INHALTSVERZEICHNIS I EDITORIAL 3 II ZUR DIDAKTIK UND METHODIK POLITISCHER BILDUNG Hans-Joachim Fichtner: Grußwort zum 10. Politiklehrertag 4 Prof. Rolf Wernstedt: "Politische Bildung - wieder einmal in der Krise?" 6 Vorbemerkung zum Parlamentsrollenspiel 12 Die Beiträge zum Parlamentsrollenspiel 14 Arbeitsgruppe: Lokale Demokratie und Politik für Schülerinnen und Schüler verständlicher und erfahrbarer machen 36 III ZUM ZEITGESCHEHEN Wilhelm Wortmann / Sami Hussein: Filistina 2002 Palästinatage in der Region Hannover 43 Wilhelm Wortmann: Impulsgedanken zur Eröffnung der Palästinatage 2002 45 Fritz Erich Anhelm: Politische Bildung und religiöse Orientierung 51 Behrouz Khosrozadeh: Religion und Politik als Zwillinge. Der Islam: eine Religion ohne funktionale Ausdifferenzierung 63 Wolf D. Ahmed Aries: Zivilreligion - einige Anmerkungen aus muslimischer Sicht 69 Stefan Weigand: Freiheitsrechte und die NS-Justiz in einer Wanderausstellung des Niedersächsischen Justizministeriums 75 Leserbrief zur Rede des Niedersächsischen Justizministers zur Eröffnung der Wanderausstellung "Justiz im Nationalsozialismus" 80 IV AUS UNTERRICHTSPRAXIS; AUS- UND FORTBILDUNG Hans-Dietrich Zeuschner: Wirtschaftskunde in der Berufsschule d 82 INHALTSVERZEICHNIS V REZENSIONEN, NACHRICHTEN, VERANSTALTUNGEN, TERMINE Rezension zu "Kurt-Peter Merk: Die Dritte Generation Generationenvertrag und Demokratie - Mythos und Begriff" von Hans-Joachim Fichtner 92 Rezension zu "Grillmeyer/Ackermann: Erinnern für die Zukunft" von Hagen Weiler 95 Rezension zu "Klein/Thränhardt: Gewaltspirale ohne Ende? - Konfliktstrukturen und Friedenschancen im Nahen Osten" von Wilhelm Wortmann 98 Rezension zu "Fatima Mernissi: Islam und Demokratie. Die Angst vor der Moderne" von Wilhelm Wortmann 100 9. Bundeskongress für politische Bildung 102 11. Politiklehrertag in Niedersachsen 102 Nachruf auf Wolfgang Hilligen 103 VI DVPB-INTERN Bericht über die Mitgliederversammlung am 04.09.02 105 Vordruck zur Mitgliedschaft (Beitrittserklärung) 108 Verzeichnis der Autoren 109 Impressum -2- EDITORIAL I EDITORIAL Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Heft dokumentiert den 10. Politiklehrertag, den wir im September 2002 im Niedersächsischen Landtag veranstaltet haben. Diese Tagung war ein besonderer Höhepunkt unter den jahrzehntelangen Aktivitäten unseres Landesverbandes. Im Mittelpunkt stand ein Parlamentsrollenspiel mit mehr als 170 Schülerinnen und Schülern unter Leitung von Landtagspräsident Prof. Wernstedt, das landesweit wochenlang in den Schulen vorbereitet worden war und dann auch vorzüglich klappte. Noch nie stand unser Landesverband so sehr in der Öffentlichkeit. Vom Wohlwollen des Landtagspräsidenten begleitet, war die Zusammenarbeit mit der Landtagsverwaltung ausgezeichnet, Herr Dr. Enste und Herr Surborg waren sehr hilfsbereit. Aus dem Vorstand der DVPB gebührt neben dem Vorsitzenden Dr. Hans-Joachim Fichtner Dr. Michael Bax, Bernhard Bock, Roland Freitag, Bernd Leithold, Stefan Nolting, Hendrik Peitsch und Hans-Joachim Rödiger für die aufwendige Vorbereitung besonderer Dank. Geradezu begeisternd waren die Ernsthaftigkeit und das Engagement der teilnehmenden Schülerinnen und Schüler. Viele, die schließlich aus Platzmangel nicht teilnehmen konnten, hatten sich zuvor im Internet am Meinungsaustausch beteiligt. Den zweiten Themenschwerpunkt dieses Heftes bildet die Dokumentation der Palästina-Tage in der Region Hannover, die unser Vorstandsmitglied Dr. Wilhelm Wortmann im September 2002 organisiert hat. In seine Veranstaltungsreihe führt er selbst ein. Ich will dazu nur anmerken, wie wichtig es ist, in diesen Wochen und Monaten, in denen die Kriegsgefahr im Nahen Osten ständig wächst, das große Leid der Palästinenser zur Kenntnis zu nehmen und nach Wegen der Verständigung zu suchen. Im Januar dieses Jahres ist Wolfgang Hilligen gestorben, einer der großen Didaktiker der politischen Bildung, dem unser Fach viel zu verdanken hat. Auf den Nachruf von Renate Fricke-Finkelnburg in diesem Heft möchte ich ausdrücklich hinweisen. Albrecht Pohle -3- EDITORIAL Im Februar 2003 -4- 10. POLITIKLEHRERTAG II ZUR DIDAKTIK UND METHODIK POLITISCHER BILDUNG Grußwort zum 10. Politiklehrertag am 4.9.2002 in Hannover von Dr. Hans-Joachim Fichtner, Landesvorsitzendem der Deutschen Vereinigung für politische Bildung (DVPB) - Niedersachsen Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Schülerinnen und Schüler! Zur 10. Fachtagung für Politiklehrerinnen, Politiklehrer und Interessierte mit dem Thema „Schülerinnen und Schüler machen Politik“ heiße ich Sie im Namen der Deutschen Vereinigung für Politische Bildung Niedersachsen (DVPB) herzlich willkommen. Ihnen, Herr Präsident, gilt unser besonderer Dank dafür, dass wir uns hier und heute in unserem niedersächsischen Haus des Volkes versammeln dürfen, um der politischen Bildung neue didaktischmethodische Impulse aus der Schul-Praxis für die Schul-Praxis zukommen zu lassen. Neben dem Niedersächsischen Landtag sei auch unseren weiteren Kooperationspartnern für deren tatkräftige Unterstützung bei der Organisation und Finanzierung dieser Tagung herzlich gedankt: der Zentralen Einrichtung für Weiterbildung der Universität Hannover, der Initiative „n-21: Schulen in Niedersachsen online“ und der Niedersächsischen Landeszentrale für politische Bildung. Schon jetzt danke ich Herrn Landtagspräsidenten Prof. Wernstedt, den Moderatoren Dr. Beyersdorf und Dr. Wortmann von der Universität Hannover, den Leiterinnen und Leitern der verschiedenen Arbeitsgruppen sowie – last, but not least – den 170 Schülerinnen und Schülern aus verschiedenen Schulen und Regionen des Landes und ihren Politik-Lehrkräften für ihre Mitwirkung beim 10. Politiklehrertag. Herr Präsident, meine Damen und Herren, erlauben Sie mir, unsere Tagung mit drei berühmt gewordenen Fragen und Antworten aus dem Vorabend der Französischen Revolution zu eröffnen. Das folgende, von Abbé Sieyès stammende Zitat soll direkt zum ersten Tagesordnungspunkt unserer Veranstaltung führen: -5- 10. POLITIKLEHRERTAG „Was ist der Dritte Stand? – Alles. Was ist er bisher gewesen? – Nichts. Was verlangt er? – Etwas zu werden.“ Idee und Wirklichkeit der Volkssouveränität ließen sich bekanntlich nicht länger aufhalten: Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Doch ist das damit verbundene politische Grundrecht auf allgemeine Wahl („one man – one vote“) in die demokratische Realität wirklich umgesetzt worden? Kann man von einer entwickelten Demokratie sprechen, wenn wesentliche Teile des Volkes durch die altersbedingte Vorenthaltung des aktiven Wahlrechts politisch ausgegrenzt werden? Und ist es angesichts der demographischen Entwicklung in Deutschland nicht opportun, der zunehmenden Überalterung unseres Volkes durch ein zunächst indirektes, später dann direktes Wahlrecht für Kinder und Jugendliche zu begegnen? Wenn wir in Sieyès’ Fragen den Begriff „Dritter Stand“ durch „Minderjährige“ ersetzen, dann sind wir bereits mitten im visionären Thema des Parlamentsrollenspiels „Wahlalter Null ?!“. Möge der 10. Politiklehrertag das Gewinnen neuer Erkenntnisse und Einsichten befördern! Ich wünsche unserer Tagung einen guten und produktiven Verlauf! -6- 10. POLITIKLEHRERTAG "Politische Bildung - wieder einmal in der Krise?" von Prof. Rolf Wernstedt, Präsident des Niedersächsischen Landtages Vortrag beim 10. Politiklehrertag der Deutschen Vereinigung für politische Bildung, Landesverband Niedersachsen, am 04.09.2002 im Niedersächsischen Landtag Fast alle bildungspolitischen Debatten seit Dezember 2001 haben die PISA-Studie zu ihrem Bezugspunkt gemacht. Die Rezeption der Studie und vor allem der PISA-E-Studie, die einen innerdeutschen Ländervergleich zum Inhalt hat, sind ein einziger politischer Skandal. Sie zeigt, dass der Großteil der Journalisten, Politiker, Verbandsvertreter und andere Interessenvertreter die Studien entweder nicht gelesen oder nicht verstanden haben. Insofern gibt die PISA-Studie nicht nur Auskunft über 15-jährige deutsche Jugendliche, sondern auch über die politische Diskussionskultur in diesem Land. Sie ist der eigentliche Schock. Denn bevor man zu endgültigen pädagogischen Urteilen und politischen Maßnahmen schreitet, bedürfte es der Vergewisserung der methodischen und normativen Voraussetzungen der Testreihen. Dabei würde auffallen, dass in Aufnahme angelsächsischer Traditionen auf so genanntes Anschlusswissen und Basiskompetenzen Wert gelegt wird. Dieser Ansatz geht von der Annahme aus, dass es bei Beherrschung dieser Basiskompetenzen einem Menschen leichter fällt, mit neuen Informationen und Problemen konfrontiert zu werden (wie z. B. auch bei Tests), solche Informationen zu verknüpfen und Lösungen anzubieten. Die Zielrichtung dieser PISA-Tests war es, die Fähigkeit zu testen, in Zusammenhängen zu denken und komplexe Sachverhalte zu identifizieren, in Beziehung zu setzen und zu verstehen. Diese Vorgehensweise lässt sich bei den Lesetests genauso nachweisen wie bei den mathematischen und naturwissenschaftlichen Aufgaben. Genau betrachtet nehmen die PISA-Macher damit eine Sichtweise ein, die die politische Bildung zu ihrem Grundprinzip hat. Unbestritten hat es bisher zu den Grundzielen der politischen Bildung gehört, politische Urteilsfähigkeit zu befördern und, wenn möglich, Handlungsbereitschaft und den Willen zur demokratischen -7- 10. POLITIKLEHRERTAG Einmischung zu ermutigen. Dieses setzt aber voraus - hierin sind sich Wissenschaft, Pädagogik und Politik einig -, dass Sachverhalte ermittelt, Probleme beschrieben und evtl. Lösungen erarbeitet werden. Dabei ist auch gerade in der Politik auf Absichten, Interessen, Wirkungen und Folgewirkungen zu achten. Insofern ist politische Bildung wie Politik selbst ein Unterfangen mit höchsten intellektuellen Ansprüchen. Das Image der Fächer, die politische Bildung zum Inhalt haben, ist anders. Dies liegt vor allem an den vorrationalen Komponenten des Politischen: den normativen politischen Grundhaltungen und den um Machterwerb und Machterhalt sich gruppierenden Kräften sowie der medialen Verarbeitungen politischen Geschehens. Ich sehe gegenwärtig und strukturell drei Probleme, mit der sich politische Bildung auseinander setzen muss, bevor sie zu methodischen und didaktischen Überlegungen schreitet: 1. Wir wissen es, und die jüngste Shell-Studie hat es demonstrativ hervorgehoben, dass junge Menschen in Deutschland (zwischen 15 und 25) mehrheitlich mit Fleiß und Entschiedenheit an ihrer Karriere und dem eigenen Fortkommen arbeiten. Dies geht einher mit einer ziemlich deutlichen Abkehr von der Politik, die bis zur Verachtung reicht. Von der Politik wird keine Lösung eigener oder gar weltweiter Probleme erwartet. Die Forscher sprechen sogar von der egoistischsten Generation seit dem 2. Weltkrieg. Nimmt man dazu noch die davor liegende Generation, die sich in Florian Illies Beschreibung der "Generation Golf" ein eigenwilliges Selbstportrait geliefert hat, dann haben wir es offenbar mit einem manifesten und dicken Problem zu tun, nämlich der Auffassung, sich auf Politik einzulassen sei unnütz, stressig und sogar verächtlich. Es macht sich eine Konsumentenhaltung gegenüber der Politik breit, die jede Inanspruchnahme von Gütern und Dienstleistungen, die politisch vermittelt sind, als selbstverständlich ansieht, aber dann, wenn sie ausbleiben, den Unmut über die Politik verstärken. Es ist unklar, ob hierin eine innere Aushöhlung der Demokratie zu sehen ist oder dies sogar Ausdruck einer inneren Stabilität der Verhältnisse sein könnte, wie in den Vereinigten Staaten diskutiert wird. Die politische Bildung muss sich fragen lassen, ob sie in den vergangenen Jahrzehnten versagt hat oder selbst nur Ausdruck der Verhältnisse ist. -8- 10. POLITIKLEHRERTAG 2. Der Befund der Generation als einer egoistischen steht in starkem Kontrast zu anderen Beobachtungen. Zeichen elementarer Hilfsbereitschaft, spontanen Mitleids und aufopfernden Engagements sind uns in den letzten Wochen vor Augen geführt worden. Jugendliche haben in fast unglaublich strapaziösen Einsätzen geholfen, die Flut der Elbe und ihre Folgen zu bekämpfen. Dieses ist aber nur scheinbar eine Überraschung. Man konnte bereits in den letzten Jahren beobachten, dass sich Jugendliche in konkreten Projekten, Bürgerinitiativen, Hilfsaktionen für die Dritte Welt oder Umweltaktivitäten durchaus einbringen und Zeit investieren. Diese Art als politisch zu bezeichnen, zögere ich sehr. Ich möchte dies eher als eine grundsätzliche Bereitschaft zu Engagement werten, die durchaus abgerufen werden kann, wenn die Ziele erreichbar und die Zwecke einsichtig sind. Es kommt hierin eine sehr altruiistische und sympathische Grundhaltung zum Vorschein, die in ihrem ehrlichen Ansatz häufig etwas Rührendes und zugleich Gefährliches hat. Die Zielgerichtetheit (bei Katastrophen gut nachvollziehbar) zeigt die Forderung nach Effektivität; sobald sich allerdings bei dem Durchsetzen eines Projektes Widerstand ergibt oder die Problembeobachtung insgesamt widerständig ist, finden sich auch Zeichen von Ungeduld und zuweilen von Rechthaberei. Die langfristige Investition von Zeit ist das eigentliche Problem. Die Jugend ist ansprechbar, bindet sich aber schwer. Sie ist politisch nur im Potentialis. Die Denk- und Handlungsweise, die hier gilt, ist die der organisierten Zivil- oder Bürgergesellschaft. Ohne die Bereitschaft zur Bindung allerdings wird sie porös. 3. Denn Politik ist eigentlich noch etwas Anderes. Sie hat zur Voraussetzung ihrer Wirksamkeit ein Bewusstsein von den Zusammenhängen und der Komplexität des zu Bearbeitenden. Hermann Gieseke hat in der 1. Ausgabe seiner Didaktik der politischen Bildung zu Recht darauf hingewiesen, dass die Politik das Reich des noch nicht Entschiedenen sei. Er zog daraus die Schlussfolgerung, dass die Konflikte, die bei zur Entscheidung anstehenden Sachfragen aufbrechen, der didaktische Anknüpfungspunkt für die pädagogische Bearbeitung sein müsse. Ich halte dies nach 35 Jahren aktiver Politik für immer noch gültig. Es muss aber um einen entscheidenden Gedanken erweitert werden: Politische Entscheidungen müssen immer das Ganze im -9- 10. POLITIKLEHRERTAG Blick haben. Auch dann, wenn einseitig Interessen durchgesetzt werden sollen, müssen diese auf ihre Vermittelbarkeit mit einem gedachten Gemeinwohl abgeklopft werden (z. B. Steuersenkungen oder -erhöhungen, Waffenexporte, Jugendaustausch, Hochbegabtenförderung, usw., usw.). Die konkreteste und zugleich anstrengendste Form der ganzheitlichen politischen Betrachtung ist die Aufstellung und Diskussion des öffentlichen Haushalts (Gemeinde, Land, Bund). Ich bin inzwischen der Überzeugung, dass es keinen politischen Unterricht mehr geben dürfte, der nicht mindestens 1 x ausführlich eine Haushaltsdebatte diskutiert, oder noch besser simuliert. Jede Haushaltsberatung ist gleichsam ein PISA-Test. Mitdenken, Mitdiskutieren und evtl. Mithandeln kann verantwortlich nur geschehen, indem man die eigenen Auffassungen und Interessen anderen, evtl. ebenso einsichtigen und nachvollziehbaren Interessen des Anderen gegenüberstellt und daran den Wert oder die Relativität der eigenen Auffassung erlebt. Die Überlegungen zum Egoismus, dem Altruismus und dem Politischen allgemein haben einen spezifischen Aspekt, unter dem wir in Deutschland leben und arbeiten, noch nicht im Blick: die Demokratie. Politik gibt es immer, zu allen Zeiten und in allen Formen. Aber Demokratie gibt es erst seit Kurzem. Sie ist das Produkt eines jahrhundertelangen Freiheitsprozesses und findet bei uns ihren Ausdruck in der Festschreibung von Grundwerten und institutionalisierten Verfahrensregeln. Der demokratische Grundgedanke geht von der Freiheit des Einzelnen und seinen prinzipiellen Mitwirkungsrechten an den öffentlichen Angelegenheiten aus. Der Ausgangspunkt von der Freiheit des Einzelnen bedeutet im Übrigen, dass jede Einschränkung der Freiheit gesetzlich begründet werden muss. Da es in der Politik um das Unvollendete, Vorläufige geht, in der Urteile, Interessen, Wahrheit und Täuschung, Kompromiss und Herrschaft gleichermaßen zusammenwirken, wollen die demokratischen Verfahrensregeln zweierlei erreichen: Schutz vor überfallartigen Veränderungen durch eine angemessene Zeit der Beratung und Erörterung und die Möglichkeit zur Einmischung eines jeden Einzelnen. - 10 - 10. POLITIKLEHRERTAG Diese Prozesse sind natürlich strapaziös: der/die Einzelne stoßen auf gegenläufige Interessen, die so einsichtige Forderung muss erst noch Anhänger gewinnen, man muss um Mehrheiten kämpfen usw. Das kostet Zeit und ist auch nicht immer effektiv. Denn Demokraten sind Laien und treffen manchmal ungeübt aufeinander. Unter dem Gesichtswinkel des wachsenden Egoismus (mich interessiert nur, was mir nützt) ist die Demokratie eine spezifische Kränkung des selbstverliebten Ego. Sie zwingt jeden, den mit dem reinen Herzen genauso wie den mit den ausgebufften Interessen, an einen Tisch, um Kompromisse zu suchen und einen oft ungeliebten Konsens zu ertragen. Die Demokratie zwingt zur Ein- und Unterordnung. Das Beteiligungsversprechen der Demokratie (ganz gleich ob repräsentativ oder direkt) führt zu Relativierung der eigenen Rechthaberei. Demokratie ist insofern Chance und Abweisung zugleich. Gerade Jugendliche mit ihren Idealvorstellungen von der Gerechtigkeit der Welt mögen diesen Mechanismus nicht für sich gelten lassen. In Parenthese möchte ich hinzufügen, dass ich gerade unter Lehrerinnen und Lehrern eine solche Idealisierung von politischen Interessen finde, die nicht zu einer sachgerechten politischen Urteilsfindung führen. Aber auch die Verweigerung stellt, wie wir wissen, eine politische Haltung dar. Sie vermehrt unlegitimierte Entscheidungen. Politikverdrossenheit ist deswegen Unsinn, sie ist im Kern Demokratieverdrossenheit. Sie verlangt von den angeklagten kritisierten Politikern ständig, was sie selbst zu geben nicht bereit ist: nämlich die Übernahme der Verantwortung für das Ganze. Es führt kein Weg daran vorbei: a) Die anerkannten Institutionen garantieren die individuellen Freiräume und die individuelle Entfaltung, (z. B. Polizei, Justiz, Bildungseinrichtungen), sie garantieren sie nicht immer. b) Die verachteten Institutionen begünstigen nicht kontrollierte Macht (Medien, mafiotische Verhältnisse, Betrüger). c) Bewusste Überzeugungen verlässlich agiert wird. stabilisieren Institutionen, weil d) Bewusste unreflektierte Meinungen sind ambivalent und gleichsam "glitschig" und können sowohl Problemanzeiger als auch totalitäre Tendenzen beinhalten. Als Menschen, die sich der politischen Bildung verschrieben haben, - 11 - 10. POLITIKLEHRERTAG muss man von der einfachen Beobachtung ausgehen, dass auch das Leben der Schülerinnen und Schüler und Jugendlichen nicht vom System ausgeht, sondern von den konkreten Lebenserfahrungen und Hoffnungen. Es wäre allerdings ungenügend, das Demokratiegebot nur für die großen Institutionen gelten zu lassen. Auch die Schlichtung täglicher Konflikte, das Binnen- und Kleinklima einer Schule, im Lehrer-Schüler-Verhältnis, im Verhältnis der Schüler untereinander, der Mädchen und der Jungen usw., unterliegt dem Demokratiegebot, nicht institutionell verfestigt, aber aushandelbar. Wenn man die Demokratie als Kränkung des absoluten Autonomiegefühls versteht, dann muss man die Ergebnisse des Prozesses allerdings so gestalten, dass das Miteinander erträglich ist und bleibt. Auch die positive Beurteilung des Wettbewerbs lässt sich nur aufrecht erhalten, wenn man nicht immer nur der Verlierer ist, sondern auch Gewinner sein kann und wird. Mir kommt es beim Verständnis der Aufarbeitung der politischen Bildung darauf an, herauszuarbeiten, dass politisches Interesse notwendigerweise intellektuelle Anstrengungen, emotionale Beteiligung und auch seelische Standfestigkeit erfordert. Meinungen haben kann jeder, Meinungen argumentativ zu verteidigen ist schon schwerer, Meinungen zu verändern zeigt bereits einen charakterlichen Reifegrad, für seine Meinungen demokratisch zu streiten wäre fast das Höchste. Ich hielte es daher für äußerst hilfreich, die Regeln der rhetorischen Darstellung für jeden nutzbar zu machen, das wäre in jedem Fach möglich, beim Vortragen eines Referats oder eines kurzen Sachverhalts. Im Zeitalter der medialen Präsentation und des persönlichen Verkaufens ist das übrigens auch für jeden Einzelnen im Leben brauchbar, z. B. beim Vorstellungsgespräch oder in Diskussionen. Elektronische Kommunikation hat demokratiefeindliche Aspekte. SMS und E-Mail verstärken den Informationsfluss (und manchmal auch den Informationsmüll), aber lassen die argumentativen Kräfte verkümmern. Katastropheneinsätze und manche Bürgeraktion vermehren das Wohlgefühl des Beteiligtseins und des Geleisteten, demokratisch geht es dabei allerdings nicht immer zu. Ob die sinkende Wahlbeteiligung unter Jugendlichen und die - 12 - 10. POLITIKLEHRERTAG Missachtung auch der demokratisch gewählten Politiker ein Krisensympton ist, weiß ich nicht. Dass Politik besser gemacht, besser dargestellt und auch besser begründet werden kann, scheint mir zweifelsfrei. Aber auch hier gilt Erich Kästner: "Es gibt nichts Gutes, außer man tut es." Das wäre auch eine unbestreitbar gute Folgerung aus den PISA-Studien. - 13 - 10. POLITIKLEHRERTAG Vorbemerkung zum Parlamentsrollenspiel mit dem Thema „Wahlalter Null ?!“ Am 4.9.2002 fand in Hannover der 10. Politiklehrertag des Landesverbandes Niedersachsen der Deutschen Vereinigung für Politische Bildung (DVPB) in Zusammenarbeit mit dem Niedersächsischen Landtag, der Universität Hannover und der Initiative „n-21: Schulen in Niedersachsen online“ statt. Unterstützt wurde die Veranstaltung von der Niedersächsischen Landeszentrale für Politische Bildung. Im Mittelpunkt der Tagung stand ein Parlamentsrollenspiel zu dem visionären Thema „Wahlalter Null ?!“ unter der Leitung von Landtagspräsident Prof. Rolf Wernstedt im Plenarsaal des Landtages. Mit dieser Simulation einer parlamentarischen Debatte wollte die DVPB mit etwa 170 Schülerinnen und Schülern der Jahrgänge 10 bis 13 aus verschiedenen niedersächsischen Schulen und Regionen neue Anstöße für einen handlungsorientierten und spannenden Politikunterricht geben. Das aus fünf Fraktionen bestehende Schüler-Parlament debattierte über ein facettenreiches Thema, das mit Blick auf die bevorstehenden Bundestags- und Landtagswahlen, aber auch angesichts der demographischen Entwicklung in Deutschland viel Diskussionsstoff in sich barg und heute noch birgt. Diese Art der Politik-Erfahrung bedeutet didaktisch-methodisches Neuland. Darauf wurden die Schülerinnen und Schüler, die sich beteiligen wollten, im Unterricht und mit Hilfe einer Internet-Plattform vorbereitet. Dieses Unterrichtsmodell dürfte relativ leicht auf andere Parlamente und Themenfelder übertragbar sein. Im Vorfeld der Debatte setzten sich die am Parlamentsrollenspiel beteiligten Schülerinnen und Schüler vor allem mit den vertragstheoretischen, verfassungsrechtlichen, demokratietheoretischen und gesellschaftspolitischen Dimensionen eines „angedachten“ Minderjährigen-Wahlrechts auseinander. Dies geschah in der Rollenspielvorbereitung vorwiegend aus den jeweiligen Perspektiven der Fraktionen „Wahlalter 0 ohne Stellvertreter“, - 14 - 10. POLITIKLEHRERTAG „Wahlalter 0 mit Stellvertreter“, „Wahlalter 14“, „Wahlalter 16“ und „Wahlalter 18“. Im Anschluss an die Auswertung des Rollenspiels im Plenum sollten in verschiedenen Arbeitsgruppen weitere konkrete schulische Projekte und Planspiele vorgestellt werden. Das Parlamentsrollenspiel ist in wesentlichen Teilen aufgezeichnet worden. Die beiden Videobänder können bei Herrn Roland Freitag, Altenhäger Straße 75, 31558 Hagenburg, Tel.: 05033-7895, ausgeliehen werden. Eine Anmerkung am Rande: Nicht wenige Schülerinnen und Schüler hatten sich aus diesem Anlass auffällig sorgfältig gekleidet, einige erschienen im schwarzen Anzug bzw. im "kleinen Schwarzen". Das soll hier nicht ironisiert, sondern als Beweis für die Ernsthaftigkeit ihrer Beteiligung und den Respekt gegenüber dem Ort des Geschehens gewertet werden. Leider ist es nicht gelungen, alle Schülerinnen und Schüler, die Debattenbeiträge vorgetragen haben, namentlich zu erfassen. Albrecht Pohle - 15 - 10. POLITIKLEHRERTAG Fraktion: Die Weißen („Wahlalter 0 – mit Stellvertreter“) Einbringungsrede zum Parlamentsrollenspiel am 4. September 2002 Herr Präsident, meine Damen und Herren! Mit dem Ihnen vorliegenden Gesetzentwurf zur Einführung des „Wahlalter 0 mit Stellvertreter“ wollen wir, die Weiße Fraktion, ein Signal für mehr Beteiligung der Kinder setzen. Wir alle wissen, dass Artikel 38 des Grundgesetzes von einem allgemeinen Wahlrecht spricht. Das Grundgesetz geht also davon aus, dass jede Bürgerin und jeder Bürger dieses Staates wählen darf. Denn nichts anderes bedeutet dieser Begriff. Artikel 20 GG legt fest, dass die Staatsgewalt in Wahlen vom Volk ausgeübt wird. Wer ist dieses Volk? Wir alle! Alle Einschränkungen, insbesondere das Wahlalter, werden erst durch nachrangige Gesetze festgelegt und dies ist natürlich durch Erwachsene erfolgt. Nach unserer Auffassung wird dadurch gut ein Fünftel der Bevölkerung- so groß ist nämlich noch der Anteil der Kinder und Jugendlichen an der Gesamtbevölkerung - diskriminiert und zu Bürgern 2.Klasse abgestempelt. Dabei geht es doch bei vielen Entscheidungen, die Parlamente treffen, gerade um Auswirkungen auf die Zukunft- die nächste Generation- also auf unsere Kinder. Und wer trifft diese Entscheidungen? Das sind die Alten, die eine ganz andere Interessenlage haben. Ein kinderloses Ehepaar kann für seine Interessen zwei Stimmen in die Waagschale werfen, eine Familie mit 3 Kindern hat auch nicht mehr Gewicht bei der Stimmabgabe. Dies wollen wir ändern! Die Politiker müssen lernen, die Interessen der künftigen Generationen im Sinne von Ökologie und Ökonomie zu berücksichtigen. Die egoistischen Gedanken müssen in den Hintergrund gestellt werden, denn nicht das Hier und Jetzt ist entscheidend, sondern das Morgen und vor allem das Übermorgen. Deshalb müssen wir das Ruder herumreißen und die Kinder – unsere Zukunft – in den Mittelpunkt aller politischen Entscheidungsprozesse - 16 - 10. POLITIKLEHRERTAG stellen. Deutschland und auch Niedersachsen müssen wieder kinderfreundlicher werden. Meine Damen und Herren, natürlich sind wir nicht so blauäugig, uns vorstellen zu können, dass ein Baby oder ein Kleinkind von 2 Jahren zur Wahl schreiten sollte, um sein Wahlrecht auszuüben. Ein Kinderwahlrecht ohne Stellvertreter wäre eine Idealvorstellung. Doch wir sind Realisten und fordern das Wahlrecht der Kinder, welches sich am Kindeswohl orientiert und von den Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten nur vertretungsweise ausgeführt wird. Genau dies setzt unser Gesetzentwurf um! Denn können die Eltern nicht die Interessen der Kinder und Jugendlichen am besten durchsetzen, solange diese nicht selber in der Lage dazu sind? Dadurch verteilen wir das Gewicht innerhalb der Gesellschaft richtig. Denn in einem Sozialstaat wie unserem, kann und darf es nicht sein, dass bestimmten Gruppen das elementarste Recht in einer Demokratie versagt wird. Das Wahlrecht muss endlich Geltung für alle erlangen. Somit sollten auch die Kinder und Jugendlichen nicht von diesem politischen Vorgang ausgeschlossen werden. Eine Demokratie muss sich weiterentwickeln und die regierenden Parteien sollten das Vertrauen aller Bevölkerungsschichten und aller Altersgruppen genießen. Und seien wir doch ehrlich, meine Damen und Herren, was mit Kinderund Jugendparlamenten an Partizipation der Kinder in diesem Lande geschaffen worden ist, das ist in Wahrheit doch nur eine Alibiveranstaltung der Politiker, aber de facto können wir damit gar nichts bewegen. Deshalb, sehr geehrte Damen und Herren, appelliere ich im Interesse aller Kinder und Jugendlichen an Sie: Stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zu! Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. Angela Konert, Gymnasium Mellendorf - Fraktionsvorsitzende - - 17 - 10. POLITIKLEHRERTAG LK Politik, 13. Jahrgang (FI) Mellendorf, den 22. August 2002 Parlamentsrollenspiel im Niedersächsischen Landtag am 4. 9. 2002 Gesetzentwurf der Fraktion „Wahlalter Null mit Stellvertreter“ Das Parlament möge beschließen, Art. 38 GG wie folgt zu ändern: „(1) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen. (2) Wahlberechtigt sind alle Deutschen von Geburt an. Das Wahlrecht des Kindes wird von seinem gesetzlichen Vertreter stellvertretend ausgeübt, bis das Kind erklärt, das Wahlrecht selbst ausüben zu wollen . Wählbar ist, wer das Alter erreicht hat, mit dem die Volljährigkeit eintritt. (3) Das Nähere bestimmt ein Bundesgesetz.“ Begründung: Gemäß dem Grundsatz ‚Ein Mensch – eine Stimme’ muss auch minderjährigen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern das aktive Wahlrecht von Geburt an eingeräumt werden, da die altersbedingte Vorenthaltung des politischen Grundrechts auf Teilnahme an der Wahl gegen die Staatsfundamentalnorm des Art. 20.2 GG verstößt. Das aktive Wahlrecht des Kindes wird nach Art 6.2 GG – am Kindeswohl orientiert (!) – von den Eltern nur vertretungsweise ausgeübt. - 18 - 10. POLITIKLEHRERTAG Einbringungsrede Fraktion „Grün“ Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Abgeordnete des Niedersächsischen Landtages, die Fraktion „Grün“ beantragt, Art. 38 Abs. 2 GG wie folgt abzuändern: „Das Wahlrecht beginnt mit der Geburt und ist nicht übertragbar, auch nicht auf die gesetzlichen Vertreter Minderjähriger; wählbar ist, wer das Alter erreicht hat, mit dem die Volljährigkeit eintritt.“ Begründung: 1. Der Artikel 20.2 GG benennt „das Volk“ als Souverän. Jedem, der sich fähig fühlt, an der politischen Willensbildung mitzuwirken unabhängig von seinem Alter - muss diese Mitwirkung durch Wahlen ermöglicht werden. Ein bestimmtes Alter kommt in Artikel 20.2 GG nicht vor. Minderjährige aber gehören unzweifelhaft zum Volk. Diese Minderjährigen machen ein Viertel des Volkes aus. Die Einbindung von Kindern und Jugendlichen muss als ein Versuch verstanden werden, unsere Demokratie neu zu beleben. 2. Artikel 3.1 GG formuliert die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz. Das muss gerade für das Wahlrecht gelten, das zu berücksichtigen hat, „politikmündigen“ Kindern und Jugendlichen diese Gleichheit auch faktisch zuzugestehen. Wählen sollen nur diejenigen Kinder und Jugendlichen, die sich dafür fähig fühlen. Sie sind nicht verpflichtet zu wählen. Das ist uns besonders wichtig zu betonen. Es geht nicht darum, Babytasten in den Wahlkabinen zu installieren. Wer sich politikmündig fühlt, der soll auch wählen gehen, wer nicht, bleibt zu Hause. Es bleibt bei dem Grundsatz der unmittelbaren Wahl der Abgeordneten durch die Wähler. Eine Übertragung des Wahlrechts auf z.B. die Eltern ist nicht erlaubt. So ist gesichert, dass die Wählerstimmen der Kinder und Jugendlichen nicht missbraucht werden. Sie gehen wie alle anderen Wähler allein in die Wahlkabine und können so bei der Wahl nicht beeinflusst werden. - 19 - 10. POLITIKLEHRERTAG 3. Werden Kinder und Jugendliche, die sich selbst als „politikfähig“ verstehen, vom Wahlrecht ausgeschlossen, so wird ihnen ein Teil ihrer Menschenwürde genommen. Hierin sehen wir einen Verstoß gegen das Grundgesetz. In Artikel 1.1 GG steht: „Die Würde des Menschen ist unantastbar (...)“ Die Würde des Bürgers in einer Demokratie drückt sich aber gerade in seiner Aufgabe als „Wahlbürger“ aus, der dem Abgeordneten und der Partei seines Vertrauens Macht auf Zeit überlässt. In Artikel 12.1 der UN-Kinderrechtskonvention, die am 26.01.1990 von der BRD unterzeichnet wurde, steht: „Die Vertragsstaaten sichern dem Kind, das fähig ist, sich eine eigene Meinung zu bilden, das Recht zu, diese Meinung in allen das Kind berührenden Angelegenheiten frei zu äußern, und berücksichtigen die Meinung des Kindes angemessen und entsprechend seinem Alter und seiner Reife.“ Ohne ein Kinderwahlrecht sehen wir eine grobe Verletzung dieses Artikels aus der UN-Kinderrechtskonvention. Wenn hier von dem Alter und der Reife gesprochen wird, die zu berücksichtigen sind, so kann dies nur durch das Kinderwahlrecht gewährleistet werden. Aus diesen Begründungen ergibt sich unsere Forderung nach einem Kinderwahlrecht und so fordern wir: Das Wahlrecht beginnt mit der Geburt! - 20 - 10. POLITIKLEHRERTAG Gymnasium Johanneum Lingen Berufsbildende Schule Osnabrück Kooperative Gesamtschule Sehnde Parlamentsrollenspiel im Landtag Niedersachsen 04.09.2002 Einbringungsrede der Fraktion „Gelb“ (Wahlalter 14) Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrte Damen und Herren, hiermit stelle ich den Antrag für die Fraktion - Gelb, das Wahlalter für alle Wahlen auf 14 Jahre herab zu setzen. Diesen Antrag begründe ich folgendermaßen: Jugendliche im Alter von 14 dürfen noch immer nicht wählen, obwohl sie schon in der Lage sind Verantwortung zu übernehmen, und dies auf sehr unterschiedliche und vielfältige Weise bereits tun. Sie sind im Stande, verantwortlich mit ihren Finanzen umzugehen, denn sie führen ihr eigenes Konto und sind somit durchaus souverän in ihren Entscheidungen als Konsumenten. Als solche werden sie schon jetzt ernst genommen, denn sie verfügen über ein Millionen schweres Marktpotenzial. Sie sind allerdings nicht nur für ihre finanziellen Angelegenheiten verantwortlich, sondern Jugendliche werden ab dem 14. Lebensjahr für ihr Tun und Handeln auch vor dem Gesetz zur Rechenschaft gezogen. Auch wenn das Strafrecht nicht in voller Härte bei ihnen angewandt wird, sehen sie sich trotzdem der Erwartung ausgesetzt, sich ihres Handelns und auch den Grenzen und Folgen ihres Handelns durchaus bewusst zu sein. Wer sagt denn eigentlich, dass Reife und Urteilsvermögen im Alter von 14 Jahren noch nicht genügend ausgeprägt seien? Sie orientieren sich an Vorbildern, sicher, welcher Erwachsene tut das nicht? Aber sie haben ein sehr sicheres Gespür dafür, was gut ist und was schlecht oder was richtig ist und was falsch. Wer hat eigentlich das Recht den Jugendlichen, einem großen Teil unserer Bevölkerung, die Teilnahme an Wahlen vorzuenthalten? - 21 - 10. POLITIKLEHRERTAG Jugendliche können und wollen genauso urteilen wie Erwachsene und diese können, je nach Persönlichkeit, genauso unreif sein. Durch das Wahlrecht und die erhöhte Verantwortung würde meiner Meinung nach das Interesse an der politischen Partizipation erheblich gestärkt werden. Jugendliche würden sich auch im politischen Leben ernst genommen fühlen und nicht entweder an die Wand gedrängt oder übersehen oder aber auf politische Spielwiesen wie z.B. Jugendparlamente verbannt werden. Und sie könnten selbst Einfluss nehmen und so gerade in den Fragen zu Wort kommen, die sie wesentlich betreffen. Sowohl die Jugend als auch die Parteien könnten auf diese Weise von der Stimme eines jeden einzelnen Jugendlichen profitieren. Man kann und darf nicht zwischen Erwachsenen und Jugendlichen trennen. Man kann höchstens zwischen reifen und unreifen Menschen trennen, welche trotz allem aber immer noch ein Volk mit den gleichen Rechten sind. Dieses Land wird später einmal das Land der heutigen Jugend sein. Warum sollten diese dann nicht schon so früh wie möglich anfangen dürfen, in diesem Land auch politisch verantwortlich mitzuwirken? Fraktion „Gelb“ - 22 - 10. POLITIKLEHRERTAG Fraktion der Gelben Antrag: Wahlalter 14 Redebeitrag (1): Edyta Klaja, BBS am Pottgraben, Osnabrück Herr Präsident, meine Damen und Herren, lassen Sie mich auf noch auf eine wichtigen Aspekt eingehen. Wir erleben es doch fast bei allen Wahlen: Die Beteiligung unserer Bürger an politischen Wahlen nähert sich bedrohlich der 50 %-Marke. Nach jeder Wahl müssen wir schmerzlich zur Kenntnis nehmen, das sich der Abwärtstrend bei der Wahlbeteiligung beschleunigt. Wollen Sie in Zukunft nur noch von 30 oder 20 % der Bevölkerung gewählt werden? Wollen Sie, dass der Souverän des Grundgesetzes auf eine - allerdings dann entscheidende – Minderheit zusammenschrumpft? Wir wollen keine amerikanischen Verhältnisse!!!!!!!! Nur durch eine frühzeitige Wahlbeteiligung aller Bürgerinnen und Bürger können wir dieser antidemokratischen Entwicklung Einhalt gebieten. Wir fordern gleichzeitig, dass die politische Bildung ausgebaut und frühzeitig an den Schulen vermittelt wird. Nur eine erfolgreiche politische Bildung schafft die Voraussetzung für eine wirklich selbstbestimmte Mitwirkung. Ich appelliere deshalb eindringlich an Sie alle: Geben Sie allen Staatsbürgern mit Vollendung des 14. Lebensjahres das volle staatsbürgerliche Mitwirkungsrecht bei politischen Wahlen. Stimmen Sie einer Herabsetzung des Wahlrechts auf 14 Jahre zu. Verhindern Sie eine weitere Entmachtung des Souveräns – eine Entmachtung unseres Volkes. Geben Sie den Kindern und Jugendlichen dieses wichtige Instrument zur aktiven Gestaltung ihrer eigenen Zukunft. Herr Präsident, meine Damen und Herren, vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. - 23 - 10. POLITIKLEHRERTAG Fraktion der Gelben Antrag: Wahlalter 14 Redebeitrag (2): Petra Alt, BBS am Pottgraben, Osnabrück Herr Präsident, meine Damen und Herren, tagtäglich erleben wir, dass Kinder und Jugendliche in der gesellschaftlichen Wirklichkeit schon in vielen Bereichen erheblichen Anforderungen ausgesetzt sind und diese auch bewältigen können. In unserer Antragsbegründung haben wir mit recht darauf hingewiesen, dass Kinder ab 14 Jahre als selbstverantwortliche Konsumenten handeln müssen. Für unser Wirtschaft stellen Sie ein erhebliches Kaufkraftpotential dar. Nehmen wir die Kinder und Jugendlichen nur als Objekte zur Steigerung des Umsatzes wahr? Haben Sie auch daran gedacht, das Kinder mit vierzehn bereits strafmündig und deliktsfähig sind? Sie akzeptieren es, dass Kinder mit vierzehn Jahren ins Gefängnis kommen, dass sie strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden und dass sie für ihr Verhalten in bestimmten Fällen auch Schadenersatz leisten müssen. Mir ist ein Fall bekannt, in dem ein 14-Jähriger durch einen verschuldeten Verkehrsunfall zur Zahlung eines Schadenersatz von mehr als 1.000,00 DM verurteilt wurde. Er musste diese Summe in Raten mit Beginn seiner Berufsausbildung abbezahlen. Ich glaube auch Ihnen allen ist klar, mit welcher Motivation dieser Jugendliche seine berufliche Ausbildung begonnen hat. Eine Ausbildung, die für einen Jugendlichen eigentlich der Start in eine hoffnungsvolle Zukunft sein sollte. Die harten Sanktionen des Staates durfte er spüren! Das Recht auf Mitwirkung an der politischen Gestaltung dieses Staates- seines Staates - wurde ihm verwehrt. Ich bitte Sie deshalb nachdrücklich: Geben Sie allen Staatsbürgern mit Vollendung des 14. Lebensjahr das volle staatsbürgerliche Mitwirkungsrecht bei politischen Wahlen. Ich betone – allen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern, auch allen ausländischen Mitbürgerinnen und Bürgern, soweit Sie fünf Jahr in unserem Land leben. Dies ist eine Erweitung unseres Antrages. Stimmen Sie einer Herabsetzung des Wahlrechts auf 14 Jahre für alle Bürgerinnen und Bürger zu. Herr Präsident, meine Damen und Herren, vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. - 24 - 10. POLITIKLEHRERTAG Fraktion der Gelben Antrag: Wahlalter 14 Redebeitrag (3): Michael Dütemeyer, BBS am Pottgraben, Osnabrück Herr Präsident, meine Damen und Herren, mit welchem Recht beanspruchen wir als Erwachsene die Kompetenz, eine große Gruppe unseres Volkes von seinem grundgesetzlich verankertem Recht auf politische Mitwirkung bei Wahlen auszuschließen? Etwa 15 Mio. Kindern und Jugendlichen verweigern wir das Wahlrecht. Ich finde, das ist ein unerträglicher Zustand und einer modernen Demokratie nicht würdig. Haben unsere Parlamente nicht häufig gezeigt, wie nachhaltig sie die Interessen der Kinder und Jugendlichen vernachlässigt haben und dies noch immer tun? Oder sogar gegen deren Interessen entscheiden? So in den Bereichen Bildung und Ausbildung. Denken Sie bitte nur an unser beschämendes Verhalten im Bereich Umwelt und Klimaschutz! Der Klimagipfel in Johannisburg wird es wieder beweisen: Außer Spesen nichts gewesen. Glauben Sie mir, wenn Kinder und Jugendliche das Wahlrecht haben, müssen wir als Parteien auch unsere Programme und politischen Entscheidungen auf deren Interessen ausrichten. Und Sie können sicher sein, diese Wählergruppe wird auf so manche leere Wahlversprechung nicht hereinfallen. Was haben wir geleistet zur Friedenssicherung und Kriegsvermeidung! Was war mit der Rechtsschreibreform: Darüber haben Erwachsene entschieden und alles wurde Schrott! Haben Sie den Mut zur von uns vorgeschlagenen Änderung des Wahlrechtes. Folgen Sie der Tradition zur weiteren Demokratisierung unsere Gesellschaft und unseres Staates: Nach der Abschaffung des Dreiklassenwahlrechtes und der Einführung des Wahlrechts für Frauen sowie der Herabsetzung des Wahlalters auf 18 Jahre muss jetzt die Einführung des Wahlrechts für Kinder und Jugendliche ab 14 Jahre folgen. Herr Präsident, meine Damen und Herren, vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. - 25 - 10. POLITIKLEHRERTAG Fraktion der Gelben Antrag: Wahlalter 14 Redebeitrag (4): Filiz Alarslan, BBS am Pottgraben, Osnabrück Herr Präsident, meine Damen und Herren, meine Vorrednerin Petra Alt hat bereits auf die von uns gewünschte Erweiterung unseres Antrages hingewiesen: Für unsere Fraktion ist es nicht länger hinnehmbar, dass unsere ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger vom Wahlrecht ausgeschlossen sind. Wir fordern deshalb, dass das Wahlrecht auf alle ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger ausgedehnt wird, die länger als fünf Jahre in Deutschland leben. Man muss sich doch heute im Zeitalter global agierender Unternehmen und der zunehmenden internationalen politischen Abhängigkeit fragen, ob wir Menschen nur noch als Arbeitskräfte und Konsumenten funktionieren sollen. Obwohl wir alle gleichermaßen von dieser Globalisierung betroffen sind, egal wo wir leben. Die Notwendigkeit der politischen Gestaltung der Globalisierung gilt für alle Länder dieser Erde. Wir müssen sie gemeinsam gestalten, nicht gegeneinander. Dies gilt auch für die internationale Sicherheit und die Bekämpfung der Terrorismus. Wir meinen deshalb, dass es nur konsequent ist, wenn wir allen Bürgerinnen und Bürgern das Wahlrecht gewähren. Was befürchten wir eigentlich? Besteht hier etwa die Gefahr, dass wir Deutschen untergebuttert werden, überstimmt werden, Einfluss verlieren? Ich glaube diese Befürchtungen entlarven sich selbst als Scheinargumente. Eines kann ich Ihnen aber versichern: Es wäre eine gute Waffe gegen den aufkeimenden Rechtsextremismus in unserem Lande. Meine Damen und Herren, unterstützen Sie unseren Antrag. Machen Sie sich zum Motor für eine weitere Demokratisierung unsere Wahlrechts, für eine weitere Demokratisierung unserer Gesellschaft und unseres Staates. - 26 - 10. POLITIKLEHRERTAG Herr Präsident, meine Damen und Herren, vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. - 27 - 10. POLITIKLEHRERTAG Diskussionsbeiträge der Gruppe „Gelb“ – Wahlalter 14 Sehr geehrter Herr Präsident, meine verehrten Damen und Herren, Auf den Deichen in Magdeburg und Wittenberg packten viele junge Leute mit an, Teenager in kurzen Hosen kämpften Seite an Seite mit Soldaten und Bürgermeistern. Nicht etwa, weil sie meinten damit die Welt zu retten, nein, sie wollten konkret etwas Gutes tun und sich engagieren. Was wir uns fragen ist, warum die neue Shell Studie unsere heutige Jugend als eine in weiten Teile egoistische Jugend abspeist. Wir seien auf Karriere bedacht und mit dem einen Ziel vor Augen – „Aufstieg statt Ausstieg". Dabei hat die heutige Jugend – und nicht zu vergessen auch alle Generationen zuvor – eine eigene Antwort auf die gesellschaftlichen Herausforderungen gefunden. Täglich erleben Jugendliche, wie der Wettbewerb ihr Leben bestimmt. So z.B. in der Schule: Jugendliche müssen sich mit Arbeiten und immer wieder neuen Anforderungen herumschlagen. Und auch in der Freizeitmüssen Jugendliche sich ständig beweisen : so z.B. im Sport. Es sind meistens nur die Besten, die Erfolge haben und weiter kommen. Wer will ihnen da verdenken, dass sie vor allem auf ihr eigenes Vorankommen bedacht sind ? Doch um dies auch zu erreichen, brauchen Jugendliche das Gefühl wichtig zu sein und mitwirken zu können! Sie sind immer da zur Stelle, wo sie spüren, dass es wirklich um etwas geht. In einem Zeitungsartikel sagt Jörg Kallmeyer, dass Jugendliche auf Parteien, Verbände und selbst auf Bürgerinitiativen verzichten könnten - doch wenn Teenager das Recht hätten mitzubestimmen wie ihre Zukunft, ob sie nah oder fern liegt, aussieht, sind gerade diese Dinge total wichtig. Um diese Jugend braucht einem nicht bange zu werden – wohl aber um die Politiker, die dieser Jugend immer wieder zurück drängen!! Seit Jahren beklagt man das sinkende Interesse von Jugendlichen an der herkömmlichen Politik. Die Frage ist doch aber, warum dieses Desinteresse überhaupt existiert ? Sogar die SPD Bundesfamilienministerin Christine Bergmann sagt, dass die heutige Jugend zukunftsorientiert sei und die aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen zu meistern in der Lage sein wird. „Diese Generation kann der Politik Mut machen“ so Bergmann. - 28 - 10. POLITIKLEHRERTAG Nach Aussagen der Entwicklungsforschung sind schon 12-Jährige fähig, abstrakt zu denken; das heißt doch auch, dass sie im Stande sein müssten Auswirkungen abzuwägen, die durch falsche Entscheidungen geschehen. Weiterhin ist die Forschung der Meinung. Dass Reife und Urteilsvermögen mit 14 sicher sind somit sollten sie positive und negative Auswirkungen unterscheiden können. Außerdem belegen Studien, dass 14-Jährige genauso an Politik interessiert sind wie 18-Jährige. Sollten Jugendliche sich nicht für Politik interessieren, so liegt es an Politikern, die sich nur mit Themen der Erwachsenen auseinandersetzen -, aber Fragen außen vor lassen, die für Jugendliche von Bedeutung sind, wie z.B. Ausbildungsfragen, eine lebenswerte Umwelt, Gestaltung des Wohnumfeldes usw. Jugendliche tragen die Konsequenzen vieler Entscheidungen, dürfen an der Gestaltung aber nicht teilhaben. Z.B. gab es keine Befragung vor der Einführung des EURO – die Konsequenzen tragen allerdings auch Jugendliche, deren Taschengeld jetzt viel weniger wert ist als vorher. An einer solchen Entscheidung müssen auch junge Menschen beteiligt werden !!! Ein Wahlalter ab 14 und bessere und verständlichere Aufklärung und Information und positive Beispiele würden das Interesse der Jugendlichen sicher wieder verstärken. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Annemarie Lübberstedt, KGS Sehnde Sehr geehrter Herr Präsident, meine verehrten Damen und Herren, ich beziehe mich mit meinem Beitrag auf die Konsequenzen einer Senkung des Wahlalters auf 14 Jahre. In der Bundesrepublik gibt es ca. 20 % Jugendliche, die, wenn sie wählen könnten, das Wahlergebnis drastisch verändern würden. - 29 - 10. POLITIKLEHRERTAG In den kommenden Jahren und Jahrzehnten ist ein enormer Anstieg der Älteren in der BRD zu erwarten. So lag der Bevölkerungsanteil der über 60-jährigen 1950 bei 14,6 %. 1991 waren es bereits 20,4 %. Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt heute bei fast 80 Jahren. Dies wird dazu führen, dass sich finanzielle Mittel und politische Aufmerksamkeit verstärkt auf diese Altersgruppe richten werden. Angesichts dieser demographischen Entwicklung müssen die Politiker besonders darauf achten, die Interessen der jüngeren Generation nicht zu vernachlässigen. Die Parteien müssten ihr Wahlprogramm erweitern und somit die Jugendlichen gezielt ansprechen. Die Jugendlichen legen nicht nur großen Wert auf eine gute Schule und Bildungseinrichtungen, sondern auch auf die Verbesserung von Freizeiteinrichtungen; ein vernünftiges Wohnumfeld. Und die Erhaltung der Umwelt. 74 % der in Westdeutschland lebenden Jugendlichen halten laut der neuen Shell-Studie die Demokratie für eine gute Staatsform. Andererseits ist das Interesse, sich in die praktische Politik einzumischen deutlich geringer. (z. B. geben nur 27 % der 15- bis 17Jährigen an, sich ganz sicher an der nächsten Bundestagswahl beteiligen zu wollen.) Unserer Meinung nach könnte mit einer Herabsetzung des Wahlalters das politische Interesse der Jugendlichen gefördert werden. Denn das wiederum fördert das Erlernen von Verantwortung und Urteilsvermögen, denn sie könnten so selbst Einfluss nehmen auf die Entwicklung ihrer Zukunft. Dadurch würden sich die 14-Jährigen ernster genommen fühlen und verantwortungsbewusster handeln. Eine weitere Förderung der Kinder und Jugendlichen würde in stärkerer finanzieller Unterstützung liegen, die soziale Defizite ausgleichen müsste und die Lebensbedingungen insgesamt steigern müsste. Es ist unschwer erkennbar, dass es auf jeden Fall sinnvollziehbar und sinnvoll wäre, das Wahlalter auf 14 herabzusetzen und die politische Partizipation der Jugendlichen zu fördern. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. - 30 - 10. POLITIKLEHRERTAG Antrag der Gruppe "Wahlrecht ab 16" Antragsteller: Schülerinnen und Schüler des Tellkampf-Gymnasiums Hannover / Grundkurs Politik 12 und 13 und der Eugen-Reintjes-Schule Hameln / Klasse MKM-M1 (Kfz-Technik) Gesetzentwurf der Fraktion "Rot" Herr Präsident, meine Damen und Herren, Antrag (Stephan Brandau, Eugen-Reintjes-Schule Hameln) Im Namen der Gruppe "Wahlrecht ab 16" möchte ich den Antrag stellen, das Mindestwahlalter bei den künftigen Landtagswahlen auf 16 Jahre zu senken. Begründung Seit Herbst 1996 darf in Niedersachsen bei Kommunalwahlen vom 16. Lebensjahr an gewählt werden. Es ist nicht einzusehen, dass die Senkung des Wahlalters auf die Kommunalwahl beschränkt bleibt, sondern wünschenswert, dass ab 16 auch bei der Landtagswahl (und natürlich auch bei der Bundestags- und der Europawahl) gewählt werden darf. Bei einer Umfrage in der Eugen-Reintjes-Schule in Hameln haben sich 60 % der Schülerinnen und Schüler für das Wahlalter 16 entschieden. Warum schon mit 16 wählen? Gerade diese Personengruppe setzt sich im Politikunterricht intensiv mit dem Thema "Wahlen" in allen Schulformen auseinander, es sei denn, der Politikunterricht in den Schulen wird weiter zu Gunsten anderer Fächer vernachlässigt oder ganz abgeschafft, wie im Fachgymnasium ab Jahrgangsstufe 12. Somit gehören die 16- und 17-Jährigen zu den wenigen Wählern, die eine etwaige "Wahlprüfung" eher bestehen würden, als viele ältere Wählerinnen und Wähler. "Alle Gewalt geht vom Volke aus!" Auf diesen Satz gründet sich unsere Demokratie, und Jugendliche sind Teil des Volkes. - 31 - 10. POLITIKLEHRERTAG Jugendliche ab 16 sind befähigt, in die Arbeitswelt einzutreten. Somit ist es schwer, hier einen Unterschied zwischen Erwachsenen und Jugendlichen zu machen. Jugendliche sind vollwertige Mitglieder unserer Gesellschaft und sollten auch gleichberechtigte Mitglieder sein. Auch aus diesem Grund sollte man einen Schritt auf die Jugendlichen zugehen und das Wahlalter auf 16 senken. Und im Gegensatz zu der viel geäußerten Meinung, Jugendliche seien politisch nicht interessiert, sind viele junge Menschen politisch aktiver als viele Erwachsene. Jugendliche sind nicht "politikmüde", sondern "politikermüde"! Fraktion "Rot" - 32 - 10. POLITIKLEHRERTAG Rote Fraktion: Wählen mit 16 Als Sprecher des Politikkurses der Tellkampfschule begrüße ich Sie, Herr Präsident, und alle Anwesenden herzlich. Unser Politikkurs hat sich mehrwöchig mit dem Thema "Wählen mit 16 Jahren auch auf Bundesebene" auseinandergesetzt und kontrovers diskutiert. Ergebnis dieser Diskussion ist ein eindeutiges Votum unsererseits, das Wahlalter nicht nur, wie schon gegeben auf kommunaler Ebene, sondern auch auf Bundesebene auf 16 herab zu senken. Ausschlaggebend für diese Entscheidung sind für uns u.a. folgende Argumente: Als widersinnig für erscheint uns zum Einen die Entscheidung, 16jährigen jungen Menschen auf kommunaler Ebene ein Mitspracherecht einzuräumen, dieses ihnen aber auf Bundesebene zu verweigern. Zum Anderen lässt sich eindeutig nachweisen, dass Jugendliche mit ihren Interessen, Bedürfnissen, Nöten und Wünschen von der Politik allenfalls als Randgruppe wahrgenommen werden. Revolutionierende Jugend mit ihren Ideen und oft eindeutig hörbaren Protesten wird als mangelhaft sozialisiert abgestempelt und zugunsten konservierter Privilegien totgeschwiegen. Weiterhin ist eine zunehmende Politikverdrossenheit, gepaart mit der Nichtbereitschaft Verantwortung zu übernehmen, eine sichtbar bedrohliche Tendenz bei der Jugend geworden. Doch wie soll Jugend Verantwortung, selbstkritisches Handeln und den Umgang mit demokratischen Werten lernen, wenn ihr zu einer Zeit, da natürliche Neugierde und die Motivationsbereitschaft Neues zu probieren noch groß sind, das Recht auf Mitgestaltung und Mitentscheidung durch Verweigerung des Wahlrechts abgesprochen wird? Einüben von gewissenhaftem politischen Handeln ist nun einmal mit Abstinenz nicht vereinbar und Demokratie muss frühzeitig geübt werden. - 33 - 10. POLITIKLEHRERTAG Dass diese Überlegung nicht neu ist, belegt ein Zitat von Willy Brandt, der einst sagte: "Mehr Demokratie wagen." Die Jugendlichen von heute sind einst die Politiker von morgen, die ein Erbe antreten werden, um dann zu beweisen, dass sie sorgfältig, gerecht und zum Wohle aller damit umzugehen wissen. Aus dieser Gewissheit leiten wir ein Recht auf frühzeitiges Einüben unter sachbezogener Begleitung ab und fordern das Wahlrecht im Alter von sechzehn Jahren allen Ebenen der Politik. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Christopher Fredebohm Tellkampfschule, Hannover - 34 - 10. POLITIKLEHRERTAG Abdul Oral, BBS Stadthagen Sehr geehrter Herr Präsident, meine verehrten Damen und Herren, im Auftrag meiner blauen Partei stelle ich den Antrag, der Ihnen schriftlich vorliegt, das aktive Wahlrecht nicht zu senken, sondern Artikel 38, Absatz 2 so zu belassen. Unsere Fraktion stimmt einer Gesetzesänderung nicht zu, da wir der Auffassung sind, dass staatsbürgerliche Rechte und Pflichten miteinander gekoppelt sein sollten. Mit der Volljährigkeit erhalten junge Menschen ein Paket von Rechten und Pflichten, das u.a. die Strafmündigkeit, die volle Geschäftsfähigkeit und das volle Wahlrecht enthält. Soll dieses Paket nun aufgeschnürt und zerteilt werden? Wir halten diese Regelung des Artikels 38 GG für sinnvoll, dass nur volljährige Bürgerinnen und Bürger das aktive und passive Wahlrecht erhalten, um an politischen Meinungsbildungsprozessen teilnehmen zu können. Denn, meine Damen und Herrn, wie sieht es aus auf dem politischen Feld? Wie sollen sich Heranwachsende im Alter von 14 oder 16 Jahren zurechtfinden auf einem Terrain, auf dem politisch erfahrene Erwachsene diskutieren und um Entscheidungen ringen? Kinder und Jugendliche können viele Zusammenhänge und Hintergründe noch nicht erkennen. Dadurch werden sie manipulierbar durch sogenannte „politische Freunde und Ratgeber“. Sie kennen alle die schmerzlichen Erfahrungen deutscher Vergangenheit. All diese Punkte zeigen doch sehr deutlich, dass unsere Gesetze den Jugendlichen in seiner Entwicklungsphase schützen wollen und sollen. Und machen wir uns doch nichts vor, Jugendlichen wird nur durch Herabsetzung des Wahlalters kein aktives Mitgestaltungsrecht gegeben. Eine Erweiterung der Kompetenzen von Jugendparlamenten wäre sicher der bessere Weg um Jugendliche in politische Prozesse frühzeitig einzugliedern. Deshalb wollen wir keine Änderung unseres Grundgesetzes. Meine Damen und Herren, lassen Sie es nicht dazu kommen. Stimmen Sie unserem Antrag zu. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. - 35 - 10. POLITIKLEHRERTAG Sehr geehrter Herr Präsident, meine verehrten Damen und Herren, hiermit stelle ich den Antrag für die Fraktion blau, das Wahlalter für alle Wahlen bei 18 Jahren zu belassen. Diesen Antrag begründe ich folgendermaßen: Viele 18-jährige haben bereits Kontakt mit dem Berufsleben, wodurch das politische Interesse bei ihnen größer ist als bei noch nicht volljährigen Jugendlichen; was daraus resultiert, dass die Regierung für Arbeitspolitik verantwortlich ist. Politische Partizipation und Meinungsbildung auf Bundesebene setzt bei der Multiperspektivität von Politik elementare Grundkenntnisse des Politischen voraus. Jugendliche unter 18 haben für gewöhnlich diese Kenntnisse nicht. Minderjährige sollten sich erst auf kommunaler Ebene oder in Kinderund Jugendparlamenten politisch betätigen, da dies für sie überschaubarer ist und sie mit ihrer kommunalen Politik in engeren Kontakt stehen. Wenn eine Ebene der Politik transparent genug ist, um auch von jungen, relativ unerfahrenen Menschen durchschaut werden zu können, ist es die Kommunalpolitik, auf keinen Fall aber die Bundespolitik. Durch politische Beteiligung auf kommunaler Ebene können Minderjährige sich orientieren und haben dann mit 18 schon eine gewisse politische Bildung und können die bundesweite Politik gut beurteilen. Ein Herabsetzung des Wahlalters würde daher nicht bedeuten, dass Jugendliche damit eine qualitative Ausweitung ihres bisherigen Gestaltungsspielraumes erfahren würden. Studien beweisen außerdem, dass die Wahlbeteiligung bei 16-jährigen trotz des herabgesetzten Wahlalters sehr gering ist. Minderjährige sind nur beschränkt geschäftsfähig und strafmündig und haben noch keine hinreichende Eigenverantwortung über ihr Leben. Da Wahlrecht und staatsbürgerliche Pflichten jedoch gekoppelt sein sollten, würde man ihnen mit dem Wahlrecht Rechte geben, die sie aufgrund ihrer Minderjährigkeit noch nicht haben dürfen. - 36 - 10. POLITIKLEHRERTAG Wir müssen auch bedenken, dass der Großteil der Minderjährigen stark beeinflussbar ist. Diese Beeinflussbarkeit kann von Parteien aus wahltaktischen Gründen ausgenutzt werden, was dazu führen kann, dass Parteien in die Parlamente gewählt werden, die nicht in allen Politikfeldern dem demokratischen Spektrum zugehörig sind oder einfach keine gute Politik machen. Abschließend möchten wir noch anführen, dass Meinungsumfragen und wissenschaftliche Studien deutlich belegen, dass der Großteil der Bevölkerung sich aus den oben genannten Gründen dafür ausspricht, dass das Wahlalter 18 ein guter Kompromiss ist. Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit. - 37 - 10. POLITIKLEHRERTAG Zum Ablauf des Parlamentsrollenspiels ist Folgendes anzumerken: In der ersten Runde wurden die Anträge der fünf Fraktionen zum Wahlalter vorgestellt und begründet. In einer zweiten Runde, bei der die Fraktionen in gleicher Reihenfolge aufgerufen wurden, konnten die eigenen Anträge verteidigt und die gegnerischen zurückgewiesen werden. Es war für die Schülerinnen und Schüler schwer, auf die Argumente der anderen Fraktionen einzugehen; das gelang nur selten. In der dritten Runde rief der Landtagspräsident zur freien Debatte auf. Ein kleiner Kreis von mutigen Schülerinnen und Schülern löste sich daraufhin in Rede und Gegenrede ab. Natürlich wiederholten sich die Argumente, das war nicht anders zu erwarten, aber mancher Redner ging noch zwei- oder dreimal zum Pult, um zu reagieren. Es war ein Spiel und ein Sich-Erproben. Am Ende ließ der Landtagspräsident über die Anträge abstimmen, über den weitestgehenden zuerst: weiß, grün, gelb - die Anträge wurden der Reihe nach mit Mehrheit abgelehnt. Der Antrag der roten Fraktion erhielt mit 92 Stimmen die Mehrheit. Es war offensichtlich, dass viele Schülerinnen und Schüler ihr Abstimmungsverhalten nach Ablehnung ihres eigenen Antrags unter taktischen Gesichtspunkten nicht genügend durchdacht hatten. Der Landtagspräsident machte sie behutsam auf diesbezüglich erforderliche Überlegungen aufmerksam. Politik in der Demokratie lebt von und mit Kompromissen. Anschaulicher als bei diesem Rollenspiel kann man das kaum erfahren. Albrecht Pohle - 38 - 10. POLITIKLEHRERTAG Schülerinnen und Schüler machen Politik 10. Fachtagung für Politiklehrerinnen, Politiklehrer und Interessierte Mittwoch, 4. September 2002 im Niedersächsischen Landtag AG 1 Lokale Demokratie und Politik für Schülerinnen und Schüler verständlicher und erfahrbarer machen Ideen und Projekte in Kooperation von Stadtverwaltung und Schulen in Hannover Kontakt: Dr. Werner Heye, Referat für Stadtentwicklung, Hannover Tel.: (0511) 168-43789, E-mail: [email protected] Christoph Honisch, Stadtjugendpfleger, Hannover Tel.: (0511) 168-41014, E-mail: [email protected] Themen und Fragestellungen für die AG 1 I. Einführung: Motive und Ziele, warum es aus städtischer Perspektive wichtig und notwendig ist, sich stärker, gemeinsam für das Thema zu engagieren. II. Kurzdarstellung: Beispielhafte Projekte und Projektideen III. Erfahrungsaustausch / Perspektivdiskussion: - Wie kann dem Thema ‚lokale Demokratie und Politik‘ in der schulischen Lernorganisation mehr Gewicht verliehen werden ? - Wie kann die Kooperation von Schule und Kommune / Kommunalverwaltung verbessert werden – Erwartungen und Möglichkeiten ? - 39 - 10. POLITIKLEHRERTAG I. Einführung Motive und Ziele, warum es aus städtischer Perspektive wichtig und notwendig ist, sich stärker, gemeinsam für das Thema zu engagieren 1. „Die Demokratie ist die am wenigsten schlechte und damit bestmögliche aller Lösungen“. Es gibt kein ideales Gesellschaftssystem, ohne Fehler und Schwächen, insbesondere wenn man auf das Verhalten der Akteure schaut. Dies darf aber nicht den Blick dafür verstellen, dass die Demokratie ein attraktives, humanes und schützenswertes Gesellschaftssystem ist. Dies wird jedoch als viel zu selbstverständlich, naturgegeben betrachtet. Demokratische Teilhabe stabilisiert das System und nützt damit jedem Einzelnen. 2. „Ich bin 16 Jahre alt. Ich wähle zum ersten Mal. Es ist so viel, Stadtrat, Bezirksrat und was weiß ich noch. Ich weiß überhaupt nicht, was ich da wähle und wozu“. Junge Menschen wollen von (lokaler) Demokratie und Politik offenbar wenig wissen, sie wissen aber auch erschreckend wenig, sind schlecht informiert. Dies gilt sowohl im Hinblick auf den Wert, die Kultur und die Grundlagen von Demokratie als auch im Hinblick auf die (lokal)demokratischen und -politischen Aufgaben, Formen und Abläufe. 3. „Die demokratische Wirklichkeit ist so kompliziert. Wir müssen wieder lernen alles zu erklären, immer wieder aufs Neue“. Die gesellschaftlichen Institutionen (Staat und Kommunen, Politik und Verwaltung, Bildungseinrichtungen, Jugendorganisationen) haben in diesem Zusammenhang eine besondere und gemeinsame Verantwortung und Aufgabe. Sie besteht vor allem darin, jungen Menschen verstärkt und kontinuierlich die demokratischen sowie politischen Institutionen, Strukturen und Prozesse zu vermitteln, Demokratiebewusstsein zu fördern, Demokratielernen zu ermöglichen. - 40 - 10. POLITIKLEHRERTAG 4. „Die Kommune ist die Schule der Demokratie“. Kommunale Demokratie gehört in die Schule. Denn besonders verstehbar, erfahrbar und gestaltbar wird Demokratie, demokratische Teilhabe in der Lebensumgebung der jungen Menschen. Lokale Demokratie und Politik bieten vielfältige Handlungsfelder und Anknüpfungspunkte. Schule bietet einen geeigneten Lernort und Gestaltungsrahmen. Stadt(verwaltung) und Schule sind sinnvolle und erforderliche Kooperationspartner, um in einem Prozess der kleinen Schritte Demokratiekompetenz zu vermitteln, Demokratielernen selbstverständlicher zu machen, Partizipation zu fördern. 5. „Die Gemeinde soll bei Planungen und Vorhaben, die die Interessen von Kindern und Jugendlichen berühren, diese in angemessener Weise beteiligen. Hierzu soll die Gemeinde über die in diesem Gesetz vorgesehene Beteiligung der Einwohner hinaus geeignete Verfahren entwickeln und durchführen“. Nach der Neuformulierung des § 22e der Niedersächsischen Gemeindeordnung (NGO) haben Verwaltung und Politik auch einen besonderen Auftrag, die demokratische Teilhabe von jungen Menschen zu ermöglichen, anzuregen und aktiv zu fördern. 6. „Auf jeden Fall sollte man ein solches Projekt (Planspiel) machen und wiederholen. Weil es Spaß gemacht hat und man viel über Demokratie und Politik gelernt hat“. Es müsste das gemeinsame Ziel sein, konkrete praxisnahe Konzepte und Projekte zu entwickeln und in die schulische Lernorganisation zu integrieren. Wichtig ist, dass die Projekte Spaß und Ernst, Erlebnis und Aktion, Wissens- und Kompetenzerfahrung kreativ und konstruktiv miteinander verbinden. Bei ‚richtiger Ansprache‘ haben viele junge Menschen sehr wohl ein Interesse daran, sich mit Demokratie und Politik auseinander zu setzen und mehr Informationen, Kenntnisse und Fähigkeiten zu bekommen. - 41 - 10. POLITIKLEHRERTAG II. Kurzdarstellung - Beispielhafte Projekte und Projektideen Projekt / Projektidee A „Erste Wahl mit 16“ – Schülerinnen und Schüler fit machen für die Kommunalwahl Worum geht es bei diesem Projekt ? Ziel des Projekts ist es, Schülerinnen und Schüler modellhaft die mit einer Kommunalwahl verbundenen Bedingungen, Strukturen und Abläufe so realistisch wie möglich zu vermitteln. Dazu übernehmen verschiedene Schülergruppen oder -klassen unterschiedliche, aufeinander bezogene Rollen und Aufgaben: Stadtteilprobleme analysieren, mit Wahlprogrammen auseinandersetzen, Kandidaten für fiktive Parteien aufstellen, Wahlwerbung gestalten, Diskussionen organisieren, Wahlen vorbereiten, durchführen und auswerten. An wen richtet sich das Projekt ? Schülerinnen und Schüler der Klassen 8 bis 10; klassen- bzw. jahrgangsübergreifend. Was lernen die jungen Menschen durch das Projekt ? Die Schülerinnen und Schüler lernen vor allem demokratische Prozesse und Regeln besser zu verstehen, ihr Interesse an Politik und politische Wahlen wird geweckt oder gestärkt sowie ihre Kommunikationsfähigkeit und soziale Handlungskompetenz werden gefördert. Zudem regt das Projekt die Lernmotivation für verschiedene Fächer an (Politik, Deutsch, Kunst, Informatik). Welche wichtigen Voraussetzungen sind zu beachten ? Das Projekt erfordert eine gezielte sächliche wie konzeptionelle Vorbereitung und klare Organisation durch eine verantwortliche Lehrkraft in Kooperation mit der Kommune. Wichtig ist dabei auch die Bereitschaft in der Schule für die klassenund jahrgangsübergreifende Kooperation. Das Projekt erstreckt sich insgesamt über einen Zeitraum von drei Monaten. Das Projekt ist im Prinzip auf andere Wahlen übertragbar. Dabei ist es auch möglich, - 42 - 10. POLITIKLEHRERTAG den Umfang des Projekts zu reduzieren und aus dem Projekt einzelne Bausteine herauszugreifen. - 43 - 10. POLITIKLEHRERTAG Projekt / Projektidee B Rathauserkundung Worum geht es bei diesem Projekt ? Im Mittelpunkt des Projekts steht das Anliegen, jungen Menschen das Rathaus als den Ort näher zu bringen, an dem die Belange der Einwohnerinnen und Einwohner der Stadt behandelt und vertreten werden. Je nach Ausgestaltung des Projekts können verschiedene Elemente eingebaut und miteinander verzahnt werden, wie etwa ein Quiz zum Thema ‚Unsere Stadt‘, kennen lernen der Räumlichkeiten und Funktionen des Rathauses, Gespräche mit Politikern und Verwaltung, themenorientierte Teilnahme an einer Rats- oder Ausschusssitzung. An wen richtet sich das Projekt ? Schülerinnen und Schüler des Jahrgangsstufen 6 bis 10. Was lernen die jungen Menschen durch das Projekt ? Die jungen Menschen lernen, das Rathaus im Stadtbild einzuordnen und es nicht nur als zu besichtigendes Bauwerk zu betrachten. Sie erleben das Rathaus – viele zum ersten Mal – als lebendiges Gebäude, in dem Verwaltungsmitarbeiter und Politiker arbeiten und unterschiedliche Aufgaben wahrnehmen. Zudem wird das Interesse der jungen Menschen an bestimmte die Stadt betreffende Themen und Fragen geweckt. Welche wichtigen Voraussetzungen sind zu beachten ? In Kooperation von Kommune und Schule ist es notwendig, Vorinformationen zu vermitteln sowie die jeweiligen einzelnen Schritte vor zu besprechen. Außerdem müssen geplante Termine im Rathaus rechtzeitig mit der Verwaltung und Politik abgestimmt werden. Das Projekt sollte von einer Moderationskraft (z.B. aus der Jugendarbeit) vorbereitet, begleitet und abschließend ausgewertet werden. - 44 - 10. POLITIKLEHRERTAG Projekt / Projektidee C Planspiel Kommunalpolitik Worum geht es bei diesem Projekt ? Beim ‚Planspiel Kommunalpolitik‘ schlüpfen Schülerinnen und Schüler in die Rolle von Politikerinnen und Politikern (in Hannover: in die Rolle der Stadtbezirksräte). Ausgehend von Grundinformationen zur Arbeit von Bezirksräten teilen sie sich in politische Fraktionen auf, erarbeiten aktuelle politische Themen aus dem eigenen Lebensumfeld und formulieren Anträge und Anfragen. Sie werden dabei von den ‚realen‘ Mandatsträgern unterstützt. Den Abschluss bildet eine möglichst eng an der Wirklichkeit orientierte ‚simulierte‘ Bezirksratssitzung unter Leitung des/der ‚realen‘ Bezirksbürgermeisters/Bezirksbürgermeisterin. An wen richtet sich das Projekt ? Schülerinnen und Schüler der Jahrgänge 10 und 11. Was lernen die jungen Menschen durch das Projekt ? Die Schülerinnen und Schüler lernen praxisnah die Aufgaben, Arbeitsweisen und Abläufe der Bezirksratsarbeit kennen. Sie treten in persönlichen Kontakt mit den Politikerinnen und Politikern und erfahren, wie diese ‚Politik machen‘ und wie vielfältig ihre alltägliche politische Arbeit ist. Dabei werden sie auch ermutigt und befähigt, sich stärker am realen lokalpolitischen Geschehen zu beteiligen. Welche wichtigen Voraussetzungen sind zu beachten ? Die erforderliche inhaltliche Vorbereitung erfolgt im Rahmen des zwischen Politik, Schule und Verwaltung verabredeten Planspiels. Das Planspiel erstreckt sich auf einen Zeitraum von insgesamt etwa zwei Monaten. Der überwiegende Zeiteinsatz (außer der simulierten Sitzung) lässt sich in die Unterrichtsorganisation integrieren. Die schulinterne Organisation übernimmt eine verantwortliche Lehrkraft; die Koordination des Planspiels übernimmt die Stadtverwaltung (in Hannover: Referat für Stadtentwicklung). - 45 - 10. POLITIKLEHRERTAG III. Erfahrungsaustausch / Perspektivdiskussion Wie kann dem Thema ‚lokale Demokratie und Politik‘ in der schulischen Lernorganisation mehr Gewicht verliehen werden ? Wie kann die Kooperation von Schule und Kommune bzw. Kommunalverwaltung verbessert werden – Erwartungen und Möglichkeiten ? - 46 - PALÄSTINATAGE III ZUM ZEITGESCHEHEN Filistina 2002 Palästinatage in der Region Hannover von Wilhelm Wortmann und Sami Hussein Erschütternd, brisant und vor allem gleichbleibend aktuell: das Thema „Palästina“ ist und bleibt ein Brennpunkt der politischen Weltereignisse. Die eskalierenden Geschehnisse der vergangenen Jahre, die anhaltende Gewalt in der Region, haben die Hoffnungen auf eine baldige Lösung zunichte gemacht. Die Situation – nun auch noch angesichts eines drohenden Angriffskrieges gegen den Irak – scheint auswegloser als je, die Fronten sind verhärtet, von Frieden keine Rede, die zahlreichen Vermittler verstummt. Sind wir in Deutschland zu weit weg und indifferent, um aktiv die verfahrene Situation zu beleuchten, um Fragen zu beantworten und verworrene Situationen ein wenig klarer darzustellen? Die „Initiative Palästina“, ein Zusammenschluss in Hannover lebender Deutscher, Palästinenser und Israelis, hatte sich zum Ziel gesetzt, die Palästinafrage deutlich und umfassend ins Bewusstsein der Menschen zu rücken und dabei offene Fragen nicht auszusparen. Die Initiative wurde ideell, wie auch zumeist sehr konkret - praktisch wie finanziell - unterstützt von: der Landeshauptstadt Hannover als Mitveranstalter – Palästinensische Gemeinde Deutschland Hannover – Niedersächsische Landeszentrale für politische Bildung – Region Hannover – NAJDEH, Soziale Hilfsorganisation für die Palästinenser – Literaturbüro Hannover – Kino im Künstlerhaus – Deutscher Gewerkschaftsbund – Friedrich-EbertStiftung (Bonn) – Institut für Politische Wissenschaft der Universität Hannover – Evangelisch-Lutherische Kirche in der Region (Sprengel) Hannover – Katholische Kirche Region Hannover – Deutsche Vereinigung für politische Bildung Niedersachsen – Evangelisches Missionswerk Berlin – Friedrich-Naumann-Stiftung – Verein zur Förderung des interkulturellen Dialogs Göttingen. - 47 - PALÄSTINATAGE Ein besonderes Signal setzte der Oberbürgermeister der Landeshauptstadt, Herbert Schmalstieg, indem er bereit war, die Schirmherrschaft zu übernehmen. Die Palästinatage „Filistina 2002“ haben vom 18. bis 21. September in Hannover stattgefunden und sind von erfreulich vielen interessierten und diskussionsfreudigen Menschen besucht worden. Die Veranstaltungen boten in vielfältiger Form die Gelegenheit, das palästinensische Volk, sein Anliegen, seine Kultur und auch seine Ängste und Hoffnungen näher kennen zu lernen. Im Freizeitzentrum Vahrenwald, im Literaturbüro und im Kino des Künstlerhauses wurden Ausstellungen, Vorträge, Seminare, Lesungen, Filmvorführungen und Podiumsdiskussionen anschaulich und engagiert dargeboten. Die FILISTINA 2002 setzte dort an, wo die Politik – auch in Deutschland – überwiegend schweigt und auch versagt. Zu wenig weiß man hierzulande über jenes „Volk ohne Land“, über die Menschen, die in den Besetzten Gebieten leben und hilflos zuschauen müssen, wie einerseits Zäune und Mauern unterschiedlichster Natur um sie herum entstehen, ihre Einrichtungen und Lebensverhältnisse gezielt zerstört werden, ihr Selbstwertgefühl missachtet wird und andererseits radikale „Landsleute“ weltweit ein falsches und keinesfalls repräsentatives Bild von „dem Palästinenser“ entstehen lassen. Dabei ist die Erwartung auf eine verständnisvollere Welt immer noch eine der großen Hoffnungen des palästinensischen Volkes, das eine ausgeprägte Kunst und Kultur, ein starkes Selbstverständnis und den unerschütterlichen Glauben an ein völkerrechtlich gesichertes Existenzrecht und an gleichwertige Nachbarschaftlichkeit hat. Es ist – so glauben wir – unserer Initiative gelungen zu verdeutlichen, dass wir uns nicht gegen ein Volk und seinen Staat richten wollten (bei nachvollziehbarer Kritik an seiner jetzigen Regierung), sondern dass wir uns für ein besetztes, unterdrücktes und in Teilen vertriebenes Volk, für sein Selbstbestimmungsrecht und für seinen eigenen Staat eingesetzt haben. - 48 - PALÄSTINATAGE Einige Impulsgedanken zur Eröffnung der Palästinatage 2002 in Hannover von Dr. Wilhelm Wortmann Hannover, den 18. September 2002 Meine Damen, meine Herren! Sehr geehrter Herr Generaldelegierter Palästinas, Herr Abdallah Frangi! Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister der Landeshauptstadt und Schirmherr der Palästinatage 2002 in unserer Region, Herr Dr. Herbert Schmalstieg! Palästinatage! – In unserem Programmfaltblatt haben wir geschrieben: Palästina – ein Land zwei Völker. Mit dieser Formulierung kann der Streit schon anfangen. Lassen Sie mich unsere Intention erläutern. Seit Jahrhunderten trägt der geographisch-geschichtliche Raum zwischen Mittelmeer und Jordantal, zwischen Libanon und Golf von Elat /Akkaba die Bezeichnung „Palästina“. Das änderte sich mit dem Ende der britischen Mandatszeit und der Ausrufung des Staates Israel: für die arabische Bevölkerung ist der Name des Gebietes „Palästina“ geblieben, für die jüdische Bevölkerung gilt: Israel – ja, Erez Israel. Und für die arabische Bevölkerung mit israelischem Pass? In unserer Initiativgruppe gab es am Anfang kurz die Diskussion, ob wir die Veranstaltungsreihe nicht lieber israelisch-palästinensische oder palästinensisch-israelische Tage benennen sollten?! Wir waren sehr schnell der Auffassung, es ist an der Zeit, den Blick Richtung Nahost nicht stets primär auf Israel zu richten, sondern auch auf die andere dort vorhandene Bevölkerung, auf die arabischen Palästinenser. - 49 - PALÄSTINATAGE Wer sind sie heute – die Palästinenser? Seit Jahrhunderten haben sie hier gelebt, zuletzt in einer osmanischen Unterprovinz. Es hat nie ein palästinensisches Volk gegeben, das in einem eigenen staatlichen Gebilde organisiert war. (Durchaus vergleichbar mit den Juden in den letzten 2 ½ Jahrtausenden.) Den etwa 5 Millionen Juden zwischen Mittelmeer und Jordan stehen etwa 3 ½ Millionen Palästinenser gegenüber, wobei es sinnvoll ist, die etwa 2,2 Millionen palästinensischen Flüchtlinge und ihre Nachkommen im Libanon, in Syrien und Jordanien im Blick zu haben. (Nicht zu vergessen: über 1 Million im weltweiten Exil.) Alles in allem etwa 7 Millionen palästinensische Menschen, die seit Jahrzehnten bemüht sind eine Identität, ihre Identität zu finden. Es gab eine weitere Überlegung für unsere Entscheidung: die kriegsähnliche Entwicklung der 2. Intifada seit 2000. Was wir in Europa und in der Welt vorrangig über diesen Konflikt erfahren, was medial – vergleichsweise leicht und anschaulich – transportiert werden kann, sind die beidseitigen Anwendungen von Gewalt, von direkter, personaler und brutaler Gewalt, die ihrerseits wieder nach Rache und Vergeltung schreit. Dabei heißt es dann immer sofort beflissentlich: von beiden Seiten gleichermaßen! Trifft das zu – oder sind hier Schutzbehauptungen, Formen von Tabuisierung im Kalkül? Sind beide Seiten in der Tat gleichgewichtig? Direkte Gewalt: Welches Waffenpotential – quantitativ und qualitativ – steht im Einsatz auf der einen Seite und welches auf der anderen Seite? Welche Verlustzahlen an Toten und Verletzten muss die Bevölkerung in Israel erleiden und welche die Bevölkerung in den Besatzungsgebieten? Welche Zerstörungsschäden an Häusern, Infrastrukturen und sozialen Einrichtungen? Verkehrswegen, Es ist offensichtlich: Überlegenheit und Übergewicht der israelischen Seite gegenüber der Seite der Palästinenser sind eklatant und ungleichgewichtig. - 50 - PALÄSTINATAGE Es gibt aber noch eine andere Form von Gewalt, die wesentlich tiefgründiger, weil ursächlich ist – auch ursächlich für das Entstehen direkter Gewalt: die strukturelle Gewalt! Strukturelle Gewalt wirkt nicht direkt, personal verletzend auf Menschen, sondern eher mittelbar auf die Lebensbedingungen, die Umstände des Alltags und die seelisch-biologischen Verhältnisse der Menschen. Auf israelischer Seite wirken hier die generellen Unsicherheiten wegen der staatlichen und damit der kollektiven Existenzbedrohung aus den sechziger und siebziger Jahren durch das arabische Umfeld. Aktuell sind es die Ängste vor punktuellen, nicht einschätzbaren Attentaten palästinensischer Selbstmörder im eigenen Staat. Welches Ausmaß die strukturelle Gewalt der israelischen Besatzer im palästinensischen Bereich seit Jahren angenommen hat, verdeutlichen die geostrategischen Abriegelungen der besetzten Gebiete: die Segmentierung der unter palästinensischer Autonomie stehenden Städte (z.Z. wieder überwiegend besetzt wie vor dem Oslo-Prozess), die Einschränkung der Bewegungsfreiheit der Bevölkerung (Ausgangssperren, Abschneiden der Wege zu Arbeit, Schule, Universität und Märkten), die Straßensperren und Kontrollstellen, benutzt werden darf, die Konfiskation von Land der eingeborenen Bevölkerung für israelische Siedlungen, das dichte Straßennetzes zwischen den jüdischen Siedlungen, das von Palästinensern nicht benutzt werden darf, Schutzstreifen und Militäranlagen; ... die Aufzählung muss hier nicht vollständig sein. Verdeutlicht werden muss aber, dass es sich bei all diesen Maßnahmen um eine permanente und flächendeckende Behandlung aller Palästinenserinnen und Palästinenser handelt. Das alles führt im Sozio-Psychischen zu Ohnmachtgefühlen, Wut und schließlich zu Verzweiflungstaten, Demütigung und Verletzbarkeiten des Selbstwertgefühls eines ganzen Volkes und letztlich zu Hass. - 51 - PALÄSTINATAGE Ursache und Wirkung sind bei dieser Asymmetrie sorgfältig zu analysieren und zu werten: Auf der einen Seite ein rechtstaatlich geordneter, demokratisch legitimierter Staat, der sich zum „Westen“ gehörend empfiehlt, mit voller Souveränität, Polizei- und Militärgewalt, international anerkannt. Auf der anderen Seite Menschen, die seit Jahrzehnten unter Besatzungs- und Militärverwaltung existieren müssen, wirtschaftlich abhängig und in jeder Weise unfrei gehalten werden, mit einer auf wenige Prozente des noch verbliebenen Landes begrenzten autonomen Selbstverwaltung. Was sagt das Völkerrecht dazu? Warum werden in diesem Konflikt UN-Resolutionen zwar zahlreich (28) beschlossen, aber niemals durchgesetzt und von Israel schlicht missachtet? Wie weit werden die Menschenrechte respektiert? Zu den wichtigsten Errungenschaften des 20. Jahrhunderts gehört das Recht auf Selbstbestimmung von Menschen, Gruppen und Völkern! Warum wird dieses Recht den Palästinensern vorenthalten? Nicht nur von der israelischen Regierung, auch von der Weltgemeinschaft und faktisch ebenso von den arabischen – sogenannten – Bruderländern ? Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hat den Menschen jüdischen Glaubens einen Jahrhunderte alten Traum erfüllt: ein unbegrenztes Rückkehrrecht nach Palästina und in einen jüdisch definierten, selbstbestimmten Staat – von der UNO sanktioniert. Wir wissen über die Widerstände, die verzweifelten Umstände von Flucht und Vertreibung, über die Aggressionen und Explosionen in dieser Region. Um so unerbittlicher stellt sich die Frage nach dem gleichen Recht für beide Gesellschaften, für beide Völker, für beide Nationen, nach dem Recht, die eigenen Lebensverhältnisse selbst regeln und bestimmen zu dürfen und bestimmen zu können. Die Welt schaut zu – obwohl die Lösung klar ist. Die Umsetzung sicherlich nicht ganz so einfach. - 52 - PALÄSTINATAGE Wir wollen mit unserer Initiative und mit diesen Palästinatagen im Jahre 2002 anregen, die intensiven, jahrzehntelangen Bemühungen um ideell und materiell gute Beziehungen zwischen Deutschen und Israelis, um eine vergleichbare Aktivität zwischen Deutschen und Palästinensern zu erweitern, zu vervollständigen. Unsere Intentionen: Für die deutschen Bürger wollen wir die Palästinenser ins Blickfeld rücken: die Menschen, ihr Land, ihre Lebensverhältnisse und ihre Kultur. Das uns Fremde soll uns vertrauter werden. Den Palästinensern in Deutschland möchten wir das Gefühl vermitteln, dass sie für uns als Angehörige eines Volkes wie andere angesehen und geschätzt werden. Wir möchten ihnen die Möglichkeit geben, ihre Nationalität, ihre arabische Kultur, ihre Ziele und Hoffnungen darzustellen; m.a.W. ihrem Selbstwertgefühl gleichberechtigt Ausdruck zu verleihen. Indem wir mit unserer Initiative den sozialen und den geistigkulturellen Dialog anstreben, wollen wir als Fernziel versuchen, einen Beitrag zu leisten, die verhängnisvolle Asymmetrie zwischen Israel und den Palästinensern zu verringern, zu relativieren in der Hoffnung, die Kräfte in jener Mittelmeerregion zu stärken, die sich in der Lage sehen, eine wirklich politische, eine gerechte und eine menschenwürdige Lösung zu finden. Ich knüpfe an unser Motto an: Palästina – ein Land, zwei Völker – und füge hinzu: zwei Staaten. Lassen Sie es mich abschließend und noch konkreter so formulieren: „Klar ist, dass es keine Lösung geben wird, auch nicht für die Israelis, solange die Palästinenser im Elend und ohne Würde leben. Die Israelis werden in keiner glaubwürdigen und endgültigen Art und Weise Ruhe und Sicherheit erzielen können, solange ihre Nachbarbevölkerung unter ihrer Besatzung lebt und deren Kinder nicht dieselben Zukunftschancen bekommen, die ihre eigenen Kinder haben. Klar ist aber auch, dass weder die Palästinenser noch die Israelis ihr Ziel durch Gewalt erreichen können. - 53 - PALÄSTINATAGE Die Palästinenser sind nicht mächtig genug, die Israelis zu vertreiben, und die Israelis sind nicht mächtig genug, langfristig über eine andere Bevölkerung zu herrschen. Napoleon sagte einmal, man könne mit Bajonetten vieles erreichen, nur auf ihnen sitzen könne man nicht. Wir sitzen schon allzu lange auf Bajonetten und brauchen dringend eine Leiter, um herunterzuklettern. Diese Leiter können wir aber nur von unseren Nachbarn bekommen.“ Sehen Sie es mir bitte nach, wenn ich Ihnen erst jetzt sage, dass diese letzten Aussagen nicht von mir stammen, sondern ein vollständiges Zitat von Avi Primor 1 sind – nicht viel älter als 2 Monate. Ich wünsche den Palästinatagen „Filistina 2002“ in Hannover Erfolg und verständnisbereite Teilnehmerinnen und Teilnehmer ! 1 Avi Primor (früherer Botschafter Israels in Deutschland), Keine Lösung durch Gewalt; in: Aus Politik und Zeitgeschichte. B35-36/2002, S.15 (2.9.) - 54 - POLITISCHE BILDUNG UND RELIGIÖSE ORIENTIERUNG Politische Bildung und religiöse Orientierung – Plädoyer für einen Dialog mit den Religionen über Politik und Gesellschaft von Fritz Erich Anhelm Das terroristische Verbrechen in den USA hat die ganze Welt erschüttert. Die Täter werden dem extremistischen politischen Islamismus zugerechnet. Das hat das Verhältnis von Politik und Religion plötzlich wieder in den Mittelpunkt öffentlichen Interesses gerückt. Zu normalen Zeiten kommt ihm in Gesellschaften, die sich weithin als säkularisierte verstehen, kaum besondere Aufmerksamkeit zu. Nun aber ist die Huntington’sche Formel vom “Clash of Civilisations” erneut in aller Munde. Sie meinte insbesondere die Religionskulturen. Manche Kommentatoren reden ohne jede Scheu vom “Krieg der Kulturen”. Die Hoffnung auf einen “Dialog der Kulturen und Religionen” scheint in weite Ferne gerückt. Wer dieser Hoffnung eine Chance lassen will, muss zwischen Religionskulturen und ihrem Missbrauch durch politischen Extremismus unterscheiden. Solche Differenzierung ist äußerst wichtig. Sie ermöglicht den Religionen, sich von der politischen Funktionalisierung ihrer Glaubenstraditionen durch organisierte Gewalttäter zu distanzieren und an Begegnung und Dialog festzuhalten. Und sie ermöglicht es der Politik, dem sich religionsideologisch begründenden Terrorismus das rechtstaatliche Gewaltmonopol entgegenzusetzen, ohne damit ganze Religionsgemeinschaften pauschal zu treffen. Die Religionskulturen sind in allen großen Weltreligionen äußerst vielfältig ausgeprägt. Das gilt auch für das in ihnen jeweils entwickelte Verhältnis von Religion und Politik. Diese Komplexität kann nur im Dialog miteinander erschlossen werden. Er ist Voraussetzung für das friedliche Zusammenleben in pluralen Gesellschaften. Er muss allerdings vom Vertrauen der ganzen Gesellschaft in die Perspektive gelingender Koexistenz unterschiedlicher Religionskulturen getragen werden. Hier ist auch die politische Bildung - 55 - POLITISCHE BILDUNG UND RELIGIÖSE ORIENTIERUNG gefragt. Welchen Beitrag sie zur Entwicklung dieses Grundvertrauens leisten kann, ist Gegenstand des folgenden Artikels. Zwei Fragestellungen sollen den Artikel leiten: Worauf muss sich Politische Bildung einstellen, die die religiösen Orientierungen und Habitusformen ihrer Adressatinnen und Adressaten ernst nimmt? Und: Was hat das mit ihrem Bildungsauftrag in der demokratischpluralistischen Gesellschaft zu tun, die sich doch weithin als säkularisiert begreift? Beide Fragen werden aus einer christlich-protestantischen Sichtweise in der Perspektive des interreligiösen Dialogs und im Hinblick auf die mündige Teilhabe aller Bürgerinnen und Bürger an der Gestaltung des Gemeinwesens erörtert. 1. Religion als Störfaktor? Wir befinden uns auf einem der vielen Seminare zur politischen Bildung. Die veranstaltende Trägerorganisation versteht sich als eine säkulare. Am Ende des Tagesprogramms lädt eine Teilnehmerin zur christlichen Abendandacht ein. “Auf freiwilliger Basis”, sagt sie. Dennoch entwickelt sich eine ausgedehnte Diskussion. Manche kritisieren die “verrückte” Idee, die weder “ins Programm passt”, noch “etwas mit dem zu tun hat, weshalb man hergekommen ist”. Andere unterstützen den Vorschlag und verteidigen ihn. Die Sache ist plötzlich emotional weit höher besetzt als alles, was im Laufe des Tages diskutiert wurde. Die Gruppe droht, sich zu polarisieren. Da beendet der Leiter die Debatte – vordergündig – damit, dass er erklärt, man befinde sich nicht auf einer kirchlichen Rüstzeit, sondern in einem Seminar zur politischen Bildung. Szenenwechsel: Kurz vor der Mittagspause verlassen drei Teilnehmer den Seminarraum und erscheinen zu spät oder gar nicht zum Essen. Das wiederholt sich am Abend und wird von anderen Teilnehmenden wie auch vom Leiter ärgerlich vermerkt. Er geht der Sache nach und stellt die drei zur Rede. Es wird klar, dass es sich um Muslime handelt, die auf einem der Zimmer ihre Gebete verrichten. Auf seine Frage, ob sie das nicht außerhalb des gemeinsamen Programms tun könnten, erntet er erstauntes Kopfschütteln. Dabei stellt sich heraus, dass sie auch mit dem Fleisch im Essen Probleme haben. - 56 - POLITISCHE BILDUNG UND RELIGIÖSE ORIENTIERUNG Erneuter Szenenwechsel: Am Freitag Abend ist ein Teilnehmer plötzlich verschwunden und taucht auch zum geselligen Beisammensein nicht mehr auf. Als der Seminarleiter ihn am nächsten Vormittag darum bittet, etwas auf das Flipchart zu schreiben, verweigert er dies mit der Bemerkung, er wolle die Sabbatruhe einhalten. Nun ist das erstaunte Kopfschütteln auf Seiten des Leiters, der es jetzt aber genau wissen will. Er erkundigt sich nach der Abwesenheit am Vorabend. Da habe er für sich allein den Sabbatbeginn gefeiert, ist die Antwort. So dick muss es ja nicht immer gleich kommen. Und sicher gibt es sensiblere Vertreter der politischen Bildung. Was aber wohl kaum zu bestreiten ist: All dies wird in der Regel eher als Störung, denn als Bereicherung des Seminars empfunden. Politische Bildung und religiöser Habitus sind zwei klar voneinander geschiedene Welten. Wo das eine stattfindet, ist das andere eher fehl am Platz. Solche Trennung reicht bis in die Förderungskriterien. Taucht “Religiöses” im Programm auf, fällt es unter das Ausschlussverdikt trägerspezifischen Eigeninteresses. Die mit der Moderne – zu beider Vorteil – vollzogene Trennung von Staat und Kirche scheint dies letztinstanzlich zu stützen. Und für das Selbstverständnis eines säkularen Trägers politischer Bildung ist selbstverständlich: Religion ist Privatsache. In diesem Sinne ist das Politische Bildung aber ebenso, jedenfalls solange sie auf Freiwilligkeit beruht und nicht zwangsweise auf staatliche Anordnung hin geschieht. Wo Politische Bildung wie Religion Orientierung erzwingen wollen, haben beide schon verloren. Sie werden zur Ideologie. In einer demokratisch verfassten, pluralistischen Gesellschaft regiert dagegen die Freiheit der Wahl. Das bedeutet aber nicht, dass Religion wie Politische Bildung ohne gesellschaftliche Relevanz wären. 2. Religion und politische Pluralität. Eine protestantische Sicht Am Grunde jeder politischen Kultur wirken Glaubenssätze. Sie müssen nicht unbedingt als religiöse verstanden werden. Oft aber sind - 57 - POLITISCHE BILDUNG UND RELIGIÖSE ORIENTIERUNG sie auch im säkularen Gewande religiösen Ursprungs. Trotz aller Rede über ihren öffentlichen Bedeutungsverlust, ist Religion ein starker gesellschaftlicher Faktor, politisch wie kulturell. Als solcher kann er über Bekenntnisorientierungen als Konfession, individuell vagabundierend und auch säkularisiert als Zivilreligion (1) wirksam werden. Politische Bildung, die sich dem verschließt, kommt ihren Möglichkeiten und Aufgaben allenfalls oberflächlich nahe. An die Motive politischen Handelns reicht sie nicht heran, bleibt sozusagen auf der Ebene kognitiver Kälte. Diese Feststellung ist jedoch kein Plädoyer dafür, dass sie zur religiösen Bildung mutieren müsste, um das, was in der Gesellschaft geglaubt wird, kritisch-konstruktiv zur Geltung zu bringen. Eine christlich-protestantische Sichtweise weiß sehr wohl zwischen Religion und Politik zu unterscheiden. Religion geht in Politik nicht auf. Und konkrete Politik lässt sich nicht aus Glaubensbekenntnissen ableiten. Die Verantwortung vor Gott, auf die sich das Grundgesetz bezieht, öffnet den Raum der Politik im evangelischen Verständnis für verantwortete Freiheit. In ihm haben unterschiedliche bis kontroverse politische Optionen Platz. Die aber sind eben vor Gott und den Menschen zu verantworten, also begründungs- und dialogpflichtig. Gott als letzte Instanz macht deutlich, dass nicht Politik selbst diesen Platz besetzen darf, wenn sie fähig zur Alternative bleiben will. Das Unverfügbare schützt sie davor, sich selbst für absolut zu halten. Der Gottesbezug verweist Politik auf ihr menschliches Maß. Und dass alle Menschen an den Entscheidungen über politische Optionen teilhaben sollen, ist die daraus zu ziehende Konsequenz. Insofern hat das christlich-protestantische Selbstverständnis eine- in seiner Geschichte allerdings nicht immer genügend beachtete – Affinität zu demokratischen Lebensformen. (2) 3. Glaubenswahrheit und Dialog Wie aber wirkt sich die Selbstbindung von Individuen und gesellschaftlichen Gruppen an ein bestimmtes religiöses Bekenntnis im Verhältnis zu anderen Religionen und Glaubensgemeinschaften aus? Da geht es schließlich um “letzte Dinge”, um - 58 - POLITISCHE BILDUNG UND RELIGIÖSE ORIENTIERUNG Glaubenswahrheiten. Es handelt sich nicht mehr – wie im Bereich des Politischen – um vorletzte Entscheidungen, alternative Optionen, die sich aus der vor Gott verantworteten Freiheit begründen, sondern um das Bekenntnis. Auch in der jüdisch-christlichen Tradition gilt das erste Gebot als Axiom: “Ich bin der Herr, dein Gott. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir”. (3) Das schließt alle anderen Berufungen auf ein Absolutes aus, die säkularen (in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Kunst usw.), wie die religiösen. Gegen einen religiösen Rigorismus, der im schlimmsten Fall gewalthaltige Feindbilder produziert und in der Geschichte der Religionen immer wieder produziert hat, setzte sich in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts in den christlichen Kirchen eine ökumenische Sichtweise durch, die der Interpretation des Evangeliums für das Zusammenleben der Menschen selbst dialogischen Charakter zuschreibt. Sie lässt das Axiom bestehen, öffnet sich aber zugleich in hermeneutischer Sensibilität gegenüber Andersgläubigen. Dies meint, den anderen verstehen lernen zu wollen, ohne die eigene Glaubensüberzeugung und das öffentliche Zeugnis für sie aufgeben zu müssen. Damit ist die Voraussetzung für einen interreligiösen Dialog geschaffen, der über das Toleranzgebot hinausgeht und zur Begegnung motiviert. (4) An sich ist das zunächst nichts Politisches. Aber es hat große gesellschaftspolitische Auswirkungen. Denn dieser interreligiöse Dialog setzt friedensstiftende und -fördernde Impulse frei, die dem vernünftigen, konfliktfreieren Zusammenleben dienen. Zum Gegenstand politischer Bildung wird er aber erst, wenn er die Formen dieses Zusammenlebens auch bewusst reflektiert. Der Dialog zwischen den Religionen richtet sich unmittelbar auf deren Glaubenszeugnisse und -traditionen. Als solcher muss er noch nicht zum Thema politischer Bildung werden. Der Dialog der Religionen über die Entwicklungen in Staat und Gesellschaft – so er denn geführt wird – hat dagegen eminent politische Qualität. An ihm kann und darf politische Bildung nicht vorbeigehen. (5) Diese Unterscheidung ist in doppelter Hinsicht wichtig: Zum einen belässt sie den Religionen die Freiheit, ihr Verhältnis zueinander auf der Basis ihrer jeweiligen Bekenntnisse zu klären. Zum anderen nimmt sie religiöse Überzeugungen als Motiv in politischen und - 59 - POLITISCHE BILDUNG UND RELIGIÖSE ORIENTIERUNG gesellschaftlichen Gestaltungsprozessen ernst. Ausdruck dafür ist etwa die Anerkennung von Kirchen und religiösen Gemeinschaften als Träger (gerade auch im institutionellen Sinne) von politischer Bildungsarbeit. - 60 - POLITISCHE BILDUNG UND RELIGIÖSE ORIENTIERUNG 4. Dialog der Religionen über gesellschaftliche Entwicklungen Im Juli 2001 hat die Evangelische Akademie Loccum zum dritten Mal innerhalb von sechs Jahren eine Interreligiöse Sommeruniversität durchgeführt. Neun Tage lang lebten, diskutierten und feierten etwa 110 Jüdinnen und Juden, Christinnen und Christen, Muslima und Muslime miteinander. Das Programm wurde von einem aus den drei Religionen besetzten Vorbereitungsausschuss entwickelt. Es hatte sehr unterschiedliche inhaltliche und methodische Elemente: Schriftenauslegungsgruppen mit Expertinnen und Experten jeweils aus allen drei Religionen zum Menschenbild, Workshops mit Elementen des gegenseitigen Erfahrungslernens, Biographische Abendgespräche mit einzelnen Repräsentanten. Der Freitag bis Sonntag war dem gegenseitigen Miterleben des muslimischen Freitagsgebetes, des jüdischen Sabbatbeginnes, -gottesdienstes und –ausgangs und dem christlichen Gottesdienst und Stundengebeten vorbehalten. Koranauslegung, Talmudschule und Gottesdienstnachbesprechungen fanden mit gemeinsamen Reflexionen des Erlebten statt. Alle drei Religionen verfügten über einen eigenen Gottesdienstraum, in den gegenseitig eingeladen werden konnte. Was hier geschah, war ein Dialog zwischen den Religionen mit hohem Erfahrungswert, der dem Kennenlernen und dem Verstehen bis hin in den Ablauf religiöser Rituale und Versammlungsformen diente. Im strengen Sinne enthielt er keine Elemente politischer Bildung. Aber er brachte natürlich Gottesverständnisse zum Ausdruck, die auch religiöse Weltdeutungsmuster in sich tragen. Jüdische, christliche oder muslimische Anthropologien sind ohne die jeweiligen Bekenntnisse nicht denkbar. Dies in seinen Unterschiedlichkeiten, ja Unvereinbarkeiten und Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten, legt erst den Grund, auf dem gegenseitiges Verstehen wachsen kann. Thema der Sommeruniversität war: Was macht den Menschen ganz und heil? Dieses Thema ist zwischen Religion und Gesellschaft angesiedelt. Es verbindet den Dialog von Religion zu Religion mit dem Dialog der Religionen über gesellschaftliche Entwicklungen. Der war focussiert auf die aktuellen Diskussionen um Präimplantationsdiagnostik (PID) und Stammzellenforschung. Auf drei Podien ging es sowohl um die damit aufgeworfenen theologisch- 61 - POLITISCHE BILDUNG UND RELIGIÖSE ORIENTIERUNG ethischen Fragen als auch die politisch-rechtlichen Konsequenzen, die sozialen Auswirkungen und die ökonomischen Verwertungsinteressen. Aus allen drei Religionen waren Expertinnen und Experten zum Thema in interdisziplinärer Zusammensetzung beteiligt, aus den Bereichen der Medizin, der Theologie, der Philosophie, der Biologie, der Wirtschaft, Politik und Soziologie. So diskutierte ein Vertreter des Nationalen Ethikrates mit einer Vertreterin der jüdischen Ärzteorganisation, ein Ökonom mit dem Repräsentanten eines Wohlfahrtsverbandes, ein Hirnforscher mit einer muslimischen Theologin. Die Gespräche auf den Podien und im Plenum machten die unterschiedlichen Zugänge der Religionen wie die kontroversen Positionen in der Gesellschaft deutlich. Während z.B. aus jüdischer Perspektive menschliches Leben mit der Einnistung des Embryos im Mutterleib beginnt und von da an unbedingten Schutz genießt, nahm die christliche Position diesen Schutz bereits mit der Verschmelzung von Ei und Samenzelle in Anspruch, was dann auch für die In-VitroFertilisation gilt. Aus muslimischer Sicht wurde stärker der Verantwortungsaspekt sowohl für das werdende wie das existierende Leben gleichermaßen in die Diskussion eingebracht. Leben wird hier als “Vertrauenspfand” Gottes verstanden, während die jüdische Tradition von einer “Leihgabe” spricht und die christliche aus der Gottebenbildlichkeit des Menschen seine Würde und die “Ehrfurcht vor dem Leben” ableitet. Leben in seiner Beziehung zu Gott zu sehen, bedeutet für alle drei Religionen, dass es weder auf biologisches “Material” noch auf eine im menschlichen Ermessen liegende Würde reduziert werden darf. Die ethische Frage, welche Eingriffe dennoch verantwortbar erscheinen (z.B. bei erwiesenen therapeutischen Möglichkeiten) muss auf der Ebene politisch zu setzender Rahmenbedingungen (gesetzlicher Regelungen) beantwortet werden. Davor steht die Güterabwägung im gesellschaftlichen Diskurs. Dieser Diskurs wird ebenso von nicht-religiösen Positionen aus geführt und reflektiert die ganze Pluralität gesellschaftlicher Optionen. Er spiegelt vielerlei Motive und Interessen. In ihm müssen sich die religiösen Menschenbilder neben anderen bewähren. Hier wird eine klassische Debatte politischer Meinungsbildung geführt, die auf Wertorientierungen beruht und daher zentraler Gegenstand auch einer - 62 - POLITISCHE BILDUNG UND RELIGIÖSE ORIENTIERUNG politischen Bildung sein muss, die sich nicht in Institutionen – und Prozesskunde erschöpft. 5. Politik und religiöse Weltdeutung Fragen von Leben und Tod (wie z.B. Embryonenschutz, Sterbehilfe und Hirntoddefinitionen) sind originäre religiöse Themenfelder mit politischen Bezügen. Politikfelder mit religiösen Bezügen sind aber auch alle diejenigen, die die Art des Zusammenlebens in einer Gesellschaft betreffen und die Strukturen, die dieses Zusammenleben regeln. Aus christlicher Perspektive sind “Liebe” und “Gerechtigkeit” zentrale theologische wie ethische Kategorien, Maßstäbe für individuelles wie gesellschaftlich-politisches Verhalten. Wirtschafts- und Sozialethik in unserer Gesellschaft haben der jüdisch-christlichen Tradition viele der Grundfiguren (Ligaturen) ihres Argumentationshorizontes zu verdanken. Das reicht von Solidarität über Subsidiarität bis hin zu den (rechtlich verbindlichen) Beurteilungskriterien für gerechte Sozialbeziehungen, so säkularisiert diese Politikfelder heute auch erscheinen mögen. (6) Angesichts industriellen Raubbaus und neuer Risikotechnologien ist das Verhältnis von Mensch und Natur in den letzten dreißig Jahren wieder stärker in die Wahrnehmung theologischer Weltdeutung gerückt (Schöpfungstheologie). (7) Schließlich beginnt gerade der Protestantismus sein traditionell stark ausgeprägtes Verhältnis zur Kultur wiederzuentdecken. (8) Der “Konziliare Prozess zu Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung” bestimmte in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts die ökumenische Orientierung der christlichen Kirchen (9). Noch mehr kann er aber als Vorläufer zur Herausbildung einer internationalen Zivilgesellschaft angesehen werden, die mit den 1992 (Rio de Janeiro) beginnenden UN-Konferenzen durch Netzwerkbildungen von Nichtregierungsorganisationen Gestalt gewann. Zivile Konfliktbearbeitung, Nachhaltigkeit und Nord-Süd-Gerechtigkeit sind Konzepte, zu deren Entwicklung die Ökumenische Bewegung Anstöße gab. In Menschenrechtsgruppen, bei Aktivitäten zur lokalen Agenda 21 (Nachhaltige Entwicklung), bei Bürgerund Bürgerinnenbeteiligungsprozessen u.v.a.m. kooperieren kirchliche auf lokalen und kommunalen Ebenen mit säkularen Akteuren. Die aus - 63 - POLITISCHE BILDUNG UND RELIGIÖSE ORIENTIERUNG dem Raum der Kirchen heraus agierenden Gruppen verstehen sich dabei als glaubensgegründeter Teil der Zivilgesellschaft. (9) Der wirtschaftliche und technologisch forcierte Globalisierungsprozess wird vor allem von den Religionen kritisch wahrgenommen, die sich wie die christliche – von jeher als universalistisch verstehen. Ökumene (die bewohnte Erde) geht auf das gleiche griechische Wort zurück wie Ökonomie (gutes Haushalten) und Ökologie (Bewohnbarkeit erhalten): Oikos (das Haus). Es geht um den Lebenszusammenhang all derer, die das Haus bewohnen. Wenn sich daher christliche Kirchen und Gruppen gegen einen Globalismus wenden, der finanz- und wirtschaftsbezogene Dynamiken gesamtgesellschaftlich verabsolutiert, reklamieren sie eben jenen umfassenderen Lebenszusammenhang, der die Freiheit zu Wahl von Alternativen offen hält insbesondere im Interesse derer, die unter Ausgeschlossensein und ungerechten Beziehungen zu leiden haben (Option für die Armen). Aus christlicher Sicht kann es prinzipiell keine säkulare, gesellschaftliche, wirtschaftliche, wissenschaftliche, soziale, kulturelle wie politische Entwicklung geben, auf die sich das religiös motivierte Interesse an Mitgestaltung nicht richten könnte. Solches Interesse bündelt sich jedoch vor allem dort, wo grundlegende Orientierungsfragen zum Gegenstand öffentlicher Diskussion und politischer Entscheidungsfindung werden. 6. Politische Bildung als institutionalisierte Wahrnehmungsverengung Einer sich selbst als säkularisiert verstehenden Politischen Bildung stellt sich von hier aus die Frage nach der eigenen Pluralität. Wie ist es um ihre Wahrnehmungsfähigkeit gegenüber religiös motivierten Lebensformen und Orientierungen bestellt? Vermag sie in ihnen überhaupt einen Beitrag zu politisch geforderten Problemlösungen zu erkennen? Wie geht sie mit menschlichem Verhalten zur Transzendenz, mit Glaubensorientierungen um? Angesichts solcher Fragen ist es nicht damit getan, dass es neben “säkularen” arbeitsteilig auch ”religiöse” Träger politischer Bildung gibt. Interessanter ist die Frage nach der gegenseitigen Offenheit für den - 64 - POLITISCHE BILDUNG UND RELIGIÖSE ORIENTIERUNG trägerübergreifenden Diskurs in Sachen “Religion und Politik”. Wo wird er geführt und wer hat Zugang zu ihm? Noch interessanter ist jedoch, die alltägliche Praxisebene politischer Bildungsangebote und -prozesse in Augenschein zu nehmen. Da erst kommen die Habitusformen der verschiedenen gesellschaftlichen Milieus gegenüber Religion und Kirchen zum Ausdruck. Eine gerade abgeschlossene Untersuchung zu “Kirche und Milieu” (10) zeigt, dass in unserer Gesellschaft religiöse Grundorientierungen selbst da wirken, wo sie sich kirchenfern oder -kritisch äußern oder gar im säkularen Gewand daherkommen. Sie geistlich und geistig aufzuklären, verbindet Religionen und Politische Bildung in einem Projekt. Dazu müsste Politische Bildung allerdings die Formalisierung ihrer Inhalte, Methoden, Strukturen und Förderungsmechanismen überprüfen und soweit überwinden, dass trägerübergreifende Ansätze überhaupt praxisrelevant werden können. Sicher muss sie der demokratischen Lebensform und der Mündigkeit ihrer Adressatinnen und Adressaten verpflichtet bleiben. Sie müsste sich aber zugleich den politikbezogenen Glaubensüberzeugungen in der Gesellschaft soweit öffnen, dass diese zum Gegenstand des Diskurses werden können. Wohlverstanden: Es geht nicht darum, Politische Bildung zum Religionsunterricht zu machen. Worum es geht, ist, dem Dialog mit den Religionen über ihre Weltverantwortung Platz in der Politischen Bildung zu schaffen, religiösen Handlungsmotiven Raum zu ihrer kritischen Reflexion im gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang anzubieten. Dieses Projekt ist an der Zeit und ihm dient der folgende Vorschlag. 7. Dialog mit den Religionen über Respekt und Toleranz in der politischen Kultur Will Politische Bildung religiöse Orientierungen wirklich ernst nehmen, wird sie nicht einfach Veranstaltungen über dieses ihr fremd gewordene Phänomen inszenieren können. Sie muss in einen Diskurs mit denen eintreten, die religiöse Bindungen für sich in Anspruch nehmen, in all der Diffusität, die solche Bindungen in der “säkularen” - 65 - POLITISCHE BILDUNG UND RELIGIÖSE ORIENTIERUNG Gesellschaft aufweisen. Ein solcher Diskurs kommt nicht von selbst zustande. Er bedarf der Organisation und der professionellen Begleitung. Er bedarf keiner neuen Trägerstrukturen, wohl aber der Öffnung der existierenden. Und er bedarf des Anreizes. Eine Stiftung, aus öffentlichen und privaten Mitteln finanziert, könnte solche Anreize in die Politische Bildung hinein vermitteln. Sie wäre ein geeignetes Instrument, um den Dialog zwischen Religionen und Zivilgesellschaft über politische Problembearbeitungen und Transformationsprozesse und insbesondere die in ihnen wirkenden normativen Orientierungen zu fördern. Dabei ginge es sowohl um das Verhältnis der Religionen zu Staat und Gesellschaft, ihr Selbstverständnis hinsichtlich des Grundrechtekatalogs der Verfassung und zur Grundrechtscharta der Europäischen Union, um Religion und Menschenrechte, als auch um ethische Fragen in der Entwicklung moderner Technologien, um Bildung und Religionsunterricht an öffentlichen Schulen, die Religionen in der Bürgerbeteiligungsgesellschaft und ihren Beitrag zum kulturellen Leben der Gemeinschaft, um nur einige Themen zu nennen. In diesen Dialog muss die entsprechende politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Expertise einbezogen werden, d.h. er ist gesamtgesellschaftlich angelegt. In einem Gemeinwesen, das in zunehmenden Maße ethnisch, kulturell und religiös pluraler wird, in dem unterschiedliche Identitäten, Lebensformen und Glaubenüberzeugungen daher auf gelingende Interaktion angewiesen sind, spielen Respekt und Toleranz eine zentrale Rolle. Ein auf Kontinuität gestellter Dialog, der dies zu seinem Gegenstand macht, wird zu einem bedeutenden Faktor der politischen Kultur. Politische Bildung, die sich dem öffnet, erwirbt neue hermeneutische Kompetenz, mit der sie sich gegenüber anwachsenden Zuwanderungs- und notwendigen Modernisierungsprozessen inhaltlich und methodisch profilieren und positionieren kann. Denn wer den Prozess der Globalisierung als politische Herausforderung begreift, wird sich der mit ihm ausgelösten Mobilität und den mit ihm einhergehenden exklusiven und inklusiven Dynamiken stellen müssen, und dies nicht nur in ihren ökonomisch vorteilhaften Dimensionen. - 66 - POLITISCHE BILDUNG UND RELIGIÖSE ORIENTIERUNG Einer bewussten Schwerpunktsetzung in dieser Richtung käme eine positive Signalwirkung zu, für die Politische Bildung wie für die Politik. - 67 - POLITISCHE BILDUNG UND RELIGIÖSE ORIENTIERUNG Anmerkungen (1) Wolfgang Vögele: Zivilreligionen in der Bundesrepublik Deutschland. Öffentliche Theologie 5, Gütersloh 1994 (2) Dazu noch immer einschlägig die Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland “Der Staat des Grundgesetzes als Angebot und Aufgabe”, Gütersloh 1985, die sogenannte Demokratiedenkschrift (3) Hans May: Das erste Gebot als Axiom der Theologie. In: Ders.: Glauben und Handeln. Vorträge und Aufsätze. Reihe “Loccumer Protokolle” 29/01, Rehburg-Loccum, 2001 S. 57 ff. (4) Zusammenleben mit Muslimen in Deutschland. Gestaltung der christlichen Begegnung mit Muslimen. Eine Handreichung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Gütersloh, 2000 (5) Sibylle Fritsch-Oppermann (Hg): Islam in Deutschland. Eine Religion sucht ihre Einbürgerung. Loccumer Protokolle 19/99, RehburgLoccum, 2000 / Dazu: Sibylle Fritsch-Oppermann (Hg): Politik mit der Religion. Instrumente des Konflikts, Instrumente zur Mediation. Loccumer Protokolle 65/99, Rehburg-Loccum 2001 (6) Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit. Wort des Rates der EKD und der Deutschen Bischofskonferenz zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland. Gemeinsame Texte 9, Hannover, Bonn 1997 / Zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland. Niedersächsischer Konsultationsprozess über ein gemeinsames Wort der Kirchen. Hrsg.: Fritz Erich Anhelm, Christoph Hüttig. Loccumer Protokoll 25/96, Rehburg-Loccum 1997 (7) Jürgen Moltmann (Hg): Versöhnung mit der Natur, Kaiser Verlag, München, 1986 (8) Gestaltung und Kritik. Zum Verhältnis von Protestantismus und Kultur im neuen Jahrhundert, EKD Texte Nr. 64, Hannover 1999 (9) Zu Kirche und Zivilgesellschaft in Europa s. Fritz Erich Anhelm in “Zeitzeichen” Evgl. Kommentare zu Religion und Gesellschaft 10/2001 / Fritz Erich Anhelm (Hg): Stiftungen und NGO’s als Architekten des Wandels. Wertekonflikte und Kooperationen über Ländergrenzen hinweg. Loccumer Protokoll 69/98, Rehburg-Loccum 1999 (10) Wolfgang Vögele, Michael Vester (Hg): Kirche und die Milieus der Gesellschaft, Bd I, Vorläufiger Abschlussbericht, Loccumer Protokolle 56/99 und dies.: Kirche und die Milieus der Gesellschaft. Ergon Verlag, Würzburg, 2001. - 68 - RELIGION UND POLITIK ALS ZWILLINGE Religion und Politik als Zwillinge. Der Islam: eine Religion ohne funktionale Ausdifferenzierung von Behrouz Khosrozadeh Im islamischen Rechtssystem sind zwei Begriffe von zentraler Bedeutung: Schari'a und Fiqh. Die Schari'a ist das islamische Gesetz. Dieses Gesetz ist göttlich und hat seine wichtigste Quelle im Koran. Fiqh bezeichnet das menschliche Wissen sowie das Verständnis der Gesetze Allahs. Kurzum: Die Schari'a ist Gottes Gesetz und Fiqh ist das Wissen und das Denken über die Schari'a. 1 Wenn im Islam von der engen Verquickung von Staat (Politik) und Religion die Rede ist, dann meint man in der Regel die von der Schari'a geleitete bzw. beeinflusste Politik. "Religion und weltliche Macht sind Zwillinge. (...) Deshalb sagt man, dass die Religion die Grundlage und Macht der Schützer ist." 2 Diese Aussage von Al-Ghazali (1058-1111), einem der bedeutendsten mittelalterlichen islamischen Theologen, spiegelt das scheinbar stets gültige Prinzip des Islam wider, der auch in seinen Anfängen keineswegs nur eine bloße Ansammlung religiöser Glaubenssätze darstellte. In ihm sind zumindest nach herrschender Meinung anerkannter Theologen drei Dimensionen miteinander vereint: die religiöse, die kulturelle und die politische. Dieses einzigartige Phänomen ist den Augen der westlichen Klassiker des politischen Denkens nicht verborgen geblieben. Alexis de Tocqueville (18051859) nimmt es zum Anlass eines vernichtenden Urteils über den Islam: "Der Mohammedanismus ist diejenige Religion, welche die beiden Machtbereiche am vollständigsten miteinander vermengt und vermischt hat, (...), so dass alles Handeln im bürgerlichen und 1 2 Vgl. Bassam Tibi: Der wahre Imam. Der Islam von Mohammad bis zur Gegenwart. München 1996, S. 116. Gudrun Krämer: "Kritik und Selbstkritik: Reformistisches Denken im Islam." In: Michael Lüders (Hrsg.): Der Islam im Aufbruch? Perspektiven der arabischen Welt. München 1992 S. 209 - 227, hier S. 221. Al-Ghazali zit. nach: Sigrid Faath/Hans-Peter Mattes (Hrsg.): "Demokratie und Menschenrechte im islamisch-politischen Denken." In: ders.: Demokratie und Menschenrechte in Nordafrika. Hamburg 1992, S. 19-48, hier S. 19. - 69 - RELIGION UND POLITIK ALS ZWILLINGE politischen Leben mehr oder minder vom religiösen Gesetz geregelt wird."3 Selbst heute könnte Tocqueville seine Aussage noch bestätigt sehen, denn nicht nur in den Gottesstaaten sondern in den meisten islamischen Ländern ist die Schari‘a als nicht kodifiziertes und nicht säkulares Gesetz die offizielle Quelle der Gesetzgebung. Der amerikanische Politologe Hair Dekmejian bezeichnet im Rahmen dieser offenbar folgerichtigen Argumentationskette das islamische System als "all encompassing system", 4 da es die drei wichtigsten Komponenten einer Gesellschaftsordnung, nämlich din (Religion), dawla (Staat/Regierung) und Schari‘a (das islamische Gesetz) umfasst. Der herrschenden, aus der historischen Praxis und der geschichtlichen Realität erwachsenen Meinung über die enge Verquickung von Religion (Islam) und Politik steht eine Mindermeinung gegenüber, die sich auf die Lektüre der Heiligen Texte (Koran und Sunna) bezieht. Sie argumentiert, dass die Einheit von Religion und Politik (Staat) an keiner Stelle in der Heiligen Schrift festgeschrieben ist. Die herrschende Meinung stützt sich demgegenüber auf die jahrhundertealte Praxis der islamischen Herrscher, die sowohl die weltliche als auch die sakrale Macht in ihrer Person zu vereinigen. Ältestes historisches Beispiel hierfür wäre der vom Propheten Mohammad geleitete Stadtstaat Medina. Dort verkörperte der Prophet den „Staatsmann“ und den „Oberbefehlshaber“, sprach Recht, erhob Steuern und schloss Friedensverträge ab. Der Islam sei die gottgewollte Ordnung schlechthin, beteuert der Göttinger Arabist Tilman Nagel.5 Politik als ein auf die Gesamtheit der Gemeinschaft bezogenes Handeln ist daher im Islam stets gleichbedeutend mit dem Vollzug des göttlichen Willens, und ist insofern religiöse Pflicht. Demnach sind sowohl das gesamte Leben des Individuums als auch die Geschichte der Gemeinschaft nach dem göttlichen Gesetz zu gestalten. Da der Islam aber die gottgewollte Ordnung verkörpert, kann sich die Politik allein innerhalb der 3 4 5 Alexis de Tocqueville zit. nach: Faath/Mattes: Demokratie und Menschenrechte ..., ebd. R. Hrair Dekmejian: Islam in Revolution. Fundamentalism in the Arab World. Syracuse 1985. Vgl. Tilman Nagel: Staat und Glaubensgemeinschaft im Islam. Geschichte der politischen Ordnungsvorstellungen der Muslime. München 1981, S. 13. - 70 - RELIGION UND POLITIK ALS ZWILLINGE muslimischen Gemeinschaft vollziehen.6 Der Koran fordert die Muslime auf, dem Gesandten Gottes und seinem Nachfolger zum Zwecke der Erhaltung der göttlichen Ordnung Folge zu leisten: "Oh ihr Gläubigen, gehorcht Gott und dem Gesandten und denen unter Euch, die zu befehlen haben." (Koran 4/59). Diejenigen, die der Einheit von Religion und Staat kritisch gegenüberstehen, beziehen sich in erster Linie direkt auf den Koran. "The Qur'an clearly confirms the opinion that the Prophet had no connection with political royality. (...) The authority of Muhammad over the believers was the authority of apostleship, it had nothing in common with temporal power."7 Auch andere Islamwissenschaftler haben darauf hingewiesen, dass die vorherrschende diesbezügliche Meinung durch die göttliche Offenbarung nicht untermauert wird. Es "findet sich nirgends ein Dogma, dass die Einheit von Religion und Staat festschreibt. Selbst die dogmatischen Lehrbücher der frühislamischen Zeit geben über eine solche politische Identität des Islam keine Auskunft."8 Auch der islamische Intellektuelle Husain Fawzi an-Naggar bekräftigt die kritische Position von al-Raziq. Naggar beruft sich auf die islamische Maxime, die sich auf die gesamte Menschheit bezieht und nicht wie eine politische Organisationseinheit (der Staat) auf bestimmte Menschengruppen (Nationen) zugeschnitten ist.9 Der wortgewandte Naggar fragt seine Kontrahenten: "Wenn der Islam dazu bestimmt war, eine politische Ordnung zu sein, warum hat dann der Koran jede weitere Klärung dieser Frage unterlassen?"10 6 Vgl. ebd. Ali Abd al-Raziq: "The Caliphate and the Bases of Power." In: John J. Donohue and John L. Esposito: Islam in Transition. Muslim Perspectives. New York, Oxford. Oxford University Press 1987, S. 29-37, hier S. 32. Man beruft sich in diesem Zusammenhang auch gerne auf folgenden Koranvers: "Wenn einer dem Gesandten gehorcht, gehorcht er (damit) Gott. Und wenn einer sich abwendet (und keinen Gehorsam leistet, ist das seine Sache). Wir haben dich nicht als Hüter über sie gesandt." Koran 4/80. Zitiert nach: Rudi Paret: Der Koran. Übersetzung von Rudi Paret. Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1983, S. 68. 8 Reinhard Schulze: „Islam und Herrschaft. Zur politischen Instrumentalisierung einer Religion.“ In: Michael Lüders (Hrsg.): Der Islam im Aufbruch. Perspektiven der arabischen Welt. München 1992, S. 94-129, hier S. 97 f. 9 al-Naggar zit. nach Tibi: Die fundamentalistische Herausforderung. Der Islam und die Weltpolitik. München, 19932, S. 157 f. 10 al-Naggar zit. nach Tibi, ebd. S. 158 f. 7 - 71 - RELIGION UND POLITIK ALS ZWILLINGE Die gegenwärtige Realität der islamischen Gesellschaften spiegelt jedoch eher die Position der zahlreichen Theoretiker und Intellektuellen wider, die von einer "Zwillingsbeziehung" zwischen Religion und Politik ausgehen, obgleich zahlreiche islamische Staaten von "weltlichen Herrschern" regiert werden. Diese Sichtweise wird insbesondere von den Fundamentalisten vertreten, von jenen machtgierigen Theoretikern, Theologen, Laien, Predigern und Politikern also, die das Ziel der Errichtung eines Gottesstaates verfolgen. Auch wenn Theoretiker und Denker vom Schlage al-Raziq und al-Naggar auf die "historischen Umstände" hinweisen, die den Propheten Mohammad gezwungen haben, "politisch zu handeln und in einer vorstaatlichen Gesellschaft politische Funktionen zu übernehmen"11, so kann dies nicht das Faktum verdrängen, dass die vierzehn Jahrhunderte währende islamische Historie ein unverkennbares Bündnis von Religion und Politik eingegangen ist, das die Kultur und die moralischen Grundlagen der islamischorientalischen Gesellschaften zutiefst geprägt hat. Trotz alledem muss dies keineswegs richtungsweisend für die Zukunft der islamischen Gesellschaften sein. Der bedeutende Islamwissenschaftler Gustav E. von Grunebaum weist darauf hin, dass das Faktum der engen Verquickung von Islam und Politik nicht bedeutet, "dass Religion und Staat nicht getrennt werden können oder dass sie nicht, in der Tat, im Denken des mittelalterlichen Muslims getrennt waren."12 Der frühere Direktor des Near Eastern Center an der University of California bezieht sich argumentativ auf den vorstaatlichen und imaginären Begriff der Umma (Gemeinschaft aller Muslime) und hebt hervor, dass dieser mit dem modernen Konzept des Nationalstaates keinesfalls vergleichbar ist. Der heutige intra-religiöse Diskurs im Islam kreist um die Beziehung zwischen Religion und politischer Herrschaft (Staat). Die moderne Doktrin der durch religiöse Texte und Überlieferungen (Koran / Sunna / Hadith) begründeten Herrschaft geht auf den Pakistani Abu Ala Mawdudi (1904 - 1979) zurück. Mawdudis Konzept der "Hakimiya" (göttliche Herrschaft auf Erden) wurde von einem Ägypter, dem Muslimbruder Seyyed Qutb (1906 - 1966) übernommen und erweitert. 11 12 al-Raziq und al-Naggar zit. nach: Tibi, ebd. S. 158. Gustav E. von Grunebaum: Studien zum Kulturbild und Selbstverständnis des Islam. Zürich 1969, S. 23. - 72 - RELIGION UND POLITIK ALS ZWILLINGE In der Lehre der hakimiya bilden die religiösen Texte die Grundlage der Herrschaft. Diese Texte seien die ideale Herrschaftslegitimation, da der Koran die abschließende und absolute Wahrheit darstelle. Der ägyptische Literatur- und Koranwissenschaftler Nasr Hamid Abu Zaid setzt genau an der von Qutb propagierten These an. Seiner Ansicht nach, lässt Qutbs Konzept der hakimiya die Tatsache außer acht, dass der religiöse Text sich nicht selbst verwirkliche. Es seien Menschen, die den Koran interpretieren, wodurch die Herrschaft des Textes zu einer Herrschaft eines einer bestimmten Gruppe eigenen spezifischen Textverständnisses werden würde.13 Nasr Abu Zaid sucht in seinem Buch "Islam und Politik" eine historisch-kritische Annäherung an den Koran und kritisiert dabei die Monopolisierung der Koran-Interpretation insbesondere durch das religiöse Establishment. Der Fall Abu Zaid machte jedoch ein Mal mehr deutlich, dass auch eine relativ offene und moderne arabische Gesellschaft wie die ägyptische noch nicht bereit ist für einen derartigen kritischen religiösen Diskurs. Nasr Abu Zaid musste nach einem langen Prozess, bei dem er unter anderem der Apostasie bezichtigt wurde, 1995 Ägypten ins holländische Exil verlassen. Im schiitischen Islam gibt es ebenfallsheftige kontroverse Diskussionen über das Verhältnis zwischen Religion, Politik und Gesellschaft. Einer der prominentesten Kritiker einer Symbiose von Religion und Politik ist der iranische Philosoph Abdulkarim Soroush . Die Propheten seien nicht gesandt worden, um den Lebensunterhalt oder die Kenntnisse der Menschheit konstitutiv zu verändern. Kein Prophet habe die Menschen Medizin, Philosophie oder Mathematik gelehrt, noch habe er deren Lebensweise grundlegend revolutioniert. Sie hätten weder das Nomadenleben urbanisiert noch moderne Architektur, Technologie oder Hygiene gebracht. "Sie wollten dem Leben der Menschen einen neuen Sinn verleihen und nicht eine neue Methode des Lebens schaffen."14 Wenn der Prophet Mohammad 13 14 Abu Zaid zit. nach: Annette Heilmann: "Die Affäre Abu Zayd und der Begriff der Ethik der Toleranz in der heutigen politischen Diskussion in Ägypten." in: Ferhad Ibrahim (Hrsg.): Staat und Zivilgesellschaft in Ägypten. Hamburg 1995, S. 145 - 168, hier S. 155 f. Abdulkarim Soroush: "aya nabarabarihay-e huqhuqhi joz-e zatiate islamand? Ja joz-e arziat? (Sind die Rechtsungleichheiten Elemente des Wesens des Islam oder die der Nebensächlichkeiten?)". In: Mohammad Basteh Neghar: hughugh-e baschar as manzar-e andischmandan - 73 - RELIGION UND POLITIK ALS ZWILLINGE diesseitige und gesellschaftliche Anweisungen und Vorschriften brachte, so gehörten diese zur Kategorie "orfiat" (zivilrechtliche Bestimmungen). "Historiker und fuqaha (Rechtsgelehrte) haben gezeigt, dass 99 % der zivilrechtlichen Bestimmungen im Islam ihren Ursprung in der arabischen Halbinsel der pre-islamischen Zeit besitzen."15 Soroush versucht sich vorzustellen, wie der Prophet handeln würde, wenn er in das heutige Zeitalter gesandt worden wäre.16 Es bestehe überhaupt kein Grund zu der Annahme, dass die Lebensweise und die orfiat des Zeitalter des Propheten die besten gewesen wären und dass die arabische Sprache die schönste Sprache gewesen wäre. Sollten nun aber deswegen die Ungleichheiten der damaligen Zeit für ewige Zeiten Bestand haben? Soroush beteuert abschließend, dass gerade diese von ihm als "arziat" (Nebensächlichkeiten) bezeichneten Sachverhalte nicht mehr zeitgemäß und durchaus wandelbar seien. Im letzten Jahrhundert jedoch ging der Kampf um eine nicht von der Religion beeinflusste Politik im islamischen Orient zunächst einmal verloren. In manch wichtigen islamischen Staaten, wie der Türkei und Ägypten, droht gar eine islamische Unterwanderung der ohnehin schwachen Zivilgesellschaft.17 Diplom-Sozialwirt Behrouz Khosrozadeh ist deutsch-iranischer Staatsbürger. Er promoviert an der Abteilung für Internationale Beziehungen der Universität Göttingen. Behrouz Khosrozadeh ist Mitbegründer und Wissenschaftskoordinator des Vereins zur Förderung des interkulturellen Dialogs (vfidialog) e.V. 15 16 17 (Menschenrechte aus der Sicht von Experten). Teheran, 2001. S. 341 343, hier S. 342. Ebd. Vgl. ebd. Vgl. Mark Krieger: Menschenrechte in arabo-islamischen Staaten. Am Beispiel Ägypten und Sudan. Frankfurt am Main 1999, das Kapitel über Ägypten. Bassam Tibi: Aufbruch am Bosporus: Die Türkei zwischen Europa und dem Islamismus. München und Zürich 1998. - 74 - ZIVILRELIGION Zivilreligion - einige Anmerkungen aus muslimischer Sicht von Wolf D. Ahmed Aries Die Worte Zivilreligion, Säkularität und Laicité (Laizismus) sind Begriffe, die die jüngere europäische Entwicklungen des Verhältnisses von Religion und Staat kennzeichnen, so dass sich Vorsicht empfiehlt, wenn jemand diese Begriffe auf andere religiöse Verhältnisse anwendet, ohne deutlich zu machen, ob dieselben oder welche anderen Faktoren die Geistesgeschichte dort bestimmten. Dies gilt insbesondere dann, wenn die wesentlichen Charakteristika der europäischen Struktur nicht vorhanden sind: die Elemente der Hierarchie, die mit dem Lehramt verbunden sind, und der Territorialität, nach der jeder Pfarrer seine Pfarrkirche hat, zu der ein bestimmter geographischer Sprengel und innerhalb dessen Grenzen eine zählbare Menge von Gläubigen gehören. Hinzu kommt, dass der gegenwärtige Diskussionsstand, den wir unwillkürlich mit allen drei Begriffen verbinden, nicht nur historisch bedingt ist, sondern zugleich auch „nur“ den heutigen Diskussionsstand widerspiegelt. Im interkulturellen Dialog sollte daher nachgefragt werden, ob und in wie weit unsere europäischen Begriffe die anderen Strukturen und deren innere Entwicklungsfragen in adäquater Weise beschreiben. Dabei ist es ausgesprochen reizvoll, sich zu fragen, was die Bedingtheit der anderen Ausgangslage z.B. bei den Muslimen für die eigene Geistesgeschichte hätten bedeuten können; wenn also die Christenheit keine Kirche und kein Lehramt entwickelt hätte, so wie die Muslime beide Möglichkeiten nicht entwickelten: Der germanische König wäre nicht als römischer Caesar gekrönt worden. Es hätte den Investiturstreit nie gegeben. Die lutherischen Fürsten wären keine Landesbischöfe geworden. Mit Recht hat daher Hermann Lübbe in seiner Arbeit „Religion nach der Aufklärung“ darauf hingewiesen, dass die Europäer sich fragen müssen, ob unsere Begriffe nicht allein unsere Sorgen und Nöte beschreiben. Allerdings zeigt die Diskussion um die Menschenrechte gleichzeitig, dass es unabhängig von naturwissenschaftlichen Erkenntnissen, die für den gesamten Globus gelten, es ebenso geisteswissenschaftliche Gewinne gibt, die für den Hermann Lübbe; Religion nach der Aufklärung, Graz, 1986 - 75 - ZIVILRELIGION Menschen schlechthin als allgemein gültig betrachtet werden dürfen , deren Begründungen jedoch in der je eigenen Sprache und aus den eigenen denkerischen Bedingtheiten zu leisten sind. Ein solcher interkultureller Diskurs führt die Betreffenden immer wieder in die als längst überholt betrachteten Gefilde der eigenen Theologie- und Geistesgeschichte, deren Häresien bzw. nicht genutzten Optionen. So entstanden die beiden Modelle der deutschen partnerschaftlichen Säkularität einerseits und der romanischen Laicité (Laizismus) andererseits auf der Grundlage einer Regelung, die auf dem Verhältnis von politischen und religiösen Institutionen des ausgehenden römischen Reiches aufbaute sowie der Spannung zwischen Rom und den Ansprüchen der mittelalterliche Ordnungskräfte, in denen Glaube im Institut der Kirche und Macht zueinander fanden. Gleichzeitig wurde das Recht durch eben diese Konstruktion bestimmt. Wer die Macht hatte, so lautete die Überzeugung, konnte und durfte das Recht bestimmen. Die Gemeinschaft der Muslime hatte beim Tode ihres Gründers (632) eine andere Ausgangslage. Im Gegensatz zur Christenheit, die erst Jahrhunderte nach ihrer Entstehung zur Mehrheitsgesellschaft werden konnte, waren es die Muslime bereits zu Lebzeiten Mohammeds geworden. Er hinterließ allerdings für die Mehrheit der Muslime, d.h. die Sunniten, keinen designierten Nachfolger, sondern allein die von ihm im Verlauf von 23 Jahren gesprochenen Aussagen, den Koran, sowie die von ihm vorgelebte Religiosität, die schon der Koran als vorbildlich bezeichnete. So stand die Gemeinschaft aus heutiger Sicht vor vier Optionen, um die Führungsfrage zu lösen : (a) die genealogische Lösung, d.h. jemanden aus der Familie Mohammeds zu wählen; (b) eine religiöse Lösung hätte zur Wahl des Frömmsten geführt; (c) die politische Lösung hätte bedeutet, dass sich seine Zeitgenossen für den politisch Fähigsten entschieden hätten; Heiner Bielefeldt; Philosophie der Menschenrechte; Darmstadt, 1998 Wolf D. Ahmed Aries; Diskurs Zivilreligion; in Rolf Schieder (Hrsg.); Religionspolitik und Zivilreligion; baden- Baden, 2002 - 76 - ZIVILRELIGION (d) und die koranische Lösung hätte nach der shura, der Beratung aller verlangt. Die Gemeinschaft entschied sich für ein „weiter so“, indem sie eine Persönlichkeit aus der direkten Umgebung Mohammeds wählte, d.h. der Gründergeneration. Erst 25 Jahre später setzte sich im Zuge der Schlacht von Siffin (657) die politische Lösung mit dem ersten Umaiyaden Herrscher Muawiya durch. Aus der Distanz heutiger Betrachtung ließe sich behaupten, dass die Gemeinschaft einerseits die Entscheidung auf dem Schlachtfeld akzeptierte und andererseits dagegen durch die allmähliche Herausbildung zweier neuer Rollenbilder protestierte. Es waren die Rollen des Religionsgelehrten (alim s.; ulema pl.) und des Rechtsgelehrten (faqih s.; fuquha pl.). Seit jenen Tagen sehen die Muslime eine feste Beziehung zwischen Glauben und Recht, das „eine Sammlung von Präzedenzfällen, Rechtsentscheidungen und allgemeinen Prinzipien, nebst einem Corpus hochentwickelter ... Verfahrenweisen“ ist An der Spitze der islamischen Mehrheitsgesellschaften standen zwar die Nachfolger des ehrwürdigen Propheten, die Khalifen, aber im Alltag lösten die einzelnen Gelehrten und die örtlichen Richter die Probleme der Menschen. Eine charakteristische Folge dieses Weges war, dass in diesen Mehrheitsgesellschaften den Machthabern immer wieder das (koranische, göttliche) Recht entgegengehalten wurde. Auch die historisch junge Herausbildung eines vom Glauben unabhängigen Rechtssystemes, hat in keiner islamischen Mehrheitsgesellschaft diese Grundbeziehung aufgelöst. Nun ist gerade in Bezug auf diesen Weg argumentiert worden, es sei ein früher Schritt in die europäische Entwicklung gewesen. Dabei wird übersehen, wie Rotraud Wieland einst anmerkte, dass das „göttliche Gesetz“ stets dominant blieb, also eine gewisse Art von „Gottesstaatlichkeit“ etablierte. Einer der Gründe lag darin, dass die ummah, die Weltgemeinschaft der Muslime, zu keinem Zeitpunkt den Tauhid aufgab, dessen Grundannahme die Einzigkeit eines schöpfenden Aziz Al-Azmeh; Die Islamisierung des Islam; Frankfurt/New York, 1996; S. 30 - 77 - ZIVILRELIGION transzendentalen Seins ist, das durch seine Propheten im Dialog mit seiner Schöpfung steht, weswegen Muslime die Welt immer in ihrer Ganzheitlichkeit sahen. Während Muslime aus ihrem Glauben nach Wissen strebten, um ihr Gotteslob durch ein besseres Verständnis der Schöpfung zu vertiefen, diente den Europäern der Neuzeit das Wissen zur zielgenauen Vorhersage eines Phänomenes, auf dass die Natur mit Gewinn, Profit manipulierte werden konnte. Die methodische Grundlage hierfür bildete der in den experimentellen Naturwissenschaften entwickelte methodische Atheismus, der heute zum Lebensstil zahlreicher Menschen geworden ist. So gesellte sich zur allmählichen Trennung von Staat und Kirche in der jüngeren Geschichte, die Marginalisierung der Gläubigkeit oder, wie man auch gerne sagt, die Verdrängung der Kirche aus der Öffentlichkeit. Die Gemeinschaft der Muslime erhielt sich hingegen nicht nur die ganzheitliche Betrachtungsweise der Welt, sondern auch den Aspekt der Spiritualität, der in Europa erst im Zuge der Umweltdiskurse wieder aufzukommen scheint. Aus den Erfahrungen der europäischen Auseinandersetzungen zwischen religiösen und politischen Kräften sowie dem Scheitern der cromwellschen Revolution schufen die englischen Auswanderer auf dem nordamerikanischen Kontinent einen Staat und eine Gesellschaft, die den Staat auf Distanz zu den Religionsgemeinschaften setzte, aber zugleich den Bürger an die Religion band, worunter man vor allem die Vielfalt der protestantischen Denominationen verstand. Diese Konstruktion schien solange problemlos, wie die das Land führenden Eliten vor allem aus jenen Denominationen stammten. Die ersten emotionalen Bedenken kamen auf, als der erste römisch katholische Präsidentschaftsanwärter die politische Bühne betrat. Die Idee des „melting pot“, in dem die christliche Vielfalt sich zusammenfinden sollte, zerbrach aber bereits an den japanischen Einwanderern während des Zweiten Weltkrieges und danach mit den wachsenden Zahlen von Einwanderern aus orientalischen bzw. asiatischen. Regionen. Hinzu kam, dass ein Teil der einst afrikanischen Zwangseinwanderer sich des Islams als dem Glauben ihrer Vorfahren erinnerte und zu ihm zurück fand. Das Motto jener Tage hieß: „Back to the roots.“ Andere Bürger gingen auf die Suche nach ihren europäischen Wurzeln. Die wachsende Pluralisierung nicht allein der amerikanischen Gesell- - 78 - ZIVILRELIGION schaft, sondern moderner Gesellschaften im allgemeinen ließ Theoretiker wie Verantwortliche danach fragen, was denn moderne Gesellschaften zusammenhielte. In den 70er Jahren meinten einige Sozialwissenschaftler die Antwort in der Idee einer Zivilreligion gefunden zu haben. Sie sollte die neue über das Christentum hinausgehende Vielfalt zu einer nationalen Einheit zusammenfinden lassen. Im amerikanischen Lebensstil boten sich dem Betrachter dafür eine Reihe unterschiedlichster Rituale an: der morgendliche Fahnenappell in den Schulen, bestimmte Passagen in den Texten der Verfassungen der Mitgliedsstaaten, die vocatio dei in politischen Ansprachen, der geradezu rituelle Ablauf medialer Erscheinungen gleich den Fernsehnachrichten etc. Für den deutschen Sprachraum lieferte übrigens Hermann Lübbe die umfassendste Begriffsbestimmung . Die theoretischen Fragen an den Begriff der Zivilreligion ließen nicht auf sich warten: So fragte man nach dem Verhältnis zu kirchlichen Traditionsbeständen, aus denen zivilreligiöse Verhaltensweisen durchaus abgeleitet werden konnten, nach der Abgrenzung zum Begriff der Ideologie oder der Legitimation von Zivilreligion. Im Grunde genommen ging es stets um die Präsenz des Religiösen und deren Symbole in der Öffentlichkeit, was sich für Deutschland am Streit um das Kruzifix, Minarett, Glockengeläut oder den Gebetsruf fixieren ließ. Hier meinten manche angesichts der öffentlich sichtbaren Gläubigkeit der Muslime, die Gespenster von Gestern beträten wider die Bühne. Hingegen empfand die islamische Minderheit die Diskrimination ihres religiösen Verhaltens als Bruch der Verfassungsnormen der Religionsfreiheit und der Würde. Das Konstrukt der Zivilreligion als einem gesellschaftlichen minimal Konsens löste zumindest nicht sämtliche die Konflikte in einer modernen Gesamtgesellschaft vor allem dann, wenn diese zwischen Minderheiten und ihren Mehrheitsgesellschaften auftraten. Im deutschen Diskurs zur Zivilreligion, hierauf machte Wolfgang Vögele in einem Beitrag aufmerksam , wurde bisher kaum thematisiert, in welcher Weise die öffentliche Erinnerungs- und Hermann Lübbe; a.a.O., Seite 321 Wolfgang Vögele; Zivilreligion, Kirchen und Milieu der Gesellschaft; in Rolf Schieder (Hrsg.); a.a.O., Seite 184 a.a.O. - 79 - ZIVILRELIGION Gedenkkultur zur zivilen Religion beiträgt. In ihrem Kontext zeigen sich zudem deutlich die Grenzen hinsichtlich der Integration der gesellschaftlichen Pluralität, was sich insbesondere am Beispiel des Holocaust demonstrieren ließe, mit dem die islamo-türkischstämmige Minderheit in Deutschland nichts verbindet. Für sie stellt der einschlägige schulische Lernstoff eher ein Beitrag zur Selbstfindung dar, an dem sie erfahren, in welcher Weise die Mehrheitsgesellschaft in der Vergangenheit mit ihren Minderheiten umging. So war nach den Bränden in Solingen und Mölln von den damaligen Jugendlichen zuhören, dass sie zwar keine Unruhen verursachen wollten, weil sie auf den Rechtsstaat vertrauten. „Aber,“ so war vielfach zu hören, „nach Auschwitz gehen wir nicht.“ Solche Konflikte der Gedächtnisse lassen sich an vielen Stellen auffinden. Sie stellen eine Herausforderung dar, die bisher weder in der Gesellschaft noch in der Schule nicht thematisiert wurden. Die Lösung blieb dem individuellen Wollen und Können der Schüler überlassen. In der europäischen Geschichte trugen die Kirchen als politische Handlungseinheiten stets zur Bearbeitung solcher bedeutenden historischen Ereignisse bei. Den kirchenlosen Minderheiten insbesondere den Muslimen ist es bisher nicht gelungen für den Diskurs adäquate Strukturen zu schaffen. Ihre Verbände sind viel zu sehr damit beschäftigt konkrete Interessen gleich dem Religionsunterricht bzw. der inzwischen zugestandenen Form des Schlachtens durchzusetzen. So wächst in Deutschland in den Minderheiten eine junge Generation heran, die keinerlei Beziehung zur shoa hat, wodurch dem Konzept der Zivilreligion ein wesentliches integratives Moment entfällt, an dessen Stelle, so scheint es, der interreligiöse Dialog getreten ist. Sein Diskurs impliziert jedoch die Auseinandersetzung um die Frage der Transzendenz, die das Konstrukt der Zivilreligion um der Pazifizierung der Gesamtgesellschaft Willen ausblendete. - 80 - ZIVILRELIGION - 81 - FREIHEITSRECHTE UND NS-JUSTIZ „... sind mit dem Prinzip des völkischen Reiches nicht vereinbar!“ Freiheitsrechte und die NS-Justiz in einer Wanderausstellung des Niedersächsischen Justizministeriums von Stefan Weigand, Referent für Öffentlichkeitsarbeit, Niedersächsisches Justizministerium I. Nach dem Aufsehen erregenden Huppenkothen-Prozess in der Mitte der 50er Jahre und einer Reihe von Veröffentlichungen in den 60er Jahren sollte es weitere zwanzig Jahre dauern, bis eine intensivere Erforschung der Geschichte der Justiz im Nationalsozialismus einsetzte. Zentrale Gründe dafür sind sicherlich die personelle Restauration der Justiz nach 1945 und die Generationen-Schichtung in der Justiz1. Inzwischen – mit Veröffentlichungsdatum 2000 – umfasst eine Auswahl-Bibliographie fast 1.200 Veröffentlichungen2. Nicht nur bei bekannten Juristen der Bundesrepublik wie Heinrich Schoenfelder, Otto Palandt3 oder Theodor Maunz4 wurden deren „braune Jahre“ erst spät öffentlich bekannt. Das gilt auch für die Schriften von bis in die Gegenwart hoch angesehenen Wissenschaftlern wie Karl Larenz (geb. 1903)5, oder Ernst Rudolf Huber (geb. 1903). Gerade für die Geburtsjahrgänge 1895 bis 1905, also der „Jahrhundertwende-Generation“ brachte das Jahr 1933 einen 1 2 3 4 5 Ulrich Herbert, Best, Bonn 1996 Viktoria Pollmann, NS-Justiz, Nürnberger Prozesse, NSG-Verfahren, Frankfurt 2000 (= Verzeichnisse No. 4 des Fritz-Bauer-Instituts) s. Hans Wrobel, Otto Palandt. Ein deutsches Juristenleben, in: Redaktion Kritische Justiz, Hg., Der Unrechts-Staat, Bd. II, Baden-Baden 1984, S. 137154 s. Michael Stolleis, Theodor Maunz – ein Staatsrechtslehrerleben, in: Redaktion Kritische Justiz, Hg., Die juristische Aufarbeitung des UnrechtsStaates, Baden-Baden 1998, S. 323-332 zu Larenz Schweigen: Ralf Dreier, Karl Larenz über seine Haltung im „Dritten Reich“, in: Juristische Zeitung, 1993, S. 454-457 - 82 - FREIHEITSRECHTE UND NS-JUSTIZ enormen Karriereschub. Sie gelangten auf berufliche Positionen und konnten nach 1945 mit oft nur kurzfristiger Unterbrechung ihre Laufbahn fortsetzen. Dazu trugen auch der Korpsgeist unter den Juristen bei und die Tatsache, dass Juristen, anders als bei allen anderen Berufsgruppen, über Angehörige ihres eigenen Berufsstandes zu urteilen hatten. Beispiele, vom früheren Staatssekretär Prof. Dr. Dr. Franz Schlegelberger6 bis zum Braunschweiger geschäftsführenden Generalstaatsanwalt Dr. Wilhelm Hirte (geb. 1905) oder dem Hannoveraner Landgerichtsdirektor Dr. Wilhelm Schmedes (geb. 1899), sind zahlreich zu finden. II. Das Niedersächsische Justizministerium hat gemeinsam mit der Niedersächsischen Landeszentrale für politische Bildung die Wanderausstellung „Justiz im Nationalsozialismus – Über Verbrechen im Namen des Deutschen Volkes“ erarbeitet. Am 27. Januar 2001 eröffnete der Niedersächsische Justizminister Prof. Dr. Christian Pfeiffer im Amtsgericht Hannover, dem früheren Sitz des Sondergerichts Hannover, die erste Station der Ausstellung. Es folgten Oldenburg, Celle, Göttingen, Verden, Braunschweig, die nds. Landesvertretung in Berlin, ab dem 8. November 2002 Osnabrück und bis Ende 2004 flächendeckend weitere Gerichten in ganz Niedersachsen. Die Ausstellung zeigt anhand überwiegend niedersächsischer Beispiele, wie Juristen mit hoher fachlicher Kompetenz und persönlichem Engagement am NS-Unrecht mitgewirkt haben. In sieben Blöcken werden – unter Ausschluss der Wehrmachtsjustiz und illustriert mit Biografien von Opfern und Tätern – die folgenden Themen dargestellt: 1. „Die Freiheitsrechte des Individuums gegenüber der Staatsgewalt mussten verschwinden“ – Prinzip des NS-Rechts, Ergebenheitsadressen der Juristen im März 1933, Entlassung der jüdischen Juristen, Ausschaltung des politischen Gegners 6 Michael Förster, Jurist im Dienste des Unrechts. Leben und Werk des ehemaligen Staatssekretärs im Reichsjustizministeriums Franz Schlegelberger (1876-1970), Baden-Baden 1995; Redaktion Kritische Justiz (Hg.), Der Unrechts-Staat, Bd. III: Eli Nathans: Franz Schlegelberger, BadenBaden 1990 - 83 - FREIHEITSRECHTE UND NS-JUSTIZ 2. „Bessern oder Vernichten“ als Prinzip des nationalsozialistischen Strafvollzugs. Haft in der Strafanstalt Wolfenbüttel, der zentralen Hinrichtungsstätte für Norddeutschland; Verschärfung der Haftbedingungen, Zunahme der Häftlinge und der Todesstrafen im Verlauf des Krieges; in hohem Maße hochqualifizierte Zwangsarbeit für Rüstungsbetriebe; Kooperation von Justiz und Polizei. 3. „Sondergerichte ... eine Panzertruppe der Rechtspflege“: Sonderstrafrechtsverordnungen gegen „Schwarzhören“, „Volksschädlinge“, Polen und Juden, „Wirtschaftsschädlinge“ sowie im Ausland. Kreative Anwendungspraxis und Abschreckungswirkung 4. Regionalteile Hannover (Das Sondergericht Hannover7), Oldenburg, Celle, Göttingen, Verden, Braunschweig und der weiteren Ausstellungsorte mit lokalen Beispielen und weiteren Facetten der NS-Justizgeschichte und dem Umgang mit der NS-Justiz in der Bundesrepublik Deutschland. 5. Aufarbeitung nach 1945. Nürnberger Prozess, Restauration, Gegenpositionen, Wiederaufnahmeverfahren. Mit Täterbiografien. 6. Abkehr vom „liberalistischen Grundsatz“ von der Gleichheit der Menschen: Juden, Zeugen Jehovas, Euthanasieopfer und Homosexuelle als Opfergruppen, mit Biografien. Den Schlussstein „Späte Einsicht“ bildet das BGH-Urteil vom 15. November 1995 anlässlich der Verurteilung eines früheren DDRRichters wegen Rechtsbeugung, in der die Richter erstmals höchstinstanzlich ausführten: „Die nationalsozialistische Gewaltherrschaft hatte eine ‚Perversion der Rechtsordnung‘ bewirkt, wie sie schlimmer kaum vorstellbar war, und die damalige Rechtsprechung ist angesichts exzessiver Verhängung von Todesstrafen nicht zu Unrecht als ‚Blutjustiz‘ bezeichnet worden.“ 7. Ein siebenter Baustein wird seit September 2002 präsentiert. Hier werden detailliert herausgearbeitet, wie in der Bundesrepublik mit 7 Erarbeitet von Dr. Wolf-Dieter Mechler aufbauend auf: ders., Kriegsalltag an der „Heimatfront“. Das Sondergericht Hannover 1939-1945, Hannover 1997 - 84 - FREIHEITSRECHTE UND NS-JUSTIZ der NS-Justiz umgegangen wurde: die Re-Legitimierung der NS- - 85 - FREIHEITSRECHTE UND NS-JUSTIZ Justiz, die Position von Gustav Radbruch und die vereinzelt vorgetragenen Gegenpositionen (etwa Fritz Bauer oder die frühe Ausstellung „Ungesühnte Nazijustiz“), Karrieren vor und nach 1945 in der sog. Politischen Justiz, die Entwicklung seit 1990 bis hin zur Rede des neuen BGH-Präsidenten im Jahre 2002.8 III. In mehrfacher Hinsicht ist die Wanderausstellung „Justiz im Nationalsozialismus – Über Verbrechen im Namen des Deutschen Volkes“ durch einzigartige Merkmale gekennzeichnet. Nach der großen Wanderausstellung „Im Namen des Deutschen Volkes. Justiz und Nationalsozialismus“ des Bundesjustizministeriums in den frühen Neunziger Jahren ist dies die erste größere Ausstellung zu diesem Thema. Kein anderes Bundesland setzt sich so intensiv, mit einer Dauerausstellung und einer umfangreichen Wanderausstellung einschließlich Begleitprogramm, Führungsangeboten, Lehrerfortbildung und umfangreichem Service, mit der eigenen Justizgeschichte auseinander. An jedem Standort wird ein Sonderteil zur NS-Justizgeschichte der jeweiligen Region erarbeitet und präsentiert, in Hannover zum Thema Sondergericht Hannover. Diese lokalgeschichtlichen Teile fügen sich zu einer neuen, eigenen Ausstellung zusammen: Niedersachsens Justiz erforscht ihre NS-Vergangenheit. Vor allem aber wird die Ausstellung dort gezeigt, wo die Anklagen vorgetragen und die Urteile gesprochen wurden: in den Gerichten. NS-Geschichte wird nicht an entlegenen Orten wie KZGedenkstätten, sondern mitten in den Städten verlebendigt, an Orten also, die für viele Menschen leicht zu erreichen sind und – wie beim Amtsgericht Hannover – ohnehin einen regen Besucherstrom verzeichnen. 8 Günter Hirsch, Die deutsche Justiz im Unrechtssystem und bei der Aufarbeitung von Justizunrecht. Ansprache aus Anlass des 100. Geburtstages von Hans von Dohnahyi, in: Deutsche Richterzeitung, Juni 22002, S. 228-230 - 86 - FREIHEITSRECHTE UND NS-JUSTIZ Schließlich ermöglichen die lokalgeschichtlichen Bausteine, thematische Lücken der Basisausstellung zu schließen, etwa der Anteil der Rechtsanwälte an der NS-Justiz-Geschichte, das Schicksal ihrer jüdischen Kollegen oder die Tätigkeit der Erbgesundheitsgerichte. Außerdem können in den kommenden Jahren sehr flexibel kleine Ausstellungen für Amtsgerichte und andere Institutionen zusammenzustellen, die schon kurz nach der ersten Eröffnung der Wanderausstellung am 27. Januar 2001 Ihren Bedarf angemeldet haben. Inzwischen liegen mehr als 20 weitere Bewerbungen um die Ausstellung vor, darunter vier aus anderen Bundesländern und eine aus dem Ausland Erfreulich sind auch zwei Ereignisse, für die die Wanderausstellung „Justiz im Nationalsozialismus“ Anregung war. Die Justizakademie Recklinghausen des Landes Nordrhein Westfalen hat Ende Januar 2002 eine leicht bearbeitete Kopie der niedersächsischen Ausstellung in ihren Räumen eröffnet. Und fünf Wochen später wurde die Wanderausstellung des Bundesjustizministeriums nach mehrjähriger Pause wieder eröffnet – nun in einem Gerichtsgebäude, und es werden Führungen angeboten. IV. Die nächsten Stationen der Wanderausstellungen sind: 27. Januar bis 23. März 2003 28. März bis 16. Mai 2003 23. Mai bis 13. Juli 2003 23. August bis 13. Oktober 2003 8. Nov. 2003 bis 16. Jan. 2004 ab 27. Januar 2004 Landgericht Lüneburg Landgericht Bückeburg Landgericht Aurich Amtsgericht Papenburg Landgericht Stade Amtsgericht Nordenham Für Interessierte hält das Niedersächsische Justizministerium eine Begleitbroschüre und inzwischen 50 verschiedene kostenlose Information- und Begleitmaterialien bereit. Ein Verzeichnis wird auf Anfrage zugeschickt oder kann, wie viele Broschüren auch, aus dem Internet runtergeladen werden. Kontakt: Niedersächsisches Justizministerium, Referat Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Am Waterlooplatz 1, 30169 Hannover - 87 - FREIHEITSRECHTE UND NS-JUSTIZ Tel. (0511) 120 50 43, Mobil (0179) 41 90 337, Fax (0511) 120 51 81 www.mj.niedersachsen.de | wir über uns | Ausstellung ... e-Mail: [email protected] - 88 - FREIHEITSRECHTE UND NS-JUSTIZ http://www.mj.niedersachsen.de von Hagen Weiler, 19. Juni 2002 Die bemerkenswerte Rede des Niedersächsischen Justizministers Prof. Dr. Christian Pfeiffer zur Eröffnung der Wanderausstellung "Justiz im Nationalsozialismus - Über Verbrechen im Namen des deutschen Volkes" am 27. Juli 2001 im OLG Celle (vgl. Politik unterrichten, Heft 1/2002, S. 50 - 71) verdient aus rechtshistorischer, rechtslogischer und politikwissenschaftlich-didaktischer Perspektive sieben Nachfragen: 1. Warum differenziert Pfeiffer nicht zwischen "unpolitischen Experten" (Erste These, S. 51) und der "weitgehenden Beibehaltung der traditionellen juristischen Handlungsmuster, der vertrauten Argumentationstechnik ..." (Zweite These, S. 52) ? 2. Warum distanziert sich Pfeiffer nicht eindeutig und konsequent von der (von den Nationalsozialisten selbst propagierten) Geschichts-Legende, sie seien "legal an die Macht gekommen" ? 3. Warum macht Pfeiffer nicht klar, dass gerade die politisch parteilichen, sich nicht an die traditionellen Kategorien, Kriterien und Regeln rechtslogischer Auslegung der geltenden Gesetze haltenden Richter, Staatsanwälte, Verwaltungsbeamten den Nationalsozialisten vor und nach 1933 zu Diensten waren ? - 89 - FREIHEITSRECHTE UND NS-JUSTIZ 4. Warum verkennt Pfeiffer den (teilweise verborgenen) Selbstwiderspruch zwischen seinen beiden Zitaten (S. 50) ? 5. Warum zieht Pfeiffer nicht die entsprechenden Konsequenzen aus dem Zitat des Richters Kreyssig (S. 53 f) ? 6. Warum erwähnt Pfeiffer nicht die zahlreichen rechtsstaatlichen Fehler und Versäumnisse der Justiz in den ostdeutschen Ländern gegenüber rechtsextremen Gewalttätern? (Vgl. zuletzt, am 18.6.2002, die Justiz in Rostock, die zehn ! Jahre brauchte, um die drei Brandwerfer wegen "versuchten Mordes" zu "Bewährungsstrafen" zu verurteilen.) Resümee: 7. Warum sagt der Justizminister nicht ohne Einschränkungen: Der gewaltenteilige Rechtsstaat braucht gesetzestreue, gerade nicht politisch parteiliche Richter, Staatsanwälte, Verwaltungsbeamte. Die politische (Haupt-) Verantwortung liegt bei dem Gesetzgeber und der Regierung. Erst danach beginnt die publizistische Verantwortung der Medien, der Wähler. Erst auf diesen Grundlagen beruht politische Jugendbildung. - 90 - W IRTSCHAFTSKUNDE IN DER BERUFSSCHULE IV AUS UNTERRICHTSPRAXIS; AUS- UND FORTBILDUNG Wirtschaftskunde in der Berufsschule für gewerblich-technische Berufe MUSS – SOLL – IST von Hans-Dietrich Zeuschner, Juli 2002 Zum Muss In Politik unterrichten Nr.1/2002 lese ich: „Ansätze zu mehr ökonomischer Bildung gibt es schon seit langem. Die Verbände der Wirtschaft haben dies gefordert und unterstützt, als Industrie- und Handelskammern wie als Unternehmerverbände. Speziell durch das Bildungswerk der Niedersächsischen Wirtschaft gibt es vielfältige Angebote, und auch viele Unternehmer engagieren sich persönlich im Bereich Schule/Wirtschaft.“ „Aufgrund der Erkenntnis, dass Wirtschaft nicht zur schulischen Allgemeinbildung gehört, sondern auch als eigenes Fach unterrichtet werden muss, haben BOA und DGB zusammen mit Eltern- und Lehrerverbänden und der Wissenschaft ein Grundsatzpapier erarbeitet und vor einem Jahr veröffentlicht. Wenn hier so große Einigkeit zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften, zwischen Eltern und Lehrerverbänden besteht, dann muss an der Forderung wohl etwas dran sein.“ (Reinicke, W.-R.: Mehr ökonomische Bildung in der Schule!?) Zum Soll Der wirtschaftende Mensch befindet sich ständig in Problem- bzw. Konfliktsituationen, die den von ihm getroffenen Entscheidungen vorausgehen. Er steht sowohl im Rahmen des beruflichen als auch des außerberuflichen Wirtschaftens in der Gefahr, von der Wirtschaft bedrückt, ggf. sogar erdrückt zu werden, Stichwörter: Konsumterror, Kontoüberziehung, Mängelrüge, Schulden, Räumungsklage, Gerichtsvollzieher, Zwangsversteigerung. Dagegen steht, dass Wirtschaft nicht einengen, sondern dass sie vielmehr frei machen soll. - 91 - W IRTSCHAFTSKUNDE IN DER BERUFSSCHULE „Wirtschaft hat keinen Selbstzweck. Der Mensch muss immer Subjekt und Ziel der Wirtschaft sein.“1 „Der Mensch ist das, was er ist, immer nur im Bezug und in der Auseinandersetzung mit der Welt in der er lebt und zu der er sich verhält.“2 „Wirtschaftliches Handeln ist immer ein Handeln mit anderen und für andere und oft zugleich ein Handeln gegen andere, und daher besitzt der Einzelne in Wirklichkeit nur dann wirtschaftliche Mündigkeit, wenn er auch soziale Mündigkeit besitzt.“3 Ökonomische Bildung - verstanden sowohl als wirtschaftsberufliche Ausbildung als auch als Bildung des allgemeinen Wirtschaftsverständnisses - muss das Heraustreten aus der reinen Zwangsteilnahme am Wirtschaftsgeschehen zugunsten einer reflektierten, distanzierten Teilhabe und Gestaltung am Wirtschaftsprozess ermöglichen und kann einen Beitrag zu humaner Lebensbewältigung leisten. 4 Der Jugendliche wächst insbesondere im Berufsschulalter in das Wirtschaftsgeschehen hinein. „Wirtschaftliche Fragen betreffen nahezu sämtliche Bereiche unseres Lebens. Das macht es so interessant und auch notwendig, sich mit Wirtschaft zu beschäftigen. Aber ohne Kenntnis der Zusammenhänge sind gerade auf diesem Gebiet sachgerechte, fundierte Urteile nicht möglich.“5 Die „Bildung des allgemeinen Wirtschaftsverständnisses“ hat für Berufsschüler in der Regel bereits in der Hauptschule begonnen. Die Berufsschule muss die Aufgabe wahrnehmen, die in der Hauptschule im Fach Arbeit/Wirtschaft-Technik begonnene Einführung in die Ökonomie (siehe Tabelle 1), fortzusetzen, zu vertiefen und zu erweitern. 1 2 3 4 5 Marx, A.: Normen des wirtschaftpolitischen Geschehens in Zeitschrift für Betriebswirtschaft, 22Jg. 1952, S. 554 Lersch, Ph.: Der Mensch als Schnittpunkt, München 1969, S. 17 Abraham, K.: Die Beziehungen zwischen Wirtschaft und Erziehung in christlicher Sicht in Vierteljahresschrift für wissenschaftliche Pädagogik, 37 Jg. 1961, S. 9 vgl. Schanz, H.: Ökonomische Bildung als Beitrag zu humaner Lebensbewältigung , Hrg. Schanz, H. a.a.O. S. 79 Lippens, W.: Im Kreislauf der Wirtschaft, Hrg. Bundesverband deutscher Banken e.V. Köln 1994, Vorwort - 92 - W IRTSCHAFTSKUNDE IN DER BERUFSSCHULE Tabelle 1 Themen und Zeitvorgaben in den A/W-T-Rahmenrichtlinien für die Hauptschule Quelle: Hrg. Nds. Kultusministerium : Rahmenrichtlinien für die Hauptschule Arbeit / Wirtschaft - Technik, Hannover 1997 Schuljahrgänge 7/8 Arbeiten und Wirtschaften (12 Std.) Verbraucherinnen und Verbraucher im Wirtschaftsgeschehen (10 Std. ) Der regionale Wirtschaftsraum (12 Std.) Entscheiden für einen Startberuf (12 Std.) Schuljahrgänge 9/10 Markt- und Wirtschaftsgeschehen (10 Std.) Wirtschaftliches und soziales Handeln im Betrieb (12 Std.) Soziale Marktwirtschaft (12 Std.) Die Europäische Union (12 Std.) Zeitvorgabe: 92 Stunden insgesamt Formale Zielvorgaben Der Wirtschaftskundeunterricht in Berufsbildenden Schulen, gewerblich-technischer Fachrichtungen, soll dem Lernenden diejenigen Einsichten und Kenntnisse vermitteln, die ihn befähigen, das wirtschaftliche Gesamtgeschehen in seinen Grundlagen zu erkennen und zu verstehen und ihn damit zu denjenigen Qualifikationen bringen, die zum rationalen und verantwortlichen Handeln innerhalb der Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung notwendig sind.6 Im einzelnen geht es formal um die Ziele 6 Schanz, H. ebenda, S. 73 ff - 93 - W IRTSCHAFTSKUNDE IN DER BERUFSSCHULE - Interesse an und Verständnis für Ökonomie wecken / erweitern, - Einsichten in ökonomische Zusammenhänge ermöglichen, - Voraussetzungen für eine selbständige ökonomische Analyse- und Urteilsfähigkeit schaffen, bzw. um die Aufgaben - an grundlegende ökonomische Erfahrungen und das Vorwissen der Schüler anknüpfen, - das Vorhandene ordnen und - ins Bewusstsein heben, - es vorsichtig erweitern und - für das Verständnis komplexer Zusammenhänge nutzbar machen. 7 In den Rahmenrichtlinien für das Unterrichtsfach Politik in berufsbildenden Schulen, Stand Juni 1994 8, (nachfolgend RRL Pol ’94 genannt) liest man: „Deshalb gilt es, - die bereits erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten auf aktuelle lebens- und arbeitsweltliche Erfahrungszusammenhänge zu beziehen und damit abzusichern, - neue Kenntnisse und Fähigkeiten zu vermitteln, die ein selbstverantwortliches Handeln in Lebens- und Arbeitswelt ermöglichen, - Vorurteile durch neue Erfahrungen aufzubrechen.“ Globale Zielvorgaben Die RRL Pol ´94 verstehen ‘Politische Gestaltungskompetenz’ als leitendes Prinzip der politischen Bildung an berufsbildenden Schulen. Reduziert man die Ausdifferenzierung dieses Prinzips auf das rein Ökonomische, so kommt man zu der Zielformulierung: ‘die Fähigkeit und Bereitschaft unter den gegebenen ökonomischen Voraussetzungen, in Wirtschaft Lebenssituationen verantwortlich zu gestalten’. Demgegenüber ist in §2, NSchG v. 1994 - Bildungsauftrag 7 8 vgl. Hrg. Bundeszentrale für politische Bildung: Politik - kurzgefasst, Bonn, 1995, S.17 f. Anmerkung: Diese RRL enthalten ein eigenständiges Handlungsfeld Wirtschaft (s. nächstes Kapitel) - 94 - W IRTSCHAFTSKUNDE IN DER BERUFSSCHULE der Schule - unter dem gleichen Aspekt gesehen, lediglich von ‘ökonomische Zusammenhänge erfassen’ die Rede. Die RRL Pol ’94 - speziell die sieben angeführten Qualifikationen und die nachgeordneten Lernziele 9 - sagen wenig zur ökonomischen Bildung, speziell zur ‘Bildung des allgemeinen Wirtschaftsverständnisses’ aus. Inhaltlich dagegen ist Wirtschaft als eigenständiges politisches Handlungsfeld neben fünf anderen berücksichtigt worden (vgl. Tabelle 2). In der Berufsschule soll Wirtschaft im dritten Halbjahr – d.h. unter Berücksichtigung der herkömmlichen Stundenverteilung in 40 Stunden – unterrichtet werden. Tabelle 2 Das politische Handlungsfeld Wirtschaft in den RRL Pol ´94 Wirtschaftsordnungen - Soziale Marktwirtschaft - Steuerungsmöglichkeiten der Sozialen Marktwirtschaft - Wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung von Betrieben und Unternehmen - Ökologische Umgestaltung der sozialen Marktwirtschaft zur „ökosozialen Marktwirtschaft“ - Wirtschaftsstandort Deutschland Konjunktur und Krisen - Wirtschaftsstruktur und Merkmale des regionalen und sektoralen Strukturwandels usw. - Zielkonflikte der Wirtschaftspolitik Konsumenteninteresse - Produzenteninteresse - Produktkennzeichnung und Produzentenhaftung - Produktivität und Rentabilität, Umwelt- und Sozialverträglichkeit - Rechten und Pflichten aus Verträgen Ökonomie und Ökologie - Spannungsverhalten zwischen Ökonomie und Ökologie 9 Hrg. Nds. Kultusministerium: Rahmenrichtlinien für das Unterrichtsfach Politik in berufsbildenden Schulen, Hannover 1994 - 95 - W IRTSCHAFTSKUNDE IN DER BERUFSSCHULE - Wege zu einer ökologischen Ökonomie . Am Schluss folgt der Hinweis ‘und/oder andere gleichwertige Themenbereiche’ Daneben existiert in den RRL Pol ´94 ein Kanon von Lerngebieten, Lernzielen und Lerninhalten. Diese „Elemente für den Unterricht der Berufsschule im Bereich Wirtschafts- und Sozialkunde gewerblichtechnischer Ausbildungsberufe“ beruhen auf einem KMK-Beschluss vom 18.05.84. Sie sind für die Berufsschule verbindlich vorgeschrieben und in den RRL Pol ´94 konsequenterweise mit einem eigenen Kontingent von 40 Stunden ausgestattet. Neben den sozial- und rechtskundlichen Lerngebieten Berufsbildung (5 Themenbereiche) Arbeits- und Tarifrecht, Arbeitsschutz (14) Sozialversicherung (4) Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit (2) und einem juristisch ausgerichteten Komplex: Betriebliche Mitbestimmung (2) ist ein ökonomisches Lerngebiet eingearbeitet (vgl. Tabelle 3) Tabelle 3 Auszug aus der KMK-Vereinbarung für gewerblich-technische Ausbildungsberufe, Beschluss vom 18.05.84 in den RRL Pol´94 2. Lerngebiet: Betrieb in Wirtschaft und Gesellschaft Lernziele: 2.1 Aufbau, Aufgaben und Unternehmensformen eines Betriebes sowie seine Stellung in Wirtschaft und Gesellschaft erläutern Lerninhalte: 2.1.1 Aufbau eines Handwerks-/Industriebetriebes 2.1.2 Wesentliche Aufgaben eines Betriebes (Beschaffung, Produktion, Absatz) 2.1.3 Die Stellung des Handwerks-/Industriebetriebes in der Wirtschaft 2.1.4 Wesentliche Ziele erwerbswirtschaftlicher und öffentlicher Betriebe: Gewinnerzielung, Kostendeckung, Marktversorgung - 96 - W IRTSCHAFTSKUNDE IN DER BERUFSSCHULE 2.1.5 Betriebliche Kenngrößen: Produktivität, Wirtschaftlichkeit, Rentabilität 2.1.6 Wesentliche Unternehmensformen und deren Bedeutung: Einzelunternehmen, Personengesellschaften: OHG; KG, Kapitalgesellschaften: AG, GmbH, Genossenschaften 2.1.7 Wirtschaftliche Verflechtungen 2.1.8 Wirtschafts- und arbeitsweltbezogene Grundaussagen der Verfassung 2.1.9 Wirtschaftliche, rechtliche und soziale Zusammenhänge zwischen Betrieb, Wirtschaft, verbänden, Parteien, Gesellschaft und Staat Lernziele: 2.2 Aufgaben von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen beschreiben Lerninhalte: 2.2.1 Interessenwahrnehmung durch Organisationen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer Zur Relativierung Nach den Angaben der Herausgeber ist „Wirtschaft Deutschland Daten – Analysen – Fakten“ 10 „das erste Wirtschaftsbuch, das die Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland umfassend darstellt“. „Dieses Buch richtet sich an Leser und Leserinnen, die als Verbraucher, Arbeitnehmer, Auszubildende, Unternehmer, Staatsbürger und Politiker – wie immer man sie in ihren Rollen benennen mag – Entscheidungen treffen, mit denen sie das wirtschaftliche Geschehen in der Sozialen Marktwirtschaft durch aktives und passives Verhalten beeinflussen. Hinter diesen durch unterschiedliche Interessen geprägten Rollen stehen einflussreiche Interessenorganisationen wie Gewerkschaften, Arbeitgeber- und Berufsverbände, Verbraucherorganisationen, Parteien, Ministerien, Behörden usw., die das marktwirtschaftliche Geschehen prägen und mitbestimmen.“ 10 Hrg. Keim, H. und Steffens, H., Köln 2000 - 97 - W IRTSCHAFTSKUNDE IN DER BERUFSSCHULE Ein Vergleich im Hinblick auf die berücksichtigten wirtschaftskundlichen Themen in den Vorschriften für den Politikunterricht in der Berufsschule für gewerblich-technische Berufe (Tabelle 2 und 3) mit dem Inhaltsverzeichnis des genannten Wirtschaftsbuches, das nach eigener Einschätzung „die Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland umfassend darstellt, und zwar - in ihren volks- und betriebswirtschaftlichen sowie sozialpolitischen Dimensionen“ zeigt auf, dass die „Bildung des allgemeinen Wirtschaftsverständnisses“ im Rahmen des Politikunterrichts lediglich relativ „schmalspurig“ betrieben wird. Tabelle 4 Das Inhaltsverzeichnis von „Wirtschaft Deutschland – Daten – Analysen – Fakten“ Verbraucher und Markt - Konsumfreiheit als Grundlage der Marktwirtschaft Entwicklungen des Verbraucherverhaltens Probleme des Wettbewerbs Probleme der Einkommensverwendung Marktmodell und Realität Verbraucherpolitik Rückblick und Ausblick Arbeitnehmer und Betrieb - Wirtschafts-, Arbeits- und Berufswelt im Wandel Bildung und Betrieb Arbeit und Betrieb Soziale Gestaltung der Arbeitswelt Grundelemente der Betriebswirtschaft Mitbestimmung und Vermögensbeteiligung Lohn- und Tarifpolitik Interessenorganisationen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer 1 1 15 37 51 63 65 89 93 93 119 147 169 179 217 233 271 Gesamtwirtschaftliche Entwicklung und Wirtschaftspolitik 291 - 291 315 329 339 Wirtschaftsentwicklung als Stabilisationsproblem Konzeption und Instrumente der Stabilisierungspolitik Strukturwandel und Strukturpolitik Ansätze und Perspektiven der Wachstumspolitik Internationale Wirtschaftsbeziehungen und Weltwirtschaft 357 - Grundlagen der Weltwirtschaft - Entwicklung des Welthandels - Zahlungsbilanz der Bundesrepublik Deutschland 357 385 335 - 98 - W IRTSCHAFTSKUNDE IN DER BERUFSSCHULE - Grundlagen der Weltwährungsordnung - Kapital und Arbeit aus Weltwirtschaftlicher Sicht - Entwicklungsländer und Industrieländer 399 427 439 - 99 - W IRTSCHAFTSKUNDE IN DER BERUFSSCHULE Zum IST Spätestens nach dem eben angeführten Vergleich ist die Notwendigkeit eines eigenständigen Faches Wirtschaft für niedersächsische Berufsschulen, gewerblich-technische Fachrichtungen und darüber hinaus, für alle Formen der Berufsbildenden Schule deutlich sichtbar geworden. Starke Zweifel an der 2. These von Hans-Hermann Hartwich, nachzulesen in Politik unterrichten 1/2002: „Ökonomische Bildung in der Schule bedarf nicht des neuerlichen Vorstoßes für ein eigenes Schulfaches. Vielmehr ist sie bereits in den meisten Bundesländern Teil der curricular vorgegebenen Lernfelder in den sozialwissenschaftlichen Schulfächern bzw. in „Gemeinschaftskunde“, werden zumindest für die Berufsbildenden Schulen wach. Für eine Situationsanalyse im Hinblick auf BS-Lehrkräfte, gewerblich-technische Fachrichtungen, mit dem Unterrichtsfach Wirtschaftskunde fehlen aktuelle Daten. Die Möglichkeit, im Rahmen des LbS-Studiums z.B. an der Universität Hannover Wirtschaftswissenschaften als Schwerpunktbereich im Unterrichtsfach Gemeinschaftskunde/ Wirtschaftskunde11 zu wählen, ist durch eine Änderung der Ausbildungs- und Prüfungsordnung seit dem Sommersemester 2001 nicht mehr gegeben. Die PVO-Lehr vom 15. April 1998 bietet u.a. Politik als Unterrichtsfach an, mit den Schwerpunktbereichen Sozialwissenschaften und Geschichtswissenschaften. Als eine Zulassungsvoraussetzung für die Prüfung ist lediglich der Nachweis der erfolgreichen Teilnahme an einer Lehrveranstaltung zur Einführung in die Betriebswirtschaftslehre oder Volkswirtschaftslehre aufgeführt. Die sich hieraus ergebenden Konsequenzen in fachwissenschaftlicher und fachdidaktischer Hinsicht liegen auf der Hand. Sie werden das bereits heute herrschende Problem – die wirtschaftskundlichen Themen werden, wenn überhaupt, dann häufig von fachfremden Lehrkräften sozusagen von „Lehrbuchrezitatoren“ abgehandelt – verstärken. Wirtschaftskundliche Inhalte haben Prüfungsrelevanz und sind daher im Berufsschulunterricht zu vermitteln. Durch die 11 vgl. Hrg.Nds Min Kult: Verordnung über die Ersten Staatsprüfungen für Lehrämter im Lande Niedersachsen (PVO-Lehr I) vom 27.Juni 1986 - 100 - W IRTSCHAFTSKUNDE IN DER BERUFSSCHULE Facharbeiter- bzw. Gesellenprüfung ist festzustellen, ob der Prüfling u.a. mit dem ihm im Berufsschulunterricht vermittelten, für die Berufsausbildung wesentlichen Lehrstoff vertraut ist12. Die Kultusministerkonferenz hat zur Konkretisierung dieser BBiG- bzw. HWO-Vorschrift den in Tabelle 3 berücksichtigten Lernziel- und Lerninhaltskanon festgelegt. Untersuchungen von Aufgabenblöcken verschiedener Handwerksinnungen bzw. Innungsverbände für das Prüfungsfach Wirtschafts- und Sozialkunde aus dem gewerblich-technischen Bereich haben ergeben, dass eine größere Anzahl Prüfungsfragen außerhalb der Reichweite der RRL Pol ´94 sowie des KMK-Beschlusses vom 18.05.84 liegt. Im Klartext: Die Prüflinge werden nicht bzw. nicht hinreichend auf die Abschlussprüfung vorbereitet. Schlussbemerkung Das Fach Wirtschaftskunde ist für niedersächsische Berufsschulen, gewerbliche Fachrichtungen13, erstmalig nach dem 2. Weltkrieg, im Jahre 1966 in der Stundentafel mit einer Wochenstunde berücksichtigt worden. Das Stundenkontingent wurde im Jahre 1982 auf ½ Wochenstunde gekürzt14 und drei Jahre danach war das Fach in den Stundentafeln für Klassen der gewerblich-technischen Fachrichtungen nicht mehr zu finden.15 Seither habe ich wiederholt und mit Nachdruck für die Wiedereinführung des Faches Wirtschaft in der Berufsschule u.a. in Politik unterrichten geworben, zu meinem Bedauern bisher ohne Erfolg. Die Konsequenzen haben die Schwächsten zu tragen, kurzfristig und längerfristig: die Berufsschüler! 12 13 14 15 vgl. § 35 Berufsbildungsgesetz vom 14.Aug. 1969, letzte Änderung: 25. Sept. 1996 bzw. §32 Handwerksordnung vom 28. Dezember 1965, letzte Änderung: 20. Dezember 1993 vgl. Hrg. Nds. Kultusministerium: Richtlinien für den Unterricht an Gewerblichen Berufsschulen im Lande Niedersachsen, Hannover 1966 vgl. Hrg. Nds. Kultusministerium: BbS-VO, Hannover 1982 vgl. Hrg. Nds. Kultusministerium: BbS-VO, Hannover 1985 - 101 - REZENSIONEN, NACHRICHTEN, VERANSTALTUNGEN, TERMINE V REZENSIONEN, NACHRICHTEN, VERANSTALTUNGEN, TERMINE Mehr Demokratie wagen ... Kurt-Peter Merk Die Dritte Generation Generationenvertrag und Demokratie - Mythos und Begriff Aachen 2002 (Shaker-Verlag), 190 Seiten, 24,80 € (ISBN 3-8322-0575-6) Rezension von Hans-Joachim Fichtner Ist es politisch geboten und verfassungsrechtlich zulässig, die gesellschaftliche Gruppe der Kinder und Jugendlichen, die „Dritte Generation“, durch die Einräumung des aktiven Wahlrechts in die politische Partizipation und damit in die demokratische Repräsentation aufzunehmen? Dieser spannenden, facettenreichen und zukunftsrelevanten Problemfrage geht der Rechtsanwalt und Privatdozent am Geschwister-Scholl-Institut der Universität München, Kurt-Peter Merk, in seiner im September in gekürzter Fassung erschienenen, sehr lesenswerten Habilitationsschrift nach. Der Autor, der nach der vorletzten Bundestagswahl vor dem Bundesverfassungsgericht Berliner Jugendliche bei einer Wahlprüfungsbeschwerde wegen der von ihnen als verfassungswidrig eingestuften Ausgrenzung von Minderjährigen von der politischen Teilnahme bei der Bundestagswahl vertreten hat, kommt zu einer klaren Antwort: Ja! Die pluralistische Demokratie sei – ebenso wie der 1957 in Kraft gesetzte Generationenvertrag – nur ein Mythos, da die in der BRD etablierte repräsentative Demokratie auf die Herrschaft von nur zwei statt der drei Generationen des Zeitgenossenkontingents reduziert sei. Daraus ergibt sich für Merk die These, „dass die strukturelle Ursache des Generationsegoismus in den sozialpolitischen Verteilungsentscheidungen zu Lasten der nachfolgenden - 102 - REZENSIONEN, NACHRICHTEN, VERANSTALTUNGEN, TERMINE Generation(en) ein Repräsentationsdefizit im bestehenden demokratischen Herrschaftssystem ist, das darauf beruht, dass die dritte zeitgenössische Generation weder funktional wahrgenommen wird noch Teil des Entscheidungssystems ist“ (S. 9f). Die Begründung seiner These entfaltet der Autor durch eine klar gegliederte Systemdiagnose im ersten Teil seiner Schrift sowie eine plausibel begründete Systemtherapie im zweiten Teil seiner Überlegungen. Von der Theorie und Praxis des Generationenvertrages kommend, geht er detailliert auf Ursachen und Folgen des Generationsegoismus in der politischen Praxis ein. Dabei überprüft er die Politikbereiche Finanz-, Renten-, Umwelt- sowie Familienpolitik und konstatiert gravierende Störungen hinsichtlich der Verteilungsgerechtigkeit. Kurt-Peter Merk weist nach, dass zukunftsorientierte Entscheidungen, die nach der Sachrationalität des Generationenvertrages dringend erforderlich sind, immer wieder an der Systemrationalität der bestehenden demokratischen Herrschaftsstruktur scheitern. In diesem Zusammenhang spricht er gar von einem Selbstzerstörungspotenzial der real existierenden Demokratie. Therapieren möchte der Autor das System – bevor es zu spät ist! – durch eine zukunftsfähige Auslegung der Staatsfundamentalnorm Artikel 20 (2) des Grundgesetzes. So plädiert er dafür, die vorherrschende Differenzierung zwischen dem das ganze Volk umfassenden „sozialen Staatsvolk“ als Träger der Staatsgewalt (Artikel 20, Abs. 2, Satz 1 GG) und dem „politischen Staatsvolk“ der Wahlberechtigten (Artikel 20, Abs. 2, Satz 2 GG) aufzuheben. Diese Differenzierung führe nämlich zu dem nicht zu rechtfertigenden Repräsentationsdefizit in unserer Demokratie. Die Ausübung des politischen Grundrechts auf allgemeine Wahl nach dem demokratischen Prinzip „one man – one vote“ könnte nach den Vorstellungen des Autors im Kindesalter indirekt über die Erziehungsberechtigten, also im Auftrage, geschehen. Jugendliche ab 14 Jahre sollen direkt wählen können. Merk setzt darauf, dass durch die Aufhebung der Altersdiskriminierung im Wahlrecht dem „elektoralen Drohpotenzial“ der Senioren das „elektorale Drohpotenzial“ der Kinder und Jugendlichen gegenüber tritt. Von der Verwirklichung der vollständigen Repräsentation im Sinne - 103 - REZENSIONEN, NACHRICHTEN, VERANSTALTUNGEN, TERMINE von „mehr Demokratie wagen“ verspricht er sich eine Eindämmung des Generationsegoismus der Alten und damit einen wesentlichen Beitrag zur Herstellung von Nachhaltigkeit, Chancengleichheit und Zukunftsfähigkeit in unserer Gesellschaft. Die überzeugenden Therapievorschläge des Autors, die sich freilich mit ernstzunehmenden kritischen Einwänden auseinander zu setzen haben, sind ein Schritt in die richtige Richtung. Die Umsetzung der konkreten Utopie „Minderjährigen-Wahlrecht“ in der von Merk postulierten Weise lässt sich angesichts der demographischen Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland bestimmt nicht auf den St. Nimmerleinstag verschieben. Auch wenn die Zeit einer Grundgesetzänderung in Richtung „Wahlalter Null“ noch nicht reif ist, so scheint zumindest die Erkenntnis stetig zu wachsen, dass die Interessen der nachrückenden Generationen nachhaltig und viel konsequenter als bisher beachtet werden müssen. „Anderenfalls wird sich eine andere Einsicht Bahn brechen, nämlich die, dass eine Generation, die keine Vor-Sicht walten ließ, später auch keine RückSicht erwarten darf“ (S. 183). Die Lektüre der gut lesbaren Habilitationsschrift dürfte zu wichtigen Ein-Sichten führen. Ein zeitgemäßer Politikunterricht kann davon sehr profitieren. - 104 - REZENSIONEN, NACHRICHTEN, VERANSTALTUNGEN, TERMINE Siegfried Grillmeyer / Zeno Ackermann (Hrsg.): Erinnern für die Zukunft Die nationalsozialistische Vergangenheit als Lernfeld der politischen Jugendbildung. Wochenschau Verlag 2002, kart. 230 Seiten Rezension von Hagen Weiler Dem prägnanten Obertitel werden nach meiner Kritik nur vier der insgesamt 15 Beiträge gerecht. Zunächst ist deren insgesamt thematisch verbindendes Konzept dem "Einstieg" des ersten Herausgebers Grillmeyer nicht zu entnehmen. Bereits die Gliederung in fünf Abteilungen überzeugt mich nicht: Warum z.B. "Erfahrungsberichte aus der Praxis" und "Erfahrungsberichte und Praxisvorschläge" unterschieden werden, wird nicht erklärt. Nach meiner Kritik wäre eine Dreiteilung angemessener gewesen, nämlich: "Allgemeine Fragen und Hintergründe" "Erfahrungsberichte aus der Praxis" "Zugänge im Archiv". Weiter zu kritisieren habe ich die mehr als nur graduellen NiveauUnterschiede der einzelnen Beiträge, d.h. vor allem deren überwiegende thematische Konzentrationsmängel. Nach diesem Maßstab habe ich nur vier Aufsätze - uneingeschränkt - zu loben: 1. Alexander Schmidt: "Sind Sie der Führer?" - Nationalsozialismus als Thema von Stadtrundgängen (z.B. in Nürnberg). 2. Zeno Ackermann: "Meine Schulzeit ist insgesamt eine gute Erziehung zu Auschwitz gewesen". Schule im "Dritten Reich" als Thema der außerschulischen Jugendbildung. - 105 - REZENSIONEN, NACHRICHTEN, VERANSTALTUNGEN, TERMINE 3. Harald Stockert: "Im Archiv der staubigen Akten wühlen" - Ein lohnenswerter Weg für Schüler- und Jugendprojekte zum Nationalsozialismus. 4. Axel Hof: "Hitler im Schwimmbad" - Ein Seminarkonzept zur Aufarbeitung der Opfer-Täter-Problematik während der konsolidierten NS-Gewaltherrschaft in den Jahren 1933 - 1938. In diesen Beiträgen spiegeln sich repräsentativ souveräne Quellenverarbeitung, Verdichtung und Vertiefung geschichtswissenschaftlicher und -didaktischer Diskussionen sowie instruktiv weiterführende Veranschaulichungen. Im Vergleich dazu erscheinen die sonstigen Beiträge tendenziell als negative Gegenbeispiele. Diese lassen sich unter zwei Aspekten pointiert gliedern: a) Bereits von ihrem Ansatz her verfehlte Versuche, aus heutiger Perspektive "gruppendynamisch" Jugendliche danach zu befragen, wie sie sich im Nationalsozialismus verhalten hätten bzw. hätten verhalten sollen. Ein signifikantes Beispiel präsentiert - ohne irgendeine kritische Distanz - Markus Köster: "Aus der Geschichte lernen?! - Ein historisch-politisches Seminarprojekt mit Besuch einer KZ-Gedenkstätte" (S. 70-88, 75), der den Teilnehmern im Anschluss an den Film "Schindlers Liste" die "Frage" bzw. "Sehhilfe" an die Hand gibt: "Wie hätte ich an Schindlers / Göths (= Kommandant des Konzentrationslagers) Stelle gehandelt?" b) Erfahrungsaustausch und Praxisvorschläge, die kaum über berichtende, mehr oder weniger gegenständlich-formale Schematisierungen von Unterrichtsmodellen hinauskommen. Ein signifikantes Beispiel für deren schuladministrative Beurteilungskriterien präsentiert der "Fachbetreuer" (= Seminarleiter?) und führendes (?) Mitglied im Bayerischen Philologenverband (vgl. S. 227) Claus Zernetschky: "Kooperation von Schule und außerschulischen Einrichtungen - Harmonisierung von Lehrplänen und Seminarprojekten" (S. 40-59, 48f., 52f.): - 106 - REZENSIONEN, NACHRICHTEN, VERANSTALTUNGEN, TERMINE "... Geschichte ... soll zum Aufbau eines Wertebewusstseins beitragen ..." "... die eingesetzten Methoden müssen eine ... möglichst mathematisch berechenbare Beurteilung des Schülers möglich machen ..." "Am Ende muss dann doch die Ausfrage, das Extemporale oder eben die Schulaufgabe entscheiden ..." Leider hat der erste Herausgeber Grillmeyer in seinem Einstieg (S. 36) keinen namentlichen Bezug vorgenommen: "Muss also grundsätzlich festgehalten werden, dass der Ausstieg aus rein lehrerzentrierten Unterrichtsmodellen und die Einführung "offener" Formen der Vermittlung selbst Teil jenes umfassenden "Programms" sind, aus dem Schatten Hitlers herauszutreten ..." Zwar hält der Rezensent selbst einen derartigen Bezug für völlig inadäquat. Dennoch sollte als Resümee festgehalten werden: "Gruppendynamische Rollenspiele" und "mathematisch berechenbare Beurteilungen ... wertebewusst ausgefragter Schüler" verfehlen gleichermaßen das notwendige geschichtliche "Erinnern der nationalsozialistischen Vergangenheit" für die Zukunft der Schüler. http://www.wochenschau-verlag.de - 107 - REZENSIONEN, NACHRICHTEN, VERANSTALTUNGEN, TERMINE Uta Klein / Dietrich Thränhardt (Hrsg.): Gewaltspirale ohne Ende? Konfliktstrukturen und Friedenschancen im Nahen Osten. Schwalbach 2002, Wochenschauverlag, 250 S. Rezension von Wilhelm Wortmann Wer immer für den Unterricht, ein Einführungsseminar oder einen Volkshochschulkurs prägnante und informationsreiche erste Orientierungen im verwirrenden und widerstreitenden Feld des Nahostkonfliktes sucht, wird mit diesen Beiträgen einer Ringvorlesung der Universität Münster hervorragend bedient. Erschienen ist das Buch als 37. Band in der Schriftenreihe des Deutsch-Israelischen Arbeitskreises für Frieden im Nahen Osten (DIAK), der sich aber in gleicher Weise auch für die palästinensischarabische Perspektive verpflichtet fühlt. Bei aller unterschiedlichen Herkunft der Autorinnen und Autoren, sind sie sich über die Friedenslösung in dieser Region im wesentlichen einig: die gesicherte Existenz des Nebeneinanders eines israelischen und eines palästinensischen Staates in den Grenzen von 1967. Dass diese klare Sicht zum einen nicht von den extremistischen Gruppierungen beider Seiten geteilt wird und zum anderen nicht die logische und konsequente Umsetzung in Realität gewährleistet, ist den einzelnen Artikeln und ihren Themenbereichen zu entnehmen. Welche Rolle in dem gesamten Konflikt der verhängnisvollen „Symbolischen Aufladung“ immer wieder zukommt, wird vor allem am Paradefall der verunglückten Camp David Verhandlungen erschreckend deutlich. Auf Hintergründe des Nahostkonfliktes verweisen Karin Aggestam (Oslo-Verhandlungen), Mosche Zimmermann (zionistisches Selbstverständnis in der israelischen Gesellschaft), Uta Klein (Militär in - 108 - REZENSIONEN, NACHRICHTEN, VERANSTALTUNGEN, TERMINE Israel), sowie Margret Johannsen (Rüstung) und Alexander Flores (Islam, Islamismus, Nationalismus). Welche Interessen und welche (unklaren) Politiken die USA und die Europäische Union verfolgen, stellen Volker Perthes und Christian Sterzing dar. Von Helga Baumgarten kommt eine Auseinandersetzung um Demokratie und autoritärer Herrschaft im palästinensischen Bereich unter dem Stichwort: Transformationsforschung. Neben Beiträgen über die Funktion des palästinensischen Filmschaffens und dem immer wieder „Trotzdem“ – Dialog zwischen Israelis (Peace Now) und Arabern wird in kundiger Weise auf die Bevölkerungsproblematik (D. Thränhardt), die Landund Siedlungssituation und die Frage der Verteilung der Ressource Wasser (R. Robert) eingegangen. Literaturangaben, Graphiken und Skizzen veranschaulichen die Ausführungen. Auf diesen Grundlagen lassen sich sachliche Vertiefungen, Problemerörterungen und Verständnis für die regionale, aber auch die globale Konfliktbewältigungssituation sehr solide aufbauen und entwickeln. - 109 - REZENSIONEN, NACHRICHTEN, VERANSTALTUNGEN, TERMINE Fatima Mernissi: Islam und Demokratie. Die Angst vor der Moderne. Verlag Herder, Freiburg 2002, 254 S. Rezension von Wilhelm Wortmann Es geht in dieser so lesenswerten Abhandlung der marokkanischen Soziologin um das Problem, welcher Art die Grundlage islamischer Identität in der Moderne sein kann. An zentraler Stelle schreibt Fatima Mernissi in ihrer nicht nur wissenschaftlichen, sondern auch essayistisch temperamentvollen Weise: Die Demokratie ähnelt dem ... Schiff, das auf dem Fluss der Zeit schwimmt und uns zwingt, dem ins Auge zu schauen, was bisher in unserer muslimischen Kultur scheinbar das Undenkbare war: ... Vernunft und individuelle Meinung. Von Anfang an haben Muslime ihr Leben geopfert, um die bis heute ungelöste Frage zu beantworten: gehorchen oder überlegen, glauben oder denken" (S. 44). Das Konzept des Individuums und seiner Freiheit sei nicht das alleinige Eigentum des Westens, es gehöre auch zur muslimischarabischen Tradition, „nur ging dies immer wieder in Blutbädern unter“. Ausgehend vom 11. September beobachtet Fatima Mernissi auf der einen Seite die wachsende Unsicherheit, das Misstrauen des Westen gegenüber der muslimisch-arabischen Welt bis hin zur Vermischung mit den Ängsten vor dem Terrorismus und auf der anderen Seite weiß sie von den Ängsten, den Vorbehalten und den Abneigungen der Araber gegenüber der westlichen, säkularen, der „unmoralischen“ Moderne. In ihrem Buch ist daher das Wort „Angst“ der Schlüsselbegriff. Die Kapitel lauten: die Angst vor dem fremden Westen, ... vor der Demokratie, ... vor der Gedankenfreiheit, ... vor Vergangenheit und Gegenwart. Für sie gibt es zwei Texte, die gegenwärtig den Antagonismus Demokratie - Islam ausmachen: die Charta der - 110 - REZENSIONEN, NACHRICHTEN, VERANSTALTUNGEN, TERMINE Vereinten Nationen (von der Mehrheit der islamischen Staaten unterschrieben) und den Koran (die Wahrheit, das Gebot schlechthin). Beide haben für die muslimische Welt Gesetzescharakter, die einander aber widersprechen. „Ein Gesetz, das den Bürgern Gedankenfreiheit verspricht und eine Scharia, die sie verurteilt ...“(S.95). Wie und auf welchem Wege wird die arabisch-muslimische Welt diesen inneren Konflikt meistern: einerseits eine unausweichliche Moderne, die nicht nur technologisch zu verstehen ist, Mernissi spricht vom unumkehrbaren Trend zur Demokratisierung (S.21), andererseits eine unverwechselbare eigengeartete kulturelle und gesellschaftliche Identität. Ihre Hoffnung setzt die Professorin an der Universität Rabat auf die junge und aufbegehrende Generation in Verbindung mit der „satanischen Satellitenschüssel“ und auf die Frauen in ihrem „Aufbruch in die Freiheit“, wie es herausfordernd in ihrem Abschlusskapitel heißt. Letztlich geht es ihr um die Auseinandersetzung, um den Kampf mit der traditional bis fundamentalistisch besetzten Angst der Männer vor den Frauen, die es ja auch in anderen Kulturbereichen geben soll. Wer sich mit der arabischen und überwiegend islamisch geprägten Geschichte und Gesellschaft des Orients befasst hat, wird mit Hilfe der Lektüre dieses Buches sehr wertvolle und vielschichtige Einsichten in Denken, Fühlen, Ängste und Hoffnungen der arabischen Welt und einer Araberin gewinnen. - 111 - REZENSIONEN, NACHRICHTEN, VERANSTALTUNGEN, TERMINE 9. Bundeskongress für politische Bildung Vom 6. bis 8. März 2003 findet in Braunschweig der 9. Bundeskongress für politische Bildung statt, den die Bundeszentrale für politische Bildung mit der Deutschen Vereinigung für politische Bildung gemeinsam veranstaltet. Das Thema lautet "Dialog der Kulturen – Politik, Gerechtigkeit, Menschenrechte". Das Programm kann unter www.bpb.de eingesehen werden. Anmeldungen sind zu richten an CTS text-line Agentur für Kommunikation in Wissenschaft und Politik z. H. Frau Christiane Toyka-Seid Königswinterer Straße 5 53639 Königswinter Fax: (0 22 44) 92 27 35 E-mail: [email protected] Lehrkräfte aus Niedersachsen, die rechtzeitig Sonderurlaub beantragen. teilnehmen wollen, sollten 11. Politiklehrertag des Landesverbandes Niedersachsen Am 24. September 2003 findet in Hannover der 11. Politiklehrertag statt mit dem Thema "Methoden im Politikunterricht". In bewährter Zusammenarbeit mit der Landeszentrale für politische Bildung wird es am Vormittag eine Podiumsdiskussion geben, für die Frau Prof. Sibylle Reinhardt, Halle, Herr Prof. Gotthard Breit, Magdeburg, Herr Prof. Georg Weißeno, Karlsruhe, und Herr Prof. Grammes, Hamburg, ihre Teilnahme bereits zugesagt haben. Am Nachmittag werden zehn Arbeitsgruppen angeboten. Das genaue Programm wird rechtzeitig vor den Sommerferien veröffentlicht. - 112 - NACHRUF Nachruf Wolfgang Hilligen * 13. Mai 1916 13. Januar 2003 Wolfgang Hilligen ist, fast 87-jährig, am 13. Januar gestorben. Wie kein anderer hat er die Entwicklung der politischen Bildung in der Bundesrepublik geprägt: Als Verfasser didaktischer Werke hat er uns gezeigt, "worauf es ankommt" (1961), als Autor eines inzwischen legendären Schulbuches lernten Generationen von Schülerinnen und Schülern "sehen - beurteilen - handeln" (Kl. 5/6: 1. Aufl. 1957, Kl. 79/10: 1. Aufl. 1960), als Hochschullehrer an der Universität Gießen bildete er über Jahrzehnte Politiklehrerinnen und Politiklehrer aus und inspirierte so die Praxis des Politikunterrichts - der allerdings lange Zeit Sozialkunde oder - in der gymnasialen Oberstufe Gemeinschaftskunde hieß. Diese eher unpolitische Kunde war Wolfgang Hilligens Anliegen nicht, er sprach vielmehr von Herausforderungen, von "existentiellen Fragestellungen", von denen der politische Unterricht ausgehen müsse. Sie bilden die Kriterien für die Auswahl der Inhalte, sie erschließen den Zugang zum Verstehen der Wirklichkeit und sie enthalten sowohl Gefahren als auch Chancen. Unter anderem diese Ambivalenz zeigt die möglichen Alternativen im politischen Handeln, zeigt die Notwendigkeit zielgeleiteten politischen Handelns für ein "menschenwürdiges Zusammenleben". Für Hilligen zielt die Didaktik folglich "auf Existentielles; sie ist die Spezialwissenschaft für das, was von so allgemeiner Bedeutung für das Leben ist, dass man es lernen muss" (Zur Didaktik des politischen Unterrichts, erstmals 1975, 1985 in 4., völlig überarbeiteter Auflage erschienen, hier S. 23). Schon früh hat sich Wolfgang Hilligen in der Diskussion um die Politische Bildung zu Wort gemeldet - in einer Zeit, als noch überwiegend mit "Partnerschaft" im Sinne Friedrich Oetingers (d.i. Theodor Wilhelm) einer unpolitischen politischen Bildung das Wort geredet wurde. In "Plan und Wirklichkeit" (1955) konstatierte er, dass nur die Diagnose der pädagogischen Wirklichkeit den Ansatz zur - 113 - NACHRUF Fortentwicklung geben könne, hatte er doch zuvor diese Wirklichkeit an hessischen Schulen empirisch erforscht. Seine Folgerungen für einen Lehrplan deuteten schon die später formulierten Herausforderungen an: etwa, wenn er auf die gesellschaftlichen Faktoren verweist, die das Handeln des Einzelnen beeinflussen. Als sich in der Curriculum-Debatte der 70er Jahre die Gestaltung des Verhältnisses der Schulfächer Geographie, Geschichte und Sozialkunde (Politik) als ein ungelöstes Problem erwies, plädierte Hilligen dafür, dass "von jedem und in jedem der beiden Fächer (Sozialkunde und Geschichte) [...] auch die Sicht- und Frageweise des anderen vermittelt und gepflegt werden" müsse. "Ohne historische Methoden und Fragestellungen können Lernende nicht die Einzigartigkeit von Personen und Ereignissen erfahren und nicht verstehen, warum Menschen je verschieden sind; ohne systematische synchronische (die Zeiten zusammenschauende) Methoden und Betrachtungen können sie nicht erkennen, was an den Menschen menschlich ist und welchen vergleichbaren Aufgaben sie sich trotz aller Andersartigkeit der Bedingungen je gegenübergestellt sehen" (im Lehrerhandbuch zu: Sehen - Beurteilen - Handeln, Frankfurt/M. 1979; S. 18). Hilligens didaktische Positionen oder Zugänge, wie er selbst sie nennt, fanden Eingang in die verschiedenen niedersächsischen Rahmenrichtlinien der 90er Jahre und in Schulbücher für den Politikunterricht wie das dreibändige "Politikbuch", das Mitte der 90er Jahre die Nachfolge von "Sehen - Beurteilen - Handeln" antrat und von ihm ausdrücklich begrüßt wurde. Auch die "Politische Bildung nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten" hat ihn beschäftigt und zum Engagement herausgefordert, wie seine "Didaktischen Zugänge", ein Band in der "Kleinen Reihe" zur Didaktik und Methodik der politischen Bildung" (1991) zeigen. Und nicht zuletzt mit seinen Vorträgen half er den Lehrerinnen und Lehrern der ehemaligen DDR, den Wechsel von der Staatsbürgerkunde zum Politikunterricht sinnvoll gestalten zu können. Sie haben, wie wir alle, Wolfgang Hilligen viel zu verdanken. Renate Fricke-Finkelnburg - 114 - NACHRUF - 115 - DVPB-INTERN VI DVPB-INTERN Bericht über die Mitgliederversammlung am 4. September 2002 Der Vorsitzende, Dr. Hans-Joachim Fichtner, berichtete wie folgt über die Aktivitäten des Vorstandes: 1. Bundesvorstand: Niedersachsen war bei den erweiterten Bundesvorstandssitzungen durch den Landesvorsitzenden vertreten (28.10.2000 in Erfurt, 24./25.11.2001 in Berlin) 2. Landesvorstand: 9 Sitzungen; von ursprünglich 18 Mitgliedern sind i.d.R. 10 - 12 Mitglieder anwesend. Prof. Dr. Janssen und Frau Thiele haben sich im Herbst 2001 aus der Vorstandsarbeit zurückgezogen. 3. Kontakte im politischen Raum: Gespräche mit Landtagspräsident Prof. Wernstedt (31.10.00, 11.5.01, 6.8.02), Kultusministerin Jürgens-Pieper (22.11.00), CDUFraktionsvorsitzendem Wulff (10.5.01), Dr. Domröse, MdL (SPD), Frau Litfin, MdL (B'90/Die Grünen), Frau Vogelsang, MdL (CDU) am 11.5.01. - Diverse Besprechungen mit Mitarbeitern der Landeszentrale für politische Bildung und der Landtagsverwaltung. 4. Politiklehrertage: 9. Politiklehrertag am 12.9.2001 in der Universität Hannover (Thema: "Mehr ökonomische Bildung in der Schule!?"); 10. Politiklehrertag am 4.9.2002 im Niedersächsischen Landtag (Thema: "Schülerinnen und Schüler machen Politik"). Ideelle und materielle Unterstützung durch den Niedersächsischen Landtag, die Niedersächsische Landeszentrale für politische Bildung, die Zentrale Einrichtung für Weiterbildung der Universität Hannover, "n-21: Schulen in Niedersachsen online". 5. Veranstaltungen (z.T. auf regionaler Ebene und mit Kooperationspartnern): Landtags-Workshop am 11.5.01, Arbeitstagung "Neue Wege für den Politikunterricht" am 30.10.01 in der Leibnizschule Hannover, Arbeitstagung "Implementierung multimedialer Methoden im Fach Gesellschaftslehre" am 14.2.02 in Garbsen - 116 - DVPB-INTERN (Hans-Rudi Bratschke), Beteiligung an der Podiumsdiskussion "Erinnerung bedeutet Zukunft - die junge Generation und der Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus" am 3.2.02 in Hannover (Hans-Joachim Fichtner), Beteiligung an der Tagung zur Fachdidaktik Politik am 14.2.2002 im Leibnizhaus (Wilhelm Wortmann), Veranstaltungsreihe über Rechtsextremismus im Frühjahr 2002 in Lingen (Stefan Nolting), regionale Lehrerfortbildungen mit DVPB-Beteiligung. 6. DVPB-Homepage (www.dvpb-nds.de): Gestaltung durch Webmaster Jürgen Westphal. Seit dem Start im März 2001 mehr als 6.500 Besuche; die Zahl der Hits, also Auflistung von Suchvorgängen, liegt bei 120.000. 7. "POLITIK UNTERRICHTEN": Unsere niedersächsische Verbandszeitschrift erscheint i.d.R. zweimal im Jahr. Redaktion: Albrecht Pohle. 8. Mitgliedschaft: Die Zahl der Mitglieder liegt weiterhin bei 300. Der Mitgliedsbeitrag beträgt 30 € / Kalenderjahr; Schüler/innen, Auszubildende, Studierende sowie Referendarinnen und Referendare zahlen 6 € / Kalenderjahr. Nach einer Aussprache und der Entlastung des alten Vorstandes wurde ein neuer gewählt: 1. Vorsitzender: Dr. Hans-Joachim Fichtner, Burgwedel Stellvertreter: Dr. Michael Bax, Hannover Schatzmeister: Roland Freitag, Hagenburg Beisitzer: Bernhard Bock, Hannover Hans-Rudi Bratschke, Hannover Bernd Lange, MdEP, Burgdorf Bernd Leithold, Bad Münder Stefan Nolting, Lingen Henrik Peitsch, Hagen Albrecht Pohle, Gehrden Hans-Ulrich Reinke, Braunschweig Hans-Joachim Rödiger-Usselmann, Burgwedel Jürgen Westphal, Melle Dr. Peter Wollenweber, Braunschweig - 117 - DVPB-INTERN Dr. Wilhelm Wortmann, Barsinghausen Einen Geschäftsführer wählte die Mitgliederversammlung nicht. Ein Antrag aus dem Kreis des Vorstandes, die DVPB möge beim Kultusministerium vorstellig werden, damit der Erlass über den Besuch von Politikerinnen und Politikern während des Wahlkampfes in Schulen geändert werde, Schulen sollten selbst über solche Veranstaltungen entscheiden können, wurde mit großer Mehrheit angenommen. Inzwischen liegt die Antwort aus dem Kultusministerium vor. Die Initiative wird begrüßt, man wolle den Erlass nach der Landtagswahl ändern. - 118 - DVPB-INTERN Beitrittserklärung Hiermit erkläre ich meinen Beitritt zur Deutschen Vereinigung für Politische Bildung e.V. Sie ist widerruflich ermächtigt, den Jahresbeitrag von meinem Konto mittels Lastschrift einzuziehen. Wenn mein Konto keine Deckung aufweist, besteht seitens des kontoführenden Kreditinstituts keine Verpflichtung zur Einlösung. Name: Vorname: Dienstbez.: Interesse am Bildungstyp: GS HS RS GY BS Primar Sek. I Sek. II Erw.-Bildung Straße: PLZ / Ort: Telefon: Konto-Nr.: BLZ: bei: 30 Euro / Kalenderjahr 6 Euro / Kalenderjahr (Auszubildende, Schüler, Referendare, Studenten) Vorsitzender: Dr. Hans-Joachim Fichtner, Bahnhofstraße 4 b, 30938 Burgwedel, 05139 / 2233 DVPB-Niedersachsen, NordLB Braunschweig, BLZ 250 502 00, Kto.-Nr. 1 583 970 - 119 - VERZEICHNIS DER AUTOREN Dr. Fritz Erich Anhelm Direktor der Ev. Akademie Loccum 31547 Rehburg-Loccum Wolf D. Ahmed Aries Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des Islamrates Zum Hagenhor 13 33330 Gütersloh Dr. Hans-Joachim Fichtner Bahnhofstraße 4 b 30938 Burgwedel 0 51 39 / 22 33 Prof. Dr. med Sami Hussein Medizinische Hochschule Hannover Behrouz Khosrozadeh Georg-August-Universität Baurat-Gerber-Straße 4/6 37037 Göttingen Albrecht Pohle Moltkestraße 24 30989 Gehrden Stefan Weigand Referent für Öffentlichkeitsarbeit Nds. Justizministerium Am Waterlooplatz 1 30169 Hannover Tel. (0511) 120 50 43 Dr. Dr. Hagen Weiler Pädagogisches Seminar der Georg-August-Universität Baurat-Gerber-Straße 4/6 37073 Göttingen 05 51 / 3994-61 Prof. Rolf Wernstedt Präsident des Nds. Landtages Dr. Wilhelm Wortmann An der Krumbeeke 15 30890 Barsinghausen 0 51 05 / 8 38 37 Hans-Dietrich Zeuschner Ritterstraße 19 21335 Lüneburg - 120 - - 121 -