Der Aspangbahnhof – zentraler Deportationsort für Jüdinnen und

Werbung
Der Aspangbahnhof
–
zentraler Deportationsort für Jüdinnen und
Juden aus Wien und Österreich
Historische Darstellung und Quellendokumentation
Dieter J. Hecht, Michaela Raggam-Blesch, Heidemarie Uhl (Projektleitung)
Österreichische Akademie der Wissenschaften, Wien 2016
Im Auftrag von KÖR Kunst im öffentlichen Raum Wien
1
Der Aspangbahnhof
–
zentraler Deportationsort für Jüdinnen und
Juden aus Wien und Österreich
Historische Darstellung und Quellen-Dokumentation
Teil 1. Historische Darstellung
Inhaltsverzeichnis
2
1. Überblick: Daten und Fakten zum Deportationsort Aspangbahnhof
2. Vorgeschichte
Der Aspangbahnhof in den Jahren 1873 bis 1938
Das jüdische Wien nach dem „Anschluss“ 1938
3. Von der Vertreibung zur Vernichtung
Kriegsbeginn 1939 – Deportationen nach Nisko
Deportationen im Frühjahr 1941 aus Wien
Herbst 1941 –Beginn der großen Deportationen aus Wien und
dem gesamten Deutschen Reich
4. Vorbereitung der Deportationstransporte
„Aushebung“ – Internierung in den vier Wiener Sammellagern
„Kommissionierung“ und Zusammenstellung der Transporte in den Sammellagern
Transport von den Sammellagern zum Aspangbahnhof
5. Deportationen vom Aspangbahnhof
Vorgänge am Bahnhof
Fallbeispiel: Organisation der Deportation am 14. Juli 1942
„Aspangbahnhof […] Schon der Name allein löst in mir ein Schaudern aus…“
Zeitzeugenbericht von Edith de Zeeuw-Klaber
Transporte und Opferzahlen
Tabelle: Deportationen vom Aspangbahnhof 1939-1942
6. Institutionen und Akteure
Adolf Eichmann und die „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ in Wien
„Instanzen der Ohnmacht“ – Die Israelitische Kultusgemeinde (IKG) Wien
7. Epilog: Der Aspangbahnhof in den Jahren 1945 bis 1971/77
3
4
4
5
6
6
6
7
8
8
9
11
11
11
11
12
12
13
14
14
14
15
Teil 2. Quellen-Dokumentation
(mit Anhang: Stellungnahme des DÖW Dokumentationsarchiv des österreichischen
Widerstandes zur namentlichen Erfassung der Jüdinnen und Juden, die vom Aspangbahnhof
deportiert wurden, und zur Deportation der österreichischen Roma und Sinti)
2
1. ÜBERBLICK: Daten und Fakten zum Deportationsort Aspangbahnhof
Der Aspangbahnhof
Im Unterschied zu Deutschland, wo die jüdische Bevölkerung aus mehreren Städten deportiert
wurde, war der zentrale Ort für die Deportationen der jüdischen Bevölkerung Wiens und Österreichs
der Wiener Aspangbahnhof im 3. Bezirk. Im Zuge der Deportationen, die zwischen Februar 1941 und
Oktober 1942 von Wien abgingen, wurde der Großteil der jüdischen Bevölkerung von dort in Ghettos
und Vernichtungslager im Osten deportiert. Der abseits der großen Bahnhöfe bzw.
Haupteisenbahnrouten liegende und daher weniger frequentierte Bahnhof wurde vermutlich
bewusst für diesen Zweck ausgewählt.1 Gleichzeitig befand sich der Bahnhof jedoch mitten in der
Stadt, sodass der zuweilen wöchentliche Abtransport von jeweils rund tausend Jüdinnen und Juden
nicht unbemerkt, sondern vor den Augen der Bevölkerung erfolgte.
Deportation vom Aspangbahnhof – Transporte und Opferzahlen2
Zwischen 1939 und 1945 wurden insgesamt 48.953 Jüdinnen und Juden aus Wien deportiert, davon
47.035 Personen in 47 Transporten, die 1939 und 1941/42 vom Aspangbahnhof abgingen. (Nach
Abschluss der großen Deportationen wurden zwischen Jänner 1943 und April 1945 noch 1.918
Menschen in kleineren und Einzeltransporten vom Nordbahnhof aus deportiert.) Von den 47.035
vom Aspangbahnhof deportierten Jüdinnen und Juden wurden laut Berechnungen des Historikers
Jonny Moser 45.962 Opfer der Shoah; 1.073 überlebten die Ghettos und Vernichtungslager,
darunter die über Theresienstadt nach Auschwitz deportierte spätere Schriftstellerin Ruth Klüger.
Zielorte der Deportationszüge
Die Zielorte der Deportationen waren das „Generalgouvernement“ (Nisko, Opole, Kielce,
Modliborczicze, Łagów/Opatów und Izbica), Łódź (Warthegau), Riga (Lettland), Minsk mit Maly
Trostinec (Weißrussland), Theresienstadt („Protektorat“) und Auschwitz (Oberschlesien). Die
Bahnfahrt dauerte zwischen zwei Tagen und einer Woche. Rund die Hälfte aller aus Wien
Deportierten kam nach Theresienstadt (15.122 Personen) und Minsk / Maly Trostinec (9.471
Personen). Von Theresienstadt wurde rund die Hälfte der aus dem ehemaligen Österreich
stammenden Jüdinnen und Juden zwischen 1942 und 1944 nach Auschwitz und andere
Vernichtungsorte weiter verschickt und ermordet, darunter die Schwestern von Sigmund Freud.
Gesamtzahl der österreichischen Holocaust-Opfer
Zur Zahl der jüdischen Österreicher/innen, die Opfer des Holocaust wurden, müssen neben den 1939
und 1941/42 vom Aspangbahnhof und 1943-1945 vom Nordbahnhof aus Deportierten auch Häftlinge
aus Konzentrationslagern und Gefängnissen gerechnet werden, weiters jene Menschen, die aus
vermeintlichen „Zufluchtsländern“ wie Frankreich, Belgien, den Niederlanden usw. deportiert
wurden. Insgesamt beträgt die Zahl der österreichischen Shoah-Opfer etwa 65.500 Personen.3
1
Der Westbahnhof diente in den Jahren 1938-39 für Transporte politischer Häftlinge und verhafteter jüdischer
Einzelpersonen in die Konzentrationslager Dachau und Buchenwald.
2
Jonny Moser, Österreich, in: Wolfgang Benz (Hg.), Dimension des Völkermords. Die Zahl der jüdischen Oper des
Nationalsozialismus, München 1991, S. 72-92.
In der Gesamtzahl sind auch die Opfer von Ausschreitungen 1938/39, in Gefängnissen und in
Konzentrationslagern ums Leben Gekommene, jüdische Opfer der Euthanasie und Selbstmorde enthalten. Vgl.
ebda, S. 72-92.
3
3
2. VORGESCHICHTE
Der Aspangbahnhof in den Jahren 1873 bis 1938
Der Aspangbahnhof entstand auf dem Gelände des Endhafens des Wiener Neustädter Kanals. Erbaut
wurde der Kanal zwischen 1794 und 1803, er sollte Wien mit Triest verbinden. Verwirklicht wurde
nur ein 57 km langer Teilabschnitt von Wiener Neustadt bis Wien. Pferde zogen Lastkähne auf dieser
Strecke. Im Winter nutzten die WienerInnen das Hafenbecken zum Eislaufen. Im Jahr 1872 erhielt die
Betreibergesellschaft eine Bahnkonzession, um entlang der Strecke des Kanals eine Bahnverbindung
Wien-Mitrovica-Saloniki zu bauen. Der Börsenkrach von 1873 verhinderte die Wien-Saloniki-Bahn. Es
entstand nur ein redimensioniertes Projekt, die Eisenbahnlinie Wien-Pitten-Aspang (in der Buckligen
Welt). Am Juli 1879 wurde die Schifffahrt eingestellt und in den Jahren 1880/81 im ehemaligen
Hafengelände das Bahnhofsgebäude errichtet. Das Bahnhofsgelände war ca. 8 Hektar groß. Die
ersten Züge Richtung Aspang fuhren ab 7. August 1881. Der Bahnhof war kein Kopfbahnhof und über
die so genannte Verbindungsbahn mit anderen, größeren Bahnhöfen verbunden. Auf der Strecke der
Aspangbahn gab es auch eine Abzweigung zum Zentralfriedhof für Leichentransporte.4
4
Vgl. Gerhard Kletter, Der Aspangbahnhof und die Wien-Saloniki-Bahn, Erfurt 2006; Eva Maria Bachinger/Gerald Lehner, Im
Schatten der Ringstraße. Reiseführer durch die braune Topografie von Wien, Wien 2015, S. 170-173.
4
„Reibpartie“ in Wien 3., Hagenmüllergasse 30 am 15. März 1938, wenige Tage nach dem „Anschluss“ (DÖW)
Das jüdische Wien nach dem „Anschluss“ 1938
Schätzungen zufolge lebten im März 1938 etwa 201.000 Personen in Österreich, die nach NSDefinition (Nürnberger Gesetze 1935) als Jüdinnen und Juden galten. Davon waren 181.882 Personen
Mitglieder der verschiedenen Israelitischen Kultusgemeinden in Österreich, allein 167.249 davon in
Wien. Der Großteil der jüdischen Bevölkerung in Österreich hatte seinen Lebensmittelpunkt somit in
Wien (92 Prozent).5 Mit dem „Anschluss“ an das nationalsozialistische Deutsche Reich im März 1938
wurde das Leben der jüdischen Bevölkerung in Österreich über Nacht in dramatischer Weise
verändert.6 Pogromartige Ausschreitungen gegen die recht- und schutzlos gewordenen Jüdinnen und
Juden setzten bereits in den ersten Tagen nach dem „Anschluss“ ein: die berüchtigten
Demütigungsrituale des Straßenwaschens („Reibpartien“), körperliche Übergriffe und willkürliche
Verhaftungen. Dies stellt einen bedeutenden Unterschied zu der seit 1933 wesentlich langsamer
eskalierenden Verfolgungssituation in Deutschland dar.7
Zu den als Jüdinnen und Juden verfolgten Menschen zählten jedoch nicht nur Mitglieder der
Israelitischen Kultusgemeinden (IKG), sondern auch Angehörige christlicher Glaubensgemeinschaften
sowie Personen ohne konfessionelle Zugehörigkeit, die nach den Nürnberger Gesetzen als Juden
definiert wurden. Nach der ersten großen Fluchtwelle lebten im Mai 1939 in Wien noch 91.530
Personen, die nach NS-Definition als Jüdinnen und Juden galten. Damit hatte Wien den höchsten
5
Vgl. Jonny Moser, Demographie der jüdischen Bevölkerung Österreichs 1938-1945, Wien 1999, S. 16, 18-19, 29, 56.
Vgl. Dieter J. Hecht / Eleonore Lappin-Eppel / Michaela Raggam-Blesch, Topographie der Shoah. Gedächtnisorte des
zerstörten jüdischen Wien, Wien 2015, S. 16-38; Doron Rabinovici, Instanzen der Ohnmacht. Der Weg zum Judenrat,
Frankfurt am Main 2000, S. 57-81, 124.
7 Vgl. Hecht / Lappin-Eppel / Raggam-Blesch, Topographie der Shoah, S. 16-31.
5
6
jüdischen Bevölkerungsanteil im gesamten Deutschen Reich.8 Im Laufe der Jahre 1938/39 wurde die
jüdische Bevölkerung aus den österreichischen Bundesländern nach Wien vertrieben, die dortigen
jüdischen Gemeinden wurden sukzessive aufgelöst. Ab 1. August 1940 unterstanden alle in
Österreich verbliebenen Jüdinnen und Juden der Israelitische Kultusgemeinde (IKG) Wien.9 Von
insgesamt rund 201.000 Personen, die 1938 als Juden galten, wurden etwa 65.500 Opfer der Shoah.
3. VON DER VERTREIBUNG ZUR VERNICHTUNG
Kriegsbeginn 1939 – Deportationen nach Nisko am San
Der Kriegsbeginn im September 1939 stellt eine Zäsur in der nationalsozialistischen Judenverfolgung
dar. Während die nationalsozialistische Strategie bis dahin darauf ausgerichtet war, Jüdinnen und
Juden unter Zurücklassung ihres Besitzes zur Flucht zu bewegen, wurde im Zuge der militärischen
Besetzung Polens auch die Einrichtung von „Judenreservaten“ überlegt. Das geplante
„Judenreservat“ im Distrikt Lublin (1939), wohin auch 1.584 männliche Juden aus Österreich im Zuge
der Nisko-Aktion vom Aspangbahnhof deportiert wurden, scheiterte jedoch. 10
Die Auswanderung aus dem Deutschen Reich wurde seit Kriegsbeginn zunehmend schwieriger.
Wichtige Zufluchtsländer wie England schlossen ihre Tore für Flüchtlinge. Im Frühjahr 1940 wurden
Frankreich, Belgien und die Niederlande von der Deutschen Wehrmacht besetzt. Durch das
Kriegsgeschehen wurden auch wichtige Fluchtrouten blockiert.
Deportationen im Frühjahr 1941 aus Wien
Auf Drängen von Reichsstatthalter Baldur von Schirach wurden im Februar und März 1941
fünftausend Wiener Jüdinnen und Juden vom Aspangbahnhof aus ins „Generalgouvernement“
deportiert.11 Ziel dieser Transporte waren polnische Kleinstädte, die kaum auf die Ankunft tausender
Jüdinnen und Juden aus dem Reich vorbereitet waren. Die jüdischen Gemeinden vor Ort waren für
die Versorgung und Unterbringung der Deportierten zuständig. Sie waren jedoch selbst zu arm, um
für eine ausreichende Versorgung aufkommen zu können, was zu Hunger und Epidemien führte. In
dieser Phase funktionierten diese Kleinstädte als offene Ghettos, wo die Deportierten sich frei
bewegen durften, nur das Verlassen des Ortes war verboten.12 Diese Transporte aus Wien wurden
8
In der 4,3 Millionen Einwohner zählenden Reichshauptstadt Berlin lebten zu diesem Zeitpunkt insgesamt 82.457 als
Jüdinnen und Juden definierte Personen. Statistik des Deutschen Reichs, Band 552,4, Volkszählung. Die Bevölkerung des
Deutschen Reichs nach den Ergebnissen der Volkszählung 1939, Heft 4, S. 6-8.
9 Wolf Gruner, Zwangsarbeit und Verfolgung. Österreichische Juden im NS-Staat 1938-1945, Innsbruck 2001, S. 71, 111,
152. Felicitas Heimann-Jelinek / Lothar Hölbling / Ingo Zechner (Hg.), Ordnung muss sein. Das Archiv der Israelitischen
Kultusgemeinde Wien, Wien 2007, S. 58.
10 Vgl. Raul Hilberg, Die Vernichtung der europäischen Juden, Bd. 1, Frankfurt am Main 1994, S. 215f.; Saul Friedländer, Die
Jahre der Vernichtung. Das Dritte Reich und die Juden 1939-1945, Bd. 2, München ²2006, S. 39, 52-58, 60f.; Jonny Moser,
Nisko. Die ersten Judendeportationen, Wien 2012, S. 34-37, 52-54, 81-83.
11 Als Baldur von Schirach zum Gauleiter und Reichsstatthalter von Wien ernannt wurde, brachte er bei einem Treffen am 2.
Oktober 1940 das Argument des Wohnungsmangels bei Adolf Hitler vor und erreichte damit die Genehmigung zu den
frühen Deportationen aus Wien. Vgl. Hecht / Lappin-Eppel / Raggam-Blesch, Topographie der Shoah, S. 395, 457-460; Hans
Safrian, Die Eichmann-Männer, Wien 1993, S. 96f.; Saul Friedländer, Das Dritte Reich und die Juden. Gesamtausgabe,
München 2008, S. 519.
12 Einigen Menschen gelang die Flucht zurück nach Wien. Damit machten sie sich jedoch der „unerlaubten Rückkehr aus
dem Osten“ schuldig. Bei einer etwaigen Festnahme wurden sie in spätere Deportationstransporte eingeteilt, ohne jedoch
in den Deportationslisten aufzuscheinen, da sie zusätzlich zur festgesetzten Anzahl deportiert wurden. Siehe dazu: GestapoOpferdatenbank „Nicht mehr anonym“ (DÖW) http://www.doew.at/personensuche (20. 11. 2015).
6
bereits in jenen Organisationsstrukturen durchgeführt, die bei den großen Deportationen aus dem
Deutschen Reich ab Herbst 1941 zur Anwendung kommen sollten.13
Der letzte Schritt zur Judenvernichtung erfolgte mit dem Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941
und den daraufhin erfolgenden Massenerschießungen. Ziel der nationalsozialistischen Judenpolitik
war nun nicht mehr die Vertreibung, sondern die Vernichtung. In diesem Zusammenhang ist auch das
Auswanderungsverbot für jüdische Männer zwischen achtzehn und fünfundvierzig Jahren zu sehen,
das am 7. August 1941 erlassen und am 23. Oktober 1941 auf die gesamte jüdische Bevölkerung
ausgeweitet wurde. Am 1. September 1941 wurde Jüdinnen und Juden verboten, ohne schriftliche
Bewilligung den Wohnort zu verlassen. Ab 19. September 1941 mussten schließlich alle als Jüdinnen
und Juden Definierten ab dem 6. Lebensjahr durch einen an der Kleidung befestigten Judenstern
gekennzeichnet sein.14
Herbst 1941 – Beginn der großen Deportationen
aus Wien und dem gesamten Deutschen Reich
Im Oktober 1941 begannen im gesamten Deutschen Reich die großen Deportationen und
Umsiedlungen in die Ghettos und Konzentrationslager „im Osten“. Der erste reichsweite
Deportationstransport ging am 15. Oktober 1941 vom Wiener Aspangbahnhof ab, erst danach
folgten Transporte aus Prag, Berlin und anderen deutschen Städten.15 Zwischen 15. Oktober und 5.
November 1941 wurden 4.995 Jüdinnen und Juden aus Österreich vom Wiener Aspangbahnhof nach
Łódź deportiert. Weitere Deportationszüge fuhren zwischen 23. November und 3. Dezember 1941
nach Kowno (Kaunas), Riga und Minsk.16
In Folge der technischen Weiterentwicklung der Tötungsmethoden wurden im Winter und Frühjahr
1941/42 Vernichtungslager mit Gaskammern in Belzec, Lublin (Majdanek), Chelmno (Kulmhof),
Sobibór, Treblinka und Auschwitz-Birkenau errichtet. Obwohl vergleichsweise wenige Transporte aus
Wien direkt in diese Vernichtungslager fuhren, wurden doch viele österreichische Jüdinnen und
Juden dort ermordet. Die meisten kamen aus anderen Ghettos und Lagern, wie z.B. Opole, Łódź und
Theresienstadt dorthin.17
Am 20. Januar 1942 trafen sich sämtliche mit der „Judenfrage“ befassten Staatssekretäre und SSHauptamtschefs zur so genannten Wannseekonferenz in Berlin. Der Entschluss zur Judenvernichtung
war allerdings bereits zuvor gefallen. Der Begriff „Endlösung“ diente ebenso wie die Begriffe
„Aussiedlung“ und „Evakuierung“ zur Verschleierung von Deportation und Ermordung.18 Im Zentrum
des Deportationsprozesses standen die von Adolf Eichmann geführte Abteilung IV B-4 des
Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) und die dem Verkehrsministerium unterstehende Reichsbahn.
Das RSHA bezahlte der Reichsbahn für die zu deportierenden Jüdinnen und Juden normale
13
Vgl. Hecht / Lappin-Eppel / Raggam-Blesch, Topographie der Shoah, S. 395, 457-460; Friedländer, Das Dritte Reich, S. 519.
Vgl. Raul Hilberg, Die Vernichtung der europäischen Juden, Bd. 2, Frankfurt am Main 1994, S. 287-303, 420f.; Friedländer,
Die Jahre der Vernichtung, S. 155-160; Christopher Browning. Der Weg zur Endlösung. Entscheidungen und Täter, Berlin
2002.
15 Friedländer, Die Jahre der Vernichtung, S. 294f.
16 Die 995 österreichische Jüdinnen und Juden, die am 29. November 1941 in Kowno ankamen, fielen mobilen
Einsatzgruppen, die Tötungsaktionen hinter der Front in der Sowjetunion durchführten, umgehend zum Opfer. Vgl. Ino
Arndt / Heinz Boberach, Deutschland, in: Benz (Hg.), Dimensionen des Völkermords, S. 44; Jonny Moser, Österreich, in:
ebda, S. 76-78.
17 Weitere Jüdinnen und Juden aus Österreich wurden in vermeintlichen Zufluchtsländern von der deutschen
Kriegsmaschinerie eingeholt und ebenfalls in Vernichtungslager deportiert und ermordet. Vgl. Hecht / Lappin-Eppel /
Raggam-Blesch, Topographie der Shoah, S. 163-240; Friedländer, Jahre der Vernichtung, S. 262-264.
18 Vgl. Hilberg, Die Vernichtung der europäischen Juden, S. 422-425; Peter Longerich, Die Wannsee-Konferenz vom 20.
Januar 1942: Planung und Beginn des Genozids an den europäischen Juden, Berlin 1998.
7
14
Fahrpreise 3. Klasse, einfache Fahrt, wobei die Fahrtkosten der Deportation von den jüdischen
Gemeinden zurückerstattet werden mussten. Die Wachmannschaften lösten Retourfahrscheine.19
4. VORBEREITUNG DER DEPORTATIONSTRANSPORTE
„Aushebung“ – Internierung in den vier Wiener Sammellagern
Im Zusammenhang mit der Durchführung der Deportationen wurden insgesamt vier Sammellager in
Wien eingerichtet. Diese befanden sich im zweiten Bezirk, wo die Mehrheit der jüdischen
Bevölkerung durch „Wohnungsarisierungen“, Zwangsdelogierungen und Einweisungen in
„Sammelwohnungen“ bereits konzentriert worden war. Die ersten beiden Anfang Februar 1941
gleichzeitig eingerichteten Lager befanden sich in einer Schule der Stadt Wien in der Kleinen
Sperlgasse 2a und im Gebäude des ehemaligen jüdischen Chajesrealgymnasiums in der
Castellezgasse 35. Von Juni bis November 1942 bestand in der Malzgasse 16, in den Räumlichkeiten
der ehemaligen Talmud Thora Schule, ein Sammellager.20 Gleich gegenüber, im Gebäude einer
ehemaligen jüdischen Mädchenschule (Dr. Krüger-Heim) in 2., Malzgasse 7 / Ecke Miesbachgasse 8,
war ein weiteres Sammellager, in dem auch ein kleines Gestapogefängnis eingerichtet wurde.
Jüdinnen und Juden, die sich eines Vergehens schuldig gemacht hatten, wurden hier bis zu ihrem
Abtransport festgehalten. Die vier Sammellager waren jedoch nicht alle gleichzeitig in Betrieb.
„Einrücken“ in das Sammellager
Die Deportationen wurden von der „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ organisiert, sie stellte
die Transportlisten mit Hilfe der von der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) geführten Namenskartei
ihrer Mitglieder zusammen. Danach verschickte die „Zentralstelle“ zunächst Postkarten an die
Betroffenen, in denen sie diese aufforderte, sich zum angegebenen Datum in einem bestimmten
Sammellager einzufinden. Die IKG musste ihre Mitglieder in einem Rundschreiben zur Kooperation
aufrufen und gleichzeitig darauf hinweisen, dass Zuwiderhandeln streng bestraft würde. Damit
zwang die „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ die IKG zur Mitarbeit bei der Organisation der
Deportationen.21
In Abschiedsbriefen an Verwandte und Freunde wurde die Aufforderung zur Meldung in einem
Sammellager oft als „Einrücken“ oder „in die Schule gehen“ bezeichnet. Zuvor hatten die
Aufgerufenen ein genaues Verzeichnis ihrer ihnen noch verbliebenen Wertgegenstände anzulegen.
Dieses mussten sie zusammen mit den Wohnungsschlüsseln im Sammellager abliefern. Jede/r durfte
zwei Koffer (bis zu insgesamt fünfzig Kilogramm) mitnehmen. Auf den Gepäckstücken hatten in
weißer Ölfarbe Namen und Anschrift der BesitzerInnen zu stehen.22 Einige dieser Koffer sind heute
im Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau ausgestellt.
Die Unterkünfte in den Sammellagern waren ehemalige Klassenzimmer, aus denen die Möbel
entfernt worden waren, um möglichst viele Menschen hineinzwängen zu können. Zum Schlafen
dienten Matratzen und Strohsäcke, oft auch aufgrund von Überfüllung der nackte Fußboden. Die
Enge und die unzureichenden Waschgelegenheiten führten zu einer Ungezieferplage. Die IKG hatte
19
Vgl. Hilberg, Die Vernichtung der europäischen Juden, S. 426-430.
Vgl. Hecht / Lappin-Eppel / Raggam-Blesch, Topographie der Shoah, S. 410-412.
21 Vgl. Doron Rabinovici, Instanzen der Ohnmacht, S. 278-280.
22 Vgl. ebda, S. 278-280.
20
8
für Verpflegung und ärztliche Betreuung der Lagerinsassen zu sorgen, war jedoch an die geringen
Rationen von Lebensmitteln und Medikamenten gebunden. Die Gewalttätigkeit des SS-Personals
verschlimmerte zusätzlich die Lebensbedingungen in den Lagern.23 Personen, die der per Post
geschickten Aufforderung, sich im Sammellager einzufinden, nicht nachkamen, ließ die „Zentralstelle
für jüdische Auswanderung“ ausforschen und einweisen.24
„Aushebung“ zur Deportation
Im November 1941 führte Alois Brunner (Brunner I), Leiter der „Zentralstelle für jüdische
Auswanderung“, das System der „Aushebungen“ ein. In den Bezirken 2., 9. und 20., wo die jüdische
Bevölkerung bereits konzentriert in bestimmten Gassen und Häusern in „Sammelwohnungen“ lebte,
führte die SS Razzien unter Mithilfe von Mitarbeitern der IKG durch. Die zur Deportation Bestimmten
mussten innerhalb von zwei Stunden ihre Koffer packen. Vor den Häusern warteten Lastautos, die sie
in eines der Sammellager brachten.
In zeitgenössischen Quellen, aber auch in Erinnerungen von Überlebenden werden diese Mitarbeiter
der Kultusgemeinde als „Ordner“, „Rechercheure“ und „Ausheber“ bezeichnet. Der Amtsdirektor der
IKG, Josef Löwenherz, hatte sich anfänglich geweigert, seine Angestellten für diese Tätigkeit zur
Verfügung zu stellen. Erst nach Beschwerden über die Brutalität der von der „Zentralstelle für
jüdische Auswanderung“ eingesetzten „Ausheber“ willigte Löwenherz ein. Auch diese „Ordner“
waren nur auf Zeit geschützt und wurden schließlich ebenfalls deportiert und Großteils ermordet.25
„Untertauchen“
Die Flucht vor den „Aushebern“ gelang nur wenigen und hatte meist nur kurzfristig Erfolg. Denn das
Untertauchen war schwierig, weil „ArierInnen“ nur selten die Gefahr auf sich nahmen, Jüdinnen und
Juden bei sich zu verstecken.26 Lebensmittel waren rationiert und nur schwer erhältlich, dazu kam die
Gefahr, von Spitzeln verraten zu werden. In ihrer Ahnungslosigkeit hielten viele die Deportation für
erträglicher als die Strapazen des Untertauchens. So berichtete Edith Hahn, dass ihre Freundin
Hermine Schwarz den ständigen Druck des Versteckens und der Suche nach nicht immer willigen
HelferInnen nicht mehr aushielt und sich der Deportation stellte: „Keiner will mich haben. Alle
fürchten sich. Und ich habe Angst, ihnen zu schaden. Ich gehe in die Schule [Sammellager]. Vielleicht
finde ich in Polen ein besseres Leben.“27
„Kommissionierung“ und Zusammenstellung der Transporte in den Sammellagern
Über das Leben in den Sammellagern gibt es nur vereinzelt Informationen, weil der Kontakt mit der
Außenwelt verboten war und nur wenige ehemalige LagerinsassInnen bzw. MitarbeiterInnen der IKG,
die Einblick in das Sammellager hatten, überlebten. Über Verbleib im Lager oder Deportation
entschied die so genannte „Kommissionierung“. Sie gab den Mitarbeitern der „Zentralstelle für
jüdische Auswanderung“ Gelegenheit, die LagerinsassInnen zu demütigen, zu misshandeln und ihrer
23
Zu den Lebensbedingungen vgl. Eleonore Lappin-Eppel / Katharina Soukup / Johann Soukup (Hg.), Rita Maria
Rockenbauer. „Zu lesen wenn alles vorüber ist“. Rita Maria Rockenbauer, Briefe 1938-1942, Wien 2014, S. 32-41; Herbert
Rosenkranz, Verfolgung und Selbstbehauptung. Die Juden in Österreich 1938-1945, Wien 1978, S. 297f.
24 Vgl. Gabriele Anderl / Dirk Rupnow, Die Zentralstelle für jüdische Auswanderung als Beraubungsinstitut, Österreichische
Historikerkommission, Bd. 20/1, Wien 2004, S. 224.
25 Vgl. Rosenkranz, Verfolgung und Selbstbehauptung, S. 285, 299; Rabinovici, Instanzen der Ohnmacht, S. 287f.
26 Vgl. Hecht / Lappin-Eppel / Raggam-Blesch, Topographie der Shoah, S. 417f., 531-343.
27 Edith Hahn-Beer, Ich ging durchs Feuer und brannte nicht. Eine außergewöhnliche Lebens- und Liebesgeschichte,
Frankfurt/Main 2001, S. 146.
9
letzten Vermögenswerte zu berauben. Als Leiter der „Kommissionierung“ fungierte Anton Brunner
(Brunner II), jener Mitarbeiter der „Zentralstelle“, der für die Organisation der Deportationen
zuständig war. Brunner war ein fanatischer und brutaler Antisemit, der noch bei seinen Verhören
nach dem Krieg bekannte, mehr als 48.000 Menschen „kommissioniert“ zu haben, von denen fast
alle deportiert worden seien.28 Die Entscheidungen Brunners waren oft willkürlich und die
„Kommissionierungen“ von schweren Misshandlungen begleitet. Der 1903 geborene Ernst Weiss war
sechs Wochen im Sammellager Kleine Sperlgasse 2a bevor es seiner „arischen“ Frau gelang, seine
Entlassung zu erwirken. In dieser Zeit musste Weiss „Kommissionierungen“ im Turnsaal der
ehemaligen Sperlschule über sich ergehen lassen, die er im Gerichtsverfahren gegen Anton Brunner
nach dem Krieg beschrieb:
„Ca. 1.000 Personen wurden gebracht, sie mussten sich anstellen und wurden in Gruppen zu
10 Personen ins Zimmer gebracht. In einer Hand mussten sie ihr gesamtes Bargeld halten in
der anderen ihre Dokumente. B[runner] überprüfte diese und wenn jemand Volljude war und
mit einer Glaubensgenossin verheiratet war, zerriss er ihnen ihre Dokumente (Heimatschein,
etc.) und fügte dem meist die höhnische Bemerkung hinzu, dass diese Dokumente in Polen
sowieso keinen Wert hätten. Auf die jüdische Kennkarte kam der Stempel „Evakuiert“ […].
Dies war der einzige Ausweis, der den Leuten belassen wurde. Das Geld wurde [ihnen]
abgenommen, ebenso wie alle anderen Wertgegenstände. Wenn die Leute Koffer besaßen,
so ließ er diese durchwühlen und wenn jemand einen Wertgegenstand versteckt hatte, dann
wurde ihnen alles abgenommen und sie kamen bis zur „Nachkommissionierung“ in den
Bunker.“29
Ziel der „Kommissionierung“ war es, ausreichend viele Menschen zu überprüfen, um mit dem
nächsten Transport tausend Personen deportieren zu können. Da immer wieder einzelne
„Ausgehobene“ zurückgestellt wurden, z.B. weil sie „arisch-versippt“ waren, mussten sich immer
mehr als tausend Personen im Sammellager befinden.30 Bisweilen führte die „Zentralstelle“
Straßenrazzien durch, um für den nächsten Transport die gewünschte TeilnehmerInnenzahl zu
erzielen.
Das „Wiener System“ der „Aushebungen“ und Deportationen erwies sich als äußerst „erfolgreich“.
Aus diesem Grund wurde Alois Brunner für einen Monat nach Berlin versetzt, um die Deportation der
Berliner Juden zu reorganisieren und zu beschleunigen, nachdem Mitarbeiter der Gestapoleitstelle
Berlin wegen Korruption und mangelnder „Erfolge“ im Oktober 1942 verhaftet worden waren. Die
Anwendung der „Wiener Methoden“ führte dort zu einer Radikalisierung der
Verfolgungsmaßnahmen.31
Nach Abschluss der großen Deportationen im Oktober 1942 wurden die Sammellager aufgelöst. Im
Frühjahr 1943 übernahm die Gestapo die Agenden der „Zentralstelle für jüdische Auswanderung “.32
28
Vgl. Niederschrift der Pol. Dion. Wien über die Vernehmung des Angezeigten Anton Brunner am 1. 10. 1945. WStLA, LG
Wien, Vg 1g Vr 4574/45; Rosenkranz, Verfolgung und Selbstbehauptung, S. 297f.
29 WStLA, LG Wien, Vg 2d Vr 4574/45 gegen Anton Brunner.
30 Vgl. Rabinovici, Instanzen der Ohnmacht, S. 292f.
31 Vgl. Raul Hilberg, Die Vernichtung der europäischen Juden, Bd. 2, Frankfurt am Main 1994, S. 484f.
32 Vgl. Hecht / Lappin-Eppel / Raggam-Blesch, Topographie der Shoah, S. 431f.
10
Transport von den Sammellagern zum Aspangbahnhof
Von den Sammellagern wurden die Menschen meist untertags in offenen Lastwagen über den
Schwedenplatz, die Ringstraße und die Ungargasse zum Aspangbahnhof im 3. Bezirk gebracht. Auch
dies verlief nicht ohne Demütigungen durch die Wiener Bevölkerung, wie sich Rudolf Gelbard
erinnert, der als Zwölfjähriger am 1. Oktober 1942 vom Sammellager Malzgasse 7 über den
Schwedenplatz zum Aspangbahnhof geführt wurde:
„Da kann ich mich erinnern an eine Szene, vor dem Haus, wo heute der Eissalon am
Schwedenplatz ist. Da ist der Lastwagen mit alten und auch kranken Leuten auf dem Weg
zum Bahnhof stehen geblieben, auf dem wir hinten drauf waren. Da waren ein paar
Passanten, die haben gesagt: "Ha, ha, ha, da fahren sie jetzt, die Jiddelach!“33
Am Aspangbahnhof erwartete sie eine Zuggarnitur, die tausend Personen aufnehmen konnte.34 Die
Züge, die den Wiener Aspangbahnhof verließen, waren durchwegs Personenwagen. Zuweilen
erfolgte zu einem späteren Zeitpunkt eine Umwaggonierung in Viehwaggons – dies ist beispielsweise
für Transporte nach Maly Trostinec belegt, wo die Umwaggonierung in Wolkowitz (vermutlich
Wołkowysk, heute Vawkavysk in Weißrussland) erfolgte.
5. DEPORTATIONEN VOM ASPANGBAHNHOF
Vorgänge am Bahnhof
Über die Vorgänge am Bahnhof selbst gibt es nur wenige Informationen. Der Aspangbahnhof scheint
somit eine Leerstelle in den Erinnerungen von Überlebenden zu sein. Während über die Vorgänge im
Sammellager sowie über den Transport durch die Stadt zum Bahnhof vereinzelt berichtet wird, gibt
es kaum Berichte über die Situation am Bahnhofsgelände nach der Ankunft aus dem Sammellager.
Fallbeispiel: Organisation der Deportation am 14. Juli 1942
(siehe auch Dokument 3.8. im Quellenanhang)
Einen Einblick in die Vorbereitung der Deportationen und das dabei beschäftigte Personal gibt eine
von Robert Prochnik, Sekretär der Amtsdirektion der Kultusgemeinde, der im Auftrag der
„Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ die „Aushebung“ der zur Deportation vorgesehenen
Jüdinnen und Juden organisieren musste, im Juli 1942 erstellte Statistik über zwei abgehende
Transporte (siehe Quellendokumentation im Anhang): Ein Transport vom 14. Juli 1942 mit 988
Personen nach Theresienstadt sowie der einzige direkt vom Aspangbahnhof nach Auschwitz geführte
Transport vom 17. Juli 1942 mit 995 Personen.
Der für Theresienstadt bestimmte Transport ging vom Sammellager 2., Malzgasse 7 ab. Am 12. Juli
um 8 Uhr befanden sich dort insgesamt 1.057 Personen. Bis zum Morgen des 14. Juli reduzierte sich
die Zahl, wohl aufgrund von Rückstellungen und Entlassungen, auf 1.039 Personen. Nach der
33
Zitiert nach Walter Kohl, Die dunklen Seiten des Planeten. Rudi Gelbard, der Kämpfer. Grünbach 2008, S. 3. Zu Rudolf
Gelbard vgl. den Film "Der Mann auf dem Balkon", 2008.
34 Vgl. Emil Gottesmann in: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.), Erzählte Geschichte. Jüdische
Schicksale. Berichte von Verfolgten, Wien ²1993, S. 505.
11
Feststellung der endgültigen Personenzahl des Transports wurde dieser zum Aspangbahnhof
gebracht. Um 20 Uhr befanden sich nur mehr siebenundfünfzig Personen im Lager Malzgasse 7. In
Vorbereitung dieses Transports hatte ein Reinigungsdienst der Kultusgemeinde, bestehend aus
sechzehn Frauen, bereits am 13. Juli die aus dem „Osten“ zurückgekehrten Deportationszüge am
Aspangbahnhof gesäubert. Noch am 14. Juli musste ein Reinigungsdienst bestehend aus fünfzehn
Frauen das Lager Malzgasse 7 putzen und für den nächsten Transport vorbereiten. Tags darauf, am
15. Juli, kamen die ersten Neuzugänge. Bis zum 18. Juli betrug der Stand wieder 1.090 Personen. Von
diesen wurde 1.005 am 22. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert. Unter diesen Deportierten
befanden sich vor allem BewohnerInnen jüdischer Altersheime und Alterswohngemeinschaften.
„Aspangbahnhof […]. Schon der Name allein löst in mir ein Schaudern aus …“
Zeitzeugenbericht von Edith de Zeeuw-Klaber
Die Deportierten verließen Wien in Personenwaggons. Allerdings herrschten darin schreckliche
Zustände. Während der Fahrt litten sie vor allem unter Durst. Die Versorgung mit Trinkwasser war
von der Willkür der Wachmannschaften abhängig, die in der Regel von der Schutzpolizei gestellt
wurden.35 Eine der wenigen autobiographischen Berichte über den Aspangbahnhof und den Ablauf
der Deportation stammt von Edith de Zeeuw-Klaber, die ihre Deportation nach Riga schildert:
„Aspangbahnhof […] Schon der Name allein löst in mir ein Schaudern aus, obwohl es bereits
mehr als 70 Jahre her ist, dass uns, ungefähr 1.200 Juden, ein grauenhaftes Schicksal ereilte
[…]. Mittlerweile bin ich 83 Jahre alt. Mit 19 Jahren wurde ich am 4. Jänner 1942 mit meinen
Eltern und den oben erwähnten „Glaubensgenossen“ deportiert. Nachdem wir aus unserer
Wohnung, Wien 1., Naglergasse 2 „ausgehoben“ wurden. […] Per Lastauto ging es dann zum
Aspangbahnhof, wo wir von der jüdischen Kultusgemeinde ein Esspaket bekamen. Unsere
Henkersmahlzeit, wie wir Ahnungslosen es damals – gottseidank! – noch nicht so richtig
begriffen. Das Wenige an Gepäck ging im letzten Waggon mit, so wurde uns versichert,
wurde aber direkt außerhalb von Wien abgekuppelt. Die Reise ins Ungewisse dauerte fast
fünf Tage, soweit ich mich erinnere. Der Zug stand vor allem nachts stundenlang still oder
wurde umrangiert. Je weiter wir fuhren, desto kälter wurde es. Der Zug war ungeheizt und
nach zweitägiger Fahrt war unsere Ration an Brot aufgegessen. Der Durst jedoch war noch
ärger, wir leckten schließlich das Kondenswasser von den Scheiben.“36
Edith de Zeeuw-Klabers Mutter wurde unmittelbar nach der Ankunft in Riga in einem Gaswagen
ermordet. Sie selbst überlebte die Lager Riga, Kivioli, Stutthof, Neuengamme und Bergen-Belsen.
Transporte und Opferzahlen
Die ersten beiden am Aspangbahnhof abgefertigten Transporte waren jene vom 20. und 26. Oktober
1939 nach Nisko am San, mit denen 1.584 jüdische Männer aus Wien deportiert wurden. Der
Großteil der jüdischen Bevölkerung wurde mit den Frühjahrsdeportationen 1941 und den großen
Deportationen zwischen Oktober 1941 und Oktober 1942 deportiert – insgesamt 45.451 Frauen,
Männer und Kinder in 45 Transporten, wobei jeder Transport zwischen 900 und über 1000 Personen
35
Vgl. Tagesbericht der Gestapo Wien, 6. 2. 1942, in: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.),
Widerstand und Verfolgung in Wien 1934-1945, 3 Bde., Wien ²1984, Bd. 3, S. 297.
36 Edith de Zeeuw-Klaber, Brief an Peter Eppel vom 5. 3. 2006, in: Peter Eppel (Hg.), Großer Bahnhof. Wien und die weite
Welt, Katalog Wien Museum, Wien 2006, S. 141.
12
umfasste. Darunter waren nicht nur Wienerinnen und Wiener, sondern auch Jüdinnen und Juden aus
den Bundesländern, die 1938/39 nach Wien vertrieben worden waren. Politische Häftlinge und
andere nichtjüdische Opfergruppen wurden hingegen vorwiegend vom Westbahnhof nach Dachau
und Buchenwald, später auch nach Mauthausen verschickt. Der Großteil der österreichischen Roma
und Sinti wurde hingegen von Bahnhöfen im Burgenland und in der Steiermark, zum Teil direkt vom
Anhaltelager Lackenbach deportiert. Ein Teil der in Wien lebenden Roma und Sinti, darunter die
Familie von Ceija Stojka, wurde ab 1943 auch von Wien aus deportiert. Da zu diesem Zeitpunkt der
Aspangbahnhof nicht mehr für Deportationstransporte in Verwendung war, ist anzunehmen, dass
Roma und Sinti nicht von dort deportiert wurden.37
Nach dem Ende der großen Deportationen gingen kleinere und Einzeltransporte ab 1943 vom Nordund Nordwestbahnhof ab, darunter mehrere direkt nach Auschwitz geführte „Schutzhafttransporte“.
Insgesamt fertigten die „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ und nach deren Auflösung ab
1943 die Gestapo zwischen 1939 und 1945 mindestens 79 Transporte in Wien ab. Die überwiegende
Mehrheit der 48.953 aus Österreich deportierten Jüdinnen und Juden – insgesamt 47.035 Personen –
wurde jedoch vom Aspangbahnhof deportiert, davon – neben den 1.584 Personen der beiden NiskoTransporte 1939 – insgesamt 45.451 Personen, die im Zeitraum von Februar 1941 bis Oktober 1942
in 45 Transporten vom Wiener Aspangbahnhof deportiert wurden.38
Tabelle: Deportationen vom Aspangbahnhof 1939-194239 (siehe auch: Gesamtverzeichnis
der 47 Deportationstransporte in der Quellen-Dokumentation, 3.18)
Zeitraum
Oktober 1939
Deportationsaktion
Nisko am San
Zahl der
Zahl der
Deportierten
Überlebenden
1.584
84
Generalgouvernement
Februar –
nach
Opole,
Kielce,
März 1941
Modliborczicze
und
12 *
5.031
25
Łagów/Opatów
Oktober 1941
Litzmannstadt/Łódź
4.995
16
23. November 1941
Kaunas
995
---
November 1941 –
Riga
4.188
102
Minsk – Maly Trostinec
9.471
13
Izbica
4.006
---
Februar 1942
November 1941 –
Oktober 1942
April – Juni 1942
37
Siehe dazu die Stellungnahme des DÖW Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes im Anhang.
Vgl. Jonny Moser, Österreich, in: Benz (Hg.), Dimension des Völkermords, S. 68. Jonny Moser, Demographie, S. 80-83.
39 Tabelle nach: Jonny Moser, Österreich, S. 72-92.
38
13
27. April 1942
Wlodawa
998
---
14. Juni 1942
Sobibór
996
---
Juni 1942 – Oktober
1942
17. Juli 1942
Theresienstadt
Auschwitz
13.776
995
47.035
821
--
1.073
* Ungenaue Angaben (Überlebende aus einem der genannten Ghettos)
6. INSTITUTIONEN UND AKTEURE
Adolf Eichmann und die „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ in Wien
Adolf Eichmann kam nach dem „Anschluss“ nach Wien, wo er im SS-Oberabschnitt Donau das
Referat II-112 leitete, das die antijüdische Politik in Österreich koordinieren und sehr bald auch
kontrollieren sollte. Im August 1938 wurde er als Leiter der neu gegründeten „Zentralstelle für
jüdische Auswanderung“ eingesetzt, welche Jüdinnen und Juden über Gebühren und Abgaben im
Zuge der Erstellung von Auswanderungsgenehmigungen und Pässen auch aktiv ihres Vermögens
beraubte. Im Dezember 1939 wurde Eichmann schließlich als Leiter des Referates für
„Räumungsangelegenheiten“ (der späteren für die Deportationen zuständigen „Abteilung für Judenund Räumungsangelegenheiten IV B4“) im Reichssicherheitshauptamt (RSHA) in Berlin berufen, hatte
aber nach wie vor großen Einfluss auf die Geschehnisse in Wien.40 Die von seinem Nachfolger Alois
Brunner (Brunner I) geleitete „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ wurde schließlich neben der
Gestapo zur zentralen Institution, welche die Deportation der jüdischen Bevölkerung in Österreich
organisierte.
„Instanzen der Ohnmacht“ – Die Israelitische Kultusgemeinde (IKG) Wien
In der Auswanderungsabteilung der IKG erteilten Angestellte und freiwillige MitarbeiterInnen
Auskünfte in Visa- und Passangelegenheiten sowie in Steuer und Vermögensfragen. Bis zum
Auswanderungsstopp am 10. November 1941 konnten 128.500 Jüdinnen und Juden Österreich
verlassen.41
40
Hecht / Lappin-Eppel / Raggam-Blesch, Topographie der Shoah, S. 123, 136f. Rosenkranz, Verfolgung und
Selbstbehauptung, S. 34. Rabinovici, Instanzen der Ohnmacht, S. 70f. Gabriele Anderl / Dirk Rupnow, Die Zentralstelle für
Jüdische Auswanderung als Beraubungsinstitution, Österreichische Historikerkommission, Bd. 20/1, Wien / München 2004,
S. 76f. Hans Safrian, Die Eichmann Männer. Wien 1993, S. 89, 93.
41 Hecht / Lappin-Eppel / Raggam-Blesch, Topographie der Shoah, 442f. Anderl / Rupnow, Die Zentralstelle für jüdische
Auswanderung, S. 127. Lisa Hauff, Zur politischen Rolle von Judenräten. Benjamin Murmelstein in Wien 1938-1942,
Göttingen 2014, S. 138f. Rosenkranz, Verfolgung und Selbstbehauptung, S. 81, 270. Doron Rabinovici, "Der letzte der
14
Mit dem Beginn der Deportationen wandelten sich die Aufgaben der Auswanderungsabteilung.
Nachdem im Oktober 1941 jede weitere Auswanderung verboten wurde, musste die IKG die
„Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ bei der Organisation der Deportationen unterstützen. Ihre
Aufgabe war es nun, entsprechend den von der „Zentralstelle“ übermittelten Deportationslisten die
für die Zusammenstellung des Transports notwendigen Ordner bereitzustellen. Dabei konnten
leitende Funktionäre der IKG jedoch MitarbeiterInnen, die sie dringend benötigten, aus den
Transportlisten herausreklamieren. Dafür setzte die „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“
andere Personen auf die Liste. Die Auswanderungsabteilung der Kultusgemeinde und ihre
MitarbeiterInnen, die tausenden Menschen die Flucht ermöglicht und ihnen dadurch das Leben
gerettet hatten, wurden nun gezwungen, als Teil des Verwaltungsapparats der Deportationen zu
agieren.42
Das Herausreklamieren von MitarbeiterInnen stellte die Funktionäre der IKG vor ein Dilemma, weil
für jede „zurückgestellte“ Person von der „Zentralstelle“ (später von der Gestapo) eine andere
deportiert wurde. Aus diesem Grund wurde die IKG nach dem Krieg von Überlebenden beschuldigt,
die Deportationen bestimmter Personen veranlasst bzw. nicht verhindert zu haben. Für Überlebende
und Angehörige von Deportierten galten sie als Mittäter. Doron Rabinovici beleuchtet in seinem Buch
„Instanzen der Ohnmacht“ die erzwungene Mitarbeit von Mitarbeitern und Funktionären der IKG.43
7. Epilog: Der Aspangbahnhof in den Jahren 1945 bis 1971/77
Zu Kriegsende fuhren keine Züge mehr vom Aspangbahnhof. Der Bahnhof gehörte nach Kriegsende
zur britischen Zone. Erst ab 26. Juli 1945 kam es im geringen Umfang wieder zur Aufnahme des
Betriebs. In den 1950er Jahren gab es zahlreiche Personen- und Gütertransporte auf der Bahn
zwischen Wien und Aspang mit Dampflokomotiven. In den 1960er Jahren verlor der Bahnhof
aufgrund von Straßenbauten schnell an Bedeutung. Der Bahnbetrieb wurde 23. Mai 1971 eingestellt,
das Bahnhofsgebäude 1977 abgerissen.44
Ungerechten" Benjamin Murmelstein, in: Ordnung muss sein. Das Archiv der Israelitischen Kultusgemeinde Wien,
Ausstellungskatalog, Wien 2007, 187-193.
42 Vgl. Hecht / Lappin-Eppel / Raggam-Blesch, Topographie der Shoah, S. 444f.
43 Vgl. Rabinovici, Instanzen der Ohnmacht, S. 266f., 341, 361-388; Moser, Dr. Benjamin Murmelstein, S. 147-150.
44 Vgl. Gerhard Kletter, Der Aspangbahnhof und die Wien-Saloniki-Bahn, Erfurt 2006.
15
TEIL2.QUELLEN-DOKUMENTATION
Inhaltsverzeichnis
1.
DerWienerAspangbahnhof
1.1.
1.2.
1.3.
1.4.
1.5.
1.6.
1.7
StadtplanmitWienerBahnhöfen,TaschenfahrplanReichsbahn2.11.1942
LageplandesAspangbahnhofsausdemJahr1913
FotosvomAspangbahnhofausderNachkriegszeit(1956/57)
DerAspangbahnhofinderNachkriegszeit(1957/60)
AufnahmenvomverwildertenGeländedesAspangbahnhofs,1970erJahre
AufnahmeModelldesAspangbahnhofs
GleisbrückenwaagezumAbwiegenvonbeladenenGüterwaggonsaufdemArealdes
ehemaligenAspangbahnhofs,GrabungderWienerStadtarchäologie2010
2.
2.1.
3.
3.1.
3.2.
3.3.
3.4.
3.5.
3.6.
3.7.
3.8.
3.9.
3.10.
3.11.
3.12.
3.13.
3.14.
DiefrühenDeportationenimFebruar/März1941 S.3-10
S.11
BriefdesTransportleitersJ.E.vom18.Februar1941ausOpole
DiegroßenDeportationenvonOktober1941bisOktober1942 S.12-33
TelegrammvonMargaretePutzmitdemErsuchenumEnthebungihrerMutterauseinem
Deportationstransport,14.10.1941
NamenslistederIKGimZugedesAnsuchensandie„Zentralstellefürjüdische
Auswanderung“umEnthebungenfürdenTransportnachLitzmannstadt/Łódź,23.10.1941
ZweiBeispieleausderDatenbankderShoah-OpferdesDokumentationsarchivdes
ÖsterreichischenWiderstandes(DÖW):HedwigFreund,ArnoldScheibner
TagebuchderzionistischenMädchengruppeCherut(Freiheit),1941/42
Internetlinks:InterviewsmitÜberlebenden(RudolfGelbardundErikaKosnar)überdie
DeportationenvomAspangbahnhof
BerichtvonOttoKalwo,einemehemaligenOrdner,überalteMenschenimSammellagervor
derDeportation
FotoalbumdesSS-ScharführerJosefWeiszl,TransportvonGepäckstückenvomSammellager
KleineSperlgasse2azumAspangbahnhof
RobertProchnik,BerichtüberdieVorbereitungender„Abwanderungstransporte“vom
14.7.1942nachTheresienstadtundvom17.7.1942nachAuschwitz
AuszugausderDeportationslistedes41.TransportsnachMinsk/MalyTrostinecvom
14.9.1942
BerichteinesWienerPolizeibeamtendes95.ReviersüberdenVerlaufdeserstenTransports
nachMinsk/MalyTrostinecvom6.5.1942
BerichtvonSS-UnterscharführerArltvom17.5.1942überdieErmordungvonausWien
deportiertenJüdinnenundJudeninMalyTrostinec
AbschiedvonAronMenczer(1917-1943),LeiterderJugendalijah,vorseinerDeportation
nachTheresienstadtam24.9.1942
AuszugausderDeportationslistevom24.9.1942,TransportnachTheresienstadt
Gedicht„Judenschicksal“vonKurtMezei(1924-1945)
1
3.15. DeportationvonaltenMenschenausdemjüdischenAltersheim
3.16. UnterdenDeportierten:vierSchwesternvonSigmundFreud
3.17. OriginalbestandderinLeitz-OrdnernabgelegtenDeportationslistenimIKG-Archiv
3.18. Gesamtverzeichnisder47DeportationstransportevomWienerAspangbahnhof
3.19. DeportationenvomAspangbahnhof-DeportationszieleundVernichtungsorte
Anhang:StellungnahmedesDÖWDokumentationsarchivdesösterreichischenWiderstandeszur
namentlichenErfassungderJüdinnenundJuden,dievomAspangbahnhofdeportiertwurden,und
zurDeportationderösterreichischenRomaundSinti. S.36-38
2
1.DerAspangbahnhof
1.1StadtplanmitWienerBahnhöfen
TaschenfahrplanderReichsbahndirektionWien,1942
3
1.2.LageplandesAspangbahnhofsausdemJahr1913
In:GerhardKletter,DerAspangbahnhofunddieWien-Saloniki-Bahn,Erfurt2006,S.34f
4
1.3.FotosvomAspangbahnhofausderNachkriegszeit(1956/57)
In:GerhardKletter,DerAspangbahnhofunddieWien-Saloniki-Bahn,Erfurt2006,S.31
5
1.4.DerAspangbahnhofinderNachkriegszeit(1957/60)
In:GerhardKletter,DerAspangbahnhofunddieWien-Saloniki-Bahn,Erfurt2006,S.38
6
1.5.AufnahmenvomverwildertenGeländedesAspangbahnhofs,1970erJahre
In:GerhardKletter,DerAspangbahnhofunddieWien-Saloniki-Bahn,Erfurt2006,S.90f
7
8
1.6.AufnahmeModelldesAspangbahnhofs
ModelldesAspangbahnhofsum1959(Maßstab1:87);LeihgabevonIng.SchirmböckundHerrn
Schuster(1.MECMödling)©JohannesHradecky
9
1.7.GleisbrückenwaagezumAbwiegenvonbeladenenGüterwaggonsaufdemArealdes
ehemaligenAspangbahnhofs,GrabungderWienerStadtarchäologie2010
©WienerStadtarchäologie
10
2.DiefrühenDeportationenimFebruar/März1941
2.2.BriefdesTransportleitersJ.E.vom18.Februar1941ausOpole
In:ElseBehrend-Rosenfeld/GertrudLuckner(Hg.),LebenszeichenausPiaski.BriefeDeportierteraus
demDistriktLublin1940-1943,München1968,S.167-169
Am15.Februar1941erfolgtedieersteDeportationnachOpoleLubelskieim„Generalgouvernement“.
InnerhalbeinesMonatsgingenvomAspangbahnhoffünfTransportemit5.031WienerJüdinnenund
Juden in die polnischen Kleinstädte Opole, Kielce, Modliborzyce und Łagów/Opatów ab. In diesen
StädtengabesjüdischeGemeinden,diedieausWiendeportiertenJüdinnenundJudenverpflegenund
unterbringenmussten.DieDeportiertenlebtenzunächstineinemoffenenGhetto.WienerJüdinnen
undJuden,welchenichtschonandenschlechtenBedingungenindiesenGhettoszugrundegingen,
wurdenimRahmender„AktionReinhardt“,desMassenmordsanJudenim„Generalgouvernement“,
zwischen März 1942 und Oktober 1943 in den Vernichtungslagern Bełżec, Sobibór und Treblinka
ermordet.
Vermutlich handelt es sich beim Transportleiter J. E. um Jakob Engel, einen Katholiken jüdischer
Herkunft,deraufderDeportationslisteaufscheint.
„WirfuhrenFreitaghalbsechsUhrfrühmitunseremGepäckaufLastautosverladenaufdie
Bahn. In der Nacht waren wir zu zehnt in einem Coupee familienweise untergebracht,
schrecklichengundkeinKlo!SonntagabendswarenwirineinemStädtchenangekommenund
wurden hier auf offene Züge verladen, wo wir zwei Stunden lang unter Soldaten fuhren.
EndlichhattenwirunserZielOpole[erreicht].DassessolchegottverlasseneDörferüberhaupt
gibt,daswussteichnicht,undIhrkönntEuchüberhauptkeinBildmachenvomElend.[…]Die
Bevölkerungistarm,wiemansichüberhauptnichtvorstellenkann:DieFetzenhängenihnen
vom Leibe herunter und sie führen das elendste Leben. Auf den Straßen kann man kaum
gehen,manversinktfastimKotunddieHäuserkannichüberhauptnichtbeschreiben,etwas
größereHundehütten.[…]EineskannichEuchabersagen,soarmdieseMenschenhiersind,
ebensorührendhabensiesichunserangenommenundsiesindsozuvorkommendundgut
undhilfreich,dassalleJudenWienssichvordiesenpolnischenJudenversteckenkönnen.[…]
MitdemGeld,daswirhaben,könnenwirhöchstenseineWochelebenunddannkönnenwir
glattverhungern.“
11
3.DiegroßenDeportationenvonOktober1941bisOktober1942
3. 1. Telegramm von Margarete Putz an die IKG um Enthebung ihrer Mutter aus einem
Deportationstransport,14.10.1941
CentralArchivesfortheHistoryoftheJewishPeople(CAHJP),A/W2765
Telegramm von Margarete Putz vom 14. 10. 1941 an die IKG mit der dringenden Bitte, bei der
„Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ zu intervenieren, um ihre Mutter aus dem Sammellager
herauszuholenundihrenDeportationsterminbiszumEintreffendesangefordertenKuba-Visumszu
verschieben. Zu diesem Zeitpunkt wurden jedoch nur mehr wenige Personen im Besitz von
AusreisepapierenausdenTransportenenthoben.Am23.10.1941wurdeschließlichdasallgemeine
AuswanderungsverbotfürJüdinnenundJudenerlassen.Die1879geboreneErnestinePutzwurdeam
23.10.1941nachŁódźdeportiertundermordet.IhreTochterMargaretePutzkaminRavensbrückums
Leben.
12
3. 2. Namensliste der IKG im Zuge eines Ansuchens an die „Zentralstelle für jüdische
Auswanderung“umEnthebungenfürdenTransportnachLitzmannstadt/Łódź,23.10.1941
CentralArchivesfortheHistoryoftheJewishPeople(CAHJP),A/W2765
Die Israelitische Kultusgemeinde (IKG) versuchte immer wieder, einige der für die Deportation
vorgesehenenPersonenausdenTransporten„herauszureklamieren“.BeidiesenPersonenhandelte
13
essichmeistensumIKG-MitarbeiterInnenundderenAngehörige.Dafürdeportiertedie„Zentralstelle
fürjüdischeAuswanderung“allerdingsanderePersonen.
ImabgebildetenBeispielkonntenallegenanntenPersonenbisaufArnoldScheibner,deram28.10.
1941nachŁódźdeportiertwurde,herausreklamiertwerden.Dieserwiessichfürdiemeistenjedoch
nur als Aufschub auf Zeit. Der Großteil der hier angeführten Personen wurde später mit anderen
TransportennachTheresienstadtundvondort1944nachAuschwitzdeportiert.Vondenaufdieser
Liste Genannten dürfte einzig Olga Feinberg als Operationsschwester des jüdischen Spitals in Wien
überlebthaben.
3. 3. Zwei Beispiele aus der Datenbank der Shoah-Opfer des Dokumentationsarchiv des
ÖsterreichischenWiderstandes(DÖW):HedwigFreund,ArnoldScheibner
http://www.doew.at/erinnern/personendatenbanken/shoah-opfer
HedwigFreund
14
ArnoldScheibner
Hedwig Freund, Schwester von Lily Reichenfeld, der Leiterin der Fürsorge der IKG, wurde von der
Israelitischen Kultusgemeinde erfolgreich aus den Herbst Deportationen des Jahres 1941
herausreklamiert. Mit den letzten großen Deportationstransporten wurde sie schließlich am 24. 9.
1942 gemeinsam mit ihrer Schwester und ihrem 17jährigen Sohn Robert nach Theresienstadt
deportiert, wo dieser im Juni 1943 umkam. Hedwig Freund und Lily Reichenfeld wurden 1944 in
Auschwitzermordet.
ArnoldScheibnerhingegenkonntenichtmehrausdenHerbsttransportenherausreklamiertwerden.
Erwurdeam28.10.1941nachŁódźdeportiertundermordet.
15
3.4.TagebuchderzionistischenMädchengruppeCherut(Freiheit),1941/42
Privatbesitz
Erinnerungseinträge von vier Mitgliedern der zionistischen Mädchengruppe Cherut bei der
„Einberufung“ in das Sammellager Kleine Sperlgasse 2a: Ruth Kuttenplan, Miriam Neufeld, Herta
RudichundLislBein.KeinesdervierMädchenüberlebte.DieseSeiteisteinAusschnittauseinem53seitigen Tagebuch einer Gruppe zionistischer Mädchen aus den Jahren 1941/42, die darin ihre
AktivitätenfesthieltenundauchdieDeportationenunddasimmerschwierigerwerdendeÜberleben
inWienbeschrieben.
16
3.5.Internetlinks:InterviewsmitÜberlebenden(RudolfGelbardundErikaKosnar)überdie
DeportationenvomAspangbahnhof:
Rudolf Gelbard, 1930 in Wien geboren, über seine Deportation vom Aspangbahnhof nach
Theresienstadtam1.Oktober1942
https://www.youtube.com/watch?v=O7UGBDitjSs
"Niemalsvergessen":ZeitzeugeRudiGelbardbeieinerGedenkfeieramAspangbahnhof(9.11.2015)
https://www.youtube.com/watch?v=4ad5FmWHddY
Sieheauch:DerMannaufdemBalkon.RudolfGelbard.KZ-Überlebender-Zeitzeuge-Homo
Politicus.DokumentarfilmvonKurtBrazda(2008;ORF/3sat)
http://wifar.at/index.php?option=com_content&view=article&id=4%3Ader-mann-auf-dembalkon&catid=2%3Adokumentarfilme&Itemid=2&lang=de
InterviewmitErikaKosnar(geb.Nemschitz),1932inWiengeboren,derenVaterFritzNemschitzals
jüdischer Zwangsarbeiter in der Nähe des Aspangbahnhofs arbeitete und die Deportationen
beobachtete
https://www.youtube.com/watch?v=--oCChi8FGE
17
3.6.BerichtvonOttoKalwo,einemehemaligenOrdner,überalteMenschenimSammellagervorderDeportation
In: Elisabeth Fraller / George Langnas (Hg.), Mignon. Tagebücher und Briefe einer jüdischen
KrankenschwesterinWien1938-1949,Wien2010,S.198.
„Alte, Kranke werden in die Zimmer geschleppt und auf verwanzte, ausgenommene
Matratzenfallengelassen.Daliegensie,hilflos,dienettenAugenineineWeltgerichtet,
diesienichtmehrverstehen.SiewollennurnochzuihrenKinderninsAuslandkommen,
sie sehen und küssen und vor Wiedersehensfreude lächeln ... Es ist nichts daraus
geworden.SiewerdennachOstenfahren.IneinGhetto.SospinnensieihreGedanken
fort!Ausland,Kinder,Osten...EsdrehtsichallesimKopf:WohabeichnurdieHandtasche
mitdenDokumentenhingegeben,woistsiedennnur?Immerkonfuserwerdensie.Die
Wartezeit,diepaarTagenoch,bevorsiefahrenwerden,machensieschonzuWracks.Sie
verschmutzen, kommen tagelang nicht aus den Kleidern. Ihr Blick abwesend,
gegenwartslos.DietrübeZeitdrücktihrenStempelaufihrGesicht.Ergebenhockensie
auf dem Boden der Zimmer, mühsam gegen hoch aufgeschlichtete und immer wieder
herunterfallendeGepäckstückeihrenschmalenPlatzbehauptend.Streitbrichtauswegen
Geringfügigkeiten. Sie sind nicht mehr zu erkennen. Hineingestoßen in etwas für sie
Unbegreifliches,könnensiekeinenklarenGedankenmehrfassen.Verlassen,ohneHilfe,
sitzensienunda,vorsicheinSchicksal,dasfürsieglücklicherweisenichtfassbarist.Und
warten.“
OttoKalwo(1918-2008)warvorseinerDeportationnachTheresienstadteinigeZeitals
„Ordner“imSammellagerKleineSperlgasse2atätig.
18
3. 7. Fotoalbum des SS-Scharführers Josef Weiszl, Transport von Gepäckstücken vom
SammellagerKleineSperlgasse2azumAspangbahnhof
WienerStadt-undLandesarchiv(WStLA),VolksgerichtsaktvonJosefWeiszl
Jüdische Zwangsarbeiter beim Verladen des Gepäcks von Deportierten im Hof des Sammellagers 2., Kleine
Sperlgasse2a
Zu den wenigen Fotos, welche den Ablauf einer Deportation dokumentieren, zählen jene aus dem
Fotoalbum des SS-Scharführers Josef Weiszl, Mitarbeiter Adolf Eichmanns in der „Zentralstelle für
jüdischeAuswanderung“,dieimHofdesSammellagersKleineSperlgasse2azwischenHerbst1941und
Frühsommer1942aufgenommenwurden.
19
3.8.RobertProchnik,BerichtüberdieVorbereitungender„Abwanderungstransporte“vom
14.7.1942nachTheresienstadtundvom17.7.1942nachAuschwitz
CentralArchivesfortheHistoryoftheJewishPeople(CAHJP),AW2750
Robert Prochnik musste als Mitarbeiter der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) die „Zentralstelle für
jüdische Auswanderung“ und die Gestapo bei den Deportationen unterstützen. Er hatte in alle Abläufe
EinsichtundmussteimAuftragderNS-BehördenauchamBahnhofbeidenDeportationenanwesendsein
und darüber Bericht legen. Sein Bericht gibt einen einzigartigen Einblick in die Organisation der
DeportationenvomSammellagerbiszumAspangbahnhof.
20
3.9.AuszugausderDeportationslistedes41.TransportsnachMinsk/MalyTrostinecvom
14.9.1942
IKGArchivWien
Namen, Wohnadressen und Geburtsdaten der am 14. 9. 1942 nach Maly Trostinec Deportierten.
Zumindest33KinderundJugendlicheausdemletztenjüdischenKnabenheim(GrüneTorgasse26)und
42 Mädchen aus dem letzten jüdischen Mädchenheim (Haasgasse 10) befanden sich mit ihren
BetreuerInnen ebenfalls in diesem Transport. Sie wurden nach ihrer Ankunft in Maly Trostinec
ermordet.
21
ErmordeteMädchenausdemletztenjüdischenMädchenheimin2.,Haasgasse10:
DasSchicksalvonBerta(1930-1942)undRosaWeithorn(1929-1942)
Berta und Rosa Weithorn kamen in Heimpflege, weil ihr Vater in Dachau inhaftiert war und ihre
Mutter,eineSchneiderin,mitLähmungserscheinungenimjüdischenSpitallag.DiebeidenMädchen
wurdenam14.September1942nachMalyTrostinecdeportiertundgleichnachderAnkunftermordet.
22
3. 10. Bericht eines Wiener Polizeibeamten des 95. Reviers über den Verlauf des ersten
TransportsnachMinsk/MalyTrostinecvom6.5.1942
In:AlfredGottwaldt/DianaSchulle,Die„Judendeportationen“ausdemDeutschenReich1941-1945,
Wiesbaden2005,S.237
„AnkunftinWolkowitzam8.5.1942um23.00Uhr.HierwurdederZugvonPersonenwagen
inViehwagenumgeladen.DieUmwaggonierungdauertebis02.00Uhrnachts.Am9.5.1942
um02.45UhrwurdedieFahrtüberBaranowitzanachMinskfortgesetzt.InKojdanow,woder
Transportam9.5.1942um14:30Uhranlangte,bliebderZugüberWeisungdesSD.vonMinsk
bis11.5.1942stehen.BeimEintreffeninKojdanowwurden8verstorbeneJuden(3Männer
und5Frauen)festgestelltundamdortigenBahnhofbeerdigt.“
3.11.BerichtvonSS-UnterscharführerArltvom17.5.1942überdieErmordungvonaus
WiendeportiertenJüdinnenundJudeninMalyTrostinec
In:AlfredGottwaldt/DianaSchulle,Die„Judendeportationen“ausdemDeutschenReich1941-1945,
Wiesbaden2005,S.238
„Am4.Maigingenwirbereitswiederdaran,neueGrubeninderNähedesGutesvomKdr.
[Kommandeur]selbstauszuheben.AuchdieseArbeitennahmen4TageinAnspruch.Am11.
MaitrafeinTransportmitJuden(1000Stück)ausWieninMinskein,undwurdengleichvom
BahnhofzurobengenanntenGrubegeschafft.DazuwarderZugdirektanderGrubeeingesetzt.
Am13.Maibeaufsichtigten8ManndieAusgrabungeinerweiterenGrube,dainnächsterZeit
abermalseinTransportmitJudenausdemReichhiereintreffensoll.“
3. 12. Abschied von Aron Menczer (1917-1943), Leiter der Jugendalijah, vor seiner
DeportationnachTheresienstadtam24.9.1942
AusschnittauseinemneunseitigenBerichtvonMartinVogel,demStellvertretervonAronMenczer
vom28.11.1942,YadVashemArchives(YVA),0.30/67
„Ein Großteil der Chawerim [Kameraden] fand sich am Erew’ Jom Kipur [Vorabend des
Versöhnungstages,21.9.1942]imTempelein.Eswarmittlerweilebekanntgeworden,dass
AronamDienstagden22.9.1942indasSammellagerMalzgasseeinrückenmüsse.AmJom
KipurselbstfandkeinewesentlicheVeranstaltungstatt,daderGroßteilderJugendlichenin
Arbeit war. Erst abends fanden sie sich wieder im Tempel ein. Nach Ausgang des
Versöhnungstages kam der Moment des Abschieds von Aron [Menczer]. Keine Feier, keine
Sichah [Gespräch] sollte diesen schicksalshaften Moment bedrücken. Es war nur ein kurzer
Händedruck, ein paar Worte, ein in die Augen schauen und sonst nichts. Alle Chawerim
verstandendenernsten,verpflichtendenSinndiesesAugenblickes.“
23
AronMenczer(sitzend)mitdenMadrichim(JugendleiterInnen),1940.MartinVogelstehtinderzweitenReihe,
zweitervonlinks.
AronMenczerwarvon1939bis1942LeiterderJugendalijah(JUAL)Schule,dieKinderundJugendliche
im Alter von zehn bis achtzehn Jahren unterrichtete. Ab Herbst 1939 war die JUAL die einzige
Bildungseinrichtung für jüdische Jugendliche über vierzehn Jahren. Im Februar 1939 begleitete er
einenTransportderJugendalijahnachPalästina.WährendseinesAufenthaltesbesuchteerauchseine
inzwischennachHaifaemigrierteFamilie.ImApril1939kehrteernachWienzurück,umweiterfürdie
Jugendalijahzuarbeiten.SeineigenesEinreise-Zertifikatbenützeernie.AronMenczerwurdeam24.
9. 1942 aus dem Sammellager Malzgasse 16 zum Wiener Aspangbahnhof gebracht und nach
Theresienstadtdeportiert,woerwiederalsPädagogearbeitete.Alsmehrals1.200Kinderausdem
GhettoBialystokinTheresienstadtinterniertwurden,meldeteersicham24.8.1943alsBetreuer.Am
5.10.1943wurdendieseKinderzusammenmitihren53BetreuerInnen–darunterAronMenczer–
nachAuschwitzdeportiertundindenGaskammernermordet.InWiengibteszweiGedenktafelnzur
Erinnerung an Aron Menczer: Eine im Gebäude der Israelitischen Kultusgemeinde in der
Seitenstettengasse2-4undeineamHausderehemaligenJUAL-SchuleinderMarc-Aurel-Straße5.
24
3.13.AuszugausderDeportationslistevom24.9.1942nachTheresienstadt
UnterdenDeportiertenwarenAronMenczer,LeiterderJugendalijah,DesiderFriedmann,ehemaliger
Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde, und Robert Stricker, ehemaliger Vize-Präsident der
IsraelitischenKultusgemeinde.
AronMenczerwurdeimOktober1943inAuschwitzermordet.DesiderFriedmannundRobertStricker
wurden mit ihren Frauen im Oktober 1944 von Theresienstadt nach Auschwitz deportiert und dort
ermordet.
25
3.14.Gedicht„Judenschicksal“vonKurtMezei(1924-1945)
Judenschicksal.
Ichsahheut'tausendMenschenverstörtenAngesichts
Ichsahheut'tausendJuden,diewanderteninsNichts.
ImGraudeskaltenMorgenszogdieverfemteSchar
Undhinterihrverblasste,waseinstihrLebenwar.
SieschrittendurchdiePfortenundwussten:niezurück!
Sieließenallesdorten:Vermögen,Geltung,Glück.
Wohinwirdmaneuchführen?WoendeteuerPfad?
SiewissennurdasEine:IhrZielheißtStacheldraht!
Undwasdortihrerwartet,istElend,QualundNot,
Entbehrung,Hunger,Seuche,fürvielebitt'rerTod.
IchschautinihreAugenmitbrüderlichemBlick,
ErwartendtiefstenJammerobsolchemMissgeschick,
DochstattVerzweiflungsahichnurungeheuresMühn
UmHaltungundBeherrschungausihrenAugenglühn,
SahheißenLebenswillen,sahHoffnungundsahMut,
IchsahinmanchemAntlitzeinLächeln,starkundgut.
Dahab‘ichtiefergriffendenGeistdesVolkserkannt,
DasauserwähltzumLeiden,dasLiedauchstetsbestand.
DassichausNotundElend,Verbannung,FrohnundHaf
Nochimmerhaterhobenmitungebroch’nerKraft.
Ichsahheut‘tausendJudenverstörtenAngesichts
UnssahimGraudesMorgensden„Strahldesew’genLichts“.1
KurtMezei(1924–1945)warbisHerbst1939SchülerdesjüdischenChajesgymnasiums.DaabOktober
1939derSchulunterrichtfürjüdischeSchülerInnenüber14Jahrenverbotenwar,absolvierteerim
Herbst1939einensogenannten„Umschulungskurs“zumElektrikerundarbeitetedanachwieviele
JugendlicheimTechnischenAmtderIsraelitischenKultusgemeinde(IKG)Wien.Am15.Oktober1941
wurde er in das „Zimmer 8“ in den Amtsräumen der IKG in der Seitenstettengasse versetzt. Das
„Zimmer 8“ war jene administrative Stelle innerhalb der Kultusgemeinde, die die „Zentralstelle für
jüdische Auswanderung“ bei der Durchführung der Deportationen unterstützen musste. In diesem
Büro wurden die von der „Zentralstelle “ übermittelten Listen abgeschrieben und beraten, welche
MitarbeiterInnendurch„herausreklamieren“geschütztwerdensollten.ZuBeginnderDeportationen
arbeiteten sechs Mitarbeiter dort, die zum Großteil zuvor in der Auswanderungsabteilung tätig
gewesenwaren.InnerhalbeinesJahresstiegderPersonalstandauf15Personen.KurtMezei,derim
RahmenseinerArbeitfürdieKultusgemeindeimZimmer8zeitweiligauchals„Ausheber"arbeiteten
musste und zur Deportation Bestimme in ein Sammellager zu bringen hatte, schrieb zuBeginn der
großen Deportationen das Gedicht „Judenschicksal", in dem er sich mit der Einweisung in das
1
UndatiertesGedichtvonKurtMezei,1941/42.DÖW,NachlassMargareteMezei,22176/37.
26
SammellagerunddenbevorstehendenDeportationenauseinandersetzte.Mitseinenhoffnungsvollpathetischen Worten über den Mut und den Überlebenswillen des jüdischen Volkes am Ende des
Gedichtes reflektierte er auch seine eigene Lebenssituation. Kurt und seine Zwillingsschwester Ilse
konntenalsAngestelltederIKGunddesspäteren„Ältestenrates“inWienverbleiben,währendviele
ihrerFreundedeportiertwurden.DieGeschwisterMezeihabenmehrereTagebücherhinterlassen,die
einen einzigartigen Einblick in das Leben und Überleben jüdischer Jugendlicher im
nationalsozialistischenWiengeben.2
Bei den Kampfhandlungen zwischen deutscher Wehrmacht und der Roten Armee kurz vor der
BefreiungverstecktesichKurtMezeiwiederGroßteilderWienerBevölkerungineinemKeller.Wenige
StundenvorderBefreiungdurchdieRoteArmeeam12.April1945wurdeder21jährigeKurtMezei
gemeinsammitachtJüdinnenundJudenvoneinerSS-EinheitausdemKellerdesHausesFörstergasse
7 geholt und ermordet. Seine Zwillingsschwester Ilse Mezei war einen Monat zuvor bei einem
BombenangriffumsLebengekommen.HeutebefindetsichamHausinWien2.,Förstergasse7eine
Gedenktafel in Erinnerung an die Ermordeten.3 Persönliche Dokumente und Fotos, darunter das
Gedicht „Judenschicksal“, hat die Mutter Margarete Mezei (1899-1993) vor ihrem Tod dem
DokumentationsarchivdesÖsterreichischenWiderstandes(DÖW)unddemJüdischenMuseumWien
übergeben.
Ilse(1924-1945)undKurtMezei(1924-1945),Wienum1941(DÖW)
2
DieterJ.Hecht/EleonoreLappin-Eppel/MichaelaRaggam-Blesch,TopographiederShoah.Gedächtnisortedeszerstörten
jüdischenWien,Wien2015,S.445-447,465f.
3
Ebenda,S.548.
27
3.15.DeportationvonaltenMenschenausdemjüdischenAltersheim
BerichtvonEdithHolzer,in:DokumentationsarchivdesösterreichischenWiderstandes(Hg.),Jüdische
Schicksale.BerichtevonVerfolgten,ErzählteGeschichte,Bd.3,Wien1992,S.503f.
Edith Auerhahn, geb. Holzer (1920-2011), die als Krankenschwester im jüdischen Altersheim in 2.,
Malzgasse 16 arbeitete, war bei dessen Räumung anwesend und schilderte in einem Interview die
Umstände,unterdenendieDeportationderoftschwerkrankenaltenMenschenerfolgte:
„Ich kann mich erinnern, wie man die Leute vom Altersheim in der Malzgasse 16
beziehungsweisevonderGeriatrieoderderNervenabteilungdesSpitalsdeportierthat.
Da haben alle mitarbeiten müssen [...]. Draußen ist die SS gestanden und hat Befehle
erteilt […] Furchtbare Szenen haben sich abgespielt. Die Leute haben sich gesträubt
natürlich, haben gekämpft um ihr Leben. Man hat sie rücksichtslos hineingeworfen in
diesenLastwagen,ohneirgendwiezuschauen,obeinergutsitztoderschlechtsitzt.Einen
Patienten, der nur im Rollstuhl weiter befördert werden konnte, hat man aus dem
Rollstuhl herausgenommen, hat ihn gepackt, einer oben, einer unten, und hat ihn
reingehaut–soganzohneGefühl,daswarselbstverständlich.[…]Geschrienhabendie
Leute furchtbar und um Hilfe gebeten. Und wir konnten gar nichts machen. Es war
schrecklich,eswargrauenhaft.“
3.16.UnterdenDeportierten:vierSchwesternvonSigmundFreud
VierderfünfSchwesternvonSigmundFreudaufderTraun-PromenadeinBadIschl,4.7.1932©Libraryof
Congress.V.l.n.r.:AdolfineFreud,AnnaBernay,MarieFreudundPaulineWinternitz.AnnaBernay,dieälteste
derFreud-Schwestern,lebteinNewYorkundüberlebte.
28
Die Schwestern von Sigmund Freud mussten vor ihrer Deportation mehrmals in verschiedene
Sammelwohnungen umziehen. Im April 1942 kamen die vier Schwestern Pauline Winternitz (18641942), Marie Freud (1861-1942), Adolfine Freud (1862-1942) und Rosa Graf (1860-1942) in das
jüdischeAltersheimin9.,Seegasse9.Vondortwurdensieam28.6.bzw.27.8.1942vomWiener
AspangbahnhofnachTheresienstadtdeportiert,woAdolfineFreudam29.9.anHerzmuskellähmung
starb.IhreSchwesternMarieFreud,PaulineWinternitzundRosaGrafwurdenbereitsimSeptember
1942weiternachTreblinkadeportiertundermordet.
3.17.OriginalbestandderinLeitz-OrdnernabgelegtenDeportationslistenimIKG-Archiv
FotoausderAusstellungimJüdischenMuseumWien(JMW)„Ordnungmusssein“,2007.
©LisaRastl
Die Deportationslisten befinden sich im Archiv der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, 1.,
Seitenstettengasse2-4
29
3.18.GesamtverzeichnisallerDeportationstransportevomWienerAspangbahnhof4
Datum
Deportationsaktion
ZahlderDeportierten
20.Oktober1939
NiskoamSan
912
26.Oktober1939
NiskoamSan
672
15.Februar1941
Opole
996
19.Februar1941
Kielce
1010
26.Februar1941
Opole
1049
5.März1941
Modliborczicze
981
12.März1941
Łagów/Opatów
995
15.Oktober1941
Litzmannstadt/Łódź
1005
19.Oktober1941
Litzmannstadt/Łódź
1003
23.Oktober1941
Litzmannstadt/Łódź
991
28.Oktober1941
Litzmannstadt/Łódź
998
2.November1941
Litzmannstadt/Łódź
998
23.November1941
Kaunas/Kowno
995
28.November1941
Minsk
999
3.Dezember1941
Riga
995
11.Januar1942
Riga
1000
26.Januar1942
Riga
1196
6.Februar1942
Riga
997
9.April1942
Izbica
998
27.April1942
Wlodaw
998
4
Tabellenach:JonnyMoser,Österreich,in:WolfgangBenz(Hg.),DimensiondesVölkermords.DieZahlderjüdischenOpfer
desNationalsozialismus,München1991,S.72-92.
30
6.Mai1942
Minsk/MalyTrostinec
994
12.Mai1942
Izbica
1001
15.Mai1942
Izbica
1006
20.Mai1942
Minsk/MalyTrostinec
986
27.Mai1942
Minsk/MalyTrostinec
981
2.Juni1942
Minsk/MalyTrostinec
999
5.Juni1942
Izbica
1001
9.Juni1942
Minsk/MalyTrostinec
1006
14.Juni1942
Sobibór
996
20.Juni1942
Theresienstadt
996
28.Juni1942
Theresienstadt
983
10.Juli1942
Theresienstadt
993
14.Juli1942
Theresienstadt
988
17.Juli1942
Auschwitz
995
22.Juli1942
Theresienstadt
1005
28.Juli1942
Theresienstadt
988
13.August1942
Theresienstadt
997
17.August1942
Minsk/MalyTrostinec
1003
20.August1942
Theresienstadt
997
27.August1942
Theresienstadt
956
31.August1942
Minsk/MalyTrostinec
967
10.September1942
Theresienstadt
990
14.September1942
Minsk/MalyTrostinec
992
31
24.September1942
Theresienstadt
1287
1.Oktober1942
Theresienstadt
1290
5.Oktober1942
Minsk/MalyTrostinec
544
9.Oktober1942
Theresienstadt
1306
47.035
32
3.19.DeportationenvomAspangbahnhof–DeportationszieleundVernichtungsorte5
DeportationennachNiskoamSanimOktober1939
NiskoamSan1939
2Transporte(20.und26.10.1939)vomAspangbahnhof,insgesamt1.584Männer.BarackenlagerbeiZarzecze;
Auflösung:Frühjahr1940,198MännerkonntennachWienzurückkehren,84Überlebende.
DeportationenimFrühjahr1941inpolnischeKleinstädteimGeneralgouvernement
Opole
2Transporte(15.und26.2.1941)vomAspangbahnhof,insgesamt2.045Personen.OffenesGhettomitbiszu
8.000BewohnerInnen.Am31.März1942TransportindasVernichtungslagerBelzec,imMaiundOktober1942
inVernichtungslagerSobibór.17ÜberlebendeausÖsterreich
Kielce
1 Transport (19. 2. 1941) vom Aspangbahnhof, insgesamt 1.010 Personen. Ab 31. März 1941 geschlossenes
Ghetto, bis zu 27.000 InsassInnen. Zwangsarbeit in Steinbrüchen und im Ghetto. April 1941 bis April 1942
Typhusepidemiemitdie6.000Toten.Vom20.biszum24.August1942Deportationvonrund21.000Personen
nachTreblinka;2.000kameninArbeitslager.August1944LiquidierungundDeportationennachAuschwitzund
Buchenwald.2ÜberlebendeausÖsterreich.
Modliborzyce
1Transport(5.3.1941)vomAspangbahnhof,insgesamt981Personen.GhettoimjüdischenViertel,Zwangsarbeit
in umliegenden Arbeitslagern. Liquidation am 8. Oktober 1942, Erschießungen am Bahnhof Zaklików und
VerbringunginVernichtungslager,der"AktionReinhardt".4ÜberlebendeausÖsterreich.
Opatów/Łagów
1 Transport (12. 3. 1941) vom Aspangbahnhof, insgesamt 995 Personen. Geschlossenes Ghetto in Opatów,
höchsten 7.000 BewohnerInnen. Ab Juli 1941 Überstellungen in Arbeitslager. 20. bis 22. Oktober 1942
LiquidierungundDeportationvonrund6.000PersoneninsVernichtungslagerTreblinkaundrund500–600ins
ArbeitslagerSandomierz.InŁagówvergleichbareSituation.Insgesamt2ÜberlebendeausÖsterreich.
DiegroßenDeportationenOktober1941–Oktober1942
Łódź/Litzmannstadt
5Transporte(Oktober1941)vomAspangbahnhof,insgesamt4.995Personen.
5Transporte(November1941)rund5.000österreichischeRomaundSinti.
Ab 1940 Ghetto für rund 150.000 einheimische Jüdinnen und Juden. Ab Herbst 1941 auch Deportation von
20.000 Personen aus dem Deutschen Reich, dem „Protektorat“ und Luxemburg. Im Januar 1942 Beginn des
Massenmords;bisMai1942wurden55.000MenscheninChelmnoermordet,darunterauchRomaundSintiaus
Österreich. Liquidation des Ghettos im August 1944, Deportation von 70.000 Personen nach Auschwitz und
Chelmno.16ÜberlebendeausÖsterreich.
5
DieterJ.Hecht/EleonoreLappin-Eppel/MichaelaRaggam-Blesch,TopographiederShoah.Gedächtnisortedeszerstörten
jüdischenWien,Wien2015,S.554-559.Vgl.JonnyMoser,Österreich,in:WolfgangBenz(Hg.),DimensiondesVölkermords.
DieZahlderjüdischenOpferdesNationalsozialismus,München1991,S.67-93.WolfgangBenzundBarbaraDistel(Hg.),Der
OrtdesTerrors.GeschichtedernationalsozialistischenKonzentrationslager,9.Bände,München2008.Encyclopediaof
CampsandGhettos1933-1945,ed.UnitedStatesHolocaustMemorialMuseum,Vol.IBloomington2009,Vol.II
Bloomington2012.
33
Kowno/Kaunas
1 Transport (23. 11. 1941) vom Aspangbahnhof, insgesamt 995 Personen. Transport nach Riga, wurde aus
ungeklärten Gründen nach Kowno umgeleitet. Dort erschoss das Einsatzkommando (EK) 3 alle Deportierten.
KeineÜberlebende.
Riga
4Transporte(3.12.1941-6.2.1942)vomAspangbahnhof,insgesamt4.188Personen.DielettischeHauptstadt
Riga gehörte seit Juli 1941 zum "Reichskommissariat Ostland", einer Verwaltungseinheit, die die früheren
baltischenStaatenLettland,LitauenundEstlandsowiedengrößtenTeildeswestlichenWeißrusslandsumfasste.
InRigalebtenvordemKriegrund43.000JüdinnenundJuden.ImSeptember/Oktober1941wurdeeinStadtteil
mit einer Mauer umgeben und zum Ghetto gemacht. Dort starben viele Bewohner an den furchtbaren
Lebensbedingen und der Zwangsarbeit. Ende November/Anfang Dezember 1941 wurden ungefähr 27.000
Personen,vorallemlettischeJuden,imWaldvomRumbulaerschossen.AufdieseWeisesollteRaumfürneue
TransporteausdemDeutschenReichgeschaffenwerden.Vondenrund20.000ausdemDeutschenReichnach
Riga deportierten Jüdinnen und Juden haben die Selektionen, das Ghetto und die verschiedenen
Konzentrationslagernurrund800Personenüberlebt.102ÜberlebendeausÖsterreich.
Minsk
1 Transport (28. 11. 1941) vom Aspangbahnhof, insgesamt 999 Wiener Personen nach Minsk. Ab Juni 1941
Ghettofürbiszu70.000einheimischeJüdinnenundJuden;abHerbst1941Massenerschießungen,imHerbst
1943 nur mehr 1.000 Überlebende. Liquidierung des Ghettos und der Arbeitslager im September 1944.
Insgesamt3ÜberlebendeausÖsterreich.
Minsk/MalyTrostinec
9Transporte(November1941–Oktober1942)vomAspangbahnhof,insgesamt8.472Personen.MalyTrostinec,
ehemalige Kolchose bei Minsk, von SS als Gut geführt, ab November 1941 Tötungsstätte; Erschießungen in
WäldernbeiBlagovshchinaundShashkovka,abJuni1942auchEinsatzvon"Gaswagen";AuflösungimJuli1944.
Insgesamt10ÜberlebendeausÖsterreich.
Izbica
4Transporte(9.4.–5.6.1942)vomAspangbahnhof,insgesamt4.006Personen.Ab1940Ghettobiszu12.000
InsassInnen;24.März1942:über2.000MenscheninsVernichtungslagerBelzecdeportiert.AbSommer1942
DeportationeninVernichtungslagerder„AktionReinhardt";am15.Oktober1942wurden5.000Personennach
Sobibór verbracht, die Verbliebenen großteils auf dem Friedhof von Izbica erschossen. Keine Überlebende
bekannt.
Włodawa
1Transport(27.4.1942)vomAspangbahnhof,insgesamt998Personen.OffenesGhetto;zwischendem22.und
dem24.Mai1942erste"Judenaktion",Ermordungvon500altenMenschen.Liquidationam24.Oktober1942,
Deportation von mehr als 6.000 Personen nach Sobibór. Anfang November 1942 Ermordung von 500
ArbeitskräftendurchdieSS.KeineÜberlebendebekannt.
Sobibór
1 Transport (14. Juni 1942) vom Aspangbahnhof, insgesamt 996 Personen. Vernichtungslager der „Aktion
Reinhardt“vonMärz1942bisHerbst1943.Ermordungvonannähernd250.000Menschen.InderZeitvonMärz
bisSeptember1942warderausÖsterreichstammendeSS-ObersturmführerFranzStanglLagerkommandant.
14.Oktober1943Häftlingsaufstand,rund300konntenfliehen.DerGroßteildavonüberlebtenicht.Insgesamte
ZahlderhierermordetenösterreichischenOpfernichtfeststellbar.
34
Theresienstadt/Terezín
13großeTransporte(Juni1942–Oktober1942)vomAspangbahnhof,mehrerekleinereTransporte(Januar1943
–April1945),vomNord-undNordwestbahnhof,insgesamt15.122Personen.AbNovember1941Ghettound
Konzentrationslager, insgesamt 140.000 Personen. Lagerkommandanten stammten aus Österreich: Siegfried
Seidl(November1941–Juli1943),AntonBurger(Juli1943–Februar1944)undKarlRahm(Februar1944–Mai
1945).DurchgangslagerfürDeportationenindieVernichtungslagerAuschwitzundTreblinka.1.342Überlebende
ausÖsterreich.
Auschwitz-Birkenau
1Transport(17.7.1942)vomAspangbahnhof,insgesamt995Personen.MehrerekleinereTransporte1943/44,
vomNord-undNordwestbahnhof,insgesamt572Personen.AbFrühjahr1940Konzentrationslager(AuschwitzI)
mit polnischen Häftlingen; ab Herbst 1941 Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau (Auschwitz II), außerdem
KonzentrationslagerMonowitz(AuschwitzIII)sowie50weitereNebenlager;abFrühjahr1942Vergasungenin
Birkenau,ab1943vierKrematorienmitangeschlossenenGaskammern.Am7.Oktober1944sprengtenHäftlinge
des Sonderkommandos das Krematorium IV im Zuge eines Häftlingsaufstandes. Zwischen 17. und 21. Januar
1945Liquidierung,BeginnderTodesmärsche.140ÜberlebendeausÖsterreich.
VernichtungslagerohnedirekteDeportationstransporteausWien
Chelmno/Kulmhof
Transporte aus dem Ghetto Łódź. Ab November 1941 Vernichtungslager in einem Schloss bei Chelmno,
Ermordung in Gaswagen; Ende März 1943 Auflösung. 1944 wieder in Betriebnahme bei der Liquidierung des
GhettosŁódź.Insgesamtrund152.000Opfer.ZahlderösterreichischenOpfernichtfeststellbar.
Belzec
Kein direkter Transport aus Wien/Österreich. Vernichtungslagers der „Aktion Reinhardt“ ab November 1941.
ZwischenMärz1942undderJahreswende1942/43Ermordungvon550.000MenschenindenGaskammernvon
Belzec. Im Frühling 1943 erfolgten die Liquidation des Lagers und die Beseitigung aller Spuren. Zahl der
österreichischenOpfernichtfeststellbar.
Majdanek/Lublin
Kein direkter Transport aus Wien/Österreich. Konzentrations- und Vernichtungslager, im September 1941 als
„KriegsgefangenenlagerderWaffen-SS“errichtet.ZwischenSeptemberundNovember1942Vergasungenmit
ZyklonBundKohlenmonoxyd;am16.Februar1943inKonzentrationslagerLublinumbenannt.3.November1943
ErschießungenimRahmender„AktionErntefest“von42.000Männer,FrauenundKinderinMajdanek/Lublin,
TrawnikiundPoniatowa.ZahlderösterreichischenOpfernichtfeststellbar.
Treblinka
KeindirekterTransportausWien/Österreich,5TransporteimOktober1942ausTheresienstadt,darunter3.100
ÖsterreicherInnen.Vernichtungslagerder"AktionReinhardt",zwischenJuli1942undHerbst1943Ermordung
von rund 870.000 Personen, überwiegend Jüdinnen und Juden, aber auch Roma und Sinti in Gaskammern;
September 1941 bis August 1942 einer der Kommandanten war der Österreicher Franz Stangl. Zahl der
österreichischenOpfernichtfeststellbar.
35
StellungnahmedesDÖWDokumentationsarchivdesösterreichischenWiderstandes
zur namentlichen Erfassung der Jüdinnen und Juden, die vom Aspangbahnhof
deportiertwurden,undzurDeportationderösterreichischenRomaundSinti.
A.) NamendervomAspangbahnhofDeportierten:IstdieExtrahierungderNamenaus
derHolocaust-OpferdatenbankdesDÖWmöglich?
DieOpferdatenbankdesDÖW–erstelltinjahrzehntelangenForschungsarbeitenseit1992–beinhaltet
ausführlicheDatenzumehrals65.000österreichischenOpfernderShoah.6AufgelistetwerdenName,
Vorname,Geburtsdatum,GeburtsortundletzterWohnortdesOpfers,derZielortunddasDatumder
Deportationund–soweitbekannt–dasTodesdatumsowiederTodesort.SeitJänner2015sinddie
TransportlistenausWienmitdenDatenvonrund46.000österreichischenHolocaustopfernverknüpft
undindieDatenbankintegriert.ZudenimZeitraum1941/42vomWienerAspangbahnhoferfolgten
DeportationenösterreichischerJüdinnenundJudenhatderMitarbeiterdesDÖW,WinfriedGarscha,
2000recherchiertundpubliziert.7
DieErstellungeinerNamenslistefürjeneHolocaust-Opfer,dievomAspangbahnhofinGhettosund
Vernichtungslagerdeportiertwurden – aufderBasisder derzeit vorliegenden Daten– istaufgrund
dieserVorarbeiteninkurzerZeitmöglich.DerzufinanzierendeArbeitsaufwandbeläuftsichaufetwa
fünfArbeitstage,d.h.inetwa1.250€.
B.) GingenTransportevonösterreichischenRomaundSintivomAspangbahnhofab?
Die Deportationen vom 5.007 österreichischen Roma und Sinti im Herbst 1941 in das Ghetto
Litzmannstadt im heutigen Łódź in Polen, die in der Arbeit von Winfried Garscha erwähnt wurden,
gingen,wiemanheuteweiß,nichtvonAspangbahnhofab.InseinenForschungsarbeitenzumGhetto
Litzmannstadtundinsbesonderezumsogenannten„Zigeunerlager“imGhettoLitzmannstadtkonnte
FlorianFreundeinwandfreiklären,dassdieseTransporteösterreichischenRomaundSintieindeutig
nichtvomAspangbahnhofodereinemanderenWienerBahnhofabgingen.8
DieseTransportegingenvonverschiedenenBahnhöfenimheutigenBurgenlandundinderSteiermark
ab.DieTransporteinssogenannte„ZigeunerlagerLitzmannstadt“betrafeninersterLinieRomaund
Sinti aus dem heutigen Burgenland, der Steiermark, Kärnten, Oberösterreich und Wien. Die
Verhandlungen über diese Deportation wurden im August und September 1941 geführt. Am 1.
Oktober 1941 erließ Heinrich Himmler einen detaillierten Erlass betreffend die „Abschiebung von
Zigeunern“,inwelchendieTransporteklardefiniertwurden.
6
Brigitte Bailer / Gerhard Ungar, Die namentliche Erfassung der österreichischen Holocaustopfer, in:
DokumentationsarchivdesösterreichischenWiderstandes(Hg.),Opferschicksale.WiderstandundVerfolgungim
Nationalsozialismus.Jahrbuch2013,Wien2013,S.63-73.
7
WinfriedGarscha:HolocaustvorGericht:DieDeportationderWienerJudenindenJahren1941und1942und
die österreichische Justiz nach 1945; 24. Jahrestagung der German Studies Association (5. - 8. 10. 2000 in
Houston/Texas), Panel 86: Verfolgung und Ermordung österreichischer Juden in österreichischen NachkriegsProzessen.(abrufbarunter:http://www.nachkriegsjustiz.at/ns_verbrechen/juden/deport_wien_wrg.php).
8
FlorianFreund/GerhardBaumgartner/HaraldGreifeneder,Vermögensentzug,RestitutionundEntschädigung
der Roma und Sinti. Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission, Bd. 23/2 Nationale
MinderheitenimNationalsozialismus,Kapitel5.
36
„Der Abtransport von 5000 Zigeunern erfolgt entsprechend den übersandten Richtlinien mit
bereitgestelltenEisenbahnzügen.
a.)am4.11.um8,30UhrvomBahnhofHartberg(Stmk.)
b.)am5.11.um6,32UhrvomBahnhofFürstenfeld(Stmk.)
c.)am6.11.um14,01UhrvomBahnhofMattersburg(N.D.)
d.)am7.11.um8,40UhrvomBahnhofRotenthurm(Stmk.)
e.)am8.11.um8,55UhrvomBahnhofOberwart(Stmk.).“9
Neben der Detailplanung der Transporte für die Deportationen nach Łódź wurde auch die
Kostenverteilungbeschlossen.DiesesolltedieGaufürsorgedesGauesSteiermarkübernehmen:
„AufGrundderBesprechungvom9.Oktober1941inwelcherdieSanierungderZigeunerfragebehandelt
wurde, teile ich mit, dass anlässlich der Aussiedlung der Zigeuner aus dem Reichsgau Steiermark, der
GaufürsorgeverbandSteiermarkdieKostenderVerpflegungderZigeunerindenSammellagern,sowiedie
KostenderVerpflegungfürweiteresiebenTagedesTransportesträgt.
AlleweiterenKosten,TransportkostenundallfälligeKostenfürdieAusgestaltungderSammellagerwerden
vomChefderSicherheitspolizeigetragen.“10
In den letzten Jahren konnte anhand von lokalen Quellen nachgewiesen werden, dass diese
Deportationsplänevielfachnochmodifiziertwurden.SosolltenTeilederburgenländischenRomaauch
ineinemSammellagerinPinkafeldinterniertundvondortdeportiertwerden.11Auswertungenlokaler
Archivmaterialien der letzten Jahre lassen jedoch deutlich werden, dass zur Internierung vor der
DeportationvielfachschonvorhandeneLagerdesReichsarbeitsdienstesverwendetwurden.Soging
denn auch die Deportation schlussendlich nicht vom Bahnhof im burgenländischen Pinkafeld ab,
sondernvoneinerBedarfshaltestelleimbenachbartensteirischenOrtSinnersdorf.12Ähnlichverhielt
es sich bei der Deportation aus Fürstenfeld, bei der ein bestehendes Reichsarbeitsdienst-Lager im
angrenzendenOrtDietersdorfalsSammellagerverwendetwurde.13
Neben der Tatsache, dass in der Regel ganze Familien deportiert wurden, dürfte die
Arbeits(un)fähigkeit wichtigstes Auswahlkriterium gewesen sein. Die ländlichen Gemeinden des
ehemaligenBurgenlandeswolltendieKostenfürdieFürsorgeeinsparenundnurjeneRomaundSinti
indenLagernbehalten,diearbeitsfähigwarenundnutzbringendeingesetztwerdenkonnten.Vonden
5007 nach Łódź deportierten „Zigeunern“ waren 1130 Männer und 1188 Frauen. Neben den 2318
Erwachsenen erfassten die fünf Transporte 2689 (53 %) Kinder. Die 5007 nach Łódź deportierten
9
ErlaßRFSSS–VA2bNr.81/41gIIbetr.AbschiebungvonZigeunern,StLALandesregierung384Zi1–1940.
VertraulichesSchreibenIIIb120Zi1/57andieNSDAPGauleitungSteiermark,AmtfürVolkswohlfahrtvom27.
Oktober1941,StLALandesregierung120Zi1(1940).
11
Erlass RFSS u. Chef der Deutschen Polizei an Leiter der Kriminalpolizeileitstelle Wien und Leiter der
KriminalpolizeistelleGrazvom1.10.1941betr.AbschiebungvonZigeunern,StLALandesregierung384Zi1–1940
12
Eidesstattliche Erklärung der Maria Grusch, geb. am 28.10.1928 in Kitzladen, am 29.01.1973, in BLA,
Opferfürsorge,6-50-01303-1999,80.
13
Vgl. Michael Teichmann / Roman Urbaner: „...(dass) die Zigeuner wenigstens aus dem Landschaftsbilde
verschwinden...“.DieNSVerfolgungderRomaimGauSteiermarkamBeispielzweiersteirischer„Zigeunerlager“.
Das Arbeitslager Kobenz (bei Knittelfeld) und das Sammellager Dietersdorf (bei Fürstenfeld), in: Heimo
Halbrainer,GeraldLamprecht,UrsulaMindler(Hg.):NS-HerrschaftinderSteiermark.PositionenundDiskurse,
Graz/Wien2010,S.347-383
37
10
„Zigeuner“ starben im „Zigeunerlager Litzmannstadt“ oder wurden im Dezember 1941 oder Jänner
1942imVernichtungslagerKulmhof/Chełmnovergast.Niemandüberlebte.
C.) GabesweitereorganisierteTransportevonRomaundSinti?Vonwogingensieab,
wohinwurdensiegeführt?
AllespäterenTransporteösterreichischerRomaundSintiinandereKonzentrationslager,insbesondere
abernachAuschwitz-BirkenauerfolgtenerstimLaufedesJahres1943undgingendaherauchnicht
vom Aspangbahnhof ab. Die Abfahrtsbahnhöfe dieser Deportationstransporte sind nicht leicht zu
eruieren. Zwar verfügen wir mit dem Gedenkbuch des so genannten Zigeunerlagers in AuschwitzBirkenau14übereineeinmaligeundrelativausführlicheQuelleüberLagerinsassenundLagerzugänge,
woherjedochdieseTransportekamenistnichtimmereruierbar.
Leider lassen sich weder die Zugänge zum Konzentrationslager Auschwitz noch zum so genannten
„Zigeunerlager“ Auschwitz-Birkenau anhand der Daten des Kalendariums von Danuta Czech
rekonstruieren.15DerersteTransportösterreichischerRomaundSintiindiesesLageristfürden9.4.
1943 belegt, weitere folgten im Laufe des Jahres. Auch diese Transporte– insbesondere der große
Transport vom 16.4.1943 mit 909 Männern und 938 Frauen – dürften vom Sammellager im
burgenländischenDorfLackenbachabgegangensein.
Völlig ungeklärt ist hingegen der Ausgangsort zahlreicher kleiner Transporte beziehungsweise der
Einzeltransporte nach Auschwitz-Birkenau, wie wir sie im Kalendarium von Danuta Czech immer
wieder antreffen und die auch viele Roma und Sinti aus Wien betroffen haben. Kleinere
SammeltransportemitösterreichischenOpfernfindensichbisindenOktober1943.
EinedetaillierteRekonstruktionderAusgangsbahnhöfesämtlicherausWienabgegangenerTransporte
–sowohlRomaundSinti,jüdischerOpfer,Zwangsarbeiter,Kriegsgefangener,etc.–könnteaufder
BasisderUnterlagendesDÖWnatürlichversuchtwerden,würdeabereinengroßenArbeitsaufwand
erfordern,dadievorhandenenDatenindieserHinsichtbislangnichtausgewertetwurden.Ausgehend
von der derzeitigen Opferdatenbank müsste man hier noch einmal in die Originalakten Einsicht
nehmen, um so den Ursprungsort der Transporte zu rekonstruieren, was zweifelsohne mit einem
erheblichenfinanziellenAufwandverbundenwäre.
GerhardBaumgartner
WissenschaftlicherLeiterdesDÖW
Wien,29.3.2016
14
StaatlichesMuseumAuschwitz-Birkenau(Hg.),Gedenkbuch.DieSintiundRomaimKonzentrationslager
Auschwitz-Birkenau,2.Bd.,München/London/NewYork/Paris1993.
15
DanutaCzech,KalendariumderEreignisseimKonzentrationslagerAuschwitz-Birkenau1939-1945,Reinbeck
beiHamburg1989.
38
Herunterladen