Nationales Krebsprogramm für die Schweiz 2011–2015 1/11 Markt

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Markt und Politik
pharma:ch
Nationales Krebsprogramm für
die Schweiz 2011–2015
Die Oncosuisse hat das zweite Nationale Krebsprogramm aufgelegt, diesmal für die
Periode 2011 bis 2015. Erklärtes Ziel ist «Weniger Krebskranke und bessere Aussichten für
Erkrankte». Dazu sollen Prävention und Früherkennung gefördert und die Qualität der
Behandlung verbessern werden. Mit dem Programm überwindet die Oncosuisse föderalis­
tische Strukturen und stellt für Krebs nationale Gesundheitsziele dar.
Nationales Vorgehen, einheitliche Qualität und die
konsequente Vernetzung der vorhandenen Ressourcen in Form eines gesamtschweizerischen Programms ist gerade bei Krebs in besonderem Mass
notwendig. Denn in unserer stetig älter werdenden
Bevölkerung, bei der Krebs wesentlich häufiger auftritt als in jungen Jahren, dürften Krebserkrankungen
schon bald zur häufigsten Todesursache werden,
noch vor den Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Die nackten Zahlen in der Schweiz sind ernüchternd:
Etwa 85 000 Menschen leiden oder litten in den vergangenen fünf Jahren an Krebs, jedes Jahr erkranken 35 000 Menschen neu und jährlich sterben
16 000 Menschen an Krebs. Trotzdem gibt es auch
positive Nachrichten: Die Krebssterblichkeit hat in
der Schweiz in den vergangenen 40 Jahren bei den
meisten Krebsarten abgenommen. Heute lässt sich
Die Krebssterblichkeit hat in der Schweiz in den vergangenen 40 Jahren bei den meisten Krebsarten abgenommen.
das Fortschreiten der Krankheit oft verlangsamen,
die Schwere der Nebenwirkungen sowie der Schmer-
Bei der Qualität der Früherkennung und der Behand-
zen kann verringert werden. Mehr als die Hälfte aller
lung bestehen allerdings grosse kantonale Unter-
Krebsleiden können heute geheilt werden. Dies gilt
schiede und die Schweiz hinkt den europäischen
insbesondere für Krebsarten, die früh erkannt wer-
Ländern in diesem Bereich um Jahre hinterher. In der
den und daher meist einfacher zu behandeln sind.
Westschweiz und im Tessin werden alle Krebser-
Zudem gibt es einige Krebstypen, die selbst im fort-
krankungen registriert, in einigen Regionen in der
geschrittenen Stadium heilbar sind. Fortschritte wur-
Deutschschweiz ist die Datenlage hingegen noch lü-
den zum Beispiel bei Darm-, Lymphdrüsen- und
ckenhaft. Bis im Frühling 2012 soll ein Vorentwurf für
Brustkrebs erzielt sowie bei Krebserkrankungen bei
ein Bundesgesetz zur Registrierung von Krebser-
Kindern.
krankungen vorliegen. n
Nationales Krebsprogramm für die Schweiz 2011–2015
Die Schweiz soll nicht länger ein
Hochrisikoland sein
Die Zahl der Krebserkrankungen und der Todesfälle nimmt zu – die Schweiz gehört im
internationalen Vergleich zu den «Hochrisikoländern». Die Behandlungsergebnisse weisen
allerdings grosse kantonale Unterschiede auf. Je nach Region und Krebsart ist der
Nachholbedarf erheblich. Die erfolgreichen Vorsorge-, Früherkennungs- und Behandlungs­
ansätze sollen gemäss Krebsprogramm in allen Kantonen zur Anwendung kommen.
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Im ersten Nationalen Krebsprogramm, 2005 bis
Nach wie vor zählt die Schweiz überdurchschnittlich
2010, hatte der Dachverband Oncosuisse das Ziel:
viele Menschen, welche an Brust-, Hoden- und Pros­
«Weniger Menschen erkranken und sterben an Krebs»
tatakrebs leiden oder etwa am sogenannten Hodg-
formuliert. Das Ziel wurde nicht erreicht und der Trend
kin-Lymphom, einem bösartigen Tumor des Lymph-
ist ungebrochen: Nach wie vor steigt die Zahl jener,
systems. Zudem erkranken immer mehr Frauen an
welche an Krebs erkranken und daran sterben. Die
Lungenkrebs – mit steigender Sterblichkeitsrate. Ein-
Schweiz gehört zu den «Hochrisikoländern» und hinkt
zig bei Magen- und Gebärmutterhalskrebs liegt die
im Kampf gegen Krebs anderen Ländern hinterher.
Schweiz leicht unter dem europäischen Mittel.
Im Rating der Anzahl Neuerkrankungen und des Risikos, an Krebs zu erkranken, liegen Schweizerinnen
Langzeitüberlebende fordern uns
und Schweizer auf Platz 16 von 40 europäischen Na-
Grundsätzlich hängt das eher negative Gesamtbild
tionen. Zwar weist die Schweiz vor allem bei der Be-
vor allem mit der rasch alternden Bevölkerung zu-
handlung gute Resultate aus. Doch insgesamt sind
sammen. Krebs ist je länger, je weniger die akut be-
die Bereiche Früherkennung, Prävention, Diagnose
drohende Krankheit, sondern immer stärker ein chro-
und Behandlung von Krebserkrankungen heute in der
nisches, langwieriges Leiden, das vor allem ältere
Schweiz qualitativ nicht gut genug, um besorgnis-
Menschen trifft. Die Betreuung dieser krebskranken
erregende Entwicklungen zu stoppen und negative
«Langzeitüberlebenden» in der Schweiz erfordert zu-
Trends zu brechen: Nirgends in Europa erkranken
nächst einmal profunde Daten und dann ein hochkul-
heute so viele Menschen an Hautkrebs (Hautmela-
tiviertes Zusammenspiel aller Involvierten um den
nom) wie in der Schweiz.
Kranken. Um die bestmöglichen Behandlungen zu ermöglichen, müssen die heute nur unzulänglich erfassten Behandlungsergebnisse (Outcome-Daten) verbessert und vergleichbar gemacht werden. Welchen
Nationales Krebsprogramm 2011–2015
Nutzen ein gut abgestützter Vergleich von Behand-
n Hauptziele des nationalen Krebsprogramms
Onkologe Beat Thürlimann mit seiner Brustkrebsstu-
sind: die Entstehung von Krebs verhindern, die
die 2009 klar: In der Schweiz erhalten gegen 30 Pro-
Krebsfrüherkennung verbessern und eine am Pati-
zent der Brustkrebspatientinnen nicht die optimale
enten orientierte Behandlung und Pflege von hoher
Therapie. Die Behandlungsergebnisse unterschieden
Qualität. Das Programm für 2011–2015 schliesst
sich je nach Kanton erheblich. Entsprechend fordert
am ersten Programm aus dem Jahre 2005 an.
das Krebsprogramm nationale Qualitätssicherungs-
Die im Programm begründeten Vorschläge sollen
konzepte.
lungsergebnissen stiften kann, machte der St. Galler
als Grundlage für politische und gesellschaftliche
Entscheidungen dienen. Folgende Organisationen
Föderal, verspätet, lückenhaft
sind Mitglied der Oncosuisse, die das Programm
Die Schweiz ist klein und überschaubar, das Netz ge-
erarbeitet hat: Krebsforschung Schweiz, Nationa-
gen Krebs aber lückenhaft: Die in kantonalen Krebs-
les Institut für Krebsregistrierung und Epidemiolo-
registern erfassten Krebserkrankungen decken heute
gie, Schweizerische Pädiatrische Onkologie Grup-
erst 16 Kantone ab. Damit sind lediglich 68 Prozent
pe, Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für Klini-
der Schweizer Bevölkerung erfasst. Nur in der West-
sche Krebsforschung, Krebsliga Schweiz.
schweiz und im Tessin werden heute alle Krebserkrankungen registriert. In weiten Teilen der Deutsch-
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schweiz werden sie erst seit Kurzem systematisch
Deutschschweiz? Nur ein lückenloses Netz zur dau-
erhoben, die Daten sind zudem nur beschränkt ver-
ernden epidemiologischen Überwachung von Neu-
gleichbar. Erst 2010 wurde etwa begonnen, Daten
erkrankungen lässt Folgerungen zu, die schliesslich
aus dem Kanton Luzern in einem Zentralschweizer
allen dienen.
Krebsregister auszuwerten.
Medikamentenkombinationen optimieren
Solche Verspätungen sind angesichts der hohen
Dem löchrigen Datenmaterial stehen in der Schweiz
Erkrankungsraten besorgniserregend. Krankenge-
nachweisliche Behandlungserfolge gegenüber. Die
schichten, Daten über Lebensstil und Umfeld der
Überlebensrate von Krebserkrankten ist deutlich hö-
Kranken sind nämlich eine unerlässliche Basis, um
her als in anderen europäischen Ländern. Einen we-
ein taugliches Bild der jeweiligen Krebserkrankung zu
sentlichen Beitrag leistet hier die Pharmaindustrie.
erhalten. Und erst dann sind die Daten für Kranke
Ihre Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen
in anderen Regionen nützlich. Heute werden in der
führen zu immer wirksameren, immer gezielter ein-
Schweiz Daten aus Kantonen, welche seit 40 Jahren
setzbaren und damit mit weniger Nebenwirkungen
(Kanton Genf) Krebsregister erstellen, mit Angaben
behafteten Behandlungen. Weltweit wird derzeit an
aus Kantonen verglichen, welche zum Beispiel erst
über 1300 Wirkstoffen gegen Krebs geforscht. Die
seit 2005 (Jura) ein Register führen. Diese stufenwei-
forschenden Pharmaunternehmen der Schweiz sind
se Einführung eines kantonalen Monitorings bei Kran-
mit ihren globalen Forschungsstandorten in diesem
ken und Gesunden liefert keine national repräsenta-
Bereich an vorderster Front engagiert. Im Fall von Gli-
tiven Zahlen über Neuerkrankungen, Lebensstil, Ri-
vec von Novartis zur Behandlung insbesondere von
siken, Krankheit und deren Therapieform. Wichtige
chronischer myeloischer Leukämie darf der Erfolg so-
regionale Erkenntnisse müssen zu nationalen wer-
gar direkt dem Forschungsplatz Schweiz zugeschrie-
den: Was ist aus dem erhöhten Risiko, in Bergregi-
ben werden. Solche und andere Krebsmedikamente
onen an Magenkrebs zu erkranken, zu schliessen?
tragen viel dazu bei, der Diagnose Krebs schrittweise
Warum gibt es im Kanton Waadt besonders viele Fäl-
etwas von ihrem Schrecken zu nehmen. Brustkrebs
le von Prostatakrebs? Weshalb erkranken in der Ro-
ist dafür ein gutes Beispiel: Während Patientinnen bis
mandie deutlich mehr Frauen an Brustkrebs als in der
Ende der Siebzigerjahre ausschliesslich chirurgisch
Wer aber an Krebs erkrankt, kann in der Schweiz auf
eine gute medizinische Versorgung zählen?
Betreffend Krebsmortalität steht die Schweiz relativ
gut da. Das darf man durchaus als Erfolg unseres Gesundheitswesens darstellen. Verbesserungspotenzial
gibt es dennoch, insbesondere weil rund ein Drittel
aller Krebsfälle zu verhindern wären. Bei Prävention
und Früherkennung ist also noch einiges möglich. Um
Prof. Dr. med. Jakob R. Passweg ,
Prävention zu betreiben, müssen wir die Ursachen
Präsident Krebsliga Schweiz
der Erkrankungen kennen. Für eine Früherkennung
brauchen wir möglichst genaue Kenntnisse über die
Prof. Passweg, ist die Schweiz beim Krebs tatsäch-
Entwicklung einer Krebsart möglichst von Beginn
lich ein Hochrisikoland?
weg. Beides senkt die Mortalität – ebenso wie Be-
Es gibt viele Krebserkrankungen in der Schweiz. Da-
handlungsfortschritte.
für gibt es verschiedene Gründe. Zunächst einmal die
Altersstruktur der Bevölkerung. Wir haben viele alte
Wo ist in der Schweiz Handlungsbedarf?
Leute. Dieser Trend wir zunehmen. Dann ist das Ri-
Wenn das Nationale Krebsprogramm (NKP) tatsäch-
sikoverhalten bei uns in gewissen Bereichen offen-
lich national wäre, würde das schon viel helfen. Wir
sichtlich sorgloser als anderswo. So ist die Schweiz
haben ein kantonales Gesundheitswesen, es ist also
in Europa spitze beim Melanom. Dann sind wir ein
stark fragmentiert. Es fehlt eine Koordination für über-
Land, in dem relativ viele Frauen rauchen.
geordnete Ziele. Auch die Forschung ist nicht aus einer
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Nationales Krebsprogramm für die Schweiz 2011–2015
behandelt wurden und eine Brustamputation meist
Die richtige Versorgung der Kranken mit individuell de-
unvermeidlich war, lässt sich das heute dank ver-
finierten Medikamentenkombinationen ist jedoch nur
schiedenen Optionen und der passenden Medika-
dann Erfolg versprechend, wenn genügend aussage-
mentekombination oft vermeiden.
kräftige Daten über vergleichbare Behandlungrichtlinien vorliegen. Was gemessen und verglichen werden
Dennoch bleiben die Herausforderungen gross: Für
kann, lässt sich verbessern.
die 300 verschiedenen Krebserkrankungen kommen
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zahlreiche Medikamente zu Anwendung. Viele erwei-
Qualitätssicherung bringt Qualitätsbehandlung
sen sich mit der Zeit auch für weitere Indikationen als
Deutlich zeigt sich das beim Brustkrebs: Während in
tauglich, also nicht nur für jene, die bei der Entwick-
der Westschweiz und im Tessin die Mammografie-
lung im Vordergrund gestanden haben. Solche Off-
Screenings (Früherkennung) innerhalb qualitätsgesi-
Label-Anwendungen sind häufig das Ergebnis einer
cherter Programme stattfinden, regiert in der Deutsch-
Zusammenarbeit zwischen praktizierenden Onkolo-
schweiz nach wie vor etwas der Zufall. Dies, obschon
gen und der Industrie. Ähnliches kann über die An-
internationale Erfahrungen belegen: Qualitativ hoch-
wendung von Medikamentekombinationen gesagt
stehende Früherkennungsprogramme senken die
werden. Oft ist es sinnvoll, mehr als ein Medikament
Sterberate bei Brustkrebs um 15 bis 30 Prozent. Ten-
zur Bekämpfung einer Krebserkrankung einzusetzen
denziell gilt dies auch für andere Krebsarten. Die
– in der Regel nacheinander, zuweilen auch gleichzei-
Schweiz verfügt mit den kantonalen Krebsregistern
tig. Zentral ist deshalb die Forschungstätigkeit, wel-
(KKR), dem Schweizer Kinderkrebsregister (SKKR)
che ergründet, wie Krebsmedikamente zu kombinie-
und der Todesursachenstatistik (TU) sowie dem an
ren sind, um möglichst massgeschneiderte Therapi-
der Universität Zürich angesiedelten National Institu-
en anbieten zu können. Zwar werden in der Schweiz
te of Cancer Epidemiology and Registration (NICER;
immer noch viele klinische Studien durchgeführt, ihre
www.nicer.org) mittlerweile über gute Strukturen,
Zahl ist aber rückläufig. Gemäss Krebsprogramm gab
um die Qualität der Daten auf das erforderliche Ni-
es 363 klinische Studien, davon 66 mit Indikation
veau zu hieven. Dafür muss jedoch nicht nur das Er-
Krebs. 2009 waren es noch 246 bzw. 48.
fassen der Daten vereinheitlicht werden; es braucht
auch eine interkantonale Datenbank, um schliesslich
«Betreffend Krebsmortalität steht
die Schweiz relativ gut da. Verbesserungspotenzial gibt es dennoch,
insbesondere, weil rund ein Drittel
aller Krebsfälle zu verhindern wäre.»
Behandlungen und um die Behandlungsergebnisse.
Das bringt Erkenntnisgewinn und eine höhere Behandlungsqualität. Weiter geht es um eine Art Wirtschaftlichkeit: Die Gesellschaft gibt grosse Summen
für Krebsforschung und -behandlung aus. Sie hat ein
Anrecht zu erfahren, ob dieses Geld wirksam eingesetzt wird.
übergeordneten Warte konzipiert. Es gibt Kantone mit
einem Präventionsprogramm, andere haben keines.
Werden die Ausgaben für Krebsbehandlungen wei-
Bei der Früherkennung ist es nicht anders und auch bei
terhin steigen?
der Behandlung beharrt jeder Kanton auf seiner Auto-
Nicht nur das, sie werden wohl explodieren. Wir wer-
nomie. Die Krebsregister sind je nach Kanton anders
den noch mehr ältere Leute und damit noch mehr
organisiert und finanziert und nicht flächendeckend.
Krebserkrankungen haben. Dann sind sehr viele Sub-
Gesamtschweizerische Zahlen sind jeweils eine Extra-
stanzen in Entwicklung, von denen einige hoffentlich
polation. Centers of Excellence wurden mit dem bis-
grosse Fortschritte bringen werden. Teuer werden sie
herigen Modell der Spitalfinanzierung aktiv verhindert.
alle sein.
Die Forderung nach einem flächendeckenden Regis-
Um dem zu begegnen, predigt eine Mehrheit der Ge-
ter wird immer wieder erhoben.
sundheitsökonomen die Rationierung und wir haben
Ja, klar. Und dabei geht es nicht allein um die Zahl
einen Bundesgerichtsentscheid vorliegen, der die
von Erkrankungen, sondern ebenso um die Art der
Krankenkassen von der Erstattung eines sehr teuren
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die epidemiologische Krebsforschung auf nationaler
Ebene verankern und entsprechend fördern zu können.
Bessere Prävention ist zwingend
Gerade bei der Krebsbekämpfung muss schliesslich
korrigiert werden, was für viele Krankheiten gilt: Es ist
nicht nachhaltig, rund 95 Prozent der Ausgaben –
und Bemühungen – für die Behandlung der bestehenden Krankheit aufzuwenden, jedoch lediglich 5
Prozent in die Prävention zu stecken. Im Kampf gegen die hohen Krebsraten in der Schweiz ist deshalb
die Forschung nicht nur am richtig kombinierten Medikament, sondern auch im Bereich der möglichen
Krebsvorsorge zu fördern. Das würde sich lohnen,
sind doch rund ein Drittel der Krebsfälle durch Prävention und Früherkennung zu vermeiden. Dabei bietet die kleinräumige Schweiz auch Vorteile: Hier ist
gezielte und flächendeckende Prävention relativ einfach zu realisieren. Gesundheitspolitiker, Medien und
Rund ein Drittel der Krebsfälle sind durch Prävention
und Früherkennung zu vermeiden. So trägt
beispielsweise der richtige Sonnenschutz dazu bei,
das Risiko einer Hautkrebserkrankung zu senken.
involvierten Verbände können wirksam vernetzt werden, um jenen Lebensstil – also Bewegung, gesunde
haltensweisen in Erinnerung gerufen werden: genü-
Ernährung etc. – zu propagieren, der zu einer Vermin-
gend Bewegung, Verzicht aufs Rauchen und eine
derung des Krebsrisikos beiträgt. Schliesslich kann
ausgewogene Ernährung sind eine gute Krebsprä-
dem Schreckgespenst Krebs am besten begegnet
vention. So kann sich die Schweiz mittel- bis langfris-
werden, wenn der Schweizer (Wohlstands-)Bevölke-
tig dem Ziel nähern, den Erkrankten die beste Be-
rung im nationalen Krebsprogramm die positiven Ver-
handlung und Pflege zukommen zu lassen. n
Medikaments gegen eine seltene Krankheit, Morbus
Wer soll denn entscheiden?
Pompe, entbindet. Wie stellen Sie sich dazu?
Es ist eine medizinische Entscheidung, welche Be-
Es ist ein Bundesgerichtsfehlentscheid. Er ist diskri-
handlung vernünftig ist. Das kann bei einem jüngeren
minierend, weil das Bundesgericht nicht unterschei-
Menschen durchaus anders beurteilt werden als bei
det zwischen seltenen Krankheiten mit zum Teil sehr
einem alten. Krankheiten sind je nach Lebensphase
teuren Behandlungen und häufigen Krankheiten, bei
unterschiedlich, vieles hängt auch mit weiteren Er-
denen es durchaus günstige Behandlungen gibt.
krankungen beim gleichen Patienten ab. Es gehört
zum täglichen Brot der Ärzte, sich die Konsequenzen
Erleben Sie Rationierung?
einer Behandlung oder einer Abklärung zu überlegen.
Es gibt derzeit keine klar geregelte Rationierungsbe-
Nicht immer ist eine Behandlung oder Abklärung
strebung. Es wird aber überall Druck gemacht – die
sinnvoll. Mit Rationierung hat das allerdings nichts zu
Krankenkassen machen Druck auf die Ärzte und Pa-
tun. Das ist einfach richtiges und verantwortungsvol-
tienten, das Bundesamt für Gesundheit auf Swiss-
les ärztliches Handeln.
medic und die Bewilligungsverfahren. Letzteres führt
dazu, dass uns in der Schweiz für die Patienten wich-
Und die Patienten?
tige Erneuerungen später zur Verfügung stehen als in
Die sind durchaus bereit, solche Diskussionen zu füh-
andern Ländern. Faktisch gibt es keine Rationierung.
ren. Sie wollen nicht selten wissen, wie sinnvoll eine
Jeder kann jedes Medikament bekommen, ungeach-
Behandlung (noch) ist und welche Kosten dabei an-
tet seines Alters und Zustandes. Und das ist auch gut
fallen. Und wenn sie selbst bezahlen müssten, wür-
so, denn der Staat kann nicht entscheiden, wer noch
den sie dann und wann auch anders entscheiden. n
behandlungswürdig ist und wer nicht.
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Nationales Krebsprogramm für die Schweiz 2011–2015
Krebsforscher brauchen bessere
Bedingungen
Die Krebsforschung in der Schweiz erbringt zwar gute Resultate. Doch die klinische
Forschung droht ins Stocken zu geraten. Es wird zu kleinräumig gearbeitet, es gibt zu viele
administrative Hürden und die finanziellen Aufwendungen zur Entwicklung neuer Medi­
kamente sind enorm hoch. Die Zusammenarbeit aller Beteiligten muss optimiert werden.
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Wie können Ärzte und Therapeuten den Eltern krebs-
Überlebenschancen haben als anderswo, geben die
kranker Kinder helfen, ihre Gefühle besser zu verar-
administrativen Hürden hierzulande zunehmend An-
beiten? Welches ist der künftige Beitrag der Medizin
lass zu Besorgnis. Innovative Medikamente werden
für eine möglichst schonende Behandlung von Brust-
von der Arzneimittelbehörde oftmals verzögert zuge-
krebspatientinnen? Und wie lässt sich die Lebens-
lassen. Und so ist es auch mit der Rückerstattung
qualität von Patienten mit Hirntumoren verbessern?
durch die Kassen. Beides mindert die Lebensqualität
Solchen konkreten Fragen geht die Schweizer Krebs-
und die Überlebenschancen von Krebskranken, statt
forschung auf den Grund. In der Schweiz tätige
diese zu erhöhen.
Krebsforscherinnen und -forscher haben in den letzten Jahren viele Fortschritte rund um Entstehung,
Bis ein neues Krebsmedikament entwickelt und
Diagnose, Behandlung und Bewältigung von Krebs
marktfähig ist, dauert es rund zehn Jahre. Dabei fallen
erzielt. Um daran anzuknüpfen und um weitere Fort-
Kosten von über einer Milliarde Franken an. Der Ein-
schritte im Interesse der Patientinnen und Patienten
satz lohnt sich, denn viele neue Krebsmedikamente
zu erzielen, braucht es in verschiedenen Bereichen
wirken lebensverlängernd und verbessern die Le-
Anpassungen von Strukturen und Prozessen. Dazu
bensqualität der Patientinnen und Patienten. Die
gehört der rasche Zugang zu neuen Medikamenten
jüngste Generation Krebsmedikamente verursacht
und den damit verbundenen Therapiemöglichkeiten.
viel weniger Nebenwirkungen. Diese Art Medikamen-
Obschon Krebspatienten in der Schweiz grössere
te attackiert lediglich die Krebszellen, die gesunden
der Schweiz insofern vorbildlich, als sie von Anfang an
die kooperative und kollaborative klinische Forschung
unterstützt hat. Den damaligen Gründern ist klar geworden, dass man klinische Forschung nicht an einem
einzelnen Spital betreiben kann, wenn man Ergebnisse bekommen will, die auch für eine grössere Patientengruppe Gültigkeit haben. Insofern ist die klinische
Krebsforschung gut organisiert und gut strukturiert.
Prof. Dr. med. Richard Herrmann,
Allerdings setzt die Grösse der Schweiz diesen Aktivi-
Präsident Oncosuisse
täten Grenzen. Das ist in den vergangenen Jahren
zum Problem geworden. Es ist notwendig, viele Stu-
Prof. Herrmann, wie beurteilen Sie den Stand der kli-
dien zu internationalisieren, um in vernünftiger Zeit ge-
nischen Forschung in der Schweiz?
nügend grosse Patientenzahlen zu erhalten.
Die klinische Krebsforschung in der Schweiz hat eine
Tradition von fast 50 Jahren. Sie ist entstanden durch
Ist die klinische Forschung in der Schweiz darauf vor-
die Zusammenarbeit mit US-amerikanischen Studien-
bereitet?
gruppen, die wahrscheinlich die längste Tradition der
Ja, die SAKK selbst hat in verschiedenen Bereichen
kooperativen klinischen Forschung weltweit haben.
Studien initiiert, die mit andern Ländern zusammen
Daraus ist dann die Schweizerische Arbeitsgemein-
durchgeführt wurden, oder sie beteiligt sich an Initia-
schaft für klinische Krebsforschung (SAKK) entstan-
tiven von andern Ländern. Das ist also ein Geben und
den, gegründet 1965. Die SAKK ist im Medizinbetrieb
Nehmen.
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Bis ein neues Krebsmedikament entwickelt ist und marktfähig wird, dauert es rund zehn Jahre. Der Einsatz lohnt sich, denn
viele neue Krebsmedikamente wirken lebensverlängernd und verbessern die Lebensqualität der Patienten.
Zellen werden geschont. Dabei werden die Patienten-
erforderlich, weil bei seltenen Krankheiten, also bei
gruppen immer kleiner. Jede fünfte Krebsform ist eine
sehr kleinen Patientengruppen, die wirtschaftlichen
seltene Krankheit. Die letzten Jahre zeigten jedoch,
Perspektiven für Forschung und Entwicklung massiv
dass hier eindeutig zu wenig geforscht wird. Einer-
eingeschränkt sind. Im schlimmsten Fall würden sol-
seits fehlen die Anreize des Gesetzgebers. Sie sind
che Medikamente gar nicht mehr entwickelt, weil sich
Hat die klinische Forschung Bedürfnisse im Zusam-
streng sind. Wenn es aber darum geht, über «alte»
menhang mit solchen Studien?
Medikamente, deren Nebenwirkungen man eigentlich
Ja, wir scheitern gelegentlich oder auch häufiger an
gut kennt, neue Erkenntnisse zu gewinnen, indem
den regulatorischen Hürden. Der Aufwand für solche
man diese Medikamente etwa bei andern Erkrankun-
Studien ist administrativ riesig. Die Regulation von
gen einsetzt, also beim sogenannten «off-label use»,
staatlicher Seite ist extensiv geworden. In der Schweiz
dann ist nicht zu verstehen, warum so extensive re-
ist die Swissmedic dafür verantwortlich. Die Regulie-
gulatorische Einschränkungen gemacht werden.
rungswut ist ein generelles Problem für die klinische
Forschung. Hintergrund ist, zu verhindern, dass Men-
Ist das in der Schweiz ausgeprägter als im vergleich-
schen irgendwie zu Schaden kommen. Aber die an-
baren Ausland?
Das ist in der Schweiz schon nicht ausgeprägter. Aber
«Die klinische Krebsforschung in
der Schweiz ist gut organisiert
und gut strukturiert. Allerdings setzt
die Grösse der Schweiz diesen
Aktivitäten Grenzen.»
dennoch ist alles schwieriger als im Ausland, weil in
der Schweiz die politischen Strukturen anders sind:
Kantone sind relativ kleine Einheiten, es gibt kantonale Ethikkommissionen und anderes mehr.
Nun wird das Humanforschungsgesetz das Prinzip
der Leitethikkommissionen bringen.
dere Seite ist, dass man damit auch Forschung ver-
Ja, schon. Aber deswegen werden die andern Ethik-
hindern kann. Beim Einsatz neuer Medikamente kann
kommissionen nicht einfach nichts mehr zu sagen ha-
man noch verstehen, wenn die Regulierungen sehr
ben. Die Leitethikkommission wird ein Gesuch zwar
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Nationales Krebsprogramm für die Schweiz 2011–2015
die Kosten für Forschung und Entwicklung nicht über
In diesem Zusammenhang gewinnen die Biobanken
die Verkäufe der Medikamente amortisieren lassen.
laufend an Bedeutung. In Biobanken werden Organ-,
Andererseits will die Schweizer Bevölkerung den Zu-
Gewebe-, Blut- oder Zellenproben gesammelt, eben-
gang zu solchen Medikamenten. Im gfs-Gesund-
falls DNA. Gleichzeitig werden Informationen über
heitsmonitor der Interpharma haben sich 83 Prozent
den Spender aufbewahrt. Beide Datensätze sind von
der Befragten für die Übernahme der Kosten bei sel-
erheblichem Wert, um Grundlagen aus der Laborfor-
tenen Krankheiten durch die Krankenversicherer aus-
schung mit Krankheitsverläufen verknüpfen zu kön-
gesprochen. Der Entscheid zur Kostenübernahme
nen.
soll primär aufgrund medizinischer Überlegungen und
8
unter Berücksichtigung der Lebensqualität der Pati-
Biobanken liefern wichtige Daten, um die sogenann-
entinnen und Patienten gefällt werden (91% der Be-
ten Biomarker ausfindig zu machen. Dank einer
fragten).
grossen Zahl Proben lassen sich Häufigkeiten von
Krankheitskriterien eruieren. Die entsprechenden Er-
Trend zu individueller, massgeschneiderter
kenntnisse sind eine wichtige Basis für Krebsthera-
Behandlung
pien. Zur «massgeschneiderten» Krebsbehandlung,
Die klinische Krebsforschung erzielte in jüngster Zeit
wie sie in der Schweiz häufiger werden soll, gehört
besonders dort Fortschritte, wo dank besserer Detail-
schliesslich der Aufbau lückenloser Behandlungspfa-
kenntnis die Behandlung exakter auf spezifische An-
de (pathways). Patienten mit derselben Krebsart oder
griffspunkte bei der Krebsentstehung ausgerichtet
ähnlichen Kombinationen begehen möglicherweise
werden kann. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine ziel-
völlig unterschiedliche – individuelle – Behandlungs-
gerichtete Therapie wirkt, lässt sich an sogenannten
pfade. Erst die lückenlose Dokumentation der einzel-
Biomarkern ablesen.
nen Behandlungsschritte liefert mittel- bis langfristig
nützliches Wissen für alle Krebskranken. Und weil
Durch Zuordnung der Patienten in Subgruppen, die
Krebs immer stärker Charakteristika chronischer
am besten von einer bestimmten Therapie profitieren,
Krankheiten zeigt, gilt alles in allem: Nur qualitativ ein-
werden jedoch die Patientenzahlen immer kleiner, die
wandfreie Daten und stete Innovation helfen, für
für entsprechende Studien geeignet sind.
Krebskranke die beste und gleichzeitig auch die kos-
hauptsächlich begutachten, aber die regionalen
Das können wir überwinden, indem wir uns entspre-
Ethikkommissionen werden immer noch ein Wort mit-
chend organisieren. Dafür brauchen wir Fachleute,
zureden haben – z.B. ob ein lokaler Untersucher als
die mit den Strukturen anderer Länder vertraut sind.
ausreichend kompetent eingeschätzt wird, um eine
Die SAKK musste dafür eine Stelle schaffen.
klinische Studie zu machen. Ausserdem muss z.B.
jede noch so geringe auch organisatorische Ände-
Neben der Zusammenarbeit mit andern Ländern in-
rung eines Studienprotokolls jeder Ethikkommission
nerhalb einer Studie gibt es auch die Zusammenar-
gemeldet und von ihr genehmigt werden.
beit mit Labors.
In der klinische Krebsforschung geben wir uns seit
Aber es wird einfacher werden?
Jahren Mühe, die Patienten nicht nur zu behandeln
Zum Teil sicher. Aber bleiben wird der Konflikt um
und festzuhalten, was die Behandlung am Patienten
die Abgrenzung zwischen Ethikkommissionen und
bewirkt, sondern wir stellen uns die Frage, warum et-
Swissmedic. Swissmedic versucht häufig, noch
was passiert oder nicht passiert. Dafür sind wir ver-
Kompetenzen von Ethikkommissionen zu überneh-
mehrt dazu übergegangen, Tumorproben von diesen
men. Sie versucht, die Ethikkommissionen zu kont-
Patienten zu untersuchen. Wir gewinnen im Verlauf
rollieren. Letztere sind darüber natürlich nicht immer
einer Behandlung erneute Tumorproben, um zu se-
glücklich, während Swissmedic behauptet, es fehle in
hen, warum eine Therapie wirkt und warum nicht. So
den Ethikkommissionen an Kompetenz.
haben wir mehr Informationen, die uns helfen, noch
bessere Therapien zu entwickeln. Es ist der Weg,
Behindert der administrative Aufwand auch die inter-
den wir als «translational research» bezeichnen. Die
nationale Zusammenarbeit?
enge Zusammenarbeit zwischen der klinischen For-
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tengünstigste Behandlung aufzubauen. Der Behandlungsqualität förderlich ist ferner die Bildung kleiner
400 verschiedene Krebsarten
Patientengruppen, deren Daten jedoch vergleichbar
n Der Begriff Krebs steht für rund 400 verschie-
sein müssen. Dies wiederum setzt eine hohe Vernet-
dene Krebsarten, denn bösartige Tumore können
zung der nach wie vor regional stark fragmentierten
sich aus beinahe jedem Zelltyp des menschlichen
Krebszentren und deren Spezialisten voraus. Die
Körpers entwickeln. Jede Krebsart entsteht an-
Pharmaindustrie unterstützt daher die Forderung im
ders und muss einzeln betrachtet, diagnostiziert
nationalen Krebsprogramm, dass eine optimale Ver-
und behandelt werden. Je mehr die Forscher über
netzung erzielt werden muss: Strukturen und Formen
die Entstehung von Krebs entdecken und wissen,
der Zusammenarbeit zwischen Universitäten, Indust-
umso mehr zeigt sich, wie komplex diese Erkran-
rie, regionalen und kantonalen Zentren sind zu opti-
kung ist. Derzeit sind Forscher weltweit daran, die
mieren; Schwerpunkte sind zu setzen und kritische
«genetischen Fingerabdrücke» der verschiedenen
Grössen anzustreben.
Krebsarten zu entziffern, um selbst geringste genetische Abweichungen zwischen zwei Krebsar-
Im Zusammenhang mit den Biobanken gibt es ge-
ten feststellen zu können. Für Ärzte und Patienten
mäss Behörden und Spezialisten allerdings noch zu
wird das Vorteile bringen, denn mit diesem Wissen
viele ungeklärte Fragen und Hürden. Mit der Möglich-
können Tests entwickelt werden, die rasch und
keit, dass ein Patient, der Biomaterial zur Verfügung
präzise bestimmen, an welchem Krebstyp der Pa-
stellt, seine Zustimmung zu einer Verwendung im In-
tient leidet. Und eine präzise Diagnose ist der
teresse der Krebsforschung erteilt, ist eine langwieri-
Schlüssel zu einer erfolgreichen Behandlung.
ge Diskussion vorangekommen. Noch sind aber beim
Datenschutz viele Fragen offen, die bisher sehr unterschiedlich beurteilt und eher problemzentriert anstatt
gunsten der Forschung, die der entsprechenden Pa-
lösungsorientiert diskutiert werden. Gemäss den
tientengruppe dient. Hierbei sei eine sensible, aber
Ausführungen im Krebsprogramm ist der Schutz in-
nicht forschungsfeindliche Praxis zu entwickeln, die
dividueller Daten abzuwägen gegenüber der Erhe-
den Wunsch des Patienten mitberücksichtige. Im
bung von Gesundheits- und Behandlungsdaten zu-
Weiteren müsse klar, verbindlich und langfristig gültig
schung und dem Labor ist ein wichtiger Schnittpunkt.
Welchen Stellenwert hat die Zusammenarbeit mit der
Er braucht Verständnis bei den behandelnden Ärz-
pharmazeutischen Industrie?
ten, aber auch bei den Patienten und den Ethikkom-
Sie ist sehr wichtig. Sie passiert auf verschiedenen
missionen, die nach dem Nutzen fragen, wenn wir
Ebenen. Da gibt es die primären Industrieinteressen.
einem Patienten nach einer erfolgreichen oder auch
Das heisst, die Industrie organisiert die Studien allei-
nicht erfolgreichen Therapie nochmals eine Tumor-
ne. Dann gibt es aber auch die Interessen der klini-
«Die enge Zusammenarbeit zwischen der klinischen Forschung
und dem Labor ist ein wichtiger
Schnittpunkt. Es braucht Verständnis bei den behandelnden Ärzten,
aber auch bei den Patienten und
den Ethikkommissionen.»
schen Forscher. Sie machen Studien, die für die Industrie nicht höchste Priorität haben, aber dennoch
interessant sind. So kommt es immer wieder zu gemeinsamen Projekten. Dabei kann es um erweiterte
Anwendungen oder um seltenere Erkrankungen gehen oder um die Anwendungen neuer Substanzen in
Kombination mit alten.
Seltene Krankheiten oder Untergruppen bei gewissen
Krankheiten sind ja in der Schweiz in der jüngsten Ver-
probe entnehmen. Für den einzelnen Patienten ist
gangenheit verstärkt zum Thema geworden.
das wahrscheinlich nicht nützlich, aber es führt zu
In diesem Zusammenhang ist es wichtig, über den
einem enormen Erkenntnisgewinn. Wir erleben mehr
Patentschutz zu sprechen. Denn gerade in der Onko-
und mehr Offenheit und Verständnis für solche Un-
logie gibt es Bereiche, wo mehr und mehr Untergrup-
tersuchungen.
pen von Erkrankungen identifiziert werden, die ganz
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Nationales Krebsprogramm für die Schweiz 2011–2015
geregelt sein, wer Zugang zu den Proben erhält und
zung ausgerichteten Krebsforschung im Hintertref-
über deren Verwendung entscheidet. Die Klärung sol-
fen. So stark, dass heute internationale Fachleute
cher Fragen ist für den Erfolg der Krebsforschung in
bereits schliessen, die Schweiz behandle zu wenig
der Schweiz ebenso entscheidend wie es die regula-
Krebspatienten in klinischen Studien. Das Ziel des vo-
torischen Rahmenbedingungen als Ganzes sind.
rangegangen Krebsprogrammes 2005 bis 2010,
Letztere schränken die medizinische Forschung, so
durch koordinierte Strukturen und genügend Ergeb-
auch die Krebsforschung, immer stärker ein.
nisse aus der Grundlagenforschung die Rahmenbedingungen für die diagnostizierenden Ärzte zu ver-
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Laborforscher und klinische Forscher
bessern und so auch die klinische Forschung zu stär-
zusammenbringen
ken, wurde also nicht erreicht. Dass in den letzten
Im Kampf gegen Krebs ist es weiter unerlässlich, die
Jahren die Anforderungen an klinische Studien von
bisher eher unterentwickelte translationale Forschung
Behördenseite massiv verschärft wurden, erschwert
voranzubringen. Dafür müssen die Kontakte und die
die Situation – und die Forschungsfinanzierung – zu-
Zusammenarbeit von Labor-(Grundlagen)-Forschen-
sätzlich.
den und den klinisch Forschenden in den Spitälern
verbessert werden. Denn translationale Forschung
Obschon die Forderung unpopulär erscheinen mag:
zielt auf eine zentrale Errungenschaft: Sie zeigt, wo
Es braucht eine stärkere nationale Steuerung. Nur so
und wie Ergebnisse der Grundlagenforschung so
können die Nachteile der kleinräumigen Strukturen
schnell als möglich klinisch anwendbar gemacht wer-
überwunden werden. Die klinische Krebsforschung
den können. In der Krebsbehandlung ist translationa-
muss administrativ entschlackt und finanziell stärker
le Forschung besonders wichtig, da diese vom Pati-
gestützt werden. Strukturen und Formen der Zusam-
enten rasch wieder zurück ins Labor führt.
menarbeit zwischen Universitäten, Industrie, regionalen und kantonalen Zentren müssen verbessert
Klinische Forschung stärken statt schwächen
werden. n
Die Situationsanalyse zeigt: Die Schweiz ist im Bereich der klinischen Forschung generell und ganz besonders in der aufwendigen und auf starke Vernet-
spezielle Behandlungen erfordern. Nehmen wir etwa
Bei einem guten Ergebnis registrieren wir das Medi-
eine Untergruppe, die nur vier Prozent der Lungen-
kament. Um das Ergebnis zu bestätigen, müssen da-
krebserkrankungen ausmacht. Wenn ich da ein Me-
für nach der Registrierung noch Daten gewonnen
dikament unter den gleichen Anforderungen entwick-
werden. So reduzieren wir die Entwicklungskosten.
le wie ein Medikament für alle Lungenkrebserkrankungen, brauche ich für die Studie zunächst einmal
Und die zweite Möglichkeit?
wesentlich länger. Sollte ich ein nützliches Produkt
Man könnte die Patentlaufzeit verlängern, damit die
entwickelt haben, würde ich keinen so grossen Markt
Entwicklung solcher Medikamente auch rentieren
haben, um die Entwicklungskosten wieder hereinzu-
kann. Sonst laufen wir Gefahr, dass solche Projekte in
holen. Wir laufen also die Gefahr, dass solche Medi-
der Schublade landen. Denn die Pharmaindustrie in-
kamente gar nicht entwickelt werden.
vestiert das Geld ihrer Eigentümer. Und die sind frei zu
investieren oder nicht. Bei solchen Überlegungen
Das ist ja kaum wünschenswert. Wie kann das ver-
müssen wir uns immer an konkrete Beispiele halten.
hindert werden?
So gibt es seltene Krankheiten, von denen wir schon
Wenn die Industrie für eine so kleine Gruppe von Pa-
lange wissen, dass sie selten sind. Dann gibt es Er-
tienten Medikamente in ihrer Pipeline hat, dann haben
krankungen, die eigentlich häufig sind, von denen wir
wir als Gesellschaft zwei Möglichkeiten, dem zu be-
nun aber gelernt haben: Das ist gar keine einheitliche
gegnen. Wir können die Anforderungen für die Ent-
Erkrankung. Das ist eine Gruppe von verschiedenen
wicklung eines solchen Medikaments reduzieren. Wir
voneinander molekular unterscheidbaren Erkrankun-
verlangen keine grossen Phase-III-Studien, sondern
gen, für die es ganz unterschiedliche Therapien
wir sind zunächst mit einer Phase-II-Studie zufrieden.
braucht. n
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Mit dem guten Beispiel vorangehen
Krebs wird zur häufigsten Todesursache werden. Deshalb kommt diesem vielschichtigen
Krankheitsbild in Forschung und Entwicklung grösste Aufmerksamkeit zu. Die Fortschritte
auch in der Schweiz bei Prävention, Früherkennung und Behandlung sind beträchtlich.
Doch verlangt die wachsende Zahl von Krebserkrankungen eine Konzentration der Kräfte.
Für all das müssen die Rahmenbedingen stimmen.
Dazu gehören
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• ein regulatorisches Umfeld, das fördert statt
behindert
• eine intensive möglichst reibungslose
Zusammenarbeit zwischen der akademischen
Forschung und der Industrie
• das Bilden von Forschungsschwerpunkten
Thomas Cueni, Generalsekretär Interpharma
• Zentren, welche aufgrund ihrer Kompetenz und
Die Fortschritte im Kampf gegen Krebs sind unüber-
• eine noch stärkere Qualitätsausrichtung und
sehbar: Die Medikamente der jüngsten Generation
Eingehen auf die Bedürfnisse der Patienten
Grösse diese Bezeichnung auch verdienen
ermöglichen eine individuellere Behandlung, Patientinnen und Patienten haben weniger Nebenwirkun-
Das Nationale Krebsprogramm 2011–2015 erhebt all
gen zu erdulden als etwa noch vor 20 Jahren. Daraus
diese Forderungen und andere, welche die forschen-
resultieren zusätzliche Lebensjahre bei besserer Le-
de pharmazeutische Industrie teilt. Das Programm ist
bensqualität. Auch bei der Prävention sind Erfolge
ein Beispiel für vorbildliche Arbeit im Gesundheitswe-
nicht zu verkennen. Rauchen, die weitaus häufigste
sen. Unter der Leitung des Dachverbandes Onco­
Ursache für Lungenkrebs, ist seit Jahren rückläufig.
suisse haben alle wichtigen Organisationen und Pro-
Ernährung und Bewegung haben im Bewusstsein der
tagonisten der Krebsforschung und -medizin ihren
Bevölkerung einen festen Platz. Auch die Früherken-
Beitrag geleistet. Das Ergebnis ist nicht einfach ein
nung gewinnt endlich an Stellenwert.
Buch mit fast 200 Seiten. Das Ergebnis sind eine Bestandesaufnahme, Schwerpunkte und Prioritäten für
Dennoch ist die Schweiz in den Bereichen Prävention
die nächsten Jahre, Handlungsoptionen und vor al-
und Früherkennung bestenfalls Durchschnitt. Der
lem Ausdruck des Willens, einen Beitrag zur Quali-
Nachholbedarf ist beträchtlich. In der Behandlung er-
tätssteigerung in der schweizerischen Gesundheits-
zielen unsere Ärzte zwar gute Ergebnisse, weitere
versorgung und zur Verteidigung des Spitzenplatzes
Verbesserungen sind aber unerlässlich. Denn mit
der Schweiz in der onkologischen Forschung zu leis-
steigendem Alter nimmt das Krebsrisiko zu und die
ten. Dabei versucht das Programm, die Nachteile der
Schweizerinnen und Schweizer haben das Glück ei-
föderalistischen Strukturen zu überwinden, setzt na-
ner sehr hohen und weiter steigenden Lebenserwar-
tionale Gesundheitsziele für die Onkologie und ist in
tung. Gefordert ist aber auch die Pharmaindustrie:
diesem Sinn für die Schweiz beispielhaft. n
Zwar sind dank Medikamenten manche Krebsarten
mittlerweile heilbar und andere mindestens erträglich
geworden. Das Feld für Forschung und Entwicklung
ist allerdings noch weit. Weltweit wird daher an nicht
weniger als 1300 Wirkstoffen gegen Krebs geforscht.
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Impressum
Herausgeber: Thomas B. Cueni, Roland Schlumpf
Redaktion: Interpharma
Layout: Continue AG, Basel
Fotos: istockphoto und Novartis Media Library
Interpharma
Postfach, 4003 Basel
Telefon061 264 34 00
Telefax 061 264 34 01
[email protected]
www.interpharma.ch
pharma:ch 1/11
Pharma:ch ist der Newsletter der Interpharma, des Verbandes der
­forschenden pharmazeutischen Firmen der Schweiz, Actelion, Merck
Serono, Novartis, Roche, Amgen, Bayer, Cilag und Vifor.
Diese Plattform will durch differenzierte Information Verständnis für die
medizinisch-pharmazeutische Forschung und Entwicklung in der Schweiz
schaffen.
Hintergrundinformationen und Stellungnahmen finden Sie unter
www.interpharma.ch.
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