Elektrizitätsaustausch – europaweit Netzregelung im Netzverbund Grossräumige Zusammenbrüche der europäischen Stromversorgung sind zwar ungewöhnlich,aber sie traten in letzter Zeit gehäuft auf.Das Funktionieren dieses grossflächigen Energieversorgungs-Systems ist nur dank einer exakten Regelung und einer hohen Netzstabilität möglich. H. R. Ris Bekanntlich lässt sich «Strom» nicht speichern, er muss jederzeit online zur Verfügung stehen. Spannung, Frequenz, Phasenlage usw. bleiben nur konstant, wenn die Erzeugung und der Verbrauch exakt im Gleichgewicht stehen. Es macht deshalb Sinn, mehrere Netze zusammenzuschalten, das Gesamtsystem wird damit stabiler. Dies ist der Grund, warum man ab 1950 die einzelnen europäischen Landesnetze zu einem Verbundnetz zusammenfasste. Allerdings gibt es in Europa aus technischen und historischen Gründen mehrere Verbundnetze, wie Bild 1 zeigt. Das grösste ist das UCTE-Netz (UCTE = Union for the Co-Ordination of Transmission of Electricity), das hauptsächlich West- europa und Teile der ehemaligen Ostblockstaaten umfasst. In diesem Gebiet leben rund 450 Mio. Menschen mit einem elektrischen Energiebedarf von gegenwärtig jährlich 2300 TWh, entsprechend einem Stromverbrauch von gut 5000 kWh pro Kopf und Jahr, mit einer installierten Kraftwerksleistung von rund 350 GW. Andere Verbundnetze existieren in Skandinavien und in Grossbritannien. Diese beiden sind über HGÜ-Leitungen (Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung) mit dem UCTE-Netz verbunden. Frequenzregelung Die Grundlage der Regulierung des Netzes ist die Stabilität der Frequenz. Diese wird mit einer Genauigkeit von rund ± 1 Promille konstant gehalten. Weil Erzeugung und Verbrauch ständig im Gleichgewicht sein müssen, müssen die Kraftwerksleistungen ständig an die Verbraucher angepasst werden. Steigt zum Beispiel der Verbrauch an, so werden die Generatoren stärker gebremst, die Drehzahl und damit die Frequenz würden sinken, wenn dies nicht durch eine entsprechende Leistungserhöhung in den Kraftwerken kompensiert würde (Bild 2). Für die Regelung eignen sich nicht alle Kraftwerktypen gleich gut. So kann die Leistung bei thermischen Kraftwerken (Kohle- und Atomkraftwerke) nicht rasch genug der Nachfrage angepasst werden. Man betreibt sie deshalb als so genannte BandlastKraftwerke. Sehr gut regeln lassen sich hingegen die Speicherkraftwerke, weil durch einfaches Verändern der Wasserzufuhr die Leistung im Sekundenbereich den neuen Verhältnissen angepasst werden kann. Je vernetzter – desto stabiler Elektrotechnik 10/04 | 57 Rubriken Die grossen Blackouts im vergangenen Jahr. Elektrische Anlagen Ursprünglich diente das UCTE-Netz als stabilisierendes Netzwerk und dem Stromaustausch im Notfall. Anfänglich mussten die einzelnen Staaten ihren Stromhaushalt so im Griff halten, dass im Jahresmittel die Import-/ Export-Bilanz ausgeglichen war. Diese Idealvorstellung existiert schon seit Jahren nicht mehr. So ist die Schweiz vorwiegend ein Exportland, währenddem Italien einen Grossteil seiner elektrischen Energie importiert. Diese Tendenz hat insgesamt noch zugenommen, da die liberalisierte Stromwirtschaft den Handel massiv erweitert. Die bestehenden Übertragungsnetze wurden ursprünglich nicht für diese grossen Transportleistungen gebaut, sodass heute zum Teil gewisse Schwachstellen existieren. Typisches Beispiel ist der Blackout in Italien, wo praktisch das ganze Land nachts an einigen wenigen Leitungen aus Frankreich und der Schweiz hängt. Kirchhoff gilt auch im Verbundnetz Der Strom geht bekanntlich den Weg des geringsten Widerstandes. Dies ist auch im gesamten UCTE-Netz der Fall. Die Transportwege lassen sich deshalb nicht zum Voraus exakt steuern, sodass alle lokalen Laständerungen Auswirkungen auf das gesamte Netz haben. Wenn zum Beispiel ein Stromhändler in Holland eine elektrische Leistung von 100 MW bei der schweizerischen ETRANS bestellt, so geht die Lieferung gemäss Bild 3 nicht schön dem Rhein entlang nach Holland, sondern belastet das gesamte mitteleuropäische Netz von Frank- 1 2 reich bis Tschechien bzw. Italien bis Norddeutschland. So fliessen zum Beispiel weniger als die Hälfte (45 MW) der Leistung direkt nach Norden über Deutschland nach Holland, 23 MW gehen nach Frankreich und je 16 MW nach Italien und Österreich. Schliesslich erreichen die eingespeisten 100 MW das Ziel in Holland. Wie sagte doch schon Kirchhoff im Knotenpunktsatz: Die Summe der zufliessenden Ströme sind gleich der Summe der abfliessenden Ströme. Netzstabilität als kritische Grösse Grosse Stromnetz-Zusammenbrüche passieren meist nicht aus heiterem Himmel. Häufig schaukelt sich das Problem hoch, bis es dann zur Ab- schaltung von Netzteilen kommt. Ein wesentlicher Faktor ist dabei die Stabilität des betroffenen Netzteiles. Unter Stabilität versteht man die Fähigkeit eines dynamischen Systems, bei einer Störung selbsttätig in einen Gleichgewichtszustand zurückzukehren. Auf ein elektrisches Verbundnetz übertragen, heisst dies, dass sämtliche Generatoren samt ihren Verbindungsleitungen und Transformatoren ein stabiles System bilden müssen, soll die Energieübertragung einwandfrei vonstatten gehen können. Betrachtet man einen einzelnen Generator, der mit dem Verbundnetz (bestehend aus allen Generatoren plus die Verbraucher) zusammengeschaltet ist, so kann man Letzteres als eine einzige Spannungsquelle mit konstanter Spannung betrachten. Der Generator wird mechanisch von einer Turbine angetrieben und im synchronisierten Zustand auf das Netz geschaltet. Dabei wird gerade noch keine Leistung an das Netz abgegeben, weil gemäss Bild 4 das Netzdrehfeld und das Polrad die gleiche Stellung einnehmen und gemeinsam (synchron) drehen. Bei 2poligen Maschinen und bei 50 Hz sind dies 3000 min1. Die erzeugte Spannung des Generators ist bezüglich Höhe und Phasenlage identisch mit der Netzspannung. Und es entsteht kein Stromfluss. Sinn und Zweck des Generators ist es, elektrische Leistung in das Verbundnetz einzuspeisen. Dies wird ermöglicht, in dem die mechanische Turbine unter Kraftaufwendung das Polrad um den Lastwinkel vor das Netzdrehfeld schiebt. Das Netzdrehfeld und das Polrad des Generators drehen dabei immer noch synchron miteinander, einzig das Polrad eilt um den Lastwinkel vor. Dabei entsteht zwischen der erzeugten Generatorspannung und der anstehenden Netzspannung eine Phasenverschiebung und damit eine Differenzspannung Bild 1 Die elektrischen Übertragungsnetze in Europa Bild 2 Produktion und Verbrauch müssen ständig im Gleichgewicht sein Bild 3 Stromverteilung im Verbundnetz, wenn 100 MW in der Schweiz produziert und in Holland verbraucht werden.Der Stromfluss geht nicht auf direktem Wege – es wird praktisch das gesamte Netz belastet. 58 | Elektrotechnik 10/04 Netzüberwachung und flexible Wechselstrom-Übertragungssysteme Im Zusammenhang mit den massiven Stromausfällen in Italien und Nordamerika gewinnt die Überwachung des dynamischen Verhaltens von Übertragungsnetzen immer mehr an Bedeutung. Dazu gehören Strom- und Spannungsmessungen mit einer Genauigkeit und mit Aktualisierungsraten, die weit über den Möglichkeiten herkömmlicher Netzleittechniksysteme liegen. Zudem müssen diese Messergebnisse, auch über grössere geografische Gebiete, zeitgenau synchronisiert werden. Dies ist bei herkömmlichen Schutzsystemen nicht möglich. Überwachung von Übertragungsnetzen ABB hat mit PSGuard ein System entwickelt, das die optimale Überwachung von Übertragungsnetzen ermöglicht. PSGuard basiert auf der dynamischen Vektormessung. Vektormessgeräte, die in kritischen Bereichen eines Netzes installiert werden, ermöglichen eine schnelle Messung der Spannungs- und Stromvektoren (d.h. ihrer Grösse und ihres Phasenwinkels) und optimieren die Prozessführung mit Hilfe einer dynamischen und sehr genauen Systemübersicht. zugunsten des Generators, sodass die Energierichtung vom Generator zum Netz ist. Je grösser der Lastwinkel, desto grösser ist die elektrische Leistung, die in das Netz eingespeist werden kann. Bei einem 2poligen Generator darf der Lastwinkel maximal 90° erreichen, dann gibt er die maximale Leistung ab. Würde die mechanische Turbine noch mehr Kraft erzeugen, so würde das Polrad über diese 90° hinaus vorgeschoben werden und der Generator würde ausser Tritt fallen und damit instabil werden. Er läuft dann nicht mehr synchron mit – seine Frequenz weicht von 50 Hz ab. Dasselbe Problem entsteht, wenn Teile des (Verbund)Netzes abgeschaltet werden, die Verbraucherleistung wird schlagartig kleiner und die mechanische Turbine treibt den Generator noch mit einer zu hohen Leistung an – er kann instabil werden. Die Sicherheitseinrichtungen müssen damit sofort eingreifen und die Maschine abschalten. Zwischen Leerlauf (Lastwinkel = 0°) und Maximallast (Lastwinkel = 90°) weist der Generator eine gewisse Steifigkeit auf. Bei niedriger Belastung (kleiner Lastwinkel) weist er eine Steuerung des Leistungsflusses in Übertragungsnetzen Will man gezielt die Leistungsflüsse in Verbundnetzen steuern, so sind Anpassungen der Netzspannung unumgänglich. Dies kann mit Regeltransformatoren auf mechanischer Basis geschehen oder aber auch mit Mitteln der Leistungselektronik. Auf dieser Basis setzt ABB das System Facts (Flexible Alternating Current Transmission Systems) ein. FACTS-Geräte, die in ein bestehendes EnergieÜbertragungssystem eingebaut werden, können durch die schnelle Veränderung von elektrischen Parametern die Eigenschaften des Gesamtsystems verändern. Die schnelle Regelbarkeit wird durch spezielle Schalter und leistungselektronische Komponenten erzielt. Mit FACTSGeräten kann die Stromlast und die Spannungsstabilität bestehender Leitungen er- grosse Steifigkeit (Rückstellkraft) auf, so dass er bei schnellen Laständerungen nicht ausser Tritt fällt. Bei hoher Belastung (grosser Lastwinkel) sinkt die Steifigkeit und rasche Laständerungen können ihn ausser Tritt bringen. Eine ähnliche Wirkung hat auch ein Absinken der Netzspannung. Beim Ausfall von Leitungen innerhalb des Verbundnetzes übernehmen höht werden. So sind Kapazitätssteigerungen von über 100 Prozent möglich. Auch sind derartige Systeme weniger anfällig auf Spannungsschwankungen und - Mit Hilfe satellitengesteuerter Messtechnik kann ein Zentralrechner leistungselektronische Geräte so steustörungen. ern, dass ein optimaler Leistungsfluss in einem Verbundnetz entsteht. die übrigen die gesamte Last, was zu erhöhten Spannungsabfällen im System führt. Damit tritt eine Verschiebung des Betriebspunktes (Lastwinkel) aller Generatoren ein und die Stabilität sinkt augenblicklich. Zusätzlich haben die eingeschalteten Motoren am Netz die Eigenschaft, dass bei verminderter Spannung ihre Leistung nicht zurückgeht und der Strom damit 3 Elektrotechnik 10/04 | 59 Netzdrehfeld N n S Polrad im Leerlauf ™ Lastwinkel Polrad belastet Bild 4 Lastwinkel beim Synchrongenerator ansteigt. Dies führt zu einer weiteren Spannungsabsenkung. Kraftwerke sind ja selber komplexe Gebilde mit entsprechenden Überwachungseinrichtungen und elektrischen Hilfseinrichtungen. Sinkt die Spannung unzulässig ab, so klinkt das Schutzsystem, das die Eigenversor- 60 | Elektrotechnik 10/04 gung bezüglich Spannung und Frequenz ständig überwacht, das Kraftwerk automatisch aus dem Netz. Der Generator kann, je nach Situation, dabei in den Leerlauf gehen oder ganz vom Netz getrennt werden. Dadurch sinkt die zur Verfügung stehende speisende Leistung für die Verbraucher nochmals, was zum lawinenartigen Zusammenbruch eines ganzen Netzes führen kann. Dies war zum Beispiel der Fall beim Blackout in Italien. Die schwerwiegendsten Störungen in einem Übertragungsnetz sind der Verlust von Übertragungskapazität und die Spannungsabsenkung. Verschiedene Schutzsysteme können diesem Szenario teilweise entgegenwirken. So ist es zum Beispiel bei einem kurzzeitigen Kurz- oder Erdschluss nicht notwendig, die Leitung dauernd auszuschalten. Die Kurzunterbrechung sorgt dafür, dass nach dem Verlöschen des Lichtbogens die Leitung innerhalb etwa 1 Sekunde wieder ein- geschaltet wird. Dieser Kurzunterbruch wird vom Netz normalerweise toleriert, da diese dynamische Störung nur geringe Auswirkungen hat. Das Netz wird zwar zu Schwingungen angeregt, bleibt aber stabil. In den Generatoren selbst kann die Spannung relativ rasch angepasst werden, die Leistungszufuhr der Turbinen jedoch nicht so schnell. Die neue Leistungsverteilung aller angeschlossenen Generatoren erfolgt über die Aufrechterhaltung der Frequenz. Diese Leistungsregelung wirkt damit als netzstaET 04 bilisierend. Hans R. Ris [email protected] Quelle und Bilder: Nach Vorträgen und Unterlagen von ABB