11. Bildung von Strukturen. Fig. 11.1 2dF-Programm. Die inhomogenen Verteilung von mehr als 63000 Galaxien und deren Rotverschiebung wurde in einem scheibenförmigen Sektor gemessen. Das Ganze besteht aus zwei 4°-Ausschnitte aus einer Gesamtmenge von 210 000 Galaxien. 11.1. Dichtekonstrast im linearen hydrodynamischen Modell Die Verteilung der leuchtenden Materie im heutigen Kosmos ist sehr ungleichmäßig. Neben Sternen gibt es Sternassoziationen, Sternhaufen, Galaxien. Diese wieder bilden Galaxienhaufen (s. Fig. 11.1), die wieder in Superhaufen zusammenhängen und durch riesige Hohlräume voneinander getrennt sind. Es ist die Frage, die uns in diesem Kapitel beschäftigen wird, wie denn aus den Fluktuationen der Hintergrundstrahlung (s. z.B. Fig. 9.4 und 9.7), deren relative Amplitude δT = ∆T / T ≈ 10 −5 nur eine winzige Abweichung von der Homogenität darstellt, die heutigen Strukturen und ihre Hierarchien entstanden sind. Wir interessieren und dabei für den Dichtekontrast r r ρ( x ) − ρ δ( x ) = ρ 129 (11.1) Er hängt mit der Temperaturfluktuation (CMB) wie folgt zusammen r r ∆T ( x ) δ( x ) = 3 ⋅ T (11.1a) Anstelle der Dichtestörung im x-Raum wird häufig deren FourierTransformierte benutzt r 1 r r δ k = ∫ δ( x )exp ikx ⋅ d 3 x (11.2) V () wobei V das Volumen bedeutet. Fig. 11.2 zeigt eine eindrucksvolle Darstellung δ(r ) und den entsprechenden der heutigen Kenntnis von Beobachtungsmethoden. Fig. 11.2. Dichtefluktuationen δ(r ) , zusammengestellt vom Team des „Sloan Digital Sky Survey“ (SDSS). Die Beobachtungen beziehen sich auf CMB, die Häufigkeit von Galaxien-Cluster (gut im Röntgengebiet durch die Strahlung des heißen intergalaktischen Gases zu beobachten), die Auswertungen von SDSS, die Häufigkeit von Gravitationslinseneffekten und der intergalaktische neutrale Wasserstoff, beobachtet als Lyman-Alpha-Wald. Nach Max Tegmark’s Cosmological Library. http:/www.hep.upenn.edu/~max/2df1.html 130 Die Entfernungsskala in Fig. 11.2 kann auch als Zeitskala interpretiert werden. Es sind Eigenabstände, also Entfernungen bezogen auf den heutigen Kosmos, wobei die Grenze durch den Teilchenhorizont d H = 3ct 0 ≈ 40 ⋅ 10 9 Lj gegeben ist. Neben dem Dichtekontrast wird häufig auch die Streuung angegeben δ( x ) = σ 2 = konst. 2 (11.3) Im k-Raum erhält man das Leistungsspektrum δ(k ) 2 ≡ P (k ) (11.4) was mit σ 2 auf folgende Weise zusammenhängt σ2 = V P(k )d 3 k 3 ∫ (2π ) (11.5) Die Größen in eckigen Klammern sind Mittelbildungen über das Ensemble. r Um die zeitliche Entwicklung kleiner Störungen zu untersuchen δ( x , t ) ≡ δ , kann man aus den hydrodynamischen Gleichungen eine Wellengleichung ableiten, welche in einem stationären Medium die Form annimmt − 1 && δ + ∇ 2 δ = 4πG ρ 2 cS (11.6) wobei ρ ≡ ρ ist. Gl. 11.6 unterscheidet sich von der Wellengleichung in der Elektrodynamik durch das Glied auf der rechten Seite, dass die Selbstgravitation der Materie beschreibt. Setzt man die Wellenlösung ein [( rr δ ∝ exp i k x − ωt )] (11.7) so erhält als Fourier-Transformierte von Gl. 11.6 eine Dispersionsbeziehung ω2 = k 2 c S2 − 4πG ρ = cS2 (k 2 − k J2 ) (11.8) mit der so genannten Jeans-Wellenzahl 4πG ρ k J = 2 cS und der Jeans-Masse 131 1 2 (11.9) 4π π M J = 3 kJ 3 ρ (11.10) Wellenausbreitung ist nur möglich, wenn k > k J ist. Für k < k J ist ω2 < 0 . Es gibt keine laufende Welle mehr, stattdessen zwei Lösungen, eine exponentiell wachsende und eine exponentiell abklingende. Die Situation ändert sich, wenn man die kosmische Expansion berücksichtigt. Dazu setzt man x′ (11.11) x= a und erhält unter Vernachlässigung von Druckkräften 2 2 &δ& + 2 Hδ& + cS k − 3 ΩH 2 δ = 0 R2 2 (11.12) wobei wir unter Benutzung der Friedmann-Gleichung 8πG ρ = 3H 2 Ω (11.13) gesetzt haben. Für ein Universum mit Ω = 1 ( R → ∞) gibt es jetzt zwei Lösungen r r δ( x , t ) = D± (t ) ⋅ δ( x ) (11.14) mit D+ (t ) = A ⋅ t 2 3 ∝ a (t ) und D− (t ) = B ⋅ t −1 (11.15) Die Expansion scheint das Wachsen (und Abklingen) der Störung zu behindern, denn anstelle eines exponentiellen Wachstums (oder Abklingens) mit Gl. 11.7 und 11.8 ergibt sich ein moderates Potenzgesetz. Wir können das Verhalten der Jeans-Masse für Baryonen untersuchen, wenn wir k J = k J′ / a schreiben. Es ist nach Gl. 11.10 M J ∝ ρ . In der strahlungsdominierten Epoche ist ρ ∝ T 4 . Andererseits ist k J ∝ T 2 (Gl. 11.6). Also wird mit Gl. 11.7 M J ∝ T −3 . In Fig. 11.3 ist der Übergang von der strahlungsdominierten zur materiedominierten Epoche abrupt eingezeichnet. Dabei fällt die Schallgeschwindigkeit von c S = c / 3 = 1,7 ⋅ 10 8 m/s auf c 2 S = 5 / 3 ⋅ k B T / µm P und c S = 4,7 ⋅ 10 3 m/s ab, was zu einem Absinken der 132 Jeansmasse um viele Zehnerpotenzen führt ( mP Protonenmasse, µ mittlere Massenzahl pro Teilchen). Fig. 11.3. Jeans-Masse der Baryonen MB-J und die Baryonen-Masse innerhalb des Horizonts MB-HOR. MS ist die Silkmasse, s. dazu den Text. Als baryonische Dichte wurde Ω B h 2 = 0,047 angenommen. Nach E.W. Kolb, M.S. Turner : The Early Universe. Addison Wesley 1990. Sie liegt vor der Rekombination zwischen 1014 und 1018 Sonnenmassen, was an der unteren Grenze etwa der Größe von Galaxienhaufen entspricht. Unmittelbar nach der Rekombination ( z ≈ 1090 ) liegt sie jedoch bei ca. 106 Sonnenmassen, das ist etwa die Größe eines Kugelsternhaufens. Auch Dämpfungseffekte können in der strahlungsdominierten Epoche eine Rolle spielen. Sie wurden von J. Silk zuerst behandelt und in Fig. 11.3 als „Silkmasse“, MS, eingetragen. Es muss aber festgestellt werden, dass keine Massen die Entstehung von Galaxien erklären kann. Außerdem kann man leicht zeigen, dass die Entwicklung eines Dichtekontrastes mit baryonischer Materie völlig unzureichend ist. Wir gehen zur Zeit der r Rekombination von einem Dichtekontrast δ( x , t rec ) ≈ 5 ⋅ 10 −5 aus. Nach Gl. 11.15 wird dann der Wert in der Gegenwart r r δ( x , t 0 ) ≈ δ( x , t rec ) ⋅ ( z rec + 1) ≈ 10 −2 r Benötigt wird aber ein δ( x , t 0 ) ≈ 1 , damit ein Gravitationskollaps einer Gaswolke einsetzt. Wenn wir für die Zeit, in der sich Galaxien bilden, z = 10 einsetzt, wird das Ergebnis noch um eine Größenordnung kleiner. Man sieht hier schon, dass während der Expansion nach dem Standardmodell die Baryonen allein den Kontrast nicht genügend verstärken können. Dunkle Materie muss 133 hinzukommen. Diese breiten sich stoßfrei und ohne Dissipation der Energie aus. Baryonische Materie dagegen kann kinetische Energie durch Abstrahlung verlieren. In einer Wolke aus dunkler und baryonischer Materie wird sich die baryonische unter Verlust von kinetischer Energie und Drehimpuls in das Innere der Wolke bewegen. Es kann daher dort leicht ein ausreichenden Dichtekontrast entstehen. Die dunkle Materie bildet dagegen einen nahezu stationären Potentialtopf, in welchem die baryonische Materie einer Galaxie eingeschlossen ist. Man kann auch für eine dunkle, stoßfreie fermionische Materie eine maximale Jeansmasse ableiten. Doch diese ist abhängig von der Masse der Teilchen der dunklen Energie. Da eben diese noch völlig unbekannt ist, scheint mit diesen Überlegungen wenig gewonnen zu sein (s. z.B. G. Börner: The Early Universe. 4th Edition Ch. 10.2.2.). Fig. 11.4. Ein Bild-Komposit des „Bullet Cluster“. Die Galaxien des Cluster sind als diffuse weiße Flecken zu sehen. Das fast 10fache Masse der leuchtenden baryonischen Materie besitzt die rot dargestellte Wolke aus intergalaktischen Materie (IGM), welche im Lichte der emittierten Röntgenstrahlung (Chandra) zu sehen ist. Schließlich stellt die blaue Wolke die Verteilung der dunklen Materie dar, die durch „Scannen“ mittels des Gravitationslinseneffektes bestimmt wurde. Ihre Masse überwiegt die der baryonischen Materie um etwa einen Faktor 7. Quelle der Aufnahme X-ray: NASA/CXC/CfA/ M. Markkevitsch et al. Lensing: NASA/STScI, ESO WFI, Magellan/U. Arizona/D.Clowe et al. Optical: NASA/STScI, Magellan/U. Arizona/D.Clowe et al. 2006 In Fig. 11.4 ist ein jüngst publiziertes Beispiel zu sehen, wo sich im Innern einer großen Wolke dunkler Materie viele Galaxien befinden. Man geht davon aus, 134 dass die Galaxien oder Protogalaxien alle ihr Halo aus dunkler Materie mitbringen und dass im Laufe der Zeit weitere Vereinigungen zu größeren Strukturen ganz wesentlich von den Halos der dunklen Materie bestimmt werden. Während heftiger Sternbildung kommt es häufig zu SupernovaExplosionen, bei welchen große Mengen heißer Gase (d.h. H, He und geringe Mengen schwerer Elemente) in den intergalaktischen Raum ausgeschleudert werden. 11.2. Die weitere Entwicklung des Dichtekontrasts. Das sphärische Kollapsmodell. In der von Materie dominierten Epoche wächst δ( x ) rasch an, so dass einer linearen Behandlung nicht mehr vertraut werden kann. Wir benutzen hier stattdessen ein sphärisches Kollaps-Modell (s. dazu A.R. Liddle, D.H. Lyth : Cosmological Inflation and Large-Scale Structure, Chap. 11. Cambridge Univ. Press 2000). Im nichtlinearen Bereich betten wir in das Universum mit kritischer Dichte, ( Ω = 1) , ein sphärisches Volumen mit einer „Überdichte“ Ω = 1 + δ > 1 ein. Fig. 11.5. Entwicklung des Skalenfaktors. Untere Kurve für Ω 0 = 1 + δ exakt gerechnet. Mittlere Kurve für Ω 0 = 1 + δ in linearer Näherung. Obere Kurve für Ω 0 = 1 (kritische Massendichte des Hintergrunds). Nach A.R. Liddle, D.H. Lyth : Cosmological Inflation and Large-Scale Structure. Cambridge Univ. Press 2000. Das Gebiet außerhalb entwickelt sich wie ein Universum mit kritischer Dichte. Dagegen gelten jetzt für das kollabierende Gebiet Ω > 1 die beiden Gleichungen 2.21 a(t ) 1 Ω = (1 − cos θ) a (t 0 ) 2 Ω − 1 135 (11.13) H 0t = 1 Ω (θ − sin θ) 2 (Ω − 1)3 2 (11.14) Die Funktion Gl. 11.13 erreicht ein Maximum bei θ = π , daher können wir Gl. 11.13 und 11.14 in amax und t max ausdrücken (was in Fig. 11.5 untere Kurve als „non-linear“ dargestellt ist) a(t ) 1 t 1 = (1 − cos θ ) und = (θ − sin θ ) a max 2 t max π (11.15) Um Gl. 11.15 auch im linearen Bereich zu untersuchen, entwickeln wir bis zur zweiten Ordnung t a(t ) θ 2 θ 4 1 θ3 θ5 ≅ − und ≅ − 4 48 t max π 6 120 a max (11.16) Setzen wir t in a(t) ein, so erhalten wir in „linearer“ Näherung alin (t ) 1 t ≅ 6π a max 4 t max 2 3 2 3 1 t ⋅ 1 − 6π 20 t max (11.17) Diese Funktion wird in Fig. 11.4 durch die mittlere Kurve (linear) dargestellt. In Gl. 11.17 beschreibt der erste Faktor auf der rechten Seite den kritischen Fall Ω = 1 und entspricht damit Gl. 2.20. Wir nehmen an, dass der Skalenfaktor des Hintergrunds dem kritischen Fall, also der euklidischen Geometrie im Materie dominierten Universum entspricht, siehe obere Kurve „background“ in Fig. 11.4. Wir können jetzt den Dichtekonstrast für verschiedene Entwicklungsstadien ausrechnen. Wie verhält sich z.B. der lineare Dichtekonstrast 3 aback ρlin 1 + δ lin = = 3 (11.18) alin ρ back Der letzte Ausdruck auf der rechten Seite von Gl. 11.18 läßt sich aus Gl. 11.17 gewinnen, indem wir zunächst beachten dass der erste Faktor auf der rechten Seite von Gl. 11.17 die Entwicklung des Hintergrundes beschreibt und zur 3. Potenz im Zähler und im Nenner von 11.18 auftritt, d.h. er kann gekürzt werden. Es bleibt die eckige Klammer aus dem Nenner stehen mit dem folgenden Ergebnis 136 −3 2 2 1 − 1 (6π t ) 3 ≈ 1 + 3 (6π t ) 3 ≈ 1 + δ lin , t max t max 20 20 und t 3 δ lin = 6π 20 t max 2 3 (11.19) Dieser Ausdruck wird am Umkehrpunkt, bei t = t max δ lin (t max ) = 2 3 (6π ) 3 = 1,06 20 (11.20) Der Dichtekontrast ist also praktisch „1“, wenn bei der nichtlinearen Lösung der Umkehrpunkt zum Kollaps erreicht ist. Das ist auch die Grenze der Anwendbarkeit der linearen Näherung. Am Endpunkt des Kollaps, bei t = 2t max ist der Dichtekonstrast in der linearen Theorie 2 3 δ lin (2t max ) = (12π ) 3 = 1,686 (11.21) 20 Interessanter ist es, jetzt 1 + δ(tmax) in der nichtlinearen Theorie ausrechnen 3 Der Nenner ergibt nach Gl. 11.15 „eins“, so dass nur aback im Zähler etwas beiträgt 3 aback (6π ) 1 + δ(t max ) = 3 = 3 = 5,55 4 amax 2 (11.22) Damit ist der Dichtekonstrast über 4-mal so groß wie in der linearen Theorie. Es ist nicht realistisch jetzt den Fall t = 2t max zu untersuchen, denn die Dichte divergiert. Wir können uns aber vorstellen, daß zu Beginn eine Masse M der Ausdehnung R im wesentlichen potentielle Energie besitzt E ges ≈ E pot GM 2 =α R (11.23) Hier ist α ein Faktor von der Größenordnung „1“. Der Kollaps heizt die Materie auf, ihre thermische (oder kinetische ) Energie verhindert zunächst den weiteren Kollaps. Man spricht von Virialisierung, wenn sich stabile, zeitlich konstante Mittelwerte der potentiellen und kinetischen Energie eingestellt haben. Dann ist E ges = 1 E pot 2 137 (11.24) und wenn die Gesamtenergie ungefähr konstant geblieben ist, wird RVir ≈ R 2 (11.25) Damit wäre die Virialisierung abgeschlossen. Wir wollen hier nicht berücksichtigen, dass die kollabierende Wolke im Infraroten Strahlungsenergie abgibt. Stattdessen berücksichtigen wir die Virialisierung indem wir a und aback bei t = 1,82 tmax berechnen, wenn a/amax auf ½ gefallen ist. Das Ergebnis ist a(1,82 ) 1 + δ(vir ) = = 157 0,5 3 (11.26) Der Wert für den Dichtekonstrast bei abgeschlossener Virialisierung, den man aus numerischer Simulation gewinnt, liegt bei 178. Bei Annahme eines Universums mit Ω M und Ω Λ = 1 − Ω M erhält man näherungsweise 1 + δ(vir ) ≅ 157 ⋅ Ω −M0, 6 . (11.27) Fig. 11.6. Einbringen von Glasfasersträngen in die Brennebene des 2,5m Teleskops des „Sloan Digital Sky Survey„ (Kitts Peak Observatory). 138 11.3. Katalogisierungen von Galaxien und Galaxienhaufen Fig. 11.7. Ein 2,5° Ausschnitt mit 24 915 Galaxien aus der SDSS-Durchmusterung. Der äußere Kreis entspricht z = 0,2. Aus V.J. Martinez & E. Saar : Statistics in Cosmology. SPIE Proceedings Vol. 4847, 2002, Astronomical Data Analysis. J.L. Stark and F. Murtagh, eds. Die empirische Untersuchung des Dichtekontrasts bezieht sich auf umfangreiche Kataloge von Galaxien, deren Position und Rotverschiebung. Moderne MultiGlasfaser-Techniken ermöglichen es gegenwärtig, 70 – 2000 Rotverschiebungen von Galaxien pro Nacht spektroskopisch zu vermessen, während es vor Einführung dieser Technik nur 5 – 10 waren. Die Grenz-Größenklasse im blauen Spektralbereich stieg von 14 auf 19,5, ein Fortschritt der nicht nur größeren Teleskopen sondern vor allem auch dem Einsatz von CCD-Platten, den elektronischen Fotoplatten (s. Fig. 11.5), zu verdanken ist. Zwei zur Zeit laufende große Projekte sind das 2dF (2 degree field) und der SDSS (Sloan Digital Sky Survey). Die SDSS-Durchmusterung ist z.Zt. die umfangreichste. Sie wird in 5 Wellenlängenbereichen mit einer Mosaik-CCD-Kamera durchgeführt. Die Photometrie erreicht dabei Objekte bis 23. Größe, die Analyse der Rotverschiebung reicht bis zur Größe 17,7. Diese Untersuchungen sind nicht nur für die Massenverteilung von großem Interesse, sondern auch für das Verständnis der Entwicklung morphologischer Merkmale. Jede Galaxie wird durch 3 Angaben charakterisiert: Position ( α, δ, r = comoving distance), n (r ) = r radiale Selektionsfunktion, n (rˆ ) = Winkelselektionsfunktion mit rˆ = r / r . Der gesamte untersuchte Raumwinkel beträgt 2499 Quadratgrad. 139 Das zweite Großprojekt ist der „Anglo-Australian 2dF Galaxy Redshift Survey“ (Mt. Stromlo Observatory). Im Jahr 2001 wurden die ersten 105 Galaxien des Südhimmels mit Rotverschiebungen publiziert (M. Colless et al. : MNRAS 328, 1039, 2001). Die Objekte sind heller als Größe 19,5. Das untersuchte Gebiet umfasst 2000 Quadratgrad und erreicht z = 0,2 ( ca. 600 h-1 Mpc). Man rechnet bei Beendigung des Projekts mit 250 000 Galaxien, deren Position und Rotverschiebung vermessen wurden. Fig.11.8. Fornax Cluster im Röntgenlicht, gemessen von Chandra bei 1 keV. Credit: NASA /CXC/Columbia U./C.Scharf et al. 2004 Die Verteilung der Galaxiencluster kann am besten an Hand ihrer Röntgenbremsstrahlung untersucht werden, wobei die Energie bei 1 – 10 keV liegt. Diese Methode hat sich auch als der beste Weg erwiesen, große, homogene Cluster zu identifizieren. und wurde im Projekt REFLEX (ROSATESO Flux Limited X-ray) bis zum Jahre 2002 auf 452 Cluster angewandt. Durch Messung des Röntgenspektrums kann man aus der Temperatur des heißen (und sehr dünnen) Plasmas direkt die Masse bestimmen. Man geht dabei vom Virialsatz aus 3 1 Gµm P M vir 1 = µmP σ 2υ k BT = 2 2 r 2 (11.28) wobei mP die Protonenmasse, µ die mittlere Massenzahl der Teilchen (µ ≅ 0,6), 2 σ 2υ = 3 υ r die Geschwindigkeits-Dispersion der Galaxien in radialer Richtung und Mvir die Virialmasse des Clusters bedeuten. 140 Fig. 11.9. Räumliche Verteilung der „X-ray Cluster“ des REFLEX Survey. Jeder Punkt stellt einen Galaxienhaufen mit hunderten bis tausenden Galaxien dar. Kettenartige Strukturen sind zu erkennen. Nach s. Borgani, L. Guzzo : Nature 410, 169, (2001). Die Intensität der Röntgenstrahlung verhält sich zur Dichte n des Plasmas und der Temperatur T wie I X ∝ n 2T 1 2 (11.29) Da die optische Intensität nur mit dem Quadrat von n geht, folgt, dass IX für diesen Zweck einen wesentlich besseren Kontrast erwarten lässt als optische Untersuchungen. Unter Zugrundelegung eines Dichteprofils kann man den Massenanteil des Plasmas bestimmen. Die ermittelte Clustermasse umfaßt die Gesamtmasse, d.h. dunkle Materie und baryonische Masse. Dabei ist der Anteil des heißen intergalaktischen Plasmas an der Gesamtmasse gleich f gas = 0,113 , dabei aber um etwa einen Faktor 6 größer als die optisch leuchtende Masse der Galaxien (s. S.W. Allen et al. astro-ph/0205007). Schließlich sei noch der „IRAS Point Source Catalogue (PSC) Redshift Survey“ erwähnt, der 24 500 Galaxien enthält, bei 60 µm über 84% des Himmels abdeckt und alle Punktquellen mit einem Fluß ≥ 1,2 Jansky einschließt. Von IRAS PSC sind Leistungsspektren P(k) publiziert worden (s. W. Sutherland et al. astroph/9901189), auf die wir später noch zurückkommen werden. 141 11.4. Leistungsspektren der Massenverteilung Fig. 11.10. Links (unten): Leistungsspektren P(k ) von je 147 000 2dF-Galaxien und 105 SDSS-Galaxien, (oben) P(k ) von REFLEX-Cluster. Rechts: ZweipunktKorrelationsfunktionen ξ(r ) von 2dF- , SDSS- und Las Campanas-Galaxien Für einen Vergleich mit Modellen wird das Leistungsspektrum P(k ) (s. Gl. 11.2 r und 11.4) dem Dichtekontrast δ( x ) (Gl. 11.2 und Fig. 11.2) vorgezogen. Man kann das Leistungsspektrum durch ein Potenzgesetz annähern P(k ) = A ⋅ k n Im Bereich sehrgroßer Raumdimensionen (kleiner k-Werte) nähert sich n ≈ 1 (aus Fluktuation des CMB). Für kleine Raumdimensionen (große k-Werte) wird n ≈ −1,8 . Den entsprechenden Übergangsbereich liefert bei den berechneten Kurven nur das „Cold Dark Matter“(CDM-)Modell. In Fig. 11.8 sind links Leistungsspektren P(k ) aufgetragen. Sie fallen mit steigendem k (d.h. mit abnehmender Wellenlänge) ab. Die durchgezogenen Linien suggerieren bei 300 h-1 Mpc ein Maximum, die aufgetragenen Punkt scheinen eher einem Sättigungswert zu zustreben. In Fig. 11.11 ist das Leistungsspektrum von IRASGalaxien aufgetragen. Sie überdecken einen größeren Raumbereich. Hier ist eher die Andeutung eines Maximums zu sehen. Bei der Normierung der P(k ) Kurven muss beachtet werden, dass die leuchtende Materie der Galaxien nur einen Bruchteil von etwa 0,005 der Gesamtmasse ausmacht. Man definiert deshalb zur Normierung einen Bias-Faktor b2 = PGal (k ) PM (k ) (11.30) 142 Fig. 11.11. Transferfunktion für ein „Cold Dark Matter“ (CDM) Model für die Parameter Γ = 0,5; 0,4; 0,3; 0,2. Die heutigen Konkordanz–Werte ergeben Γ = 0,17 . Nach J.M. Bardeen et al. ApJ 304, 15 (1986). Geht man von einer Störung δ(k, t rec ) zur Zeit der Rekombination trec aus, dann wird eine Transferfunktion im Rahmen der linearen Theorie angesetzt, welche die Entwicklung der Störung zu einer späteren Zeit beschreibt δ(k , t ) = T (k , t ) ⋅ δ(k , t rec ) (11.31) Fig. 11.11 gibt ein Beispiel. Die Transferfunktion gilt für die gegenwärtige Beobachtung und ist für ein „Cold Dark Matter“ (CDM) Model berechnet. Die Abhängigkeit von der Wellenzahl wird qualitativ richtig dargestellt. Bei kleinen Wellenzahlen, d.h. großen Skalen nimmt T (k ) den Wert eins an, weil das ursprüngliche Leistungsspektrum durch CDM-Teilchen nicht gestört wird; d.h. das Leistungsspektrum, wie es in der Rekombination-Phase vorliegt, ist kunabhängig, wie von der Inflation gefordert (Gl. 10.6 und 10.7). Die Transferfunktion in Fig. 11.9 wird als Funktion T (q ) einer normierten Wellenzahl q angegeben, wobei k q= (11.32) hΓ Der „Shape Parameter“ ist wie folgt definiert ( Γ =Ω M h exp − Ω B − 2hΩ B / Ω M ) (11.33) Mit den gegenwärtig bevorzugten Werten (Concordance Model) wird Γ ≅ 0,17 . 143 Fig. 11.12. Das Leistungsspektrum P(k ) der IRAS-Galaxien (1,2 Jy) im Vergleich zu anderen Durchmusterungen. Gestrichelt ist das Ergebnis einer linearen CDM-Theorie für Γ = 0,2 und 0,5 sowie σ8 = 0,8 eingetragen. Bei der Berechnung von P(k ) aus den Meßdaten muß berücksichtigt werden, daß im Gegensatz zur mathematischen Fouriertransformation, welche die Integration über einen unendlichen Raum erfordern, die Beobachtung immer nur ein endliches Raumelement überdeckt. Deshalb müssen Fensterfunktionen im kRaum angesetzt werden, deren Effekt sorgfältig getestet werden muß. 11.5. N-Teilchen-Simulationen Erst in den letzten Jahren sind P(k ) -Auftragungen, die aus Beobachtungen gewonnen wurden, genau genug, um daran theoretische Modell zu testen. Das „Hot Dark Matter Model“ (HDM) hat dabei nur noch historische Bedeutung. Eine wichtige und testbare Vorhersage des Modells, war eine Entwicklung von großen zu kleinen Strukturen (top down model), welche von den Beobachtungen nicht gestützt wird. Das HDM wurde in den 80er Jahren von dem „Cold Dark Matter Model“ (CDM) abgelöst, das eine Entwicklung von kleinen zu großen Strukturen vorhersagt, was sehr viel besser mit den Beobachtungen übereinstimmt. Aus dem CDM entwickelte sich ein „Standard Cold Dark Matter Model“ (SCDM) mit den Parametern Ω 0 = 1 , h = 0,5 (Hubble Konstante in Einheiten von 100 km/s⋅Mpc), n = 1 (Harrison-Zeldowich-Spektrum) und b = 1,5 – 2,5. Das SCDM konnte ausgeschlossen werden, da es die gemessenen Spektren nur unzureichend wiedergibt. So wird die Haufenbildung von Galaxien 144 über größere Skalen beobachtet, als aus dem SCDM hervorgeht. Eine Alternative ist das Open Cold Dark Matter Model OCDM mit Ω 0 < 1. Es Fig. 11.13. Simulationsergebnisse zu den unten im Text beschriebene Modellen. vergrößert den Horizont zur Zeit der Gleichheit von Materie und Strahlung, wodurch vermehrte Haufenbildung auf großen Skalen auftritt. In einem anderen Modell wird, unter Beibehaltung von Ω 0 = 1 , Ω M = 0,2 gesetzt, so dass 145 Ω Λ = 1 − Ω M wird. Dieses Modell wird „Λ Cold Dark Matter Model“ (ΛCDM) genannt, wobei der größte Einfluß auf P(k ) von Ω M kommt, während Ω Λ kaum beiträgt. Wenn stattdessen der Anteil relativistischer (heißer) Materie erhöht wird, schafft man einen ähnlichen Effekt. Dieses Modell wird τCDM gernannt. Unter dem Eindruck der Ergebnisse des WMAP-Projekts spricht man in jüngster Zeit vom „Concordance Model“ mit Parametern wie Ω M = 0,3 , h = 0,7 . Fig. 11.14. Ergebnisse der „Milleniums-Simulation, einer der größten bisher durchgeführten N-Teilchen Simulationsrechnung mit mehr als 1010 Teilchen Dargestellt ist die Entwicklung der Materieverteilung (dunkle Materie) in der Gegenwart 13,7 Gigajahre nach dem Big Bang. Das untere Bild zeigt das gleich Ergebnis wie oben aber mit mehr als 10-facher linearer Vergrößerung (nach Volker Springel, MPI f. Astrophysik Garching). 146 Es muss noch einmal betont werden, dass die Strukturen, welche sich bei den Simulationen ergeben, aus dunkler Materie bestehen. Diese bilden Bereiche eines niedrigeren Gravitationspotentials, in welchen sich baryonische Materie sammelt. Offen ist noch die Frage, ob in Ω M nicht auch noch heiße dunkle Materie verborgen ist, z.B. „schwere“ Neutrinos (µ- und τ-Neutrinos). Es ist möglich, dass diese Frage in den nächsten Jahren durch Präzisionsmessungen der Hintergrundstrahlung mit dem PLANCK-Satelliten der ESA gelöst werden kann. Die Modellrechnungen werden einerseits mit N-Teilchen-Simulationen durchgeführt, andererseits mit semianalytischen Methoden. Die umfangreichsten N-Teilchen-Simulationen werden z. Zt. vom Virgo-Team vorangetrieben, an welchem auch das MPI f. Astrophysik in Garching beteiligt ist. Das Model LCDM geht von den Werten Ω M = 0,3 , Ω L = 0,7 , h = 0,7 und σ8 = 0,9 aus. σ8 ist die Streuung in einem Würfel der Kantenlänge r = 8/h Mpc. Der in den Modellen simulierte Würfel hat eine Länge von 3000/h Mpc mit 109 Massenelementen. Die Simulation beginnt bei z = 35. Fig. 11.13 zeigt das Ergebnis einer der umfangreichsten Modellrechnungen mit den Parametern des Konkordanzmodells. Zu den semianalytischen Modellen muß auf die Literatur verwiesen werden. Hinweise finden sich L. Guzzo : Large-Scale Structure from Galaxy to Cluster Surveys. Review in DARK2002, 4th Heidelberg Conf. On Dark Matter in Astroand Particle Physics. H.-V. Klapdor-Kleingrothaus & R. Viollier eds. Springer 2002. H.J. Mo, S. Mao, S.D.M. White: The formation of galactic disks. MNRS 295 (1998) 319 11.6. Weitere Meßmethoden zur Massenverteilung Machen wir uns noch einmal klar : Nur 4% der Masse des Univesums ist baryonische Masse. 96% sind Materie- bzw. Energieformen, die uns noch völlig unbekannt sind. Diese Feststellung ist so ungeheuerlich, daß von Seiten der Beobachtung alles getan werden muß, das Ergebnis Ω B = 0,04 , Ω M = 0,3 , Ω Λ = 0,7 abzusichern. Das kann vor allem durch möglichst viele verschiedene, völlig unabhängige Meßverfahren geschehen. Wir wollen hier einige neue Verfahren kurz erwähnen, deren Anwendung sich noch in den Anfängen befindet, deren Bedeutung in Zukunft aber sehr wahrscheinlich zunehmen wird. 11.5.1. Der Sunyaev-Zeldovich-Effekt (SZE) beschreibt inverse Comptonstreuung von Photonen des CMB an heißen Elektronen des intergalaktischen Plasmas in Galaxienhaufen. Damit kann die Massenverteilung der Cluster untersucht werden. Solche Untersuchungen wurden bei 150, 210 und 275 GHz mit einem Bolometer-Array am ViperTeleskop gemacht, das am Südpol aufgestellt ist. Die 3 Frequenzkanäle gestatten es, die spektrale Verschiebung des CMB-Spektrums zu höheren 147 Frequenzen zu detektieren. Mit der hier zitierten Messung wurden u.a. zwei Cluster untersucht, welche im REFLEX-Katalog die größte Röntgen-Helligkeit besitzen: Abell S 1063 (z = 0,347) und 1E 0657-67 (z = 0,299). Fig. 11.12 zeigt die Ergebnisse von 1E 0657-67. Die Effekte erfordern eine hohe Empfindlichkeit der Messung, die z.Zt. knapp erreicht wird. Der SZE fürht zu einer völlig unabhängigen Bestimmung von Cluster-Morphologien und Massen. Gravitationslinsen-Effekte hängen i.a. von der dunklen Energie und 11.5.2. im Detail von der Massenverteilung großer Galaxien ab, die für entfernte Galaxien und Quasare als Linsen wirken. Man unterscheidet normale Linseneffekte, d.h. Ablenkungen im Bereich von Bogensekunden, und Weitwinkelaufspaltungen ( ∆θ ≥ 4" ), wobei diese sehr empfindlich auf Dichteverteilungen ansprechen. Auf der Grundlage der bisher beobachteten Systeme lassen sich die verschiedenen Effekte noch nicht trennen. Fig. 11.15. Farbcodierte Bilder der CMB-Temperaturen des Galaxienhaufens 1E065767. Die darüberliegenden weißen Konturen sind ROSAT-Messungen. Der Strahldurchmesser des ACBAR –Mikrowellen-Teleskops beträgt 4,5 Bogenminuten. Die Farbcodierung umfaßt den Temperatur-Bereich von –200 bis +200 µK. Nach P. Gomez et al. astro-ph/0311263. 148 Das sollte aber mit einer größeren Ansammlung von Beobachtungsmaterial möglich sein. Gravitationslinsen bieten eine interessante unabhängige Methode, die dunkle Energie zu untersuchen, deren Größe bis jetzt im Wesentlichen aus SN Ia-Beobachtungen und in jüngster Zeit aus den von WMAP mit großer Genauigkeit gemessenen Fluktuations-Spektrum des CMB bestimmt wurde. 11.5.3. Neben der Hubble-Fluchtgeschwindigkeit besitzen alle Galaxien auch noch Eigenbewegungen. Ihre Geschwindigkeit oder genauer deren radiale Komponente wird als störender Effekt immer mitgemessen, wenn Rotverschiebungen bestimmt werden. Die Eigenbewegungen (auch Pekuliarbewegungen genannt), zeigen Beschleunigungen in Gravitationsfeldern an. Damit enthalten sie wichtige Informationen über Ω M im allgemeinen und über die Massenverteilung in Galaxienhaufen im Speziellen. Zur Bestimmung der Pekuliarbewegungen werden die Daten aus Galaxienkataloge, welche die Rotverschiebungen enthalten, zu grunde gelegt. 11.5.4. Kreuzkorrelationen von Intensitäten der CMB und der Intensität der Röntgen-Hintergrundstrahlung führen dazu, inelastische Streuungen der CMB-Photonen an dem Gravitationspotential großräumiger Materieverteilungen zu detektieren. Dieser sogenannte Sachs-WolfeEffekt entsteht erst nach der Rekombination, wenn sich bereits erste Dichtekonstrate gebildet haben. Fig. 11.13 zeigt die Ergebnisse. Eine ähnliche Kreuzkorrelation wurde vom gleichen Team zwischen CMBFluktuation und der Verteilung der Radiogalaxien gefunden. Fig. 11.16. Kreuzkorrelaltion zwischen der Intensität des Röntgenhintergrunds 149 und der CMB-Intensität. Aus St. Boughn, R. Crittenden, Nature 427 (2004) 45. 11.6. Die Dunkle Materie. Wir hatten bereits in den voran gegangenen Kapiteln gesehen, daß Messungen der Gravitation etwa 7 mal soviel dunkle wie baryonische Materie ergibt. Von der baryonischen Materie selbst wieder ist nur etwa 1/6 im Sichtbaren leuchtende Materie in Form von Sternen oder Gas. Wir haben oben schon gesehen, daß ein großer Teil in Form eines heißen intergalakischen Plasmas vorliegt, das von allem durch Supernova-Ausbrüche aus den ebenen der Spiralgalaxien in den Raum geschleudert wird und nur im Röntgengebiet beobachtet werden kann. Die Verteilung der nichtstrahlenden baryonischen Materie in den Galaxien und in den Haufen ist ein schwieriges Problem, an welchen gegenwärig intensiv geforscht wird. Wir wollen hier unter dunkler Materie nur die nichtbaryonische Form verstehen. Ihre Geschichte beginnt mit der Feststellung von Fritz Zwicky in den 30er Jahren, daß die Geschwindigkeitsdispersion in Galaxienhaufen so groß ist, daß leuchtende Materie allein keinen gebundenen Zustand ergeben würde. Die nach dem Virialsatz ermittelte Masse ist i.a. bis zu 2 Zehnerpotenzen größer als die leuchtende Masse. Ein ähnliches Ergebnis erhält man für Fig. 11.17. Rotationskurve der Galaxie NGC 3189. Obere Kurve verbindet Meßpunkte (Geschwindigkeiten der Sterne als Funktion des Abstands vom Zentrum der Galaxie). Mittlere Kurve (disk) gibt den erwarteten Verlauf wieder, wenn nur die Masse der Scheibe beitragen würde. Untere Kurve ist der ermittelte Beitrag des Halos. Aus J. Binney and S. Tremaine , Galactic Dynamics. Princeton University Press 1987 Galaxien (s. Fig. 11.16). Die äußeren Sterne in den Spiralarmen umlaufen die innere Masse in kreisförmigen Bahnen wobei das Quadrat der Geschwindigkeit proportional zur inneren Masse ist 150 υ 2 (r ) = GM r r (11.34) Mit lichtstarken Teleskopen konnten Geschwindigkeiten von weit außen liegenden Sternen gemessen werden. Man würde erwarten, dass die Geschwindigkeiten abnehmen, weil der Abstand zu den inneren Massen immer größer wird. Das ist aber nicht der Fall. Was man stattdessen findet, ist eine nahezu konstante Geschwindigkeit (s. Fig. 11.14). Daraus lässt sich die Dichteverteilung der dunklen (nichtbaryonischen) Materie ableiten. Für die Dichte werden verschiedene Funktionen angegeben, die alle wie ρ ∝ r − α ( α > 1 ) abklingen. Uneinig ist man sich noch über den Verlauf der Dichte im zentralen Teil der Galaxie. Einen wichtigen Teil der Untersuchungen nehmen Simulationsrechnungen ein. Fig. 11.18. Hubble Funktion H(z) in Einheiten von H0 . Sie zeigen, dass komplizierte Wechselwirkungen zwischen den entstehenden Strukturen der Spiralgalaxien und den Halostrukturen auftreten, zwischen welchen auch Drehimpuls ausgetauscht wird. Eine Abschätzung der Halomasse kann mit folgender einfachen Formel erreicht werden 151 υ3circ MH = 10GH ( z ) (11.35) Hier ist υcirc die vom Radius unabhängige Kreisgeschwindigkeit (in Fig. 11.17 ist υcirc ≅ 150 km/s), H (z ) ist die Hubblefunktion zur Epoche z. Dabei ist [ H ( z ) = H 0 Ω Λ + Ω M (1 + z ) 3 ] 1 2 (11.36) Weil H (z ) über Ω Λ und Ω M vom kosmologischen Modell abhängig ist, hängt auch MH davon ab. Die Masse einer Spiralgalaxie beträgt ein Bruchteil von MH , der in der Größenordnung von 0,05 liegt. Diskrepanzen zwischen Simulationen mit Λ CDM-Modellen und den Ergebnissen der Beobachtungen werden sich durch Eingabe verbesserter Parameter und Zunahme von verbesserten Beobachtungsdaten ausräumen lassen. WMAP konnte auch den Beitrag leichter Neutrinos, welche gern als „Hot Dark Matter“ beigemischt werden, auf Ω v h 2 < 0,0076 begrenzen. Zum anderen konnte die Bildung der ersten Sterne auf etwa 200 ⋅ 10 6 Jahre vorverlegt werden, was auch den Beginn der Reionisation festlegt, die ebenfalls Einfluss auf die weitere Bildung (oder Verzögerung) von Strukturen nimmt. Der große Erfolg der Λ CDM-Kosmologie ist doch, dass sie zeigt, wie in hierarchischer Strukturbildung sich große Systeme aus kleinen gebildet haben. Kleine Galaxien vereinigen sich und formen große Galaxien. Aber die Größe ist begrenzt, denn das Gas in größeren Strukturen würde zur Abkühlung zu lange brauchen, um noch größere Galaxien zu bilden. Deshalb treten größere Strukturen nur als Cluster und Supercluster auf. Diese wieder haben sich aus Galaxien und Galaxienhaufen aufbauen können. Heute wissen wir, dass es in erster Linie die Halos aus dunkler Materie sind, welchen wir die im Laufe der Zeit zunehmende Hierarchisierung, d.h. die Vereinigungen zu immer größeren Einheiten verdanken. Die Schwierigkeiten, Teilchen der dunklen Materie (weakly interacting massiv particles = WIMPs), welche mit anderen Elementarteilchen wahrscheinlich nur gravitativ wechselwirken, im Labor nachzuweisen, sind außerordentlich groß. Dennoch werden solche Anstrengungen von Seiten der Hochenergiephysik unternommen. WIMPs übertragen beim inelastischen Stoß mit Atomkernen Energie. Eine Methode welche diese Energie bestimmen soll, ist der Aufbau von Tieftemperatur-Kalorimeter. 152 Fig. 11.18. Die Halomasse bei einer Kreisgeschwindigkeit υ circ = 250 km/s als Funktion von der Rotverschiebung Damit hofft man Stöße von WIMPs als Temperaturerhöhung des Detektors bei niedrigen Temperaturen (10 – 50 mK) zu messen. Die Apparaturen müssen von radioaktiven Prozessen oder kosmischen Höhenstrahlen komplett abgeschirmt werden. Das Experiment DAMA (Dark Matter Search) mit 100 kg NaJDetektoren ist in einem Tunnel im Gran Sasso in Italien untergebracht. Die gemessenen Rückstoßspektren sollten sich im jahreszeitlichen Rhythmus ändern. Tatsächlich hat man auch entsprechende Ereignisse gefunden, deren Verifikation ist aber bisher nicht gelungen. Das amerikanische CDMS Experiment (Cryogenic Dark Matter Search) basiert auf der Ionisationseffizienz, ebenso das französische im Frejus-Tunnel installierte Experiment EDELWEISS (Experience pour detecter les WIMPs en site souterrain). Das deutsche Experiment CRESST (Cryogenic Rare Event Search with Superconducting Thermometers) nutzt daneben auch die Messung der Szintillations-Effizienz. Da der Wirkungsquerschnitt für die Detektion von WIMPs nicht bekannt ist, muß man den ganzen von supersymmetrischen Theorien als möglich vohergesagten 153 Bereich untersuchen. Die dazu erforderliche Empfindlichkeit wird aber erst in einer nächsten Generation von Experimenten erreichbar sein. Fig. 11.19. CRESST : Installation eines SQUID-Systems am Cryostaten. 11.7. Zusammenfassung. Es werden analytische Verfahren vorgestellt, welche es gestatten, die Entwicklung des Dichtekontrasts mit der kosmischen Entwicklung zu verfolgen. Wenn man davon ausgeht, dass ein Dichtekontrast von 1 nötig ist, um einen Kollaps zu erreichen, so wird dieser mit baryonischer Materie allein bei weitem nicht erreicht. Bei der Entwicklung der dunklen Materie setzt man voraus, dass keine Stöße auftreten und ausschließlich gravitative Wechselwirkung auftritt. Das Ergebnis von N-Teilchen-Simulationen im Konkordanzmodell (ΛCDM) sind netzwerkartige Strukturen, in welchen sich baryonische Materie sammeln kann. Galaxien sind jeweils von einem Halo aus dunkler Materie umgeben. Im modernen Katalogen (SDSS und 2dF-Project) sind 105 – 106 Galaxien enthalten, deren Positionen und Rotverschiebungen gemessen wurden. Ihre räumliche Verteilung ergibt eine ähnliche Netzwerkstruktur wie die Simulationen. Die leuchtende Materie ist nur ein kleiner Teil der baryonischen Materie. Der größere Teil besteht aus Gaswolken ohne Sternentwicklung und heißem intergalaktischem Gas, das bei der Entwicklung der Galaxien von Supernovae und dem zentralen schwarzen Loch ausgeschleudert wurden. 154 11.8. Literatur A.R. Liddle and D.H. Lyth. Cosmological Large Scale Structure. Cambridge Univ. Press 2000 Inflation and L. Guzzo : Large-Scale Structure from Galaxy to Cluster Surveys. Review in DARK2002, 4th Heidelberg Conf. On Dark Matter in Astro- and Particle Physics. H.-V. Klapdor-Kleingrothaus & R. Viollier eds. Springer J. Binney and S. Tremaine, Galactic Dynamics. Princeton University Press 1987 J.R. Primack: Status of Cold Dark Matter Cosmology, astro-ph/0205391 G. Nollez: Detection of nonbaryonic dark matter: Europhysics News July/August 2003, p. 132 Borgani, L. Guzzo : Nature 410, 169, (2001) St. Boughn, R. Crittenden, Nature 427 (2004) 45 Max Tegmark’s Cosmological Library. http:/www.hep.upenn.edu/~max/2df1.html V.J. Martinez and E. Saar: Clustering Statistics in Cosmology. In SPIE Proceedings Vol. 4847 (2002), Astronomical Data Analysis, J.-L. Stark and Murtagh eds. P. Anninos : Computational Cosmology. From the Early Universe to the Large Scale Structures. http://www.livingreviews.org/Articles/Volume4/20012anninos Astroteilchenphysik in Deutschland: Dunbkle Materie. http://astroteilchenphysik.de/topics/dm.html CRESST Home Page. http://wwwms.mppmu.mpg.de/cresst/ V. Springel: Die Millenium-Simulation. Sterne und Weltraum Nov. 2006, S.30 40. 155