Klimawandel, Meeresspiegelanstieg und Erderwärmung ©

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„2010 war das wärmste Jahr seit Beginn der Messungen“
Interview mit Prof. Dr. Peter Lemke vom Alfred-Wegener-Institut
So mancher Zeitgenosse dürfte im kalten Februar 2012 an den von den
Boulevardmedien oftmals infrage gestellten Klimawandel gedacht haben. Im Interview
erklärt Professor Dr. Peter Lemke vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und
Meeresforschung, warum sich unsere Erde weiter erwärmt und es in Europa im Winter
trotzdem mal kalt werden kann.
Herr Professor Lemke, von verschiedenen Seiten wird immer wieder am Klimawandel
gezweifelt. Haben wir es in unserer Zeit tatsächlich mit einem von Menschenhand
verursachten Klimawandel zu tun?
Lemke: Seit 1958 wird der Kohlendioxid (CO2)-Gehalt in der Atmosphäre direkt aus
Luftproben gemessen. Dieser liegt heute bei 390 ppm (parts per million = millionstel
Volumenanteile). Während der vergangenen Eiszeiten waren es 180 ppm, in den früheren
Warmzeiten nicht über 280 ppm. Der Mensch hat in den vergangenen 200 Jahren mit Beginn
der Industrialisierung so viel an CO2 in die Atmosphäre gebracht, wie in einer 20.000 Jahre
langen Übergangsphase von einer Eis- zu einer Warmzeit. Davon entfallen 75 % auf die
Verfeuerung fossiler Brennstoffe und 25 % auf Änderungen der Landnutzung. Der CO2Kreislauf ist sehr komplex und noch nicht ganz bis ins letzte Detail erforscht und verstanden.
Was wir aber wissen ist, dass das CO2 den natürlichen Treibhauseffekt verstärkt und damit
der Hauptfaktor der gegenwärtigen Erwärmung ist.
Lässt sich der Einfluss des Menschen wissenschaftlich belegen bzw. messen?
Lemke: Unser Klimasystem besteht aus vielen, sehr komplexen Komponenten. Dabei sind
Ozean, Atmosphäre und Eismassen die Hauptakteure im Klimageschehen. Zwischen Äquator
und Polkappen finden stetig gewaltige Umwälzbewegungen in Atmosphäre und Ozean statt,
die riesige Mengen Wärme polwärts transportieren und nur sehr schwer vorhersagbar sind.
Einzig die statistische Erfassung der Beobachtungen über einen längeren Zeitraum ist hier
aussagekräftig. Von Bohrkernanalysen aus den Eisschilden der Arktis wissen wir, dass der
CO2-Gehalt der Atmosphäre in den letzten zwei bis drei Millionen. Jahren noch nie so hoch
war wie heute. Und diese Höhe basiert auf dem von Menschen verursachten Eintrag von CO2
durch das Verfeuern fossiler Energieträger.
Der kalte Februar 2012 in Europa mit vielen Kältetoten lässt die Menschen an der
Erderwärmung zweifeln. Wie kommt es, dass trotz der globalen Erwärmung an
verschiedenen Stellen extreme Minustemperaturen auftreten?
Lemke: Wie eben erwähnt, sind für die Klimaforschung nur sehr lange
Beobachtungszeiträume aussagekräftig. Kurzzeitige Ereignisse, wie die drei kalten Wochen
im Februar, spielen da keine Rolle. Wetterkapriolen sind kein Klima. Und dieser Winter war,
trotz der kalten Februartage, insgesamt betrachtet zu warm. Auch im Zeitalter der globalen
Erwärmung sind durch komplexe Wechselwirkungen im Klimasystem lokal kalte
Temperaturen möglich. So war z.B. 2010 global das wärmste Jahr, das je gemessen wurde,
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doch in Deutschland war es relativ kühl, weil am Südrand eines ungewöhnlich langlebigen
Hochdruckgebietes über Skandinavien kalte Luft aus Sibirien zu uns kam. Seit 1880 gibt es
auf der Erde eine geordnete Temperaturmessung nationaler Wetterdienste. Hierbei wurden
viele Daten gesammelt, die alle ein klares Ergebnis zeigen: Seit 1920 erwärmt sich die Erde –
mit kleinen Unterbrechungen – zunehmend, und seit 1970 besonders stark. 2001 bis 2010 war
die wärmste Dekade und 2010 das wärmste Jahr seit Beginn der Messungen. Nach dem
heutigen Stand der Wissenschaft gibt es dafür keine andere stichhaltige Erklärung als den
starken CO2-Eintrag durch die Verfeuerung der fossilen Energieträger Erdöl, Erdgas und
Kohle. An dieser Stelle darf ich auf den IPCC-Bericht (Intergovernmental Panel on Climate
Change, www.ipcc.ch) verweisen. Dieser stellt die vergangenen 100 Jahre in einem
Klimamodell mit und ohne vermehrten CO2-Eintrag dar und bestätigt die Bedeutung des CO2Eintrags für die Erwärmung. Er stellt die beste wissenschaftlich begutachtete
Zusammenfassung der gegenwärtigen Klimaforschung dar.
Welches sind die treibenden Kräfte des Klimawandels und welchen Anteil haben diese
jeweils?
Lemke: Die Anteile der verschiedenen Einflüsse am Klimawandel können recht gut über die
bekannten physikalischen Prozesse abgeschätzt werden. Die teils dramatischen Änderungen
beruhen zu einem beträchtlichen Teil darauf, dass der Mensch die Konzentration von
Treibhausgasen in der Atmosphäre erhöht hat. Dabei sind die CO2-Emissionen der Nr.1Faktor bei der Erwärmung. Dazu kommen sich selbst verstärkende Effekte, wie eine höhere
Verdunstungsrate über den Ozeanen aufgrund der Erwärmung, was zu mehr Wasserdampf in
der Atmosphäre und damit zu einem höheren Treibhauseffekt führt. Oder weitere Gaseinträge,
z.B. von Methan aus der Landwirtschaft, das 20-mal stärker als CO2 wirkt. In Summe sind
sämtliche anderen Gasemissionen in etwa halb so klimaschädlich wie das CO2, das über die
gewaltigen Mengen so stark wirkt.
Welche Rolle spielen die Weltmeere beim Klimawandel?
Lemke: Die Ozeane speichern große Mengen an Wärme und transportieren diese über lange
Strecken von den Tropen zu den Polen. Der Golfstrom z.B. transportiert jährlich so viel
Energie wie eine Million Atomkraftwerke erzeugen würden. Im globalen Wasserkreislauf von
der Kondensation über den Niederschlag und den Transport über die Flüsse in die Meere und
erneuter Kondensation stellt das Meer den größten Speicher dar. Die Ozeane sind die Quelle
dieses Kreislaufs und bedecken über 70 % der Erdoberfläche. Damit sind sie ein
bestimmender Klimafaktor. Darüber hinaus speichern die Weltmeere auch Gase, sie nehmen
CO2 auf – kaltes Wasser mehr, warmes Wasser weniger. Sie sind die Heimat für ein sehr
reichhaltiges Ökosystem, das auch für uns Menschen eine große Nahrungsquelle darstellt und
zudem Kohlenstoff speichert.
Wie hoch kann der Meeresspiegel durch die Erderwärmung und die dadurch
verursachte Gletscherschmelze steigen? Und wie wirkt sich die höhere
Wassertemperatur und damit die geringere Wasserdichte aus?
Lemke: Die schneebedeckte Fläche auf den Kontinenten hat sich deutlich verringert,
Gletscher und Eisschilde sind geschrumpft. Derzeit steigt der Meeresspiegel 3 mm pro Jahr.
Dazu tragen die Schmelzwässer der Gletscher und die durch die Erderwärmung bewirkte
thermische Ausdehnung des Wassers jeweils ca. 50 % bei.
Die Messungen beruhen auf Tidenpegeln und Satellitentechnologie. Auf 100 Jahre
hochgerechnet, bedeutet dies einen Anstieg um 30 cm. Im vergangenen 20. Jahrhundert ist der
Meeresspiegel um 17 cm gestiegen. Für unser 21. Jahrhundert erwarten wir eine Erhöhung
zwischen 30 cm und 1 m bei einem Anstieg der Lufttemperatur im Mittel zwischen 1,7 bis 4
°C in Abhängigkeit des CO2-Eintrags durch den Menschen.
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Was bedeuten die Meereserwärmung und Ozeanversauerung für Meeresbewohner, wie
die bedrohten Korallen?
Lemke: Das Bleichen der Korallenbänke ist bereits in vollem Gange, sie sind durch steigende
Wassertemperaturen und durch Versauerung gefährdet. Bei der Erderwärmung breiten sich
die Ökosysteme von Süd nach Nord, vom Warmen ins Kalte aus, und verdrängen die
bestehenden Arten. Die weitere Erwärmung und Versauerung der Ozeane durch den
vermehrten CO2-Eintrag wird immense Veränderungen nach sich ziehen. Dabei wird sich die
Natur schrittweise anpassen. Das hat sie immer getan. Zu Zeiten der Dinosaurier gab es kein
Eis auf der Erde, der Meeresspiegel war 70 m höher als heute und die Atmosphäre enthielt
deutlich mehr CO2. All das hat sich stark verändert, die Natur kommt damit zurecht. Die
Frage ist, wie der Mensch damit klarkommt. Wie können wir, wenn überhaupt, die Ozeane in
Zukunft nutzen? Was bleibt übrig von der Nahrungskette, die uns derzeit noch zur Verfügung
steht? Schon heute sind die Weltmeere stark überfischt. Der Mensch muss sich auf gewaltige
Veränderungen einstellen, er muss sich und sein Verhalten anpassen.
Und was bedeutet der Meeresanstieg für die Küstenregionen, an denen ja 70 % der
Menschheit lebt?
Lemke: Für die unmittelbar an der Küste und vom Meer lebenden Menschen, das sind etwa
200 Millionen, erwarten wir große Umsiedlungen. Zudem müssen starke finanzielle
Anstrengungen zum Küstenschutz und Deichbau unternommen werden. Wir sehen
Flüchtlingsströmen, Unruhen und Landnutzungskonflikten entgegen. Den armen Ländern,
wie Bangladesh, müsste die Technik zur Anpassung der Energiesysteme und zum
Küstenschutz geschenkt werden, denn sie werden am meisten davon betroffen sein. Das ganze
wird sehr viel Geld kosten.
Was halten Sie vom Einsatz nachwachsender Rohstoffe, z.B. das Heizen mit Holz,
Hackschnitzeln oder Pellets?
Lemke: Dieser Einsatz ist zu befürworten. Alles was dem Planeten in eine kohlenstofffreie
Zukunft verhilft, ist zu unterstützen. Wichtig ist dabei der Energiemix aus Biomasse, Wind,
Sonne und Erdwärme.
Was können wir, was kann jeder einzelne tun, um dem Klimawandel
entgegenzuwirken?
Lemke: Das, was am schnellsten wirkt, ist Energie zu sparen. Wir können uns neue,
sparsamere Geräte anschaffen, weniger Autofahren und unsere persönliche Lebensführung
unter die Lupe nehmen. Wir sollten umsichtig handeln und wenn möglich einen lokalen
Fokus entwickeln. Die Wirtschaft ist angehalten ihre Produktionsweise umzustellen. Ziel ist
eine kohlenstofffreie Zukunft ohne fossile Energieträger.
Was müssen die politischen Entscheidungsträger veranlassen?
Lemke: Sie müssen über Steuerungsinstrumente Anreize für die Industrie schaffen,
kohlenstofffrei zu produzieren und gleichzeitig klimaschädliches Wirtschaften besteuern.
Zudem sollte in Bildung und Forschung investiert werden, denn wir wissen beileibe noch
nicht alles.
Welche Szenarien haben wir im 21. Jahrhundert zu erwarten?
Lemke: Das Klima der Erde hat sich im Laufe der Erdgeschichte stark geändert und es wird
sich auch in Zukunft ändern. Anders als früher bestimmt heute allerdings der Mensch die
Entwicklung mit. Insofern kommt die nächste Eiszeit zwar bestimmt, aber erst in einigen
zehntausend Jahren. Unser Problem sind die nächsten 100 Jahre, in denen wir vermutlich eine
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Superwarmzeit erzeugen. Extreme Ereignisse wie Stürme, Hitzewellen und
Überschwemmungen werden dadurch zunehmen. All das können wir heute schon beobachten.
Herr Professor Lemke, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Marc Wilhelm Lennartz.
Zum Interviewpartner
Professor Dr. Peter Lemke ist Leiter des Fachbereichs Klimawissenschaften des AlfredWegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung. Der Physiker und Meteorologe
untersucht die klimarelevanten Prozesse in der Atmosphäre, im Meereis und in den Ozeanen.
Das Alfred-Wegener-Insitut erforscht seit mehr als 25 Jahren die Zusammenhänge des
weltweiten Klimas und der speziellen Ökosysteme im Meer und an Land. Es koordiniert die
Polarforschung in Deutschland und stellt wichtige Infrastruktur wie den
Forschungseisbrecher Polarstern und Stationen in der Arktis und Antarktis für die nationale
und internationale Wissenschaft zur Verfügung.
www.awi.de
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