Konzepte bei Krebs-Erkrankungen in der homöopathischen Praxis von Karin Bodirsky Am Anfang meiner Laufbahn als Homöopathin war es meine Grundüberzeugung, dass es möglich ist, jede Krankheit ausschließlich mit Hilfe der Homöopathie zu heilen – und ausschließlich mit Homöopathie. Mein großer Ehrgeiz erlaubte es mir nicht, dieses Postulat in Frage zu stellen. Jedes mal, wenn ein Klient nicht geheilt wurde, wenn ein Patient den Weg nicht gehen konnte, begründete ich das damit, dass meine Mittelwahl immer noch nicht gut genug ist. Dieses Gefühl wurde noch befeuert durch die vielen Berichte in den Fachzeitschriften, in denen ja Kolleginnen und Kollegen ausschließlich von Erfolgen berichten. Also musste es ja an mir liegen.... Irgendwann bekam ich zum Glück Kontakt mit systemischen Ideen, und dadurch zu neuen Sichtweisen, dass es zu einer Heilung manchmal (besonders bei schweren Pathologien) doch mehr braucht, als nur das richtige homöopathische Arzneimittel. Und wie so oft, entdeckte ich jetzt erst, nach über 20 Jahren Praxis, einen Hinweis bei Hahnemann, den ich bisher immer überlesen hatte. Organon § 31 Auch besitzen die feindlichen, theils psychischen, theils physischen Potenzen im Erdenleben, welche man krankhafte Schädlichkeiten nennt, nicht unbedingt die Kraft, das menschliche Befinden krankhaft zu stimmen; wir erkranken durch sie nur dann, wenn unser Organism so eben dazu disponirt und aufgelegt genug ist, von der gegenwärtigen Krankheits-Ursache angegriffen und in seinem Befinden verändert, verstimmt und in innormale Gefühle und Thätigkeiten versetzt zu werden – sie machen daher nicht Jeden und nicht zu jeder Zeit krank. Er beschreibt, dass es eine Krankheitsempfänglichkeit geben muss um krank zu werden. Folglich ist, nach meiner Meinung, es ebenso klar, dass es eine Heilungsempfänglichkeit geben muss, um gesund werden zu können. Der Boden, das Terrain muss bereitet werden, damit ein homöopathisches Arzneimittel gut wirken kann und es somit in Richtung Heilung wirken kann. Ich muss zugeben, dass es für mich anfänglich absolut nicht leicht war zu akzeptieren, dass die Homöopathie (bei Krebs-Patienten) nicht alles ist. Aber je mehr ich um den Kern der Homöopathie systemische Elemente einbinde und damit gerade bei schweren Pathologien ganz andere Erfolge habe, erkenne ich den Wert einer „Systemischen Homöopathie“, also der klassischen Homöopathie mit systemischer Haltung. Von diesen meinen Erfahrungen, die mir gerade auch bei Krebspatienten eine große Hilfe sind, möchte ich in diesem Artikel berichten. Dabei möchte ich mit einigen systemischen Grundlagen beginnen, um danach anhand von Beispielen aus der Praxis deren Einsatz zu beschreiben. Als zentraler Punkt hat sich für mich die Haltung des Therapeuten erwiesen – unabhängig von der homöopathischen Ausrichtung. Carl Rogers, der Begründer der Gesprächspsychotherapie, hat in den 40-er Jahren des letzten Jahrhunderts versucht zu erforschen, warum verschiedene Therapeuten unterschiedliche Erfolge haben. Seine Idee war, dass sie unterschiedliche Methoden verwenden, und er wollte heraus bekommen, welche Methode offensichtlich am wirkungsvollsten ist. Das Ergebnis seiner umfangreichen Untersuchungen ist bekannt: Die Methode ist zweitrangig, die Haltung des © Karin Bodirsky -1- www.bodirsky-homoeopathie.de Therapeuten macht den Unterschied! Das heißt für uns Homöopathen: Nach welcher Methode wir arbeiten ist erstmal zweitrangig, daher gelten meine Überlegungen für alle homöopathischen Richtungen – denn die Haltung macht den Unterschied. Aber was macht eine gute Haltung aus? Und kann man das erlernen? In einer Haltung drücke ich meine Einstellungen, meine Grundannahmen aus, also wie ich die Welt (und meine Patienten) sehe. Und jeder hat dazu natürlich einen Standpunkt, der sich wiederum in seiner Haltung ausdrückt. Aber es gibt Techniken wie z.B. Sprachmuster, die es erleichtern, eine hilfreichere Haltung einzunehmen. Ein wichtiger erster Punkt ist, wie ich einen Patienten sehe. Verstehe ich mich gegenüber dem Patienten als Experte, nehme ich also eine hierarchisch übergeordnete Stellung ein, oder sehe ich den Patienten als den „Experten seiner selbst“, also mehr auf Augenhöhe, wie es in systemischen Therapien gewünscht ist? Bei Krebspatienten beginnen hier bereits die Schwierigkeiten. Oft empfinden sich Krebspatienten als defizitär, kindliche Anteile in ihm sind sehr präsent, sie wollen Führung und/oder eine klare Ansage, manchmal auch eine Art Mutter-/Vaterersatz. Nach meiner Erfahrung ist es hier wichtig, kurzfristig auch einmal die Führung zu übernehmen, um die Bedürfnisse dieser Anteile zu bedienen. Aber es macht einen Unterschied, ob ich zeitweilig die Führung übernehme um dem Patienten zu helfen, oder ob ich für mich diese Führung brauche! In der Regel, leider viel zu oft, stehen wir hier zusätzlich in einer Konkurrenz zur Schulmedizin, die gerade dieses Muster perfekt bedient und ganz klar die Führung übernimmt („..und jetzt machen WIR zuerst dies, dann machen WIR das...“). Oft werden auch eindeutige Heilsversprechen bei normierten Therapien gegeben, auch wenn diese nur prozentual, und nicht individuell sind („das wirkt bei über 60% der Fälle...“). Und leider wird oft (auch unbewusst) mit den Ängsten der Menschen gearbeitet („Jetzt können wir noch operieren, wenn sich der Krebs aber erstmal im ganzen Körper ausgebreitet hat....“). Diese Klippe können wir nur umschiffen, wenn wir das anerkennen und vor allem nicht bewerten, sondern diese Bedürfnisse des Patienten ernst nehmen, und eben nicht in Konkurrenz zur Schulmedizin gehen. Würden wir das tun, zwingen wir den Patienten in eine Entscheidung, die auf keinen Fall für ihn hilfreich ist und in der Regel das wünschenswerte Patienten-Therapeutensystem empfindlich stört. Ist das hilfreich? Nach meiner Erfahrung ist hier Transparenz, „echt sein“ von zentraler Bedeutung. Denn unser neuronales Motivationssystem reagiert sehr stark auf Empathie. Es ist auf Achtsamkeit, Beachtung und Anerkennung ausgerichtet. Daher funktioniert das nur, wenn diese drei Dimensionen wirklich authentisch gezeigt werden. Unser kluges Gehirn überprüft das nämlich. Wir haben im Hinterkopf spezielle neuronale Netze (im präfrontalen Cortex), die Sprache, Körpersprache, Blicke, Mimik, Gestik, und Stimmlage in Bezug auf diese Authentizität überprüfen! (nach Professor Gerald Hüther). Das heißt: „Nicht alles was wahr ist, muss ich sagen – aber alles was ich sage, muss wahr sein!“ Im konkreten Fall bedeutet das, dass wir dem Patienten transparent erklären, warum wir kein Heilsversprechen geben können, und zwar idealerweise dadurch, in dem wir die Sehnsucht des Patienten als unsere „Zwickmühle“ an ihn (und somit auch die Verantwortung) zurück geben. Ein Beispiel auf die Frage, ob ich Heilung für möglich halte, kann sein: „Jetzt bin ich in © Karin Bodirsky -2- www.bodirsky-homoeopathie.de einer Zwickmühle. Ich höre aus ihrer Frage die tiefe Sehnsucht nach einer positiven Antwort heraus. Sie wissen selbst, dass es keine 100-prozentige Antwort in dieser Frage gibt. Wenn ich aber jetzt ihre Sehnsucht befriedige und ein Heilsversprechen abgebe, geht das nur, wenn ich sie nicht als eigenverantwortlichen Patienten ernst nehme – und das verstößt gegen meine therapeutischen Grundprinzipien. Also egal was ich tue, es gibt keine gute Lösung für mich auf diese Frage.... das ist jetzt meine Zwickmühle.“ Mit dieser Technik gebe ich mein Problem wertschätzend an den Patienten zurück. Und natürlich kann ich nachschieben „Aber wir haben eine Reihe von Anhaltspunkten erarbeitet, wie wir gemeinsam arbeiten können, und ich stehe auf jeden Fall bereit, sie mit allem was ich kann, und natürlich mit meinem homöopathischen Wissen zu unterstützen!“ Auf diese Weise können wir dieses wichtige „Patienten-Therapeutensystem“ aufbauen, durch maximale Transparenz der eigenen Ideen, aber auch evtl. Unsicherheiten. Wenn der Patient das Gefühl bekommt „die meint es ehrlich mit mir“, erhöht das die Bindung. Somit ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass der Patient „bei der Stange“ bleibt, auch wenn der Krankheitsverlauf nicht kontinuierlich in Richtung Besserung geht. Sehr wichtig ist hier auch eine innere Reflexion: Was löst die Krankheit „Krebs“ in mir aus? Gehe ich in einen Wettbewerb mit der Schulmedizin? Möchte ich mir (oder jemand anderen) etwas beweisen? Nehme ich -stellvertretend für den Patienten- den „Krieg gegen den Krebs“ auf und verliere dabei den Patienten aus dem Blick? Es muss uns klar sein, dass diese Gefühle, Haltungen, Ideen einfach menschlich sind, oft sehr subtil beginnen und daher nicht immer einfach wahrgenommen werden können.... Hier kommt Selbst-Coaching ins Spiel. Bin ich in einem unbelasteten Zustand, kann ich die oben aufgeworfenen Fragen sicher eindeutig beantworten. Wie verhält es sich aber in belastenden Situationen? Und ich denke, dass es nicht nur mir so geht, dass Krebspatienten uns auf verschiedenste Arten herausfordern. Wie kann ich erkennen, wenn ich meine neutrale Haltung verliere oder aus meiner Kraft gleite? Und wie komme ich da wieder hin? Für mich war es wichtig, mir das überhaupt eingestehen zu können und eben auch Mechanismen des Selbst-Coachings zu erlernen und zu praktizieren. Unabhängig davon, ob es um ein ganzheitliches Bild des Patienten geht oder um die Betrachtung meiner inneren Haltung, ist ein kurzer Blick auf die Gehirnforschung und der Lösungsorientierung hilfreich. Steve de Shazer war es, der in den 50-er Jahren des letzten Jahrhunderts aufzeigte, dass eine Lösung nicht in der Analyse des Problems gefunden werden kann. Bei mechanischen Geräten ist das absolut hilfreich und sinnvoll, die Übernahme dieses Bildes auf Menschen dagegen nicht. Jahrzehnte später bestätigt die moderne Gehirnforschung diese Sicht der Dinge. Ja, es kommt noch spannender: Wir sind tatsächlich nur fähig das wahrzunehmen, was wir bereits kennen und wahrnehmen „wollen“. Wobei „wollen“ hier keine Willensentscheidung bedeutet, sondern es ist ein gehirnphysiologischer Vorgang, dass wir alles andere ausblenden. Jeder Mensch konstruiert sich somit seine Welt, und kann in der Regel nur das aufnehmen, das sein Weltbild bestätigt – weil er nur das kennt. Als Beispiel: Ist eine Frau schwanger, sieht sie überall nur noch schwangere Frauen oder Frauen mit einem Kinderwagen – vorher hat sie diese Bilder weitgehend übersehen. Oder wenn man sich ein neues Auto kaufen möchte, sieht man auf einmal immer wieder dieses © Karin Bodirsky -3- www.bodirsky-homoeopathie.de Auto, und vorher wusste man nicht einmal, dass es dieses Modell überhaupt gibt. Was bedeutet das für den Umgang mit Patienten? Jeder Patient hat sein Weltbild, und bei schweren Krankheiten sind diese Weltbilder oft speziell. Wenn also ein Patient eine etwas andere Sicht der Dinge nicht annehmen kann, ist er nicht bockig, borniert, „unfähig“ oder „im Widerstand“ - es geht gehirnphysikalisch nicht! Wie kann ich dieses Wissen hilfreich einsetzen? Ein gutes Werkzeug ist dazu die hypnotische Wirkung von Sprache, wie sie z.B. Dr. Gunther Schmidt in seiner „Hypno-systemischen Kommunikation“ perfektioniert hat. Dazu ein Beispiel, wie ich durch eine einzige Frage den gefühlten Zustand eines Patienten beeinflussen kann: Wenn ein Patient nur jammert wie schlecht es um ihn steht, dass er nur Unglück hat, sich alles gegen ihn verschworen hat, kann die folgende Frage hilfreich sein: „Ich habe verstanden, dass es ihnen wirklich schlecht geht – und auch schon Ideen, wie wir zusammen arbeiten können. Sicherheitshalber eine Frage: Was ist gut, auf was sind sie stolz, was darf durch unsere gemeinsame Arbeit auf keinen Fall beeinträchtigt werden?“ Durch diese Frage wird der Patient quasi genötigt, aus der Problem-Trance in die Lösungs-Trance zu wechseln! Das ist nicht immer sofort einfach, braucht Zeit, auch evtl. weiteres nachfragen. Aber wenn der Patient die Frage annimmt, geht das üblicherweise einher mit einer anderen Körperkoordination – die wieder auf den gefühlten Zustand einwirkt – und das alles nur durch eine Frage! Jetzt kann man einwerfen, dass das eine Manipulation sei – stimmt. Aber wir manipulieren uns sowieso permanent, dann darf man das auch mal hilfreich einsetzen. Ein weiteres gutes Hilfsmittel kann darin bestehen, den Status eines Patienten zu ermitteln und entsprechend zu handeln. Gunther Schmidt hat auf der Basis von Steve de Shazer vier Patienten-“Typen“ beschrieben: • Der Besucher Das sind Menschen, die -oft geschickt- sich manchmal eigentlich noch nicht wirklich entschlossen haben, behandelt zu werden. Typische Antwort auf die Frage „Was führt Sie zu mir?“ - „Ja, meine Frau / meine Freundin hat gesagt, ich solle endlich mal zu ihnen gehen...“. Achtung: Die Antwort „Sie wurden mir von meiner Freundin empfohlen.“ gehört nicht in diese Kategorie, da hier der Patient aktiv wurde – er scheint ein „Kunde“ zu sein (siehe unten). Die erste Variante ist in meiner Praxis eine nicht selten vorkommende Antwort bei Krebs-Patienten. Da gibt es also eine lebensbedrohliche Krankheit, und der Patient muss geschickt werden. Hier kann es sehr wichtig sein, nach unbekannten Loyalitäten zu forschen (siehe weiter unten). Mögliche Reaktion: „Ok - wenn sie schon einmal hier sind – was kann ich für SIE tun, gibt es etwas womit ich IHNEN helfen kann?“ • Der Klagende Das sind Patienten, die sich intensiv über ihre Außenwelt beklagen, Heilung wäre möglich wenn sich andere Menschen ändern würden, oder „es“ endlich aufhören würde – wobei „es“ eine Krankheit, ein Zustand, oder wiederkehrende Erlebnisse sein können. © Karin Bodirsky -4- www.bodirsky-homoeopathie.de • • Auch diesen Typus erlebe ich oft bei Krebs-Patienten. Sie erleben ihre Situation als aussichtslos, und von ihrer Seite her als nicht veränderbar. Sie fühlen sich schwach, oft auch schuldig („habe ungesund gegessen / habe geraucht...“). Hier ist es hilfreich, den Patienten in seine Kraft zu bringen, ihn dazu zu bringen seine Situation vielleicht erstmal anzunehmen, aber auch seine bisher übersehenen Möglichkeiten und Kompetenzen zu sehen – auch dazu später mehr. Der Kunde / Patient Das sind sozusagen die „idealen“ Patienten. Sie haben ein Problembewusstsein, und wissen, dass sie selbst aktiv werden müssen. Der Ko-Therapeut Diese letzte Gruppe zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich in viele Therapien eingelesen haben, und einem Erklärungsmodelle und entsprechende Behandlungsvorschläge anbieten. Die homöopathischen Arzneimittelgaben werden nach-analysiert und auch kommentiert – und dadurch sind das alles andere als einfache Patienten. Auch hier ist es hilfreich, diesen Umstand transparent anzusprechen. Denn in diesen Versuchen können auch problemstabilisierende Elemente stecken, die auf Bedürfnisse hinweisen, die nicht übersehen werden sollten. Gerade im sogenannten „Problem-Talk“ können sich viele Ressourcen finden – auch dazu später mehr. Aus der Erfahrung mit vielen Patienten wirkt für mich das homöopathische Arzneimittel auf der unbewussten Ebene (daher wirkt es ja auch, wenn man nicht daran glaubt). Das was heilt, ist die Lebenskraft. Das Arzneimittel gibt den Anstoß zur Selbstheilung. Warum funktioniert es manchmal nicht? Vielleicht ist es das falsche Mittel, vielleicht ist es aber auch das richtige Mittel, und ich habe systemische Kontextfaktoren nicht berücksichtigt, die einer Heilung entgegen stehen. Wenn ich das übersehe, besteht die Gefahr, dass ich ein richtiges Mittel verlasse auf der „Jagd nach dem wirklichen Similimum“ - und mich dabei im Dschungel kleinster Mittel verlaufe.... - und auch hier weiß ich, wovon ich spreche. Daher gilt es, ein Bewusstsein für die Ganzheitlichkeit des Patienten zu schaffen, und das ist mehr als die Symptome auf der körperlichen, emotionalen oder geistigen Ebene. Es gehört dazu, z.B. seine Lebensumstände zu überprüfen: In welchem Kontext befindet sich sein System (also sein Familiensystem, sein Arbeitssystem, sonstige Beziehungssysteme), wie steht es um die Einflüsse seiner jeweiligen Systeme, den Wechselwirkungen. Wenn ich das nicht mit einbeziehe, vergeben wir uns was. Wir vergeben uns, dass das Arzneimittel nicht seine optimale Kraft entfalten und entwickeln kann. Der Patient, bzw. seine Lebenskraft kann es dann nicht optimal nehmen. Meine Erfahrung ist: Wenn von außen die Belastung zu groß ist, kann das das Arzneimittel nicht auffangen. Wenn es also z.B. Eheprobleme gibt, wenn die Arbeitssituation als extrem belastend erlebt wird, die leidvollen und/oder auslösenden Belastungen immer wieder neu stattfinden, hat es selbst das Similimum schwer. Je näher es im Alltag des Patienten ist, umso schwieriger. Somit gehört es inzwischen zu meinen Standard-Interventionen zu versuchen, den Patienten größtmöglich in seine Kraft zu bringen. Dazu gehört es, Muster von Selbstabwertungen sichtbar zu machen („Ich bringe ja doch nichts auf die Reihe...“ © Karin Bodirsky -5- www.bodirsky-homoeopathie.de „Erzählen sie weiter, erzählen sie mehr “ …... „Wie bei meinem Vater – der hat das auch immer zu mir gesagt.“ - als Beispiel). Wenn solche Muster klar werden, kann man den Patienten stärken, indem man ihm klar macht, woher diese Glaubenssätze kommen! Eine weitere Fundgrube für übersehene Kompetenzen finden wir in dem leidvollen „Problem-Talk“ von Patienten. Inzwischen achte ich sehr darauf (das ist eine Übungssache und kann auch z.B. auf ansonsten „langweiligen“ Familienfesten etc. ideal geübt werden!), ob sich in den Klagen nicht Kompetenzen finden lassen. Ein Musterbeispiel: „Jetzt war ich schon bei zig Therapeuten, keiner konnte mir helfen, sie sind jetzt meine letzte Hoffnung.“ - „Haben sie schon einmal realisiert, dass sie ein außergewöhnliches Durchhaltevermögen haben? Obwohl sie das Gefühl haben, dass ihnen bisher niemand helfen konnte, haben sie nicht aufgegeben – was ja verständlich wäre – nein, sie machen trotzdem weiter! Das ist beachtenswert und eine große Kompetenz, die sie da haben. Hat irgend jemand sie dafür schon einmal wertgeschätzt?“ ABER: Wenn ich das sage, muss das unbedingt ernst gemeint sein! Sie wissen, unser Gehirn ist da sehr kritisch! Wenn ich das nur so daher sage, verpufft das – oder wird sogar als „Auch die nimmt mich nicht ernst!“ interpretiert. Nach vielen entsprechenden Erfahrungen habe ich gelernt: Erst wenn der Krebs-Patient wirklich „Ja“ sagt, erst wenn er bereit ist, mitzuarbeiten, macht es Sinn, in die homöopathische Behandlung einzusteigen! Wenn das nicht gegeben ist, ist die Gefahr eines Frusterlebnisses für Patient und Therapeut(!) einfach zu groß. Ein weiterer ganz zentraler Punkt ist die Beachtung von Loyalitäten! Hier hilft vielleicht die Metapher, dass wir nicht nur eine Person sind, sondern aus vielen Anteilen bestehen, die, Sehnsüchte, Bedürfnisse, Wünsche etc. vertreten. Oft Bedürfnisse aus der frühen Kindheit, wo -aus welchen Gründen auch immer- zentrale Wünsche und Sehnsüchte aus der Sicht des damaligen Kindes nicht befriedigt werden konnten. Eine weitere Ursache kann auch in dem immer unbewussten Drang von Kindern bestehen, für die Eltern etwas regeln zu wollen. Kinder springen ein, sowie ein Vater oder eine Mutter seine systemische(!) Position als Vater oder Mutter nicht einnehmen kann. Angenommen, das Bewusstsein mit den dazugehörigen Vermeidungen und Loyalitäten (die immer unbewusst wirken!) ist so stark, dass diese blockierend wirken, dann hat das homöopathische Arzneimittel keine optimalen Bedingungen, um zu einer grundlegenden Heilung vorzudringen. Das heißt, es sollte eine Vorbereitung und ein Einverständnis der unbewussten Anteile des Patienten eingeholt werden, damit diese nicht dagegen arbeiten. Für mich ist der folgende Leitgedanke immer sehr hilfreich: Wenn „ES“ nicht geht, habe ich den Kontext des Patienten noch nicht komplett verstanden / berücksichtigt. Denn kein Patient macht etwas, was in SEINEM Kontext unsinnig ist. Und dabei geht es nicht um „wollen“ oder „können“! Es folgen jetzt Beispiele, wie ich versuche, Loyalitäten zu überprüfen. Ganz wichtig ist zu realisieren, dass durch die nachfolgenden Fragen sozusagen der „Behandlungsmodus“ gewechselt wird. Diese Fragen sind keine Fragen im Modus „Homöopathische Erstanamnese“, denn da haben wir andere, spezielle Techniken der Gesprächsführung. © Karin Bodirsky -6- www.bodirsky-homoeopathie.de Mit den nachfolgenden Fragen wechseln wir in den Modus „Patientenbegleitung“, also einer anderen, additiven Möglichkeit, mit dem Ziel, den Patienten besser zu verstehen. Diese Fragen stelle ich also üblicherweise in einem Follow Up. „Bitte verstehen sie mich jetzt nicht falsch, und die Frage erscheint ihnen sicher etwas ungewöhnlich – aber gibt es irgend etwas, das für sie an dieser schlimmen Krankheit trotzdem positiv/hilfreich ist?“ Zwei Beispiele aus meiner Praxis: Eine Patientin, die darauf antwortete: „Endlich realisiert jetzt meine Familie, dass ich wirklich krank bin!“ Oder: „Mein erster Gedanke war, jetzt muss ich die ganzen Termine nicht mehr wahrnehmen.“ Wenn das auch EIN Ziel der Patientin ist, dass sie endlich gesehen wird oder die Terminlast zu groß ist, kann es sein, dass ich mir einen Wolf therapiere, wenn ich das nicht berücksichtige. Eine weitere gute Frage ist „Angenommen, ihre Therapien haben einen durchschlagenden Erfolg, und sie sind vollkommen geheilt – was ist dann da?“ Üblicherweise wird geantwortet, dass dann etwas weg ist. Hier ist es absolut wichtig darauf zu beharren „Ja, der Krebs ist dann weg – aber was ist dann da?“ Dabei alle Antworten, die der Patient üblicherweise in der Möglichkeitsform äußert wie „dann würde ich mich stark fühlen und könnte endlich … angehen.“ umdrehen in eine Gegenwartsform: „dann fühlen sie sich stark, und sie gehen … an. Was hat das für Auswirkungen?“ Wenn als Antwort kommt „Keine Ahnung!“ - „Was vermuten sie?“ Hintergrund: Es kommt vor, dass durch die Heilung etwas möglich wird oder etwas geschieht, was der Patient (unbewusst) nicht will, also die Auswirkungen einer Heilung zu einem Loyalitätskonflikt führen. Ein Beispiel aus meiner Praxis: „Dann hätte ich die Kraft, um bei meinen Eltern auszuziehen.“ Nachfrage: „Und was hat das für Auswirkungen?“ Patient beginnt zu zögern, und antwortet langsam „stimmt... das geht eigentlich nicht / das kann ich ihnen nicht zumuten...“ Auch hier gibt es eine Loyalität, die einer Heilung im Wege steht und somit die Gefahr, dass unbewusste Anteile im Klienten eine Heilung zu verhindern suchen. Daher ist es wirklich wichtig, immer nach den Auswirkungen einer Heilung zu forschen. Und dabei muss man etwas hartnäckig sein, denn diese unbewussten Hintergründe sind dem Patienten -wie der Name es ja bereits sagt- natürlich „un“-bewusst. Wenn die bisherigen Fragen nichts erbracht haben, frage ich manchmal zuletzt auch direkt nach Loyalitäten: „Nochmal eine ungewöhnliche und vielleicht schwierige Frage: Angenommen, sie sind restlos geheilt – gibt es dann irgend jemanden, dem sie dadurch unähnlicher werden, von dem sie sich entfernen würden, der etwas dagegen haben könnte?“ Und auch hier lohnt es sich, dem Klienten alle Zeit der Welt zu geben, vielleicht nachfragen „was vermuten sie?“ In meiner Praxis erlebe ich es oft, dass sich Krebspatienten sehr schwer damit tun, in die Empfindungsebene zu kommen. Früher bin ich oft verzweifelt, da Sankaran sagt, dass man jeden Patienten in die Empfindungsebene bekommt. Das ging einher mit © Karin Bodirsky -7- www.bodirsky-homoeopathie.de Selbstabwertungen, die alles andere als hilfreich sind, denn dadurch kann ich erst recht nicht gut sein! Durch diese Art der Fragestellungen jedoch gelingt es mir, zusätzlich zu erreichen, dass der Patient mehr zu sich kommt, dass ihm mehr über sich selbst klar wird, er tatsächlich mehr in die Empfindungsebene kommt - und dass ich deshalb eine wesentlich größere Chance habe, mehr von seinen Empfindungen und/oder seinen Themen zu erfahren und somit auch das beste homöopathische Arzneimittel für ihn zu finden. Denn darum geht es mir letztendlich: Durch die Einbettung der klassischen Homöopathie in eine systemische Haltung eine optimale Voraussetzung für den Patienten zu schaffen, dass das homöopathische Arzneimittel auch optimal wirken kann. © Karin Bodirsky -8- www.bodirsky-homoeopathie.de