Thüringer Strategie zur Erhaltung der

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Thüringer Ministerium für Landwirtschaft, Naturschutz und Umwelt
- Arbeitsentwurf -
Thüringer Strategie zur Erhaltung der
biologischen Vielfalt
Stand: 02. Februar 2009
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INHALT
1. Anlass
3
2. Gründe für die Gefährdung der biologischen Vielfalt
5
3. Biologische Vielfalt in Thüringen
7
3.1 Die Artenvielfalt Thüringens
7
3.2 Zentren der Artenvielfalt und Lebensräume in Thüringen
8
3.3 Veränderungen der Artenvielfalt
11
3.4 Die Verantwortlichkeit Thüringens aus globaler Sicht
12
4. Bilanz der Biologischen Vielfalt in Thüringen
19
4.1 Vergleich der Roten Listen von 1994 und 2001
19
4.2 Erhaltungszustand von Arten und Lebensraumtypen nach der
FFH-Richtlinie und EU-Vogelschutzrichtlinie in Thüringen
21
4.3 Bilanz der verschiedenen Naturschutzinstrumente, -projekte
und –maßnahmen und Bewertung ihrer Wirksamkeit
27
5. Biologische Vielfalt in den Landschaften und Lebensräumen Thüringens 35
5.1 Biologische Vielfalt in den Agrarlandschaften
35
5.2 Biologische Vielfalt im besiedelten Bereich
41
5.3 Biologische Vielfalt der Wälder
44
5.4 Biologische Vielfalt der Gewässer
53
6. Leitbild/Zielsetzung 2020
59
7. Aktionsplan bis 2020/Aktionsfelder
62
ANHANG
3
1. Anlass
Auf unserer Erde gibt es eine Vielzahl von Lebensformen. In Folge der variablen Klima- und
Bodenverhältnisse haben sich die unterschiedlichsten Arten herausgebildet. Zwischen diesen
gibt es mannigfaltige Wechselbeziehungen. Die verschiedenen Lebensformen und Lebensräume sind untereinander und mit ihrer Umwelt verbunden und bilden ein weltumspannendes
Netz des Lebens. Wie viele Arten auf unserem Planeten zu finden sind, ist nicht genau bekannt. Die Schätzungen des globalen Artenreichtums schwanken zwischen 3 Mio. und 30
Mio. Arten. Die Unterschiede ergeben sich durch die verschiedenen gewählten Methoden der
Abschätzung. Experten gehen davon aus, dass dies nur ein Bruchteil der tatsächlich vorhandenen Artenvielfalt ist. Allgemein wird eine Gesamtzahl von 14 Mio. Arten angenommen.
Der größte Anteil der Tierarten entfällt mit ca. 1 Mio. Arten auf die Klasse der Insekten. In
der jüngsten Zusammenstellung des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) kam
man auf rund 1,75 Mio. beschriebener Arten.
Das Staunen über diese Fülle wird jedoch mittlerweile überlagert von der Sorge um diesen
Schatz der Natur. Zwischen 1970 und 2000 hat die Gesamtzahl der Arten drastisch abgenommen, zahlreiche Ökosysteme sind inzwischen in Gefahr. Das ungebremste Wirtschaftswachstum der Industriestaaten forderte seinen Preis und auch die Länder der besonders artenreichen
Tropen und Subtropen haben begonnen, sich zu Lasten ihrer Natur zu entwickeln. Mit der
fortschreitenden Umweltzerstörung gerieten auch die Wohlfahrtsleistungen der Ökosysteme
zunehmend in den Blickpunkt.
In dieser Situation entstand um 1980 der Begriff „Biodiversität“, zu deutsch „Biologische
Vielfalt“. Darunter fallen alle Erscheinungsformen des Lebens. Es hat sich eingebürgert,
darunter die Gesamtheit der Ökosysteme und Arten, aber auch der genetischen Ausprägungen
innerhalb der Arten zu verstehen.
Vor diesem Hintergrund des fortschreitenden Verlustes an biologischer Vielfalt wurde auf
dem Umweltgipfel der Vereinten Nationen in Rio de Janeiro 1992 das Übereinkommen über
die biologische Vielfalt (englisch: Convention on Biological Diversity, CBD) verabschiedet.
Mit diesem Übereinkommen wird erstmalig der Schutz der biologischen Vielfalt als ein
gemeinsames Interesse der gesamten Menschheit anerkannt. Das Übereinkommen ist dabei
keine reine Naturschutzkonvention, sondern enthält auch Aussagen zu einer gerechten
wirtschaftlichen Nutzung der biologischen Vielfalt. Der völkerrechtlich bindende Vertrag
wurde bislang von 189 Staaten, darunter Deutschland (1993) und der gesamten Europäischen
Union (EU), ratifiziert.
Die wichtigsten Ziele des Übereinkommens sind:
- Erhaltung der biologischen Vielfalt
Der Begriff „Biologische Vielfalt“ umfasst dabei die genetische Vielfalt, die Vielfalt der
Arten und der Lebensräume. Es geht also um den Schutz von Lebensräumen und den
Schutz von wildlebenden und genutzten Tieren, Pflanzen, Pilzen und Mikroorganismen
in ihrer genetischen Variabilität.
- Nachhaltige Nutzung der Bestandteile der biologischen Vielfalt
Die Vielzahl der nutzbaren Pflanzen, Tiere und Mikroorganismen ist eine der wichtigsten Produktionsvoraussetzungen der Land-, Forst-, Fischerei- und Ernährungswirtschaft.
Ihre nachhaltige Nutzung stellt in der Regel gleichzeitig die beste Voraussetzung für den
Erhalt der Agrobiodiversität* dar. Die Nutzung soll nachhaltig erfolgen und darf nicht zu
einem Rückgang der biologischen Vielfalt führen.
* Agrobiodiversität ist die Vielfalt der durch aktives Handeln des Menschen für die Bereitstellung seiner Lebensgrundlagen
unmittelbar genutzten und nutzbaren Lebewesen und der damit assoziierten Biodiversität.
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- Ausgewogene und gerechte Aufteilung der Vorteile, die sich aus der Nutzung der
genetischen Ressourcen ergeben (englisch: access and benefit sharing, ABS)
Dieses Ziel berücksichtigt, dass die Länder des Südens aufgrund ihres Artenreichtums
reich an genetischen Ressourcen sind, während die Industrieländer über die technologischen Voraussetzungen für eine umfangreiche wirtschaftliche Nutzung dieser
Ressourcen verfügen. Das Übereinkommen sieht u. a. vor, dass die Länder, die die
genetischen Ressourcen beherbergen, angemessen an den Erlösen aus der Nutzung
dieser Ressourcen beteiligt werden.
Das Übereinkommen über die biologische Vielfalt ist ein Rahmenabkommen, dessen Inhalte
durch alle zwei Jahre stattfindende Vertragsstaatenkonferenzen weiter konkretisiert werden.
Die Vertragsstaatenkonferenz ist das politische Entscheidungsgremium, das durch Ausschüsse
und Arbeitsgruppen unterstützt wird. Die 9. Vertragsstaatenkonferenz hat vom 19. bis 30. Mai
2008 in Bonn stattgefunden. Deutschland hat bis zur nächsten Konferenz 2010 in Japan den
Vorsitz.
Die Vertragsparteien haben sich im Artikel 6 des Übereinkommens verpflichtet, nationale
Strategien, Pläne oder Programme zur Erhaltung und nachhaltigen Nutzung der biologischen
Vielfalt aufzustellen. Auf EU-Ebene liegen bereits mehrere Aktionspläne zu verschiedenen
Themenbereichen vor, die die biologische Vielfalt betreffen. 2006 wurde die Mitteilung der
Kommission „Eindämmung des Verlustes der biologischen Vielfalt bis zum Jahr 2010 und
darüber hinaus“ mit einem dazugehörenden Aktionsplan veröffentlicht. Die deutsche Bundesregierung ist ihrer Verpflichtung im November 2007 durch die Verabschiedung einer
nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt nachgekommen. Das BMELV hat aus der
nationalen Strategie eine Fachstrategie für die Erhaltung und nachhaltige Nutzung der
biologischen Vielfalt für die Ernährungs-, Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft (Agrobiodiversitätsstrategie) abgeleitet.
Während der Auftaktveranstaltung der Thüringer Biodiversitätskampagne am 04. April 2008
hat Herr Minister Dr. Sklenar angekündigt, dass es auch für Thüringen wichtig ist, sich im
wahrsten Sinne nachhaltig mit dem Thema „Biodiversität“ zu befassen. Es wurde festgelegt,
eine speziell auf Thüringen abgestimmte Strategie zum Erhalt der biologischen Vielfalt
zu entwickeln. Dazu soll zunächst das in Thüringen Erreichte dargestellt, bilanziert und
bewertet werden. Daraus wird sich dann eine strategische Ausrichtung ableiten, wonach
Maßnahmen in den verschiedensten Bereichen zukünftig mit besonderem Gewicht
durchgeführt werden sollen, in denen Thüringen im bundesweiten Rahmen eine besondere
Verantwortung trägt. Dies sind neben den Gipskarstlandschaften die umfangreichen
Kalkmagerrasen, die Steppenrasen im Thüringer Becken, aber auch die Mittelgebirge mit den
ausgedehnten Wäldern, Bergwiesen, Fließgewässern und Mooren. Nicht zuletzt gehören dazu
aber auch die Flächen des nationalen Naturerbes einschließlich des so genannten „Grünen
Bandes“.
Das Thüringer Ministerium für Landwirtschaft, Naturschutz und Umwelt (TMLNU)
stellt sich damit seiner Verantwortung zur Erhaltung der biologischen Vielfalt und will
mit dieser Strategie erreichen, dass der weitere Verlust an biologischer Vielfalt kurzfristig gestoppt und bis 2020 deutliche Verbesserungen für Arten und Lebensräume
erreicht werden.
Ziel dieser Strategie soll aber auch sein, über alle Aktionsfelder hinweg alle relevanten
Akteure an der Umsetzung zu beteiligen.
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2. Gründe für die Gefährdung der biologischen Vielfalt
Die derzeitige Aussterberate der Arten übertrifft die vermutete natürliche Rate um das
einhundert- bis tausendfache und ist vor allem durch menschliches Handeln bedingt. Im
Gegensatz dazu ist die Neubildungsrate von Arten im Rahmen der biologischen Evolution
vergleichsweise klein.
Auf Grund der ungenauen Schätzung der globalen Artenvielfalt sind Aussagen über die
globale Gefährdungssituation nur näherungsweise möglich. Nach der Roten Liste der
Weltnaturschutzunion (IUCN) von 2006 sind 20 – 23 % der Säugetierarten, 12 % der
Vogelarten, 31 % der Amphibienarten und 60 % aller Ökosysteme weltweit gefährdet. Die
damit verbundenen Ökosystemdienstleistungen, die das menschliche Überleben sichern,
haben dadurch in den vergangenen Jahrzehnten große Schäden genommen.
Pflanzen, Tiere, Pilze und Mikroorganismen reinigen Wasser und Luft und sorgen für
fruchtbare Böden. Intakte Selbstreinigungskräfte der Böden und Gewässer sind wichtig für die
Gewinnung von Trinkwasser. Die natürliche Bodenfruchtbarkeit, Kulturpflanzen und
Nutztiere sorgen für gesunde Nahrungsmittel. Agrarische, forstliche und aquatische
Nutzungssysteme stehen dabei in engen Wechselbeziehungen mit den jeweiligen Ökosystemen. Dies sind nur einige Beispiele, die zeigen, welche Leistungen die Ökosysteme für
den Menschen erbringen.
Dass die biologische Vielfalt auch ökonomische Werte hat, hat der Ökonom Pavan Sukhdev
in einer Studie für die G8-Staaten ermittelt, die bis 2009 vollständig vorliegen wird. Danach
erbringen allein die weltweiten Schutzgebiete Leistungen im Wert von insgesamt 5 Billionen
US-Dollar.
Weltweit nimmt auch die genetische Vielfalt innerhalb der Arten stark ab. Erhebliche
Datenlücken bestehen vor allem im Bereich der genetischen Vielfalt von wildlebenden Arten.
Umfangreicher ist dagegen die Datengrundlage der genetischen Vielfalt bei den gezüchteten
landwirtschaftlich genutzten Arten. Über Jahrtausende hinweg hat die landwirtschaftliche
Züchtung aus wenigen Ursprungsarten viele tausende Sorten von z.B. Weizen, Reis und Mais
gezüchtet. Heutzutage konzentrieren die Landwirte ihren Anbau auf wenige, unter den
jeweiligen Standortbedingungen besonders ertrags- und marktfähige Sorten, so dass viele alte
Landsorten nicht mehr verwendet werden und durch Genbanken und andere geeignete
Maßnahmen erhalten werden müssen.
Schranken für den Erhalt der genutzten Vielfalt setzen insbesondere die Ertrags-und
Leistungsunfähigkeit der Sorten und Rassen, ihre Eignung für wirtschaftliche Produktionsverfahren und die Qualität der damit erzeugten Produkte. Traditionell angebaute Pflanzenarten stehen häufig in Konkurrenz mit im Ausland billiger erzeugten Importen.
Hinzu kommt, dass in den letzten 30 Jahren weltweit die Zahl der Wissenschaftler, die Arten
erkennen und Artenvielfalt inventarisieren können, drastisch abgenommen hat. Es gibt kaum
Investitionen in taxonomische Projekte und kaum noch Experten für Taxonomie.
In Mitteleuropa, und damit auch in Deutschland und in Thüringen, sind die Artenzahlen
aufgrund des noch nicht kompensierten Verlustes während der Eiszeiten schon natürlicherweise geringer als in vergleichbaren Klimazonen anderer Kontinente oder gar in den tropischen Ländern. In Deutschland kommen 3378 Farn-und Blütenpflanzen, ca. 14 400 Pilzarten und ca. 48 000 Tierarten vor. Auf Thüringen bezogen bedeutet dies 2473 Farn- und
Blütenpflanzen, ca. 10.000 Pilzarten und ca. 30.000 Tierarten. Das sind rund 2/3 aller Tierund Pflanzenarten Deutschlands und unterstreicht die nationale Verantwortung von
Thüringen für die Erhaltung dieser Arten.
Deutschlandweit und auch in Thüringen ist neben der Gefährdung von Arten vor allem auch
die Beeinträchtigung oder Zerstörung von Lebensräumen ein erhebliches Problem, mit dem
gleichzeitig eine Verarmung und Nivellierung von Natur und Landschaft einhergeht. Von den
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einheimischen Farnen und Blütenpflanzen Deutschlands sind nach der aktuellen Roten Liste
26,8 % bestandsgefährdet und 1,6 % ausgestorben oder verschollen. Von den einheimischen
Tierarten Deutschlands sind 36 % bestandsgefährdet und 3 % ausgestorben oder verschollen.
Von den in Deutschland vorkommenden Lebensräumen sind 72,5 % gefährdet. Deutschland
erreicht mit diesen Gefährdungsraten die höchsten Werte in Europa. Auf Thüringen bezogen
bedeutet dies (Stand 2001): 45 % aller Arten sind gefährdet, davon 8,5 % ausgestorben oder
verschollen, 50 % der Pflanzengesellschaften sind gefährdet und 85 % der Biotoptypen.
Die Gründe für die Gefährdung von Arten und Lebensräumen sind vielfältig und lassen sich in
neun wichtige Gefährdungsursachen zusammenfassen:
-
unmittelbare Zerstörung, Zerschneidung und sonstige erhebliche Beeinträchtigungen
von Lebensräumen durch Flächenversiegelung, Siedlungsbau, Verkehrslinien,
Energiewirtschaft, Abgrabungen, Trockenlegungen, Verfüllen von Gewässern,
Beseitigung von Landschaftselementen und Nutzungsänderungen in Land- und
Forstwirtschaft,
-
intensive Flächennutzung in der Landwirtschaft (z. B. Pflanzenschutzmaßnahmen,
Düngung, mehrfache jährliche Mahd, Einsatz von Wild-und Kleintiere gefährdenden
Mähgeräten, Umwandlung von Grünland in Acker),
-
Aufgabe der landwirtschaftlichen Nutzung von ökologisch wertvollen Grenzertragsstandorten (z. B. Magerrasen, Bergwiesen, Feucht- und Nasswiesen), Aufgabe
traditioneller Nutzungsformen,
-
lokale Defizite bei der Waldbewirtschaftung (z. B. zu geringe Anteile von Alters- und
Zerfallsphasen sowie Höhlenbäumen und Totholz, strukturarme Bestände, nicht
standortgerechte Baumarten, unangepasste Forsttechnik und Holzernteverfahren,
Forststraßenbau, überhöhte Wildbestände),
-
Wasserbau (z. B. Begradigung von Fließgewässern, technischer Hochwasserschutz,
Wasserstandsregulierungen und Stauhaltung von Fließgewässern und Wasserstraßen,
Nivellierung von Flussbett und Uferstrukturen durch Ausbau, Aushub und Verbauung),
-
Eintrag von Schad- und Nährstoffen in die Wald-, Offenland- und Gewässerökosysteme,
-
keine nachhaltige Fischereipraxis (z. B. Überfischung, unselektive oder zerstörend
wirkende Fischereipraktiken, Besatz von Gewässern mit nicht standortheimischen
Arten, Bekämpfung von konkurrierenden Arten),
-
Natur belastende Freizeitnutzungen und
-
Klimawandel.
3. Biologische Vielfalt in Thüringen
7
Die Biologische Vielfalt Thüringens ist eingebunden in die Natur Mitteleuropas bzw.
Deutschlands. Dabei ist Thüringen in der Tat ein „grünes Herz Deutschlands“, das seinen
bemerkenswerten Reichtum an Arten und Lebensräumen den naturräumlichen Voraussetzungen, insbesondere seiner abwechslungsreichen Geologie, den großen klimatischen
Gradienten vom Thüringer Becken bis zu den Höhen des Thüringer Waldes, der Vielfalt der
historischen Landnutzungen und dem hohen Engagement seiner Bevölkerung, diese durch
Landschaftspflege zu erhalten, verdankt.
3.1 Die Artenvielfalt Thüringens
Für eine Reihe von Arten ist Thüringen besonders bekannt geworden, so für die bemerkenswerte Vielfalt an Orchideen mit reichen Vorkommen des Frauenschuhs sowie an Ackerwildkräutern, die bundesweit bedeutenden Vorkommen von Kleiner Hufeisennase und Mopsfledermaus, die Wildkatze, der Mittelspecht oder die weltweit nur in der Rhön siedelnde
Rhön-Quellschnecke.
Bis in historische Zeit reichende Bemühungen zur Erfassung der hier lebenden Arten weisen
Thüringen als ein Land mit langer naturgeschichtlicher Tradition aus. Detaillierte
Darstellungen reichen von alten Florenwerken bis hin zu modernen Verbreitungsatlanten,
etwa für Pflanzen und Heuschrecken. Für weniger gut bekannte Artengruppen gibt es
immerhin Artenlisten.
Eine mit den Namen der Arten untersetzte Gesamtzahl der in Thüringen siedelnden Arten ist
bisher nicht ermittelt worden. Für die besser bekannten Artengruppen sind allerdings Rote
Listen erarbeitet worden – die letzten 2001 - in deren Vorfeld stets die Gesamt-Artenbestände
zu ermitteln waren. Allein der Artenbestand dieser besser bekannten Artengruppen umfasst
17.000 Arten.
Tab. 1: Artenzahlen der 2001 auf ihre Gefährdung untersuchten Artengruppen
(Quelle: Rote Listen Thüringens 2001)*
Arten, Anzahl
Artengruppe / Lebensraumtyp
gesamt
Säugetiere inkl. Fledermäuse
75
Brutvögel
164
Kriechtiere
6
Lurche
18
Fische und Rundmäuler
39
Schnecken und Muscheln
204
Webspinnen
626
Asseln
32
Krebse (ausgewählte Familien)
122
Eintagsfliegen
67
Libellen
52
Steinfliegen
63
Heuschrecken
54
Zikaden
447
Land-, Wasser- und Uferwanzen
631
Käfer (ausgewählte Familien)
3.620
Hautflügler (Wildbienen, Ameisen und andere)
524
Köcherfliegen (Trichoptera)
202
Tagfalter und andere Schmetterlinge
1.311
8
Schwebfliegen und andere Zweiflügler
Farn- und Blütenpflanzen
Moose
Armleuchteralgen und Süßwasser-Rotalgen
Flechten
Großpilze Phytoparasitische Kleinpilze und Schleimpilze
946
1.990
748
22
899
4.141
Arten insgesamt
17.003
Wirbeltiere
302
Wirbellose
8.903
Pflanzenarten i. w. S.
7.798
*Die Zahlen der für die Roten Listen bearbeiteten Arten umfassen oft nur einen Teil der vorkommenden Arten der Artengruppe.
Neben den Brutvögeln gibt es so auch viele weitere Vogelarten, die in Thüringen beobachtet werden können – insgesamt
knapp 350!
Insgesamt kommen schätzungsweise mindestens 55.000 Tier-und Pflanzenarten in Thüringen
vor, davon allein mindestens 28.000 wirbellose Tiere. Aktuelle Untersuchungen - vor allem
von Fachvereinigungen und Naturkundemuseen - lassen die Zahl der in Thüringen
nachgewiesenen Arten auch heute noch wachsen. So stieg die Zahl der bekannten Käferarten
von ca. 4.600 im Jahr 1998 auf 4982 Anfang 2009. Unübersehbar ist auch die Zahl der Pilze,
die mit etwa 10.000 angenommen wird.
Große Anteile haben auch die „niederen Pflanzen“ ( Algen, Flechten und Moose). So sind von
17.000 weltweit bekannten Süßwasseralgen mindestens 10.000 in Thüringen zu erwarten.
Sind diese blanken Zahlen an sich schon beeindruckend, zeigt ein Vergleich mit den
Nachbarländern, dass Thüringen besonders viele Arten aufweist. Bei den Käfern beherbergt
lediglich das um ein mehrfaches größere Bayern (mit seinem Alpenanteil) mehr
nachgewiesene Arten.
3.2 Zentren der Artenvielfalt und Lebensräume in Thüringen
Die Artenvielfalt ist nicht gleichmäßig über Thüringen verteilt, sondern es gibt Naturräume
und Landschaftsausschnitte, die sich durch eine besonders hohe Vielfalt auszeichnen („hotspots“ der biologischen Vielfalt). (Karte aus LNT 1/2002 einfügen) Fast ganz Thüringen wäre
ohne Zutun des Menschen als natürliche Vegetation mit Wald bedeckt. Die
Rodungstätigkeiten des Menschen haben eine Kulturlandschaft entstehen lassen, die vielen
Arten erst einen Lebensraum geschaffen hat. In diesen so geschaffenen Lebensräumen haben
heute knapp zwei Drittel der Arten in Thüringen ihren Verbreitungsschwerpunkt. Ein großer
Teil der Biodiversität Thüringens ist daher durch Bewirtschaftung bedingt und kann auch nur
durch angepasste Bewirtschaftung erhalten werden.
• Farn- und Blütenpflanzen
Im Ergebnis einer intensiven Kartierung der Farn- und Blütenpflanzen Thüringens konnten
folgende Gebiete mit einer hohen Pflanzenartenvielfalt selektiert werden: besonders die
Zechsteinstreifen an Südharzrand und Kyffhäuser, aber auch am Thüringer Wald zeichnen
sich durch einen sehr hohen Pflanzenartenreichtum aus. Weiterhin müssen die MuschelkalkGebiete nördlich und südlich des Thüringer Waldes sowie des westlichen Eichsfeldes
hervorgehoben werden. Hier vor allem die Bereiche, die von tief eingeschnittenen Flusstälern
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durchzogen werden bzw. an die Buntsandstein-Gebiete angrenzen. Sehr artenreich sind auch
die Keuperlandschaften am Südrand des Thüringer Beckens und im Grabfeld sowie Teile des
Thüringer Schiefergebirges und seines nordöstlichen Vorlandes, vor allem in der Umgebung
von Gera.
Geringe Artenzahlen sind zum einen in den ausgeräumten Agrargebieten des zentralen
Thüringer Beckens und zum anderen in den von Fichtenforsten dominierten Hochlagen des
Thüringer Waldes zu finden.
Für die meisten Tierarten liegen keine flächendeckend repräsentativen Kartierungen der
Vorkommen vor, aus den langjährigen Beobachtungen lassen sich aber Schwerpunkte der
Artenvielfalt erkennen. So liegen für Fledermäuse, Heuschrecken, Libellen und Tagfalter
attraktive Beschreibungen der gegenwärtigen Verbreitung in Thüringen vor. Für die Vögel
wird eine solche Darstellung der Verbreitung gerade erarbeitet.
• Vögel
Bei den Vögeln lässt sich aufgrund ihrer Mobilität, aber auch wegen der Verschiedenartigkeit
der Lebensraumansprüche nur schwer eine räumliche Abgrenzung der Artenvielfalt
vornehmen. Die meisten Arten sind aber zumindest zur Brutzeit an spezielle Lebensräume
gebunden. Zur Zugzeit sind es vor allem die Gewässer und deren unmittelbare Umgebung, die
aufgrund der zahlreichen Durchzügler und Wintergäste eine große Artenzahl aufweisen.
• Säugetiere
Für die Biodiversität der Säugetiere soll beispielhaft die aktuelle Verbreitung von 3 Fledermausarten und 3 anderen Arten beschrieben werden. Die Vorkommen dieser anspruchsvollen
Arten kennzeichnen Räume, die auch von vielen weiteren schutzwürdigen Arten besiedelt
sind.
Die Kleine Hufeisennase hat in Thüringen einen Verbreitungsschwerpunkt, wobei das mittlere
Saaletal wiederum besonders bedeutsam ist. Für die Nordfledermaus bieten Höhlen im
Thüringer Gebirge wichtige Winterquartiere. Das Große Mausohr ist weit verbreitet, hebt sich
aber durch beachtlich große Wochenstubenquartiere in verschiedenen Landesteilen hervor.
Für die Wildkatze stellen die Wälder im Südharz, im Eichsfeld und in den nordwestlichen
Randhöhen des Thüringer Beckens bis hin zum Nationalpark Hainich ein Refugium dar, in
dem sie die Zeiten starker Verfolgung überdauern konnte und von wo sie sich wieder
ausbreiten kann. Der Fischotter war dagegen ausgestorben und besiedelt Thüringen gegenwärtig wieder. Der Feldhamster besitzt in Thüringen bundesweit bedeutsame Bestände. Dies
ist sowohl aus der besiedelten Fläche als auch aus den – wenigstens regional – noch relativ
hohen Siedlungsdichten herzuleiten. Zudem beherbergt Thüringen als Besonderheit auch
Schwarze Hamster.
• Tagfalter und Heuschrecken
Bei den Tagfaltern und Heuschrecken heben sich hinsichtlich der Artenvielfalt die Bereiche
Kyffhäuser/ Hainleite/Südharzrand, die Muschelkalklandschaften um Arnstadt und Jena sowie
der Bereich Vorderrhön/Meininger Muschelkalk/Grabfeld hervor. Diese Gebiete stellen auch
Zentren der Artenvielfalt für weitere Artengruppen mit vielen wärmeliebenden Arten des
Offenlandes dar. Die rein zahlenmäßig ermittelten Schwerpunkte der Vielfalt werden auch
durch das Vorkommen herausragender Tagfalterarten charakterisiert: so hebt sich der
Kyffhäuser durch Berghexe und Blaukernauge heraus. Der Arnstädter Raum ist Verbreitungsschwerpunkt für den Skabiosen-Scheckenfalter und den Streifenbläuling. Im Meininger
Muschelkalk kommt der Kreuzenzian-Ameisenbläuling, in der Rhön die Berghexe, im Grabfeld mehrere sehr seltene Scheckenfalter und Bläulingsarten vor. Dies sind alles Tagfalterarten, die andernorts fehlen oder selten sind. Es gibt aber auch Räume, mit insgesamt
10
geringerer Tagfalterartenzahl, die für die Vielfalt in Thüringen von hoher Bedeutung sind, so
das östliche Thüringer Schiefergebirge mit der Oberen Saale, wo Fetthennenbläuling und
Violetter Feuerfalter in guten Beständen leben.
• Libellen
Die großen und mittleren Fließgewässer haben durch Verbesserung der Wasserqualität in
jüngster Zeit ihre ursprüngliche Funktion als Libellenlebensräume wieder erhalten. Nach den
Prachtlibellen, die bereits nach 1990 wieder häufiger wurden, sind aktuell weitere Flusslibellen dabei, Thüringen wieder zu besiedeln. Die Bedeutung der traditionsreichen Fischteiche um Plothen, im Altenburger Land, im Sonneberger Unterland oder um Ilmenau sowie
der eher zerstreut vorhandenen weiteren Teiche ist insgesamt hoch.
Gräben spielen ebenfalls eine große Rolle für Thüringer Libellen. Hier sind vor allem die
Gräben in den Flussauen und -niederungen von Unstrut, Gera und Helme bemerkenswert,
zumal deren Umgebung oft ausgesprochen artenarm ist. Arten wie Helm-Azurjungfer und
Vogel-Azurjungfer besitzen hier deutschlandweite Vorkommensschwerpunkte und auch der
Kleine Blaupfeil kommt regelmäßig vor.
Gewässer in ehemaligen Abbaugruben können ebenfalls wertvoll sein, wie dies z. B. für die
ehemaligen Torfstiche bei Mühlberg, die Herbslebener Teiche oder die Gewässer im Kalksteinbruch Caschwitz oder in Restgewässern im Altenburger Land belegt ist. Bedeutsam sind
auch alle noch vorhandenen Moorgewässer und die Hochmoore des Thüringer Waldes mit der
Alpen-Smaragdlibelle und Zwischenmoore, z. B. bei Bad Klosterlausnitz, wo die Arktische
Smaragdlibelle lebt.
Die angeführten Beispiele zeigen, dass je nach den Ansprüchen der Arten sehr verschiedene
Landschaften und Biotope Bedeutung besitzen. Es muss aber betont werden, dass auch kleinflächige Bereiche mit geringen Artenzahlen für die Biodiversität von Bedeutung sind, wenn
sie letzte Refugien darstellen. So sind in Thüringen z. B. Salzstellen, Stromtalwiesen, Blockhalden, Gipskarst- oder Keuperstandorte, Quellen, Bachoberläufe und Moore, oft nur von sehr
geringer Größe und wegen der extremen Lebensbedingungen meist nur von wenigen Arten
bewohnt. Allerdings sind die vorkommenden Arten oft höchst gefährdete Spezialisten, die nur
hier leben können. Manchmal weist ein Anstieg der reinen Artenzahl in diesen Biotopen sogar
auf eine Verschlechterung des Zustandes hin.
In Thüringen kommen etwa 90 Biotoptypen vor. Über 80 % dieser Biotoptypen wurden in der
Roten Liste als gefährdet eingeschätzt. Für die Erhaltung der Artenvielfalt besitzen die
Biotoptypen eine unterschiedliche Bedeutung. Verschiedene mitteleuropäische Lebensräume
besitzen einen Verbreitungsschwerpunkt innerhalb Thüringens. Eine besondere Verantwortung besteht für die Erhaltung naturnaher Waldbiotope, unter denen die Buchenwälder von
Natur aus in Thüringen eine herausragende Rolle spielen. Hierbei sind es vor allem die
Kalkbuchenwälder in Form von Orchideen- und Waldmeisterbuchenwäldern, aber auch
Hainsimsen-Buchenwälder auf sauren Böden in verschiedenen Höhenlagen. Darüber hinaus
besitzt Thüringen beachtliche Reste von Eichen-Hainbuchenwäldern, die ihre Entstehung
vielfach historischen Waldnutzungsformen verdanken. Bedeutende Vorkommen gibt es auch
von Erlen-Eschen-Auwäldern, Schlucht- und Blockhaldenwäldern sowie von Trockenwäldern.
Unter den Biotoptypen des Offenlandes sind vor allem die Kalk-Trocken- und Halbtrockenrasen hervorzuheben. Sie reichen von den kontinental getönten Steppenrasen des Kyffhäusers
über die orchideenreichen Halbtrockenrasen der Umgebung Jenas bis zu den ausgedehnten
Kalkmagerrasen der Vorderrhön. Im Komplex mit diesen stehen trockene Staudenfluren,
Trockengebüsche, Streuobstwiesen, an Steilhängen Kalk-Fels- und -schuttfluren sowie in den
atlantisch getönten Bereichen auch Wacholderheiden und Kalktuff-Quellen. Letztere liegen
oft in engem Kontakt mit kleineren Kalk-Flachmooren.
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Auch für die Erhaltung oft angrenzender, meist skelettreicher Kalkäcker besitzt Thüringen
eine besondere Verantwortung. Neben Sachsen-Anhalt verfügt Thüringen über die bedeutendsten Binnensalzstellen Deutschlands und auch über ein sehr repräsentatives Vorkommen von
Schwermetallrasen an den Bottendorfer Hügeln. Bemerkenswert sind ebenfalls die Häufungen
von Erdfällen in den Gipskarst- und einigen Buntsandsteingebieten. Darüber hinaus liegen
bedeutende Vorkommen von verschiedenen Biotopen der Mittelgebirge, wie Bergwiesen
(Gebirgs-Frischwiesen und Borstgrasrasen), Silikat-Felsfluren (insbesondere in Durchbruchstälern), Bergbächen und einigen Regenmooren, in Thüringen.
3.3 Veränderungen der Artenvielfalt
Die Artenvielfalt Thüringens unterliegt einem zeitlichen Wandel. Schon in vorhistorischer
Zeit wurde sie durch Zuwanderer oder eingeschleppte Arten bereichert. Eine erste „Invasion“
erfolgte mit der Etablierung der Landwirtschaft in der Jungsteinzeit, eine zweite nach der
Entdeckung Amerikas und eine dritte mit dem zunehmenden Warenaustausch nach der
Industrialisierung. Die klimatischen Bedingungen in Thüringen haben aber bisher die Etablierung weiterer fremder Arten verhindert.
Dieser Entwicklung der Arten steht ab etwa der Mitte des 19. Jahrhunderts ein zunehmender
Verlust vieler Arten und Vorkommen gegenüber. So sind große Teile der Artenvielfalt
Thüringens inzwischen bedroht. In so genannten Roten Listen werden die gefährdeten
Arten Thüringens aufgelistet. Vor allem infolge von Veränderungen der Landnutzung steht
knapp die Hälfte aller Arten auf der Roten Liste.
Tab. 2: Übersicht zur Gefährdung der Tiere, Pflanzen, Pflanzengesellschaften und
Biotope im Jahr 2001 (Quelle: Rote Listen Thüringen 2001)
Artengruppe / Lebensraum Arten/
gefährdete Arten und Anzahl (Anteil in %)
Typen
gesamt
ausgestorben aussterben bedroht gesamt
Wirbeltiere
302
31
32
164
(11)
(11)
(54)
Wirbellose
8.903
838
912
4.383
(9)
(10)
(49)
Pflanzen einschl. Pilze
7.798
582
466
3.090
(8)
(6)
(40)
Pflanzengesellschaften
633
16
49
318
(3)
(8)
(50)
Biotoptypen
87
1
9
74
(1)
(10)
(85)
Die Roten Listen zeigen die Gefährdungsschwerpunkte für einzelne ökologische Gruppen auf.
Gefährdet sind danach besonders Arten, die an Lebensräume mit extremen Standortbedingungen gebunden sind, wie sehr trockene, nasse oder nährstoffarme Biotope. Mehrfach
werden Arten der Trockenbiotope hervorgehoben, obwohl Thüringen aus bundesweiter Sicht
für diese einen Verbreitungsschwerpunkt darstellt und für ihren Schutz daher eine besondere
Verantwortung trägt. Auch Arten anderer Lebensräume, die in Thüringen jedoch schon immer
etwas seltener waren, werden aufgeführt, wie Bewohner von Mooren, Binnensalzstellen oder
von Sandlebensräumen (Blatthornkäfer, Blattkäfer, Farn- und Blütenpflanzen). Immer wieder
werden Bewohner von Auenbiotopen als besonders gefährdet hervorgehoben, da fast alle
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thüringischen Auen mit ihren Flüssen durch den Menschen strukturell und hinsichtlich ihrer
Standortsqualitäten extrem verändert wurden.
Besiedler nährstoffarmer Lebensräume sind von großräumigen Nähr- und Schadstoffeinträgen besonders betroffen. Hierzu zählen epiphytisch wachsende Pflanzen (Flechten- und
Moosarten), bestimmte Schneckenarten, aber auch Mykorrhizapilze und mykorrhizaabhängige Arten der Farn- und Blütenpflanzen (z. B. Orchideen und Bärlappe).
Zu den gefährdeten Arten zählen oft Arten, die die Übergangsbereiche (Ökotone) zwischen
unterschiedlichen Lebensräumen besiedeln. Etliche Arten sind auch auf besondere Biotopstrukturen angewiesen. Teilweise sind ganze spezialisierte Artengruppen ausgestorben, so z.
B. sämtliche Arten der Mittelwälder unter den Tagfaltern. Auch Totholzbewohner sind
besonders hervorzuheben, da sie in verschiedenen Artengruppen einen hohen Anteil der
gefährdeten Arten bilden.
Unabhängig von den Vorkommen in speziellen Lebensräumen lässt sich bei den Vögeln eine
zunehmende Gefährdung der Arten in der Agrarlandschaft beobachten. Davon sind auch
(noch) häufige Arten betroffen, wie z. B. die Feldlerche.
Mit dem Klimawandel ist mit einer natürlichen Ausbreitung südlich verbreiteter Arten
(Libellen, Schmetterlinge und Vögel) und der Einbürgerung vieler vom Menschen eingeschleppter wärmebedürftiger Arten zu rechnen. Früher nur gelegentlich aus dem Mittelmeerraum einwandernde Arten kommen zunehmend in Thüringen zur Vermehrung. Auffällig
ist zum Beispiel die zunehmende Häufigkeit von Libellen, wie dem Kleinen Granatauge oder
der früher unbekannten, jetzt aber regelmäßigen Vermehrung des Südlichen Blaupfeils und
der Feuerlibelle in unseren Gewässern. Bei den Schmetterlingen sind es Wanderfalter wie der
Admiral oder das Taubenschwänzchen, die ehemals nur zur Vermehrung einwanderten, jetzt
aber zunehmend bei uns überwintern. Bei den Vögeln können die ersten Bruten des Bienenfressers beobachtet werden, dessen Verbreitungsschwerpunkt in Süd-und Südosteuropa liegt.
Dagegen werden heimische Arten mit geringen Temperaturansprüchen der kühl-feuchten
Biotope verdrängt werden. Bei einigen Artengruppen kann mit einer Zunahme der
Artenvielfalt in Thüringen gerechnet werden, wobei unter den Neubürgern (Neobiota) auch
viele vom Menschen unerwünschte Problemarten sind, wie die hoch allergen wirkende
Beifuß-Ambrosie oder die mit der Ausbreitung von Zecken- oder Mückenarten assoziierten
Krankheitserreger.
3.4 Die Verantwortlichkeit Thüringens aus globaler Sicht
Mit der festgestellten Artenvielfalt hat Thüringen eine besonders hohe Verantwortung für ihre
Erhaltung. Klar ist aber in Anbetracht dessen auch, dass Schwerpunkte beim Schutz zu setzen
sind.
Rote Listen haben sich als Messinstrument für den Zustand der biologischen Vielfalt bewährt.
Sie liefern Aussagen zur Gefährdung und damit unmittelbar zur Schutzbedürftigkeit von
Arten in einem Bezugsraum, wie Thüringen oder Deutschland. Aus dieser regionalen
Sichtweise ergeben sich aber auch Grenzen in der Anwendbarkeit Roter Listen. Zur
Bestimmung der Schutzwürdigkeit von Arten und damit der Festlegung von Prioritäten im
Arten- und Biotopschutz müssen zusätzliche Kriterien herangezogen werden.
Eines der wichtigsten Kriterien hierfür stellt die Verantwortlichkeit für die Erhaltung von
Arten und Lebensräumen aus globaler Sicht dar. Erst durch die Beachtung dieses Aspektes
wird es möglich, auch die überregionale Situation der Arten und Lebensräume gebührend zu
berücksichtigen. Diesem Aspekt wurde lange nur ungenügend Beachtung geschenkt. In einer
Studie der Thüringer Landesanstalt für Umwelt und Geologie und des Thüringer Fachbeirates
13
für Arten- und Biotopschutz aus dem Jahr 2002 wurde die Artenvielfalt Thüringens erstmalig
nach diesen Kriterien bewertet. Besonders schutzbedürftig sind danach:
► 12 Endemiten,
► 25 Arten mit sehr kleinem mitteleuropäischen Areal,
► 30 Arten mit hochgradig isolierten Vorkommen und
► 7 Arten mit weltweiter Gefährdung (nach IUCN red list).
Die wenigen Endemiten, d.h. Arten, die weltweit nur in Thüringen und angrenzenden
Bereichen vorkommen, sind in der folgenden Tabelle 3 dargestellt. Das außeralpine
Mitteleuropa ist aufgrund seiner Landschaftsgeschichte sehr arm an Endemiten. Deshalb ist
auch die Zahl in Thüringen vorkommender Endemiten gering.
Tab. 3: Endemiten Thüringens; aktuelle Gefährdung, gesetzlicher Schutzstatus, Biotopbindung und Lage der aktuellen
Vorkommen.
GeBiotopbindung /
Vorkommen in Thüringen
Art
RLT setz
Erhaltungsmaßnahmen
FFH
Rhön-Quellschnecke
2
Quellen und Quellbäche /
Hohe Rhön, Vorderrhön
(Bythinella compressa)
Quellenschutz, Verhinderung der
Eutrophierung
Berg-Blattkäfer
3
Bergwiesen, frische Säume, Wiesen
Mittlerer Thüringer Wald, Hohes
(Oreina alpestris ssp.
in Bachauen / behutsame
Thüringer Schiefergebirge –
polymorha)
Offenhaltung
Frankenwald, Hohe Rhön, Harz
Schmalblättriges
2
§
Halbtrockenrasen / Schafhutungen,
Zechsteingürtel Südharz
Brillenschötchen (Biscutella
ggf. Gehölzbeseitigung
laevigata ssp. tenuifolia)
Breitblättrige Mehlbeere
R
Trockenwälder u. –gebüsche /
insb. Werrabergland – Hörselberge,
(Sorbus latifolia agg.)
ggf. Lichtstellung
Ilm – Saale – Ohrdrufer Platte,
Braunflockiger Wulstling
1
wärmebegünstigte Laubmischwälder Hainich-Dün-Hainleite,
(Amanita brunneoconulus)
über Kalk / Fortsetzung historischer
Innerthüringer Ackerhügelland
Waldnutzungsformen
Erläuterungen: RLT: Rote Liste Thüringens, „1“: Vom Aussterben bedroht, „2“: Stark gefährdet, „3“: Gefährdet, „R“: Extrem selten
(Gefährdungskategorien nach FRITZLAR & WESTHUS 2001); Gesetz/FFH: gesetzlicher Schutz nach § 10 Abs. 2 BNatSchG, „§“: besonders
geschützt, „§§“: streng geschützt; II: Art des Anhangs II der FFH-Richtlinie, IV: Art des Anhangs IV der FFH-Richtlinie
Ein sehr kleines mitteleuropäisches Areal besitzen 25 Arten (Tab. 4). Diese Gruppe verdient
in besonderem Maße unsere Aufmerksamkeit, da gerade hier die Arten zu finden sind, die
wegen teils weiter Verbreitung in Thüringen (trotz hoher Gefährdung in angrenzenden
Regionen) bisher von Seiten des Naturschutzes wenig beachtet worden sind. Sie sind am
besten hier zu schützen und zu erhalten.
Tab. 4: Arten mit sehr kleinem mitteleuropäischen Areal; aktuelle Gefährdung, gesetzlicher Schutzstatus, Biotopbindung
und Lage der aktuellen Vorkommen.
GeBiotopbindung /
Vorkommen in Thüringen
Art
RLT setz
Erhaltungsmaßnahmen
FFH
Feldhamster, melanistische
1
§§ Äcker / Strukturvielfalt erhöhen
Innerthüringer Ackerhügelland
Mutante (Cricetus cricetus)
IV
Zwergheideschnecke
1
Trockenrasen auf Kalk und
Innerthüringer Ackerhügelland mit
(Trochoidea geyeri)
Gipskeuper / Offenhaltung
Randplatten, Zechsteingürtel
Kyffhäuser
Gemeine Plumpschrecke
3
hochgrasige wärmebegünstigte
vor allem Süd-Thüringen, Thüringer
(Isophya kraussii)
Magerrasen, Wiesen und Säume /
Wald-Vorland, Mittleres Saaletal
behutsame Offenhaltung
Elfenspornzikade
1
salzige Feuchtstellen mit Carex
Gera-Unstrut-Niederung (Salzwiesen
(Kelisia minima)
distanz / Offenhaltung
Luisenhall)
Kyffhäuserzikade
1
wärmebegünstigte Trockenhänge /
In D nur im Zechsteingürtel
(Psammotettix inexpectatus)
Offenhaltung
Kyffhäuser
Hellbraunroter Blattkäfer
3
lichte Wälder, frische Waldsäume /
Ilm-Saale-Ohrdrufer Platte, Hainich(Chrysolina rufa)
Erhaltung lichter Wälder
Dün-Hainleite (Hainich)
14
Purpurner Blattkäfer
(Chrysolina purpurascens)
Bergbach-Blattkäfer
(Sclerophaedon orbicularis)
2
-
*
-
Wohlgenährter GroßaugenErdfloh (Minota obesa)
SteppenwiesenBlutströpfchen
(Zygaena angelicae ssp.
ratisbonensis)
Schwebfliegen-Art
Eumerus longicornis
Stengelloser Tragant
(Astragalus exscapus)
Davall-Segge
(Carex davalliana)
*
-
2
§
kühl-feuchte Bereiche der höchsten
Lagen, enge Bachtälchen
wärmebegünstigte, halbschattige
Halbtrockenrasen, Kiefernwälder,
Säume / behutsame Offenhaltung
R
-
Trockenrasen / unbekannt
Zechsteingürtel Kyffhäuser
2
-
3
-
kontinentale Trockenrasen /
Schafthutung
Kalk-Quell- und Niedermoore /
Mahd, Beweidung
Weicher Pippau
(Crepis mollis)
*
-
Bergwiesen, lichte Wälder / Mahd,
Beweidung, historische
Waldnutzungsformen
Pfingst-Nelke
(Dianthus gratianopolitanus)
*
§
offene Felsen / ggf. Gehölzentnahme
Busch-Nelke
(Dianthus seguieri ssp. glaber)
Oellgaard-Flachbärlapp
(Diphasiastrum oellgaardii)
1
§
Zechsteingürtel Kyffhäuser,
Innerthüringer Ackerhügelland
insb. Vorderrhön, Meininger Kalkplatten, Schalkauer Thüringer WaldVorland, Ilm-Saale-Ohrdrufer Platte
insb. Mittlerer Thüringer Wald,
Hohes Thüringer Schiefergebirge –
Frankenwald, Hohe Rhön,
Vorderrhön, Harz
Nordwestlicher Thüringer Wald,
Mittlerer Thüringer Wald, SchwarzaSormitz-Gebiet, Oberes Saaletal,
Ostthüringer Schiefergeb. – Vogtland
Oberes Saaletal
1
§
Felsen-Fingerkraut
(Potentilla rupestris)
1
-
Graue Scabiose
(Scabiosa canescens)
Krauses Greiskraut
(Tephroseris crispa)
*
-
3
-
2
-
3
-
2
-
R
-
1
-
Magerrasen, Gebüsch- und
Waldränder / ggf. Gehölzentnahme
Borstgrasrasen, Zwergstrauchheiden / Mittlerer Thüringer Wald, Hohes
Bodenverwundungen
Thüringer Schiefergebirge –
Frankenwald
Säume, lichte Wälder,
Oberes Saaletal, Nordthüringer
Halbtrockenrasen / ggf. periodische
Buntsandsteinland
Freistellung
kontinentale Trockenrasen /
vor allem Zechsteingürtel Kyffhäuser,
Schafhutung
Innerthüringer Ackerhügelland
Nasswiesen, Quellstaudenfluren,
Mittlerer Thüringer Wald, Hohes
Erlenwälder / Beweidung, Mahd
Thüringer Schiefergebirge –
Frankenwald
Hackfruchtäcker / extensiver
Grabfeld, Innerthüringer
Ackerbau
Ackerhügelland
Kalkfelsen und Kalktrockenrasen /
Ilm-Saale-Ohrdrufer Platte,
Offenhalten der Standorte
Meininger Kalkplatten
hochmontane Silikat-Gebirgsbäche / Weiträumig isoliert im mittleren
Fließgewässer- und Quellenschutz
Thüringer Wald
kurzrasige Steppenrasen auf
In D nur im Zechsteingürtel
Gipskeuper und Kalk / Offenhaltung Kyffhäuser und östliche Hainleite
Störstellen in mageren KalkMuschelkalk-Höhen der Hainleite,
Halbtrockenrasen / Offenhaltung
der Schmücke und am Mittleren
Saaletal
Glanzloser Ehrenpreis
(Veronica opaca)
Pottmoos
Pottia caespitosa
Steinfliegen-Art
Isoperla silesica
Zwerggrashüpfer
(Stenobothrus crassipes)
Schwacher Langfuß-Erdfloh
(Longitarsus languidus)
lichte, frische Wälder /
Erhaltung lichter Wälder
schattige Bachauen in Wäldern,
Quellstellen
Mittlerer Thüringer Wald, Hohes
Thüringer Schiefergebirge
Mittlerer Thüringer Wald, Hohes
Thüringer Schiefergebirge –
Frankenwald, Harz
Mittlerer Thüringer Wald, Hohes
Thüringer Schiefergebirge, Harz
Meininger Kalkplatten
Erläuterungen: s. Tab. 1; „ * “: ungefährdet
Hochgradig isolierte Vorkommen sind für 30 Thüringer Arten identifiziert worden (Tab. 5).
Es sind vor allem Arten, deren Vorkommen bei uns Relikte kühler nacheiszeitlicher
Klimaperioden, aber auch der postglazialen Warmzeit sind. Vermutlich existieren sie zum
Teil bereits mehrere tausend Jahre isoliert bei uns und besitzen eine höhere genetische
Eigenständigkeit. Sie sind meist hochgefährdet. Auch wegen ihrer biogeographischen
Sonderstellung stehen sie teilweise schon im Mittelpunkt von Schutzbemühungen. So werden
die Vorkommen dieser Arten im Kyffhäuser durch die Maßnahmen des laufenden
Naturschutzgroßprojektes gefördert und in den großen, als Naturschutzgebiet gesicherten
Bereichen geschützt. Auch die Schutzbemühungen für Bergbäche und Hochmoore erhalten
Lebensräume für diese Arten.
15
Tab. 5: Arten mit hochgradig isolierten Vorkommen; aktuelle Gefährdung, gesetzlicher Schutzstatus, Biotopbindung und
Lage der aktuellen Vorkommen.
GeBiotopbindung /
Vorkommen in Thüringen
Art
RLT setz
Erhaltungsmaßnahmen
FFH
Eintagsfliegen-Art
1
hochmontane Silikat-Gebirgsbäche / Mittlerer Thüringer Wald
(Ecdyonurus picteti)
Fließgewässer- und Quellenschutz
Steinfliegen-Art
1
strukturreiche Flüsse /
Mittellauf der Werra
(Brachyptera braueri)
Fließgewässerschutz
Steinfliegen-Art
2
hochmontane Silikat-Gebirgsbäche / Mittlerer Thüringer Wald
(Chloroperla susemicheli)
Fließgewässer- und Quellenschutz
Steinfliegen-Art
2
hochmontane Silikat-Gebirgsbäche / Mittlerer Thüringer Wald
(Leuctra alpina)
Fließgewässer- und Quellenschutz
Köcherfliegen-Art
1
hochmontane Silikat-Gebirgsbäche / Mittlerer Thüringer Wald
(Drusus chrysotus)
Fließgewässer- und Quellenschutz
Köcherfliegen-Art
1
hochmontane Silikat-Gebirgsbäche / Mittlerer Thüringer Wald
(Halesus rubricollis)
Fließgewässer- und Quellenschutz
Vogel-Azurjungfer
1
§§ saubere Gräben in Flussauen /
Helme-Unstrut-Niederung (Helme(Coenagrion ornatum)
Grabenpflege, keine Beschattung
Ried)
Wanstschrecke
2
kräuterreiche Wiesen und
Rhön, Grabfeld, Innerthüringer
(Polysarcus denticauda)
Ruderalflächen, Hochstaudenfluren
Ackerhügelland (bei Eichelborn)
Weinrosen-Laubzikade
R
Trockenrasen mit WeinrosenKyffhäuser, Alter Stolberg, Hainleite,
(Edwardsiana rhodophila)
Beständen / behutsame Offenhaltung Bottendorfer Hügel, Drei Gleichen
Haargraszirpe
1
Keuper-Trockenrasen mit Haargras / Innerthüringer Ackerhügelland
(Praganus hofferi)
Offenhaltung
(Schwellenburg)
Narbiger Brach-Laubkäfer
R
wärmebegünstigte Kalk- und GipsZechsteingürtel Kyffhäuser,
(Rhizotrogus cicatricosus)
Magerrasen / Offenhaltung
Vorderrhön
Rotflügeliger Halsbock
R
§
Faulholz anbrüchiger Buchen, /
Oberes Saaletal
(Corymbia erythroptera)
Erhaltung von „Baumruinen“
Ungarischer Blattkäfer
2
wärmebegünstigte Trockenhänge /
Zechsteingürtel Kyffhäuser
(Cassida pannonica)
Offenhaltung
Wiener Langbaucherdfloh
1
wärmebegünstigte Trockenhänge /
Zechsteingürtel Kyffhäuser,
(Psylliodes vindobonensis)
behutsame Offenhaltung
Zechsteingürtel Südharz (Alter
Stolberg)
Berghexe
1
§
lückige Trockenrasen auf Kalk und
Vorderrhön, Zechsteingürtel
(Chazara briseis)
Gipskeuper / intensive Schafhut
Kyffhäuser
Glockenblumen-Graumönch
1
§
felsige Trockenrasen / Offenhaltung
Zechsteingürtel Kyffhäuser
(Cucullia campanulae)
Platineule
1
Trockenrasen auf KalkschuttIlm-Saale-Ohrdrufer Platte (Hänge
(Apamea platinea)
Halden / Offenhaltung
des Mittleren Saaletals)
Felsflur-Zünslereule
1
Schieferbergbauhalden /
Schwarza-Sormitz-Gebiet
(Zanclognatha zelleralis)
Offenhaltung
(Schwarzatal bei Böhlscheiben)
Felsen-Beifuß
1
§
Binnensalzstellen / Sicherung
Helme-Unstrut-Niederung
(Artemisia rupestris)
Wasserhaushalt, extensive Mahd oder
Beweidung, Konkurrenten beseitigen
Kissenmoos
R
offene kalkhaltige Sandsteinfelsen /
Innerthüringer Ackerhügelland,
ggf. periodische Gehölzbeseitigung
Saale-Sandsteinplatte
(Grimmia plagiopodia)
Drehzahnmoos
R
offene Gipsstandorte/ggf. periodische Zechsteingürtel Kyffhäuser,
(Tortula revolvens)
Gehölzbeseitigung
Zechsteingürtel Südharz,
Innerthüringer Ackerhügelland
Hundszahnmoos
1
Silikatfelsen
Mittlerer Thüringer Wald
(Cnestrum schisti)
Wimpermoos
1
südexponierte Gipshänge /
Zechsteingürtel Südharz
(Asterella saccata)
Sammelverbot
Stelzenstäubling
1
eutrophe Gebüsche / ?
Zechsteingürtel Kyffhäuser
(Battaraea phalloides)
Kleinster Erdstern
1
Trockenrasen / Fortsetzung
Innerthüringer Ackerhügelland,
(Geastrum hungaricum)
extensiver Schafbeweidung
Orlasenke
Steppen-Röteltrichterling
1
Trockenrasen / Fortsetzung
Zechsteingürtel Kyffhäuser
(Lepista abdita)
extensiver Schafbeweidung
Rotporiger Feuerschwamm
2
wärmebegünstigte Eichenwälder /
Zechsteingürtel Kyffhäuser, Hohe
(Phellinus torulosus)
Erhaltung von Alteichen, Fortsetzung Schrecke-Finne, Hainich-Dünhistorischer Waldnutzungsformen
Hainleite
Steppen-Porling
1
Trockenrasen / Fortsetzung
Zechsteingürtel Kyffhäuser
(Polyporus rhizophilus)
extensiver Schafbeweidung
16
Zierlicher BraunsporStacheling
(Sarcodon lepidus)
Gelber Schuppenwulstling
(Squamanita schreieri)
1
-
1
-
wärmebegünstigter EichenBirkenwald über Gips / Fortsetzung
historischer Waldnutzungsformen
wärmebegünstigte Wälder über
Kalk / lichte Waldstrukturen erhalten
Zechsteingürtel Südharz
Innerthüringer Ackerhügelland,
Werrabergland-Hörselberge
Erläuterungen: s. Tab. 1
Die meisten der sieben in Thüringen vorkommenden und nach IUCN (2000) weltweit
gefährdeten Arten besitzen größere Areale, in denen sie aber überall zurückgehen. Sie sind
auch in Thüringen durchweg hoch gefährdet. Es handelt sich um die in der folgenden Tabelle
6 aufgeführten Arten:
Tab. 6: Weltweit gefährdete Arten nach IUCN (2000); aktuelle Gefährdung, gesetzlicher Schutzstatus, Biotopbindung und
Lage der aktuellen Vorkommen.
GeBiotopbindung /
Vorkommen in Thüringen
Art
RLT setz
Erhaltungsmaßnahmen
FFH
Kleine Hufeisennase
1
§§ strukturreiche Siedlungsvor allem Ilm-Saale-Ohrdrufer Platte,
(Rhinolophus hipposideros)
II IV Randbereiche / Quartiererhaltung,
Orlasenke, Zechsteingürtel Bad
Schutz der Kulturlandschaft
Liebenstein, Werrabergland –
Hörselberge
Mopsfledermaus
2
§§ strukturreiche Siedlungsvor allem Eichsfeld, Süd-Thüringen,
(Barbastella barbastellus)
II IV Randbereiche / Quartiererhaltung
Mittleres Saaletal, westliches
(Höhlen und Stollen)
Schiefergebirge, Randhöhen des
Thür. Beckens
Bechsteinfledermaus
2
§§ strukturreiche Wälder / Schutz von
Waldreiche Gebiete unter 600 m ü.
(Myotis bechsteinii)
II IV Höhlenbäumen und
NN
Quartiersicherung
Wachtelkönig
1
§§ offene Flussauen, Bergwiesen /
vor allem Auen von Werra und
(Crex crex)
I* extensive Grünlandpflege
Helme, weitere Auen und Grünländer
der Mittelgebirge
Steinkrebs
1
Quellbäche und Bachoberläufe /
Grabfeld (Main-Einzugsgebiet)
(Austropotamobius torrentium)
Fließgewässerschutz
Helm-Azurjungfer
2
§§ saubere Gräben in Flussauen /
Thüringer Becken: Unstrut(Coenagrion mercuriale)
II
Grabenpflege, Vermeidung von
Einzugsgebiet (v. a. Unstrut, Gera,
Beschattung
Helme)
Kreuzenzian-Ameisenbläuling
1
§
Halbtrockenrasen mit Kreuzenzian /
Ilm-Saale-Ohrdrufer Platte (Mittleres
(Maculinea rebeli)
behutsame Offenhaltung
Saaletal, Steiger bei Erfurt),
Meininger Kalkplatten
Erläuterungen: s. Tab. 1; „I*“ Art des Anhang I der EG-Vogelschutzrichtlinie
Thüringen besitzt große zusammenhängende Gebiete, die einen wesentlichen Beitrag zur
Erhaltung und Entwicklung der Biologischen Vielfalt ganz Deutschlands liefern. Sie zeichnen
sich durch Großflächigkeit, geringere menschliche Beeinträchtigungen (große Naturnähe),
repräsentative Biotope, die aus Bundessicht vor allem in Thüringen besonders ausgeprägt
sind, und eine besonders hohe Vielfalt an Arten und Lebensräumen aus und enthalten oft
einen besonders hohen Anteil von naturschutzrechtlich geschützter Fläche. In einer offenen
Liste wurden 22 Landschaftsteile Thüringens zusammengestellt, die einen hohen Beitrag zur
Sicherung der biologischen Vielfalt Europas leisten.
Tab. 7: Bundesweit bedeutende Landschaftsteile für die Biologische Vielfalt
Gebietsname
Größe/ha
Besonders charakteristische Biotoptypen
Südharz
ca. 11.386
ausgedehnte Hainsimsen-Buchenwälder sowie
Waldmeister-Buchenwälder, Schlucht- und
Hangmischwälder, naturnahe Fließgewässer, Silikatfelsen
17
Gipskarstgebiet im
Südharzvorland
ca. 6.930
Kyffhäuser-Helmestausee
ca. 7.921
Riedgebiete bei Artern und
Bottendorfer Hügel
ca. 3.631
Nördliche Randhöhen des
Thüringer Beckens
ca. 31.876
Südliches Eichsfeld
ca. 18.215
Hainich
ca. 15.348
Riedgebiet im Thüringer
Becken
ca. 3.942
Muschelkalkgebiet
südöstlich von Erfurt
ca. 3.287
Seeberg - Drei Gleichen –
Ohrdrufer MuschelkalkPlatte
ca. 11.416
Thüringisches Werratal
von Breitungen bis Treffurt
ca. 10.065
Nordwestlicher Thüringer
Wald und südliches Zechsteinvorland
ca. 14.667
einmaliges Gipskarstgebiet mit Erdfällen, Höhlen,
Gipsfelsen mit Felsfluren und Gips-Schutthalden, KalkTrockenrasen, Orchideen-Buchenwälder, Schlucht- und
Hangmischwälder
Trockenbiotope über Gips und stellenweise
Karbonsandstein in herausragender Ausdehnung mit
kontinentalen Kalk-Trockenrasen, Gips- und
Silikatfelsen, Eichentrockenwälder und OrchideenBuchenwälder; Waldmeister- und HainsimsenBuchenwälder, Erdfälle, Höhlen, Feuchtwiesen und
-weiden, Binnensalzstellen
bedeutendste Binnensalzstellen Thüringens, Niedermoore
mit Feuchtwiesen und –weiden, BrenndoldenAuenwiesen und Röhrichten, einzige Schwermetallrasen
Thüringens in Verzahnung mit kontinentalen
Trockenrasen
Großflächige Hainsimsen-, Waldmeister- und OrchideenBuchenwälder, Eichen-Hainbuchenwälder, Schlucht- und
Hangmischwälder, Kalkfelsen mit Felsfluren; KalkTrockenrasen, Pionierrasen
Orchideen- und Waldmeister-Buchenwälder, Schluchtund Hangmischwälder, naturnahe Waldgrenzstandort
(Bergstürze) mit Kalkfelsen; Kalkäcker, naturnahe
Fließgewässer
Großflächige unzerschnittene Waldmeister-, Hainsimsenund Orchideen-Buchenwälder, Eichen-Hainbuchenwälder, Schlucht- und Hangmischwälder,
Wacholderheiden, Kalk-Trockenrasen
Reichmoore mit Feuchtwiesen und –weiden,
Großseggenrieden, Röhrichten und Erlen-EschenWäldern, Kalkzwischenmoore mit Pfeifengraswiesen,
Binsenschneide-Ried, wechseltrockene TrespenHalbtrockenrasen, Binnensalzstellen
Eichen-Hainbuchenwälder, Orchideen- und WaldmeisterBuchenwälder, Schlucht- und Hangmischwälder, KalkTrockenrasen, Kalkquellmoore, Pfeifengraswiesen
Eichen-Hainbuchen-Wälder, Orchideen- und
Waldmeister-Buchenwälder, Waldgrenzstandorte
(Bergstürze) mit Kalkfelsen, Kalkschutthalden und
Eichen-Trockenwäldern, kontinentale und
submediterrane Kalk-Trockenrasen, naturnaher Flusslauf,
Kalkquellmoore
Flusslauf mit Altwässern, Auenwiesen, Standgewässer
(Auslaugungsseen), naturnahe Waldgrenzstandort mit
Kalkfelsen und Kalk-Trockenrasen, Orchideen- und
Waldmeister-Buchenwälder
Großflächige Hainsimsen- und WaldmeisterBuchenwälder, enge Schluchten mit Schlucht- und
Hangmischwäldern, Silikat-Felsen, Bergmähwiesen,
Schafhutungen mit Kalk-Trockenrasen, Wacholderheiden
und Kalkquellmooren, naturnahe Fließgewässer
18
Mittlerer Thüringer Wald
ca. 25.303
Thüringische Rhön und
Meininger
Muschelkalkgebiet
ca. 52.150
Gleichberge - Grabfeld
ca. 7.245
Grenzstreifen zwischen
Veilsdorf und Sonneberg
ca. 1.690
Muschelkalkhänge des
Mittleren Saaletals
ca. 15.832
Schwarzatal zwischen
Sitzendorf und Bad
Blankenburg
ca. 1.866
Oberes Saaletal
ca. 9.095
Frankenwald
ca. 3.848
Teichgebiete bei Plothen,
Auma und Neustadt
ca. 3.528
Nordöstliches Altenburger
Land
ca. 9.218
Montane Hainsimsen- und Waldmeister-Buchenwälder,
Schlucht- und Hangmischwälder, naturnahe
Fließgewässer mit Hochstaudenfluren; Bergmähwiesen,
Borstgrasrasen, Hochmoore mit Fischen-Mooswäldern,
Silikatfelsen
Großflächige Schafhutungen mit Kalk-Trockenrasen,
Wacholderheiden, Kalkquellmoore, z. T. mit
Kalktuffquellen;
offene Basaltblockhalden, Blockhaldenwälder (Schluchtund Hangmischwälder), Waldmeister-Buchenwälder,
Orchideen-Buchenwälder, Eichen-Hainbuchenwälder,
Kesselmoore und Erdfallseen, naturnahe Fließgewässer,
Bergmähwiesen, Borstgrasrasen, Zwergstrauchheiden
Eichen-Hainbuchenwälder, Basaltblockhalden,
Blockhaldenwälder (Schlucht- und Hangmischwälder),
Kalk-Trockenrasen, naturnahe Fließgewässer,
Feuchtgrünland
naturnahe Fließgewässer mit Buchenauenwäldern und
Hochstaudenfluren; Übergangsmoore,
Zwergstrauchheiden, Kalk-Halbtrockenrasen, OrchideenBuchenwälder, Eichen-Hainbuchenwälder
Orchideen- und Waldmeister-Buchenwälder, EichenHainbuchenwälder, Schlucht- und Hangmischwälder,
submediterrane Kalk-Trockenrasen, naturnahe
Waldgrenzstandorte mit Kalkfelsen (Bergstürze) und
Kalk-Schutthalden, Kalkquellmoore, Kalktuffquellen
naturnahe Waldgrenzstandorte mit Silikatfelsen,
Felsfluren, Felsgebüschen und Eichen-Trockenwäldern,
sehr naturnahes Fließgewässer, HainsimsenBuchenwälder, Schlucht- und Hangmischwälder
naturnahe Waldgrenzstandorte mit Silikatfelsen,
Felsfluren und Eichen-Trockenwäldern, WaldmeisterBuchenwälder, Schlucht- und Hangmischwälder,
naturnahe Fließgewässer
Montane Hainsimsen- und Waldmeister-Buchenwälder,
Bergmähwiesen, naturnahe Fließgewässer, Steinbrüche
mit Silikatfelsen und -Schutthalden
meso- und eutrophe Fischteiche (größtes Teichgebiet
Thüringens) mit Wasserpflanzen-, Ufer- und Teichbodenvegetation, Verlandungsmoore
Eichen-Hainbuchenwälder, Schlucht- und
Hangmischwälder, naturnahe Fließgewässer,
Auenwiesen, Fischteiche, Bergbaufolgelandschaft mit
Grubengewässern
Insgesamt nehmen diese Landschaftsteile knapp 17 % der Landesfläche ein. Diese größeren
Landschaftsausschnitte mit hoher biologischer Vielfalt dürfen natürlich nicht isoliert betrachtet werden. Über diese hinaus gibt es in allen Landesteilen Thüringens eine Vielzahl kleinerer
Gebiete, die ebenfalls eine hohe biologische Vielfalt aufweisen. Um die Vielfalt all dieser
Landschaftsteile langfristig zu sichern, ist ihre Vernetzung untereinander durch einen
funktionierenden Biotopverbund mit Trittsteinbiotopen wichtig.
19
Thüringen besitzt auch etliche große Landschaftsräume, die von überörtlichen Verkehrswegen
nicht durchschnitten werden. Sie besitzen besondere Bedeutung für Tierarten mit größeren
Aktionsradien.
4. Bilanz der biologischen Vielfalt in Thüringen
4.1 Vergleich der Roten Listen von 1994 und 2001
Thüringen hat 1994 und 2001 Sammelbände Roter Listen herausgegeben. Diese Roten Listen
stellen eine Beschreibung der Gefährdung der heimischen Tier- und Pflanzenwelt, der
Pflanzengesellschaften und Biotope dar und eignen sich für eine Bilanz der Situation der
Biologischen Vielfalt in Thüringen für die Zeit bis Anfang der 1990er-Jahre und der Jahre bis
2000.
Die folgende Übersicht zeigt die summarischen Ergebnisse der Roten Listen 2001 im
Vergleich zu der ersten Roten Liste Thüringens 1994:
1994
2001
Anzahl der Einzellisten
34
59
Arten, gesamt
8.904
17.003
gefährdet,
3.680 (41 %)
7.642 (45 %)
davon ausgestorben oder verschollen
770 (8,6 %)
1.462 (8,5 %)
Pflanzengesellschaften
520
gefährdet,
254 (49 %)
davon ausgestorben oder verschollen
10 (2 %)
Biotoptypen
gefährdet
88
77 (88 %)
633
318 (50 %)
16 (2,5 %)
87
74 (85 %)
Aus diesem Vergleich geht hervor, dass nach wie vor fast die Hälfte der bewerteten Arten und
Pflanzengesellschaften und über 80 % der Biotoptypen in unterschiedlichem Maße gefährdet
sind, wobei ca. 8,5 % der Arten als ausgestorben oder verschollen eingestuft werden mussten
– das waren 2001 insgesamt 1.462 heimische Arten, die nicht mehr bei uns leben. Es wird
weiterhin deutlich, dass die Rote Liste von 2001 schon durch die viel höhere Zahl der
einbezogenen Arten (immerhin 17.000, die einzeln auf ihre Gefährdung hin bewertet worden
sind!) eine hohe Repräsentativität aufweist.
Der Vergleich der Roten Listen von 1994 mit denen von 2001 lässt im Einzelnen deutliche
Veränderungen in der Natur erkennen, die im Aussterben von Arten, in einer Zunahme der
Gefährdung, aber auch in einem Rückgang der Bestandsbedrohung zum Ausdruck kommen.
In dieser Zeit haben einige Gefährdungsfaktoren zu und andere abgenommen.
Durch die Bearbeiter der Roten Listen werden die wesentlichsten Gefährdungsursachen für
Lebensräume, Tier- und Pflanzenarten in Thüringen benannt. Darunter waren besonders
häufig:
• Intensivierung der Landnutzung
(z. B. Biozide und Düngemittel, Verlust von Randstrukturen),
20
•
•
•
•
•
Nutzungsänderungen
(z. B. Verlust von Rohböden auf Truppenübungsplätzen, Aufforstung von Offenland),
Aufgabe traditioneller Nutzung
(z. B. Schafhutung, Mahd, historische Waldnutzung, extensive Teichwirtschaft),
Nähr- und Schadstoffeinträge
(in Gewässer und alle terrestrischen Biotope: Wasser- und Luftverschmutzung),
direkte Zerstörung von Biotopen
(z. B. durch Verkehrs-, Siedlungs- und Industriebauten),
Ausbreitung von Neophyten oder Neozoen
(z. B. infolge Fischbesatz).
Besonders gravierend sind die Folgen des Auflassens extensiv genutzter Flächen. Rohbodenstandorte haben deutlich abgenommen (insbesondere auf ehemaligen Truppenübungsplätzen).
Offene, kurzrasige Grasfluren, Säume und lichte Waldstellen gehen infolge fehlender oder
veränderter Nutzung bzw. Pflege (z. B. Aufgabe von Schafhutung) rapide zurück. So musste
u. a. der Frauenschuh – eine der attraktivsten heimischen Orchideen – in die Kategorie stark
gefährdet hochgestuft werden. Der Steinkauz als typische Eulenart kurzrasiger Grasfluren ist
in Thüringen unmittelbar vom Aussterben bedroht. Auf verschiedene Tiergruppen wirkt das
deutlich erhöhte Straßenverkehrsaufkommen als unmittelbarer Gefährdungsfaktor (z. B.
Säugetiere, Amphibien, Vögel). Durch die diffusen Nähr- und Schadstoffeinträge nehmen
Mykorrhizapilze und mykorrhizaabhängige Pflanzen weiter ab.
Andere Gefährdungsursachen haben in ihrer Intensität im letzten Jahrzehnt deutlich abgenommen. Zu nennen ist in erster Linie die Abwasserbelastung unserer Fließgewässer, deren Reduzierung bereits eine Abnahme der Gefährdung einzelner Arten bewirkt hat (z. B. bei Fischen,
Libellen, Steinfliegen). Die Auswirkungen einer verbesserten Wasserqualität sind allerdings
nicht so gravierend wie sie allgemein erwartet wurden. Ursache ist die meist noch vorhandene
Strukturarmut der Gewässer, die eine weitere Bestandserholung gefährdeter Arten vielfach
begrenzt. Auch die Luftqualität hat sich hinsichtlich verschiedener Parameter offenbar deutlich verbessert. So kann eine leichte Zunahme epiphytischer Arten (Flechten, Moose) und
einiger Waldarten der Schnecken beobachtet werden. Zum Beispiel konnte die Pflaumenflechte, die 1992 noch stark gefährdet war, aus der Liste von 2001 herausgenommen werden.
Die Bemühungen um ein höheres Totholzangebot in den Wäldern (Nationalpark Hainich,
Totalreservate, Naturwaldparzellen) benötigen sicher längere Zeit, bis sie zu veränderten
Gefährdungseinstufungen bei Totholz bewohnenden Arten führen. Auch stehen ihnen
verstärkte Verluste, z. B. durch "Baumsanierungen" im besiedelten Bereich und an Alleen
gegenüber.
In einigen Fällen konnten Arten durch die Besiedlung von Sekundärstandorten ihre Verluste
an ursprünglichen Fundorten etwas ausgleichen (z. B. die Salzpflanze Europäischer Queller an
Rückstandshalden der Kali-Industrie). Neben den genannten Gruppen gibt es auch Bei-spiele
für positive Bestandsentwicklungen oder für eine erfolgreiche Stabilisierung der
Bestandssituation durch Naturschutzmaßnahmen im weitesten Sinne. Eisvogel, Wasseramsel
und Gebänderte Prachtlibelle, die offenbar unmittelbar von der Abwasserreinigung profitierten, sowie Schwarzstorch, Uhu und Wanderfalke, für die direkte Schutzmaßnahmen
erfolgreich waren, sind Beispiele für solche Arten aus Thüringer Sicht. Die Zahl dieser Arten
ist noch relativ gering und auch auf besser bekannte Artengruppen, die im Zentrum spezieller
Schutzbemühungen stehen, begrenzt.
4.2 Erhaltungszustand von Arten und Lebensraumtypen nach der (FFH-)Fauna-FloraHabitat-Richtlinie und EU-Vogelschutzrichtlinie in Thüringen
21
Auf europäischer Ebene sind Regelungen und Ziele zur Erhaltung der Biodiversität in der
Vogelschutzrichtlinie von 1979 und der FFH-Richtlinie von 1992 festgelegt. Die dort vorgeschriebenen national umzusetzenden Maßnahmen und gesetzlichen Regelungen dienen dazu,
die Bestände der Arten und Lebensräume von europäischer Bedeutung langfristig zu erhalten
oder wieder in einen guten Zustand zu bringen. Im Zentrum der FFH-Richtlinie stehen ausgewählte Arten und Lebensraumtypen von gemeinschaftlichem Interesse, für die Schutzgebiete
ausgewiesen werden, sowie Arten von gemeinschaftlichem Interesse, für die ein strenger
Schutz zu organisieren und durchzusetzen ist.
Zur Überprüfung der Wirksamkeit der Maßnahmen sind alle 6 Jahre Berichte zum Erhaltungszustand der Lebensraumtypen und Arten zu erstellen. Im Jahr 2006 wurde auch für den
Thüringer Anteil an der kontinentalen biogeographischen Region ein Bericht erstellt, der das
aktuelle Verbreitungsgebiet, die besiedelte Fläche, die bestehenden Gefährdungen und die
Zukunftsaussichten beschreibt und dahingehend bewertet, ob der Erhaltungszustand günstig
oder unzureichend oder schlecht ist. Diese Bewertung erfolgte nach einem Ampelschema, bei
dem die Bewertung „grün“ (= günstig) für den zu erreichenden oder zu erhaltenden Zustand
steht, wogegen „gelb“ und „rot“ für unzureichend bzw. schlecht stehen.
Insgesamt 62 Thüringer Tier- und 5 Pflanzenarten der Anhänge II und IV der FFH-Richtlinie
sowie 44 Lebensraumtypen wurden so bewertet (Tab. 8 und 9). In den meisten Fällen deckt
sich die thüringische Bewertung mit der Bewertung für die gesamte kontinentale biogeographische Region Deutschlands.
Tab. 8 : Thüringer Arten der Anhänge II und IV der FFH-Richtlinie (92/43/EWG), Bericht
zum Erhaltungszustand 2000-2006, Annex B, Landesübersicht (Stand: 21.12.2006)
Erhaltungszustand (= Gesamtbewertung laut Annex C)
[für kontinentale biogeographische Region in Thüringen bzw. Deutschland]:
FV = günstig; U1 = unzureichend; U2 = schlecht; XX = unbekannt; Populationsgröße nach
Zahl besiedelter Messtischblätter (TK25) bzw. Messtischblattquadranten (TK25Q) oder Zahl
der Vorkommen
Verbreitungsgebiet
Artengruppe
Art
Säugetiere,
sonst.
Feldhamster
Wildkatze
Fischotter
Luchs
Haselmaus
Säuget.,
Flederm.
Mopsfledermaus
Nordfledermaus
Breitflügelfledermaus
Bechsteinfledermaus
Cricetus cricetus
Felis silvestris
Lutra lutra
Lynx lynx
Muscardinus
avellanarius
Barbastella
barbastellus
Eptesicus nilssonii
Eptesicus serotinus
Myotis bechsteinii
Erhaltungszustand
Thüringen Deutschland
65 TK25Q
49 TK25
17 TK25
1 Vork.
U1
FV
U1
U1
U2
U2
U1
U2
41 TK25
FV
XX
103 TK25
FV
U1
39 TK25
86 TK25
79 TK25
U1
U1
FV
U1
FV
U1
22
Artengruppe
Große Bartfledermaus
Teichfledermaus
Wasserfledermaus
Großes Mausohr
Kleine Bartfledermaus
Fransenfledermaus
Kleiner Abendsegler
Abendsegler
Rauhhautfledermaus
Zwergfledermaus
Mückenfledermaus
Braunes Langohr
Graues Langohr
Verbreitungsgebiet
Myotis brandtii
80 TK25
Myotis dasycneme
6 TK25
Myotis daubentonii
118 TK25
Myotis myotis
136 TK25
Myotis mystacinus
124 TK25
Myotis nattereri
128 TK25
Nyctalus leisleri
70 TK25
Nyctalus noctula
98 TK25
Pipistrellus nathusii
60 TK25
Pipistrellus pipistrellus 117 TK25
Pipistrellus pygmaeus 18 TK25
Plecotus auritus
137 TK25
Plecotus austriacus
88 TK25
Rhinolophus
34 TK25
hipposideros
Vespertilio murinus
47 TK25
Kleine Hufeisennase
Zweifarbfledermaus
Amph. /
Reptilien
Geburtshelferkröte
Alytes obstetricans
Gelbbauchunke
Bombina variegata
Kreuzkröte
Bufo calamita
Wechselkröte
Bufo viridis
Schlingnatter
Coronella austriaca
Europäischer
Laubfrosch
Hyla arborea
Zauneidechse
Lacerta agilis
Knoblauchkröte
Pelobates fuscus
Moorfrosch
Rana arvalis
Springfrosch
Rana dalmatina
Kleiner Wasserfrosch Rana lessonae
Nördlicher KammmolchTriturus cristatus
Fische
Groppe
Cottus gobio
Bachneunauge
Lampetra planeri
Schlammpeitzger
Misgurnus fossilis
Bitterling
Rhodeus amarus
Schmetterlinge
SkabiosenScheckenfalter
Euphydryas aurinia
Euplagia
Spanische Flagge
quadripunctaria
Heckenwollafter
Eriogaster catax
QuendelAmeisenbläuling
Glaucopsyche arion
Dunkler Wiesenknopf- Glaucopsyche
Ameisenbläuling
nausithous
Heller WiesenknopfAmeisenbläuling
Glaucopsyche teleius
Haarstrangwurzeleule Gortyna borelii lunata
Erhaltungszustand
U1
U1
FV
U1
FV
FV
U1
FV
FV
U1
FV
FV
U1
U1
U1
U1
U1
FV
FV
FV
XX
XX
FV
FV
U1
U1
U2
U2
U1
XX
105 TK25Q
28 TK25Q
111 TK25Q
44 TK25Q
66 TK25
U1
U2
U1
U2
FV
U1
U2
U2
U2
U1
140 TK25Q
U1
U1
133 TK25
102 TK25Q
25 TK25Q
9 TK25Q
77 TK25
117 TK25
FV
XX
U2
FV
FV
U1
U1
U1
U1
FV
XX
U1
174 TK25Q
76 TK25Q
1 TK25Q
3 TK25
FV
U1
U2
U1
FV
U1
U1
U1
56 TK25Q
U1
U2
11 TK25
FV
FV
1 TK25Q
U2
U2
106 TK25Q
U1
U1
61 TK25
U1
U1
6 TK25
U2
U1
1 TK25Q
U2
XX
23
Artengruppe
Schwarzer Apollofalter
Nachtkerzenschwärmer
Käfer
Hirschkäfer
Eremit, Juchtenkäfer
Libellen
Helm-Azurjungfer
Vogel-Azurjungfer
Asiatische Keiljungfer
Östliche Moosjungfer
Große Moosjungfer
Grüne Keiljungfer
Weichtiere
Flussperlmuschel
Gemeine Flussmuschel
Schmale
Windelschnecke
Bauchige
Windelschnecke
Krebse
Verbreitungsgebiet
Parnassius mnemosyne 2 Vork.
Proserpinus proserpina
Lucanus cervus
Osmoderma eremita
33 TK25
30 Vork.
U1
U1
U1
U2
U1
U1
FV
keine
Bewertung
U1
FV
U1
U1
U1
U1
FV
1 TK25
U2
U2
3 Vork.
U2
U2
27 TK25
U1
U1
2 TK25
U2
U1
4 TK25
U1
U1
3 Vork.
77 TK25
U1
U1
U2
U1
7 TK25
FV
FV
1 Vork.
11 TK25
FV
U1
FV
U1
Coenagrion mercuriale 40 TK25Q
Coenagrion ornatum 5 TK25Q
Gomphus flavipes
1 TK25Q
Leucorrhinia albifrons
Leucorrhinia pectoralis 4 TK25Q
Ophiogomphus cecilia 7 TK25
Margaritifera
margaritifera
Unio crassus
Vertigo angustior
Vertigo moulinsiana
Austropotamobius
torrentium
Steinkrebs
Farn- u. Blütenpfl.
Sumpf-Engelwurz
Angelica palustris
Frauenschuh
Cypripedium calceolus
Trichomanes
Prächtiger Dünnfarn
speciosum
Moose
Grimaldimoos
Mannia triandra
Grünes Besenmoos
Dicranum viride
Erhaltungszustand
U2
U2
U1
XX
U2
Tab. 9 :Thüringer Lebensraumtypen des Anhanges I der FFH-Richtlinie (92/43/EWG),
Bericht zum Erhaltungszustand 2000-2006, Annex D, Landesübersicht (Stand: 21.12.2006)
FV = günstig; U1 = unzureichend; U2 = schlecht; XX = unbekannt;
Natura
2000
FFH-Lebensraumtypen
Fläche in ha
Code (Bezeichnung in Thüringen)
*1340 Salzstellen des Binnenlandes
70
3130 Nährstoffarme Stillgewässer mit
200
Strandlings- und ZwergbinsenVegetation
3140 Nährstoffarme bis mäßig
40
nährstoffreiche, kalkhaltige
Stillgewässer
mit Armleuchteralgen
Erhaltungs
zustand
Thüringen
FV
Gesamtbewertung
kontinentale
Region
U1
U2
U1
U2
U1
24
Natura
2000
FFH-Lebensraumtypen
Fläche in ha
Code (Bezeichnung in Thüringen)
3150 Natürliche nährstoffreiche
600
Stillgewässer
3160 Dystrophe Stillgewässer
2
*3180 Temporär wasserführende
5
Karstseen und -tümpel
3190 Gipskarstseen auf gipshaltigem
2
Untergrund
3260 Fließgewässer mit flutender
1.000
Wasserpflanzenvegetation
3270 Flüsse mit Schlammbänken
90
4030 Trockene Heiden
550
5130 Wacholderheiden
300
*6110 Kalk- oder basenhaltige Felsen
200
mit Kalk-Pionierrasen
6130 Schwermetallrasen
1
(*)6210Trespen-Schwingel-Kalk9.000
Trockenrasen (*: besondere
Bestände mit bemerkenswerten
Orchideen)
*6230 Artenreiche Borstgrasrasen
300
*6240 Steppenrasen
350
6410 Pfeifengraswiesen
90
6430 Feuchte Hochstaudenfluren
1.380
6440 Brenndolden-Auenwiesen der
62
Stromtäler
6510 Extensive Mähwiesen des Flach4.500
und Hügellandes
6520 Berg-Mähwiesen
3.000
*7110 Naturnahe lebende Hochmoore
4
7120 Geschädigte Hochmoore
25
7140 Übergangs- und
150
Schwingrasenmoore
7150 Torfmoor-Schlenken
0,3
*7210 Kalkreiche Sümpfe mit Binsen5
Schneide
*7220 Kalktuffquellen
12
7230 Kalkreiche Niedermoore
65
8150 Silikatschutthalden
150
*8160 Kalkschutthalden
120
8210 Kalkfelsen und ihre
100
Felsspaltenvegetation
8220 Silikatfelsen und ihre
200
Felsspaltenvegetation
8230 Silikatfelskuppen mit ihrer
50
Pioniervegetation
8310 Nicht touristisch erschlossene
50
Höhlen
9110 Hainsimsen-Buchenwälder
28.000
9130 Waldmeister-Buchenwälder
67.000
Erhaltungs
zustand
Thüringen
Gesamtbewertung
kontinentale
Region
U1
U1
FV
U2
U1
FV
U2
U2
U1
U1
U2
U2
U1
U2
U2
U1
U1
U1
U1
U1
U1
U1
U1
U1
U1
U1
U1
U1
U1
FV
U1
U1
U1
U1
U1
U1
U1
U1
U1
U2
U1
U1
U1
U1
FV
U1
U1
U1
U1
U1
XX
U1
FV
FV
U1
FV
U1
FV
U1
FV
U1
FV
U2
U1
FV
FV
25
Natura
2000
FFH-Lebensraumtypen
Fläche in ha
Code (Bezeichnung in Thüringen)
9150 Orchideen-Kalk-Buchenwälder
15.000
9160 Sternmieren-Stieleichen680
Hainbuchenwälder
9170 Labkraut-Traubeneichen12.400
Hainbuchenwälder
*9180 Schlucht- und Hangmischwälder
3.300
*91D0 Moorwälder
150
*91E0 Auenwälder mit Erle, Esche und
3.000
Weide
91F0 Hartholz-Auenwälder mit Eiche,
4
Ulme, Esche
9410 Bodensaure Fichtenwälder
800
Erhaltungs
zustand
Thüringen
U1
Gesamtbewertung
kontinentale
Region
FV
U1
U1
U1
U1
U1
U1
FV
U1
U1
U1
U1
U1
U2
U2
Bei den Tierarten befinden sich 12 Arten in einem schlechten, 29 in einem unzureichenden
und 12 in einem günstigen Erhaltungszustand. Zwischen den einzelnen Artengruppen gibt es
dabei deutliche Unterschiede. Unter den 34 Säugetieren ist lediglich die Kleine Hufeisennase
in einem schlechten Erhaltungszustand und immerhin 11 in einem günstigen. Unter den 15
Amphibien und Reptilien sind mit Gelbbauchunke, Wechselkröte und Moorfrosch 3 Arten in
schlechtem Erhaltungszustand, dagegen 6 in einem günstigen. Unter den 9 Schmetterlingen ist
lediglich eine Art in einem günstigen Erhaltungszustand, 4 dagegen in einem schlechten.
Ebenso problematisch ist die Lage bei den Weichtieren, bei denen 3 der 5 Arten in schlechtem
Erhaltungszustand sind.
Die nötigen Konsequenzen aus der aktuellen Bewertung sind dabei unterschiedlich, da der
Handlungsbedarf außer aus dem Erhaltungszustand auch aus den Erfolgsaussichten und der
Bedeutung der Thüringer Vorkommen für die biogeographische Region abzuleiten ist. So sind
Maßnahmen für die Flussperlmuschel von geringen Erfolgsaussichten. Dagegen ist der
Heckenwollafter auch in den wenigen anderen Vorkommensgebieten Deutschlands selten und
höchst gefährdet, der Zustand des Thüringer Bestandes ist hier also maßgeblich.
Auch für Arten, die in Thüringen einen unzureichenden Erhaltungszustand besitzen, besteht
akuter Handlungsbedarf, wenn die Thüringer Bestände einen bedeutenden Anteil des Gesamtbestandes bilden, wie etwa beim Feldhamster, beim Quendel-Ameisenbläuling oder bei der
Helm-Azurjungfer.
Bei den Pflanzenarten befinden sich zwei Arten in einem günstigen und drei Arten in einem
unzureichenden Erhaltungszustand. Zu den Arten mit günstigem Erhaltungszustand gehören
der Prächtige Dünnfarn und das Grimaldimoos. Die Sumpf-Engelwurz und das Grüne Besenmoos befinden sich in einem unzureichenden Erhaltungszustand. Beim Frauenschuh mit ebenfalls unzureichendem Erhaltungszustand sieht die Situation am kritischsten aus ( wieso?).
Im Vergleich der Zustandsbewertungen der Lebensraumtypen Thüringens mit denen der
gesamten kontinentalen Region heben sich der LRT 1340 (Salzstellen des Binnenlandes),
LRT 3160 (Dystrophe Standgewässer) und der LRT 7210 (Kalkreiche Sümpfe mit Binsenschneide) mit dem Erhaltungszustand „günstig“ ab. Während die letzteren im Land nur relativ
kleine, aber intakte Vorkommen haben, trägt Thüringen mit 70 ha Fläche bei den Binnensalzstellen auch bundesweit eine besondere Verantwortung. Mit einem LIFE-Projekt in den
Schwerpunktgebieten konnten weitere Verbesserungen erzielt werden.
Bei den FFH-Lebensraumtypen des Grünlandes fällt die Thüringer Beurteilung weitgehend
mit der der gesamten Kontinentalen Region in der Einstufung „ungünstig“ zusammen. Neben
26
veränderten Bewirtschaftungsweisen führt vor allem die Auflassung zu Flächenverlusten.
Fels- und Haldenbiotope, die vielfach auch mit einer traditionellen Nutzung verknüpft waren,
leiden in Thüringen besonders unter der mit der Auflassung verbundenen Sukzession, so dass
die aktuellen Flächenverluste gegenüber der gesamten kontinentalen Region zu einer
ungünstigeren Bewertung führen.
„Ungünstig“ stellt sich die Situation bei den meisten Waldlebensraumtypen dar. Zu dieser
Bewertung führen allgemein noch vorhandene Defizite der Funktionen und Strukturen der
Bestände. Dies gilt ganz besonders für die Eichen-Hainbuchenwälder und die ohnehin nur
fragmentarisch vorhandenen Hartholzauenwälder.
In Thüringen ist der Erhaltungszustand von sieben FFH-Lebensraumtypen als schlecht einzustufen, bei vieren davon deckungsgleich mit der Bewertung in der gesamten kontinentalen
Region.
Bei den drei Standgewässertypen 3130 (Nährstoffarme Stillgewässer mit Strandlings- und
Zwergbinsen-Vegetation), 3140 (Nährstoffarme bis mäßig nährstoffreiche, kalkhaltige Stillgewässer mit Armleuchteralgen), 3190 (Gipskarstseen auf gipshaltigem Untergrund) sowie
dem Fließgewässertyp 3270 (Flüsse mit Schlammbänken) führen derzeit bestehende funktionelle und strukturelle Defizite zu ungünstigen Zustandsbeurteilungen. Für 9110 (HainsimsenBuchenwälder) und 9410 (bodensaure Fichtenwälder) wird bei naturgemäßer Bewirtschaftung
eine positive Entwicklung gesehen. Die derzeitigen Funktionen und Strukturen des Lebensraumtyps 4030 (Trockene Heiden) werden in Thüringen als noch vorhanden eingestuft. Fast
alle größeren trockenen Heiden in Thüringen verdanken ihre Entstehung jedoch der
inzwischen aufgegebenen militärischen Nutzung, die Suche nach Nutzungsalternativen
gestaltet sich vielfach schwierig. Mangels besserer Zukunftsaussichten wird dieser
Lebensraumtyp - wie in der gesamten kontinentalen Region - als „schlecht“ eingestuft.
4.3 Bilanz der verschiedenen Naturschutzinstrumente, -projekte und -maßnahmen und
Bewertung ihrer Wirksamkeit
Gesetzlicher Artenschutz
Der gesetzliche Artenschutz, der Regelungen für besonders oder streng geschützte Arten
umfasst, hat bisher nur bedingt Verluste an Biologischer Vielfalt verhindern können. Die im
Zusammenhang mit den artenschutzrechtlichen Bestimmungen der FFH-Richtlinie stehende
Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes vom Dezember 2007 hat jedoch zu einer stärkeren
Berücksichtigung artenschutzrechtlicher Belange im Rahmen von Vorhabensgenehmigungen
geführt.
Artenhilfsprogramme
Sie dienen dazu, die Lebensbedingungen gefährdeter Arten zu verbessern. Zu diesem Zweck
werden zunächst eine Bestandsaufnahme mit einer Erfassung der Populationen und ihrer
Habitate sowie eine Gefährdungsanalyse durchgeführt. Ein darauf aufbauendes Maßnahmenkonzept (Artenhilfskonzept) muss dann in andere Planungen eingearbeitet und/oder von den
regionalen Akteuren umgesetzt werden.
Artenhilfskonzepte sind für eine ganze Reihe von Arten erarbeitet worden, teils landesweit,
teils regional, teils von Seiten der Fachbehörden, teils auch von ehrenamtlichen Fachverbänden und -vereinigungen. Auch die Basiserfassungen für die Arten des Anhangs II der FFH-
27
Richtlinie fanden zum Teil im Rahmen solcher Artenhilfskonzepte statt. Die bisherigen
Ansätze haben Vertreter vieler Artengruppen zum Gegenstand. Bei der Auswahl der Arten
wurde auch beachtet, dass ihre Lebensräume möglichst viele weitere Arten beherbergen, so
dass die vorgeschlagenen Maßnahmen auch ganzen Artengemeinschaften nutzen.
An Säugern sind Kleine Hufeisennase, Wildkatze, Fischotter und Biber, an Vögeln z. B.
Wanderfalke, Schwarzstorch, Weißstorch, Uhu, Auerhuhn, Birkhuhn und Steinkauz, an
Kriechtieren die Kreuzotter, an Amphibien Moorfrosch, Gelbbauchunke und Feuersalamander
und an Wirbellosen Steinkrebs, Bachmuschel, Rhön-Quellschnecke, die Libellenarten Helmund Vogel-Azurjungfer, die Heuschreckenarten Rotflügelige Ödlandschrecke und Wanstschrecke, die Schmetterlingsarten Skabiosen-Scheckenfalter, Heller und Dunkler Wiesenknopf-Ameisenbläuling und Heckenwollafter Arten für die Hilfskonzepte. Bei den Pflanzen
liegen z. B. für Frauenschuh, Sumpf-Engelwurz und Panzer-Sommerwurz, aber auch für die
gesamte Gruppe der Ackerwildkräuter Artenhilfskonzepte vor.
Einige dieser Konzepte wurden umgesetzt. Zum Beispiel: Abwasserentlastung und Unterstützung der Reproduktion für die Bachmuschel an der Milz im Thüringer Grabfeld, quartiererhaltende Maßnahmen für die Kleine Hufeisennase, Waldbewirtschaftungsmaßnahmen für
Frauenschuh, Kreuzotter und Feuersalamander, Horstschutzmaßnahmen für Wanderfalke und
Schwarzstorch oder Landbewirtschaftungsmaßnahmen zur Förderung der Ackerwildkräuter,
für den Feldhamster und für den Rotmilan im Rahmen des KULAP.
Arten- und Biotopschutzprogramm
Mit dem Arten- und Biotopschutzprogramm (ABSP) gemäß § 29 Abs. 2 des vorläufigen
Thüringer Naturschutzgesetzes von 1993 sollte die vorsorgliche Sicherung der wildlebenden
Pflanzen- und Tierwelt und ihrer Lebensräume betrieben werden. Die erste Stufe dieses
Konzeptes auf Ebene der Planungsregionen konnte bereits Ende 1993 vorgelegt werden und
diente der Naturschutzverwaltung insbesondere zur Sicherung vorhandener schutzwürdiger
Flächen. So wurden seine Ergebnisse als Fachbeitrag des biotischen Ressourcenschutzes in
die Landschaftsrahmenpläne 1994 und damit in die Fachgutachten der Regionalplanung
eingearbeitet.
Während der Erarbeitung erster kreisbezogener ABSP wurden bereits kleinere Projekte zur
Verbesserung lokaler Lebensraumstrukturen und Artenhilfsmaßnahmen gestartet. Die umfangreichen Grundlagenerhebungen des ABSP (Luftbildinterpretationen, Biotopkartierungen,
Artenerfassungen) konnten die Anforderungen der aus EU-Recht resultierenden Meldungen
zur Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie bedienen und sind heute eine wichtige Grundlage der
FFH-Management-Planungen.
Investitionen und Projekte für Natur und Landschaft
Mit dem neuen Förderprogramm „Entwicklung von Natur und Landschaft“ (ENL) wurde
2007 im Rahmen der „Förderinitiative Ländliche Entwicklung in Thüringen“ ein Instrument
geschaffen, das das Spektrum des Naturschutzes bis weit in die Regionalentwicklung des
ländlichen Raumes erweitert. Der vorgesehene Finanzrahmen von insgesamt 2 Mio. € im Jahr
erlaubt auch Investitionen nicht nur zur Erhaltung, Wiederherstellung und Entwicklung von
Lebensräumen und Artenschutzmaßnahmen, sondern schließt u.a. Umweltbildung und Öffent-
28
lichkeitsarbeit mit ein. Einen Schwerpunkt des Mitteleinsatzes bilden dabei die Natura-2000Gebiete, für die mit Hilfe von ENL eine Managementplanung erstellt werden soll.
Naturschutzgroßprojekte
Ein übergreifender Ansatz besteht darin, über Naturschutzgroßprojekte ganze Landschaftsteile, für die eine hohe Dichte schutzwürdiger und schutzbedürftiger Lebensräume und Arten
bekannt sind, insgesamt in das Zentrum von Schutzbemühungen zu stellen, um so die Kapazitäten zu konzentrieren und maßnahmenabhängige Erfolge auch nachhaltig sicherstellen zu
können.
So wurden seit 1990 folgende Naturschutzgroßprojekte gefördert und umgesetzt :
„Orchideenregion Jena – Muschelkalkhänge im Mittleren Saaletal“ (1996 – 2008, 10 Mio.€),
„Kyffhäuser“ (1997 – 2008, 6 Mio.€),
„Thüringer Rhönhutungen“ (2002 – 2013, 5 Mio.€).
Bisher konnte nach Beendigung der naturschutzfachlichen Maßnahmen eine deutliche
Verbesserung der Lebensraumqualität beobachtet werden. Die Bilanzierung der Verbesserungen ist allerdings abhängig von der finanziellen Unterstützung des Landes für das
Monitoring.
Mit der Ausweisung der Kerngebiete als NSG wurde in diesen Bereichen eine relative
Pflegesicherheit erreicht.
LIFE-Projekte
Folgende LIFE-Projekte wurden bisher in Thüringen durchgeführt:
• Zwei LIFE-Projekte „Schutz des Lebensraumes Rhön – Baustein im europäischen
Schutzgebietsnetz“ (1993 – 2001, 1,4 Mio.€)
• „Managementplan für das zukünftige Großschutzgebiet Hainich des Europäischen
Netzwerkes Natura 2000“ (1995 – 1999, 560.000 €)
• "Erhaltung und Entwicklung der Binnensalzstellen Nordthüringens" (2003 – 2008, 2,4
Mio.€)
Programm zur Förderung von Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege (NALAP)
Mit dem allein vom Freistaat finanzierten Förderprogramm NALAP sichert Thüringen die
Unterstützung von Projekten des Arten-und Biotopschutzes sowie Maßnahmen des Vertragsnaturschutzes, die sonst durch das Raster der Vorgaben für die von Bund und EU kofinanzierten Programme fallen würden (z.B. Maßnahmen für den Schutz von Fledermäusen bei der
Sanierung von Gebäuden oder ein an die speziellen Anforderungen von Orchideenarten
angepasste Wiesenmahd durch den ehrenamtlichen Naturschutz).
Vertragsnaturschutz
KULAP ist ein von der EU kofinanziertes Programm, das unter die Rubrik „Agrarumweltmaßnahmen“ fällt. Die Programminhalte werden in Entwicklungsplänen für den ländlichen
Raum fixiert und mit der EU-Kommission abgestimmt. Das seit 1993 etablierte KULAP hat
sich zum mittlerweile wichtigsten Instrumentarium zur Umsetzung und Sicherung von Artenund Biotopschutzmaßnahmen entwickelt. In der derzeitigen Förderperiode von 2007 bis 2013
wurden im Jahre 2008 mit ca. 48.000 ha Vertragsfläche und ca. 14 Mio € ( prüfen ?)
verausgabter Mittel im Programmteil N (Naturschutz) ein neuer Höchststand erreicht. Mit den
KULAP-Naturschutzmaßnahmen werden wertvolle Grünlandflächen, insbesondere in Natura
29
2000-Gebieten, in einem guten Erhaltungszustand gesichert. Durch Effizienzkontrollen werden fortlaufend die Maßnahmen geprüft und im Bedarfsfall abgeändert bzw. neue Programmpunkte definiert. Um den Mitteleinsatz noch zielgerichteter auf Lebensräume mit hohem
Handlungsbedarf zur Pflege zu richten, wurde in den Jahren 2006 bis 2008 eine Förderkulisse
für KULAP-Naturschutz entwickelt. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass die im Fachinformationssystem Naturschutz gespeicherte Förderkulisse einen hohen Praxisbezug besitzt.
Defizite ( welche und erfüllbar ?)in der Landschaftspflege erwachsen vor allen Dingen aus
ungenügenden Finanzierungsmöglichkeiten für besonders anspruchsvolle Pflegearbeiten, wie
Entbuschung von Trockenrasen oder differenzierte Mahd im schwer zu bewirtschaftendem
Gelände zum Beispiel zum Schutz hoch bedrohter Orchideenarten. Durch steigende Agrarpreise und Verwendungsalternativen für den Aufwuchs kann der finanzielle Anreiz für den
Landwirt, an KULAP-Programmen teilzunehmen, geringer werden. Bisherige Auswertungen
zur Akzeptanz des neuen KULAP-Programms bestätigen dies jedoch nicht.
Beim Ackerschonstreifenprogramm ist allerdings ein enormer Rückgang der Vertragsflächen
zu verzeichnen, was Verluste an Vielfalt befürchten lässt. Probleme bereiten auch Flächen mit
Vorkommen schutzwürdiger Arten, für die es keine Nutzungs- bzw. Pflegeinteressenten mehr
gibt. Zum Teil übernehmen die unteren Naturschutzbehörden die Pflegearbeiten, sie sind aber
zunehmend überfordert.
Im Sinne der Nutzung von Synergieeffekten bestehen Defizite bei der Extensivierung von
überschwemmungsaktiven Auenflächen. Gerade bei letzteren handelt es sich um Konfliktfelder zwischen Landwirtschaft, Naturschutz und Wasserwirtschaft. Maßnahmen zur Lösung
können nur im gesellschaftlichen Konsens umgesetzt werden und erfordern eine erhebliche
Mittelbereitstellung, um z. B. berechtigten landwirtschaftlichen Interessen gerecht zu werden.
Weitere Fördermöglichkeiten nach KULAP sind der nachstehenden Tabelle zu entnehmen:
Tabelle 10:
Programm zur Förderung umweltgerechter Landwirtschaft, Erhaltung der Kulturlandschaft,
Naturschutz und Landschaftspflege in Thüringen (KULAP 2007)
Landwirtschaft
Ökologischer Landbau, Fruchtartenvielfalt, artenreiches Grünland, Schafhutung (nicht mechanisierbares
Grünland), Ackerlandumwandlung in Grünland (Wiesenbrüter-/Überschwemmungsgebiete), Pflege Hecken und
Schutzpflanzungen
Naturschutz auf Ackerland
Hamster-/Rotmilanschutz1), Nahrungs- und Nistschutzflächen1), Ackerlandstilllegung, Blühflächen, Blühstreifen1), Ackerrandstreifen, Uferrandstreifen1)
Naturschutz auf Grünland
Grünland-Biotoppflege Weiden (Mager- und Trockenstandorte, Bergwiesen und Borstgrasrasen, Feucht- und
Nasswiesen, Wiesenbrütergebiete),
Grünland-Biotoppflege Wiesen (Mager- und Trockenstandorte, Bergwiesen und Borstgrasrasen, Feucht- und
Nasswiesen, Wiesenbrütergebiete, Flachlandwiesen)
Biotoppflege Streuobstwiesen
Gewässerschutz
Reduzierung N-Austrag (N-Saldo) 1), Zwischenfrüchte/Untersaaten1), Mulch- oder Direktsaat1), Teichpflege
Schutz alter Nutztierrassen
Zucht vom Aussterben bedrohter Nutztierrassen
1)
neue Maßnahme seit 2007
Schutzgebietsausweisung
Bei der Ausweisung von Schutzgebieten nach Naturschutzrecht sind seit 1989/90 erhebliche
Fortschritte erzielt worden. Im Mittelpunkt stehen die Naturschutzgebiete. So gibt es mit
Stichtag 30.09.2008 in Thüringen 264 Naturschutzgebiete (einschließlich der Kern- und
Pflegezonen der beiden Biosphärenreservate) mit einer Fläche von 43.873 ha (2,7 % der
Landesfläche).
Die Sicherung gefährdeter und schutzbedürftiger Lebensräume sowie von Habitaten
gefährdeter und schutzbedürftiger Arten vor allem in den Kerngebieten der Naturschutz-
30
Schutzgebietskategorie
Nationalpark Hainich
Biosphärenreservat Rhön
(Thüringer Teil)
Biosphärenreservat
Vessertal-Thüringer Wald
Naturpark Eichsfeld-HainichWerratal
Naturpark Kyffhäuser
Naturpark Thüringer
Schiefergebirge/Obere Saale
Naturpark Thüringer Wald
Naturpark Südharz
Größe in ha
Anteil an der
Landesfläche in %*
7.513
48.828
0.46
3,02
17.028
1,05
87.000
5,38
30.465
82.000
1,88
4,95
208.200
30.000
12,87
1,85
Großprojekte stellten wichtige Schwerpunkte bei der Auswahl der vorrangig auszuweisenden
Naturschutzgebiete dar. Auf der Basis dieser Kriterien wurde von den für die Schutzgebietsausweisung zuständigen Naturschutz-und Fachbehörden eine abgestimmte Arbeitsplanung für
die Naturschutzgebietsausweisung aufgestellt, deren Umsetzung in wesentlichen Teilen schon
stattgefunden hat. Weitere wichtige Maßgabe bei der Schutzgebietsausweisung war und ist die
Prämisse, die Schutzgebietsausweisung konsensual mit den von der naturschutzrecht-lichen
Unterschutzstellung Betroffenen durchzuführen. Auf diese Weise wurden zahlreiche NSG im
Bereich der ehemaligen innerdeutschen Grenze, des „Grünen Bandes“, aber auch auf
ehemaligen militärischen Liegenschaften ausgewiesen. Auch die Kerngebiete der Naturschutz-Großprojekte „Orchideenregion Jena - Muschelkalkhänge im Mittleren Saaletal“ und
„Kyffhäuser“ wurden auf diese Weise als NSG gesichert.
Durch die Ausweisung der Naturschutzgebiete einschließlich der Kern-und Pflegezonen der
Biosphärenreservate sowie den Nationalpark Hainich wurde bisher für ca. 3,2 % der Landesfläche der verbindliche Rahmen zur Erhaltung der dortigen Arten und Lebensgemeinschaften
und damit der biologischen Vielfalt geschaffen.
Ergänzt wird dieses Grundgerüst durch die in Thüringen bisher ausgewiesenen Naturdenkmale, Flächennaturdenkmale, Geschützte Landschaftsbestandteile und Landschaftsschutzgebiete sowie die nach § 18 ThürNatG gesetzlich geschützten Biotope ( Flächenangaben ?). Durch die damit verbundenen punktuellen Unterschutzstellungen und durch
den Schutz charakteristischer Landschaftsbildelemente wie Hecken, Feldgehölze oder Streuobstbestände konnten Verbindungs- und Trittsteinelemente gesichert werden, die für die
Erhaltung der biologischen Vielfalt wichtig sind. Die naturschutzrechtlichen Schutzinstrumente wirken gemeinsam mit den nach dem Thüringer Waldgesetz erlassenen Naturwaldparzellen und –reservaten. Auch hierfür existiert ein Fachkonzept.
Tab. 11: Übersicht der Schutzgebiete und Größen
* Hier sind Überlagerungen mit anderen Schutzgebietskategorien wie Naturschutzgebiet oder Landschaftsschutzgebiet möglich.
Thüringen verfügt darüber hinaus über sieben unter dem Namen „Nationale Naturlandschaften“ zusammengefasste Großschutzgebiete, die ebenfalls wichtige Beiträge zur
Erhaltung der biologischen Vielfalt Thüringens liefern. Hierzu zählen der Nationalpark
Hainich, die beiden Biosphärenreservate „Rhön“ und „Vessertal – Thüringer Wald“ sowie die
vier Naturparke. Die Ausweisung eines weiteren Naturparks „Südharz“ wird derzeit vorbereitet. Die Tabelle 11 gibt einen Überblick über die Nationalen Naturlandschaften:
Fazit: Die Instrumente des Flächen-und Objektschutzes dienen nicht nur einzelnen Schutzerfordernissen, sondern unterstützen als rechtliches Sicherungsinstrument die Durchsetzung
31
naturschutzfachlicher Programme. Es erfolgt ein koordinierter Einsatz. Zudem werden in den
Modellregionen der Biosphärenreservate und Naturparke nachhaltige Landnutzungsformen
und Wirtschaftsweisen erprobt, um das gedeihliche Miteinander von Mensch und Natur in
seiner ganzen Vielfalt zu erhalten und zu entwickeln.
Landschaftsplanung
Die als „querschnittsorientierte“ Fachpläne des Naturschutzes und der Landschaftspflege
angelegten Landschaftsrahmenpläne und Landschaftspläne liegen in einer ersten Generation
(1993 – 2002) für Thüringen weitgehend flächendeckend vor. Bisher gibt es keine differenzierte statistische Auswertung der Inhalte der Landschaftsrahmenpläne und Landschaftspläne
der ersten Generation und ihrer Umsetzung, so dass ihre naturschutzfachlichen Stärken und
Schwächen in Thüringen bisher nicht im Einzelnen bilanziert werden können. Im Überblick
betrachtet lagen die Schwerpunkte der Pläne
• bei der Zusammenstellung verschiedener Grundlagen über die biotischen und abiotischen Schutzgüter des Naturschutzes und daraus abzuleitenden Planungen für die
grundsätzliche Struktur der Flächennutzung,
• bei der Auseinandersetzung mit den damals vielfach in der Planung oder Realisierung
befindlichen Eingriffsvorhaben und
• der Darstellung von Vorschlägen und Anforderungen des Naturschutzes im Hinblick auf
die Raumordnung und die Bauleitpläne.
Aspekte der Biodiversität wurden dabei als Grundlagendaten und als eines der Ziele des
Naturschutzes berücksichtigt, standen aber nicht im Mittelpunkt, weil mit dem „Arten-und
Biotopschutzprogramm“ ein spezielles Planungskonzept vorgesehen war. Dennoch haben die
Darstellungen der Landschaftspläne über die in verschiedenen Gesetzen vorgesehenen
Pflichten zur Berücksichtigung und Integration bei anderen Planungen und Maßnahmen
wesentlich zur Sicherung und Entwicklung der Biodiversität beigetragen, beispielsweise über
die frühzeitige raumordnerische Sicherung vieler für das europäische Schutzgebietssystem
„Natura 2000“ zu meldenden Flächen und die Lenkung von Planungen für Eingriffsvorhaben
auf weniger sensible Bereiche.
Eingriffsregelung und Flächenpools (viel zu lang, kürzen, max. ¾ Seite)
Jeden Tag wird in Thüringen ein Stück Landschaft, ein Stück Natur, ein Lebensraum von
Pflanzen und Tieren für Bauvorhaben, für neue Industriegebiete oder für den Straßenbau in
Anspruch genommen. Das Instrument „Eingriffsregelung“ soll dabei helfen, die Verluste zu
verringern bzw. an anderer Stelle der Natur etwas dafür zurück zu geben. Grundlage hierfür
ist das Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG, Paragraph 18 ff) und das Thüringer Gesetz für
Natur und Landschaft (ThürNatG, Paragraph 6 ff).
In der Eingriffsregelung gilt das Verursacherprinzip. Sie greift laut der gesetzlichen Definition aber nur bei erheblichen Veränderungen der Gestalt oder Nutzung von Grundflächen. Die
tägliche und der guten fachlichen Praxis entsprechende Wirtschaftsweise der Land- und
Forstwirtschaft unterliegt somit nicht der Eingriffsregelung. Will man diese im Sinne der
Biologischen Vielfalt beeinflussen, so sind andere Instrumente des Naturschutzes wie
Vertragsnaturschutz oder Schutzgebietsausweisungen gefordert.
Die Vorhabensträger sind zunächst angehalten, Beeinträchtigungen zu vermeiden bzw. so
gering wie möglich zu halten. Für alle Beeinträchtigungen, die nicht vermieden werden
können, muss Abhilfe durch entsprechende Naturschutzmaßnahmen geschaffen werden.
32
Vom Gesetzgeber wird der Vermeidung von Beeinträchtigungen Vorrang vor allen weiteren
Schritten eingeräumt (§ 7 (2) ThürNatG). Vermeidung ist damit das erste und wichtigste Ziel
der Eingriffsregelung, denn für Natur und Landschaft ist es das Beste, wenn Beeinträchtigungen gar nicht erst entstehen.
Das gelingt am besten, wenn Naturschutzaspekte schon bei der Wahl des Standortes für ein
Vorhaben berücksichtigt werden. Neben der Abklärung des günstigsten Standortes, bestehen
aber noch vielfältige Möglichkeiten, Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft
abzuwenden. Hierzu einige Praxisbeispiele:
• Störungen gefährdeter Tierarten (z. B. des Steinkauzes) können gemindert werden, indem
die Baumaßnahmen außerhalb der Brutzeit und der Aufzucht der Jungtiere durchgeführt
werden,
• die Barrierewirkung von Straßen kann durch die Anlage von Tierdurchlässen (z. B. für
Amphibien) vermieden werden,
• der Boden kann vor Flächeninanspruchnahme und Verdichtung durch Begrenzung von
Baustelleneinrichtungen auf das unbedingt notwendige Maß geschützt werden,
• Die Ökologische Baubegleitung ist ein durchaus geeignetes Mittel, alle ökologischen
Belange vor und während der Bauausführung zu berücksichtigen und die Umsetzung
spezieller Schutz- und Vermeidungsmaßnahmen zu kontrollieren. Bei der Einführung der
Ökologischen Baubegleitung bei den großen Straßenbauvorhaben hatte Thüringen eine
Vorreiterrolle.
Es ist nachvollziehbar, dass die mit einem Vorhaben verbundenen Beeinträchtigungen nicht
immer vollständig vermeidbar sind. Allein die Zunahme der Siedlungs- und Verkehrsflächen belegt dieses eindrucksvoll:
Tab. 12: Zunahme der Siedlungs- und
Verkehrsflächen (SVF) in Hektar pro Tag (ha/d) und
Anteil der Siedlungs- und Verkehrsfläche an der
Landesfläche in %
Jahr
Zunahme SVF
[ha/d]
Anteil SVF [%]
2007
2,1
9,08
2006
1,6
9,04
2005
1,6
9,00
2004
1,0
8,96
2003
2,3
8,94
2002
3,0
8,89
2001
2,4
8,82
2000
2,6
8,77
1999
3,6
8,71
1998
3,6
8,63
1996
6,1
8,44
1992
7,89
Datenquelle: Thüringer Landesamt für Statistik
Diese der freien Natur entzogenen Flächen sind aber nicht automatisch mit einer
Eingriffsfläche gleichzusetzen. Siedlungsflächen umfassen auch Grünflächen, die für seltene
Arten als Rückzugsraum von großer Bedeutung sein können (siehe Kap. 5.2).
33
Für die unvermeidbaren Beeinträchtigungen wird eine Wiedergutmachung (Kompensation)
erforderlich. Bei der Eingriffsregelung besteht diese Kompensation an erster Stelle aus
Ausgleichsmaßnahmen, an zweiter Stelle aus Ersatzmaßnahmen. Ist eine Kompensation in
Natura nicht möglich, so ist eine Ausgleichsabgabe zu leisten.
Eine Untersuchung der in den 90er Jahren festgesetzten Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen
zeigt hinsichtlich ihrer Wirksamkeit und Werthaltigkeit ein unbefriedigendes Bild. Während
der quantitative und qualitative Realisierungsgrad von Kompensationsmaßnahmen bei
Straßenbauvorhaben mit 60 % im bundesweiten Vergleich noch gut war, konnte dieser bei
Bebauungsplänen mit ca. 30% nicht mehr überzeugen.
Hinzu kommen Klagen der landwirtschaftlichen Unternehmen, dass oft die besten Ackerböden für Kompensationsmaßnahmen in Anspruch genommen wurden, auch wenn die
Inanspruchnahme landwirtschaftlich genutzter Fläche für Kompensationsmaßnahmen mit ca.
1 % gemessen an der gesamten landwirtschaftlich genutzten Fläche in Thüringen gering ist.
Neue Konzepte waren und sind gefragt. Schon mit der Änderung des Baurechts 1998 wurden
bauleitplanerische Ökokonten eingerichtet. Erste Flächenpoolmodelle wurden erprobt, auch
um Siedlungsbrachen, wie beim ehemaligen Pionierlager Reila, zu renaturieren. Auf den
gemeinsam von der Landentwicklung und der Naturschutzverwaltung initiierten Flächenpool
Sonneberger Unterland wird Bezug genommen.
Durch die Landesverwaltung wurden darauf aufbauend weitere Flächenpoolvorschläge
erarbeitet, um unter anderem für Vorhaben von regionaler und überregionaler Bedeutung
entsprechende Flächen- und Maßnahmenvorschläge geben zu können. Dabei wurden in
hohem Maße NATURA 2000-Gebiete einbezogen. Vorteile dieses Instrumentes ergeben sich
z.B. durch eine gezielte Erhöhung des Entsiegelungsanteils an Kompensationsmaßnahmen
(Ziel Erhöhung von ca. 10% auf 20%), die Unterstützung des landesweiten Biotopverbundes,
die Möglichkeit frühzeitig abgestimmter und möglichst betriebsintegrierter Maßnahmen auf
Landwirtschaftsflächen oder Synergien bei der Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie wie
durch Gewässerrenaturierungen in Bereichen mit besonders hohem Bedarf. Das Instrument
der Eingriffsregelung dient somit der Umsetzung verschiedener Programme und damit der
Erhaltung und Verbesserung der biologischen Vielfalt.
Mit der Aufnahme der Neuausrichtung der Eingriffsregelung 2006 in das Thüringer Gesetz für
Natur und Landschaft wurde dieser Weg rechtlich abgesichert.
Vorhabensträger haben die Möglichkeit, Kompensationsmaßnahmen in Abstimmung mit der
zuständigen Naturschutzbehörde schon vor der Zulassung des Eingriffs durchzuführen oder in
einem Flächenpool vorgehaltene gleichwertige Maßnahmen zur Kompensation heranzuziehen. Flächenpools können auch außerhalb des vom Eingriff betroffenen Naturraumes
liegende Maßnahmen enthalten.
Einen wichtigen Beitrag wird in diesem Rahmen die Stiftung Naturschutz Thüringen leisten.
Aus Mitteln der naturschutzrechtlichen Ausgleichsabgabe können o.g. Schwerpunkte im
Sinne eines revolvierenden Fonds durch vorgezogene Maßnahmen umgesetzt werden – zur
frühzeitigen Aufwertung von Natur und Landschaft, mit Erleichterungen für Vorhabensträger
und zur Lösung von Landnutzungskonflikten.
Fazit: Die Eingriffsregelung ist kein Verhinderungsinstrument. Sehr wohl konnten durch eine
konsequente Anwendung des Vermeidungsgebotes schlimmere Auswirkungen auf wertvolle
Teile von Natur und Landschaft vermieden werden. Die Neuausrichtung der Eingriffsregelung, hier insbesondere die Flächenpoollösungen, steigern Akzeptanz und Werthaltigkeit
34
von Kompensationsmaßnahmen, indem diese nach Möglichkeit konsequent zur Erfüllung
übergeordneter Zielsetzungen eingesetzt und einvernehmlich entwickelt werden.
Sonstige Instrumente
•
Umweltbildung/Bildung für nachhaltige Entwicklung
Umweltbildung ist ein wichtiger Arbeitschwerpunkt der Verwaltungen der Nationalen
Naturlandschaften in Thüringen. Viele Veranstaltungen, die sich an verschiedene
Nutzergruppen richten, werden regelmäßig durchgeführt (Vorträge, geführte Wanderungen, Projekte mit Schulen, Naturerlebnistage, etc.). Insbesondere Schüler stellen eine
intensiv betreute Nutzergruppe dar. Im Zusammenhang mit der UN-Dekade „Bildung für
Nachhaltige Entwicklung“ wurden verstärkt in diesem Bereich Bildungsangebote
gemacht.
Ergänzt werden diese Bildungsangebote des Nationalparks, der Biosphärenreservate und
Naturparke durch Angebote der Zertifizierten Natur- und Landschaftsführer des jeweiligen
Gebietes.
• Flurneuordnung
Synergien mit der Landentwicklungsverwaltung wurden vielfach genutzt. Im Rahmen der
Zusammenarbeit wurden eine Vielzahl von Maßnahmen durch Verfahren nach dem Flurbereinigungsgesetz flankiert. Hierzu zählt die Verdichtung von Biotopverbundsystemen
(z.B. Wildkatzenkorridor), die Sicherung von Uferschutzstreifen, die Sicherung von
Schutzflächen für bedrohte Arten u. a. Als gemeinsame Großprojekte sind das EU-LIFEProjekt zur Erhaltung der Binnensalzstellen im Esperstedter Ried und die Sicherung des
Grünen Bandes als Deutschlands größter Biotopverbund zu nennen. Im Bereich des
Grünen Bandes wurden bislang nahezu 30 Verfahren nach dem Flurbereinigungsgesetz
angeordnet.
Darüber hinaus erstreckte sich die Zusammenarbeit auf die Einrichtung und Verwaltung
von Flächenpools zur Bereitstellung von Flächen für Kompensationsmaßnahmen und die
Moderation bei der Erarbeitung von Konzepten unter Beteiligung von Bürgern, Verbänden und Behörden.
5. Biologische Vielfalt in den Landschaften und Lebensräumen Thüringens
Nach der Darstellung der bisherigen Bilanz der biologischen Vielfalt mehr aus der Sicht des
Naturschutzes soll im folgenden eine Situationsbeschreibung aus den anteilmäßig größten
Landschaften und Lebensräumen die Bilanzierung abrunden.
5.1 Biologische Vielfalt in den Agrarlandschaften
Ausgangslage
Die Landwirtschaft ist Nutzer und Gestalter der biologischen Vielfalt auf etwa 54% der
Bodenfläche Thüringens. Sie beeinflusst über unterschiedlich intensive Formen der
Bewirtschaftung maßgeblich Erhalt und Entwicklung der Agrarökosysteme, der dort lebenden
Arten und der genetischen Vielfalt innerhalb der Arten. Agrobiodiversität bezeichnet den von
Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft genutzten Teil der Biodiversität, der die Vielfalt der
Arten (Kulturpflanzen, Nutztiere), die genetische Vielfalt (Sorten, Rassen, Genotypen) und
die Vielfalt der genutzten Ökosysteme (Wildarten, Strukturen im Agrarraum) umfasst. Sie ist
ein wesentlicher Teil der gesamten biologischen Vielfalt in Thüringen.
Naturraumbedingt ist die Verteilung der Landwirtschaftsfläche und der Landnutzungsformen
regional sehr differenziert. Von der landwirtschaftlich genutzten Fläche (LF) entfallen derzeit
35
77 % auf das Ackerland, während 22 % als Dauergrünland bewirtschaftet werden. 1991 betrug
der statistisch erfasste Grünlandanteil an der LF noch 18,4 %. Während im Thüringer Becken
und im Altenburger Land der Grünlandanteil unter 10% der LF liegt, erreicht er im Thüringer
Wald und in der Hohen Rhön mehr als 50 %.
Zur Beschreibung der Ausgangslage existieren neben vorliegenden Statistiken nur wenige
spezielle Untersuchungen. Vorliegende Daten wurden in die Erstellung der nachfolgend
dargestellten Bilanzen einbezogen.
Ziele (für Zeitraum 1990 bis 2008 ??)
Die Thüringer Landwirtschaft musste und muss sich der Herausforderung stellen, den für die
Landwirtschaft genutzten Teil der biologischen Vielfalt zu erhalten, ihre Potentiale weiter zu
erschließen und nachhaltig zu nutzen. Gleichzeitig steht die Thüringer Landwirtschaft aber
auch in der Verantwortung, ihren Beitrag zur steigenden Marktnachfrage nach Biomasse
(Nahrungs- und Futtermittel, Rohstoffe und Energie) zu leisten. Die Landwirtschaft muss
daher sowohl Schutz- als auch Nutzinteressen gerecht werden. Auf Landwirtschaft und
Biodiversität in Agrarökosystemen wirken sehr unterschiedliche Einfußfaktoren (Abbildung
01).
Klima/
Standort
Agrar-/ Energie-/
Rohstoffmärkte
Verbrauchernachfrage
Technischer
Fortschritt
Erzeugung
Nahrungsmittel, Rohstoffe, Energie
Erhalt / Pflege
Kulturlandschaft
Nutzung / Schutz
Ressourcen
Landwirtschaft
multifunktional
abiotisch (Boden, Wasser, Luft)
biotisch (Flora, Fauna)
Wirtschaftsfaktor
im ländlichen Raum
Lenkungsinstrumente (Agrar- und Umweltpolitik)
Fachrecht
Cross Compliance
(insbesondere Düngung, z.B.
Düngeverordnung, Pflanzen-,
Wasser- und Naturschutz,
z.B. Natura 2000)
(spezifische
Bewirtschaftungsvorgaben)
Freiwillige
Agrarumweltmaßnahmen
(KULAP Thüringen)
Abbildung 01: Einflussfaktoren auf Landwirtschaft und Biodiversität in Agrarökosystemen
Sich ändernde Rahmenbedingungen (hier insbesondere Klimawandel, Märkte, Politik) führen
dazu, dass sowohl die Landnutzung als auch die biologische Vielfalt einer dynamischen
Entwicklung unterliegen. Um diesen Herausforderungen zu begegnen, bedarf es der
Innovationsfähigkeit von Landnutzung und Agrarwirtschaft.
Eine nachhaltige, d.h., ökologischen, wirtschaftlichen wie auch sozialen Anforderungen
Rechnung tragende Landwirtschaft zielt auf einen höchstmöglichen betrieblichen wie auch
gesellschaftlichen Gesamtnutzen ab.
Erhalt und Nutzung der Agrobiodiversität bei gleichzeitiger Erhaltung natürlicher Ökosysteme und bedrohter Arten erfordert den Einsatz nachhaltiger Nutzungssysteme. Hierzu
bedarf es:
36
-
einer gezielten Analyse und Bewertung des Einflusses verschiedener Nutzungssysteme
auf die biologische Vielfalt,
der Darstellung und monetären Bewertung von Maßnahmen und Leistungen der
Landwirtschaft für Erhalt und Verbesserung der biologische Vielfalt,
einer leistungsgerechten Vergütung zusätzlich erforderlicher Maßnahmen zum Erhalt
der biologische Vielfalt,
der langfristigen Verfügbarkeit eines breiten Spektrums nutzbarer Arten, Sorten und
Rassen und
spezieller Aus- und Weiterbildungsangebote für Landwirte.
Mit den Programmen zur Förderung umweltgerechter Landwirtschaft, Erhaltung der
Kulturlandschaft, Naturschutz und Landschaftspflege (KULAP) sowie den Programmen des
Vertragsnaturschutzes (NALAP) verfolgt Thüringen Ziele zur Verbesserung der biologischen
Vielfalt (siehe Kap. 4.3).
Projekte und Maßnahmen
- Agrarumweltmaßnahmen
Thüringen bietet seit 1993 ein gebietsspezifisches Programm zur Förderung umweltgerechter
Landwirtschaft, Erhaltung der Kulturlandschaft, Naturschutz und Landschaftspflege (KULAP)
an. Das KULAP-Programm hat sich bewährt und ist daher auch Bestandteil der
Förderinitiative Ländliche Entwicklung in Thüringen 2007-2013 ´(FILET).
- Programme zum Erhalt der genetischen Vielfalt in der Tierzucht
Zuchtprogramme und -strategien der Tierzuchtverbände orientieren sich an einer Vielzahl
wirtschaftlich relevanter Kriterien. Diese existieren für Milch- und Fleischrinder (Leistung,
Produktqualität, Fruchtbarkeit, Nutzungsdauer, Gesundheit), Pferde (Exterieur und Leistung),
Schweine (Leistung und Fruchtbarkeit), Schafe (Leistung und Futterverwertung) und Ziegen
(Leistung und Fruchtbarkeit). Genetische Vielfalt bildet eine wichtige Voraussetzung für
Zuchtfortschritte und für die Nutzungsvielfalt der Nutztierarten.
Zur aktiven Erhaltungsarbeit für gefährdete Nutztierrassen werden folgende Maßnahmen bzw.
Projekte umgesetzt:
• Förderung der Zucht vom Aussterben bedrohter einheimischer Nutztierrassen im
KULAP (8 Rassen),
• Arche-Höfe (Ziegenhof Peter, Greußen und Arche-Rhönschafhof, Schernberg) und
• Modellprojekt Thüringer Wald Ziege.
- Erweiterung Anbauspektrum im Pflanzenbau
Durch Schaffung neuer Verwertungslinien, u. a. mit nachwachsenden Rohstoffen ergibt sich
eine Erweiterung des Anbauspektrums im Pflanzenbau. Von Thüringen wird seit 2006 das
bundesweite Forschungsprojekt „Entwicklung und Vergleich von optimierten Anbausystemen
für die landwirtschaftliche Produktion von Energiepflanzen unter den verschiedenen
Standortbedingungen Deutschlands“ koordiniert. In diesem Projekt werden zahlreiche
Fruchtarten und Anbausysteme getestet. So konnten in Thüringen bereits Zuckerhirse und
durchwachsene Silphie in die Praxis überführt werden. Des weiteren werden
Agroforstsysteme im Thüringer Lehr-, Prüf- und Versuchsgut getestet. Seit 2004 wird den
Landwirten im Rahmen des KULAP die Förderung der Fruchtartendiversifizierung auf
Ackerflächen und von Blühflächen auf stillgelegten Flächen angeboten.
37
Bilanz
- Vielfalt im Pflanzenbau
Auf dem Ackerland werden aktuell über 100 verschiedene Kulturpflanzenarten angebaut,
darunter über 45 landwirtschaftliche Fruchtarten. Letztere nehmen einen Flächenanteil von
über 98% der Ackerfläche ein. Auf etwa 60% der Ackerfläche erfolgt der Anbau von
Getreide. Der Feldgemüseanbau erstreckt sich auf mehr als 25 Arten. Außerdem werden in
Thüringen Erdbeeren, Tabak sowie weitere Gartenbaukulturen und Zierpflanzen mit einer
großen Sortenvielfalt angebaut. Über 16 verschiedene, mehrjährige Sonderkulturen werden in
Thüringen kultiviert, wozu Obstplantagen, Baumschulflächen und Rebflächen zählen.
Darüber hinaus bereichern Hopfen, Färberwaid, Faserhanf und andere Handelsgewächse das
Anbauspektrum in Thüringen. Thüringen ist ein traditionelles Anbaugebiet von Heil-, Duftund Gewürzpflanzen mit bundesweit bedeutsamen Anbauumfängen. Jährlich werden etwa 25
verschiedene Heil-, Duft- und Gewürzpflanzenarten angebaut, als Hauptkulturen Kamille,
Pfefferminze, Melisse und Baldrian.
Innerhalb der Arten erweitert ein reichhaltiges Sortenspektrum die genetische Vielfalt. Der
züchterische Fortschritt bringt ständig neue Sorten hervor, die speziellen Standortbedingungen
und Qualitätsanforderungen immer besser gerecht werden. Beispielsweise erhöhte sich die
Vielfalt der in Deutschland angebauten Maissorten von 349 Sorten im Jahr 1996 auf 516
Sorten im Jahr 2006. Eine Zunahme der Sortenvielfalt ist auch im Getreide- und Rapsanbau
festzustellen. Von 2000 bis 2006 erhöhte sich die Anzahl der in Thüringen angebauten
Getreidesorten von 84 auf 87 bzw. bei Raps von 15 auf 28 Sorten. Die Sortenvielfalt ist bei
den Fruchtarten am höchsten, die einen hohen Anbauumfang aufweisen und/oder neuen
Verwendungsrichtungen dienen.
Besonders positive Wirkungen auf die biologische Vielfalt und eine vielfältige
Kulturlandschaft erreichte das seit 1993 angebotene Thüringer Programm zur Förderung von
umweltgerechter Landwirtschaft, Erhaltung der Kulturlandschaft, Naturschutz und
Landschaftspflege (KULAP), an dem sich jeder zweite Landwirtschaftsbetrieb im Freistaat
beteiligte und dessen Maßnahmen insgesamt rund 36 % der LF betreffen.
Die Extensivierungsmaßnahmen auf 24,1% der Ackerfläche, darunter kontrolliert-integrierte
Anbauverfahren, ökologischer Landbau sowie die Schaffung von Zwischenstrukturen, führten
zu einer Erweiterung des Artenspektrums wildlebender Pflanzen- und Tierarten (Abb. 02).
Beispielsweise wurden auf Brachestreifen 143 Pflanzenarten, auf Blühflächen 241 und auf
ökologisch bewirtschafteten Flächen 208 Arten mit über 30% Bedeckungsgraden registriert
im Gegensatz zu konventionell bewirtschafteten Flächen, auf denen insgesamt 173
Ackerwildkrautarten mit bis zu etwa 5% Gesamtdeckung nachgewiesen wurden. Einen
besonders hohen Wert für den Schutz seltener und gefährdeter Ackerwildkräuter besitzen
Ackerrandstreifen, auf denen 27 Arten der Roten Liste Thüringens festgestellt wurden.
38
Abbildung 02:
Bewertung der Laufkäferzönosen auf
unterschiedlich
bewirtschafteten
Ackerflächen
Etwa 80 % des Dauergrünlandes in Thüringen unterlag bislang im Rahmen des KULAP
zusätzlichen Extensivierungsauflagen bzw. einer gezielten Biotoppflege. Über 750 Gräser-,
Kräuter- und Leguminosenarten wurden auf den Thüringer Dauerbeobachtungsflächen erfasst.
In ganz Deutschland sind etwa 2000 verschiedene Grünlandpflanzenarten bekannt.
Die geförderten Bewirtschaftungsweisen bewirkten die weitere Anpassung der
Pflanzenbestände an die vielfältigen Standort- und Bewirtschaftungsbedingungen (Abb. 03).
Abbildung 03:
Entwicklung der Vielfalt der
Pflanzengesellschaften durch
Grünlandextensivierung und
gezielte Biotoppflege
Dabei konnten vielfältige und artenreiche Pflanzenbestände, z.B. mit über 40 Pflanzenarten
der Roten Liste Thüringens bzw. 31 anspruchsvolle Arten spezieller Standorte, wie auf
beweideten Trocken- und Magerrasen erhalten werden (Abb. 04).
39
Abbildung 04:
Artenvielfalt
Grünlandvegetation
der
- Vielfalt in der Tierhaltung
Bei den Nutztierarten hat sich im Vergleich von 1990 zu 2007 eine unterschiedliche
Entwicklung in der Vielfalt gehaltener Rassen vollzogen (Tabelle 01). Mit Ausnahme der
Schweine hat sich bei allen Nutztierarten die Anzahl der Rassen deutlich erhöht. In
Verbindung mit der Grünlandextensivierung ist eine Vielzahl von Fleischrind- und
Schafrassen hinzugekommen. Die sehr starke Erweiterung der Rassenvielfalt beim Pferd steht
im engen Zusammenhang mit der Nutzung dieser Tiere im Freizeitbereich. Die neu
hinzugekommenen Rassen sind, mit Ausnahme beim Milchrind, selten/gefährdet und/oder mit
besonderen Eigenschaften ausgestattet.
Die Entwicklung des Rinderbestandes ist von 1995 zu 2007 stark rückläufig, Der Bestand an
Milchkühen ist im Betrachtungszeitraum von 164.041 auf 116.467 gesunken, während der
Bestand an Mutterkühen von 30.000 auf 38.052 angestiegen ist. Eine deutliche Abnahme im
Bestand ist auch bei den Schafen zu verzeichnen. Trotzdem gehört Thüringen mit 27
Tieren/100ha LF nach wie vor zu den Regionen mit dem höchsten Schafbesatz in
Deutschland.
Tabelle 12: Entwicklung der Rassenvielfalt und Tierbestände der Nutztierarten in Thüringen
Rassen (Anzahl)
Tierbestand (Stück)
Tierart
1990
2007
1995
2007
Milchrind
1
6
468.226
347.194
Fleischrind
1
18
Pferd
6
26
7.815
9.310
Schwein
7
7
659.700
775 600
Schaf
7
20
241.886
214.761
Ziege
3
8
2.732
13.281
Landwirtschaftliche Wildhaltung
3
5
741
4.598
(Wildwiederkäuer)
8
8
Wirtschaftsgeflügel
3.607.000
4.983.000
Rassegeflügel
336
378
Kaninchen
54
234
41.649
84.217
*)
Arten
Bei allen anderen Tierarten (Pferd, Schwein, Ziege, landwirtschaftliche Wildhaltung, Geflügel
und Kaninchen) hat die jeweilige Tierzahl deutlich zugenommen. Das gilt insbesondere für
die Ziegen. Beispielhaft sind die erfolgreichen Bemühungen zum Erhalt der „Thüringer Wald
Ziege“. Der Bestand dieser leistungs- und widerstandsfähigen heimischen Rasse hatte sich
von 53.000 Tieren im Jahr 1935 auf 88 Zuchttiere im Jahr 1992 reduziert. Dank dem
gemeinsamen Engagement Thüringer Züchter und der Gesellschaft zur Erhaltung alter und
40
gefährdeter Haustierrassen gelang es, die „Thüringer Waldziege“ zu erhalten. Mit Hilfe eines
bundesweiten Modellprojektes wurde eine zentrale Zuchttierdatenbank geschaffen mit der die
Anpaarungsberatung für eine länderübergreifende Erhaltungszucht optimiert werden konnte.
Aktuell sind bundesweit 942 Zuchttiere erfasst.
Die KULAP-Förderung der vom Aussterben bedrohten einheimischen Nutztierrassen (Rotes
Höhenvieh, Rhönschaf, Leineschaf, Thüringer Wald Ziege, Schweres Warmblutpferd,
Rheinisch-Deutsches Kaltblutpferd, Deutsches Sattelschwein) hat dazu beigetragen, dass der
eingetragene Zuchttierbestand zugenommen hat (Tabelle 02).
Tabelle 13:
Entwicklung der Zuchttierbestände heimischer, vom Aussterben bedrohter
Nutztierrassen in Thüringen
Nutztierasse
Rotvieh, Zuchtrichtung Höhenvieh
Rhönschaf
Leineschaf, ursprünglicher Typ
Thüringer Wald Ziege
Schweres Warmblutpferd
Sächsisch-Thüringisches Kaltblutpferd1)
Deutsches Sattelschwein
1)
weibliche und männliche Zuchttiere (Stück)
2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006
92
872
582
256
324
152
60
117
1.073
550
273
340
161
56
121
1.841
548
283
362
178
43
125
2.076
605
322
415
190
50
133
2.145
599
311
406
187
54
92
2.307
629
285
437
184
59
101
2.149
647
270
439
187
62
Entwicklung
2006 zu
2000 (%)
110
246
111
106
136
123
103
ab 2004 Rheinisch-Deutsches Kaltblut
In der Förderperiode 2007-2013 wird zusätzlich zu diesen 7 Nutztierrassen die Zucht von
Böcken der Rasse Merinolangwollschaf gefördert.
Thüringen gehört mit 47,5 Großvieheinheiten je 100 ha LF im Jahr 2007 zu den Regionen mit
dem niedrigsten Viehbesatz.
1.939 Imker hielten im Jahr 2006 insgesamt 15.868 Bienenvölker im Freistaat. Die Anzahl der
gehaltenen Bienenvölker ist weiterhin leicht rückläufig.
In der Kaninchenzucht sind 234 Rassen und Farbschläge in die Vereinszuchtbücher
eingetragen. Die Tierzahl ist tendenziell steigend.
Beim Rassegeflügel betreut das Zuchtbuch 83 Zuchten.
- Vielfalt der Landnutzungssysteme
In Thüringen existieren 18 Landnutzungssysteme unterschiedlichster Bewirtschaftungsintensität. Auf etwa 1/3 der landwirtschaftlich genutzten Fläche werden extensive und
naturschutzkonforme Wirtschaftsweisen bzw. Pflegeverfahren praktiziert. Dadurch blieben
natürliche und kulturhistorisch begründete Landschaftsformen, wie Steilhänge,
Terrassenlandschaften, Wiesentäler, Hutelandschaften u.a. in beträchtlichem Umfang erhalten.
Der Anteil der Ökofläche stieg im Zeitraum von 1993 bis 2007 kontinuierlich an und erreichte
2006 4% an der LF Thüringens. Das Landschaftsbild der verschiedenen Kulturlandschaften
wird durch einen hohen Flächenanteil weniger Fruchtarten (Getreide und Raps) geprägt.
Dennoch werden landesweit viele Arten auf den Ackerflächen angebaut.
Naturnahe Strukturelemente in der Agrarlandschaft, zum Beispiel Hecken, Baumreihen und
Feldraine, dienen in besonderem Maße wildlebenden Tieren und Pflanzen als Lebens- und
Rückzugsraum. Im Jahr 2006 wurden im Rahmen der Betriebsprämienregelung über 28000
verschiedene Landschaftselemente mit einer Gesamtfläche von 2.131 ha von Landwirten
ausgewiesen. Erhalt und Entwicklung der vorhandenen Strukturen sowie Erweiterung und
Neuschaffung werden durch unterschiedliche Förderprogramme bezuschusst.
41
5.2 Biologische Vielfalt im besiedelten Bereich in Thüringen
- Ausgangslage
Der Freistaat Thüringen ist ein ländlich geprägtes Bundesland, in dem Dörfer und kleinere
Städte dominieren. Die ländlichen Strukturen wurden in den vergangenen Jahrhunderten
mehrfach verändert. In den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts begann eine weitere
Phase dörflicher Umgestaltung, in denen sich einerseits die Stadtflucht massiv verstärkte,
andererseits besonders in der Nähe größerer Städte neue Wohngebiete in Dörfern entstanden
und sich das Leben dort durch die neuen sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen sehr
schnell wandelte.
Die Unterschiede zwischen Stadt und Land verwischen zunehmend. Die vom Menschen selbst
geschaffene Eigenart und Vielfalt der alten dörflichen Strukturen geht dabei unaufhalt-sam
verloren. Kaum bekannt ist, dass in diesen besiedelten Bereichen eine spezielle biolo-gische
Vielfalt an Pflanzen und Tierarten vorkommt, die dort teilweise auch wichtige Ersatzlebensräume gefunden haben.
Dass die besiedelten Bereiche beim Verlust der weltweiten biologischen Vielfalt eine Rolle
spielen, wurde bereits 1992 in der UN-Konvention über die biologische Vielfalt (CBD) und
im Rahmen der Lokalen Agenda 21 thematisiert und in den jeweiligen Vertragsstaatenkonferenzen intensiv diskutiert. Allerdings wurden die Gefahren, die vom besiedelten Bereich
auf die biologische Vielfalt ausgehen, im Allgemeinen nur unzureichend berücksichtigt.
Im Mai 2008 trafen sich in der Landeshauptstadt Erfurt rund 400 Fachleute aus Wissenschaft,
Planung und kommunaler Praxis aus fast 50 Ländern, um zum ersten Mal auf einer weltweiten Konferenz aktuelle wissenschaftliche und praktische Ansätze zur Umsetzung der Konvention über die biologische Vielfalt im besiedelten Bereich in Vorträgen und Posterpräsentationen vorzustellen, gemeinsam zu diskutieren und zu beurteilen.
- Ziele und Bedeutung
Im Zusammenhang mit den Zielen der Biodiversitätskonvention ist die biologische Vielfalt im
besiedelten Bereich vor allem aus folgenden Gründen wichtig:
− urbane Ökosysteme haben eigenständige und charakteristische Eigenschaften,
− Städte und Dörfer sind wichtige Zentren der Evolution und Anpassung,
− besiedelte Bereiche sind vielschichtige „Hotspots“ und Schmelztiegel regionaler
Biodiversität,
− biologische Vielfalt im urbanen Bereich leistet einen signifikanten Beitrag zur
Lebensqualität einer zunehmend durch Städte geprägten globalen Gesellschaft und
− biologische Vielfalt im urbanen Bereich ist die einzige Biodiversität, mit der viele
Menschen täglich Kontakt haben.
Biologische Vielfalt und Naturerfahrung im urbanen Bereich kann deshalb der Schlüssel zum
Erhalt der globalen Biodiversität sein, weil Menschen sich nur dann für die biologische Vielfalt engagieren, wenn sie direkten Kontakt dazu haben.
Da in Thüringen die ländlichen Regionen mit zahlreichen Dörfern und ihren Dorfbiotopen
überwiegen, soll ihre Bedeutung für die biologische Vielfalt besonders hervorgehoben
werden:
42
Dorfbiotope in Thüringen
Dorfbiotope und Ihre charakteristischen Arten gehörten bis etwa 1950 zum selbstverständlichen Erscheinungsbild der Dörfer. Von da ab vollzog sich mit dem Strukturwandel in der
Landwirtschaft auch eine Änderung in der Zusammensetzung der Arten in den Dörfern.
Dennoch wiesen die thüringischen Dörfer Anfang der 90er Jahre des vergangenen
Jahrhunderts im Vergleich zu vielen Gemeinden in den alten Bundesländern noch
bemerkenswert zahlreiche und vielfältige Dorfbiotope mit der ihnen eigenen Flora und Fauna
auf. Als charakteristische dörfliche Lebensräume und Pflanzenarten können beispielhaft
genannt werden:
- Ländliche Wege, Gehwege, Dorfstraßen und -gassen
Im ländlichen Raum gibt es auch heute noch ländliche Wege, die, wie in der Vergangenheit
üblich, aus verfestigtem Sand oder Lehm bestehen. Mitunter waren und sind Wege in der
Feldflur sowie innerörtliche Straßen, Wege und Gassen mit Natursteinen gepflastert. Wo diese
Flächen weniger häufig genutzt wurden, siedelten sich verschiedene, an so extreme
Standortbedingungen angepasste Trittpflanzen an. Im Grenzbereich zwischen Fuß- und
Fahrwegen und den sich anschließenden Hauswänden mit Garteneinfriedungen sammelten
sich in der Vergangenheit durch den Kot von Pferden, Schweinen, Schafen, Ziegen oder
Hühnern, die entweder auf dem Hof gehalten oder durch die Gassen getrieben wurden,
Nährstoffe an. Sie förderten damit regelmäßig die Ansiedlung zahlreicher stickstoffliebender
Arten.
− Natursteinmauern
Alte, vegetationsreiche Mauern prägten früher in besonderem Maße das Ortsbild. Die je nach
Sonneneinstrahlung unterschiedlichen kleinklimatischen Bedingungen und verschiedenen
Nährstoffverhältnisse auf und an der Mauer bedingen ein unterschiedliches Artenspektrum.
− Dorfgärten
In diesen Dorfgärten findet man eine bunte Mischung aus Gemüsebeeten, Beerensträuchern,
Obstbäumen, Kräutern, Stauden und Sommerblumen, die der Wuchsort zahlreicher
Wildkraut-Gesellschaften sind, die zu ihrem Gedeihen auf die regelmäßige Bodenbearbeitung
durch den Menschen angewiesen sind.
− Anlagen für das Vieh
Wichtige Lebensräume für stickstoffliebende Arten sind überall dort anzutreffen, wo Vieh
gehalten wurde, das den Boden durch seinen Kot mit Nährstoffen anreicherte. Außerdem
wurde durch den Viehtrieb die Verbreitung zahlreicher Arten gefördert, da sie sich im Fell
oder zwischen den Klauen und Hufen festsetzten und an anderer Stelle wieder zufällig
abfielen.
- Dorffriedhöfe, Streuobstwiesen, Gehölze und Dorfteiche und -bäche
43
In diesen Biotoptypen findet sich eine Vielzahl verschiedener Biotopstrukturen und sie sind
aufgrund ihrer im Allgemeinen extensiven Pflege als Lebensraum für zahlreiche Arten von
Bedeutung.
Gefährdung der Dorfbiotope
Obwohl die Situation der Dorfbiotope und ihrer typischen Arten in Thüringen im Vergleich zu
den alten Bundesländern in den 90er Jahren noch allgemein als gut bezeichnet werden konnte,
ist seit der Wiedervereinigung ein starker Wandel im Erscheinungsbild der Dörfer erkennbar.
Zahlreiche Arten, die an diese Lebensräume gebunden waren, sind dadurch zunehmend
gefährdet.
Als Gründe für den Rückgang dieser Lebensräume können genannt werden:
− Intensivierung und Technisierung der Landwirtschaft,
− Bautätigkeit an den Ortsrändern und damit im ökologisch wertvollen Übergangsbereich
zwischen Dorf und Landschaft, wodurch z. B. viele Streuobstwiesen beseitigt wurden,
− Versiegelung von Hofflächen, Gehwegen, Dorfstraßen und Dorfplätzen, Schaffung neuer
Verkehrsflächen,
− Gestaltung von Grünflächen nach städtischen Vorbildern (geschnittene Rasenflächen und
Anpflanzung nichtheimischer Ziersträucher und Bäume),
− Abriss, Sanierung und Säuberung alter Natursteinmauern,
− Ausbau und Verrohrung von Bächen und Gräben, Verfüllung von Dorfteichen,
− Aufgabe der Gartennutzung für den Gemüse- und Obstanbau und Umgestaltung zu
Ziergärten,
− Umgestaltung von Dorffriedhöfen,
− Verwendung von Herbiziden und mechanische Beseitigung von Wildkräutern an Wegen
und Plätzen und
− übertriebene Säuberungsaktionen.
- Projekte und Maßnahmen bis 2008
In Thüringen wurden in den vergangenen 15 Jahren eine Reihe von Maßnahmen auf den Weg
gebracht, die den Verlust an biologischer Vielfalt in den Dörfern und Städten des Landes
reduzieren halfen. Darunter sind zu nennen:
− Dorfbiotopkartierung in Thüringen
Bereits 1993 entstand in der Naturparkverwaltung „Thüringer Schiefergebirge/Obere Saale“
im Zusammenwirken mit dem „Zentrum für Thüringer Landeskultur“ die Idee einer
ökologischen Kartierung von Dörfern. Im September 1994 fand das Thema durch die 15.
Jahrestagung „Biotopkartierung im besiedelten Bereich“ in Erfurt verstärkte Beachtung. Im
Frühjahr 1995 rief das TMLNU das landesweite Projekt der Dorfbiotopkartierung ins Leben
und übernahm auch die Finanzierung der nicht anderweitig gedeckten Kosten.
Die im Jahr 2003 vorgelegte Bestandsaufnahme der Dorfbiotopkartierung zeigte, dass die
Dörfer Thüringens noch eine Vielzahl wertvoller Lebensräume beherbergen. Diese
Lebensräume sind es, die zusammen mit der Bauweise der Gebäude und den verwendeten
Baumaterialien landestypisch sind und den Thüringer Dörfern ihr eigenes Gesicht verleihen.
44
Die Dorfbiotopkartierung ist eine Momentaufnahme, die den kommunalen Entscheidungsträgern helfen soll, die ökologischen und kulturhistorischen Gegebenheiten zu erkennen und
bei allen zukünftigen Maßnahmen darauf zu achten, dass die damit verbundene biologische
Vielfalt erhalten bleibt. Bei zahlreichen Dörfern haben die Ergebnisse der Dorfbiotopkartierung geholfen, Aktionsprogramme der Lokalen Agenda 21 zu entwickeln. Thüringen ist
bisher das einzige Bundesland, das eine solche Dorfbiotopkartierung durchgeführt hat.
− Dorferneuerung in Thüringen
Seit 1991 hat das Thüringer Dorferneuerungsprogramm dazu beigetragen, den Dörfern ihre
regionale Eigenart zu bewahren und zu gestalten und damit einen Beitrag zum Erhalt der
biologischen Vielfalt zu leisten. Mit der Dorferneuerungsförderung war von Anbeginn die
Möglichkeit gegeben, Vorhaben zu unterstützen, die dorf- und standortgerechte Grünlösungen
zum Ziel hatten.
Mit diesem Förderprogramm wurde die Erhaltung und Wiederherstellung naturnah gestalteter
Straßen, Wege und Plätze genauso gefördert, wie der Erhalt und die Pflanzung von Laubbäumen oder die naturnahe Erhaltung und Gestaltung von Freiflächen, Gärten, Einfriedungen und
Gewässern. Bis zum Jahr 2008 wurden 1768 Dörfer und Städte im ländlichen Raum mit einer
Gesamtfördersumme von 717 Millionen EUR (Stand 12/2008) unterstützt.
5.3 Biologische Vielfalt der Wälder
Ausgangslage
Thüringen ist von Natur aus ein Waldland. Ohne menschliche Einflussnahme würde unter den
herrschenden standörtlichen Bedingungen Wald nahezu das gesamte Land bedecken. Im Zuge
der Besiedlung sind die ursprünglichen Wälder zurückgedrängt und die verbliebenen
Waldungen nach den gesellschaftlichen Anforderungen mehr oder weniger stark umgestaltet
worden. Gegenwärtig nimmt die Waldfläche in Thüringen rund 547.000 ha ein. Dies entspricht einem Waldanteil von 33 %. Der Waldanteil schwankt dabei regional sehr stark:
während Gemarkungen in den Mittelgebirgen Waldanteile bis zu 80 % aufweisen, sinkt das
Bewaldungsprozent in den landwirtschaftlichen Gunstlagen insbesondere des Thüringer
Beckens und im Altenburger Land teilweise unter 5 %. Die ursprüngliche Dominanz des
Laubmischwaldes ist vielerorts nicht mehr gegeben. Insbesondere infolge der forstlichen
Rekultivierung verödeter und devastierter Flächen sowie der mit dem Rückzug der Landwirtschaft aus dem Wald und der Industriealisierung verbundenen Orientierung auf Nutzholzgewinnung seit dem 19. Jahrhundert werden die Wälder in Thüringen heute maßgeblich durch
Fichten und Kiefern geprägt. Der Anteil der Buchen, Eichen und anderer Laubbaumarten ist
im Zuge dieser Entwicklung bis Anfang der 1990er Jahre auf unter 1/3 gesunken. Trotz dieser
strukturellen Veränderungen infolge Jahrhunderte langer menschlicher Einflussnahme sind die
Wälder in Thüringen ein vergleichsweise naturnaher Lebensraum und deshalb Rückzugsgebiet
für viele wildlebende Arten geblieben. Diese hohe Bedeutung für die biologische Vielfalt
kommt in dem überproportional hohen Anteil von Waldflächen in der naturschutzrechtlichen
Schutzgebietskulisse zum Ausdruck.
Ziele
Für die Waldbewirtschaftung haben sich seit 1990 gravierende Veränderungen ergeben. Nach
der fast flächendeckenden staatlichen Bewirtschaftung der Wälder bis 1989 fand die Rückübertragung des Waldeigentums an die vormaligen Besitzer bzw. deren Rechtsnachfolger
45
statt. Im Ergebnis dieses, bis heute noch nicht vollständig abgeschlossenen Prozesses, stehen
heute eine Vielzahl von Eigentümern (siehe Abbildung 5) mit ganz unterschiedlichen
Eigentümerzielsetzungen in der Verantwortung, die im Thüringer Waldgesetz von 1993
niedergelegten Ziele und Vorgaben einer die Nutz-, Schutz- und Erholungsfunktionen
nachhaltig gewährleistenden ordnungsgemäßen Forstwirtschaft umzusetzen.
Abbildung 5
Waldeigentumsverteilung im Freistaat Thüringen, Quelle: Forstbericht 2007
Das Thüringer Waldgesetz betont die Gleichrangigkeit der Nutz-, Schutz- und Erholungsfunktionen (Multifunktionalität des Waldes) und deren Erfüllung auf der gleichen Fläche als
zentrale Vorgabe für eine nachhaltige naturverträgliche Waldbewirtschaftung. Dies schließt
örtlich wechselnde Vorrangfunktionen nicht aus, tritt aber einer generellen flächenmäßigen
Trennung der Waldfunktionen entgegen. Im Rahmen der Schutzfunktionen des Waldes nimmt
die biologische Vielfalt eine besondere Stellung ein. So haben die Waldbesitzer u. a. die
Pflicht, eine artenreiche Pflanzen- und Tierwelt zu erhalten bzw. zu entwickeln sowie
standortgerechte Baumarten und herkunftsgerechtes Saat- und Pflanzgut bei Erhaltung der
genetischen Vielfalt zu verwenden. Unter Einbeziehung naturschutzrechtlicher Vorgaben ist
dabei ein hinreichender Anteil standortheimischer Forstpflanzen sicherzustellen. Bei der
Verfolgung dieser gesellschaftlichen Ziele werden die Waldbesitzer durch die Landesforstverwaltung unterstützt und gefördert.
Projekte und Maßnahmen
Im Anhalt an die Bund-Länder-Strategie zur Erhaltung und nachhaltigen Nutzung der
biologischen Vielfalt in den Wäldern Deutschlands (BMELF, 2000) ergeben sich folgende
Handlungsfelder:
•
Erfassung und Überwachung von Bestandteilen der biologischen Vielfalt
46
Mittels umfangreicher Fachverfahren werden Inventuren über naturschutzrelevante Strukturen
im Wald durchgeführt (Waldbiotopkartierung, Meldungen zur NATURA 2000-Gebietskulisse, Erhebung seltener Baumarten), besondere Schutzfunktionen räumlich dargestellt
(Waldfunktionenkartierung) und die Ergebnisse als Grundlage für die Beurteilung des
Zustandes der Biodiversität im Wald und eines im Kontext der Multifunktionalität naturschutzfachlichen Anforderungen gerecht werdenden Managements genutzt.
• Erfassung und Regelung nachteiliger externer Einwirkungen
Die von außen auf die Ökosysteme Wald nachteilig einwirkenden biotischen und abiotischen
Faktoren werden erfasst und ausgewertet (Waldzustandserfassung, Bodenzustandserfassung,
Waldmessstationen, Klimawandelauswertungen) sowie im forstlichen Wirkungskreis nach
Kräften vermindert. Eine lange Tradition haben hierbei die Bodenschutzkalkungen zur
Kompensation der durch Schadstoffeinträge bedingten Versauerungen von Boden und Wasser
und den damit einhergehenden Änderungen der Lebensgemeinschaften. Hinsichtlich des
nachweisbaren Wandel des Klimas werden die Potentiale des Waldes als Kohlenstoffsenke,
aber auch die erforderlichen Maßnahmen zur Erhaltung und Verbesserung der Anpassungsfähigkeit der Wälder an sich ändernde Wuchs- und Konkurrenzbedingungen entwickelt. Der
anhaltenden Inanspruchnahme von Waldflächen für Siedlungs-, Gewerbe- und Verkehrswegeflächen bzw. Zerschneidungseffekten werden gesetzliche und fachplanerische Instrumente
(Forstliche Rahmenplanung, Waldmehrungskonzeption, Kompensationsflächenpools)
gegenübergestellt.
•
Erhaltung und Nutzung der biologischen Vielfalt durch nachhaltige Bewirtschaftung
sowie ergänzender Strategien und Konzepte
Im Sinne des integrierten multifunktionalen Ansatzes nimmt die Entwicklung und Umsetzung
naturnaher Waldbaukonzepte eine Schlüsselrolle für den Schutz der biologischen Vielfalt im
Wald auf der gesamten Fläche ein. Das hierbei kennzeichnende gezielte Einbeziehen natürlicher Abläufe und Selbstregulierungsprozesse fördert sowohl unmittelbar wie mittelbar
komplexe ökologische Strukturen. Die naturnahe Waldbewirtschaftung setzt insbesondere auf
Naturverjüngung, Waldumbau von nicht hinreichend standortsgemäßen, wenig strukturierten
Reinbeständen, Kahlschlagsverzicht, Belassen von Alters-/Zerfallsphasen, natur- und landschaftsschonende Walderschließung und boden-/bestandespfleglichen Forstmaschineneinsatz
sowie integrierten Waldschutz. Daneben werden spezielle Prozessschutzflächen unterhalten
und insbesondere zur Beobachtung natürlicher Dynamik genutzt (z. B. Naturwaldparzellenkonzept). Projektbezogene Konzepte zur Sicherung und Förderung von ausgewählten
Lebensräumen und Arten, wie z. B. zur Renaturierung von Waldmooren und von Waldfließgewässern, zur Entwicklung lichter Waldstrukturen, zur Unterstützung seltener Tierarten (z.
B. Rauhfußhühner, Feuersalamander, Kreuzotter) und Pflanzenarten (z. B. Tanne, Eibe,
Wildobst, Sorbus-Kleinarten, Schwarzpappel, Frauenschuh) sind direkt auf den Schutz der
biologischen Vielfalt gerichtet. Zur Unterstützung autochthoner Arten und Rassen bei
Bäumen und Sträuchern werden in-situ- und ex-situ-Genressourcen-Erhaltungsmaßnahmen
durchgeführt (Zulassung von Saatgutbeständen, Anlage von Generhaltungssamenplantagen).
• Entwicklung von Anreizmaßnahmen/Förderinstrumente
Bereits seit 1993 bestehen im Rahmen der von EU, Bund und Freistaat gemeinsam getragenen
Förderung von forstwirtschaftlichen Maßnahmen nach dem Bundesgesetz über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ finanzielle Anreize
für Maßnahmen zur Umstellung auf naturnahe Waldwirtschaft, insbesondere durch langfristige Überführung von Reinbeständen in Mischbestände. 2006 wurde darüber hinaus mit
dem Programmteil „Förderung der Umsetzung besonderer Anforderungen des Naturschutzes
bei der Waldbewirtschaftung im Privat- und Körperschaftswald“ ein spezielles Vertragsnaturschutzkonzept für den Wald aufgenommen. Dieses Konzept schafft Anreize für gezielte
Maßnahmen zur Erhaltung und Entwicklung von Waldlebensräumen und Habitaten. Die
47
Förderung hat sich bewährt und ist daher auch Bestandteil der „Förderinitiative Ländliche
Entwicklung in Thüringen“ 2007-2013 (FILET).
Bilanz
• Waldbiotopkartierung
Die Waldbiotopkartierung stellt eine zur Beurteilung der Biodiversität im Wald und sich
daraus ergebender Konsequenzen für die Waldbewirtschaftung grundlegende Erfassung dar.
Sie wurde im Erstdurchgang 1993 bis 2005 eigentumsübergreifend als Gemeinschaftsprojekt
der Forst- und Naturschutzverwaltung durchgeführt. Im Ergebnis wurden rund 277.000
Biotope erfasst. Besonders geschützte Biotope nach § 18 ThürNatG kommen danach auf ca.
2,6 % der Waldfläche in Thüringen vor. Bezogen auf die potentiell natürliche Vegetation kann
etwa die Hälfte aller Waldbiotope der Kategorie „naturbestimmt“ zugeordnet werden. Dieses
Ergebnis wird durch die Bundeswaldinventur II 2002 gestützt.
• NATURA 2000
Im Zuge der Meldungen zur NATURA 2000-Gebietskulisse, die hinsichtlich der
Waldlebensraumtypen maßgeblich auf Waldbiotopkartierungsergebnissen aufbaute, zeigte
sich, dass mit 174.505 ha (rund 2/3) der größte Teil der Flächen in den NATURA 2000Gebieten (siehe Kap. 4.2) mit Wald bestockt ist. Knapp 50 % der Waldfläche in den FFHGebieten sind als Waldlebensraumtypen gemäß Anhang I der FFH-Richtlinie erfasst. Dabei
dominieren die Buchenwald-Lebensräume eindeutig. Dieses Ergebnis unterstreicht den
naturschutzfachlichen Wert der Wälder insgesamt und gerade der heimischen Buchenwälder
für den Erhalt der Arten- und Lebensraumvielfalt in Thüringen. Es ist nicht zuletzt auch das
Ergebnis einer über Generationen hinweg praktizierten, verantwortungsbewussten Pflege und
Nutzung der Wälder durch die verschiedenen Waldbesitzer.
• Waldfunktionenkartierung
Mit der eigentumsübergreifenden digital vorliegenden Waldfunktionenkartierung von 2001
und ihrer Aktualisierung von 2006 (siehe Abbildung 6) wurden auf ca. 95 % der Gesamtwaldfläche Thüringens besondere Waldfunktionen festgestellt. Besondere Schutzfunktionen
leisten danach 85 % der Gesamtwaldfläche, besondere Nutzfunktionen 45 % und besondere
Erholungsfunktionen 33 %. Hieraus wird ersichtlich, dass die Ansprüche an die Waldflächen
umfangreich und vielfältig sind. Bei Überlagerungen verschiedener besonderer Waldfunktionen gilt es im Sinne des Integrationsansatzes auf Grundlage forstlichen Sachverstandes
akzeptierte Kompromisslösungen für die weitere forstliche Pflege abzuleiten.
48
Abbildung 6: Beispielhafte Darstellung der flächendeckend digital vorliegenden
Waldfunktionenkartierung (Steiger bei Erfurt)
• Erhebung seltener Baumarten
Seit 1992 finden durch die Forstverwaltung Inventuren seltener Baumarten statt, um lagegerechte Informationen für besondere Schutz- und Fördermaßnahmen zu gewinnen. Neben
den äußerst selten vorkommenden Baumarten Wildapfel (180 Stck.), Wildbirne (210 Stck.)
und Speierling (15 Stck.), allesamt in der Roten Liste Thüringens als gefährdet geführt, konnte
auch ein erfreulicher Bestand von rund 32.000 Eiben (besonders geschützte Art nach
Bundesartenschutzverordnung) erfasst werden. Ein besonderes Augenmerk liegt auf der
Weißtanne (Rote Liste Thüringen: Gefährdungsstufe 3) als ursprünglich in den Bergmischwäldern des Thüringer Waldes und Schiefergebirges verbreitete Mischbaumart, die für den
naturnahen Waldbau und den Waldumbau eine wichtige Rolle spielt. 1993 betrug der Bestand
in Thüringen rund 233.000 Weißtannen, was theoretisch einer Reinbestandsfläche von lediglich 123 ha entspricht. Durch umfangreiche Voranbaumaßnahmen in den 1990er Jahren
konnte die Anteilsfläche bis zur Bundeswaldinventur 2002 bereits verdreifacht werden.
•
Erfassung und Regelung nachteiliger externer Einwirkungen
Anthropogen verursachte Stoffeinträge, forstliche Schädlinge (z. B. Borkenkäfer), Wildschäden, Witterungsextreme sowie klimatische Veränderungen stellen hinsichtlich ihrer
komplexen Wirkungsweise eine ernste Gefahr für die Wälder und deren Lebensraumfunktionen dar. Zwar konnte anhand der seit 1991 jährlich stattfindenden Waldschadenserhebungen bis 2003 eine kontinuierliche Verbesserung des Kronenzustandes der Waldbäume
festgestellt werden, seitdem stagniert die Schadsituation jedoch auf einem nach wie vor
bedenklichen Niveau: 2008 zeigten noch immer 34 % der aufgenommenen Bäume deutliche
Schadanzeichen. Forstlicherseits wird durch naturnahe Waldbewirtschaftung und
Waldumbaumaßnahmen (siehe unten) sowie Bodenschutzkalkungen versucht, die Stabilität
der Waldökosysteme und damit die Widerstandskraft und das Anpassungsvermögen der
Waldbäume an sich ändernde standörtliche Bedingungen zu verbessern. Um unerwünschte
Effekte der Bodenschutzkalkung auf die biologische Vielfalt zu vermeiden, bestehen strenge
Restriktionen hinsichtlich der Auswahl zu kalkender Waldflächen.
•
Waldmehrung
49
Das Thüringer Waldgesetz betont neben dem Walderhalt auch das Ziel der Waldmehrung.
Neben vielfältigen positiven Wirkungen von Waldneuanlagen auf die Schutzgüter, Boden,
Wasser und örtliches Klima kann die Waldmehrung einen wichtigen Beitrag für die Vernetzung von Lebensräumen und damit für die Förderung der biologischen Vielfalt leisten.
Gemäß der forstlichen Rahmenplanung, welche die Zielstellungen des Thüringer Waldgesetzes räumlich umsetzt, soll die Waldmehrung unter Beachtung agrarstruktureller, landeskultureller, landschaftspflegerischer und naturschutzfachlicher Belange insbesondere auf
Gebiete mit unterdurchschnittlichem Waldanteil gelenkt werden. Besondere Bedeutung haben
dabei waldarme Gebiete mit Waldanteilen in den Gemarkungen unter 15 %, Sanierungsgebiete des Bergbaus und ehemalige militärisch genutzte Bereiche. In die noch laufenden
Abstimmungen zur Aktualisierung der Regionalpläne sind von den regionalen Planungsgemeinschaften rund 240 Flächenvorschläge (ca. 7500 ha) für Vorrang-/Vorbehaltsgebiete
Waldmehrung aufgenommen worden. Bei der Gegenüberstellung von Waldflächenverlusten
(insbesondere durch Baumaßnahmen zur Verbesserung der Infrastruktur und Waldflächenzugängen durch Erstaufforstungen zeigt sich eine positive Bilanz: So hat sich die Waldfläche
im Zeitraum von 1992 bis 2006 um ca. 2.800 ha erhöht (siehe Abbildung 7).
Abbildung 7:
Bilanz der Waldflächenzugänge und –abgänge im Zeitraum 1992 bis 2006 in Thüringen
(Forstbericht 2007, abgeändert)
• Naturnahe Waldbewirtschaftung
Auf Grundlage gesetzlicher Vorgaben (insbesondere Grundsätze ordnungsgemäßer Forstwirtschaft, Vorbildlichkeit der Staatswaldbewirtschaftung) gestützt durch fachliche Beratung
und Betreuung der Waldbesitzer durch die Landesforstverwaltung, finanzieller Anreize im
Rahmen des forstlichen Förderwesens sowie der Etablierung freiwilliger Selbstverpflichtungen im Zusammenhang mit der Zertifizierung nachhaltiger Waldbewirtschaftung ist die
Umstellung der Waldbewirtschaftung seit Beginn der 1990er Jahre auf naturnahe Konzepte
gut vorangekommen. Die Nutzung der biologischen Automation ist gerade bei der Walderneuerung binnen weniger Jahre zum allgemeinen Standard geworden. Inzwischen ist mit
einem Anteil von rund 90 % Naturverjüngung (Bundeswaldinventur II 2002, kurz BWI II), die
besonders die genetische Vielfalt begünstigt, ein Stand erreicht, der angesichts notwendiger
Waldumbaumaßnahmen nicht mehr gesteigert werden kann. Die auf standortsgemäße
strukturelle Vielfalt der Waldbestände setzenden „modernen“ Pflege-, Durchforstungs- und
50
Verjüngungsmaßnahmen haben sich ebenfalls gegenüber traditionellen
Reinbestandskonzepten durchgesetzt.
Nach den Ergebnissen der BWI II sind auf etwa 71 % der Waldfläche im Freistaat Mischwälder anzutreffen, rund ¼ der Wälder weisen bereits eine Mehrschichtigkeit auf und
befinden sich damit auf gutem Wege in Richtung stabilerer dauerwaldartiger Bestockungsverhältnisse. Eine etablierte neue Bestandesgeneration unter dem Schirm der Altbäume –
wichtig für die Risikominimierung – wurde bei der BWI II auf 16 % der Waldfläche festgestellt, womit Thüringen bereits den Bundesdurchschnitt erreicht hat. Angesichts der
zunehmenden Gefährdungen gerade der Nadelwald-Reinbestände (siehe oben) wird der
Ausbau der Vorausverjüngung mit Schatten ertragenden Baumarten (v. a. Buche, Tanne)
zukünftig ein wichtiges Element der naturnahen Waldbewirtschaftung sein.
Hinsichtlich der naturschutzfachlich bedeutsamen Elemente der Alters- und Zerfallsphase
weisen die Wälder in Thüringen gemäß den Ergebnissen der BWI II mit 17,8 fm/ha die
bundesweit zweithöchsten durchschnittlichen Totholzvorräte auf (Bundesdurchschnitt: 11,5
fm/ha). Hier wird zukünftig auf die qualitative Ausformung verstärkter Wert zu legen sein.
• Waldumbau
Von Natur aus weitgehend laubbaumdominiert, prägen heute Nadelbaumarten Thüringens
Wälder. Neben Biodiversitätsverlusten hat diese Entwicklung auch zu einer Verringerung der
Stabilität und Elastizität der Wald-Ökosysteme geführt. Die durch Wind, Schnee und Insekten
sowie durch Immissionen verursachten Waldschäden (siehe oben) zeigen nur zu deutlich, dass
die Einbeziehung ökologischer Gesetzmäßigkeiten in die forstliche Bewirtschaftung
existenziell für den Erhalt funktionengerecht leistungsfähiger Wälder ist. Aus diesem Grund
kommt dem Waldumbau hin zu naturnäheren Waldstrukturen in Thüringen eine besondere
Rolle zu. Waldumbau ist als forstliche Daueraufgabe bereits seit 1994 Bestandteil der Waldbaukonzeption der Thüringer Landesforstverwaltung. Waldeigentümer und Landesforstverwaltung sind per Gesetz angehalten und im eigenen Interesse bestrebt, die Wälder auf
Grundlage des erreichten forstlichen Wissens- und Erfahrungsschatzes zu anpassungs- und
leistungsfähigen Waldbeständen zu entwickeln.
Abbildung 8: Veränderung der Hauptbaumartenanteile im Zeitraum von 1993-2002
Quellen: Datenspeicher Wald, Stichtag 01.01.1993 (ohne Bundeswald); Forstbericht 2007
Die hierfür notwendigen Aufwendungen für den Waldumbau wurden in Thüringen u. a. durch
den Einsatz der forstlichen Förderung umfangreich flankiert. So konnte zwischen 1993 und
2002 (BWI II) der Anteil heimischer Laubbaumarten bereits um über 7 % auf 38 % erhöht
51
werden (siehe Abbildung 8). Langfristig soll der Laubbaumanteil insbesondere vor dem
Hintergrund der klimatischen Veränderungen noch deutlich steigen.
• Naturwaldparzellenkonzeption
Besondere naturschutzfachliche Bedeutung haben die Naturwaldparzellen. Dabei handelt es
sich um geschützte Waldgebiete nach § 9 ThürWaldG, die durch gänzliche Herausnahme aus
der Waldbewirtschaftung neben dem Schutz der unbeeinflussten Entwicklung der vorhandenen Waldökosysteme insbesondere der natur- und forstwissenschaftlichen Forschung
dienen. Gemäß Naturwaldparzellenkonzeption hat die Landesforstverwaltung ein Netz von
Gebieten aufgebaut und inventarisiert, in dem alle großflächig typischen Waldstandorte
Thüringens exemplarisch vertreten sind. Derzeit sind fünf Naturwaldparzellen per Verordnung und zwei durch das Nationalparkgesetz geschützt. Weitere 14 Flächen sind bis zu ihrer
endgültigen Ausweisung per Erlass gesichert.
• Genressourcen-Erhaltungsmaßnahmen
Die Erhaltung selten gewordener Mischbaumarten ist nicht nur im Hinblick auf die Besetzung
ökologischer Nischen wichtig, sondern auch Voraussetzung für den Generhalt im Hinblick auf
sich ändernde Umweltbedingungen (Klimawandel). Als Bestandteil der biologischen Vielfalt
ist genetische Vielfalt Voraussetzung für Angepasstheit und vor allem Anpassungsfähigkeit
der Wälder. Im Rahmen eines ersten Bundeskonzeptes wurden in den Forstverwaltungen der
Länder Erhaltungsmaßnahmen für eine Vielzahl seltener Baum- und Straucharten eingeleitet.
Die Landesforstverwaltung hat bereits 1998 ein Generhaltungskonzept für Thüringen
erarbeitet. Das Konzept bezieht sich auf einheimische Baum- und Straucharten und bewährte
fremdländische Baumarten, die in ein komplexes System von in-situ- und ex-situErhaltungsmaßnahmen einbezogen werden. Das Generhaltungskonzept differenziert die Notwendigkeit der Generhaltungsmaßnahmen nach Arten und Dringlichkeit. Bis auf Berg- und
Feldulme sowie Feldahorn sind bei allen Baumarten der Dringlichkeitsstufe 1 „vordringlich“
(Hochlagenfichte, Höhenkiefer, Weißtanne, Eibe, Wildapfel, Wildbirne, Elsbeere, Schwarzpappel) spezielle Generhaltungsmaßnahmen (Erhaltungspflanzungen sowie Anlage von Generhaltungssamenplantagen) realisiert worden. Inzwischen sind weitere Baumarten (Breitblättr.
Mehlbeere, Speierling, Vogelkirsche) in die Dringlichkeitsstufe 1 aufgenommen worden.
• Projekte zur Sicherung bzw. Förderung von Lebensräumen
Anstrengungen zum Erhalt der Biodiversität in Waldlebensräumen wurden in den letzten
Jahren verstärkt für Maßnahmen auf Sonderstandorten unternommen. Beispiele hierfür sind
Maßnahmen zur Renaturierung von Hochmooren und Fließgewässerbereichen. Im Thüringer
Wald und im Westlichen Schiefergebirge sind über 450 rezente Moorbildungen (Torflager)
bekannt. Moore haben herausragende naturschutzfachliche Bedeutung. Naturnahe, lebende
Hochmoore zählen zu den prioritären Lebensräumen nach Anhang I der FFH-Richtlinie und
sind besonders geschützte Biotope nach § 18 ThürNatG. Die größten und bedeutendsten
Hochmoore sind als Naturschutzgebiete unter besonderen Schutz gestellt. Auf der Grundlage
eingehender Untersuchungen werden seit 2000 Erhaltungs- und Entwicklungsvorhaben von
Waldmooren im Bereich des Thüringer Waldes und des Schiefergebirges auf der Grundlage
einer von der Landesforstverwaltung gemeinsam mit der Naturschutzverwaltung erarbeiteten
Konzeption durchgeführt. Seit 2007 laufende umfangreiche Effizienzuntersuchungen zeigen,
dass das Wachstum der für die Moorneubildung wichtigen Torfmoose deutlich verbessert
werden konnte.
Bereits 1993 wurde durch die Landesforstverwaltung ein Waldfließgewässerprogramm mit
Modellvorhaben in einigen Forstämtern initiiert und späterhin ein Leitfaden für die Praxis zur
Ökologie und zum Schutz der Waldfließgewässer herausgegeben. Im Zuge eines von der
52
Deutschen Bundesstiftung Umwelt geförderten mehrjährigen Kooperationsprojektes zwischen
Naturschutzverwaltung, Landesforstverwaltung und Wasserwirtschaftsverwaltung (2002 –
2007) wurden weitere gezielte Behandlungshinweise zur Pflege von Waldbachtälern unter
dem besonderen Aspekt des Feuersalamanders als Leitart in diesem Lebensraum entwickelt.
• Projekte zur Sicherung bzw. Förderung von Arten
Hinsichtlich des Artenschutzes sollen die Aktivitäten zum Schutz der Eibe, des Auerhuhns
und des Frauenschuhs exemplarisch dargestellt werden.
Thüringen ist eines der eibenreichsten deutschen Bundesländer. In Verantwortung dieses
besonderen Naturerbes widmet sich die Landesforstverwaltung seit Jahren dieser heimischen
Baumart, um ihr mittels in-situ- und ex-situ-Maßnahmen einen Platz in geeigneten Waldgesellschaften zu sichern. Aufgrund ihrer hervorragenden Qualität und überregionalen
Bedeutung wurden durch die Deutsche Kontrollvereinigung (DKV) zwei Eiben-Kontrollzeichenherkünfte („Ibengarten“ und „Eichsfeld“) ausgewiesen.
Der von Naturschutz- und Forstverwaltung gemeinsam getragene Auerhuhnschutz umfasst
Maßnahmen der Biotop- und Habitatgestaltung, der Bestandesstützung durch Auswilderung
von Wildfängen aus Russland (140 Individuen) und gezüchteten Vögeln aus landeseigener
Zucht sowie das Auerhuhnmonitoring. Derzeit wird von einem Bestand von etwa 40 bis 50
adulten Tieren im Bereich der Thüringer Auerwildgebiete ausgegangen.
Thüringen verfügt über zahlreiche Orchideenvorkommen mit zum Teil europäischer
Bedeutung. Besondere Anstrengungen zum Schutz und zur Förderung werden seit Jahren in
enger Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis heimischer Orchideen e.V. für den Frauenschuh
durchgeführt. Dies umfasst die Erarbeitung spezifischer Schutzkonzepte, den Einsatz von
Beschäftigten der Landesforstverwaltung bei artgerechten Pflegemaßnahmen in Abstimmung
mit der Naturschutzverwaltung bis hin zur Öffentlichkeitsarbeit.
•
Entwicklung von Anreizmaßnahmen/Förderinstrumente
Die finanzielle Förderung im Privat- und Körperschaftswald setzt an vorhandenen
strukturellen Defiziten an und verfolgt in Thüringen folgende Ziele und Strategien:
• eine nachhaltige, leistungs- und wettbewerbsfähige, marktorientierte und umweltverträgliche
Forstwirtschaft zu entwickeln,
• die regionale und kommunale Entwicklung zu fördern und
• die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen.
Insgesamt wurden im Zeitraum 1991 bis 2006 Fördermittel in Höhe von 171,6 Mio. €
ausgereicht. Das entspricht einem jährlichen Durchschnitt von 49 € pro Hektar Privat- und
36 € pro Hektar Körperschaftswald.
Forstpolitisch genießt die Förderung von Erstaufforstungen bisher nicht forstwirtschaftlich
genutzter Flächen einen besonderen Stellenwert. Im Zeitraum 1992 bis 2006 wurden für
insgesamt 3.093 Hektar Erstaufforstungsfläche investive Fördermittel in Höhe von 20,8
Mio. € ausgereicht.
Im Rahmen der „Förderung der Umsetzung besonderer Anforderungen des Naturschutzes bei
der Waldbewirtschaftung im Privat- und Körperschaftswald“ kamen bislang insgesamt rund
350.000 € zur Sicherung von 5.243 Habitatbäumen im Kommunal- und Privatwald zur
Auszahlung. Die hiermit geförderten Bäume wurden markiert und verbleiben bis zu ihrem
natürlichen Zerfall auf der Fläche
5.4 Biologische Vielfalt der Gewässer
Einführung
53
Die Zielstellungen der „Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt“ decken sich sowohl
methodisch als auch inhaltlich in vieler Hinsicht mit den Zielstellungen der EU-Wasserrahmenrichtlinie (WRRL). Deshalb schließt sich an die Darstellung der Entwicklung bis zum
Dezember 2000 (Inkraftsetzung der WRRL) eine Bilanz zur Umsetzung der WRRL in
Thüringen im Hinblick auf die „Thüringer Strategie zum Erhalt der biologischen Vielfalt“ an,
wobei zeitliche Überlagerungen in der Natur der Sache liegen.
Entwicklung bis zum 22.12.2000
• Kommunalabwasser
Die Belastung der Gewässer mit nicht oder unzureichend gereinigten Abwässern hat in der
Vergangenheit maßgeblich dazu beigetragen, dass die biologische Vielfalt der Gewässer sich
sehr weit von den natürlichen Ausgangsbedingungen entfernt hatte.
Der Freistaat Thüringen ist ein ländlich geprägtes Bundesland und hatte auf dem Gebiet der
Abwasserreinigung und -entsorgung 1990 einen großen Nachholbedarf. Nur eine geringe Zahl
vorhandener Kläranlagen in größeren Orten entsprach den gesetzlichen Anforderungen, der
Anschlussgrad an funktionierende Kanalisationen war insbesondere im ländlichen Raum
unbefriedigend.
In Umsetzung der EU-Kommunalabwasserrichtlinie von 1991 wurden Anforderungen an die
Abwassertechnik festgelegt, die in gemeindlichen Gebieten mit mehr als 2000 Einwohnerwerten bis 2005 zu erfüllen waren.
Im Rahmen der Umsetzung dieser Richtlinie ist es gelungen, die Gewässergüte der
thüringischen Fließgewässer deutlich zu verbessern, was durch die folgende Abbildung
untersetzt wird:
100%
90%
80%
70%
60%
50%
40%
30%
20%
10%
0%
1991
1993
1995
I
1997
I-II
1999
2001
Güteklasse:
II
II-III
2002
2003
2004
III
III-IV
IV
2006
Abb.9: Prozentuale Entwicklung der Güteklasse thüringischer Gewässer von 1991 - 2006
Konnten noch 1991 nur ca. 16 % der Fließgewässer in Thüringen die Güteklasse II oder besser
erreichen, so waren es 2006 bereits 73 %.
Die Bestimmung der biologischen Gewässergüte erfolgt nach dem Saprobiensystem. Das
Vorhandensein bestimmter Gewässerorganismen (Saprobien) zeigt den Grad der organischen
Verunreinigung der untersuchten Gewässerabschnitte an. Aus dem Vorhandensein und der
54
Häufigkeit der Arten wird der Saprobienindex berechnet und eine entsprechende Gewässergüteklasse abgeleitet.
Auch für ausgewählte chemische Güteparameter lässt sich dieser Trend belegen:
Erreichung Chemische Güteklasse II (LAWA)
Ammonium
AOX
Phosphor-Gesamt
1991
2006
8%
48 %
18 %
75 %
0%
15 %
Fließgewässer mit Gewässergüteklassen II-III (kritisch belastet) und schlechter weisen auf
Grund des sich einstellenden Sauerstoffmangels, der zunehmenden Bildung toxischer Stoffe
und Faulschlammablagerungen eine geringe biologische Vielfalt auf und sind zum Teil durch
Massenentwicklungen weniger Arten bis hin zur ökologischen Zerstörung geprägt.
Die aufgezeigte positive Entwicklung im Bereich der Kommunalabwasserbehandlung und
-entsorgung hat die biologische Vielfalt in den Gewässern Thüringens deutlich erhöht.
Der Freistaat Thüringen hat diese durch die kommunalen Aufgabenträger zu erbringenden
Leistungen durch die Ausreichung von Fördermitteln maßgeblich unterstützt. Von 1991 2006 wurden in Thüringen 3,8 Milliarden € in die Abwasserentsorgung investiert, der
Freistaat Thüringen hat den Aufgabenträgern dazu Fördermittel in Höhe von 1,1 Milliarden €
zur Verfügung gestellt.
Bis zum Aufbau einer vollständigen abwassertechnischen Infrastruktur sind trotz der geschilderten Erfolge noch immer erhebliche Anstrengungen zu leisten. Dies betrifft insbesondere
den Anschlussgrad an Kläranlagen. Dieser wurde von 1990 bis 2006 von 43 auf 67 % erhöht was den noch bestehenden Nachholbedarf aufzeigt.
Durch die rückläufige Entwicklung des Tierbesatzes in Thüringen seit 1990 sowie insbesondere durch ein verbessertes Düngungsmanagement, welches auch durch neue gesetzliche
Rahmenbedingungen wie die Düngeverordnung des Bundes (1996) definiert werden konnte,
ist eine Stabilisierung der Stickstoffbilanzüberschüsse der thüringischen Landwirtschaftsbetriebe (1996 - 2007) zu konstatieren.
Die Anforderungen der inzwischen novellierten Düngeverordnung, bezogen auf die zu
erreichenden N-Bilanzüberschüsse, werden bereits vielerorts erreicht. Wie unten noch
beschrieben wird, reichen diese jedoch in Thüringen nicht überall aus, um den ambitionierten
Zielen des Europäischen Gewässerschutzes zu genügen.
Die Bodenerosion stellt für den landwirtschaftlichen Bereich den Haupteintragspfad für
Phosphor dar. Trotz zum Teil rückläufiger und negativer P-Bilanzen und im Bundesvergleich
geringen Tierbesatzes ist die Gefahr erosiver Einträge in Thüringen erhöht. Das ist auf
bedeutende erosionswirksame Hanglängen und große Bewirtschaftungseinheiten - vielfach
ohne wirksame Hindernisse für den Oberflächenabfluss - zurückzuführen. Hier besteht noch
immer ein großer Handlungsbedarf.
Ein wesentlicher Schwerpunkt für Maßnahmen des Gewässerschutzes mit Bezug zur
landwirtschaftlichen Nutzung ab Anfang der 1990er Jahre waren die Einzugsgebiete, die der
öffentlichen Trinkwasserversorgung dienten.
55
Noch in der jüngeren Vergangenheit dienten wasserbauliche Maßnahmen insbesondere dem
Hochwasserschutz und der Wasserkraftnutzung. Diese Nutzungen haben ihre Berechtigung
und sind auch aus der modernen Wasserwirtschaft nicht wegzudenken. Es ist deshalb nötig,
den Menschen und die Zivilisation vor Hochwässern und deren zum Teil verheerenden
Auswirkungen zu schützen. Die Sicherung der Retentionsräume, insbesondere der Auenbereiche, ist daher vorrangig erforderlich. Begrenzte Eingriffe in die Fließgewässer werden
deshalb auch künftig nicht zu vermeiden sein.
Es war jedoch zu berücksichtigen, dass eine vielfältige und naturnahe Gestaltung der
Gewässermorphologie einen großen Einfluss auf die Güte eines Gewässers, seine Selbstreinigungskraft und somit seine Besiedlung hat. Deshalb stehen bereits seit Anfang der 1990er
Jahre in Thüringen die Bemühungen um naturnahe Gewässerunterhaltung und -ausbau im
Vordergrund. Die Maßgabe war es deshalb, die fließenden Gewässer unserer Kulturlandschaft
nicht isoliert, sondern stets im Kontext des natürlichen Gesamtsystems zu betrachten.
Gemeinsam mit den Fachbereichen Naturschutz und Landwirtschaft wurde deshalb durch die
Abteilung Wasserwirtschaft im TMLNU die „Richtlinie zur naturnahen Unterhaltung und
zum Ausbau von Fließgewässern (1996)“ erarbeitet. Sie dient sowohl den Aufgabenträgern
der Gewässerunterhaltung als auch den zuständigen Behörden als wichtige Handlungsanleitung.
Da es zu den typischen Verhaltensweisen von vielen Fließgewässerorganismen gehört, in
ihren Lebenszyklen mehr oder weniger ausgedehnte Wanderungen durchzuführen, ist für die
Wiederansiedlung dieser Organismen die Wiederherstellung der Durchgängigkeit der
Gewässer ein wesentlicher Schritt. Strukturreiche und durchwanderbare Fließgewässer sind
wichtige Voraussetzungen zur Erhaltung und Entwicklung der biologischen Vielfalt.
EU-Wasserrahmenrichtlinie
•
Biologische Vielfalt als ein integriertes Hauptziel der Richtlinie
Am 22. Dezember 2000 trat die Europäische Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) in Kraft. Sie
verpflichtet die Mitgliedstaaten der EU bis zum Jahr 2015 den guten Zustand in allen
Gewässern zu erreichen. Darunter versteht man den guten ökologischen und chemischen
Zustand der Oberflächengewässer und den guten chemischen und mengenmäßigen Zustand
des Grundwassers.
Insbesondere die Zustandsbewertung der Oberflächengewässer, als Grundlage für die
Kontrolle der Zielerreichung nach WRRL, ist mit der Einführung der Richtlinie deutlich
erweitert worden.
Neben den klassischen Parametern, wie den chemisch-physikalischen Kenngrößen und der
Zusammensetzung der Wirbellosenfauna (Saprobie), die bisher - wie bereits oben beschrieben
- zur Bestimmung der Gewässergüte dienten, sind nunmehr vor allem weitere biologische
Kriterien zu untersuchen.
Die Beurteilung der Gewässer erfolgt anhand von Referenzgewässern. Entscheidende
Bedeutung haben dabei die Artenvielfalt und Zusammensetzung der biologischen Qualitätskomponenten. Neben der Wirbellosenfauna werden nun auch Wasserpflanzen und Algen
bewertet und erstmals wird der Zustand der Fischfauna zur Bewertung herangezogen. Für die
Beurteilung ist ausschlaggebend, wie stark die Biozönose des jeweiligen Gewässers von der
entsprechenden Referenzbiozönose abweicht.
Zusätzlich zu den biologischen Qualitätskomponenten werden hydromorphologische und
physikalisch-chemische Komponenten zur Beurteilung des ökologischen Zustands herangezogen.
Allein schon diese Kurzbeschreibung bezüglich der Bewertung des Zustands der Gewässer
zeigt, dass die Verbesserung der biologischen Vielfalt der Gewässer im Blickpunkt der
56
WRRL steht. Maßnahmen, die in Thüringen zur Erreichung des guten Gewässerzustandes
gemäß WRRL durchgeführt werden, tragen somit unmittelbar zur Erhöhung der Biodiversität
der Gewässer bei.
Die bisher vorliegenden Ergebnisse der Überwachung der Oberflächengewässer gemäß den
Anforderungen der WRRL zeigen, dass der gute ökologische Zustand in ca. 96 % aller
Oberflächenwasserkörper (OWK) in Thüringen verfehlt wird. Ursache ist neben der nach wie
vor noch vorhandenen Abwasserbelastung und den Nährstoffeinträgen aus der Landwirtschaft
vor allem die unzureichende Gewässerstruktur einschließlich der fehlenden Durchgängigkeit.
Die Minderung der Stickstofffrachten und –konzentrationen ist für die Erreichung des guten
chemischen Zustands einiger Oberflächengewässer erforderlich und befördert zudem in vielen
Standgewässern die Erreichung der Zielstellungen der WRRL.
Gewässermorphologische Maßnahmen (Strukturverbesserung, Herstellung Durchgängigkeit)
werden insbesondere einen maßgeblichen Einfluss auf die Etablierung typspezifischer Fischund Makrozoobenthoslebensgemeinschaften haben.
Im Rahmen von 9 Modellvorhaben Flussgebietsmanagement wurde die Palette möglicher
Maßnahmen für die genannten Bereiche zwischen 2004 und 2007 erfolgreich erprobt. Es
wurden Modellvorhaben zu folgenden Themenkomplexen durchgeführt:
- Reduzierung von Nährstoffeinträgen in Grund- und Oberflächenwasser,
- Verbesserung und Vernetzung aquatischer Lebensräume.
Im einzelnen wurden folgende Modellvorhaben realisiert:
Lebendige Sprotte (Landkreis Altenburger Land/Greiz)
Schwerpunkte: Schaffung eines biologisch durchgängigen Fließgewässersystems unter
Betrachtung des gesamten Einzugsgebietes; Unterstützung einer freiwilligen, regionalen
Kooperation der Kommunen
Trägerschaft: Stadt Schmölln
Revitalisierung des Röstegrabens (Landkreis Nordhausen)
Schwerpunkte: Lösung typischer Probleme im ländlichen Raum; Nährstoffreduzierung durch
Errichtung einer Abwasserbehandlungsanlage für die Gemeinde Großwechsungen;
Herstellung der Durchgängigkeit; Zusammenarbeit zwischen Gewässerunterhaltungsverband
und Abwasserzweckverband
Trägerschaft: Gewässerunterhaltungsverband Werther/ Görsbach
Auenrenaturierung für eine lebendige Werra zwischen Sallmannshausen und Wartha
(Wartburgkreis)
Schwerpunkte: Reduzierung der Nährstoffeinträge in einem grenznahen Abschnitt eines
großen Gewässers durch dauerhafte Sicherung und Entwicklung eines Uferrandstreifens und
moderate Nutzungsänderungen in der Fläche; Anbindung des Altarmes an den Flusslauf;
Rückbau von Uferbefestigungen; Gebietskulisse befindet sich im Bereich des Grünen Bandes
Thüringen
Trägerschaft: Staatliches Umweltamt Suhl
57
Verminderung von Stoffausträgen aus landwirtschaftlich genutzten Flächen
(landesweit)
Schwerpunkte:
Absenkung
betrieblicher
Stickstoff-Salden, Quantifizierung
der
unvermeidbaren Verluste und deren Wirkung auf den chemischen Zustand des Grundwassers,
Verringerung von Stoffausträgen durch Bodenerosion
Trägerschaft: Thüringer Landesanstalt für Landwirtschaft
Renaturierung der Ulster im Flurbereinigungsverfahren Buttlar (Wartburgkreis)
Schwerpunkte: Revitalisierung eines Teilabschnittes der Ulster; Grunderwerb im Bereich des
Fließgewässers Ulster (Gewässer 1. Ordnung) im Flurbereinigungsgebiet Buttlar zur
Sicherung der Uferrandstreifen;
Trägerschaft: Staatliches Umweltamt Suhl + Amt für Landentwicklung und Flurneuordnung
Meiningen
Entwicklung der Rodach und ihrer Zuflüsse zu einem durchgängigen, strukturreichen
Verbundsystem in der Kurregion Bad Colberg/Ummerstadt (Landkreis
Hildburghausen)
Schwerpunkte: Entfernung von Verrohrungen der Rodachtalzuflüsse; Erwerb von Uferstreifen
entlang der freigelegten Zuflüsse und der Rodach; Anlage einer Fischaufstiegsanlage
Trägerschaft: Stadt Bad Colberg-Heldburg
Gewässersanierung der Walse (Eichsfeldkreis)
Schwerpunkte: Errichtung einer Abwasserbehandlungsanlage als Modellprojekt zur
Behandlung des in Kleinkläranlagen vorgereinigten kommunalen Abwassers aus der
Teilortskanalisation ohne Neubau des Ortsnetzes
Trägerschaft: WAZ Obereichsfeld
Reduktion des Stickstoffaustrages aus landwirtschaftlich genutzten Flächen im Bereich
der Talsperren Weida, Zeulenroda und Lössau (Greiz/Saale-Orla-Kreis)
Schwerpunkte: Erprobung und Bewertung von Maßnahmen zur Reduktion des diffusen
Stickstoffeintrags in Fließgewässer; Entwicklung eines übertragbaren Systems zur Auswahl
von Flächen und Maßnahmenkombinationen zur Optimierung des Ressourceneinsatzes
Trägerschaft: Staatliches Umweltamt Gera + Thüringer Fernwasserversorgung
Sanierung und Renaturierung der Monna im Thüringer Becken (Landkreis Sömmerda)
Schwerpunkte: Sanierung eines ehemals industriell stark belasteten Gewässers in einem FFHGebiet; Kombination mehrerer Vorhaben (u.a. A/E-Maßnahmen zum Autobahnbau) zum
Gesamtvorhaben Monna
Trägerschaft: Stadt Kölleda
58
Abb. 10: Übersicht über die Modellvorhaben Flussgebietsmanagement, Quelle: TMLNU
Vertieft wurden diese Erkenntnisse durch die exemplarische Modellbewirtschaftung in 4
weitgehend repräsentativen Gebieten.
Besonderer Erwähnung bedarf das für sich stehende national überaus beachtete Projekt
"Verbesserung und Vernetzung aquatischer Lebensräume" an der Werra und wichtiger
Nebenflüssse. Zur Erreichung des guten ökologischen Zustandes gemäß WRRL sowie zur
Wiederherstellung der Durchgängigkeit der Gewässer und Verbesserung ihrer Ufer- und
Sohlstrukturen und der damit verbundenen ökologischen Aufwertung der Fließgewässer als
Lebensraum wurde dieses im Auftrag des TMLNU in den Jahren 2004 - 2008 durchgeführt.
Dabei wurden Erfahrungen nicht nur an örtlichen Einzelprojekten, sondern auf ca. 150 km
Gewässerlänge und bei insgesamt 54 Querbauwerken gesammelt. .
Schwerpunkte des Projektes waren der Rückbau nicht mehr genutzter Wehranlagen, der
Umbau von Sohlabstürzen zu Sohlgleiten, die Herstellung der Durchgängigkeit an genutzten
Wasserkraftanlagen (z. B. Einbau von Fischaufstiegsanlagen oder Umgehungsgerinnen), die
Wiederherstellung des naturnahen Zustandes stark veränderter Gewässerabschnitte sowie die
Verbesserung der Gewässerstruktur, um gute Laichbedingungen für heimische, gewässertypische Fische zu schaffen. Für die Umsetzung des Projektes durch das Staatliche Umweltamt Suhl standen ca. 5 Mio € zur Verfügung (gefördert durch die EU). Von den 54 vorgesehenen Querbauwerken wurde im Projektzeitraum die Durchgängigkeit an 44 Anlagen
erreicht, an weiteren 5 wurde die Planung ausgelöst. An 5 Wasserkraftstandorten stehen
Lösungen noch aus. Kleinere Rückbaumaßnahmen konnten dabei im Rahmen der personellen
und materiellen Möglichkeiten der Flussmeisterei kosteneffizient durchgeführt werden. Bei
anderen Maßnahmen wirkte sich die Novellierung des Erneuerbare Energien Gesetzes (EEG)
als finanzieller Anreiz für die Betreiber aus. Der Schwerpunkt der notwendigen Erfolgskontrollen auf die Biodiversität und die Einhaltung der WRRL wurde dabei nicht auf die
Funktion des jeweiligen Einzelbauwerkes gelegt, sondern auf die Auswirkungen bei der
Gesamtdurchgängigkeit und die Gewässerfauna.
59
Das Projekt wird seine Fortführung auch länderübergreifend entfalten, da veranlasst durch
diese von TH begonnene Initiative am 11. Juni 2007 eine Vereinbarung zwischen Niedersachsen, Hessen und Thüringen auf Ministerebene unterzeichnet wurde, die zum Ziel hat, die
Durchgängigkeit der Werra bis zum Zusammenfluss von Werra und Fulda bis zum Ende des
Jahres 2012 herzustellen.
6. Leitbild/Zielsetzung 2020
Die Bilanz und die Beschreibung der Maßnahmen zum Erhalt der biologischen Vielfalt
in Thüringen sowie die Darstellung der Situation in den wichtigsten Landschaften und
Lebensräumen Thüringens zeigt eindrucksvoll, dass auf allen Ebenen viele Schritte
unternommen wurden, um die für alle lebenswichtige biologische Vielfalt zu erhalten.
Da weitere Verluste irreversibel sind und die weitere Vernichtung von Arten eine hohe
Dramatik hat, müssen weitere Maßnahmen ergriffen werden.
Bis 2020 will das TMLNU den im nachfolgenden Leitbild beschriebenen Zustand
erreicht haben und formuliert dazu klare Ziele, die bis 2020 umgesetzt sein sollen.
Leitbild
Die Erhaltung der biologischen Vielfalt in Thüringen ist eine zentrale Aufgabe des Landes bis
zum Jahre 2020. Es gibt in Thüringen eine gebietstypische Vielfalt von natürlichen sowie
durch menschliches Handeln geprägte Landschaften, Lebensräume, Lebensgemeinschaften
und Arten von charakteristischer Ausprägung, die eine hohe Wertschätzung genießen. Im
Vergleich zu anderen Bundesländern weist Thüringen eine ungeheure Artenvielfalt auf (auf
4,5 % der bundesdeutschen Gesamtfläche kommen über 42.000 Tier-, Pilz-und Pflanzenarten
vor).
Kennzeichen einer natürlichen Vielfalt und von herausragender Bedeutung sind z. B. die
Buchenwälder, die Gipskarstgebiete, bedeutende Binnensalzstellen, naturnahe Wasserläufe,
Hoch- und Niedermoore, Offenlandlebensräume, aber auch eine historisch geprägte
Kulturlandschaft. Diese Elemente prägen das Landschaftsbild Thüringens und tragen dazu bei,
von einem „Grünen Herzen Deutschlands“ zu sprechen.
Die charakteristischen Kultur-und Naturlandschaften Thüringens sind in ihrer Schönheit,
Eigenart und Vielfalt erhalten und ggf. wieder hergestellt und entwickelt. Zur Erhaltung der
charakteristischen Kulturlandschaft und ihrer zugehörigen Arten und Lebensräume tragen
umweltgerechte Landnutzungen bei. Darüber hinaus sind die Bereiche, deren Artenvielfalt nur
durch spezielle Pflegemaßnahmen erreicht werden können, entsprechend gepflegt. Es
existieren ausreichend große ungenutzte Bereiche.
Die Lebensräume, Lebensgemeinschaften und die in ihnen lebenden Arten sollen sich bis
spätestens 2020 in einem möglichst günstigen Erhaltungszustand befinden. Der Bestand der
für Thüringen typischen Arten lebt in Lebensräumen, die eine für die Erhaltung der Arten
ausreichende Größe haben. Der genetische Austausch der Arten ist durch die Vernetzung der
verschiedenen Lebensräume sichergestellt.
Es ist ein nachhaltiges, sich selbst tragendes System von Lebensgemeinschaften, das den
natürlich vorkommenden Arten das Überleben sichert, erhalten oder wieder hergestellt
worden.
Die landwirtschaftlichen Unternehmen nutzen ein noch breiter gewordenes Spektrum
angepasster leistungsfähiger Sorten in mehrgliedrigen Fruchtfolgen. Die Veredlung der
60
pflanzlichen Rohstoffe erfolgt standortgebunden mit produktiven Rassen, in die das
genetische Potential alter Landrassen eingeflossen ist. Insbesondere früher vom Aussterben
bedrohte heimische Nutztierrassen werden gezielt für extensive Wirtschaftsformen und
Landschaftspflege eingesetzt.
Dafür und für die In-situ-Erhaltung einheimischer Arten und Lebensräume des Grünlandes
erhalten die Landwirte ebenso eine spezielle Förderung wie für die Anreicherung der
Agrarlandschaft mit Strukturelementen und deren Pflege. Dabei kooperieren sie eng mit dem
Naturschutz.
Thüringen ist in die Ex-situ-Erhaltung genetischer Ressourcen mittels Genbanken und
Kryokonservenspeichern angemessen eingebunden.
Der Anbau von nachwachsenden Rohstoffen und der Gartenbau tragen maßgeblich zur
innovativen Nutzung eines breiten Spektrums von Arten bei. Dabei werden auch früher
angebaute Arten wieder in Nutzung genommen. In der Ernährungswirtschaft ist es gelungen,
Mikroorganismen für Produkt-und Verfahrensinnovationen nutzbar zu machen.
Zusammen mit einer nachhaltigen Landnutzung ist bis zum Jahr 2020 eine geeignete
Lebensgrundlage für eine Vielzahl von typischen Tier- und Pflanzenarten gesichert.
Die Wälder in Thüringen, die eine hohe natürliche Vielfalt und Dynamik hinsichtlich ihrer
Struktur und Artenzusammensetzung aufweisen, werden nachhaltig bewirtschaftet. Dabei sind
ihre ökologischen und sozialen Funktionen beachtet.
Die Fließgewässer und ihre Auen bilden eine Einheit und sind bedeutende Lebensadern der
Thüringer Landschaft. Der Erhaltung oder Wiederherstellung ihrer natürlichen Vielfalt und
Dynamik fällt eine wichtige Aufgabe zum Erhalt der biologischen Vielfalt zu. Bis 2020 haben
die Mehrzahl der Flüsse und Talsperren den guten chemischen und ökologischen Zustand
bzw. das gute ökologische Potential gemäß WRRL erreicht.
Die besiedelten Bereiche sind in Thüringen vor allem durch ihre Dörfer und kleinen Städte
gekennzeichnet. Sie bieten eine hohe Lebensqualität für die dort lebenden Menschen und
bieten vielen, auch seltenen und gefährdeten Tier- und Pflanzenarten einen Lebensraum. Bis
zum Jahr 2020 ist die Durchgrünung der Siedlungen deutlich erhöht und für die dort lebenden
Tier- und Pflanzenarten ein möglichst günstiger Erhaltungszustand erreicht.
Das Anliegen, dem Verlust der biologischen Vielfalt Einhalt zu gebieten, ist ein
gesamtgesellschaftliches Anliegen, an dem sich die verschiedenen Interessengruppen und
Politikbereiche beteiligen. Dies sind neben der Land- und Forstwirtschaft und der Fischerei u.
a. auch die Industrie, Städte, Kreise, Gemeinden, Kirchen und letztlich alle Bürger.
Die Einrichtungen der öffentlichen Hand in Thüringen zeigen engagiert und transparent, wie
sich die Erhaltung und nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt konkret verwirklichen
lässt und gehen in ihrem gesamten Handeln vorbildlich voran.
Die Wirtschaft setzt sich für ein tragfähiges Miteinander von wirtschaftlicher Entwicklung
und Naturschutz ein. Dabei hat Öko-Sponsoring eine besondere Bedeutung bekommen.
Natur und Landschaft ermöglichen in ihrer Vielfalt und Schönheit Naturerfahrung, Erholung
und einen naturverträglichen Sport. Tourismus, Sport und Erholung werden so betrieben und
durch geeignete Maßnahmen gelenkt, dass die biologische Vielfalt keinen Schaden nimmt.
Alle Beteiligten setzen sich gemeinsam mit dem Naturschutz für die Erhaltung der Kulturund Naturlandschaften in Thüringen ein.
Die Erhaltung der biologischen Vielfalt ist ebenso wie der Klimawandel ein Thema, das in das
Thüringer Bildungssystem integriert ist. Die Nationalen Naturlandschaften sind als
außerschulische Lernorte wichtige Partner der klassischen Bildungseinrichtungen.
61
Biologische Vielfalt erfreut sich in Thüringen einer hohen Wertschätzung als wesentlicher
Bestandteil der Lebensqualität und ist Voraussetzung für ein gesundes und erfülltes Leben.
Dies drückt sich im alltäglichen, eigenverantwortlichen und ehrenamtlichen Handeln aller
Bürger aus.
Zielsetzung 2020
Bis zum Jahre 2020 sollen folgende Ziele in Thüringen erreicht werden:
-
-
Der Rückgang natürlicher und naturnaher Lebensräume und der in ihnen wildlebenden
Arten in Thüringen ist gestoppt ( eingedämmt ?).
Arten, die vom Aussterben bedroht bzw. stark gefährdet sind, breiten sich wieder aus.
Einzelne Arten, die einst heimisch waren, wandern wieder vorrangig in ihren einst
angestammten Lebensraum ein.
Gefährdete Arten- und Lebensraumtypen, für die Thüringen international und national
eine besondere Verantwortung trägt, werden in ihrem Erhaltungszustand gesichert und
können sich weiterentwickeln.
Die Schwerpunktgebiete des Naturschutzes sind in einem guten Erhaltungszustand und
so vernetzt, dass auch Beeinträchtigungen ihrer biologischen Systeme, z. B. durch den
Klimawandel, weitgehend abgefedert werden können.
Unzerschnittene und störungsarme Räume werden erhalten und wo immer möglich neu
geschaffen oder miteinander verbunden.
Ausgehend von den Nationalen Naturlandschaften sind für die Nutzung von Natur und
Landschaft Modelle entwickelt, die ökonomische, ökologische und soziale Ziele
wirksam und nachhaltig verbinden. Dies gilt insbesondere für die Land- und
Forstwirtschaft als größten Flächennutzer.
Die Erhaltung der Kulturlandschaft erfolgt auch dort, wo „ungünstige“
landwirtschaftliche Voraussetzungen existieren.
Die Erhaltung der biologischen Vielfalt erfolgt auch durch die Instrumente anderer
Landnutzungsformen (z.B. Fischerei und Jagd).
Freiwillige Maßnahmen zur Erhaltung der biologischen Vielfalt werden durch die
bewährte konsensorientierte Ausweisung von Schutzgebieten flankiert.
Änderungen der Bodennutzung, die negative Auswirkungen auf die biologische Vielfalt
haben, finden nicht mehr statt.
Alte Landrassen und Sorten, für die Thüringen eine besondere Verantwortung hat,
werden vor dem Aussterben bewahrt und ihre Bestände vergrößert.
Durch gezielte Nutztier-und Pflanzenzüchtung werden beständig angepasste
leistungsfähige Rassen und Sorten für eine nachhaltige Landwirtschaft bereitgestellt.
Die Bürger orientieren sich in ihrem Nachfrageverhalten neben Preis und Qualität auch
stärker an Regionalität und Erzeugnissen von alten heimischen Nutztierrassen und
Pflanzensorten.
Landschaftselemente in der Feldflur werden entwickelt und gepflegt, sie strukturieren
die Kulturlandschaft, schützen vor Erosion und sind Habitat für viele wildlebende Arten.
Die ökologische Durchgängigkeit, besonders in den wichtigen Verbindungsgewässern
Saale, Werra, Unstrut, Ilm und geeigneten Laichgewässern, wird wiederhergestellt.
Die naturraumtypische Vielfalt wird durch die Verbesserung der Gewässerstruktur und
Ufervegetation in der Mehrheit der Wasserkörper erhöht.
Schad-und Nährstoffeinträge in Fliessgewässer und Talsperren werden deutlich
reduziert.
62
-
Aspekte
des
Naturschutzes
werden
bei
der
Aufstellung
der
Hochwasserrisikomanagementpläne bis 2015 und bei der Erhöhung natürlicher
Retentionsflächen berücksichtigt.
Die Überschwemmungsgebiete werden dauerhaft gesichert.
7. Aktionsplan bis 2020/Aktionsfelder
Um das vorgestellte Leitbild umzusetzen und um die gesteckten Ziele bis 2020 zu erreichen,
wird ein „Aktionsplan 2020“ festgelegt, der nach einzelnen Aktionsfeldern untergliedert ist.
Der Schutz der Arten und insbesondere die Entwicklung ihrer Bestände, für die Thüringen
global eine besondere Verantwortung trägt, muss intensiviert und finanziell unterstützt
werden. Dazu wurde ein Arten-und Lebensraumkorb „33 Arten und Lebensräume für
Thüringen“ entwickelt . Die dort enthaltenen Arten-und Lebensräume wurden nach
speziellen Auswahlkriterien ermittelt und sind als für den Laien leicht erkennbare Leitarten
auch für andere Arten repräsentativ. Einzelheiten zu ihrer speziellen Bedeutung sind dem
jeweiligen Steckbrief im Anhang zu entnehmen. Sie dienen als Indikatoren für die Umsetzung
der Strategie.
Dazu sind geeignete Artenhilfsprogramme und –maßnahmen zu erstellen.
Auswahlkriterien:
1. Arten, für deren globale Erhaltung Thüringen eine besondere Verantwortung
trägt (G)
2. Prioritäre Arten- und Lebensraumtypen gem. FFH-Richtlinie (P)
3. Lebensraumtypen und Arten der Anhänge I, II, IV und V der FFH-Richtlinie,
deren Erhaltungszustand im aktuellen nationalen Bericht an die EU-KOM als
ungünstig-schlecht (S) oder ungünstig-unzureichend (U) eingeschätzt wurde
4. Für ein Zielartenkonzept geeignete Vogelarten des Anhangs I oder II der EUVogelschutzrichtlinie (V)
5. Gut für Öffentlichkeit geeignet (gilt für alle ausgewählten Arten)
6. Zeigerart für besondere Lebensräume (gilt für alle ausgewählten Arten)
Art / Lebensraumtyp
Feldhamster
Wildkatze
Kleine Hufeisennase
Mopsfledermaus
Fischotter
Wachtelkönig
Rotmilan
Schwarzstorch
Weißstorch
Kiebitz
Schwarzspecht
Gelbbauchunke
Moorfrosch
Barbe
Kriterium Anhang FFH bzw.
EU-VRL bei Vögeln
G+S
IV
S
IV
G+S
II + IV
G+U
II + IV
II + IV
G+V
I
G+V
I
V
I
V
I
V
V
I
S
II + IV
IV
V
63
Bachneunauge
U
II
Steinkrebs
G +U
V
Bachmuschel (Gemeine Flussmuschel)
S
II + IV
Helm-Azurjungfer
G+U
II
Hirschkäfer
Eremit
U
S+P
II
IV
Dunkler Wiesenknopf-Ameisenbläuling
Berghexe
U
G
II + IV
Stengelloser Tragant
Frauenschuh
Arnika
Breitblättriges Knabenkraut
U
U
U
G
V
II + IV
V
Binnensalzstellen
Karstseen und Kalktuffquellen
Kalk-Trockenrasen und ihre
Verbuschungsstadien (mit orchideenreichen
Beständen)
Steppenrasen
Buchenwälder
Labkraut-Eichen-Hainbuchenwälder
Auenwälder
U+P
P
U (+ P)
I
I
I
U
G+P
U
U+P
I
I
I
I
•
Aktionsfeld Naturschutz
1. Bis 2020 sollen alle Arten, die darauf angewiesen sind, ohne Barrieren ihre natürlichen Wanderbewegungen wieder auf das ganze Land erstrecken können. Dazu ist ein
Biotopverbundsystem unter Einbeziehung des „Grünen Bandes“ zu schaffen, mit
dem Thüringen auf Grund seiner Lage im Herzen Europas dies ermöglicht. Dazu
sollen Grünbrücken und andere Verkehrsquerungen, auch im Wege von Ausgleichsmaßnahmen, nicht nur bei Neu- oder Umbauten von Verkehrswegen, sondern auch bei
bestehenden und von Tieren stark frequentierten Verkehrswegen eingerichtet werden.
Als wichtige Verbindungen sind auch die Gewässer und ihre Auen entsprechend zu
entwickeln und zu nutzen.
2. Ein Ausbau der Naturschutzinformation und –bildung, auch in den Museen, ist
erforderlich.
3. Im Rahmen eines integrierten Gesamtkonzeptes für die ländlichen Räume Thüringens
werden zielstrebig alle Synergien zwischen der Naturschutzverwaltung und Landentwicklungsverwaltung umfassend genutzt. Bestehende Planungsinstrumentarien wie
Flurbereinigung und Dorfentwicklung sind einzusetzen. Für die eigentumsrechtliche
Sicherung von Flächen mit besonderer Bedeutung für den Naturschutz kommt den
Verfahren nach dem Flurbereinigungsgesetz weiterhin erhebliche Bedeutung zu.
4. Bis 2011 wird eine repräsentative Schutzgebietskonzeption für Thüringen erarbeitet, in
der die weitere Naturschutzgebietsausweisung in Thüringen festgelegt wird. Bis 2015
64
sind die für die Erhaltung der biologischen Vielfalt unverzichtbaren Kerngebiete als
NSG ausgewiesen, bis zum Jahre 2020 sind mindestens 2/3 der in der Konzeption
genannten Gebiete als NSG ausgewiesen.
5.
Bis 2011 wird geprüft, ob alle geeigneten Gebiete als Nationale Naturlandschaften
ausgewiesen sind. Ebenso werden bis 2011 die Landschaftsschutzgebiete überprüft
( mit welchem Ziel ?).
6. Bis 2011 wird ein Qualitätssicherungssystem für die Schutzgebiete nach Naturschutzrecht entwickelt, dass hinsichtlich der Schutzgebietsbetreuung auch auf
ehrenamtliches Engagement setzt.
7. Bis 2015 ist das Qualitätssicherungssystem für die Schutzgebiete eingeführt, es stehen
ausreichend finanzielle Mittel für seine Umsetzung bereit.
8. Es findet eine konsequente Umsetzung der Flexibilisierungen statt, die die Eingriffsregelung seit der Gesetzesänderung 2006 bietet.
9. Bis 2015 wird im Rahmen des Monitoring eine zweite Dorfbiotopkartierung
durchgeführt, die Veränderungen aufzeigt und Maßnahmen zur Verbesserung der
biologischen Vielfalt enthält.
10.
Fortführung eines integrierten Naturschutzes durch Beibehaltung und Weiterentwicklung der schwerpunktmäßig kooperativen Zusammenarbeit von Naturschutz und
Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft als Ergänzung zum Ordnungsrecht.
11. Die Sicherung der NATURA 2000-Gebiete wird konsequent umgesetzt inklusive einer
fristgerechten kooperativen Erarbeitung der FFH-Managementpläne.
12.
13.
14.
Verbesserung der inhaltlichen und finanziellen Unterstützung des Landes für das
Monitoring in Naturschutzgroßprojekten und Unterstützung von zwei weiteren
Naturschutzgroßprojekten ab 2009: Grünes Band Eichsfeld-Werratal und Grünes Band
Rodachtal-Lange Berge-Steinachtal.
Unterstützung des LIFE+ - Projektes „Erhaltung und Entwicklung der Steppenrasen
Thüringens“ ab 2009 und Begleitung von Naturschutzgroßprojekten durch TMLNU
Das Land übernimmt aus den Flächen des „Nationalen Naturerbes“ weitere Bundesflächen, u.a. im GRÜNEN BAND, zu Naturschutzzwecken.
65
•
Aktionsfeld Gewässer
1. Die Aktion „Fluss“ des TMLNU wird bis 2020 fortgesetzt und in erheblichem Umfang
Maßnahmen zur Verbesserung der Flüsse, Talsperren und des Grundwassers
durchgeführt. Die Maßnahmen dienen der Umsetzung der WRRL , der Verbesserung
der Lebensräume und dem vorbeugenden Hochwasserschutz. Schwerpunkte der
umfangreichen Maßnahmen zur Verbesserung der Gewässerstruktur an Fliessgewässern sind der abschnittsweise Rückbau von Uferbefestigungen, die Duldung von
Flusslaufveränderungen und die Einrichtung von Gehölzstreifen. Bis 2015 sind 290
Maßnahmen an 41 Schwerpunktgewässern vorgesehen. Außerdem werden bis 2015
ca. 660 Querbauwerke durchgängig gestaltet.
Ein weiterer Schwerpunkt der Aktion „Fluss“ ist die weitere Reduzierung der Nährstoffeinträge (Stickstoff, Phosphor) in die Gewässer. In Abstimmung mit den
kommunalen Aufgabenträgern und zur Erreichung der Zielstellungen der WRRL
werden verstärkt Abwassermaßnahmen gefördert, die zu deutlichen Frachtreduzierungen in Gewässern führen.
Durch das erstmalige Angebot von Agrarumweltmaßnahmen (Absenkung Stickstoffsalden, Erosionsschutz) für den Gewässerschutz im Thüringer KULAP 2007-2013
wird ein weiterer Beitrag zur Verringerung der Nährstoffeinträge in die Gewässer
geleistet. Diese Maßnahmen werden durch das Angebot von Bildungsveranstaltungen
und die Initiierung von Kooperationen (Landwirtschaftsbetriebe, Landwirtschafts-und
Wasserbehörden) flankiert. Ergänzend soll der Eintrag von Schadstoffen, Salzen und
Pflanzenschutzmitteln in die Gewässer weiter reduziert werden.
Im Rahmen der Aktion „Fluss“ sind allein bis 2015 Investitionen in Höhe von rund
400 Mio. € vorgesehen.
•
Aktionsfeld Wälder
1. Der Erhalt der Wälder und ihre naturnahe Bewirtschaftung sind für das „waldreiche“
Thüringen ein besonderer Schwerpunkt. Handlungsbedarf besteht beim Umbau zu
laubholzdominierten Mischwäldern, beim Erhalt seltener waldspezifischer Arten und
Lebensräume und bei der Schaffung waldverträglicher Wilddichten.
•
Aktionsfeld Agrarlandschaften
1. Die Biodiversität in den Agrarökosystemen muss deutlich erhöht werden. Bis 2020
sollen die Populationen der wildlebenden Arten, die für die agrarisch genutzten
Kulturlandschaften in Thüringen typisch sind, gesichert sein und wieder zunehmen.
Bis 2020 wird der Flächenanteil naturschutzfachlich wertvoller Agrarbiotope wie
Grünland oder Streuobstwiesen um mindestens 10 % gegenüber 2005 gesteigert.
Außerdem wird der Anteil naturnaher Landschaftselemente wie Hecken und
Feldgehölze um mindestens 5 % erhöht ( nicht auf Thüringen übertragbar ?).
2. Die Maßnahmen nach KULAP werden fortgeführt und dahingehend angepasst, dass
sie den Erhalt wildlebender Arten und die Agrobiodiversität unterstützen und noch
mehr auf diese ausgerichtet werden.
3. Es wird eine wissenschaftliche Analyse und Bewertung des Einflusses der täglichen
Wirtschaftsweise in der Landwirtschaft auf die biologische Vielfalt durchgeführt und
daraus optimierte Nutzungssysteme abgeleitet.
4. Es erfolgt eine monetäre Bewertung und Verbesserung der Vergütung von gezielten
zusätzlichen Maßnahmen und Leistungen der Landwirtschaft bei der Erhaltung der
biologischen Vielfalt.
66
5. Zur Erhaltung alter Nutztierrassen und Pflanzensorten sind eine Reihe von Einzelmaßnahmen erforderlich: Rassenkorb Thüringer Heimatrassen, Aufbau von Erhaltungszuchtprogrammen, Ausbau von Arche-Höfen als Objekte zum On-Farm-Erhalt,
Unterstützung von Zuchtorganisationen, Marketing.
6. Agrarumweltmaßnahmen für den In-situ-Erhalt besonderer Grünlandgesellschaften
und Gehölze für Landschaftselemente und Streuobstwiesen werden fortentwickelt und
gefördert.
7. Es wird eine Marketingaktion gestartet „Verbraucher fördern biologische Vielfalt“.
8. Bis 2020 werden die Verwendungsmöglichkeiten seltener Kulturpflanzen als Heil-,
Duft- und Gewürzpflanzen oder nachwachsende Rohstoffe weiter erforscht.
Der aufgezeigte Aktionsplan wird unter Beachtung des Leitbildes in den Jahren 2012
und 2016 evaluiert.
ANHANG
Steckbriefe der Arten und Lebensräume des Arten-und Lebensraumkorbes
Quellenverzeichnis
-----------------------------------------------------------------------------------------------------------(Themenfelder, für die noch Maßnahmen geprüft werden!!)
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Fortentwicklung KULAP und ENL, Einsatz finanziell attraktiver Weideprogramme,
Förderung besonders aufwendiger Pflegemaßnahmen und spezieller Artenhilfsprogramme, Erhöhung Kappungsgrenze von 450 € bei Grünland, Werbung bei
Landwirten für Einsatz zur Biodiversität, Vertragsnaturschutz
Fortentwicklung NALAP, andere Schwerpunkte ?
Förderung der Betreuung von Flächen über Verbände
Rolle der Stiftung Naturschutz ?
Ökokonto ?
Weitere NWP und NWR ? Waldnaturschutzprojekte ? Seltene Baumarten
Moorschutz ? Hangquellmoore? Moorwälder?
Management für die Einwanderung von Wolf und Luchs
Ausbau der Bio-Anbauflächen
Bau von Grünbrücken konkret
Stärkung Freiwilligenprogramme in NNL
Finanzieller Beitrag der Wirtschaft, Ökosponsoring
Finanzieller Beitrag des Bundes
Überarbeitung Landschaftsprogramm und RROP ?
Öffentliche Kantinen bieten Gerichte aus ökologischem Anbau, Bio-Produkte
Genetischer Ressourcenschutz (Pflanzung von Gehölzen in der freien Natur nur aus
der Region)
Strategie für Ex-situ-Maßnahmen/ LANA soll Entwurf machen
Förderung Ehrenamt
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