Süsser die Glocken nie klingen (Seiten 40-45)

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Süsser die
nie klingen
Glockenblumen und Teufelskrallen wachsen auf naturbelassenen Wiesen,
im Wald, an Waldrändern, im Schotter und Fels und in höheren Berglagen,
und wo sie vorkommen, ist die Natur noch weitgehend in Ordnung.
Text und Fotos: Wolfgang Langer/Herbert Sauerbier
D
ie meist blauen Blüten der
Glockenblumen variieren von
Tiefblau bis zum zarten Violett.
Einige wenige Arten wie zum
Beispiel die Strauss-Glockenblume oder
die Ähren-Rapunzel imponieren in Gelbtönen und immer sind sie ein Zeichen
für intakte Natur.
Keine Heilpflanze
Die Familie der Glockenblumengewächse (Campanulaceae) hat keine nennenswerten Heilpflanzen hervorgebracht, umfasst aber weltweit 35 Gattungen mit
mehr als 600 Arten. Lediglich die Rapunzel-Glockenblume (Campanula rapunculus) wird wie die Sunnewirbele als wohlschmeckender Salat geschätzt. An Inhaltsstoffen sind Inulin und Vitamin C
zu nennen. Verwendet werden der dichte
Blätterschopf, bevor die Pflanze zur Blüte
kommt, und die verdickte Wurzel (Rübchen = rapunculus).
Die Hauptverbreitung der Glockenblumenfamilie liegt in der gemässigten
Zone der Nordhalbkugel. Im Alpenraum
kommen sechs der 35 Gattungen vor,
der Hauptanteil an Arten entfällt dabei
auf die Glockenblumen (Campanula)
und die Teufelskrallen (Phyteuma und
Physoplexis).
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Glockenblumen gibt es über 400 Arten. Sie sind vorwiegend in der Alten
Welt, in Europa und Vorderasien heimisch. Ihren Ursprung haben sie im Mittelmeergebiet. Von dort wanderten sie
über die Gebirge Europas und Asiens ein.
Einige wenige sind bis in arktische Gebiete vorgedrungen. Im Alpenraum finden wir über 50 Vertreter, 16 sind Alpenendemiten, kommen also ausschliesslich
in den Alpen vor. Die lateinische Gattungsbezeichnung Campanula taucht
zum ersten Mal bei Leonhart Fuchs im
Jahre 1542 auf. Als Verkleinerungsform
(Glöckchen) leitet sie sich vom Spätlateinischen Campana (die Glocke) ab.
Häufig anzutreffen:
Bärtige Glockenblume
Eine der häufigsten Glockenblumen der
Alpen ist die Bärtige Glockenblume
(Campanula barbata). Sie wächst in der
subalpinen und alpinen Stufe auf kalkarmen Böden in den Zentralalpen. Ausserhalb der Alpen kommt sie noch in den
Karpaten und in Südnorwegen vor. Häufig und weit verbreitet ist sie auf Borstgraswiesen, in Zwergstrauchheiden und
Arvenwäldern. Ihr kräftiger, rauhaariger
Blütenstängel ist 10 bis 40 Zentimeter
hoch und trägt eine einseitswändige,
2- bis 12-blütige Traube mit nickenden
Blüten. Die Krone ist glockig, 15 bis 30
Millimeter lang und lebhaft hellblau gefärbt. Die breit zugespitzten Kronzipfel
tragen auf der Innenseite bartartige, lange
Haare, die der Glockenblume ihren Namen geben.
Der Hochalpinist:
Mont-Cenis-Glockenblume
Die Mont-Cenis-Glockenblume (Campanula cenisia) ist eine westalpine Geröllpflanze, deren Verbreitungsgebiet von
den französischen Dauphiné-Alpen über
die Penninischen Alpen der Südschweiz
bis ins Quellgebiet der Adda reicht – also
über den ganzen südwestlichen Alpenbogen. Sie wächst auf Kalkschieferhalden, Gletschermoränen und Gesteinsfluren in Höhen zwischen 2000 und 3800
Metern und ist damit der Hochalpinist
unter den Glockenblumen.
An den weit kriechenden Trieben sitzen kleine, bläulichgrüne Blattrosetten
mit rundlichen am Grunde bewimperten
Blättern. Aus den Achseln der untersten
Blätter entspringen die bogig aufsteigenden Stängel, an deren Ende eine etwa
zwei Zentimeter grosse Blütenglocke
steht, aus welcher der sehr lange Griffel
wie ein Klöppel herausragt.
Blumen NATUR
Glocken
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NATUR Blumen
Insubrische Glockenblume (Campanula raineri):
Heimisch in den Bergmassiven
zwischen Luganer- und Gardasee
eine typische Felsspaltenpflanze der südlichen Kalkalpen. Sie kommt nur in
den Bergmassiven vom Luganer See bis
zum Gardasee vor. Besonders häufig ist
sie in der Grigna in der Lombardei anzutreffen. Nur auf Kalkfelsen oder im Felsschutt entfaltet sie ihre hellblauen, bis
vier Zentimeter weiten Blütenglocken.
Die Art ist ausdauernd, mit kriechenden, Blattrosetten tragenden Ästen. An
den fünf bis zehn Zentimeter langen
Blütensprossen sitzen die gekerbt-gesägten Laubblätter. Sie sind am Rand und
an den Nerven kurz behaart.
Italienische Variationen
Allioni
und Kap-Noli-Glockenblumen
Siedeln
an überhängenden Felsen
Ausschliesslich in den Südwestalpen ist
die Allioni-Glockenblume (Campanula
alpestris) anzutreffen. Sie besiedelt Kalkund Schieferschutthalden in 1400 bis
2800 Meter Höhe. Die Wuchsform dieser
seltenen Glockenblumenart erinnert stark
an den Stängellosen Enzian. Die graugrünen Blätter und die bis zu fünf Zentimeter langen Glockenblüten wachsen
unmittelbar aus dem Felsschutt heraus.
Die Blüten stehen einzeln, aufrecht oder
nickend. Die Krone ist tiefblau und kahl.
Lediglich die Nerven tragen einzelne
Haare.
Wahrscheinlich das kleinste Verbreitungsgebiet unter den endemischen
Glockenblumen der Alpen weist die
Kap-Noli-Glockenblume (Campanula isophylla) auf. Sie kommt nur in den südlichen Ausläufern der Ligurischen Alpen
vor. An den oft senkrechten Küstenfelsen
der italienischen Riviera hängen die
dicken, verholzten Stängel dieser prächtigen Glockenblume herab. Die derben
Laubblätter sind herzförmig oder rundlich
und deutlich gezähnt. Der Blütenstand
ist doldentraubig. Erst in den Monaten
September bis November entfaltet diese
Art ihre Blüten, die einen Durchmesser
von drei bis vier Zentimetern erreichen.
Die Krone ist hellblau, mehr oder weniger
ausgebreitet mit langen Kronzipfeln.
Die Weissliche Glockenblume (Campanula albicans) besiedelt wie ihre nahe
Verwandte, die Felsen-Glockenblume
(Campanula petraea), senkrechte und
überhängende Felswände. Beide Arten
besitzen sehr kleine Verbreitungsgebiete.
Die Felsen-Glockenblume kommt nur in
den Bergen am Gardasee vor, die Weissliche Glockenblume ist nur in wenigen
Schluchten der Seealpen heimisch. Typisch
sind für beide Arten die zahlreichen
fahlgelben Blüten, die in dichten kugeligen Blütenständen stehen. Aus den
Blüten ragen lange, keulenförmige Griffel heraus. Die prächtige Insubrische
Glockenblume (Campanula raineri) ist
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Nahe verwandt mit der Insubrischen
Glockenblume ist die Dolomiten-Glockenblume (Campanula morettiana). Sie ist
etwas weiter östlich in den Dolomiten
anzutreffen. Felsspalten senkrechter Felswände sind ihre bevorzugten Lebensräume. An den Enden der zahlreichen,
bis sechs Zentimeter aufsteigenden Stängel steht eine einzelne, dunkelblaue
oder blaurote Blüte. Die Grundblätter sind
breit eiförmig bis herzförmig und lang
gestielt, die obersten Blätter sind sitzend.
Alle Laubblätter sind borstig behaart.
Vom Comer See über die Bergamasker
bis zu den Judikarischen Alpen am
Gardasee ist die Lombardische Glockenblume (Campanula elatinoides) anzutreffen. Sie besiedelt senkrechte, bisweilen
überhängende Felswände und kommt
nur auf Kalk und Dolomit vor. Die meist
aufsteigenden Stängel und die herzförmigen und dicht behaarten Blätter schmiegen sich dicht an das Felsgestein an. Aus
der sternförmig ausgebreiteten Krone
ragen dreinarbige Griffel heraus.
Glockenblumen im Garten
Glockenblumen gedeihen auch im heimischen Garten wunderbar, und zwar sowohl
an der prallen Sonne wie auch im Halbschatten. Es gibt viele, die zweijährig sind
und die sich dann selber versamen. Sie können für pedantische Gartenfreunde
dann schnell zur Plage werden, weil sie aus allen Ritzen rauskommen.
In einem Waldbeet zusammen mit Farnen, Fingerhut oder Schattengräsern fühlt
sich zum Beispiel die Hohe Waldglockenblume wohl. Fragen Sie in Ihrer Staudengärtnerei nach einheimischen Wildsorten. Die sind so robust, dass sie auch ein
heftiger Sommerregen nicht einknicken lässt.
Und noch ein Tipp: Wenn man Glockenblumen nach der ersten Blüte Ende Juni,
Anfang Juli abschneidet, blühen die meisten noch ein zweites Mal im August. thv
Im ganzen Alpenraum verbreitet: Strauss-Glockenblume
Im gesamten Alpenraum ist die StraussGlockenblume (Campanula thyrsoides)
heimisch. Ausserdem kommt sie noch im
südlichen Jura und auf dem Balkan vor.
Sie wächst auf Wiesen, Blau- und Horstseggenrasen sowie im Felsgeröll. Die
Strauss-Glockenblume ist eine der wenigen zweijährigen Alpenpflanzen. Im ersten Jahr wächst aus den Samen eine
grosse, flach ausgebreitete, dem Boden
anliegende Blattrosette heran.
Die Rosettenblätter sind steifhaarig,
ganzrandig und am Rand schwach wellig.
Im zweiten Jahr bildet die Pflanze zahlreiche Blüten aus. Nach der Samenreife
stirbt sie ab. Mit ihren hellgelben Blüten
sieht diese Art völlig anders aus als die
übrigen Glockenblumen der Alpen. Ein
bis 50 Zentimeter hoher, dicht beblätterter Stängel trägt eine dichte Ähre wollig
behaarter hellgelber Blüten. Lange Blütenstände können bis zu 250 Blüten tragen.
sich die Teufelskrallen durch zygomorphe Blüten, das heisst, man kann nur
eine Symmetrieebene durch die Blüte
legen – der rote Fingerhut ist ein Musterbeispiel für diese Blütenform.
Interessant ist die Entwicklung der
Blütenorgane bei den Teufelskrallen. Zu
Beginn der Blüte sind die leicht gekrümmten Kronblätter an der Spitze
und am Grund verwachsen. Während
der Reifung der Staubbeutel schiebt
sich der Griffel durch die Kronröhre, die
dabei aufplatzt und dann nur noch
am Grund verwachsen ist. Erst
danach öffnet sich die Narbe
und kann Pollen aufnehmen. Auf diese Weise
wird Fremdbestäubung erreicht.
Endemisch in den Kalkalpen:
Zois-Glockenblume
Die Zois-Glockenblume (Campanula
zoysii) ist ein Endemit der südöstlichen
Kalkalpen. Ihr Verbreitungsgebiet ist auf
die Karawanken, die Julischen und die
Steiner Alpen beschränkt. Die kleine,
zierliche Art wächst in lockeren Rasen
oder in Polstern auf Kalkfelsen oder im
Felsschutt. Benannt wurde die Art nach
ihrem Entdecker, dem slowenischen
Botaniker Carl Philipp Eugen Freiherr
Zois von Edelstein.
Die Blüten sind kaum zwei Zentimeter lang, stehen einzeln oder in wenigblütigen Trauben und sind meist
nickend. Die Kelchblätter sind dünn,
abstehend und viel kürzer als die Krone.
Die Krone ist hellblauviolett, krugförmig
und am Grund etwas bauchig. Unverwechselbar ist die Art durch die eigenartige Ausbildung der Kronblätter mit
den krönchenartigen, vorn zusammengezogenen Zipfeln.
Teufelskrallen oder Rapunzel
Zur Familie der Glockenblumengewächse
zählen die Teufelskrallen oder Rapunzeln
der Gattungen Physoplexis und Phyteuma. Von den Glockenblumen mit radiärsymmetrischen Blüten unterscheiden
Ähren-Rapunzel
(Phyteume spicatum)
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Niedrige Rapunzel (Phyteuma humile):
Eine ausgesprochene Rarität
Grosse Rarität:
Niedrige Rapunzel
Von der Gattung Phyteuma sind etwa
20 Arten bekannt. Die meisten Arten
sind in den Alpen weit verbreitet. Wenige
Arten wie die Rätische Rapunzel
(Phyteuma hedraianthifolium) und die
Niedrige Rapunzel (Phyteuma humile)
besiedeln ganz kleine Areale.
Eine ausgesprochen grosse Rarität ist
die Niedrige Rapunzel (Phyteuma humile), die nur im Bereich des Monte-RosaMassivs vorkommt. Sie wurzelt dort in
den Ritzen und Spalten der Serpentinitfelsen in 2500 bis 3000 Meter Höhe. Sie
ist nahe verwandt mit der häufigen Halbkugeligen Rapunzel (Phyteuma hemisphaericum). Von der unterscheidet sie
sich durch die längeren Hüllblätter, die
länger sind als das Blütenköpfchen. Typisch für die Art sind die Grundblätter
mit abwärts gebogenen Wimpern und
die oberen Stängelblätter mit fast immer
entfernt stehenden kleinen, scharfen
Zähnen. Die Krone ist blauviolett, in
der Knospe stark gekrümmt.
Mal blau, mal gelb
Die meisten Teufelskrallen besitzen blaue
Blüten. Eine Ausnahme ist die ÄhrenRapunzel (Phyteuma spicatum) mit hellgelben Blüten. Ihr Verbreitungsgebiet
reicht von den Pyrenäen über Mitteleuropa bis nach Sibirien. Sie wächst an
mässig feuchten Standorten in Laubmischwäldern, in höheren Lagen ist sie
auf Fettwiesen anzutreffen.
Eines der ungewöhnlichsten Glockenblumengewächse ist die prachtvolle
Schopfige Rapunzel (Physoplexis comosa). Sie ist nur in den Südalpen heimisch und ihr Verbreitungsgebiet reicht
vom Comer See über die Bergamasker
und die Judikarischen Alpen am Gardasee bis zu den Dolomiten. In Österreich
kommt sie nur am Gartnerkofel in Kärnten vor. Felsspalten senkrechter Kalkund Dolomitfelsen sind ihre bevorzugten
Standorte.
Während bei den Rapunzeln der Gattung Phyteuma sich die Kronblattzipfel
gegen Ende der Entwicklung der Blütenorgane trennen, bleiben bei der Schopfigen Rapunzel die Kronblattzipfel an der
Spitze immer verbunden. Die Grundblätter sind lang gestielt, nierenförmig
bis elliptisch und gezähnt. Die Stängelblätter erscheinen mehr lanzettlich und
spitz gezähnt. Die rosavioletten Blütenkugeln bestehen aus acht bis zwanzig
eigenartig geformten Einzelblüten. Die
hellrosa bis hellviolett gefärbten Kronblätter sind am Grund aufgeblasen, nach
oben verengen sie sich zu einer schmalen, dunkelvioletten Röhre, aus der ein
Griffel mit zwei Narben herausragt.
■
Schopfige Rapunzel (Physoplexis comosa):
Eines der ungewöhnlichsten Glockenblumengewächse
Blumen NATUR
I N FO B OX
Literatur
• Lauber/Wagner: «Flora Helvetica 2.1»,
Ein interaktiver Führer durch die Pflanzenwelt der Schweiz, CD-ROM für
Windows-PC, Haupt Verlag 2005,
ISBN 3-258-06952-4 Fr. 148.–;
auch als Buch erhältlich
• Aichele/Schwegler:
«Alpenblumen», Kosmos Verlag 2003,
ISBN 3-440-09531-7, Fr. 7.30
• Aeschimann/Lauber:
«Flora alpina», Haupt Verlag 2004,
ISBN 3-258-06600-4, Fr. 286.–
• Angerer/Muer: «Alpenpflanzen»
Ulmer Verlag 2004,
ISBN 3-8001-3374-1, Fr. 34.90
• Hess: «Alpenblumen», Ulmer Verlag 2001,
ISBN 3-8001-3243-0, Fr. 34.90
• Langer/Sauerbier: «Endemische Pflanzen
der Alpen», IHW-Verlag 1997
Internet
• www.gartenatelier.de/stauden/
glockenblume.htm
• http://shop.garten.ch
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