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl in manchen
Nahrungsmitteln nachgewiesen: I-131 oder Cs-137. Durch Kernspaltung im Reaktor erzeugte Radionuklide bzw. deren radioaktive Töchter wie z.B. Tc-99m werden bei szintigraphischen Schilddrüsenuntersuchungen durch Einspritzen (als wässrige Salzlösung) in den menschlichen Körper
und anschließende Aktivitätsbestimmung in der Schilddrüse angewendet.
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Kapitel 2
Naturwissenschaftliche Grundlagen
Tc-99m
Tc-99 + γ
Man kann jeweils bestimmte Nuklide zu Gruppen zusammenfassen:
Isotope Nuklide weisen die gleiche Ordnungszahl auf und gehören damit zum selben chemischen
Element.
Isotope stehen in der Nuklidkarte in waagerechten Reihen nebeneinander, haben die gleichen Protonenzahlen, jedoch unterschiedliche Neutronenzahlen, gleiche Elektronenkonfiguration und damit
die gleichen chemischen Eigenschaften, gehören damit also zum gleichen chemischen Element. Das
in der Chemie häufig verwandte Periodensystem der Elemente unterscheidet deshalb nicht zwischen
den einzelnen Isotopen eines Elementes. Anders verhält es sich bei den physikalischen Eigenschaften: hier unterscheidet sich Wasserstoff H-1 am stärksten von seinen Isotopen, da diese eine Massezunahme um 100 bzw. 200 % aufweisen.
Abbildung 2- 3
Wasserstoffisotope
Von besonderer Bedeutung sind auch die Isotope des Kohlenstoffes (p = 6) mit den Massen 12, 13,
und 14, d.h. n = 6,7, bzw. 8. Von allen Kohlenstoff-Atomen auf der Erde haben 98,9 % die Massenzahl 12, 1,1 % die Massenzahl 13 und nur in Spuren kommt das radioaktive C-14 vor. Es entsteht
dadurch, dass Neutronenstrahlung in die Atmosphäre eintrifft, dort auf Stickstoffatome fällt. Durch
eine anschließende Kernreaktion entsteht aus N-14 das Spurenelement C-14. Es handelt sich um
einen β-Strahler (radioaktiver Zerfall unter Aussendung von Elektronenstrahlen) mit einer Halbwertszeit von 5730 Jahren. Als radioaktives Kohlendioxid gelangt es über die Photosynthese in die
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Mahling / E. Foßhag
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Pflanzen und Biomasse. Das Zahlenverhältnis von C-14 zu stabilem C-13 beträgt stets ca. 1: 1012.
Aus diesem Verhältnis und der Halbwertszeit von C-14 ergeben sich bei einem lebenden Organismus pro Gramm Kohlenstoff 15,3 Zerfälle pro Minute. Wenn das Lebewesen gestorben ist, sinkt
der C-14 - Anteil. Über die restliche Aktivität lässt sich dann das Alter bestimmen (Radiocarbonmethode). C-14 lässt sich auch als sog. Tracer (Markierungsstoff) in biologischen Materialien verwenden. Bei kerntechnischen Experimenten hat es die Erzeugung und Freisetzung von "künstlichem"
C-14 durch Kernwaffentests gegeben.
Isobare Nuklide haben gleiche Nukleonenzahlen, jedoch unterschiedliche Kernladungszahlen. Sie
finden sich in den Diagonalreihen der Nuklidkarte, z.B. F-17, O-17, N-17
Isotone Nuklide sind Nuklide mit gleicher Neutronenzahl. Sie stehen in den senkrechten Reihen
der Nuklidkarte.
Isomere Nuklide haben zwar gleiche Anzahl von Protonen und Neutronen, besitzen aber im
Atomkern unterschiedliche Energiegehalte.
Ein instabiler Kern kann entweder durch Kernumwandlung und Aussenden von Kernbausteinen
oder durch Abstrahlen seiner überschüssigen Energie in den Grundzustand übergehen. Ein Atomkern, der sich auf letztere Art stabilisiert, erzeugt dabei einen isomeren Tochterkern. Bei isomeren
Nukliden handelt es sich quasi um verschiedene Energiezustände desselben Nuklids. Der metastabile (angeregte) Zustand eines Kerns wird durch den Index m hinter der Massenzahl gekennzeichnet.
Es sind etwa 400 Fälle der Kernisomerie bekannt.
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Kapitel 2
Naturwissenschaftliche Grundlagen
Abbildung 2- 4
Beispiel: Kernenergieschema für Tc-99m
Weitere Untersuchungen ergaben, dass die Kernbausteine (Nukleonen) auch magnetische Eigenschaften besitzen. Wobei Neutronen von einem 3- fach stärkeren Magnetfeld umgeben sind als Protonen und Elektronen. Um die Struktur der Kernbausteine zu ergründen, führte man dem RUTHERFORD-Experiment ähnliche Versuche durch: es wurden Protonen bzw. Neutronen mit Elektronen, deren Energien im GeV-Bereich lagen, beschossen. Auf diese Weise konnte festgestellt werden, dass sich im Innersten der Kernbausteine Objekte mit drittelzahligen Ladungen befinden. Diese
Objekte wurden als Quarks (Kunstwort) bezeichnet. Die Quarks bewegen sich im Inneren eines
Protons (oder Neutrons) mit hoher Geschwindigkeit. Sie sind punktförmig und besitzen unterschiedliche Massen. Sie lassen sich nicht isolieren.
Elektronenhülle
Die Hülle des Atoms besteht aus kleineren, negativ geladenen Elementarteilchen, den Elektronen,
deren Ladung der negativen Elementarladung e entspricht. Die Anzahl der Elektronen pro Atom
entspricht beim neutralen Atom der Zahl der im Kern befindlichen Protonen (Prinzip der elektrischen Neutralität). Elektronen bewegen sich wie Planeten in unterschiedlichen Bahnen (Schalen)
um den Kern. Der Zusammenhalt zwischen Atomkern und Elektronenhülle wird durch elektrostatische Anziehungskräfte (sog. schwache Wechselwirkungen, COULOMB-Kräfte) verursacht. Die
"Bewegung" der Elektronen verhindert, dass sie in den Kern stürzen und somit das Atom instabil
wäre. Eine stabile Elektronenbahn ergibt sich nach dem BOHRschen Atommodell bei einem Kräftegleichgewicht zwischen den elektrostatischen Anziehungskräften und der Zentrifugalkraft. Die
Elektronenschalen, werden von innen nach außen durchnumerieret (siehe Abbildung 2-5). Für die
Energie E eines Elektrons in Abhängigkeit von Kernladung Z und Bahnradius r gilt:
1 Z ⋅ e2
E=− ⋅
2
r
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E
e
Fachkunde im Strahlenschutz
= Energie eines BOHRschen Elektrons
= Elementarladung
Das Schalenmodell der Atomhülle:
Abbildung 2- 5
Z = Kernladungszahl
r = Abstand zum Kern
2n2 Elektronen pro Hauptschale
Elektronenbahnen des BOHRschen Atommodells
Ein bewegtes Elektron zeigt je nach Versuchsbedingungen entweder den Charakter einer Welle
oder den Charakter eines Teilchens (Korpuskel). Seine Wellennatur zeigt sich darin, dass "Elektronenwellen" interferieren können oder auch Beugungsphänomene aufweisen. Aus Beugungsexperimenten konnte ermittelt werden, dass Elektronen von 50 000 eV eine Wellenlänge von ca. 6.10-12 m
aufweisen Der Teilchencharakter dagegen wird erkennbar, wenn gerichtete Elektronenbewegungen
als Stromfluss gemessen werden können. Ein solcher Welle-Teilchen-Dualismus findet sich auch
beim Licht, das sowohl als Lichtwelle oder als Lichtteilchen (Photon) beschrieben werden kann.
Beim photoelektrischen Effekt kann man beobachten, dass Photonen Elektronen aus einer metallischen Oberfläche herausschlagen können. Dieser Welle-Teilchen-Dualismus, der von DEBROGLIE erstmalig postuliert wurde, bedingt die Tatsache, dass es physikalisch nicht möglich ist
beide Erscheinungsformen des Elektrons gleichzeitig mit Meßmethoden zu erfassen. Je genauer
man versucht die Wellenlänge eines Elektrons zu ermitteln, desto ungenauer wird die Ortsbestimmung. Dieser Sachverhalt wird auch in der sog. HEISENBERGschen Unschärferelation deutlich.
Diese besagt, dass die gleichzeitige Erfassung von Ort und Impuls bei einem Elektron nur mit einer
Unschärfe beider Messgrößen möglich ist. Das Produkt dieser Unschärfen liegt in der Größenordnung des PLANCKschen Wirkungsquantums h.
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Kapitel 2
Naturwissenschaftliche Grundlagen
Abbildung 2- 6
Der Aufbau der Materie
Elementarteilchen
Elementarteilchen bilden Materie und Anti-Materie, nur manche von ihnen existieren auf der Erde,
andere existieren im interstellaren Raum oder auf anderen Planeten. Die Elementarteilchen werden
wie folgt eingeteilt:
Leptonen:
(leichte Teilchen) zusammen mit den Quarks bilden sie Grundbausteine von Materie und AntiMaterie, hierzu gehören u.a. Elektronen und Neutrinos;
Mesonen:
Elementarteilchen aus Quarkdubletts;
Baryonen:
(schwere Teilchen) Elementarteilchen aus Quarktripletts, hierzu gehören die Nukleonen (Protonen,
Neutronen) und die Hyperonen, unter letzteren versteht man alle Elementarteilchen, die schwerer
sind als ein Proton;
Eichbosonen:
Austauschteilchen, übertragen Kräfte.
Nach dem Standardmodell gibt es zwölf Materieteilchen, bestehend aus einer Gruppe, die sechs
verschiedene Quarks beinhaltet und einer weiteren Gruppe, die aus sechs verschiedenen Leptonen
gebildet wird. Eine dritte Gruppe besteht aus Eichbosonen, sog. Kraftteilchen, welche die Materie
zusammenhalten, indem sie elektromagnetische, starke und schwache Wechselwirkungen zwischen
den Bausteinen der Materie vermitteln.
Quarks
Quarks sind Bestandteile von Elementarteilchen, die jedoch isoliert nicht bestehen können. Es gibt
insgesamt sechs verschiedene Quarks:
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up (u), down (d) Protonen und Neutronen, die Grundbausteine unserer Materie, sind aus u- und d
Quarks zusammengesetzt, welche die Familie der beiden leichtesten Quarks bilden;
strange (s), charm (c) s- und c-Quarks bilden eine zweite Familie, sie ähneln in Ihren Eigenschaften den u- bzw. d-Quarks, sind jedoch schwerer;
bottom (b), top (t) b- und t-Quarks bilden die dritte Familie, die aus besonders schweren Quarks
besteht, die in Sekundenbruchteilen zerfallen.
Die Quarks besitzen nur ein bzw. zwei Drittel der elektrischen Elementarladung. Im Proton ergibt
die Summe der Ladungen der drei Quarks gerade die Elementarladung, ebenso beim Neutron. Auch
die Magnetfeldstärke der Kernbausteine lässt sich auf die Feldstärken seiner Quarkbestandteile zurückführen. Die Quarks in den Kernbausteinen lassen sich nicht von seinen Partnern abtrennen. Sie
werden durch den Austausch von speziellen Kraftteilchen, den Gluonen (englisch "glue" = Klebstoff), zusammengehalten.
Anti-Materie
Unter Anti-Materie versteht man Materie, die ausschließlich aus Anti-Teilchen besteht. Der Atomkern besteht dabei aus Anti-Protonen (negativ geladene Protonen) und Anti-Neutronen (aus entsprechenden Anti-Quarks) und wird umgeben von den Anti-Elektronen (positiv geladenen Elektronen), auch Positronen genannt. In Laborversuchen konnten bereits Anti-Wasserstoff, AntiDeuterium, Anti-Tritium und Anti-Helium erzeugt werden. Nur das Photon ist mit seinem AntiTeilchen identisch. Anti-Materie ist zusammen mit Materie nicht stabil. Sie wird unter Bildung von
Photonen oder Mesonen vernichtet. Nur im freien Raum des Universums, fern von Materie kann
Anti-Materie existieren. Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen ist die Frage, ob andere
galaktische Systeme aus Anti-Materie bestehen. Beim Zusammentreffen von Anti-Materie mit
"normaler" Materie wandeln sich die Massen der beteiligten Teilchen entsprechend der EINSTEINschen Gleichung
E = m ⋅ c2
E = Energieäquivalent eines Teilchens
m = Masse des Teilchens
c = Lichtgeschwindigkeit
vollständig in Vernichtungsstrahlung um. Trifft z.B. ein Elektron auf ein Positron, so entstehen
zwei γ-Quanten mit jeweils Energien von 511 keV.
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Kapitel 2
Naturwissenschaftliche Grundlagen
Name
Symbol
Ruhemasse
[MeV]
Ladung
Quarkaufbau
ELEMENTARTEILCHENBAUSTEINE:
up
down
strange
charm
bottom
(beauty)
top (truth)
u
d
s
c
b
u*
d
s
c
b
t
t
-2/3
1/3
1/3
-2/3
1/3
1/2
1/2
1/2
1/2
1/2
stabil
verschieden
verschieden
verschieden
verschieden
?
2/3
-2/3
1/2
verschieden
EICHBOSONEN
?
0
~ 83 000
1
~ 93 000
0
0
0
LEPTONEN
0,511
-1 +1
105,6
-1 +1
1784
-1 +1
?
0
0
Elektron
Müon
Tau
ElektronNeutrino
MüonNeutrino
TauNeutrino
eµτνe
e+
µ+
τ+
νe
νµ
νµ
?
0
ντ
ντ
?
0
p
n
Λ
Σ+
p
n
Λ
Σ +
938,3
939,6
1115
1189
Σ-
Σ -
1197
-1
Σ0
Σ 0
1192
ΞΞ0
Ω-
Ξ Ξ 0
Ω -
Λc
Λc
Pionen
Pionen
Kaonen
Kaonen
J / Psi
D-Null
D-Plus
Ypsilon
π0
π+
K0
K+
J/Ψ
D0
D+
Y
Tabelle 2-1
π-
K 0
K-
QUARKS
2/3
-1/3
-1/3
2/3
-1/3
γ
W+
Z
g
Proton
Neutron
Lambda
SigmaPlus
SigmaMinus
SigmaNull
Xi-Minus
Xi-Null
OmegaMinus
CharmLambda
mittlere
Lebensdauer
[s]
~5
~ 10
~ 100
~ 1500
~ 4700
Photon
W-Teilchen
Z-Teilchen
Gluon
W-
Spin
1
-1
1
1
stabil
10-25
10-25
stabil
1/2
1/2
1/2
1/2
stabil
2 . 10 -6
3 . 10-13
stabil ?
0
1/2
stabil ?
0
1/2
stabil ?
BARYONEN
+1
-1
0
0
0
0
1
1
uud
ddu
uds
uus
uud
ddu
uds
uus
1/2
1/2
1/2
1/2
stabil
ca. 900
2,6 . 10-10
8 . 10-11
-1
dds
dds
1/2
1,5 . 10-10
0
0
uds
uds
1/2
6 . 10-20
1321
1315
1672
-1
0
-1
1
0
-1
dss
uss
sss
dss
uss
sss
1/2
1/2
1/2
1,6 . 10-10
3 . 10-10
8 . 10-11
2280
1
1
udc
udc
1/2
2 . 10-13
uu
ud
ds
us
dd
du
d s
su
cc
cu
cd
bb
0
0
0
0
1
0
0
1
135
140
498
494
3098
1863
1863
9460
MESONEN
0
0
+1
-1
0
0
+1
-1
0
0
1
0
Elementarteilchen und Quarks
8 . 10-17
2,6 . 10-8
-10
10
/ 5 . 10-8
1,2 . 10-8
1 . 10-20
1 . 10-12
4 . 10-13
1 . 10-20
*Teilchen mit sind sogenannte Anti-Teilchen
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Fachkunde im Strahlenschutz
Kernspaltung
Trifft ein thermisches Neutron auf ein U-235 Atom (oder auf bestimmte andere spaltbare Stoffe), so
kann es zu einer spontanen Kernspaltung kommen. Aus der Kernspaltung entstehen zwei Spaltprodukte und im Mittel ein bis zwei Neutronen, die ihrerseits wieder ein weiteres U-235 Atom spalten
könnten. Die Spaltung von U-235 tritt jedoch nur dann auf, wenn die Neutronen sich nicht zu
schnell fortbewegen, d.h. ihre Energien im thermischen Bereich (ca. 0,025 eV) liegen. Bei jeder
Spaltung werden dann wieder Neutronen frei, die ihrerseits eine erneute Spaltung bewirken können.
Dieser Vorgang unterhält sich selbst und wird deshalb auch als Kettenreaktion bezeichnet. Damit
in einer Masse aus U-235 also eine Kettenreaktion stattfinden kann, müssen die schnellen Spaltneutronen durch geeignete Materialien (Moderatoren) abgebremst werden, außerdem muss auch die
Masse groß genug sein, damit die Neutronen nicht nach außen entweichen. Die Mindestmasse, bei
der eine Kettenreaktion eintreten kann wird als kritische Masse bezeichnet. Sie beträgt bei U-235
etwa 50 kg, wenn das Metall in Kugelform vorliegen würde und die Neutronen unmoderiert (und
unreflektiert) würden. Die kritische Masse lässt sich verringern, wenn der spaltbare Stoff von einem
Reflektor (z.B. Graphit, Beryllium, D2O, etc.) umgeben ist, der die Eigenschaft hat, entwichene
Neutronen in die kritische Masse zurückzulenken. Da in der natürlichen Umgebungsstrahlung stets
freie Neutronen vorkommen, würde in einer kritischen Masse sofort immer eine Kettenreaktion
ausgelöst werden. Für den Strahlenschutz sind deshalb beim Umgang mit radioaktiven Stoffen besondere Maßnahmen zu beachten, die alle darauf hinauslaufen, dass auf keinen Fall kritische Bedingungen entstehen. Hierzu ist eine spezielle Ausbildung erforderlich.
Abbildung 2- 7
Seite 2-12
Die nukleare Kettenreaktion
Kapitel 2
Naturwissenschaftliche Grundlagen
Grundlagen der Strahlenphysik
Ionisierende Strahlung
Sogenannte ionisierende Strahlung entsteht beim Zerfall von Radionukliden. Die dabei freigesetzten Strahlungsteilchen können verschiedene Wechselwirkungen mit Materie eingehen:
Abbremsung der Strahlungsteilchen und daraus resultierende Wärmeentwicklung;
Anregung von Hüllenelektronen;
Ionisierung von Hüllenelektronen;
Materialisierung von elektromagnetischen Strahlungsteilchen.
Strahlen, die eine Ionisierung beim Auftreffen auf Materie hervorrufen können, werden deshalb
ionisierende Strahlen genannt. Es werden energiereiche elektrisch geladene Materieteilchen als direkt ionisierende Strahlung bezeichnet, elektrisch neutrale Teilchen oder Photonen als indirekt
ionisierende Strahlung. Hinsichtlich der Natur der Strahlung unterscheidet man zwischen Materiestrahlung (Korpuskularstrahlung) und Wellenstrahlung:
Materiestrahlung
n-Strahlung
p-Strahlung
α-Strahlung
β-Strahlung
Neutronen
Protonen
He2+-Teilchen
Elektronen, Positronen
γ-Strahlung
X-Strahlung
elektromagnetische Schwingungen, Photonen
elektromagnetische Schwingungen, Photonen
Wellenstrahlung
Tabelle 2-2
Eigenschaften ionisierender Strahlung
Der radioaktive Zerfall
Aktivität
Elemente, in deren Kern das Zahlenverhältnis von Protonen zu Neutronen unausgewogen ist, sind
instabil und zerfallen durch auftretende Kernreaktionen unter Aussendung von Strahlung (wie in der
Tabelle 2-2 angegeben). Diese Phänomene werden als Radioaktivität oder radioaktiver Zerfall
bezeichnet. Die Strahlung entsteht dadurch, dass die Radionuklide Masse- und Energieportionen
mit hoher Geschwindigkeit ausschleudern, welche die ionisierende Strahlung bilden. Ein radioaktiver Zerfall findet u.U. in mehreren Schritten solange statt, bis das entsprechende Radionuklid in ein
Seite 2-13
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Fachkunde im Strahlenschutz
stabiles Nuklid übergegangen ist (radioaktive Zerfallsreihe). Die Ursache für den radioaktiven Zerfall ist somit das Streben nach dem energetisch günstigstem Zustand eines Atomkerns.
Unter der Aktivität eines Radionuklids versteht man die Zahl der Zerfälle pro Zeiteinheit. Die Einheit der Aktivität ist das Becquerel (1 BQ = 1 Zerfall pro Sekunde).
Beispiel:
1 g des Elementes Radium hat eine Aktivität von 3,7 . 1010 Bq = 1 Curie (Ci)
Beim Zerfall eines Radionuklids kann auch eine spontane Spaltung (spontaneous fission, sf) des
Atomkerns in verschiedene Bruchstücke auftreten. Typisches Beispiel für ein solches instabiles
natürliches Radionuklid ist das Uran-235. Der Zerfall des Uranatoms wird durch ein kosmisches
Neutron, das auf ihn trifft, ausgelöst. Den Zerfallsprozess kann man sich als eine Reihe von
Schwingungen vorstellen, die der getroffene Kern durchläuft, bis er sich schließlich nicht mehr stabilisieren kann und in zwei Teile zerfällt (Kernspaltung).
Abbildung 2- 8
Die Kernspaltung
Entsprechend lässt sich auch eine künstlich induzierte Kernspaltung durchführen. Die Art des Zerfalls, die Lebensdauer und Häufigkeit der Radionuklide lassen sich aus den Radionuklid-Tabellen
ermitteln.
Zerfallsarten und Zerfallsreihen
Je nach Art des entstehenden Zerfallsproduktes unterscheidet man verschiedene Zerfallsarten; Für
ein Mutternuklid mit der Ordnungszahl Z und der Massenzahl M findet man folgende wichtige
Zerfallsarten:
Seite 2-14
Kapitel 2
Naturwissenschaftliche Grundlagen
Zerfallsart
Massenzahl Tochternuklid
M–4
M
M
M
Ca. ½M
α - Zerfall
β− - Zerfall
β+ - Zerfall
γ - Zerfall
Spontanspaltung
Tabelle 2-3
Ordnungszahl Tochternuklid
Z-2
Z+1
Z-1
Z
variiert
Radioaktive Zerfälle - Verschiebungssätze
α- und β-Zerfälle sind sehr häufig von γ-Emissionen begleitet. Diejenigen Radionuklide, die durch
derartige Zahlengesetze verbunden sind bezeichnet man als Zerfallsreihen. Analysiert man die Nuklidkarte bezüglich dieser Zahlengesetze (sog. Verschiebungssätze), so findet man, dass es insgesamt
4 verschiedene Zerfallsreihen gibt, durch welche die verschiedenen Nuklide entstanden sind:
Thorium-Zerfallsreihe
Neptunium-Zerfallsreihe
Uran-Radium-Zerfallsreihe
Actinium-Zerfallsreihe
Diese Zerfallsreihen werden jeweils nach dem langlebigsten Vertreter bezeichnet. Eine Besonderheit ist, dass die Neptunium-Zerfallsreihe erst durch die Entdeckung der künstlichen Radioaktivität
aufgeklärt wurde.
Das radioaktive Zerfallsgesetz
Das Zeitintervall, indem sich die Anzahl der Atome eines Radionuklids auf die Hälfte verringert hat,
wird auch als die Halbwertszeit des Radionuklids bezeichnet. Sie ist für das betreffende Radionuklid eine charakteristische Größe.
Radionuklid
H-3
Ra - 226
I - 131
Cs - 134
Häufigkeit Zerfallsart
0,00013 %
β−
α/γ
β−/γ
β−/γ
Halbwertszeit t1/2
12,346 a
1,6 . 103 a
8,04 d
2,06 a / 2,09 h
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U - 235
U - 238
0,720 %
99,28 %
* sf
α/β−/γ/ sf ∗
α/β−/ sf
bedeutet „spontaneous fission“
Tabelle 2-4
7,030 . 108 a
4,468 . 109 a
= Spontan Spaltung
Beispiele für radioaktive Zerfälle
Der radioaktive Zerfall gehorcht den Gesetzen der Statistik. Die Ursache für die unterschiedlichen
Halbwertszeiten verschiedener Radionuklide lässt sich dadurch erklären, dass für jeden radioaktiven
Zerfall zunächst eine Energiebarriere existiert bevor der energetisch günstige Zustand erreicht wird.
Die Zerfallswahrscheinlichkeit hängt von der Lage der Energiezustände des Kerns vor und nach
Zerfall ab, sowie von der Höhe der Barriere.
A
t
Abbildung 2- 9
Die Aktivitätsabnahme eines Radionuklids
Abbildung 2-9 zeigt die jeweils verbleibende Aktivität eines Radionuklids nach einer Halbwertszeit
(= 1 Balkenbreite). Der Verlauf der Aktivitätsabnahme mit der Zeit wird durch eine Exponentialfunktion beschrieben. Dieser zeitliche Verlauf des radioaktiven Zerfalls wird als radioaktives
Zerfallsgesetz bezeichnet:
A ( t ) = A 0 ⋅ e − λ⋅ t
A(t)
t
= Aktivität zum Zeitpunkt t,
= Zeitspanne nach t = 0,
A0
t 1/2
λ=
ln 2
t1/ 2
= Ausgangsaktivität t = 0,
= Halbwertszeit
λ = Zerfallskonstante,
Die Zerfallskonstante λ ist ein Maß für die Zerfallswahrscheinlichkeit. Häufig wird auch die mittlere Lebensdauer τ eines Radionuklids angegeben, diese errechnet sich aus dem Kehrwert der
Zerfallswahrscheinlichkeit:
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Kapitel 2
Naturwissenschaftliche Grundlagen
τ=
1
λ
Die Lebensdauer eines Radionuklids ist diejenige Zeit, inder der Anteil der Atome auf den e-ten
Teil der Ausgangsmenge zurückgegangen ist.
Viele Radionuklide bilden nach ihrer Umwandlung Tochterkerne, die wiederum radioaktiv sind. So
wandelt sich Ra-226 in das radioaktive Edelgas Rn-222 um. Aktivitätsangaben für ein Radionuklid
beziehen sich aber immer auf die Ausgangssubstanzen, nicht auf die beim Älterwerden angesammelten Folgeprodukte. Entsprechend ist auch bei der Anwendung des radioaktiven Zerfallsgesetzes
zu differenzieren. Die Aktivität eines Nuklidgemisches, das verschiedene Vertreter einer Zerfallsreihe, enthält kann nicht nach dem einfachen Zerfallsgesetz berechnet werden. Zur Berechnung der
Gesamtaktivität eines Nuklidgemisches muss das radioaktive Zerfallsgesetz modifiziert werden.
Zerfallsdiagramme
Zur Beschreibung der Energiezustände, die ein Nuklid durchlaufen kann, benutzt man Energiediagramme, ähnliche den Energieschemata der Elektronen. Alle Zustände, Energiegehalte und Zerfallswahrscheinlichkeiten für eine bestimmte Zerfallsart können aus diesen Diagrammen abgelesen werden. Dem Diagramm kann man den quantenmechanischen Kernzustand (z.B. +5) entnehmen, die
Energie dieses Zustandes (z.B. 0 = Grundzustand), die Halbwertszeit des Zustandes (z.B. 5,3 y =
5,3 Jahre), die Wahrscheinlichkeit eines Übergangs (z.B. 99 %) und die γ-Energie, die einem
Übergang entspricht (Energie des abgestrahlten Photons, z.B. 1172 keV).
Zerfallsdiagramme lassen sich aus Standardwerken der Physik ermitteln, oder sind auf CD-ROM
verfügbar, für die vorliegenden Darstellungen wurde die CD von Wiley-Interscience (8. Auflage,
Version 1, März 1996) verwendet. Des weiteren findet man auch Zerfallsdiagramme im Internet
unter http://atom.kaeri.re.kr/index.html.
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Mahling / E. Foßhag
Fachkunde im Strahlenschutz
Abbildung 2- 10 Vereinfachtes Zerfallsdiagramm I für Co-60
Abbildung 2- 11 Vereinfachtes Zerfallsdiagramm II für Co-60
Abbildung 2- 12 Vereinfachtes Zerfallsdiagramm III für Co-60
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Kapitel 2
Naturwissenschaftliche Grundlagen
Spezifische Aktivität
Die Aktivität einer Probe steigt mit der Probenmenge. Deshalb wird die sog. spezifische Aktivität
eingeführt:
Die spezifische Aktivität ist die Aktivität pro Masse in BQ / kg
Angaben zur spezifischen Aktivität können sich auf verschiedene in der Substanzmenge enthaltenen
Radionuklide beziehen, deshalb muss immer eine entsprechende Angabe gemacht werden. Bei der
experimentellen Bestimmung der Gesamtaktivität wird zunächst eine radionuklidspezifische Analyse durchgeführt. Die meisten Radionuklide senden beim Zerfall γ-Quanten mit charakteristischen
Energien aus. Diese Energien kann man mit Hilfe γ-spektroskopischer Methoden ermitteln und aus
Nuklidbibliotheken die zugehörigen Nuklide bestimmen. Massenbezogene Aktivitäten verwendete
man z.B. nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl um die Belastung in Lebensmitteln zu kennzeichnen.
Spezifische Aktivität
1,0
0,3
8,0
≈ 820
Tabelle 2-5
Lebensmittel
Rindfleisch, Kalbfleisch
Schwein
Schaf
Reh, Hirsch u.a. Wild
Cs-134 / Cs-137 Gehalt in Fleisch (BRD 1990) Angaben in Bq / kg
Oberflächenaktivität
Flächenbezogene Aktivitäten (sog. Oberflächenaktivitäten) werden angegeben um die Kontamination von Oberflächen zu bestimmen, wenn diese durch offene radioaktive Stoffe kontaminiert wurden. Für Kontaminationskontrollen wurden eigens Kontaminationsmonitore entwickelt.
Die Oberflächenaktivität ist die Aktivität pro Fläche: BQ / CM2
Beispiel aus der StrlSchV §44 Anlage III: Grenzwert der Flächenkontamination am Arbeitsplatz (im Kontrollbereich,
gemittelt über 100 cm2 eines β-Strahlers, wie z.B. P-32 =100 Bq / cm2, S-35 =100 Bq / cm2, I-125 =10 Bq / cm2
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Aktivität pro Volumen
Eine volumenbezogene Aktivität kann z.B. angegeben werden, wenn die Radioaktivität des Abwassers oder der Abluft einer nuklearen Einrichtung beschrieben werden soll.
Bei radioaktiven Gasen gibt man Aktivität pro Volumen in BQ / M3 an
Beispiel:
Die durchschnittliche Radonbelastung in Innenräumen beträgt
50
Spitzenbelastungen
≥ 200
Bq / m3
Bq / m3
Strahlungsarten
α - Strahlung
Die beim radioaktiven Zerfall ausgesandten α-Teilchen haben bei Austritt aus dem Atomkern Geschwindigkeiten von etwa 15 000 km / s. Sie werden innerhalb weniger cm durch Stöße mit Luftmolekülen abgebremst. Schließlich fangen die langsamen Helium-Ionen Elektronen aus der Umgebung ein und existieren weiter als Edelgas. Das Beispiel zeigt den Zerfall von Radium. Zerfallsprodukt ist das radioaktive Edelgas Radon.
Abbildung 2- 13 Der α - Zerfall
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Kapitel 2
Naturwissenschaftliche Grundlagen
Eigenschaften von α - Strahlung:
Eigenschaften
Teilchenart:
Radionuklide:
Energie:
Reichweite(Luft):
Energieverteilung:
Ww* mit Materie:
Gefahr:
Schutz:
Nachweis:
He-4 Kerne
Pu-239, Ra-226, Rn-222, Am-241, Po-210, U-235
MeV – Bereich
bei 5 MeV ca. 3,5 cm
diskretes Linienspektrum
Ionisation, Anregung
Inkorporation (Inhalation, Ingestion)
Papier, Abstand >10 cm
Proportionalzählrohr, Ionisationskammer,
Geiger-Müller-Zählrohr, Halbleiter-Detektor,
jeweils dünnwandig
* Ww bedeutet Wechselwirkung
Tabelle 2-6
Eigenschaften von Alpha-Strahlung
Beispiel:
Es hat sich gezeigt, dass in manchen Gebieten Deutschlands, wie z.B. dem Erzgebirge oder dem Schwarzwald erhöhte
Konzentrationen des Gases Radon auftreten. Dieses tritt als radioaktives Zerfallsprodukt bei uran- bzw. radiumhaltigen
Erzen auf. In entsprechend gelegenen Kellerräumen können sich dann ungewöhnlich hohe Radonkonzentrationen einstellen, die gesundheitsbedrohend sind. Die Ermittlung der Radonkonzentration in der Luft stellt ein sehr spezielles
messtechnisches Problem dar. Meist wird die von den Tochternukliden ausgesandten α - Strahlung mit Oberflächensperrschichtdetektoren gemessen. Die aus dem Spektrum abgeleitete Häufigkeit der kurzlebigen radioaktiven Folgeprodukte ergibt dann ein Maß für die Konzentration der Radon-Isotope in der Luft.
β - Strahlung
Protonen und Neutronen im Kernverband haben die Möglichkeit, ihre charakteristischen Eigenschaften auszutauschen, wobei Elektronen bzw. Positronen aus dem Kern emittiert werden und das
ganze System in einen stabilen Zustand übergeht. Beim β−- Zerfall wird aus dem Kern eines Radionuklids ein Elektron abgegeben, welches eine Geschwindigkeit zwischen Null und Lichtgeschwindigkeit bei Austritt aufweist. Diese Elektronen bilden dann die β−- Strahlen. Da nach dem Aussenden des Elektrons der Kern ein Proton mehr besitzt, erhöht sich beim Radionuklid die Kernladungszahl um 1 (Elementumwandlung), während die Massenzahl erhalten bleibt. Beim selteneren β+Zerfall wird aus dem Kern ein Positron , β+, abgegeben.. Entsprechend wird die Kernladungszahl
dabei um eines vermindert. Das Spektrum von Beta-Teilchen erstreckt sich über einen kontinuierlichen Bereich (Unterschied zu Elektronenstrahlen!). Da nach dem Energieerhaltungssatz dem BetaZerfall eine diskrete Energiemenge entspricht muss die "fehlende" Energie an ein elektrisch neutrales Neutrino abgegeben werden:
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n → p + e- + υ
bzw:
p → n + e+ + υ
Eigenschaften von β - Strahlung
Eigenschaften
Teilchenart:
Radionuklide:
Energie:
Reichweite(Luft):
Energieverteilung:
Ww mit Materie:
Gefahr:
Schutz:
Nachweis:
Elektronen, Positronen
H-3, C-14, Sr-90, Cs-137 , Tl-204, Co-60
keV ... MeV
bei 1 MeV ca. 4 m
kontinuierliches Spektrum
Ionisation, Anregung, Bremsstrahlung
Hautexposition, Inkorporation
Abschirmung mit Al, PMMA, etc.
Proportionalzählrohr, Ionisationskammer,
Geiger-Müller-Fensterzählrohr,
jeweils dünnwandig
Tabelle 2-7
Eigenschaften von Bestrahlung
Abbildung 2- 14
Der β - Zerfall
γ - Strahlung
Bei vielen Kernumwandlungen stabilisiert sich der entstandene angeregte Tochterkern, indem er
seine überschüssige Energie in Form einer zusätzlichen energiereichen elektromagnetischen Strahlung (γ - Strahlung) abstrahlt. Abgesehen von der Art der Entstehung ist sie praktisch identisch mit
der Röntgenstrahlung (X - Strahlen). Diese beiden Strahlungen - wie auch das sichtbare Licht - treten in einzelnen Portionen (Photonen, Quanten) auf. Die γ - Quanten bewegen sich konstant mit der
Vakuumlichtgeschwindigkeit von 299 792,5 km/s. Durch den γ - Zerfall ändert sich der Energieinhalt des Kerns, nicht aber seine Massen- oder Ladungszahl. γ - Strahlung lässt sich (unspezifisch)
nachweisen durch Schwärzung, die sie auf unbelichteten Filmen hervorruft. Mit Hilfe der γ - Spekt-
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Kapitel 2
Naturwissenschaftliche Grundlagen
roskopie (z.B. mit Halbleiterdetektoren) können die genauen Energien der Photonen registriert werden, und es kann die radionuklidspezifische Energieanalyse durchgeführt werden.
Abbildung 2- 15
Der γ-Zerfall
Eigenschaften von γ - Strahlung:
Eigenschaften
Teilchenart:
Radionuklide:
Energie:
Reichweite:
Energieverteilung:
Ww mit Materie:
Gefahr:
Schutz:
Nachweis:
Photonen
Am-241, Co-60, I-131, Ba-133, Ba-137m, Tc-99m*
keV ... MeV
theoretisch ∞
diskretes Linienspektrum
Streuung, Photoeffekt, Comptoneffekt, Paarbildung
Körperexposition, Inkorporation
Abschirmung mit Pb
Proportionalzählrohr, Ionisationskammer, Geiger-Müller-Zählrohr,
Szintillationszähler, Halbleiter-Detektor,
jeweils indirekter Nachweis !
* m bedeutet metastabil, d.h. der Kern befindet sich im angeregten Zustand
Tabelle 2-8
Eigenschaften von Gamma-Strahlung
Neutronenstrahlung n
Freie Neutronen sind instabil und zerfallen mit einer Halbwertszeit von 11,5 Minuten. Der Zerfall
besteht entweder in der Umwandlung in ein Proton oder in der Anlagerung an andere kosmische
Nuklide (Neutroneneinfang), die dadurch meist radioaktiv werden. In der Natur entstehen Neutronen, wenn die kosmische Höhenstrahlung (p, He) auf N- bzw. O-Atome der Atmosphäre treffen und
Kernreaktionen eintreten. Außerdem entstehen Neutronen bei der (spontanen und induzierten) Spaltung schwerer Kerne. Aber auch durch Kernreaktionen mit leichten Elementen lassen sich Neutronen erzeugen. Bei bestimmten Materialien wie Li und Be lassen sich durch Kombination eines αStrahlers mit dem Material regelrechte Neutronenquellen konstruieren:
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9
4
Be + 42 α
→
12
6
C + 01 n
Neutronen entstehen auch bei Kernfusionsreaktionen, wie sie z.B. in der Sonne ablaufen:
2
1
D + 31 T → 42 He + 01 n + 17,58 MeV
Entsprechend ihrer kinetischen Energie unterscheidet man folgende Arten von Neutronen:
Langsame Neutronen:
Mittelschnelle Neutronen:
Schnelle Neutronen
Thermische Neutronen:
10 eV
10 eV
> kinetische Energie
< kinetische Energie < 0,1 MeV
kinetische Energie > 0,1 MeV
kinetische Energie = 0,0253 eV bei 293,16 K
Geschwindigkeit
= 2 200 m/s bei 293,16 K
Röntgenstrahlen
Röntgenstrahlen, auch X-Strahlen genannt, bestehen aus Photonen und weisen damit ähnliche Eigenschaften wie γ-Strahlen (in Abhängigkeit ihrer Energie) auf. Im Gegensatz zu γ-Strahlen entstehen X-Strahlen, wenn geladenen Teilchen, wie z.B. Elektronen in metallischen Substanzen abgebremst werden oder durch Elektronenübergänge in den inneren (kernnahen) Elektronenschalen.
Entsprechend unterschiedliche Arten von Röntgenstrahlungen treten dann auf:
Bremsstrahlung
Die Bremsstrahlung entsteht, wenn ein geladenes Teilchen (z.B. Elektron aus Glühkathode) abgebremst oder auch beschleunigt wird. Die Energiedifferenz wird als elektromagnetische Strahlung
ausgesandt. Beim Eintreten in Materie können beschleunigte Elektronen im COULOMB-Feld des
Atomkerns abgebremst werden, wobei die abgegebene Energie proportional zum Quadrat der Kernladungszahl ist. Bremsstrahlung wird daher um so wahrscheinlicher je höher die Ordnungszahl der
abbremsenden Materie ist. Das Spektrum erweist sich als kontinuierlicher energetischer Bereich
(Kontinuum).
Charakteristische Röntgenstrahlung
Beim Herausschlagen von Elektronen der inneren Schalen entstehen "Löcher", welche durch z.B.
Valenzelektronen sofort wieder besetzt werden. Die damit verbundenen Energieübergänge entsprechen diskreten (charakteristischen) Spektrallinien, die auch für analytische Zwecke ausgenutzt werden können.
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Kapitel 2
Naturwissenschaftliche Grundlagen
Abbildung 2- 16
Röntgenspektrum einer Wolframanode
Ein Röntgenspektrum weist also immer zwei Bereiche auf, den Bereich der Bremsstrahlung und manchmal überlagert - den Bereich charakteristischer Röntgenspektrallinien. Aus der Messung der
Energie der charakteristischen Röntgenfluoreszenzstrahlung kann man bei der Röntgenfluoreszenzspektroskopie eine Analyse der (metallischen) Bestandteile einer bestrahlten Probe durchführen und
so z.B. zerstörungsfrei die Bestandteile einer Legierung ermitteln. In der medizinischen Diagnostik
wird meist die Bremsstrahlung verwendet, außer bei der Mammographie, dort wird der charakteristische Strahlungsanteil (wegen der geringen Gewebekontraste) eingesetzt.
Andere Zerfallsarten
Elektroneneinfang ("electron capture")
Neben den oben angegebenen Zerfallsarten gibt es auch noch Zerfälle, die dadurch zustande kommen, dass ein Atomkern Elektronen aus den benachbarten inneren Schalen (K, oder L) einfängt,
dadurch entsteht aus einem Proton ein Neutron. Dieser K-Einfang wird mit K gekennzeichnet. Anschließend wird das entstandene Loch in der inneren Elektronenhülle durch Elektronensprung eines
äußeren Hüllenelektrons aufgefüllt, begleitet von entsprechender Emission einer charakteristischen
Strahlung. Beispiel:
125
53
ec
J →
125
52
Te + 28 keV
Bei leichten Atomen wird die durch den Elektronensprung freigesetzte Energie häufig auf ein Valenzelektron desselben Atoms übertragen, welches an Stelle des Röntgenquants emittiert wird. Derartige Elektronen werden als Auger-Elektronen bezeichnet. Spezielle Techniken in der Oberflächenanalytik erlauben die Messung solcher Auger-Elektronen (Auger-Spektroskopie).
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Isomere Übergänge und Konversionselektronen
Bei der Mehrzahl aller Alpha- bzw. Beta-Zerfälle ist der Grundzustand des betreffenden Nuklids
nicht erreicht, weshalb diese Zerfälle von Gamma-Emissionen begleitet sind. Die Lebensdauer eines solchen „angeregten“ Atomkerns kann im Femtosekundenbereich bzw. bei einigen Tagen liegen. Bei langlebigen Zuständen spricht man von Isomeren, gekennzeichnet durch den Buchstaben
m (metastabil). Entsprechende Übergänge werden auch als isomere Übergänge bezeichnet. Dieser
Prozess wird mit I gekennzeichnet. Sogenannte Konversionselektronen können entstehen, wenn
der angeregte Atomkern seine Anregungsenergie auch auf Hüllenelektronen überträgt, so dass bei
diesem Prozess (innere Konversion) anstelle von γ-Quanten die Konversionselektronen emittiert
werden. Im Gegensatz zu echter β-Strahlung sind die Konversionselektronen monoenergetisch. Sie
werden mit e- gekennzeichnet und sind für ein betreffendes Nuklid charakteristisch.
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Kapitel 2
Naturwissenschaftliche Grundlagen
Wechselwirkung von Strahlung mit Materie
Energieübertragung und Strahlenwirkung
Lineare Energieübertragung
Direkt und indirekt ionisierende Strahlung werden in der Materie durch unterschiedliche Mechanismen geschwächt. Auch sind bei Korpuskularstrahlung und bei elektromagnetischer Strahlung die
Wechselwirkungsmechanismen unterschiedlich. Direkt ionisierende Teilchen können beim Vorbeifliegen an der Atomhülle eines Atoms dort Elektronen befreien. Bei jeder dieser Ionisationen verlieren die Korpuskeln selber wieder soviel Energie, dass sie am Ende bis auf thermische Energien abgebremst werden. Geladene Korpuskeln haben somit in Materie eine genau angebbare Reichweite.
Diese Reichweite nimmt von Elektronen zu Protonen zu Deuteronen zu Alpha-Teilchen und
schließlich zu schweren Spaltfragmenten laufend ab. Elektrisch neutrale Teilchen wie Neutronen
können durch Stoßprozesse mit Atomkernen abgebremst werden, wobei manche Rückstoßkerne
ihrerseits direkte Ionisation benachbarter Atome hervorrufen können. Genügend abgebremste Neutronen können schließlich von einem anderen Kern eingefangen werden, dieser Einfang wird auch
als Aktivierung bezeichnet, da entstehende Nuklide meist radioaktiv sind. Elektromagnetische
Strahlung wechselwirkt mit Materie, indem Atome angeregt bzw. ionisiert werden. Die sekundär
erzeugten geladenen Teilchen übertragen dann die Energie.
Wenn ionisierende Strahlung mit Materie wechselwirkt, werden die daraufhin eintretenden Prozesse
in folgende Stadien eingeteilt:
1.Physikalische Phase: 10-18 - 10-12 s nach Eintritt in Materie;
z.B. Wechselwirkung eines energiereichen Teilchens mit einem Wassermolekül, was zur Energieabgabe führt;
2.Physikochemische Phase: 10-12 - 10-9 s nach Eintritt in Materie;
das ionisierte bzw. angeregte Wassermolekül gibt Energie an die Umgebung ab, zerfällt oder erfährt
andere molekulare Veränderungen und geht schließlich in einen Grundzustand über. Während dieser Phase bilden sich freie Radikale;
3.Chemische Phase: 10-9 - 100 s nach Eintritt in Materie;
Die gebildeten Radikale reagierend mit benachbarten Molekülen, z.B. mit Biomolekülen;
4.Biologische Phase: 100 - 109 s nach Eintritt in Materie;
stabilisierte irreparable molekulare Schäden führen zu biologischen Effekten, wie Zelltod, genetischen Veränderungen, zu Missbildungen während der Embryogenese und zu Krebs.
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Mahling / E. Foßhag
Fachkunde im Strahlenschutz
Alle geladenen Teilchen höherer Energie lösen in gasförmiger, flüssiger oder fester Umgebung
Ionisationsvorgänge aus, wobei sie ihre Energie portionsweise verlieren
Unter der spezifischen Ionisation eines Strahlungsteilchens versteht man die Anzahl der gebildeten Ionenpaare pro mm Wegstrecke
Cerenkov-Strahlung tritt immer dann auf, wenn sich geladene Teilchen im Medium schneller ausbreiten können als Lichtteilchen (Photonen) in diesem Medium.
Die Ionisationsbremsung geladener Teilchen (auch Sekundärteilchen) ist auf Anregung und Ionisation umgebender Materie zurückzuführen. Die Ionisationswirkung hängt nicht nur von der Größe
der herrschenden Kräfte ab, sondern auch von der Zeitdauer der Einwirkung, Aus diesem Grunde
können langsame geladene Teilchen stärker ionisieren als schnelle Teilchen. Ein Maß für die Strahlenwirkung ist die Energie, die pro Weglänge in Materie übertragen wird. Der spezifische (mittlere)
Energieverlust E entlang einer Wegstrecke x lässt sich in drei Anteile aufspalten:
−
dE  dE   dE 
 dE 
= −
 + −
 + −

dx  dx  I  dx  K  dx  S
IEnergieabnahme E pro Weg x durch Ionisation
KEnergieabnahme E pro Weg x durch Zusammenstöße mit Atomkernen
S Energieabnahme E pro Weg x durch elektromagnetische Strahlung
Von praktischer Bedeutung, weil am wahrscheinlichsten, ist nur der erste Term. Er hängt sowohl
von den Eigenschaften der geladenen Teilchen (Ladung, Geschwindigkeit, Energie) als auch von
denen des abbremsenden Stoffes (Dichte, Ionisierungsenergie) ab. Andere Bezeichnungen für den
spezifischen Energieverlust pro Weg sind das (Ab)Bremsvermögen, die lineare Energieübertragung,
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Kapitel 2
Naturwissenschaftliche Grundlagen
bzw. linear energy transfer , LET. Der Zusammenhang zwischen spezifischem Energieverlust und
spezifischer Ionisation ist gegeben durch:
 dI p 
 dE 
 ⋅ W
−
 = 
 dx  I  dx 
Ip = Zahl der Ionenpaare
W = Ionisierungsenergie
In Tabelle 2-9 werden Werte für LET für verschiedene Strahlenarten angegeben. Der größere LETWert energieärmerer Photonenstrahlung hängt mit der geringeren Geschwindigkeit der Comptonelektronen zusammen. Weniger energiereiche Elektronen zeigen pro Wegstreckeneinheit häufiger
eine Wechselwirkung und hinterlassen somit eine höhere Ereignisdichte (Ionisation, Anregung).
Diese Eigenheit wird auch bei den anderen Strahlenarten beobachtet.
Abbildung 2- 17 Darstellung von Ionisierungsereignissen entlang eines Weges für verschiedene Strahlenarten
Strahlenart
250
3
1,2 - 1,3
4,0
0,6
10
1
2,5
19
keV Röntgenstrahlung
MeV Röntgenstrahlung
MeV Co-60 – γ − Strahlung
MeV α - Strahlung
keV Beta-Teilchen aus T
keV Beta-Teilchen
MeV Beta-Teilchen
MeV Neutronen
MeV Neutronen
LET [keV/µm]
3,0
0,3
0,3
55,4
5,5
2,3
0,25
10
7
Tabelle 2-9 Mittleres lineares Energieübertragungsvermögen LET einiger Strahlenarten in Wasser
Seite 2-29
Mahling / E. Foßhag
Fachkunde im Strahlenschutz
Die Abhängigkeit des LET von der Energie eines schweren Teilchens (z.B. Protonen oder AlphaTeilchen) wird in Abbildung 2-18 angedeutet. Für diese Teilchen ist am Anfang ihrer Bahn nur eine
kleine Ionisationsdichte zu erwarten, weil die Teilchen sehr hohe Geschwindigkeiten haben. Gegen
Ende der Bahn hat die Geschwindigkeit abgenommen und die Ionisierungsdichte nimmt stark zu. Es
entsteht ein charakteristisches Ionisationsmaximum (Bragg-Peak). Entsprechende Kurven werden
auch als "Bragg-Kurven" bezeichnet.
Abbildung 2- 18 LET für Alpha-Teilchen verschiedener Energien in Wasser in Abhängigkeit ihrer Eindringtiefe
Bei der Betrachtung der Wechselwirkungsprozesse von Alpha-Teilchen mit Materie muss auch die
Dichte des umgebenden Mediums betrachtet werden. Strenggenommen müsste der differentielle
Energieverlust S eines geladenen Teilchens betrachtet werden. In S ist immer die übertragene
Energie LET enthalten. Es gilt immer: LET < S. S durchläuft für alle Teilchen ein Minimum im
mittleren Energiebereich. Der auf die Dichte ρ eines Materials bezogene differentielle Energieverlust S / ρ wird auch als Massebremsvermögen bezeichnet.
S
ρ
=
1 dE
⋅
ρ dx
S = differentieller Energieverlust
ρ = Dichte des Materials
Das Verhältnis der Massebremsvermögen verschiedener Materialien im Verhältnis zur Luft ist in
Standardwerken der Physik tabelliert. Die Energieabsorption, die bei Eintreten von ionisierender
Strahlung in Materie stattfindet, ist letztendlich ein Maß für die Strahlendosis. Eine solche Dosisgröße ist die Kerma (= kinetic energy released in matter), diese Dosisgröße wird allerdings nur für
Photonen- und Neutronenstrahlung angewandt, die naturgemäß eine größere Reichweite haben .
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Kapitel 2
Naturwissenschaftliche Grundlagen
Die Kerma ist der Quotient aus der Summe der kinetischen Anfangsenergien aller geladenen teilchen, die von indirekt ionisierender Strahlung in einem Volumenelement erzeugt werden und
der Masse des Volumenelementes. Bei ihrer Angabe muß das Bezugsmaterial (z.B. Wasserkerma) genannt werden.
Abbildung 2- 19 Unterscheidung von Kerma und Energiedosis ( aus Vogt/Schulz Grundzüge des praktischen Strahlenschutzes )
Die Radiolyse des Wassers
Beim Eindringen ionisierender Strahlung in ein wässriges Medium können nun in der chemischen
Phase infolge der Ionisierungen folgende Prozesse, die auch als Radiolyse des Wassers bezeichnet
werden, ablaufen:
<
H 2O → H 2O + + e −
Ionisation
−
kin
e
H 2O → H 2O *
Anregung
H 2O + + H 2O → HO • + H 3O +
−
e − + n ⋅ H 2O → eaq
−
eaq
+ H 2O → H • + OH −
H 2O* → H • + OH •
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Mahling / E. Foßhag
Fachkunde im Strahlenschutz
Reaktionen unter Einwirkung ionisierender Strahlung - wie sie besonders in der Strahlenchemie
untersucht werden - kennzeichnet man auch häufig mit einer Pfeilschlange:
M
M*
(strahleninduzierte Anregung)
M
M+ + e-
(strahleninduzierte Ionisierung)
Das hydratisierte Elektron eaq- kann je nach Reinheit des Wassers Lebenszeiten bis in den Millisekundenbereich aufweisen. Alle durch Wasserradiolyse entstandenen Radikale können innerhalb
ihrer Lebenszeit (10-9 - 100 s) diffundieren um dann schließlich mit anderen Radikalen oder leicht
oxidierbaren (Bio)molekülen zu reagieren:
H • + H • → H2
H • + OH • → H 2O
OH • + OH • → H 2O2
−
2eaq
+ 2 H 2O → H 2 + 2OH −
−
eaq
+ H • + H 2O → H 2 + OH −
Die Radiolyse des Wassers ist somit ein wesentlicher Schritt zum molekularen Verständnis biologischer Strahlenwirkungen. Aus den Folgereaktionen der Radiolyse ist ersichtlich, dass als Folge der
Bestrahlung aus Wasser das starke Oxidationsmittel H2O2 entstehen kann, das als Zellgift wirkt. Die
ablaufenden Prozesse werden sehr stark vom herrschenden pH-Wert eines wässrigen Systems beeinflusst, sowie vom Sauerstoffgehalt, da letzterer zur Bildung von Hydroperoxid HO2 führen
kann:
−
+ H 2 O / − OH
−
eaq
+ O2 → O2− ←
 → HO2• ← H • + O2
Wegen ihrer besonderen Reaktivität wird die Bildung der Sauerstoffradikale O2 und HO2 mit als
eine der Ursachen für die Strahlenempfindlichkeit anoxischer Zellen betrachtet.
Andererseits finden dieselben Ionisationsprozesse, die in biologischer Matrix stattfinden, natürlich
auch in anderer Materie statt, sie können z.B. zur Materialversprödung im Bereich hoher Strahlendosen führen. Diese Wechselwirkungsprozesse sind aber auch Grundlage für die Detektion ionisierender Strahlung, wie es in der Strahlenmesstechnik praktiziert wird. Ionisationsprozesse, die in
einem Strahlendetektor auftreten, sind die Grundlage für viele Messverfahren, da sie als elektrische
Impulse registriert werden können.
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Kapitel 2
Naturwissenschaftliche Grundlagen
Wechselwirkungen von α - Strahlung
α - Strahlen und Protonen mit extrem hohen Energien bewirken beim Auftreffen auf Materie Kernreaktionen. Das trifft jedoch nicht für α - Strahlung gewöhnlicher Radionuklide zu. Man beobachtet, dass α - Strahlung besonders schnell von Materie absorbiert wird. In Luft beträgt die Reichweite
nur ca. 4 cm, bzw. genügt ein Blatt Papier zur Abschirmung von α - Strahlung! Die Ursache hierfür
liegt darin, dass die Wechselwirkungsprozesse zwischen α - Strahlung und der umgebenden Materie sehr stark - d.h. sehr dicht aufeinanderfolgend - ist. Ihre Energie verlieren α - Teilchen durch
Ionisationsprozesse längs ihres Weges. Ein α - Teilchen mit einer Ausgangsenergie von 3,5 MeV
erzeugt insgesamt längs seines Weges in Luft 105-Ionenpaare. Die Weglänge hierfür beträgt etwa 4
cm (Reichweite). Am Anfang des Weges beträgt die spezifische Ionisation ca. 3000 Ionenpaare pro
mm Wegstrecke erzeugt werden, am Ende ca. 7000. (Abb. 2-18). Nach Durchlaufen dieses Weges
entsteht aus dem α - Teilchen ein neutrales He-Atom, da es im abgebremsten Zustand Elektronen
aus der Umgebung schließlich einfängt. Die Reichweite, bzw. Ionisationsdichte variierte mit der
Dichte des umgebenden Medium s. Die Bahn, die ein α - Teilchen zurücklegt verläuft wegen der
relativ großen Masse weitgehend gerade.
Wechselwirkungen von β - Strahlung
β - Strahlen haben - je nach ihrer Energie - im Wesentlichen drei verschiedene Möglichkeiten mit
Materie zu wechselwirken:
β - Strahlen mit extrem hohen Energien ( MeV - GeV-Bereich, z.B. aus Beschleunigern) erzeugen
beim Auftreffen auf Materie Röntgenstrahlung (Wechselwirkung mit Atomkernen);
β - Strahlen, wie sie von Radionukliden ausgesandt werden, ionisieren die umgebende Materie
(Wechselwirkung mit Elektronen);
β - Strahlen können besonders an Atomen mit hohen Ordnungszahlen (wie z.B. Blei) gestreut werden (Rückstreuung). Abschirmung von β - Teilchen erfolgt deshalb vorzugsweise durch Materialien
niederer Ordnungszahl.
Entstehen beim β - Zerfall eines Radionuklids schnelle Elektronen, so bewegen sich diese auf eher
zickzackförmigen Bahnen, da sie wegen der relativ kleinen Masse oft abgelenkt werden. Die
Reichweite eines β - Teilchens von ca. 3 MeV beträgt in Luft etwa 10 Meter. Die spezifische Ionisation beträgt nur etwa 4 Ionenpaare pro Millimeter. Die größere Reichweite von β - Teilchen gegenüber α - Teilchen erklärt sich dadurch, dass die lineare Energieübertragung geringer ist. Sie
hängt praktisch nur von der Dichte ρ des durchstrahlten Stoffes ab.
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Fachkunde im Strahlenschutz
−
dE
~ρ
dx
Wenn sich β - Strahlen in Wasser oder Plexiglas ausbreiten, so kann man Cerenkov-Strahlung beobachten. Als Absorber für β - Strahlung benutzt man vorzugsweise Stoffe mit geringer Ordnungszahl wie Al oder PMMA (Plexiglas), da sie am wenigsten zur Streuung der β - Strahlen beitragen.
Bei Materialien höherer Ordnungszahl, wie z.B. Pb erfahren β - Strahlen eine enorme Streuung, da
sie an den vielen Hüllenelektronen des Materials abgelenkt werden. Die Schichtdicke für Absorbermaterialien wird häufig in mg/cm2 angegeben. Abbildung 2-21 zeigt eine Absorptionskurve für
β - Strahlen in Aluminium. Bei logarithmischer Auftragung, erkennt man, dass die Schwächung im
Material nur annähernd exponentiell verläuft:
I = I 0 ⋅ e − µ ⋅d
I = geschwächte (ungestreute) Strahlung
µ = Absorptionskoeffizient
I0 = Ausgangsintensität
d = Schichtdicke
Abbildung 2- 20 Absorptionskurve für Beta-Strahlung, 1,71 MeV in Al
Die Absorptionskurve geht in einen nahezu konstanten Endwert über, der durch Bremsstrahlung
hervorgerufen wird. Aus der Extrapolation der Absorptionskurve lässt sich die maximale Reichweite von Beta-Strahlung ermitteln.
Seite 2-34
Kapitel 2
Naturwissenschaftliche Grundlagen
Wechselwirkungen von γ - und Röntgenstrahlung
Die Absorption von γ - bzw. X-Strahlung (Photonen) in Materie verläuft grundsätzlich anders als
bei Partikeln. Photonen besitzen keine Ladung, ihre Wechselwirkung mit Materie ist daher sehr
gering. Während α - bzw. β - Strahlung in vielen Ionisationsschritten portionsweise ihre Energie an
die Umgebung abgeben, erfolgt bei Photonen sehr häufig nur ein bzw. wenige Ionisationsschritte,
die zur Auslöschung des Photons führen. Deshalb lässt sich auch keine maximale Reichweite angeben. Die Absorption ist auch hier von der Dichte des umgebenden Mediums abhängig und verläuft
streng nach einem exponentiellen Schwächungsgesetz:
I = I 0 ⋅ e − µ ⋅d
I = geschwächte (ungestreute) Strahlung
µ = Absorptionskoeffizient
I0 = Ausgangsintensität
d = Schichtdicke
Der Zusammenhang zwischen der Strahlenenergie und der Absorption wird durch die Halbwertsdicke d1/2 charakterisiert:
d1
2
=
ln 2
µ
Abbildung 2- 21 Absorption von Gamma-Strahlung in Blei (Cs-137)
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Fachkunde im Strahlenschutz
Mechanismen der Energieabsorption von Photonen
Man unterscheidet folgende Mechanismen zur Absorption von Photonen:
Photoeffekt bei kleinen Photonen-Energien (vollständige Absorption in der Atomhülle)
Comptoneffekt bei mittleren Photonen-Energien (inkohärente Streuung in der Atomhülle)
Paarbildungseffekt bei großen Photonen-Energien (vollständige Absorption im COULOMBFeld des Atomkerns)
Neben der Art der Wechselwirkung lassen sich auch Angaben zur Wahrscheinlichkeit des Eintreffen eines bestimmten Prozesses machen.
Unter dem Wirkungsquerschnitt σ versteht man die Wahrscheinlichkeit, mit der ein betreffender
Prozess stattfindet.
Die Bedeutung, welche die drei Effekte bei verschiedenen Photonen-Energien in unterschiedlichen
Medien mit der Ordnungszahl Z haben, gibt die folgende Abbildung wieder:
Abbildung 2- 22 Photonenwechselwirkungen mit Materie bei unterschiedlichen Energien und Ordnungszahlen
Seite 2-36
Kapitel 2
Naturwissenschaftliche Grundlagen
Photoeffekt
Beim Photoeffekt kommt es zu einer Wechselwirkung zwischen den Photonen (γ - Quanten) und
den Elektronen der Atomhülle, derart, dass ein Elektron vollständig herausgeschlagen wird und
gleichzeitig das γ-Quant verschwindet. Das freiwerdende Elektron wird Photoelektron genannt und
erhält die Energie:
EElektron = EPhoton - EBindung
EElektron
EPhoton
EBindung
= Energie des Photoelektrons
= Energie des ursprünglichen Photons
= Bindungsenergie des herausgeschlagenen Photoelektrons
Beim Photoeffekt werden bevorzugt stark gebundene Elektronen aus den kernnahen Schalen (z.B.
K-Schale) entfernt. Der Photoeffekt tritt vorzugsweise bei kleinen Quantenenergien EPhoton und
großen Kernladungszahlen Z des Absorbermaterials auf. Der ergibt sich aus:
σ Photo ~
σ Photo = Wirkungsquerschnitt
Z5
E Photon
7
2
EPhoton = Photonenenergie
Z= Kernladungszahl
Abbildung 2- 23 Der Photoeffekt
Comptoneffekt
Beim Comptoneffekt kommt es zu einer Wechselwirkung zwischen den Energiequanten und den
Elektronen der äußeren Atomhülle, derart, dass ein Elektron (Comptonelektron) abgetrennt wird,
das γ-Quant aber mit verringerter Energie und veränderter Flugrichtung sich weiter bewegt.
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Fachkunde im Strahlenschutz
Verbunden mit dem Comptoneffekt ist also immer eine Streuung der Photonen aus dem ursprünglichen Strahlenbündel heraus.
Der Comptoneffekt tritt auf bei mittleren Quantenenergien. Das gestreute γ-Quant kann weitere
Comptoneffekte hervorrufen bis seine Energie so niedrig geworden ist, dass es durch einen finalen
Photoeffekt ganz aufgezehrt wird.
Abbildung 2- 24 Der Comptoneffekt
Beim Comptoneffekt überträgt das Photon dem Hüllenelektron die Energie:
E Elektron =
Y
⋅ EPhoton
1+ Y
Y =
EPhoton
⋅ (1 − cos Θ)
me c 2
EElektron = Energie des Comptonelektrons, EPhoton = Energie des γ-Quants, mec2
c = Vakuumlichtgeschwindigkeit, Θ
= Ruhemasse des Elektrons,
= Streuwinkel des Photons
Die Energieübertragung beim Comptoneffekt ist wegen der Streuwinkelabhängigkeit stark durch
die Geometrie beeinflußbar !
Seite 2-38
Kapitel 2
Naturwissenschaftliche Grundlagen
Für cos Θ = 1 wird keine Energie übertragen,
für cos Θ = 0 wird maximale Energie übertragen !
Der Wirkungsquerschnitt für den Comptoneffekt ist:
EPhoton << 2mec2
EPhoton >> 2mec2
σCompton ~ konstant
σCompton ~ 1 / EPhoton
Paarbildungseffekt
Bei höheren Quantenenergien überwiegt in der Materie der Paarbildungseffekt. Dabei wird das
Quant im elektrischen Feld des Kerns vernichtet und in ein Elektron-Positron-Paar umgewandelt.
Das Quant muss mindestens eine Energie von
2me.c2 = 2 . 0,511 = 1,022 MeV
aufweisen um diesen Effekt zu zeigen. Die über diesen Betrag hinausgehende Energie erscheint als
kinetische Energie des Elektrons bzw. Positrons.
EElektron + EPositron = EPhoton – 2mec2
EElektron = Energie des Photoelektrons
EPositron = Energie des Photopositrons
EPhoton = Energie des ursprünglichen Photons
Sobald das Positron abgebremst ist, fängt es ein benachbartes Elektron ein und zerstrahlt. Dabei
wird die bei der Entstehung verbrauchte Energie frei, indem 2 γ - Quanten mit je 511 keV abgestrahlt werden. Von Dichte und Geometrie des Absorbermaterials hängt es nun ab, ob keines, eines
oder beide Quanten in Sekundärprozessen absorbiert werden. Entsprechend ist die insgesamt absorbierte Energie
Eprimär - 1,022 MeV
Eprimär - 0,511 MeV
oder
oder
Eprimär.
Der Paarbildungseffekt spielt vor allem bei Elementen mit großer Ordnungszahl eine Rolle. Oberhalb von 10 MeV wird der Hauptteil der Energie durch Paarbildung absorbiert. Der Wirkungsquerschnitt σPaar für den Paarbildungseffekt ergibt sich zu:
σ Paar ~ Z 2
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Fachkunde im Strahlenschutz
Abbildung 2- 25 Der Paarbildungseffekt
Wechselwirkungen von Neutronen
Die durch Kernspaltung oder Kernumwandlung erzeugten Neutronen haben Energien im MeVBereich. Sie können im Gegensatz zu Photonen nur mit anderen Atomkernen reagieren. Man teilt
die möglichen Wechselwirkungsprozesse wie folgt ein:
elastische Stöße (Streuungen) zwischen Neutron und Atomkern
Der Atomkern wird wie eine starre Kugel angestoßen und das Neutron aus seiner Bahn gelenkt.
Dabei überträgt es einen Teil seiner Bewegungsenergie auf den Kern, den man auch entsprechend
als Rückstoßkern bezeichnet. Der Energieverlust des Neutrons ist bei den leichten Kernen am größten;
inelastische Stöße (Streuungen) zwischen Neutron und Atomkern
Bei inelastischen Stößen wird die vom Neutron übertragene Energie zum Teil zur Anregung des
Atomkerns verbraucht, so dass der Energieverlust größer ist als bei elastischen Streuungen. Inelastische Streuungen kommen besonders häufig bei hohen Neutronenenergien und schweren Kernen
vor;
Absorption mit Emission
Das Neutron wird an den angeregten Atomkern angelagert (Einfangreaktion). Zur Stabilisierung
wird entweder ein γ-Quant oder geladenes Teilchen emittiert. Aus dem Atomkern ist ein anderes
Nuklid geworden;
Absorption mit Kernspaltung
Bei besonders schweren Kernen, z.B. U-235 kommt es nach dem Einfang des Neutrons zur Kernspaltung;
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Kapitel 2
Naturwissenschaftliche Grundlagen
Mehrteilchenprozesse und Spallationen
Bei Wechselwirkungen von Atomkernen mit besonders hochenergetischen Teilchen können anschließend auch mehrere Nukleonen freigesetzt werden Mehrteilchenprozess), bzw. auch der
Atomkern zersplittert werden (Spallation).
Die Abschirmung von Neutronenstrahlen ist wegen der vielfältigen Natur der Wechselwirkungen
mit dem Absorbermaterial problematisch. Wirksame Neutronenabsorber sollten deshalb aus mehreren Schichten bestehen, nämlich aus Materialien mit Atomen hoher Ordnungszahl (Abbremsen
durch inelastische Streuung), sowie aus Materialien mit niedriger Ordnungszahl, z.B. Wasserstoff
(Abbremsen durch elastische Streuung) und schließlich aus Materialien mit hohem Einfangsquerschnitt für Neutronen (z. B. Cd, B). Die den Einfangsprozeß begleitende γ-Strahlung muss durch
Materialien hoher Ordnungszahl (z.B. Pb) abgeschwächt werden. Entsprechende Schichten müssten
also in der richtigen Reihenfolge zur Neutronenquelle angeordnet sein. In der Praxis verwendet man
häufig homogene Mischungen dieser Abschirmmaterialien, die allerdings etwas schlechtere Abschirmeigenschaften aufweisen, dafür aber einfacher zu gestalten sind. Für den Schutz gegen Neutronen, die beispielsweise in Kernreaktoren entstehen, verwendet man deshalb auch Baryt- oder
Normalbeton.
10
5
4
7
B + 01n → 11
5 B → 2 He + 3 Li
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Strahlendosen, Dosisgrößen und Dosiswirkungsbeziehungen
Quelle
H
E
D
Aktivität
E = Strahlungsenergie
D = Energiedosis = dE / dm
H = Personendosis
[J]
[ J / kg ] = [ Gy ]
[ J / kg ] = [ Sv ]
Abbildung 2- 26 Strahlendosen
Gesetzliche Grundlage für den Strahlenschutz gegen ionisierende Strahlen ist die Neufassung der
Strahlenschutzverordnung (StrlSchV) vom 26.07.2001 (Bundesgesetzblatt, Teil 1 Nr. 38). Durch
die im folgenden beschriebenen Definitionen wird nicht die ionisierende Strahlung selbst, sondern
lediglich die durch sie erzeugte Ladung, die auf die Materie übertragene Energie oder die hervorgerufene biologische Wirkung im Vergleich zu einer Bezugsstrahlung beschrieben. Je nach "Absorbermaterial" müssen deshalb andere Einheiten für die empfangene Strahlendosis verwendet werden:
Strahlendosis in der Luft:
Strahlendosis im Menschen:
Strahlendosis vor Ort
medizinische Bestrahlung:
Strahlung in sonstiger Materie:
Ionendosis
Äquivalentdosis
Äquivalentdosis
Energiedosis
Energiedosis
[C/kg]
früher Röntgen
Sievert [Sv] = [J/kg] früher Rem
[R]
[rem]
Gray [Gy] = [J/kg]
[rd]
früher Rad
Auf die Natur der Strahlung selbst sind Rückschlüsse nur bei genauer Kenntnis der Teilchenarten,
ihrer Energien, sowie ihrer räumlichen Verteilung möglich !
Ionendosis I
Erzeugte Ladung pro Masse durchstrahlter Luft (ρ = 1,293 g/l)
Einheit:
1 C/kg Luft
Früher:
1 Röntgen = 1 R
= 2,58 x 10-4 As / kg Luft
Seite 2-42
= 3,33 x 10-10 As / cm3 Luft
= 2,08 x 109 Ionenpaare / cm3 Luft
= 10-2 Ws / kg Luft
Kapitel 2
Naturwissenschaftliche Grundlagen
Energiedosis D
Absorbierte Strahlungsenergie pro Masse bestrahlten Stoffes
1 Gray = 1 Gy
= 1 J / kg = 100 rad (radiation absorbed dose)
Äquivalentdosis H
Wenn ionisierende Strahlung auf lebende Materie trifft, sind im Gegensatz zu anderen Noxen einige
Besonderheiten zu beachten: zum einen wird ein lebender Körper z.B. von Röntgen- oder GammaStrahlung durchdrungen, so dass radiochemische Prozesse direkt im Inneren der Zelle stattfinden
können, während die meisten anderen Noxen häufig an der Zellmembran aufgehalten werden. Weiterhin erfolgt die Bestrahlung lebender Materie mit zeitlicher und räumlicher Diskontinuität, wobei
die Ionisationsereignisse wie „Treffer“ entlang des Strahlenweges zu betrachten sind. Das Einschlagen eines Treffers in eine Zelle ist gleichzusetzen mit einer hohen Energiedisposition, die chemische Bindungsenergien um ein vielfaches übersteigt und deshalb strahlenchemische Reaktionen
auslösen kann. Da die Treffer sehr unterschiedlich verteilt sein können und zudem auch noch stark
von der Strahlenart abhängen können bei gegebener Strahlendosis die eintretenden Wirkungen erheblich differieren. Die Formulierung eines Dosisbegriffes in der Personendosimetrie gestaltet sich
daher äußerst komplex. Diese nur im Strahlenschutz angewandte Dosis wird als Äquivalentdosis H
bezeichnet.
Die Einheit der Äquivalentdosis H ist das Sievert:
1 Sievert = 1 Sv = 1 J / kg = 100 rem (roentgen equivalent man)
Der Qualitätsfaktor Q
Die Äquivalentdosis - ein Maß für die Strahlenwirkung auf den Menschen - ist proportional der
Energiedosis. Der Proportionalitätsfaktor, berücksichtigt Strahlen- und Gewebearten
H = Q⋅D
bzw.
H = wR ⋅ wT ⋅ D
H =Äquivalentdosis, Q = Qualitätsfaktor, wR = Strahlenwichtungsfaktor, wT = Gewebewichtungsfaktor,
D =Energiedosis
Das biologische Strahlenrisiko der verschiedenen ionisierenden Strahlenarten ist jeweils unterschiedlich, deshalb wird zur Beurteilung der unterschiedlichen biologischen Wirkung verschiedener
Strahlungsarten der Qualitätsfaktor Q angegeben, der vom Ionisationsbremsvermögen (~LET) des
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Fachkunde im Strahlenschutz
Wassers abhängt. Das Medium Wasser gilt in mancherlei Hinsicht in der Strahlenbiologie als gewebeäquivalent, da 80 % des Zellinhaltes Wasser ist. Bei indirekt ionisierender Strahlung werden
LET-Werte aus den Sekundärionisationsprozessen zugrundegelegt. Die Anwendung von Q wird in
der Praxis dadurch erschwert, dass die LET-Werte jeweils von der Strahlungsenergie abhängen, die
jedoch entlang des Weges abnimmt. Genaugenommen werden deshalb entlang der Flugbahn unterschiedliche Bewertungsfaktoren wirksam. Im praktischen Strahlenschutz verwendete man deshalb
in Abhängigkeit der jeweiligen Ausgangsenergie einen mittleren Wert, den sogenannten effektiven
Qualitätsfaktor. Nach der neuen Strahlenschutzverordnung vom 1. August 2001 ist es sinnvoller mit
den Strahlenwichtungsfaktoren wR zu arbeiten.
Strahlenart
Photonen, alle Energien
Elektronen und Myonen, alle Energien
Neutronen < 10
keV
Neutronen 10 - 100 keV
Neutronen 100 - 2000 keV
Neutronen 2 – 20
MeV
Neutronen > 20
MeV
Protonen, außer Rückstoßprotonen > 2 MeV
Alphateilchen, Spaltfragmente, schwere Kerne
Strahlenwichtungsfaktor wR
1
1
5
10
20
10
5
5
20
Tabelle 2-10 Strahlenwichtungsfaktoren für verschiedene Strahlenarten nach StrlSchV
Die Äquivalentdosis ist nur für Zwecke des Strahlenschutzes anwendbar, z.B. zum Vergleich aufgetretener oder zu erwartender Strahlenbelastungen von Personen mit vorgegebenen Grenzwerten.
Die Qualitätsfaktoren stehen zwar mit beobachteten Werten der relativen biologischen Wirksamkeit
RBW für jeweils genau definierte biologische Effekte im Zusammenhang, aber sie berücksichtigen
auch die Extrapolation der RBW-Werte (die im allgemeinen für hohe Dosen und deutlich nachweisbare Strahleneffekte beobachtet wurden) in den Bereich geringer Dosen, was in Fachkreisen als
nicht unproblematisch angesehen wird. Deshalb wird die RBW in der Radiobiologie angewendet,
die wT und wR-Faktoren dagegen im Strahlenschutz.
Die RBW gibt an, wievielmal größer die Energiedosis einer Vergleichsstrahlung (meist 200 kV
Röntgenstrahlen) sein muß als die Energiedosis der zu bewertenden Strahlung, damit dieselbe biologische Wirkung erzielt wird.
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Kapitel 2
Naturwissenschaftliche Grundlagen
Abbildung 2- 27 Die Zerstörungswirkung unterschiedlicher Strahlenarten bei gleicher Strahlendosis
Die Qualitätsfaktoren sind - wie bereits erläutert - besonders auf den Bereich von Havariedosen
optimiert. Bei kleinen Dosen und bei Inkorporation radioaktiven Materials in den Körper gestaltet
sich diese Dosimetrie zunehmend als problematisch. In Analogie zu toxikologischen Prinzipien
muss bei Inkorporationen das Konzentrations-Zeit-Produkt (CT-Produkt) am Wirkungsort berücksichtigt werden.
Beispiel 1:
Bei einer Inkorporation von Cs-137 - Salz muss berücksichtigt werden, da es sich meist um gut lösliche Substanzen
handelt, die sich ziemlich gleichmäßig im Körper verteilen, also eine Art Ganzkörper-Beta-Bestrahlung darstellen.
Beispiel 2:
Bei einer Inhalation von Pu-239 - Staub (PuO2) kann sich das Radionuklid kaum im Körper verteilen, da die Substanz
weitgehend wasserunlöslich ist, vielmehr entsteht eine lokale Anreicherung des Alpha-Strahlers in der Lunge (hot-spot).
Erweiterte Dosisbegriffe nach ICRU und ICRP
Die neue Strahlenschutzverordnung unterscheidet zwischen operativen Größen (ICRU) wie Ortsdosis oder Personendosis und Schutzgrößen (ICRP) Organdosis und effektive Dosis als Körperdosisgrößen. Die operativen Größen sind messbar. Sie sollen unter möglichst realistischen Expositionsbedingungen ausreichend genaue Schätzwerte für die Körperdosen liefern. Die Schutzgrößen
(Körperdosisgrößen ) können nur über Rechnungen oder Messungen an Phantomen ermittelt werden. Wird bei den Messungen der operativen Größen der Wert von 5 mSv überschritten sind die
Körperdosen nach entsprechendem Berechungsverfahren zu ermitteln.
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Fachkunde im Strahlenschutz
Abbildung 2- 28 Einteilung der operativen Größen
Ortsdosis:
Unter der Ortsdosis versteht man die Äquivalentdosis, gemessen an einem bestimmten Ort.
Als Ortsdosis gilt bei durchdringender Strahlung die Umgebungs-Äquivalentdosis H*(10). Diese
entspricht am interessierenden Punkt im Strahlungsfeld der Äquivalentdosisleistung die in 10 mm
Tiefe der ICRU-Kugel erzeugt würde. Als Ortsdosis gilt bei Strahlung mit geringer Eindringtiefe
die Richtungs-Äquivalentdosis H*(0,07,Ω
Ω). Diese entspricht am interessierenden Punkt im Strahlungsfeld der Äquivalentdosisleistung die in 0,07 mm Tiefe auf einer festgelegten Richtung Ω der
ICRU-Kugel erzeugt würde.
Personendosis:
Unter der Personendosis versteht man die Äquivalentdosis gemessen an der für die Strahlenexposition repräsentativen Stelle der Körperoberfläche. Sie liefert die Schätzwerte für die Körperdosis.
Der Messwert für die Tiefen-Personendosis Hp(10) liefert bei Ganzkörperexposition mit durchdringender Strahlung einen Schätzwert für die effektive Dosis und die Organdosen. Der Messwert
Seite 2-46
Kapitel 2
Naturwissenschaftliche Grundlagen
für die Oberflächen-Personendosis Hp(0,07) liefert bei Teilkörperexposition mit Strahlung geringer Eindringtiefe einen Schätzwert für die lokale Hautdosis. Diese Angaben beziehen sich auf die
ICRU-Kugel, das ist ein kugelförmiges Phantom von 30 cm Durchmesser aus IRCUWeichteilgewebe ( gewebeäquivalentes Material der Dichte 1g/cm3), Zusammensetzung 76,2 %
Sauerstoff, 11,1% Kohlenstoff, 10,1% Wasserstoff und 2,6% Stickstoff.
Dosiswirkungsbeziehungen
Stochastische und nicht-stochastische Strahlenwirkungen
Die biologischen Strahlenwirkungen stellen ein äußerst komplexes Geschehen dar, das von sehr
unterschiedlichen Einflussgrößen abhängt ( Siehe hierzu Kapitel Biologische Strahlenwirkungen).
Die Strahlenwirkungen auf den Menschen werden ganz allgemein eingeteilt in 2 Gruppen. Bei der
ersten Gruppe handelt es sich um solche Strahlenschäden, die bei einer Strahlenexposition nach
Überschreiten gewisser Schwellen-Dosiswerte mit großer Sicherheit auftreten, sogenannte nichtstochastische oder deterministische Wirkungen, wie z.B. Hautrötung, charakteristische Veränderungen des Blutbildes, Störungen der Fertilität oder Trübungen der Augenlinsen (Kataraktbildung).
Demgegenüber steht die zweite Gruppe der sogenannten stochastischen Wirkungen, wo die Wahrscheinlichkeit eines Schadens ungeachtet des Schweregrades deutlich in Abhängigkeit von der
Strahlendosis zu beobachten ist. Dazu gehören Erkrankungen an malignen Tumoren (wie z.B. Leukämie oder Krebs) oder auch andersartige genetische Mutationen. Es wird angenommen, dass es für
diese Gruppe radiogener Schäden keine Schwellendosis gibt.
Abbildung 2- 29 Dosis-Wirkung-Kurve
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Mahling / E. Foßhag
Fachkunde im Strahlenschutz
Das Konzept der effektiven Dosis E
Normalerweise werden Einzelorgane des Menschen von Strahlenexpositionen betroffen. Um den
Effekt auf den ganzen Körper hochzurechnen,, hat man eine neue Größe, die sogenannte effektive
Äquivalentdosis eingeführt. Diese berechnet sich aus der Summe der Teilkörperdosen exponierter
Organe, jeweils gewichtet mit einem Risikofaktor (herausgegeben von der ICRP), der die unterschiedliche Strahlenempfindlichkeit der Organe widerspiegelt.
H E = ∑ w T ⋅ H T = ∑ w T ⋅ ∑ w R ⋅ DT, R
T
T
R
n
Für den ganzen Körper ergibt sich der Wert 1
∑ wT = 1
T =1
HE
HT
DT,R
wT
wR
= effektive Dosis (HE wird in der StrlSchV mit E abgekürzt. Wegen der internationalen
Konventionen wurde in diesem Kontext darauf verzichtet.);
= Äquivalentdosen für spezielle Körperteile beim Menschen;
= Organenergiedosis;
= Gewebe-Gewichtungsfaktoren, die das stochastische Risiko berücksichtigen;
= Strahlenwichtungsfaktor.
Die effektive Dosis oder Körperdosis ist die geeignete Größe zur Angabe eines einheitlichen
Dosiswertes bei unterschiedlicher Exposition verschiedener Körperbereiche zur Bewertung
des Risikos für Strahlenspätschäden.
Die Körperdosis ist eine sogenannte Schutzgröße effektive Dosis E bzw. Äquvalentteilkörperdosis HT. Die Körperdosis kann nur durch Rechnungen ( Monte-Carlo) oder durch Messungen
am Phantom ermittelt werden.
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Kapitel 2
Naturwissenschaftliche Grundlagen
Organ/Gewebe
Keimdrüsen
Knochenmark (rot)
Dickdarm
Lunge
Magen
Blase
Brust
Leber
Speiseröhre
Schilddrüse
Haut
Knochenoberfläche
Andere Organe u. Gewebe1,2)
Gewebe-Gewichtungsfaktor wT
0,20
0,12
0,12
0,12
0,12
0,05
0,05
0,05
0,05
0,05
0,01
0,01
0,05
Tabelle 2-11 Gewebe-Gewichtungsfaktoren für verschiedene Organe nach StrlSchV
1)
Für Berechnungszwecke setzen sich andere Organe oder Gewebe wie folgt zusammen:
Nebennieren, Gehirn, Dünndarm, Niere, Muskeln, Bauchspeicheldrüse, Milz, Thymusdrüse und
Gebärmutter.
2)
In den außergewöhnlichen Fällen, in denen ein einziges Organ oder Gewebe eine Äquivalentdosis erhält, die über die höchste Dosis in einem der 12 Organe oder Gewebe liegt, für die ein
Wichtungsfaktor angegeben ist, sollte ein Wichtungsfaktor von 0,025 für dieses Organ oder Gewebe und ein Wichtungsfaktor von 0,025 für die mittlere Organdosis der restlichen Organe oder Gewebe gesetzt werden.
Dosisleistung und Geometrieeinflüsse
Die Dosisleistung ist ein Maß für die pro Zeiteinheit empfangene Dosis. Sie wird für verschiedene
Strahlenarten unterschiedlich rechnerisch ermittelt und hängt stark von der Geometrie des Strahlers
ab. Die Dosisleistungseinheiten sind: Gy /s, Gy /a, Sv /h, W / kg usw. Die Dosisleistung ist
die zeitliche Ableitung der Dosis:
•
D=
dD
dt
•
H=
dH
dt
Die Dosisleistung hängt stark von der Strahlenart und der Geometrie des Strahlers ab. Sehr häufig
wird im praktischen Strahlenschutz eine Näherung als punktförmige Quelle angenommen. Das ist
aber nicht immer gerechtfertigt !
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Fachkunde im Strahlenschutz
Dosisleistung bei punktförmige Strahlenquellen:
•
A
r2
Für γ-Strahlen gilt:
H = ΓH ⋅
für β-Strahlen gilt:
H = Β H (r , ρ , E max ) ⋅
ΓH
A
r
•
= γ - Dosisleistungskonstante (tabelliert)
= Aktivität des Strahlers
= Abstand vom Strahler
A
r2
ΒH
ρ
Emax
= β - Dosisleistungsfunktion
= Dichte des umgebenden Mediums
= maximale Beta-Energie
Dosisleistung bei kreisscheibenförmigen Strahlenquellen:
•
A
⋅ f γ ( R, r )
r2
Für γ-Strahlen gilt:
H = ΓH ⋅
für β-Strahlen gilt:
H = Β H (r , ρ , E max , F ) ⋅
fγ (R,r)
R
•
= Geometriefunktionen (tabelliert)
= Radius der Kreisscheibe
A
F
F = Fläche des Strahlers
für Kreis: F = π.R2
Abbildung 2- 30 Geometrieeinflüsse bei Strahlendosen
Seite 2-50
Kapitel 2
Naturwissenschaftliche Grundlagen
Strahlung im Alltag
Die natürliche Strahlenbelastung ist abhängig von Höhe und Zusammensetzung des Erdbodens an
der Stelle, wo ein Mensch lebt. In der unten angegebenen Tabelle werden die wichtigsten Pfade für
die natürliche Strahlenbelastung aufgezeigt und den zivilisatorisch bedingten Expositionen gegenübergestellt. (Mittlere effektive Dosis der Bevölkerung in der BRD 1988 in mSv)
Natürliche Strahlenexposition
Summe
2,4
kosmische Strahlung
0,3
terrestrische Strahlung
0,5
Radon-Inhalation
1,3
Inkorporationen
0,3
Zivilisatorische Strahlenexposition
Summe
ca. 1,6
kerntechnische Anlagen
< 0,01
med. Diagnostik
1,5
Industrieerzeugnisse
< 0,01
berufliche Strahlenexposition
< 0,01
technische Strahlungsquellen
< 0,01
Fallout Kernwaffenversuche
< 0,01
Tschernobyl
0,04
Tabelle 2-12 Natürliche und zivilisatorische Strahlenbelastung des Menschen
Die mittlere natürliche Strahlenbelastung in Deutschland beträgt ca. 2,4 MSv/ A (=0,27 µSV/H).
Diese erhöht sich um eine zivilisatorisch bedingte Belastung auf ca. 4 MSv/ A.
Besondere Regionen der Erde mit erhöhter terrestrischer Strahlenbelastung sind:
Frankreich (Granitbezirke)
Indien (Kerala-Küste)
Brasilien (Atlantikküste)
Iran (Stadt Ramsar)
2, 5 - 4
10 - 40
8 - 200
18 - 450
mSv / a
mSv / a
mSv / a
mSv / a
Tabelle 2-13 Regionen erhöhter natürlicher Radioaktivität
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Fachkunde im Strahlenschutz
Signifikante Dosisleistungswerte sind:
3 h Flug pro Jahr in 10 km Höhe
Zusätzliche Strahlenbelastung beim Wohnen in Beton oder Granit
Dosisgrenzwert für beruflich strahlenexponierte Personen
Natürliche Strahlenbelastung im Monazit (Brasilien)
0,01 mSv/a
3 mSv/a
20 mSv/a
200 mSv/a
Tabelle 2-14 Signifikante Dosisleistungswerte
Signifikante Dosiswerte bei einmaliger Ganzkörperbestrahlung
und fehlender ärztlicher Behandlung sind:
Tödliche Dosis
Schwere Strahlenkrankheit
Vorübergehende Strahlenkrankheit (Strahlenkater)
Erste klinisch erfassbare Strahleneffekte
7000 mSv
4000 mSv
1000 mSv
250 mSv
Tabelle 2-15 Signifikante Dosiswerte bei einmaliger Ganzkörperbestrahlung
und fehlender ärztlicher Behandlung
Beispiele für Radionuklidanwendungen in der Nuklearmedizin
In der Nuklearmedizin werden offene radioaktive Stoffe zu diagnostischen und therapeutischen
Zwecken eingesetzt. In der Diagnostik werden Radionuklide zur Markierung bestimmter Verbindungen im Stoffwechsel verwendet um Verteilung, Anreicherung oder Ausscheidung mittels geeigneter Detektoren zu bestimmen, sowie auch Radioimmunoassays (Antikörper / Antigenbestimmungen mittels radioaktiver Indikatoren). Die Auswertung dieser Messdaten ermöglicht Aussagen zur
Funktion betreffender Organe. Die verwendeten Radionuklide werden in Isotopengeneratoren, Teilchenbeschleunigern oder auch in Kernreaktoren hergestellt. Typischer Weise werden in der Nuklearmedizin die in der Tabelle angegebenen Radionuklide verwendet.
Radionuklid Halbwert- Strahlung
Anwendung
szeit
C-11
20 min
Diagnostik Positronenemissionstomographie,
β+, γ
PET, Organfunktionen, Krebser(511keV)
kennung
+
F-18
110 min ε, β , γ
Diagnostik Positronenemissionstomographie,
PET, Organfunktionen, Krebser(511keV)
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Kapitel 2
Naturwissenschaftliche Grundlagen
Cr-51
Fe-59
Co-57
Co-60
27,8 d
45,1 d
270 d
5,26 a
ε, γ
β−, γ
ε, γ
β−, γ
Diagnostik
Diagnostik
Diagnostik
Therapie
Se-75
120 d
ε, γ
Diagnostik
Tc-99m
6h
γ, Ι
Diagnostik
In-111
I-123
2,8 d
13,3 h
ε, γ
ε, γ
Diagnostik
Diagnostik
I-131
8,1 d
β−, γ
(Diagnostik)
Therapie
Xe-133
Au-198
5,3 d
2,7 d
β−, γ, ε−
β−, γ
Diagnostik
Diagnostik
Ir-192
Tl-201
74,2 d
73 h
−
β ,γ
ε, γ
Tabelle 2-16
β−
β+
γ
ε
eI
kennung
Markierung / Hämatologie
Markierung / Ferrokinetik
Markierung / Vitamin B-12
Krebsbehandlung,
wird zunehmend ersetzt durch
Linearbeschleuniger
Markierung /
Bauchspeicheldrüsenszintigraphie
Markierung / umfangreiche Anwendung z.B. in der Schilddrüsenszintigraphie, Leberszintigraphie, Knochenszintigraphie
Markierung / Stoffwechsel
Schilddrüsenszintigraphie, Markierung,
SPECT Gehirnabbildungen
Schildrüsentherapie, Krebstherapie der Schilddrüse, z.T. auch
noch in der Schilddrüsendiagnostik (veraltert)
Lungenventilation und Perfussion
Leberszintigraphie
THERAPIE
Therapie
Krebstheraphie
Diagnostik Kardiologie
Medizinische Anwendungen von Radionukliden
=
=
=
=
Negatronen (Beta)-Zerfall
Positronen (Beta)-Zerfall
Gamma-Zerfall
Elektroneneinfang, Umwandlung durch Einfang eines Hüllenelektrons,
Aussendung von Röntgenstrahlung
= Konversionselektronen
= isomerer Übergang,
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Mahling / E. Foßhag
Fachkunde im Strahlenschutz
Übungsfragen
1. Was sind Nukleonen, welche gibt es ?
2. Was ist die Ursache für den radioaktiven Zerfall ?
3. Weshalb haben Radionuklide unterschiedliche Halbwertszeiten ?
4. Welcher Gesetzmäßigkeit unterliegt der radioaktive Zerfall ?
5. Was versteht man unter isomeren Nukliden ?
6. Nennen Sie die drei Isotope des Wasserstoffs ?
7. Nennen Sie drei wichtige Radionuklide in der Nuklearmedizin und deren Anwendung (Stichwort) ?
8. Welche radioaktiven Zerfallsreihen kennen Sie ?
9. Wie ist die (mittlere) Lebensdauer eines Radionuklids definiert ?
10. Was versteht man unter Spallation ?
11. Erläutern Sie den Unterschied zwischen Auger-Elektronen und Konversionselektronen !
12. Erläutern Sie den Unterschied zwischen Röntgen- und Gamma-Strahlung !
13. Wie lassen sich die verschiedenen Arten ionisierender Strahlung abschirmen ?
14. Welche Einheit gibt man bei Oberflächenkontaminationen an ?
15. Was versteht man unter der Äquivalentdosis ?
16. Wann ist die Energiedosis gleich der Äquivalentdosis ?
17. Welche wichtigen Einheiten kennen Sie für Dosisangaben ?
18. Was versteht man unter dem Kerma ?
19. Wie berechnet sich die γ - Äquivalentdosisleitung eines kreisscheibenförmigen Strahlers ?
20. Was passiert, wenn γ-Strahlung auf Materie trifft ?
21. Bei welchem Streuwinkel wird beim Comptoneffekt die maximale Energie übertragen ?
22. Erläutern Sie den Paarbildungseffekt ! Wann tritt er ein ?
23. Was versteht man unter der Ortsdosis ?
24. Was versteht man unter der relativen biologischen Wirksamkeit ?
25. Wie groß ist die mittlere zivilisatorisch bedingte Strahlenbelastung in Deutschland ?
26. Was sind stochastische Strahlenwirkungen ?
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Kapitel 2
Naturwissenschaftliche Grundlagen
Literatur:
1. K.H. Lieser; Einführung in die Kernchemie; VCH Verlag; 1990
2. M. Volkmer; Radioaktivität und Strahlenschutz; Informationskreis Kernenergie, 1994
3. Vogt / Schultz; Grundzüge des praktischen StrlSch; Carl Hanser Verlag, München, 1992
4. Römpp; Chemie-Lexikon; Thieme Verlag, 9. Auflage
5. Seelmann-Eggeberg W.; Radionuklid-Tabellen; BMFT, 1964
6. P.W. Atkins & J.A. Beran; Chemie einfach alles; Verlag Chemie, 1996
7. B. Bröcker; DTV-Atlas zur Atomphysik; DTV Verlag 1993
8. P.M. Magazin 12 / 94
9. atw - Internationale Zeitschrift für Kernenergie 2/96
10. Bild der Wissenschaft 11 / 1996
11. E. Willich et. Al.; Radiologie und Strahlenschutz; Springer-Verlag 1988
12. H. Cottier et. Al.; Arzt und Strahlenunfälle; Verlag Hans Huber 1994
13. TOICD, Nuklidkarte auf CD von Wiley-Interscience (8. Auflage, Version 1, März 1996)
14. B. Dörschel et.al.; Praktische Strahlenschutzphysik; Spektrum Akademischer Verlag 1992
Dazu im Internet
http://atom.kaeri.re.kr/ton/
http://www.physics.nist.gov/PhysRefData/contents.html
http://www.th.physik.uni-frankfurt.de/~stoecker/vortrag3/v.html
http://www.mip.berkeley.edu:80/physics/bookfdx.html
http://www.mip.berkeley.edu/physics/bookfdx.html
http://imsdd.meb.uni-bonn.de/nuclearmedizin/rad_kurs.htm
Anmerkung: Kommt man nicht direkt auf die gewünschten Seiten, Begriffe aus der Adresse in
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Zugehörige Unterlagen
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