31.Sonntag im Jahreskreis/A/Evangelium01 Liebe Mitchristen! Folgende Geschichte soll sich einmal in Berlin zugetragen haben: Ein Junge hatte sich abends verlaufen. Da begegnet ihm eine vornehm gekleidete Dame. "Sagn Se mal, wo geht dat hier zum Kudamm?" fragt der Junge in der Hoffnung auf ein Antwort. Und die bekommt er auch - allerdings etwas anders als er sich das gedacht hatte. Die Dame nämlich schaute ihn streng an und meinte dann: "Mein lieber Junge - ich werde dir mal etwas sagen. Erstens: Das heißt nicht: Sagn Se mal, sondern Gnädige Frau. Zweitens: Das heißt auch nicht Kudamm, sondern Kurfürstendamm. Und drittens: Wenn man mit einer erwachsenen Person spricht, nimmt man die Hände aus der Tasche." "Dat is mir zu kompliziert", antwortet der Junge. "Da verlauf ick mir lieba!" Anstandsregeln, Benimmvorschriften, Kleiderordnungen, die Bedeutung von Titeln, der gesellschaftliche Rang und vieles mehr ist aus unserem Leben nicht wegzudenken, ob wir das nun wahrhaben wollen oder nicht. Und was in unserer Gesellschaft üblich ist, das ist leider in der Kirche oft nicht viel besser. Um bei der Geschichte vom Anfang zu bleiben: Die Kirche als vornehm gekleidete Dame, die auf Benimmregeln mehr Wert legt als Wegbegleiterin der fragenden und suchenden Menschen zu sein? Ist das das richtige Bild? Oder vielleicht eine Kirche, bei der Höflichkeit und Äußerlichkeiten an erster Stelle stehen, bei der der Schein mehr zählt als das Sein? Sicherlich kann man auch solche Auswüchse in der Kirche finden, doch hier pauschal nach oben zu schielen und Sündenböcke auszumachen, die man dann mit Kritik überhäufen kann, das wäre zu einfach. Wer nämlich die Lesungen des heutigen Gottesdienstes aufmerksam verfolgt, der wird feststellen, das hier bei aller geäußerten Kritik auch Ansatzpunkte und Stichwörter vorgegeben sind, wie Kirche, wie Gemeinde sein sollte, damit sie Menschen Orientierung geben kann. Und diese Anregungen gelten durchaus nicht nur für die oberen Zehntausend, sondern genauso für uns "normale" Christen, wenn man das so sagen darf. Kirche muß sein eine Gemeinschaft von Menschen, die aufeinander hören, so lautet ein erstes Stichwort. Die zunehmende Zahl von Kirchenaustritten bewirkt leider nicht, daß sich die Übriggebliebenen enger verbunden fühlen. Vielmehr wird munter weitergemacht wie immer. Meinungsverschiedenheiten werden häufig mit Hilfe der Lautstärke geregelt, mit Druck, dem Ansehen, der Position oder dem bisher Geleisteten nach. Das hier auf Dauer kein Konsenz zu erreichen ist, ist jedem klar, vor allem dann, wenn er trotz guter Ab- und Ansichten immer wieder zu denen gehört, auf die niemand hört oder die niemand hören will. Harmonie um jeden Preis kann sicherlich nicht das Ziel sein, denn es muß gerade in der Kirche Diskussionen und Auseinandersetzungen geben. Hier erst zeigt sich eine lebendige Gemeinschaft. Doch es wäre eine Kirche, eine Gemeinde wünschenswert, die aufeinander hört, in der sich keiner gegenseitig die gute Absicht abspricht und in der sich keiner über den anderen als Lehrmeister aufspielt! Ein zweiter Punkt: Kirche und Gemeinde sollen eine Gemeinschaft von Menschen sein, die dienen. Drehen wir uns nicht allzusehr im Kreis des eigenen Denkens? Stellen wir uns selbst nicht allzu gern in den Mittelpunkt? Ich soll dienen - wo bleibt denn da meine Freiheit, mein Drang nach Selbstverwirklichung? Über all diesen Fragen vergessen wir leicht, worum es eigentlich in Kirche und Gemeinde geht, nämlich um die frohe Botschaft für diejenigen, die am Rande der Gesellschaft leben. Das ist durchaus nicht etwa nur ein lästiges Abfallprodukt unseres Christseins, etwas, worauf wir auch gut verzichten könnten. Was ihr den Geringsten getan habt, das habt ihr mir getan, so lautet eine der zentralen Aussagen Jesu. Mit diesen Geringsten aber kann man keine Geschäfte machen, ihnen gegenüber zählt nicht meine eigene Person. Zu ihnen muß ich mich hinunterbeugen und ihnen wirklich dienen, dann kann ich auch wieder Jesus in Menschengestalt sehen. Darin besteht eine der Hauptaufgaben unseres Christseins. Und einen dritten Ansatzpunkt gibt uns das heutige Evangelium vor: Wir sollen Menschen sein, die tun, was sie glauben. Die Wirklichkeit sieht häufig anders aus. Vieles läßt sich vielleicht damit entschuldigen, daß wir schwache Menschen sind, doch das ist kein Argument auch in Zukunft nichts zu ändern. Wir werden von Gott nicht daran gemessen wieviel wir beten, sondern daran, ob wir auch das leben, was wir beten. Vor der Kirchentüre sind unsere wohl ernst gemeinten Gebete meistens wieder ins Abseits gedrängt. Wir erleben am eigenen Leib den Zwiespalt zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Diesen Zwiespalt aber können wir aus eigener Kraft und aus eigenem Willen heraus verringern und schließen, ebenso wie wir ihn selbst geschaffen und vergrößert haben. Liebe Mitchristen, wir feiern Eucharistie, teilen unseren Glauben und wissen Christus in unserer Mitte, der sein Leben als Dienst und Hingabe für uns alle verstanden hat. Er hat den Weg vorgegeben, den auch wir beschreiten können. Doch nur dann, wenn wir ihn auch wirklich gehen, nur dann können wir auch Wegbegleiter sein für alle fragenden und suchenden Menschen. Amen