Der Aspangbahnhof – zentraler Deportationsort für Jüdinnen und Juden aus Wien und Österreich Historische Darstellung und Quellendokumentation Dieter J. Hecht, Michaela Raggam-Blesch, Heidemarie Uhl (Projektleitung) Österreichische Akademie der Wissenschaften, Wien 2016 Im Auftrag von KÖR Kunst im öffentlichen Raum Wien 1 Der Aspangbahnhof – zentraler Deportationsort für Jüdinnen und Juden aus Wien und Österreich Historische Darstellung und Quellen-Dokumentation Teil 1. Historische Darstellung Inhaltsverzeichnis 2 1. Überblick: Daten und Fakten zum Deportationsort Aspangbahnhof 2. Vorgeschichte Der Aspangbahnhof in den Jahren 1873 bis 1938 Das jüdische Wien nach dem „Anschluss“ 1938 3. Von der Vertreibung zur Vernichtung Kriegsbeginn 1939 – Deportationen nach Nisko Deportationen im Frühjahr 1941 aus Wien Herbst 1941 –Beginn der großen Deportationen aus Wien und dem gesamten Deutschen Reich 4. Vorbereitung der Deportationstransporte „Aushebung“ – Internierung in den vier Wiener Sammellagern „Kommissionierung“ und Zusammenstellung der Transporte in den Sammellagern Transport von den Sammellagern zum Aspangbahnhof 5. Deportationen vom Aspangbahnhof Vorgänge am Bahnhof Fallbeispiel: Organisation der Deportation am 14. Juli 1942 „Aspangbahnhof […] Schon der Name allein löst in mir ein Schaudern aus…“ Zeitzeugenbericht von Edith de Zeeuw-Klaber Transporte und Opferzahlen Tabelle: Deportationen vom Aspangbahnhof 1939-1942 6. Institutionen und Akteure Adolf Eichmann und die „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ in Wien „Instanzen der Ohnmacht“ – Die Israelitische Kultusgemeinde (IKG) Wien 7. Epilog: Der Aspangbahnhof in den Jahren 1945 bis 1971/77 3 4 4 5 6 6 6 7 8 8 9 11 11 11 11 12 12 13 14 14 14 15 Teil 2. Quellen-Dokumentation (mit Anhang: Stellungnahme des DÖW Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes zur namentlichen Erfassung der Jüdinnen und Juden, die vom Aspangbahnhof deportiert wurden, und zur Deportation der österreichischen Roma und Sinti) 2 1. ÜBERBLICK: Daten und Fakten zum Deportationsort Aspangbahnhof Der Aspangbahnhof Im Unterschied zu Deutschland, wo die jüdische Bevölkerung aus mehreren Städten deportiert wurde, war der zentrale Ort für die Deportationen der jüdischen Bevölkerung Wiens und Österreichs der Wiener Aspangbahnhof im 3. Bezirk. Im Zuge der Deportationen, die zwischen Februar 1941 und Oktober 1942 von Wien abgingen, wurde der Großteil der jüdischen Bevölkerung von dort in Ghettos und Vernichtungslager im Osten deportiert. Der abseits der großen Bahnhöfe bzw. Haupteisenbahnrouten liegende und daher weniger frequentierte Bahnhof wurde vermutlich bewusst für diesen Zweck ausgewählt.1 Gleichzeitig befand sich der Bahnhof jedoch mitten in der Stadt, sodass der zuweilen wöchentliche Abtransport von jeweils rund tausend Jüdinnen und Juden nicht unbemerkt, sondern vor den Augen der Bevölkerung erfolgte. Deportation vom Aspangbahnhof – Transporte und Opferzahlen2 Zwischen 1939 und 1945 wurden insgesamt 48.953 Jüdinnen und Juden aus Wien deportiert, davon 47.035 Personen in 47 Transporten, die 1939 und 1941/42 vom Aspangbahnhof abgingen. (Nach Abschluss der großen Deportationen wurden zwischen Jänner 1943 und April 1945 noch 1.918 Menschen in kleineren und Einzeltransporten vom Nordbahnhof aus deportiert.) Von den 47.035 vom Aspangbahnhof deportierten Jüdinnen und Juden wurden laut Berechnungen des Historikers Jonny Moser 45.962 Opfer der Shoah; 1.073 überlebten die Ghettos und Vernichtungslager, darunter die über Theresienstadt nach Auschwitz deportierte spätere Schriftstellerin Ruth Klüger. Zielorte der Deportationszüge Die Zielorte der Deportationen waren das „Generalgouvernement“ (Nisko, Opole, Kielce, Modliborczicze, Łagów/Opatów und Izbica), Łódź (Warthegau), Riga (Lettland), Minsk mit Maly Trostinec (Weißrussland), Theresienstadt („Protektorat“) und Auschwitz (Oberschlesien). Die Bahnfahrt dauerte zwischen zwei Tagen und einer Woche. Rund die Hälfte aller aus Wien Deportierten kam nach Theresienstadt (15.122 Personen) und Minsk / Maly Trostinec (9.471 Personen). Von Theresienstadt wurde rund die Hälfte der aus dem ehemaligen Österreich stammenden Jüdinnen und Juden zwischen 1942 und 1944 nach Auschwitz und andere Vernichtungsorte weiter verschickt und ermordet, darunter die Schwestern von Sigmund Freud. Gesamtzahl der österreichischen Holocaust-Opfer Zur Zahl der jüdischen Österreicher/innen, die Opfer des Holocaust wurden, müssen neben den 1939 und 1941/42 vom Aspangbahnhof und 1943-1945 vom Nordbahnhof aus Deportierten auch Häftlinge aus Konzentrationslagern und Gefängnissen gerechnet werden, weiters jene Menschen, die aus vermeintlichen „Zufluchtsländern“ wie Frankreich, Belgien, den Niederlanden usw. deportiert wurden. Insgesamt beträgt die Zahl der österreichischen Shoah-Opfer etwa 65.500 Personen.3 1 Der Westbahnhof diente in den Jahren 1938-39 für Transporte politischer Häftlinge und verhafteter jüdischer Einzelpersonen in die Konzentrationslager Dachau und Buchenwald. 2 Jonny Moser, Österreich, in: Wolfgang Benz (Hg.), Dimension des Völkermords. Die Zahl der jüdischen Oper des Nationalsozialismus, München 1991, S. 72-92. In der Gesamtzahl sind auch die Opfer von Ausschreitungen 1938/39, in Gefängnissen und in Konzentrationslagern ums Leben Gekommene, jüdische Opfer der Euthanasie und Selbstmorde enthalten. Vgl. ebda, S. 72-92. 3 3 2. VORGESCHICHTE Der Aspangbahnhof in den Jahren 1873 bis 1938 Der Aspangbahnhof entstand auf dem Gelände des Endhafens des Wiener Neustädter Kanals. Erbaut wurde der Kanal zwischen 1794 und 1803, er sollte Wien mit Triest verbinden. Verwirklicht wurde nur ein 57 km langer Teilabschnitt von Wiener Neustadt bis Wien. Pferde zogen Lastkähne auf dieser Strecke. Im Winter nutzten die WienerInnen das Hafenbecken zum Eislaufen. Im Jahr 1872 erhielt die Betreibergesellschaft eine Bahnkonzession, um entlang der Strecke des Kanals eine Bahnverbindung Wien-Mitrovica-Saloniki zu bauen. Der Börsenkrach von 1873 verhinderte die Wien-Saloniki-Bahn. Es entstand nur ein redimensioniertes Projekt, die Eisenbahnlinie Wien-Pitten-Aspang (in der Buckligen Welt). Am Juli 1879 wurde die Schifffahrt eingestellt und in den Jahren 1880/81 im ehemaligen Hafengelände das Bahnhofsgebäude errichtet. Das Bahnhofsgelände war ca. 8 Hektar groß. Die ersten Züge Richtung Aspang fuhren ab 7. August 1881. Der Bahnhof war kein Kopfbahnhof und über die so genannte Verbindungsbahn mit anderen, größeren Bahnhöfen verbunden. Auf der Strecke der Aspangbahn gab es auch eine Abzweigung zum Zentralfriedhof für Leichentransporte.4 4 Vgl. Gerhard Kletter, Der Aspangbahnhof und die Wien-Saloniki-Bahn, Erfurt 2006; Eva Maria Bachinger/Gerald Lehner, Im Schatten der Ringstraße. Reiseführer durch die braune Topografie von Wien, Wien 2015, S. 170-173. 4 „Reibpartie“ in Wien 3., Hagenmüllergasse 30 am 15. März 1938, wenige Tage nach dem „Anschluss“ (DÖW) Das jüdische Wien nach dem „Anschluss“ 1938 Schätzungen zufolge lebten im März 1938 etwa 201.000 Personen in Österreich, die nach NSDefinition (Nürnberger Gesetze 1935) als Jüdinnen und Juden galten. Davon waren 181.882 Personen Mitglieder der verschiedenen Israelitischen Kultusgemeinden in Österreich, allein 167.249 davon in Wien. Der Großteil der jüdischen Bevölkerung in Österreich hatte seinen Lebensmittelpunkt somit in Wien (92 Prozent).5 Mit dem „Anschluss“ an das nationalsozialistische Deutsche Reich im März 1938 wurde das Leben der jüdischen Bevölkerung in Österreich über Nacht in dramatischer Weise verändert.6 Pogromartige Ausschreitungen gegen die recht- und schutzlos gewordenen Jüdinnen und Juden setzten bereits in den ersten Tagen nach dem „Anschluss“ ein: die berüchtigten Demütigungsrituale des Straßenwaschens („Reibpartien“), körperliche Übergriffe und willkürliche Verhaftungen. Dies stellt einen bedeutenden Unterschied zu der seit 1933 wesentlich langsamer eskalierenden Verfolgungssituation in Deutschland dar.7 Zu den als Jüdinnen und Juden verfolgten Menschen zählten jedoch nicht nur Mitglieder der Israelitischen Kultusgemeinden (IKG), sondern auch Angehörige christlicher Glaubensgemeinschaften sowie Personen ohne konfessionelle Zugehörigkeit, die nach den Nürnberger Gesetzen als Juden definiert wurden. Nach der ersten großen Fluchtwelle lebten im Mai 1939 in Wien noch 91.530 Personen, die nach NS-Definition als Jüdinnen und Juden galten. Damit hatte Wien den höchsten 5 Vgl. Jonny Moser, Demographie der jüdischen Bevölkerung Österreichs 1938-1945, Wien 1999, S. 16, 18-19, 29, 56. Vgl. Dieter J. Hecht / Eleonore Lappin-Eppel / Michaela Raggam-Blesch, Topographie der Shoah. Gedächtnisorte des zerstörten jüdischen Wien, Wien 2015, S. 16-38; Doron Rabinovici, Instanzen der Ohnmacht. Der Weg zum Judenrat, Frankfurt am Main 2000, S. 57-81, 124. 7 Vgl. Hecht / Lappin-Eppel / Raggam-Blesch, Topographie der Shoah, S. 16-31. 5 6 jüdischen Bevölkerungsanteil im gesamten Deutschen Reich.8 Im Laufe der Jahre 1938/39 wurde die jüdische Bevölkerung aus den österreichischen Bundesländern nach Wien vertrieben, die dortigen jüdischen Gemeinden wurden sukzessive aufgelöst. Ab 1. August 1940 unterstanden alle in Österreich verbliebenen Jüdinnen und Juden der Israelitische Kultusgemeinde (IKG) Wien.9 Von insgesamt rund 201.000 Personen, die 1938 als Juden galten, wurden etwa 65.500 Opfer der Shoah. 3. VON DER VERTREIBUNG ZUR VERNICHTUNG Kriegsbeginn 1939 – Deportationen nach Nisko am San Der Kriegsbeginn im September 1939 stellt eine Zäsur in der nationalsozialistischen Judenverfolgung dar. Während die nationalsozialistische Strategie bis dahin darauf ausgerichtet war, Jüdinnen und Juden unter Zurücklassung ihres Besitzes zur Flucht zu bewegen, wurde im Zuge der militärischen Besetzung Polens auch die Einrichtung von „Judenreservaten“ überlegt. Das geplante „Judenreservat“ im Distrikt Lublin (1939), wohin auch 1.584 männliche Juden aus Österreich im Zuge der Nisko-Aktion vom Aspangbahnhof deportiert wurden, scheiterte jedoch. 10 Die Auswanderung aus dem Deutschen Reich wurde seit Kriegsbeginn zunehmend schwieriger. Wichtige Zufluchtsländer wie England schlossen ihre Tore für Flüchtlinge. Im Frühjahr 1940 wurden Frankreich, Belgien und die Niederlande von der Deutschen Wehrmacht besetzt. Durch das Kriegsgeschehen wurden auch wichtige Fluchtrouten blockiert. Deportationen im Frühjahr 1941 aus Wien Auf Drängen von Reichsstatthalter Baldur von Schirach wurden im Februar und März 1941 fünftausend Wiener Jüdinnen und Juden vom Aspangbahnhof aus ins „Generalgouvernement“ deportiert.11 Ziel dieser Transporte waren polnische Kleinstädte, die kaum auf die Ankunft tausender Jüdinnen und Juden aus dem Reich vorbereitet waren. Die jüdischen Gemeinden vor Ort waren für die Versorgung und Unterbringung der Deportierten zuständig. Sie waren jedoch selbst zu arm, um für eine ausreichende Versorgung aufkommen zu können, was zu Hunger und Epidemien führte. In dieser Phase funktionierten diese Kleinstädte als offene Ghettos, wo die Deportierten sich frei bewegen durften, nur das Verlassen des Ortes war verboten.12 Diese Transporte aus Wien wurden 8 In der 4,3 Millionen Einwohner zählenden Reichshauptstadt Berlin lebten zu diesem Zeitpunkt insgesamt 82.457 als Jüdinnen und Juden definierte Personen. Statistik des Deutschen Reichs, Band 552,4, Volkszählung. Die Bevölkerung des Deutschen Reichs nach den Ergebnissen der Volkszählung 1939, Heft 4, S. 6-8. 9 Wolf Gruner, Zwangsarbeit und Verfolgung. Österreichische Juden im NS-Staat 1938-1945, Innsbruck 2001, S. 71, 111, 152. Felicitas Heimann-Jelinek / Lothar Hölbling / Ingo Zechner (Hg.), Ordnung muss sein. Das Archiv der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, Wien 2007, S. 58. 10 Vgl. Raul Hilberg, Die Vernichtung der europäischen Juden, Bd. 1, Frankfurt am Main 1994, S. 215f.; Saul Friedländer, Die Jahre der Vernichtung. Das Dritte Reich und die Juden 1939-1945, Bd. 2, München ²2006, S. 39, 52-58, 60f.; Jonny Moser, Nisko. Die ersten Judendeportationen, Wien 2012, S. 34-37, 52-54, 81-83. 11 Als Baldur von Schirach zum Gauleiter und Reichsstatthalter von Wien ernannt wurde, brachte er bei einem Treffen am 2. Oktober 1940 das Argument des Wohnungsmangels bei Adolf Hitler vor und erreichte damit die Genehmigung zu den frühen Deportationen aus Wien. Vgl. Hecht / Lappin-Eppel / Raggam-Blesch, Topographie der Shoah, S. 395, 457-460; Hans Safrian, Die Eichmann-Männer, Wien 1993, S. 96f.; Saul Friedländer, Das Dritte Reich und die Juden. Gesamtausgabe, München 2008, S. 519. 12 Einigen Menschen gelang die Flucht zurück nach Wien. Damit machten sie sich jedoch der „unerlaubten Rückkehr aus dem Osten“ schuldig. Bei einer etwaigen Festnahme wurden sie in spätere Deportationstransporte eingeteilt, ohne jedoch in den Deportationslisten aufzuscheinen, da sie zusätzlich zur festgesetzten Anzahl deportiert wurden. Siehe dazu: GestapoOpferdatenbank „Nicht mehr anonym“ (DÖW) http://www.doew.at/personensuche (20. 11. 2015). 6 bereits in jenen Organisationsstrukturen durchgeführt, die bei den großen Deportationen aus dem Deutschen Reich ab Herbst 1941 zur Anwendung kommen sollten.13 Der letzte Schritt zur Judenvernichtung erfolgte mit dem Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 und den daraufhin erfolgenden Massenerschießungen. Ziel der nationalsozialistischen Judenpolitik war nun nicht mehr die Vertreibung, sondern die Vernichtung. In diesem Zusammenhang ist auch das Auswanderungsverbot für jüdische Männer zwischen achtzehn und fünfundvierzig Jahren zu sehen, das am 7. August 1941 erlassen und am 23. Oktober 1941 auf die gesamte jüdische Bevölkerung ausgeweitet wurde. Am 1. September 1941 wurde Jüdinnen und Juden verboten, ohne schriftliche Bewilligung den Wohnort zu verlassen. Ab 19. September 1941 mussten schließlich alle als Jüdinnen und Juden Definierten ab dem 6. Lebensjahr durch einen an der Kleidung befestigten Judenstern gekennzeichnet sein.14 Herbst 1941 – Beginn der großen Deportationen aus Wien und dem gesamten Deutschen Reich Im Oktober 1941 begannen im gesamten Deutschen Reich die großen Deportationen und Umsiedlungen in die Ghettos und Konzentrationslager „im Osten“. Der erste reichsweite Deportationstransport ging am 15. Oktober 1941 vom Wiener Aspangbahnhof ab, erst danach folgten Transporte aus Prag, Berlin und anderen deutschen Städten.15 Zwischen 15. Oktober und 5. November 1941 wurden 4.995 Jüdinnen und Juden aus Österreich vom Wiener Aspangbahnhof nach Łódź deportiert. Weitere Deportationszüge fuhren zwischen 23. November und 3. Dezember 1941 nach Kowno (Kaunas), Riga und Minsk.16 In Folge der technischen Weiterentwicklung der Tötungsmethoden wurden im Winter und Frühjahr 1941/42 Vernichtungslager mit Gaskammern in Belzec, Lublin (Majdanek), Chelmno (Kulmhof), Sobibór, Treblinka und Auschwitz-Birkenau errichtet. Obwohl vergleichsweise wenige Transporte aus Wien direkt in diese Vernichtungslager fuhren, wurden doch viele österreichische Jüdinnen und Juden dort ermordet. Die meisten kamen aus anderen Ghettos und Lagern, wie z.B. Opole, Łódź und Theresienstadt dorthin.17 Am 20. Januar 1942 trafen sich sämtliche mit der „Judenfrage“ befassten Staatssekretäre und SSHauptamtschefs zur so genannten Wannseekonferenz in Berlin. Der Entschluss zur Judenvernichtung war allerdings bereits zuvor gefallen. Der Begriff „Endlösung“ diente ebenso wie die Begriffe „Aussiedlung“ und „Evakuierung“ zur Verschleierung von Deportation und Ermordung.18 Im Zentrum des Deportationsprozesses standen die von Adolf Eichmann geführte Abteilung IV B-4 des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) und die dem Verkehrsministerium unterstehende Reichsbahn. Das RSHA bezahlte der Reichsbahn für die zu deportierenden Jüdinnen und Juden normale 13 Vgl. Hecht / Lappin-Eppel / Raggam-Blesch, Topographie der Shoah, S. 395, 457-460; Friedländer, Das Dritte Reich, S. 519. Vgl. Raul Hilberg, Die Vernichtung der europäischen Juden, Bd. 2, Frankfurt am Main 1994, S. 287-303, 420f.; Friedländer, Die Jahre der Vernichtung, S. 155-160; Christopher Browning. Der Weg zur Endlösung. Entscheidungen und Täter, Berlin 2002. 15 Friedländer, Die Jahre der Vernichtung, S. 294f. 16 Die 995 österreichische Jüdinnen und Juden, die am 29. November 1941 in Kowno ankamen, fielen mobilen Einsatzgruppen, die Tötungsaktionen hinter der Front in der Sowjetunion durchführten, umgehend zum Opfer. Vgl. Ino Arndt / Heinz Boberach, Deutschland, in: Benz (Hg.), Dimensionen des Völkermords, S. 44; Jonny Moser, Österreich, in: ebda, S. 76-78. 17 Weitere Jüdinnen und Juden aus Österreich wurden in vermeintlichen Zufluchtsländern von der deutschen Kriegsmaschinerie eingeholt und ebenfalls in Vernichtungslager deportiert und ermordet. Vgl. Hecht / Lappin-Eppel / Raggam-Blesch, Topographie der Shoah, S. 163-240; Friedländer, Jahre der Vernichtung, S. 262-264. 18 Vgl. Hilberg, Die Vernichtung der europäischen Juden, S. 422-425; Peter Longerich, Die Wannsee-Konferenz vom 20. Januar 1942: Planung und Beginn des Genozids an den europäischen Juden, Berlin 1998. 7 14 Fahrpreise 3. Klasse, einfache Fahrt, wobei die Fahrtkosten der Deportation von den jüdischen Gemeinden zurückerstattet werden mussten. Die Wachmannschaften lösten Retourfahrscheine.19 4. VORBEREITUNG DER DEPORTATIONSTRANSPORTE „Aushebung“ – Internierung in den vier Wiener Sammellagern Im Zusammenhang mit der Durchführung der Deportationen wurden insgesamt vier Sammellager in Wien eingerichtet. Diese befanden sich im zweiten Bezirk, wo die Mehrheit der jüdischen Bevölkerung durch „Wohnungsarisierungen“, Zwangsdelogierungen und Einweisungen in „Sammelwohnungen“ bereits konzentriert worden war. Die ersten beiden Anfang Februar 1941 gleichzeitig eingerichteten Lager befanden sich in einer Schule der Stadt Wien in der Kleinen Sperlgasse 2a und im Gebäude des ehemaligen jüdischen Chajesrealgymnasiums in der Castellezgasse 35. Von Juni bis November 1942 bestand in der Malzgasse 16, in den Räumlichkeiten der ehemaligen Talmud Thora Schule, ein Sammellager.20 Gleich gegenüber, im Gebäude einer ehemaligen jüdischen Mädchenschule (Dr. Krüger-Heim) in 2., Malzgasse 7 / Ecke Miesbachgasse 8, war ein weiteres Sammellager, in dem auch ein kleines Gestapogefängnis eingerichtet wurde. Jüdinnen und Juden, die sich eines Vergehens schuldig gemacht hatten, wurden hier bis zu ihrem Abtransport festgehalten. Die vier Sammellager waren jedoch nicht alle gleichzeitig in Betrieb. „Einrücken“ in das Sammellager Die Deportationen wurden von der „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ organisiert, sie stellte die Transportlisten mit Hilfe der von der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) geführten Namenskartei ihrer Mitglieder zusammen. Danach verschickte die „Zentralstelle“ zunächst Postkarten an die Betroffenen, in denen sie diese aufforderte, sich zum angegebenen Datum in einem bestimmten Sammellager einzufinden. Die IKG musste ihre Mitglieder in einem Rundschreiben zur Kooperation aufrufen und gleichzeitig darauf hinweisen, dass Zuwiderhandeln streng bestraft würde. Damit zwang die „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ die IKG zur Mitarbeit bei der Organisation der Deportationen.21 In Abschiedsbriefen an Verwandte und Freunde wurde die Aufforderung zur Meldung in einem Sammellager oft als „Einrücken“ oder „in die Schule gehen“ bezeichnet. Zuvor hatten die Aufgerufenen ein genaues Verzeichnis ihrer ihnen noch verbliebenen Wertgegenstände anzulegen. Dieses mussten sie zusammen mit den Wohnungsschlüsseln im Sammellager abliefern. Jede/r durfte zwei Koffer (bis zu insgesamt fünfzig Kilogramm) mitnehmen. Auf den Gepäckstücken hatten in weißer Ölfarbe Namen und Anschrift der BesitzerInnen zu stehen.22 Einige dieser Koffer sind heute im Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau ausgestellt. Die Unterkünfte in den Sammellagern waren ehemalige Klassenzimmer, aus denen die Möbel entfernt worden waren, um möglichst viele Menschen hineinzwängen zu können. Zum Schlafen dienten Matratzen und Strohsäcke, oft auch aufgrund von Überfüllung der nackte Fußboden. Die Enge und die unzureichenden Waschgelegenheiten führten zu einer Ungezieferplage. Die IKG hatte 19 Vgl. Hilberg, Die Vernichtung der europäischen Juden, S. 426-430. Vgl. Hecht / Lappin-Eppel / Raggam-Blesch, Topographie der Shoah, S. 410-412. 21 Vgl. Doron Rabinovici, Instanzen der Ohnmacht, S. 278-280. 22 Vgl. ebda, S. 278-280. 20 8 für Verpflegung und ärztliche Betreuung der Lagerinsassen zu sorgen, war jedoch an die geringen Rationen von Lebensmitteln und Medikamenten gebunden. Die Gewalttätigkeit des SS-Personals verschlimmerte zusätzlich die Lebensbedingungen in den Lagern.23 Personen, die der per Post geschickten Aufforderung, sich im Sammellager einzufinden, nicht nachkamen, ließ die „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ ausforschen und einweisen.24 „Aushebung“ zur Deportation Im November 1941 führte Alois Brunner (Brunner I), Leiter der „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“, das System der „Aushebungen“ ein. In den Bezirken 2., 9. und 20., wo die jüdische Bevölkerung bereits konzentriert in bestimmten Gassen und Häusern in „Sammelwohnungen“ lebte, führte die SS Razzien unter Mithilfe von Mitarbeitern der IKG durch. Die zur Deportation Bestimmten mussten innerhalb von zwei Stunden ihre Koffer packen. Vor den Häusern warteten Lastautos, die sie in eines der Sammellager brachten. In zeitgenössischen Quellen, aber auch in Erinnerungen von Überlebenden werden diese Mitarbeiter der Kultusgemeinde als „Ordner“, „Rechercheure“ und „Ausheber“ bezeichnet. Der Amtsdirektor der IKG, Josef Löwenherz, hatte sich anfänglich geweigert, seine Angestellten für diese Tätigkeit zur Verfügung zu stellen. Erst nach Beschwerden über die Brutalität der von der „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ eingesetzten „Ausheber“ willigte Löwenherz ein. Auch diese „Ordner“ waren nur auf Zeit geschützt und wurden schließlich ebenfalls deportiert und Großteils ermordet.25 „Untertauchen“ Die Flucht vor den „Aushebern“ gelang nur wenigen und hatte meist nur kurzfristig Erfolg. Denn das Untertauchen war schwierig, weil „ArierInnen“ nur selten die Gefahr auf sich nahmen, Jüdinnen und Juden bei sich zu verstecken.26 Lebensmittel waren rationiert und nur schwer erhältlich, dazu kam die Gefahr, von Spitzeln verraten zu werden. In ihrer Ahnungslosigkeit hielten viele die Deportation für erträglicher als die Strapazen des Untertauchens. So berichtete Edith Hahn, dass ihre Freundin Hermine Schwarz den ständigen Druck des Versteckens und der Suche nach nicht immer willigen HelferInnen nicht mehr aushielt und sich der Deportation stellte: „Keiner will mich haben. Alle fürchten sich. Und ich habe Angst, ihnen zu schaden. Ich gehe in die Schule [Sammellager]. Vielleicht finde ich in Polen ein besseres Leben.“27 „Kommissionierung“ und Zusammenstellung der Transporte in den Sammellagern Über das Leben in den Sammellagern gibt es nur vereinzelt Informationen, weil der Kontakt mit der Außenwelt verboten war und nur wenige ehemalige LagerinsassInnen bzw. MitarbeiterInnen der IKG, die Einblick in das Sammellager hatten, überlebten. Über Verbleib im Lager oder Deportation entschied die so genannte „Kommissionierung“. Sie gab den Mitarbeitern der „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ Gelegenheit, die LagerinsassInnen zu demütigen, zu misshandeln und ihrer 23 Zu den Lebensbedingungen vgl. Eleonore Lappin-Eppel / Katharina Soukup / Johann Soukup (Hg.), Rita Maria Rockenbauer. „Zu lesen wenn alles vorüber ist“. Rita Maria Rockenbauer, Briefe 1938-1942, Wien 2014, S. 32-41; Herbert Rosenkranz, Verfolgung und Selbstbehauptung. Die Juden in Österreich 1938-1945, Wien 1978, S. 297f. 24 Vgl. Gabriele Anderl / Dirk Rupnow, Die Zentralstelle für jüdische Auswanderung als Beraubungsinstitut, Österreichische Historikerkommission, Bd. 20/1, Wien 2004, S. 224. 25 Vgl. Rosenkranz, Verfolgung und Selbstbehauptung, S. 285, 299; Rabinovici, Instanzen der Ohnmacht, S. 287f. 26 Vgl. Hecht / Lappin-Eppel / Raggam-Blesch, Topographie der Shoah, S. 417f., 531-343. 27 Edith Hahn-Beer, Ich ging durchs Feuer und brannte nicht. Eine außergewöhnliche Lebens- und Liebesgeschichte, Frankfurt/Main 2001, S. 146. 9 letzten Vermögenswerte zu berauben. Als Leiter der „Kommissionierung“ fungierte Anton Brunner (Brunner II), jener Mitarbeiter der „Zentralstelle“, der für die Organisation der Deportationen zuständig war. Brunner war ein fanatischer und brutaler Antisemit, der noch bei seinen Verhören nach dem Krieg bekannte, mehr als 48.000 Menschen „kommissioniert“ zu haben, von denen fast alle deportiert worden seien.28 Die Entscheidungen Brunners waren oft willkürlich und die „Kommissionierungen“ von schweren Misshandlungen begleitet. Der 1903 geborene Ernst Weiss war sechs Wochen im Sammellager Kleine Sperlgasse 2a bevor es seiner „arischen“ Frau gelang, seine Entlassung zu erwirken. In dieser Zeit musste Weiss „Kommissionierungen“ im Turnsaal der ehemaligen Sperlschule über sich ergehen lassen, die er im Gerichtsverfahren gegen Anton Brunner nach dem Krieg beschrieb: „Ca. 1.000 Personen wurden gebracht, sie mussten sich anstellen und wurden in Gruppen zu 10 Personen ins Zimmer gebracht. In einer Hand mussten sie ihr gesamtes Bargeld halten in der anderen ihre Dokumente. B[runner] überprüfte diese und wenn jemand Volljude war und mit einer Glaubensgenossin verheiratet war, zerriss er ihnen ihre Dokumente (Heimatschein, etc.) und fügte dem meist die höhnische Bemerkung hinzu, dass diese Dokumente in Polen sowieso keinen Wert hätten. Auf die jüdische Kennkarte kam der Stempel „Evakuiert“ […]. Dies war der einzige Ausweis, der den Leuten belassen wurde. Das Geld wurde [ihnen] abgenommen, ebenso wie alle anderen Wertgegenstände. Wenn die Leute Koffer besaßen, so ließ er diese durchwühlen und wenn jemand einen Wertgegenstand versteckt hatte, dann wurde ihnen alles abgenommen und sie kamen bis zur „Nachkommissionierung“ in den Bunker.“29 Ziel der „Kommissionierung“ war es, ausreichend viele Menschen zu überprüfen, um mit dem nächsten Transport tausend Personen deportieren zu können. Da immer wieder einzelne „Ausgehobene“ zurückgestellt wurden, z.B. weil sie „arisch-versippt“ waren, mussten sich immer mehr als tausend Personen im Sammellager befinden.30 Bisweilen führte die „Zentralstelle“ Straßenrazzien durch, um für den nächsten Transport die gewünschte TeilnehmerInnenzahl zu erzielen. Das „Wiener System“ der „Aushebungen“ und Deportationen erwies sich als äußerst „erfolgreich“. Aus diesem Grund wurde Alois Brunner für einen Monat nach Berlin versetzt, um die Deportation der Berliner Juden zu reorganisieren und zu beschleunigen, nachdem Mitarbeiter der Gestapoleitstelle Berlin wegen Korruption und mangelnder „Erfolge“ im Oktober 1942 verhaftet worden waren. Die Anwendung der „Wiener Methoden“ führte dort zu einer Radikalisierung der Verfolgungsmaßnahmen.31 Nach Abschluss der großen Deportationen im Oktober 1942 wurden die Sammellager aufgelöst. Im Frühjahr 1943 übernahm die Gestapo die Agenden der „Zentralstelle für jüdische Auswanderung “.32 28 Vgl. Niederschrift der Pol. Dion. Wien über die Vernehmung des Angezeigten Anton Brunner am 1. 10. 1945. WStLA, LG Wien, Vg 1g Vr 4574/45; Rosenkranz, Verfolgung und Selbstbehauptung, S. 297f. 29 WStLA, LG Wien, Vg 2d Vr 4574/45 gegen Anton Brunner. 30 Vgl. Rabinovici, Instanzen der Ohnmacht, S. 292f. 31 Vgl. Raul Hilberg, Die Vernichtung der europäischen Juden, Bd. 2, Frankfurt am Main 1994, S. 484f. 32 Vgl. Hecht / Lappin-Eppel / Raggam-Blesch, Topographie der Shoah, S. 431f. 10 Transport von den Sammellagern zum Aspangbahnhof Von den Sammellagern wurden die Menschen meist untertags in offenen Lastwagen über den Schwedenplatz, die Ringstraße und die Ungargasse zum Aspangbahnhof im 3. Bezirk gebracht. Auch dies verlief nicht ohne Demütigungen durch die Wiener Bevölkerung, wie sich Rudolf Gelbard erinnert, der als Zwölfjähriger am 1. Oktober 1942 vom Sammellager Malzgasse 7 über den Schwedenplatz zum Aspangbahnhof geführt wurde: „Da kann ich mich erinnern an eine Szene, vor dem Haus, wo heute der Eissalon am Schwedenplatz ist. Da ist der Lastwagen mit alten und auch kranken Leuten auf dem Weg zum Bahnhof stehen geblieben, auf dem wir hinten drauf waren. Da waren ein paar Passanten, die haben gesagt: "Ha, ha, ha, da fahren sie jetzt, die Jiddelach!“33 Am Aspangbahnhof erwartete sie eine Zuggarnitur, die tausend Personen aufnehmen konnte.34 Die Züge, die den Wiener Aspangbahnhof verließen, waren durchwegs Personenwagen. Zuweilen erfolgte zu einem späteren Zeitpunkt eine Umwaggonierung in Viehwaggons – dies ist beispielsweise für Transporte nach Maly Trostinec belegt, wo die Umwaggonierung in Wolkowitz (vermutlich Wołkowysk, heute Vawkavysk in Weißrussland) erfolgte. 5. DEPORTATIONEN VOM ASPANGBAHNHOF Vorgänge am Bahnhof Über die Vorgänge am Bahnhof selbst gibt es nur wenige Informationen. Der Aspangbahnhof scheint somit eine Leerstelle in den Erinnerungen von Überlebenden zu sein. Während über die Vorgänge im Sammellager sowie über den Transport durch die Stadt zum Bahnhof vereinzelt berichtet wird, gibt es kaum Berichte über die Situation am Bahnhofsgelände nach der Ankunft aus dem Sammellager. Fallbeispiel: Organisation der Deportation am 14. Juli 1942 (siehe auch Dokument 3.8. im Quellenanhang) Einen Einblick in die Vorbereitung der Deportationen und das dabei beschäftigte Personal gibt eine von Robert Prochnik, Sekretär der Amtsdirektion der Kultusgemeinde, der im Auftrag der „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ die „Aushebung“ der zur Deportation vorgesehenen Jüdinnen und Juden organisieren musste, im Juli 1942 erstellte Statistik über zwei abgehende Transporte (siehe Quellendokumentation im Anhang): Ein Transport vom 14. Juli 1942 mit 988 Personen nach Theresienstadt sowie der einzige direkt vom Aspangbahnhof nach Auschwitz geführte Transport vom 17. Juli 1942 mit 995 Personen. Der für Theresienstadt bestimmte Transport ging vom Sammellager 2., Malzgasse 7 ab. Am 12. Juli um 8 Uhr befanden sich dort insgesamt 1.057 Personen. Bis zum Morgen des 14. Juli reduzierte sich die Zahl, wohl aufgrund von Rückstellungen und Entlassungen, auf 1.039 Personen. Nach der 33 Zitiert nach Walter Kohl, Die dunklen Seiten des Planeten. Rudi Gelbard, der Kämpfer. Grünbach 2008, S. 3. Zu Rudolf Gelbard vgl. den Film "Der Mann auf dem Balkon", 2008. 34 Vgl. Emil Gottesmann in: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.), Erzählte Geschichte. Jüdische Schicksale. Berichte von Verfolgten, Wien ²1993, S. 505. 11 Feststellung der endgültigen Personenzahl des Transports wurde dieser zum Aspangbahnhof gebracht. Um 20 Uhr befanden sich nur mehr siebenundfünfzig Personen im Lager Malzgasse 7. In Vorbereitung dieses Transports hatte ein Reinigungsdienst der Kultusgemeinde, bestehend aus sechzehn Frauen, bereits am 13. Juli die aus dem „Osten“ zurückgekehrten Deportationszüge am Aspangbahnhof gesäubert. Noch am 14. Juli musste ein Reinigungsdienst bestehend aus fünfzehn Frauen das Lager Malzgasse 7 putzen und für den nächsten Transport vorbereiten. Tags darauf, am 15. Juli, kamen die ersten Neuzugänge. Bis zum 18. Juli betrug der Stand wieder 1.090 Personen. Von diesen wurde 1.005 am 22. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert. Unter diesen Deportierten befanden sich vor allem BewohnerInnen jüdischer Altersheime und Alterswohngemeinschaften. „Aspangbahnhof […]. Schon der Name allein löst in mir ein Schaudern aus …“ Zeitzeugenbericht von Edith de Zeeuw-Klaber Die Deportierten verließen Wien in Personenwaggons. Allerdings herrschten darin schreckliche Zustände. Während der Fahrt litten sie vor allem unter Durst. Die Versorgung mit Trinkwasser war von der Willkür der Wachmannschaften abhängig, die in der Regel von der Schutzpolizei gestellt wurden.35 Eine der wenigen autobiographischen Berichte über den Aspangbahnhof und den Ablauf der Deportation stammt von Edith de Zeeuw-Klaber, die ihre Deportation nach Riga schildert: „Aspangbahnhof […] Schon der Name allein löst in mir ein Schaudern aus, obwohl es bereits mehr als 70 Jahre her ist, dass uns, ungefähr 1.200 Juden, ein grauenhaftes Schicksal ereilte […]. Mittlerweile bin ich 83 Jahre alt. Mit 19 Jahren wurde ich am 4. Jänner 1942 mit meinen Eltern und den oben erwähnten „Glaubensgenossen“ deportiert. Nachdem wir aus unserer Wohnung, Wien 1., Naglergasse 2 „ausgehoben“ wurden. […] Per Lastauto ging es dann zum Aspangbahnhof, wo wir von der jüdischen Kultusgemeinde ein Esspaket bekamen. Unsere Henkersmahlzeit, wie wir Ahnungslosen es damals – gottseidank! – noch nicht so richtig begriffen. Das Wenige an Gepäck ging im letzten Waggon mit, so wurde uns versichert, wurde aber direkt außerhalb von Wien abgekuppelt. Die Reise ins Ungewisse dauerte fast fünf Tage, soweit ich mich erinnere. Der Zug stand vor allem nachts stundenlang still oder wurde umrangiert. Je weiter wir fuhren, desto kälter wurde es. Der Zug war ungeheizt und nach zweitägiger Fahrt war unsere Ration an Brot aufgegessen. Der Durst jedoch war noch ärger, wir leckten schließlich das Kondenswasser von den Scheiben.“36 Edith de Zeeuw-Klabers Mutter wurde unmittelbar nach der Ankunft in Riga in einem Gaswagen ermordet. Sie selbst überlebte die Lager Riga, Kivioli, Stutthof, Neuengamme und Bergen-Belsen. Transporte und Opferzahlen Die ersten beiden am Aspangbahnhof abgefertigten Transporte waren jene vom 20. und 26. Oktober 1939 nach Nisko am San, mit denen 1.584 jüdische Männer aus Wien deportiert wurden. Der Großteil der jüdischen Bevölkerung wurde mit den Frühjahrsdeportationen 1941 und den großen Deportationen zwischen Oktober 1941 und Oktober 1942 deportiert – insgesamt 45.451 Frauen, Männer und Kinder in 45 Transporten, wobei jeder Transport zwischen 900 und über 1000 Personen 35 Vgl. Tagesbericht der Gestapo Wien, 6. 2. 1942, in: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.), Widerstand und Verfolgung in Wien 1934-1945, 3 Bde., Wien ²1984, Bd. 3, S. 297. 36 Edith de Zeeuw-Klaber, Brief an Peter Eppel vom 5. 3. 2006, in: Peter Eppel (Hg.), Großer Bahnhof. Wien und die weite Welt, Katalog Wien Museum, Wien 2006, S. 141. 12 umfasste. Darunter waren nicht nur Wienerinnen und Wiener, sondern auch Jüdinnen und Juden aus den Bundesländern, die 1938/39 nach Wien vertrieben worden waren. Politische Häftlinge und andere nichtjüdische Opfergruppen wurden hingegen vorwiegend vom Westbahnhof nach Dachau und Buchenwald, später auch nach Mauthausen verschickt. Der Großteil der österreichischen Roma und Sinti wurde hingegen von Bahnhöfen im Burgenland und in der Steiermark, zum Teil direkt vom Anhaltelager Lackenbach deportiert. Ein Teil der in Wien lebenden Roma und Sinti, darunter die Familie von Ceija Stojka, wurde ab 1943 auch von Wien aus deportiert. Da zu diesem Zeitpunkt der Aspangbahnhof nicht mehr für Deportationstransporte in Verwendung war, ist anzunehmen, dass Roma und Sinti nicht von dort deportiert wurden.37 Nach dem Ende der großen Deportationen gingen kleinere und Einzeltransporte ab 1943 vom Nordund Nordwestbahnhof ab, darunter mehrere direkt nach Auschwitz geführte „Schutzhafttransporte“. Insgesamt fertigten die „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ und nach deren Auflösung ab 1943 die Gestapo zwischen 1939 und 1945 mindestens 79 Transporte in Wien ab. Die überwiegende Mehrheit der 48.953 aus Österreich deportierten Jüdinnen und Juden – insgesamt 47.035 Personen – wurde jedoch vom Aspangbahnhof deportiert, davon – neben den 1.584 Personen der beiden NiskoTransporte 1939 – insgesamt 45.451 Personen, die im Zeitraum von Februar 1941 bis Oktober 1942 in 45 Transporten vom Wiener Aspangbahnhof deportiert wurden.38 Tabelle: Deportationen vom Aspangbahnhof 1939-194239 (siehe auch: Gesamtverzeichnis der 47 Deportationstransporte in der Quellen-Dokumentation, 3.18) Zeitraum Oktober 1939 Deportationsaktion Nisko am San Zahl der Zahl der Deportierten Überlebenden 1.584 84 Generalgouvernement Februar – nach Opole, Kielce, März 1941 Modliborczicze und 12 * 5.031 25 Łagów/Opatów Oktober 1941 Litzmannstadt/Łódź 4.995 16 23. November 1941 Kaunas 995 --- November 1941 – Riga 4.188 102 Minsk – Maly Trostinec 9.471 13 Izbica 4.006 --- Februar 1942 November 1941 – Oktober 1942 April – Juni 1942 37 Siehe dazu die Stellungnahme des DÖW Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes im Anhang. Vgl. Jonny Moser, Österreich, in: Benz (Hg.), Dimension des Völkermords, S. 68. Jonny Moser, Demographie, S. 80-83. 39 Tabelle nach: Jonny Moser, Österreich, S. 72-92. 38 13 27. April 1942 Wlodawa 998 --- 14. Juni 1942 Sobibór 996 --- Juni 1942 – Oktober 1942 17. Juli 1942 Theresienstadt Auschwitz 13.776 995 47.035 821 -- 1.073 * Ungenaue Angaben (Überlebende aus einem der genannten Ghettos) 6. INSTITUTIONEN UND AKTEURE Adolf Eichmann und die „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ in Wien Adolf Eichmann kam nach dem „Anschluss“ nach Wien, wo er im SS-Oberabschnitt Donau das Referat II-112 leitete, das die antijüdische Politik in Österreich koordinieren und sehr bald auch kontrollieren sollte. Im August 1938 wurde er als Leiter der neu gegründeten „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ eingesetzt, welche Jüdinnen und Juden über Gebühren und Abgaben im Zuge der Erstellung von Auswanderungsgenehmigungen und Pässen auch aktiv ihres Vermögens beraubte. Im Dezember 1939 wurde Eichmann schließlich als Leiter des Referates für „Räumungsangelegenheiten“ (der späteren für die Deportationen zuständigen „Abteilung für Judenund Räumungsangelegenheiten IV B4“) im Reichssicherheitshauptamt (RSHA) in Berlin berufen, hatte aber nach wie vor großen Einfluss auf die Geschehnisse in Wien.40 Die von seinem Nachfolger Alois Brunner (Brunner I) geleitete „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ wurde schließlich neben der Gestapo zur zentralen Institution, welche die Deportation der jüdischen Bevölkerung in Österreich organisierte. „Instanzen der Ohnmacht“ – Die Israelitische Kultusgemeinde (IKG) Wien In der Auswanderungsabteilung der IKG erteilten Angestellte und freiwillige MitarbeiterInnen Auskünfte in Visa- und Passangelegenheiten sowie in Steuer und Vermögensfragen. Bis zum Auswanderungsstopp am 10. November 1941 konnten 128.500 Jüdinnen und Juden Österreich verlassen.41 40 Hecht / Lappin-Eppel / Raggam-Blesch, Topographie der Shoah, S. 123, 136f. Rosenkranz, Verfolgung und Selbstbehauptung, S. 34. Rabinovici, Instanzen der Ohnmacht, S. 70f. Gabriele Anderl / Dirk Rupnow, Die Zentralstelle für Jüdische Auswanderung als Beraubungsinstitution, Österreichische Historikerkommission, Bd. 20/1, Wien / München 2004, S. 76f. Hans Safrian, Die Eichmann Männer. Wien 1993, S. 89, 93. 41 Hecht / Lappin-Eppel / Raggam-Blesch, Topographie der Shoah, 442f. Anderl / Rupnow, Die Zentralstelle für jüdische Auswanderung, S. 127. Lisa Hauff, Zur politischen Rolle von Judenräten. Benjamin Murmelstein in Wien 1938-1942, Göttingen 2014, S. 138f. Rosenkranz, Verfolgung und Selbstbehauptung, S. 81, 270. Doron Rabinovici, "Der letzte der 14 Mit dem Beginn der Deportationen wandelten sich die Aufgaben der Auswanderungsabteilung. Nachdem im Oktober 1941 jede weitere Auswanderung verboten wurde, musste die IKG die „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ bei der Organisation der Deportationen unterstützen. Ihre Aufgabe war es nun, entsprechend den von der „Zentralstelle“ übermittelten Deportationslisten die für die Zusammenstellung des Transports notwendigen Ordner bereitzustellen. Dabei konnten leitende Funktionäre der IKG jedoch MitarbeiterInnen, die sie dringend benötigten, aus den Transportlisten herausreklamieren. Dafür setzte die „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ andere Personen auf die Liste. Die Auswanderungsabteilung der Kultusgemeinde und ihre MitarbeiterInnen, die tausenden Menschen die Flucht ermöglicht und ihnen dadurch das Leben gerettet hatten, wurden nun gezwungen, als Teil des Verwaltungsapparats der Deportationen zu agieren.42 Das Herausreklamieren von MitarbeiterInnen stellte die Funktionäre der IKG vor ein Dilemma, weil für jede „zurückgestellte“ Person von der „Zentralstelle“ (später von der Gestapo) eine andere deportiert wurde. Aus diesem Grund wurde die IKG nach dem Krieg von Überlebenden beschuldigt, die Deportationen bestimmter Personen veranlasst bzw. nicht verhindert zu haben. Für Überlebende und Angehörige von Deportierten galten sie als Mittäter. Doron Rabinovici beleuchtet in seinem Buch „Instanzen der Ohnmacht“ die erzwungene Mitarbeit von Mitarbeitern und Funktionären der IKG.43 7. Epilog: Der Aspangbahnhof in den Jahren 1945 bis 1971/77 Zu Kriegsende fuhren keine Züge mehr vom Aspangbahnhof. Der Bahnhof gehörte nach Kriegsende zur britischen Zone. Erst ab 26. Juli 1945 kam es im geringen Umfang wieder zur Aufnahme des Betriebs. In den 1950er Jahren gab es zahlreiche Personen- und Gütertransporte auf der Bahn zwischen Wien und Aspang mit Dampflokomotiven. In den 1960er Jahren verlor der Bahnhof aufgrund von Straßenbauten schnell an Bedeutung. Der Bahnbetrieb wurde 23. Mai 1971 eingestellt, das Bahnhofsgebäude 1977 abgerissen.44 Ungerechten" Benjamin Murmelstein, in: Ordnung muss sein. Das Archiv der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, Ausstellungskatalog, Wien 2007, 187-193. 42 Vgl. Hecht / Lappin-Eppel / Raggam-Blesch, Topographie der Shoah, S. 444f. 43 Vgl. Rabinovici, Instanzen der Ohnmacht, S. 266f., 341, 361-388; Moser, Dr. Benjamin Murmelstein, S. 147-150. 44 Vgl. Gerhard Kletter, Der Aspangbahnhof und die Wien-Saloniki-Bahn, Erfurt 2006. 15 TEIL2.QUELLEN-DOKUMENTATION Inhaltsverzeichnis 1. DerWienerAspangbahnhof 1.1. 1.2. 1.3. 1.4. 1.5. 1.6. 1.7 StadtplanmitWienerBahnhöfen,TaschenfahrplanReichsbahn2.11.1942 LageplandesAspangbahnhofsausdemJahr1913 FotosvomAspangbahnhofausderNachkriegszeit(1956/57) DerAspangbahnhofinderNachkriegszeit(1957/60) AufnahmenvomverwildertenGeländedesAspangbahnhofs,1970erJahre AufnahmeModelldesAspangbahnhofs GleisbrückenwaagezumAbwiegenvonbeladenenGüterwaggonsaufdemArealdes ehemaligenAspangbahnhofs,GrabungderWienerStadtarchäologie2010 2. 2.1. 3. 3.1. 3.2. 3.3. 3.4. 3.5. 3.6. 3.7. 3.8. 3.9. 3.10. 3.11. 3.12. 3.13. 3.14. DiefrühenDeportationenimFebruar/März1941 S.3-10 S.11 BriefdesTransportleitersJ.E.vom18.Februar1941ausOpole DiegroßenDeportationenvonOktober1941bisOktober1942 S.12-33 TelegrammvonMargaretePutzmitdemErsuchenumEnthebungihrerMutterauseinem Deportationstransport,14.10.1941 NamenslistederIKGimZugedesAnsuchensandie„Zentralstellefürjüdische Auswanderung“umEnthebungenfürdenTransportnachLitzmannstadt/Łódź,23.10.1941 ZweiBeispieleausderDatenbankderShoah-OpferdesDokumentationsarchivdes ÖsterreichischenWiderstandes(DÖW):HedwigFreund,ArnoldScheibner TagebuchderzionistischenMädchengruppeCherut(Freiheit),1941/42 Internetlinks:InterviewsmitÜberlebenden(RudolfGelbardundErikaKosnar)überdie DeportationenvomAspangbahnhof BerichtvonOttoKalwo,einemehemaligenOrdner,überalteMenschenimSammellagervor derDeportation FotoalbumdesSS-ScharführerJosefWeiszl,TransportvonGepäckstückenvomSammellager KleineSperlgasse2azumAspangbahnhof RobertProchnik,BerichtüberdieVorbereitungender„Abwanderungstransporte“vom 14.7.1942nachTheresienstadtundvom17.7.1942nachAuschwitz AuszugausderDeportationslistedes41.TransportsnachMinsk/MalyTrostinecvom 14.9.1942 BerichteinesWienerPolizeibeamtendes95.ReviersüberdenVerlaufdeserstenTransports nachMinsk/MalyTrostinecvom6.5.1942 BerichtvonSS-UnterscharführerArltvom17.5.1942überdieErmordungvonausWien deportiertenJüdinnenundJudeninMalyTrostinec AbschiedvonAronMenczer(1917-1943),LeiterderJugendalijah,vorseinerDeportation nachTheresienstadtam24.9.1942 AuszugausderDeportationslistevom24.9.1942,TransportnachTheresienstadt Gedicht„Judenschicksal“vonKurtMezei(1924-1945) 1 3.15. DeportationvonaltenMenschenausdemjüdischenAltersheim 3.16. UnterdenDeportierten:vierSchwesternvonSigmundFreud 3.17. OriginalbestandderinLeitz-OrdnernabgelegtenDeportationslistenimIKG-Archiv 3.18. Gesamtverzeichnisder47DeportationstransportevomWienerAspangbahnhof 3.19. DeportationenvomAspangbahnhof-DeportationszieleundVernichtungsorte Anhang:StellungnahmedesDÖWDokumentationsarchivdesösterreichischenWiderstandeszur namentlichenErfassungderJüdinnenundJuden,dievomAspangbahnhofdeportiertwurden,und zurDeportationderösterreichischenRomaundSinti. S.36-38 2 1.DerAspangbahnhof 1.1StadtplanmitWienerBahnhöfen TaschenfahrplanderReichsbahndirektionWien,1942 3 1.2.LageplandesAspangbahnhofsausdemJahr1913 In:GerhardKletter,DerAspangbahnhofunddieWien-Saloniki-Bahn,Erfurt2006,S.34f 4 1.3.FotosvomAspangbahnhofausderNachkriegszeit(1956/57) In:GerhardKletter,DerAspangbahnhofunddieWien-Saloniki-Bahn,Erfurt2006,S.31 5 1.4.DerAspangbahnhofinderNachkriegszeit(1957/60) In:GerhardKletter,DerAspangbahnhofunddieWien-Saloniki-Bahn,Erfurt2006,S.38 6 1.5.AufnahmenvomverwildertenGeländedesAspangbahnhofs,1970erJahre In:GerhardKletter,DerAspangbahnhofunddieWien-Saloniki-Bahn,Erfurt2006,S.90f 7 8 1.6.AufnahmeModelldesAspangbahnhofs ModelldesAspangbahnhofsum1959(Maßstab1:87);LeihgabevonIng.SchirmböckundHerrn Schuster(1.MECMödling)©JohannesHradecky 9 1.7.GleisbrückenwaagezumAbwiegenvonbeladenenGüterwaggonsaufdemArealdes ehemaligenAspangbahnhofs,GrabungderWienerStadtarchäologie2010 ©WienerStadtarchäologie 10 2.DiefrühenDeportationenimFebruar/März1941 2.2.BriefdesTransportleitersJ.E.vom18.Februar1941ausOpole In:ElseBehrend-Rosenfeld/GertrudLuckner(Hg.),LebenszeichenausPiaski.BriefeDeportierteraus demDistriktLublin1940-1943,München1968,S.167-169 Am15.Februar1941erfolgtedieersteDeportationnachOpoleLubelskieim„Generalgouvernement“. InnerhalbeinesMonatsgingenvomAspangbahnhoffünfTransportemit5.031WienerJüdinnenund Juden in die polnischen Kleinstädte Opole, Kielce, Modliborzyce und Łagów/Opatów ab. In diesen StädtengabesjüdischeGemeinden,diedieausWiendeportiertenJüdinnenundJudenverpflegenund unterbringenmussten.DieDeportiertenlebtenzunächstineinemoffenenGhetto.WienerJüdinnen undJuden,welchenichtschonandenschlechtenBedingungenindiesenGhettoszugrundegingen, wurdenimRahmender„AktionReinhardt“,desMassenmordsanJudenim„Generalgouvernement“, zwischen März 1942 und Oktober 1943 in den Vernichtungslagern Bełżec, Sobibór und Treblinka ermordet. Vermutlich handelt es sich beim Transportleiter J. E. um Jakob Engel, einen Katholiken jüdischer Herkunft,deraufderDeportationslisteaufscheint. „WirfuhrenFreitaghalbsechsUhrfrühmitunseremGepäckaufLastautosverladenaufdie Bahn. In der Nacht waren wir zu zehnt in einem Coupee familienweise untergebracht, schrecklichengundkeinKlo!SonntagabendswarenwirineinemStädtchenangekommenund wurden hier auf offene Züge verladen, wo wir zwei Stunden lang unter Soldaten fuhren. EndlichhattenwirunserZielOpole[erreicht].DassessolchegottverlasseneDörferüberhaupt gibt,daswussteichnicht,undIhrkönntEuchüberhauptkeinBildmachenvomElend.[…]Die Bevölkerungistarm,wiemansichüberhauptnichtvorstellenkann:DieFetzenhängenihnen vom Leibe herunter und sie führen das elendste Leben. Auf den Straßen kann man kaum gehen,manversinktfastimKotunddieHäuserkannichüberhauptnichtbeschreiben,etwas größereHundehütten.[…]EineskannichEuchabersagen,soarmdieseMenschenhiersind, ebensorührendhabensiesichunserangenommenundsiesindsozuvorkommendundgut undhilfreich,dassalleJudenWienssichvordiesenpolnischenJudenversteckenkönnen.[…] MitdemGeld,daswirhaben,könnenwirhöchstenseineWochelebenunddannkönnenwir glattverhungern.“ 11 3.DiegroßenDeportationenvonOktober1941bisOktober1942 3. 1. Telegramm von Margarete Putz an die IKG um Enthebung ihrer Mutter aus einem Deportationstransport,14.10.1941 CentralArchivesfortheHistoryoftheJewishPeople(CAHJP),A/W2765 Telegramm von Margarete Putz vom 14. 10. 1941 an die IKG mit der dringenden Bitte, bei der „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ zu intervenieren, um ihre Mutter aus dem Sammellager herauszuholenundihrenDeportationsterminbiszumEintreffendesangefordertenKuba-Visumszu verschieben. Zu diesem Zeitpunkt wurden jedoch nur mehr wenige Personen im Besitz von AusreisepapierenausdenTransportenenthoben.Am23.10.1941wurdeschließlichdasallgemeine AuswanderungsverbotfürJüdinnenundJudenerlassen.Die1879geboreneErnestinePutzwurdeam 23.10.1941nachŁódźdeportiertundermordet.IhreTochterMargaretePutzkaminRavensbrückums Leben. 12 3. 2. Namensliste der IKG im Zuge eines Ansuchens an die „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“umEnthebungenfürdenTransportnachLitzmannstadt/Łódź,23.10.1941 CentralArchivesfortheHistoryoftheJewishPeople(CAHJP),A/W2765 Die Israelitische Kultusgemeinde (IKG) versuchte immer wieder, einige der für die Deportation vorgesehenenPersonenausdenTransporten„herauszureklamieren“.BeidiesenPersonenhandelte 13 essichmeistensumIKG-MitarbeiterInnenundderenAngehörige.Dafürdeportiertedie„Zentralstelle fürjüdischeAuswanderung“allerdingsanderePersonen. ImabgebildetenBeispielkonntenallegenanntenPersonenbisaufArnoldScheibner,deram28.10. 1941nachŁódźdeportiertwurde,herausreklamiertwerden.Dieserwiessichfürdiemeistenjedoch nur als Aufschub auf Zeit. Der Großteil der hier angeführten Personen wurde später mit anderen TransportennachTheresienstadtundvondort1944nachAuschwitzdeportiert.Vondenaufdieser Liste Genannten dürfte einzig Olga Feinberg als Operationsschwester des jüdischen Spitals in Wien überlebthaben. 3. 3. Zwei Beispiele aus der Datenbank der Shoah-Opfer des Dokumentationsarchiv des ÖsterreichischenWiderstandes(DÖW):HedwigFreund,ArnoldScheibner http://www.doew.at/erinnern/personendatenbanken/shoah-opfer HedwigFreund 14 ArnoldScheibner Hedwig Freund, Schwester von Lily Reichenfeld, der Leiterin der Fürsorge der IKG, wurde von der Israelitischen Kultusgemeinde erfolgreich aus den Herbst Deportationen des Jahres 1941 herausreklamiert. Mit den letzten großen Deportationstransporten wurde sie schließlich am 24. 9. 1942 gemeinsam mit ihrer Schwester und ihrem 17jährigen Sohn Robert nach Theresienstadt deportiert, wo dieser im Juni 1943 umkam. Hedwig Freund und Lily Reichenfeld wurden 1944 in Auschwitzermordet. ArnoldScheibnerhingegenkonntenichtmehrausdenHerbsttransportenherausreklamiertwerden. Erwurdeam28.10.1941nachŁódźdeportiertundermordet. 15 3.4.TagebuchderzionistischenMädchengruppeCherut(Freiheit),1941/42 Privatbesitz Erinnerungseinträge von vier Mitgliedern der zionistischen Mädchengruppe Cherut bei der „Einberufung“ in das Sammellager Kleine Sperlgasse 2a: Ruth Kuttenplan, Miriam Neufeld, Herta RudichundLislBein.KeinesdervierMädchenüberlebte.DieseSeiteisteinAusschnittauseinem53seitigen Tagebuch einer Gruppe zionistischer Mädchen aus den Jahren 1941/42, die darin ihre AktivitätenfesthieltenundauchdieDeportationenunddasimmerschwierigerwerdendeÜberleben inWienbeschrieben. 16 3.5.Internetlinks:InterviewsmitÜberlebenden(RudolfGelbardundErikaKosnar)überdie DeportationenvomAspangbahnhof: Rudolf Gelbard, 1930 in Wien geboren, über seine Deportation vom Aspangbahnhof nach Theresienstadtam1.Oktober1942 https://www.youtube.com/watch?v=O7UGBDitjSs "Niemalsvergessen":ZeitzeugeRudiGelbardbeieinerGedenkfeieramAspangbahnhof(9.11.2015) https://www.youtube.com/watch?v=4ad5FmWHddY Sieheauch:DerMannaufdemBalkon.RudolfGelbard.KZ-Überlebender-Zeitzeuge-Homo Politicus.DokumentarfilmvonKurtBrazda(2008;ORF/3sat) http://wifar.at/index.php?option=com_content&view=article&id=4%3Ader-mann-auf-dembalkon&catid=2%3Adokumentarfilme&Itemid=2&lang=de InterviewmitErikaKosnar(geb.Nemschitz),1932inWiengeboren,derenVaterFritzNemschitzals jüdischer Zwangsarbeiter in der Nähe des Aspangbahnhofs arbeitete und die Deportationen beobachtete https://www.youtube.com/watch?v=--oCChi8FGE 17 3.6.BerichtvonOttoKalwo,einemehemaligenOrdner,überalteMenschenimSammellagervorderDeportation In: Elisabeth Fraller / George Langnas (Hg.), Mignon. Tagebücher und Briefe einer jüdischen KrankenschwesterinWien1938-1949,Wien2010,S.198. „Alte, Kranke werden in die Zimmer geschleppt und auf verwanzte, ausgenommene Matratzenfallengelassen.Daliegensie,hilflos,dienettenAugenineineWeltgerichtet, diesienichtmehrverstehen.SiewollennurnochzuihrenKinderninsAuslandkommen, sie sehen und küssen und vor Wiedersehensfreude lächeln ... Es ist nichts daraus geworden.SiewerdennachOstenfahren.IneinGhetto.SospinnensieihreGedanken fort!Ausland,Kinder,Osten...EsdrehtsichallesimKopf:WohabeichnurdieHandtasche mitdenDokumentenhingegeben,woistsiedennnur?Immerkonfuserwerdensie.Die Wartezeit,diepaarTagenoch,bevorsiefahrenwerden,machensieschonzuWracks.Sie verschmutzen, kommen tagelang nicht aus den Kleidern. Ihr Blick abwesend, gegenwartslos.DietrübeZeitdrücktihrenStempelaufihrGesicht.Ergebenhockensie auf dem Boden der Zimmer, mühsam gegen hoch aufgeschlichtete und immer wieder herunterfallendeGepäckstückeihrenschmalenPlatzbehauptend.Streitbrichtauswegen Geringfügigkeiten. Sie sind nicht mehr zu erkennen. Hineingestoßen in etwas für sie Unbegreifliches,könnensiekeinenklarenGedankenmehrfassen.Verlassen,ohneHilfe, sitzensienunda,vorsicheinSchicksal,dasfürsieglücklicherweisenichtfassbarist.Und warten.“ OttoKalwo(1918-2008)warvorseinerDeportationnachTheresienstadteinigeZeitals „Ordner“imSammellagerKleineSperlgasse2atätig. 18 3. 7. Fotoalbum des SS-Scharführers Josef Weiszl, Transport von Gepäckstücken vom SammellagerKleineSperlgasse2azumAspangbahnhof WienerStadt-undLandesarchiv(WStLA),VolksgerichtsaktvonJosefWeiszl Jüdische Zwangsarbeiter beim Verladen des Gepäcks von Deportierten im Hof des Sammellagers 2., Kleine Sperlgasse2a Zu den wenigen Fotos, welche den Ablauf einer Deportation dokumentieren, zählen jene aus dem Fotoalbum des SS-Scharführers Josef Weiszl, Mitarbeiter Adolf Eichmanns in der „Zentralstelle für jüdischeAuswanderung“,dieimHofdesSammellagersKleineSperlgasse2azwischenHerbst1941und Frühsommer1942aufgenommenwurden. 19 3.8.RobertProchnik,BerichtüberdieVorbereitungender„Abwanderungstransporte“vom 14.7.1942nachTheresienstadtundvom17.7.1942nachAuschwitz CentralArchivesfortheHistoryoftheJewishPeople(CAHJP),AW2750 Robert Prochnik musste als Mitarbeiter der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) die „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ und die Gestapo bei den Deportationen unterstützen. Er hatte in alle Abläufe EinsichtundmussteimAuftragderNS-BehördenauchamBahnhofbeidenDeportationenanwesendsein und darüber Bericht legen. Sein Bericht gibt einen einzigartigen Einblick in die Organisation der DeportationenvomSammellagerbiszumAspangbahnhof. 20 3.9.AuszugausderDeportationslistedes41.TransportsnachMinsk/MalyTrostinecvom 14.9.1942 IKGArchivWien Namen, Wohnadressen und Geburtsdaten der am 14. 9. 1942 nach Maly Trostinec Deportierten. Zumindest33KinderundJugendlicheausdemletztenjüdischenKnabenheim(GrüneTorgasse26)und 42 Mädchen aus dem letzten jüdischen Mädchenheim (Haasgasse 10) befanden sich mit ihren BetreuerInnen ebenfalls in diesem Transport. Sie wurden nach ihrer Ankunft in Maly Trostinec ermordet. 21 ErmordeteMädchenausdemletztenjüdischenMädchenheimin2.,Haasgasse10: DasSchicksalvonBerta(1930-1942)undRosaWeithorn(1929-1942) Berta und Rosa Weithorn kamen in Heimpflege, weil ihr Vater in Dachau inhaftiert war und ihre Mutter,eineSchneiderin,mitLähmungserscheinungenimjüdischenSpitallag.DiebeidenMädchen wurdenam14.September1942nachMalyTrostinecdeportiertundgleichnachderAnkunftermordet. 22 3. 10. Bericht eines Wiener Polizeibeamten des 95. Reviers über den Verlauf des ersten TransportsnachMinsk/MalyTrostinecvom6.5.1942 In:AlfredGottwaldt/DianaSchulle,Die„Judendeportationen“ausdemDeutschenReich1941-1945, Wiesbaden2005,S.237 „AnkunftinWolkowitzam8.5.1942um23.00Uhr.HierwurdederZugvonPersonenwagen inViehwagenumgeladen.DieUmwaggonierungdauertebis02.00Uhrnachts.Am9.5.1942 um02.45UhrwurdedieFahrtüberBaranowitzanachMinskfortgesetzt.InKojdanow,woder Transportam9.5.1942um14:30Uhranlangte,bliebderZugüberWeisungdesSD.vonMinsk bis11.5.1942stehen.BeimEintreffeninKojdanowwurden8verstorbeneJuden(3Männer und5Frauen)festgestelltundamdortigenBahnhofbeerdigt.“ 3.11.BerichtvonSS-UnterscharführerArltvom17.5.1942überdieErmordungvonaus WiendeportiertenJüdinnenundJudeninMalyTrostinec In:AlfredGottwaldt/DianaSchulle,Die„Judendeportationen“ausdemDeutschenReich1941-1945, Wiesbaden2005,S.238 „Am4.Maigingenwirbereitswiederdaran,neueGrubeninderNähedesGutesvomKdr. [Kommandeur]selbstauszuheben.AuchdieseArbeitennahmen4TageinAnspruch.Am11. MaitrafeinTransportmitJuden(1000Stück)ausWieninMinskein,undwurdengleichvom BahnhofzurobengenanntenGrubegeschafft.DazuwarderZugdirektanderGrubeeingesetzt. Am13.Maibeaufsichtigten8ManndieAusgrabungeinerweiterenGrube,dainnächsterZeit abermalseinTransportmitJudenausdemReichhiereintreffensoll.“ 3. 12. Abschied von Aron Menczer (1917-1943), Leiter der Jugendalijah, vor seiner DeportationnachTheresienstadtam24.9.1942 AusschnittauseinemneunseitigenBerichtvonMartinVogel,demStellvertretervonAronMenczer vom28.11.1942,YadVashemArchives(YVA),0.30/67 „Ein Großteil der Chawerim [Kameraden] fand sich am Erew’ Jom Kipur [Vorabend des Versöhnungstages,21.9.1942]imTempelein.Eswarmittlerweilebekanntgeworden,dass AronamDienstagden22.9.1942indasSammellagerMalzgasseeinrückenmüsse.AmJom KipurselbstfandkeinewesentlicheVeranstaltungstatt,daderGroßteilderJugendlichenin Arbeit war. Erst abends fanden sie sich wieder im Tempel ein. Nach Ausgang des Versöhnungstages kam der Moment des Abschieds von Aron [Menczer]. Keine Feier, keine Sichah [Gespräch] sollte diesen schicksalshaften Moment bedrücken. Es war nur ein kurzer Händedruck, ein paar Worte, ein in die Augen schauen und sonst nichts. Alle Chawerim verstandendenernsten,verpflichtendenSinndiesesAugenblickes.“ 23 AronMenczer(sitzend)mitdenMadrichim(JugendleiterInnen),1940.MartinVogelstehtinderzweitenReihe, zweitervonlinks. AronMenczerwarvon1939bis1942LeiterderJugendalijah(JUAL)Schule,dieKinderundJugendliche im Alter von zehn bis achtzehn Jahren unterrichtete. Ab Herbst 1939 war die JUAL die einzige Bildungseinrichtung für jüdische Jugendliche über vierzehn Jahren. Im Februar 1939 begleitete er einenTransportderJugendalijahnachPalästina.WährendseinesAufenthaltesbesuchteerauchseine inzwischennachHaifaemigrierteFamilie.ImApril1939kehrteernachWienzurück,umweiterfürdie Jugendalijahzuarbeiten.SeineigenesEinreise-Zertifikatbenützeernie.AronMenczerwurdeam24. 9. 1942 aus dem Sammellager Malzgasse 16 zum Wiener Aspangbahnhof gebracht und nach Theresienstadtdeportiert,woerwiederalsPädagogearbeitete.Alsmehrals1.200Kinderausdem GhettoBialystokinTheresienstadtinterniertwurden,meldeteersicham24.8.1943alsBetreuer.Am 5.10.1943wurdendieseKinderzusammenmitihren53BetreuerInnen–darunterAronMenczer– nachAuschwitzdeportiertundindenGaskammernermordet.InWiengibteszweiGedenktafelnzur Erinnerung an Aron Menczer: Eine im Gebäude der Israelitischen Kultusgemeinde in der Seitenstettengasse2-4undeineamHausderehemaligenJUAL-SchuleinderMarc-Aurel-Straße5. 24 3.13.AuszugausderDeportationslistevom24.9.1942nachTheresienstadt UnterdenDeportiertenwarenAronMenczer,LeiterderJugendalijah,DesiderFriedmann,ehemaliger Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde, und Robert Stricker, ehemaliger Vize-Präsident der IsraelitischenKultusgemeinde. AronMenczerwurdeimOktober1943inAuschwitzermordet.DesiderFriedmannundRobertStricker wurden mit ihren Frauen im Oktober 1944 von Theresienstadt nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. 25 3.14.Gedicht„Judenschicksal“vonKurtMezei(1924-1945) Judenschicksal. Ichsahheut'tausendMenschenverstörtenAngesichts Ichsahheut'tausendJuden,diewanderteninsNichts. ImGraudeskaltenMorgenszogdieverfemteSchar Undhinterihrverblasste,waseinstihrLebenwar. SieschrittendurchdiePfortenundwussten:niezurück! Sieließenallesdorten:Vermögen,Geltung,Glück. Wohinwirdmaneuchführen?WoendeteuerPfad? SiewissennurdasEine:IhrZielheißtStacheldraht! Undwasdortihrerwartet,istElend,QualundNot, Entbehrung,Hunger,Seuche,fürvielebitt'rerTod. IchschautinihreAugenmitbrüderlichemBlick, ErwartendtiefstenJammerobsolchemMissgeschick, DochstattVerzweiflungsahichnurungeheuresMühn UmHaltungundBeherrschungausihrenAugenglühn, SahheißenLebenswillen,sahHoffnungundsahMut, IchsahinmanchemAntlitzeinLächeln,starkundgut. Dahab‘ichtiefergriffendenGeistdesVolkserkannt, DasauserwähltzumLeiden,dasLiedauchstetsbestand. DassichausNotundElend,Verbannung,FrohnundHaf Nochimmerhaterhobenmitungebroch’nerKraft. Ichsahheut‘tausendJudenverstörtenAngesichts UnssahimGraudesMorgensden„Strahldesew’genLichts“.1 KurtMezei(1924–1945)warbisHerbst1939SchülerdesjüdischenChajesgymnasiums.DaabOktober 1939derSchulunterrichtfürjüdischeSchülerInnenüber14Jahrenverbotenwar,absolvierteerim Herbst1939einensogenannten„Umschulungskurs“zumElektrikerundarbeitetedanachwieviele JugendlicheimTechnischenAmtderIsraelitischenKultusgemeinde(IKG)Wien.Am15.Oktober1941 wurde er in das „Zimmer 8“ in den Amtsräumen der IKG in der Seitenstettengasse versetzt. Das „Zimmer 8“ war jene administrative Stelle innerhalb der Kultusgemeinde, die die „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ bei der Durchführung der Deportationen unterstützen musste. In diesem Büro wurden die von der „Zentralstelle “ übermittelten Listen abgeschrieben und beraten, welche MitarbeiterInnendurch„herausreklamieren“geschütztwerdensollten.ZuBeginnderDeportationen arbeiteten sechs Mitarbeiter dort, die zum Großteil zuvor in der Auswanderungsabteilung tätig gewesenwaren.InnerhalbeinesJahresstiegderPersonalstandauf15Personen.KurtMezei,derim RahmenseinerArbeitfürdieKultusgemeindeimZimmer8zeitweiligauchals„Ausheber"arbeiteten musste und zur Deportation Bestimme in ein Sammellager zu bringen hatte, schrieb zuBeginn der großen Deportationen das Gedicht „Judenschicksal", in dem er sich mit der Einweisung in das 1 UndatiertesGedichtvonKurtMezei,1941/42.DÖW,NachlassMargareteMezei,22176/37. 26 SammellagerunddenbevorstehendenDeportationenauseinandersetzte.Mitseinenhoffnungsvollpathetischen Worten über den Mut und den Überlebenswillen des jüdischen Volkes am Ende des Gedichtes reflektierte er auch seine eigene Lebenssituation. Kurt und seine Zwillingsschwester Ilse konntenalsAngestelltederIKGunddesspäteren„Ältestenrates“inWienverbleiben,währendviele ihrerFreundedeportiertwurden.DieGeschwisterMezeihabenmehrereTagebücherhinterlassen,die einen einzigartigen Einblick in das Leben und Überleben jüdischer Jugendlicher im nationalsozialistischenWiengeben.2 Bei den Kampfhandlungen zwischen deutscher Wehrmacht und der Roten Armee kurz vor der BefreiungverstecktesichKurtMezeiwiederGroßteilderWienerBevölkerungineinemKeller.Wenige StundenvorderBefreiungdurchdieRoteArmeeam12.April1945wurdeder21jährigeKurtMezei gemeinsammitachtJüdinnenundJudenvoneinerSS-EinheitausdemKellerdesHausesFörstergasse 7 geholt und ermordet. Seine Zwillingsschwester Ilse Mezei war einen Monat zuvor bei einem BombenangriffumsLebengekommen.HeutebefindetsichamHausinWien2.,Förstergasse7eine Gedenktafel in Erinnerung an die Ermordeten.3 Persönliche Dokumente und Fotos, darunter das Gedicht „Judenschicksal“, hat die Mutter Margarete Mezei (1899-1993) vor ihrem Tod dem DokumentationsarchivdesÖsterreichischenWiderstandes(DÖW)unddemJüdischenMuseumWien übergeben. Ilse(1924-1945)undKurtMezei(1924-1945),Wienum1941(DÖW) 2 DieterJ.Hecht/EleonoreLappin-Eppel/MichaelaRaggam-Blesch,TopographiederShoah.Gedächtnisortedeszerstörten jüdischenWien,Wien2015,S.445-447,465f. 3 Ebenda,S.548. 27 3.15.DeportationvonaltenMenschenausdemjüdischenAltersheim BerichtvonEdithHolzer,in:DokumentationsarchivdesösterreichischenWiderstandes(Hg.),Jüdische Schicksale.BerichtevonVerfolgten,ErzählteGeschichte,Bd.3,Wien1992,S.503f. Edith Auerhahn, geb. Holzer (1920-2011), die als Krankenschwester im jüdischen Altersheim in 2., Malzgasse 16 arbeitete, war bei dessen Räumung anwesend und schilderte in einem Interview die Umstände,unterdenendieDeportationderoftschwerkrankenaltenMenschenerfolgte: „Ich kann mich erinnern, wie man die Leute vom Altersheim in der Malzgasse 16 beziehungsweisevonderGeriatrieoderderNervenabteilungdesSpitalsdeportierthat. Da haben alle mitarbeiten müssen [...]. Draußen ist die SS gestanden und hat Befehle erteilt […] Furchtbare Szenen haben sich abgespielt. Die Leute haben sich gesträubt natürlich, haben gekämpft um ihr Leben. Man hat sie rücksichtslos hineingeworfen in diesenLastwagen,ohneirgendwiezuschauen,obeinergutsitztoderschlechtsitzt.Einen Patienten, der nur im Rollstuhl weiter befördert werden konnte, hat man aus dem Rollstuhl herausgenommen, hat ihn gepackt, einer oben, einer unten, und hat ihn reingehaut–soganzohneGefühl,daswarselbstverständlich.[…]Geschrienhabendie Leute furchtbar und um Hilfe gebeten. Und wir konnten gar nichts machen. Es war schrecklich,eswargrauenhaft.“ 3.16.UnterdenDeportierten:vierSchwesternvonSigmundFreud VierderfünfSchwesternvonSigmundFreudaufderTraun-PromenadeinBadIschl,4.7.1932©Libraryof Congress.V.l.n.r.:AdolfineFreud,AnnaBernay,MarieFreudundPaulineWinternitz.AnnaBernay,dieälteste derFreud-Schwestern,lebteinNewYorkundüberlebte. 28 Die Schwestern von Sigmund Freud mussten vor ihrer Deportation mehrmals in verschiedene Sammelwohnungen umziehen. Im April 1942 kamen die vier Schwestern Pauline Winternitz (18641942), Marie Freud (1861-1942), Adolfine Freud (1862-1942) und Rosa Graf (1860-1942) in das jüdischeAltersheimin9.,Seegasse9.Vondortwurdensieam28.6.bzw.27.8.1942vomWiener AspangbahnhofnachTheresienstadtdeportiert,woAdolfineFreudam29.9.anHerzmuskellähmung starb.IhreSchwesternMarieFreud,PaulineWinternitzundRosaGrafwurdenbereitsimSeptember 1942weiternachTreblinkadeportiertundermordet. 3.17.OriginalbestandderinLeitz-OrdnernabgelegtenDeportationslistenimIKG-Archiv FotoausderAusstellungimJüdischenMuseumWien(JMW)„Ordnungmusssein“,2007. ©LisaRastl Die Deportationslisten befinden sich im Archiv der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, 1., Seitenstettengasse2-4 29 3.18.GesamtverzeichnisallerDeportationstransportevomWienerAspangbahnhof4 Datum Deportationsaktion ZahlderDeportierten 20.Oktober1939 NiskoamSan 912 26.Oktober1939 NiskoamSan 672 15.Februar1941 Opole 996 19.Februar1941 Kielce 1010 26.Februar1941 Opole 1049 5.März1941 Modliborczicze 981 12.März1941 Łagów/Opatów 995 15.Oktober1941 Litzmannstadt/Łódź 1005 19.Oktober1941 Litzmannstadt/Łódź 1003 23.Oktober1941 Litzmannstadt/Łódź 991 28.Oktober1941 Litzmannstadt/Łódź 998 2.November1941 Litzmannstadt/Łódź 998 23.November1941 Kaunas/Kowno 995 28.November1941 Minsk 999 3.Dezember1941 Riga 995 11.Januar1942 Riga 1000 26.Januar1942 Riga 1196 6.Februar1942 Riga 997 9.April1942 Izbica 998 27.April1942 Wlodaw 998 4 Tabellenach:JonnyMoser,Österreich,in:WolfgangBenz(Hg.),DimensiondesVölkermords.DieZahlderjüdischenOpfer desNationalsozialismus,München1991,S.72-92. 30 6.Mai1942 Minsk/MalyTrostinec 994 12.Mai1942 Izbica 1001 15.Mai1942 Izbica 1006 20.Mai1942 Minsk/MalyTrostinec 986 27.Mai1942 Minsk/MalyTrostinec 981 2.Juni1942 Minsk/MalyTrostinec 999 5.Juni1942 Izbica 1001 9.Juni1942 Minsk/MalyTrostinec 1006 14.Juni1942 Sobibór 996 20.Juni1942 Theresienstadt 996 28.Juni1942 Theresienstadt 983 10.Juli1942 Theresienstadt 993 14.Juli1942 Theresienstadt 988 17.Juli1942 Auschwitz 995 22.Juli1942 Theresienstadt 1005 28.Juli1942 Theresienstadt 988 13.August1942 Theresienstadt 997 17.August1942 Minsk/MalyTrostinec 1003 20.August1942 Theresienstadt 997 27.August1942 Theresienstadt 956 31.August1942 Minsk/MalyTrostinec 967 10.September1942 Theresienstadt 990 14.September1942 Minsk/MalyTrostinec 992 31 24.September1942 Theresienstadt 1287 1.Oktober1942 Theresienstadt 1290 5.Oktober1942 Minsk/MalyTrostinec 544 9.Oktober1942 Theresienstadt 1306 47.035 32 3.19.DeportationenvomAspangbahnhof–DeportationszieleundVernichtungsorte5 DeportationennachNiskoamSanimOktober1939 NiskoamSan1939 2Transporte(20.und26.10.1939)vomAspangbahnhof,insgesamt1.584Männer.BarackenlagerbeiZarzecze; Auflösung:Frühjahr1940,198MännerkonntennachWienzurückkehren,84Überlebende. DeportationenimFrühjahr1941inpolnischeKleinstädteimGeneralgouvernement Opole 2Transporte(15.und26.2.1941)vomAspangbahnhof,insgesamt2.045Personen.OffenesGhettomitbiszu 8.000BewohnerInnen.Am31.März1942TransportindasVernichtungslagerBelzec,imMaiundOktober1942 inVernichtungslagerSobibór.17ÜberlebendeausÖsterreich Kielce 1 Transport (19. 2. 1941) vom Aspangbahnhof, insgesamt 1.010 Personen. Ab 31. März 1941 geschlossenes Ghetto, bis zu 27.000 InsassInnen. Zwangsarbeit in Steinbrüchen und im Ghetto. April 1941 bis April 1942 Typhusepidemiemitdie6.000Toten.Vom20.biszum24.August1942Deportationvonrund21.000Personen nachTreblinka;2.000kameninArbeitslager.August1944LiquidierungundDeportationennachAuschwitzund Buchenwald.2ÜberlebendeausÖsterreich. Modliborzyce 1Transport(5.3.1941)vomAspangbahnhof,insgesamt981Personen.GhettoimjüdischenViertel,Zwangsarbeit in umliegenden Arbeitslagern. Liquidation am 8. Oktober 1942, Erschießungen am Bahnhof Zaklików und VerbringunginVernichtungslager,der"AktionReinhardt".4ÜberlebendeausÖsterreich. Opatów/Łagów 1 Transport (12. 3. 1941) vom Aspangbahnhof, insgesamt 995 Personen. Geschlossenes Ghetto in Opatów, höchsten 7.000 BewohnerInnen. Ab Juli 1941 Überstellungen in Arbeitslager. 20. bis 22. Oktober 1942 LiquidierungundDeportationvonrund6.000PersoneninsVernichtungslagerTreblinkaundrund500–600ins ArbeitslagerSandomierz.InŁagówvergleichbareSituation.Insgesamt2ÜberlebendeausÖsterreich. DiegroßenDeportationenOktober1941–Oktober1942 Łódź/Litzmannstadt 5Transporte(Oktober1941)vomAspangbahnhof,insgesamt4.995Personen. 5Transporte(November1941)rund5.000österreichischeRomaundSinti. Ab 1940 Ghetto für rund 150.000 einheimische Jüdinnen und Juden. Ab Herbst 1941 auch Deportation von 20.000 Personen aus dem Deutschen Reich, dem „Protektorat“ und Luxemburg. Im Januar 1942 Beginn des Massenmords;bisMai1942wurden55.000MenscheninChelmnoermordet,darunterauchRomaundSintiaus Österreich. Liquidation des Ghettos im August 1944, Deportation von 70.000 Personen nach Auschwitz und Chelmno.16ÜberlebendeausÖsterreich. 5 DieterJ.Hecht/EleonoreLappin-Eppel/MichaelaRaggam-Blesch,TopographiederShoah.Gedächtnisortedeszerstörten jüdischenWien,Wien2015,S.554-559.Vgl.JonnyMoser,Österreich,in:WolfgangBenz(Hg.),DimensiondesVölkermords. DieZahlderjüdischenOpferdesNationalsozialismus,München1991,S.67-93.WolfgangBenzundBarbaraDistel(Hg.),Der OrtdesTerrors.GeschichtedernationalsozialistischenKonzentrationslager,9.Bände,München2008.Encyclopediaof CampsandGhettos1933-1945,ed.UnitedStatesHolocaustMemorialMuseum,Vol.IBloomington2009,Vol.II Bloomington2012. 33 Kowno/Kaunas 1 Transport (23. 11. 1941) vom Aspangbahnhof, insgesamt 995 Personen. Transport nach Riga, wurde aus ungeklärten Gründen nach Kowno umgeleitet. Dort erschoss das Einsatzkommando (EK) 3 alle Deportierten. KeineÜberlebende. Riga 4Transporte(3.12.1941-6.2.1942)vomAspangbahnhof,insgesamt4.188Personen.DielettischeHauptstadt Riga gehörte seit Juli 1941 zum "Reichskommissariat Ostland", einer Verwaltungseinheit, die die früheren baltischenStaatenLettland,LitauenundEstlandsowiedengrößtenTeildeswestlichenWeißrusslandsumfasste. InRigalebtenvordemKriegrund43.000JüdinnenundJuden.ImSeptember/Oktober1941wurdeeinStadtteil mit einer Mauer umgeben und zum Ghetto gemacht. Dort starben viele Bewohner an den furchtbaren Lebensbedingen und der Zwangsarbeit. Ende November/Anfang Dezember 1941 wurden ungefähr 27.000 Personen,vorallemlettischeJuden,imWaldvomRumbulaerschossen.AufdieseWeisesollteRaumfürneue TransporteausdemDeutschenReichgeschaffenwerden.Vondenrund20.000ausdemDeutschenReichnach Riga deportierten Jüdinnen und Juden haben die Selektionen, das Ghetto und die verschiedenen Konzentrationslagernurrund800Personenüberlebt.102ÜberlebendeausÖsterreich. Minsk 1 Transport (28. 11. 1941) vom Aspangbahnhof, insgesamt 999 Wiener Personen nach Minsk. Ab Juni 1941 Ghettofürbiszu70.000einheimischeJüdinnenundJuden;abHerbst1941Massenerschießungen,imHerbst 1943 nur mehr 1.000 Überlebende. Liquidierung des Ghettos und der Arbeitslager im September 1944. Insgesamt3ÜberlebendeausÖsterreich. Minsk/MalyTrostinec 9Transporte(November1941–Oktober1942)vomAspangbahnhof,insgesamt8.472Personen.MalyTrostinec, ehemalige Kolchose bei Minsk, von SS als Gut geführt, ab November 1941 Tötungsstätte; Erschießungen in WäldernbeiBlagovshchinaundShashkovka,abJuni1942auchEinsatzvon"Gaswagen";AuflösungimJuli1944. Insgesamt10ÜberlebendeausÖsterreich. Izbica 4Transporte(9.4.–5.6.1942)vomAspangbahnhof,insgesamt4.006Personen.Ab1940Ghettobiszu12.000 InsassInnen;24.März1942:über2.000MenscheninsVernichtungslagerBelzecdeportiert.AbSommer1942 DeportationeninVernichtungslagerder„AktionReinhardt";am15.Oktober1942wurden5.000Personennach Sobibór verbracht, die Verbliebenen großteils auf dem Friedhof von Izbica erschossen. Keine Überlebende bekannt. Włodawa 1Transport(27.4.1942)vomAspangbahnhof,insgesamt998Personen.OffenesGhetto;zwischendem22.und dem24.Mai1942erste"Judenaktion",Ermordungvon500altenMenschen.Liquidationam24.Oktober1942, Deportation von mehr als 6.000 Personen nach Sobibór. Anfang November 1942 Ermordung von 500 ArbeitskräftendurchdieSS.KeineÜberlebendebekannt. Sobibór 1 Transport (14. Juni 1942) vom Aspangbahnhof, insgesamt 996 Personen. Vernichtungslager der „Aktion Reinhardt“vonMärz1942bisHerbst1943.Ermordungvonannähernd250.000Menschen.InderZeitvonMärz bisSeptember1942warderausÖsterreichstammendeSS-ObersturmführerFranzStanglLagerkommandant. 14.Oktober1943Häftlingsaufstand,rund300konntenfliehen.DerGroßteildavonüberlebtenicht.Insgesamte ZahlderhierermordetenösterreichischenOpfernichtfeststellbar. 34 Theresienstadt/Terezín 13großeTransporte(Juni1942–Oktober1942)vomAspangbahnhof,mehrerekleinereTransporte(Januar1943 –April1945),vomNord-undNordwestbahnhof,insgesamt15.122Personen.AbNovember1941Ghettound Konzentrationslager, insgesamt 140.000 Personen. Lagerkommandanten stammten aus Österreich: Siegfried Seidl(November1941–Juli1943),AntonBurger(Juli1943–Februar1944)undKarlRahm(Februar1944–Mai 1945).DurchgangslagerfürDeportationenindieVernichtungslagerAuschwitzundTreblinka.1.342Überlebende ausÖsterreich. Auschwitz-Birkenau 1Transport(17.7.1942)vomAspangbahnhof,insgesamt995Personen.MehrerekleinereTransporte1943/44, vomNord-undNordwestbahnhof,insgesamt572Personen.AbFrühjahr1940Konzentrationslager(AuschwitzI) mit polnischen Häftlingen; ab Herbst 1941 Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau (Auschwitz II), außerdem KonzentrationslagerMonowitz(AuschwitzIII)sowie50weitereNebenlager;abFrühjahr1942Vergasungenin Birkenau,ab1943vierKrematorienmitangeschlossenenGaskammern.Am7.Oktober1944sprengtenHäftlinge des Sonderkommandos das Krematorium IV im Zuge eines Häftlingsaufstandes. Zwischen 17. und 21. Januar 1945Liquidierung,BeginnderTodesmärsche.140ÜberlebendeausÖsterreich. VernichtungslagerohnedirekteDeportationstransporteausWien Chelmno/Kulmhof Transporte aus dem Ghetto Łódź. Ab November 1941 Vernichtungslager in einem Schloss bei Chelmno, Ermordung in Gaswagen; Ende März 1943 Auflösung. 1944 wieder in Betriebnahme bei der Liquidierung des GhettosŁódź.Insgesamtrund152.000Opfer.ZahlderösterreichischenOpfernichtfeststellbar. Belzec Kein direkter Transport aus Wien/Österreich. Vernichtungslagers der „Aktion Reinhardt“ ab November 1941. ZwischenMärz1942undderJahreswende1942/43Ermordungvon550.000MenschenindenGaskammernvon Belzec. Im Frühling 1943 erfolgten die Liquidation des Lagers und die Beseitigung aller Spuren. Zahl der österreichischenOpfernichtfeststellbar. Majdanek/Lublin Kein direkter Transport aus Wien/Österreich. Konzentrations- und Vernichtungslager, im September 1941 als „KriegsgefangenenlagerderWaffen-SS“errichtet.ZwischenSeptemberundNovember1942Vergasungenmit ZyklonBundKohlenmonoxyd;am16.Februar1943inKonzentrationslagerLublinumbenannt.3.November1943 ErschießungenimRahmender„AktionErntefest“von42.000Männer,FrauenundKinderinMajdanek/Lublin, TrawnikiundPoniatowa.ZahlderösterreichischenOpfernichtfeststellbar. Treblinka KeindirekterTransportausWien/Österreich,5TransporteimOktober1942ausTheresienstadt,darunter3.100 ÖsterreicherInnen.Vernichtungslagerder"AktionReinhardt",zwischenJuli1942undHerbst1943Ermordung von rund 870.000 Personen, überwiegend Jüdinnen und Juden, aber auch Roma und Sinti in Gaskammern; September 1941 bis August 1942 einer der Kommandanten war der Österreicher Franz Stangl. Zahl der österreichischenOpfernichtfeststellbar. 35 StellungnahmedesDÖWDokumentationsarchivdesösterreichischenWiderstandes zur namentlichen Erfassung der Jüdinnen und Juden, die vom Aspangbahnhof deportiertwurden,undzurDeportationderösterreichischenRomaundSinti. A.) NamendervomAspangbahnhofDeportierten:IstdieExtrahierungderNamenaus derHolocaust-OpferdatenbankdesDÖWmöglich? DieOpferdatenbankdesDÖW–erstelltinjahrzehntelangenForschungsarbeitenseit1992–beinhaltet ausführlicheDatenzumehrals65.000österreichischenOpfernderShoah.6AufgelistetwerdenName, Vorname,Geburtsdatum,GeburtsortundletzterWohnortdesOpfers,derZielortunddasDatumder Deportationund–soweitbekannt–dasTodesdatumsowiederTodesort.SeitJänner2015sinddie TransportlistenausWienmitdenDatenvonrund46.000österreichischenHolocaustopfernverknüpft undindieDatenbankintegriert.ZudenimZeitraum1941/42vomWienerAspangbahnhoferfolgten DeportationenösterreichischerJüdinnenundJudenhatderMitarbeiterdesDÖW,WinfriedGarscha, 2000recherchiertundpubliziert.7 DieErstellungeinerNamenslistefürjeneHolocaust-Opfer,dievomAspangbahnhofinGhettosund Vernichtungslagerdeportiertwurden – aufderBasisder derzeit vorliegenden Daten– istaufgrund dieserVorarbeiteninkurzerZeitmöglich.DerzufinanzierendeArbeitsaufwandbeläuftsichaufetwa fünfArbeitstage,d.h.inetwa1.250€. B.) GingenTransportevonösterreichischenRomaundSintivomAspangbahnhofab? Die Deportationen vom 5.007 österreichischen Roma und Sinti im Herbst 1941 in das Ghetto Litzmannstadt im heutigen Łódź in Polen, die in der Arbeit von Winfried Garscha erwähnt wurden, gingen,wiemanheuteweiß,nichtvonAspangbahnhofab.InseinenForschungsarbeitenzumGhetto Litzmannstadtundinsbesonderezumsogenannten„Zigeunerlager“imGhettoLitzmannstadtkonnte FlorianFreundeinwandfreiklären,dassdieseTransporteösterreichischenRomaundSintieindeutig nichtvomAspangbahnhofodereinemanderenWienerBahnhofabgingen.8 DieseTransportegingenvonverschiedenenBahnhöfenimheutigenBurgenlandundinderSteiermark ab.DieTransporteinssogenannte„ZigeunerlagerLitzmannstadt“betrafeninersterLinieRomaund Sinti aus dem heutigen Burgenland, der Steiermark, Kärnten, Oberösterreich und Wien. Die Verhandlungen über diese Deportation wurden im August und September 1941 geführt. Am 1. Oktober 1941 erließ Heinrich Himmler einen detaillierten Erlass betreffend die „Abschiebung von Zigeunern“,inwelchendieTransporteklardefiniertwurden. 6 Brigitte Bailer / Gerhard Ungar, Die namentliche Erfassung der österreichischen Holocaustopfer, in: DokumentationsarchivdesösterreichischenWiderstandes(Hg.),Opferschicksale.WiderstandundVerfolgungim Nationalsozialismus.Jahrbuch2013,Wien2013,S.63-73. 7 WinfriedGarscha:HolocaustvorGericht:DieDeportationderWienerJudenindenJahren1941und1942und die österreichische Justiz nach 1945; 24. Jahrestagung der German Studies Association (5. - 8. 10. 2000 in Houston/Texas), Panel 86: Verfolgung und Ermordung österreichischer Juden in österreichischen NachkriegsProzessen.(abrufbarunter:http://www.nachkriegsjustiz.at/ns_verbrechen/juden/deport_wien_wrg.php). 8 FlorianFreund/GerhardBaumgartner/HaraldGreifeneder,Vermögensentzug,RestitutionundEntschädigung der Roma und Sinti. Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission, Bd. 23/2 Nationale MinderheitenimNationalsozialismus,Kapitel5. 36 „Der Abtransport von 5000 Zigeunern erfolgt entsprechend den übersandten Richtlinien mit bereitgestelltenEisenbahnzügen. a.)am4.11.um8,30UhrvomBahnhofHartberg(Stmk.) b.)am5.11.um6,32UhrvomBahnhofFürstenfeld(Stmk.) c.)am6.11.um14,01UhrvomBahnhofMattersburg(N.D.) d.)am7.11.um8,40UhrvomBahnhofRotenthurm(Stmk.) e.)am8.11.um8,55UhrvomBahnhofOberwart(Stmk.).“9 Neben der Detailplanung der Transporte für die Deportationen nach Łódź wurde auch die Kostenverteilungbeschlossen.DiesesolltedieGaufürsorgedesGauesSteiermarkübernehmen: „AufGrundderBesprechungvom9.Oktober1941inwelcherdieSanierungderZigeunerfragebehandelt wurde, teile ich mit, dass anlässlich der Aussiedlung der Zigeuner aus dem Reichsgau Steiermark, der GaufürsorgeverbandSteiermarkdieKostenderVerpflegungderZigeunerindenSammellagern,sowiedie KostenderVerpflegungfürweiteresiebenTagedesTransportesträgt. AlleweiterenKosten,TransportkostenundallfälligeKostenfürdieAusgestaltungderSammellagerwerden vomChefderSicherheitspolizeigetragen.“10 In den letzten Jahren konnte anhand von lokalen Quellen nachgewiesen werden, dass diese Deportationsplänevielfachnochmodifiziertwurden.SosolltenTeilederburgenländischenRomaauch ineinemSammellagerinPinkafeldinterniertundvondortdeportiertwerden.11Auswertungenlokaler Archivmaterialien der letzten Jahre lassen jedoch deutlich werden, dass zur Internierung vor der DeportationvielfachschonvorhandeneLagerdesReichsarbeitsdienstesverwendetwurden.Soging denn auch die Deportation schlussendlich nicht vom Bahnhof im burgenländischen Pinkafeld ab, sondernvoneinerBedarfshaltestelleimbenachbartensteirischenOrtSinnersdorf.12Ähnlichverhielt es sich bei der Deportation aus Fürstenfeld, bei der ein bestehendes Reichsarbeitsdienst-Lager im angrenzendenOrtDietersdorfalsSammellagerverwendetwurde.13 Neben der Tatsache, dass in der Regel ganze Familien deportiert wurden, dürfte die Arbeits(un)fähigkeit wichtigstes Auswahlkriterium gewesen sein. Die ländlichen Gemeinden des ehemaligenBurgenlandeswolltendieKostenfürdieFürsorgeeinsparenundnurjeneRomaundSinti indenLagernbehalten,diearbeitsfähigwarenundnutzbringendeingesetztwerdenkonnten.Vonden 5007 nach Łódź deportierten „Zigeunern“ waren 1130 Männer und 1188 Frauen. Neben den 2318 Erwachsenen erfassten die fünf Transporte 2689 (53 %) Kinder. Die 5007 nach Łódź deportierten 9 ErlaßRFSSS–VA2bNr.81/41gIIbetr.AbschiebungvonZigeunern,StLALandesregierung384Zi1–1940. VertraulichesSchreibenIIIb120Zi1/57andieNSDAPGauleitungSteiermark,AmtfürVolkswohlfahrtvom27. Oktober1941,StLALandesregierung120Zi1(1940). 11 Erlass RFSS u. Chef der Deutschen Polizei an Leiter der Kriminalpolizeileitstelle Wien und Leiter der KriminalpolizeistelleGrazvom1.10.1941betr.AbschiebungvonZigeunern,StLALandesregierung384Zi1–1940 12 Eidesstattliche Erklärung der Maria Grusch, geb. am 28.10.1928 in Kitzladen, am 29.01.1973, in BLA, Opferfürsorge,6-50-01303-1999,80. 13 Vgl. Michael Teichmann / Roman Urbaner: „...(dass) die Zigeuner wenigstens aus dem Landschaftsbilde verschwinden...“.DieNSVerfolgungderRomaimGauSteiermarkamBeispielzweiersteirischer„Zigeunerlager“. Das Arbeitslager Kobenz (bei Knittelfeld) und das Sammellager Dietersdorf (bei Fürstenfeld), in: Heimo Halbrainer,GeraldLamprecht,UrsulaMindler(Hg.):NS-HerrschaftinderSteiermark.PositionenundDiskurse, Graz/Wien2010,S.347-383 37 10 „Zigeuner“ starben im „Zigeunerlager Litzmannstadt“ oder wurden im Dezember 1941 oder Jänner 1942imVernichtungslagerKulmhof/Chełmnovergast.Niemandüberlebte. C.) GabesweitereorganisierteTransportevonRomaundSinti?Vonwogingensieab, wohinwurdensiegeführt? AllespäterenTransporteösterreichischerRomaundSintiinandereKonzentrationslager,insbesondere abernachAuschwitz-BirkenauerfolgtenerstimLaufedesJahres1943undgingendaherauchnicht vom Aspangbahnhof ab. Die Abfahrtsbahnhöfe dieser Deportationstransporte sind nicht leicht zu eruieren. Zwar verfügen wir mit dem Gedenkbuch des so genannten Zigeunerlagers in AuschwitzBirkenau14übereineeinmaligeundrelativausführlicheQuelleüberLagerinsassenundLagerzugänge, woherjedochdieseTransportekamenistnichtimmereruierbar. Leider lassen sich weder die Zugänge zum Konzentrationslager Auschwitz noch zum so genannten „Zigeunerlager“ Auschwitz-Birkenau anhand der Daten des Kalendariums von Danuta Czech rekonstruieren.15DerersteTransportösterreichischerRomaundSintiindiesesLageristfürden9.4. 1943 belegt, weitere folgten im Laufe des Jahres. Auch diese Transporte– insbesondere der große Transport vom 16.4.1943 mit 909 Männern und 938 Frauen – dürften vom Sammellager im burgenländischenDorfLackenbachabgegangensein. Völlig ungeklärt ist hingegen der Ausgangsort zahlreicher kleiner Transporte beziehungsweise der Einzeltransporte nach Auschwitz-Birkenau, wie wir sie im Kalendarium von Danuta Czech immer wieder antreffen und die auch viele Roma und Sinti aus Wien betroffen haben. Kleinere SammeltransportemitösterreichischenOpfernfindensichbisindenOktober1943. EinedetaillierteRekonstruktionderAusgangsbahnhöfesämtlicherausWienabgegangenerTransporte –sowohlRomaundSinti,jüdischerOpfer,Zwangsarbeiter,Kriegsgefangener,etc.–könnteaufder BasisderUnterlagendesDÖWnatürlichversuchtwerden,würdeabereinengroßenArbeitsaufwand erfordern,dadievorhandenenDatenindieserHinsichtbislangnichtausgewertetwurden.Ausgehend von der derzeitigen Opferdatenbank müsste man hier noch einmal in die Originalakten Einsicht nehmen, um so den Ursprungsort der Transporte zu rekonstruieren, was zweifelsohne mit einem erheblichenfinanziellenAufwandverbundenwäre. GerhardBaumgartner WissenschaftlicherLeiterdesDÖW Wien,29.3.2016 14 StaatlichesMuseumAuschwitz-Birkenau(Hg.),Gedenkbuch.DieSintiundRomaimKonzentrationslager Auschwitz-Birkenau,2.Bd.,München/London/NewYork/Paris1993. 15 DanutaCzech,KalendariumderEreignisseimKonzentrationslagerAuschwitz-Birkenau1939-1945,Reinbeck beiHamburg1989. 38