Musik in Kirche und Synagoge Das biedermeierliche Wien

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Spes Christiana 21, 2010,91–124
Musik in Kirche und Synagoge
Das biedermeierliche Wien
Heinz Schaidinger
Zusammenfassung
Dieser Aufsatz untersucht, wie die Kultur des biedermeierlichen Wien die
Entwicklung der jüdischen Synagoge vor Ort beeinflusst hat. Er stellt die
Personen dar, die in jener Zeit die treibenden Kräfte einer Reform waren,
durch die die Synagoge auf die Aufbruchsstimmung der damaligen Zeit und
Gesellschaft reagierte. Für das Judentum des frühen 19. Jh. ging es um Anpassung und gesellschaftlichen Aufstieg, was sich auch im Gebrauch der
Musik in der Synagoge widerspiegelte. Von besonderem Interesse ist dabei
auch die Musik selbst, die in Kirche und Synagoge zu den jeweiligen Gottesdiensten verwendet wurde, sowie die Wurzeln dieser jüdischen Gottesdienstmusik. Die Traditionen sind alt, ihr Gebrauch wandelbar, und die Verwandtschaft der christlichen Sakralmusik mit der Musik der jüdischen Synagoge
unverkennbar.
In der deutschen Literaturwissenschaft wird die Zeit der Restauration nach den
napoleonischen Kriegen von 1815 bis 1848 als „Biedermeier“ oder „Biedermeierzeit“ bezeichnet. Dieser Epochenbegriff grenzt sich gegen die vorausgehende
Romantik und auch gegen den nachfolgenden Realismus ab. Die liberalen
Strömungen dieser Zeit werden dann als Opposition innerhalb des Biedermeier
verstanden.
Zwar verwendet man in der Musikwissenschaft den Begriff heute auch für denselben Zeitraum, doch setzt er sich nicht wirklich durch, da sich für berühmte
Komponisten jener Epoche (Carl Maria von Weber, Franz Schubert, Robert
Schumann, Felix Mendelssohn) der Begriff der Romantik viel stärker
eingebürgert hat. Zugleich ist der Begriff des Biedermeier in der Musik auch viel
stärker negativ besetzt als in der Literatur: Symbol für kleinbürgerliche Enge,
Bildungseifer, Sentimentalität und Trivialität. Oft haben mit „Biedermeier“ abqualifizierte Musiker nur gemeinsam, dass man sie nicht als Romantiker einordnen will (Conradin Kreutzer, Friedrich Schneider, Friedrich Silcher, Albert
Lortzing, Otto Nicolai, Friedrich von Flotow, Stephan Heller, Robert Franz etc.
werden als „Kleinmeister des Biedermeier“ bezeichnet).
Eine etwas offenere Haltung versucht, gattungs- und stilgeschichtliche Merkmale
zu erfassen: Typisch für den Biedermeier wären dann z.B. das Lied, das lyrische
Klavierstück, Genreszene in Oper und Singspiel, liedhafte und pittoreske
Thematik in der Symphonie. Das aber zerreißt wieder die einzelnen Komponisten:
Schumanns Album für die Jugend wäre dann „biedermeierlich“, doch seine
Davidsbündler Tänze und die Kreisleriana viel eher „romantisch“.
Nach Carl Dahlhaus wäre ein Charakteristikum des musikalischen Biedermeier
die im Gegensatz zum romantischen Absolutheits- und Autonomieanspruch
stehende Anerkennung gesellschaftlicher Institutionen und Bedürfnisse durch den
Komponisten. Es wird also für bestimmte Orte und Gelegenheiten komponiert:
für die Singakademie, die Liedertafel, ein Musikfest oder eine Hausmusik.1 Dabei
geht es um den Aspekt der gesellschaftlichen Bewährung der Musik, also um das
Miteinander von Komponist, Komposition und Gesellschaft.2
Im Wien des Biedermeier lebten über 600 Künstler: Literaten, Maler, Musiker,
auch viele Romantiker: die Brentanos, Körner, Eichendorff, ebenso Philosophen
und Wissenschaftler wie die Humboldts, Jakob Grimm etc. Musik aber war der
Daseinsgehalt des Wiener Biedermeier: 1810 gab es in Wien mehr als 60
Klavierfabriken! Die Musikalität war sehr hoch und weitverbreitet, praktisch
jedermann konnte singen oder ein Instrument spielen. Die Freude, Feste zu feiern,
lebte gleichzeitig mit der verhärmten Trauer über die damals herrschenden
Zustände. Schubert, Raimund, Grillparzer: „Nur dass ihr Schmerz nicht laut
wurde und ihr Ersterben leise war, dass alles, was sich sonst im deutschen
Sehnsuchtsraum hart drängte und rebellisch aufbegehrte, hier schmerzhaft stille
ging, sein Kämpfen in dem eigenen Herzen leidvoll niederzwang und auch seine
Größe nur unter der Maske bürgerlichen Biedersinns verborgen tragen durfte“
(Witeschnik 1955, 221–229).
1.
Die Kirchenmusik
Das Prinzip der biedermeierlich pragmatischen Grundhaltung der Komponisten
gegenüber den Bedürfnissen der Gesellschaft führt uns sofort in den Bereich der
Kirchenmusik. Die Kirchenmusiker aber waren von jeher Praktiker, die sich in
ihren Kompositionen nach dem vorhandenen Aufführungsmaterial richten
mussten. In Bezug auf die Kirchenmusik führte die Kirchenreform Josephs II.
dazu, dass in der Musik der Gläubige viel enger in den Gottesdienst einbezogen
wurde, als dies früher der Fall gewesen war. Die politischen Ereignisse und die
geistigen Strömungen am Ende des 18. Jh. wirken sich entscheidend auf die
gesamte katholische Kirchenmusik aus, die ja durch die Säkularisation weithin
1
Allerdings wäre die Frage offen, ob man nicht auch Bach oder Händel eine ähnliche pragmatische
Grundhaltung zur Komposition zusprechen müsste. Es kann also nicht als Verdienst des Biedermeierkomponisten angesehen werden, die pragmatische Kompositionshaltung erfunden zu haben,
das Ganze taugt höchstens zur Abgrenzung gegen die Romantik.
2
Bis hierher nach dem zusammenfassenden Aufsatz von Lichtenhahn 1978.
92
ihrer materiellen Basis beraubt wird. Das höfische Musikleben wird durch das
bürgerliche abgelöst. Symphonien, Opern, Kammermusik sind von allgemeinem
Interesse; nur selten fühlt sich ein Komponist aufgefordert, sich auf die Komposition einer Messe zu verlegen. Doch der liturgische Bedarf besteht ja nach wie
vor, er wird aber vor allem durch den Rückgriff auf die älteren Kompositionen
gedeckt.
1.1 Zum biedermeierlichen Wien
Alice Hanson weist darauf hin, dass im Biedermeier die überwiegende Mehrzahl
der Wiener römisch-katholischen Glaubens war. Für die Musik bedeutete das vor
allem die Pflege der katholischen Kirchenmusik. Die anderen christlichen Konfessionen waren sehr gering vertreten. Einen starken Einfluss auf die Förderung
der Musik hatte noch die jüdische Synagoge (Hanson 1987, 152), worauf im
zweiten Teil des Aufsatzes eingegangen wird.
Obwohl der österreichische Kaiser Franz I. die Reformen Kaiser Josephs II.
reduzierte, indem er die kirchlichen Feiertage und den Jesuitenorden wieder einführte und Pilgerfahrten und Prozessionen zu den Heiligenschreinen begründete,
sorgte er doch dafür, dass die Kirche niemals die Macht der Krone beeinträchtigen konnte. Darum übte die Kirche zu Beginn des 19. Jh. vor allem ihren Einfluss auf dem Gebiet der Kunst, der Religion, der Sozialeinrichtungen und der
Bildung aus (ibid., 154).
Wien hatte viele Kleriker. Im Jahr 1837 waren es 170 Priester, 450 Mönche, 160
Nonnen; 1840 dann 30 Pfarrer, 160 Diözesan-Weltpriester, 231 Ordenspriester,
138 fremde Geistliche, 287 Nonnen. Trotzdem wird Wien von seinen Besuchern
als wenig religiös eingeschätzt. Man sagt, dass die Wiener damals mehr aus
Gewohnheit als aus seelischem Bedürfnis in die Kirche gingen und dass ihre
Gleichgültigkeit gegenüber der Religion ihren Widerpart in ihrer Gleichgültigkeit
gegenüber der Politik fände. Eine Beurteilung aus dem Jahr 1831:
[d]ie große Masse der Menschen gibt sich verhältnismäßig gleichgültig aller
Religion gegenüber. Bei der Mehrzahl handelt es sich ohne Zweifel nominell
um Katholiken; aber hinter dieser heiligen und strengen Bezeichnung lauert,
wie man mir sagt, ein ungeheures Maß an Unglaube und Freidenkerei. Kurz
gesagt, es scheint für die Wiener charakteristisch zu sein, daß sie, welchem
Glaubensbekenntnis sie auch immer nominell angehören, niemals wirklich
gewissenhaft in der Befolgung der entsprechenden Regeln sind. Sogar die
Juden leben hier weniger streng in der Befolgung ihrer Vorschriften als in
anderen Orten Deutschlands (ibid., 154f.).
Die Säkularisierung der Wiener Gesellschaft war also kein Geheimnis. Manche
Kirchen dienten offenbar auch noch ganz anderen Zielen als dem Gottesdienst der
Gläubigen. Aus dem Jahr 1828:
93
Den größten Zuspruch findet der Geistliche, der in der kürzesten Frist seine
Messe fertigmacht. In den Kirchenstühlen ist die schöne Welt versammelt, und
im Mittelgang gehen kokettierend die Wiener Dandies ab und zu, und lassen
ungeniert nicht allein ihre Blicke, sondern auch ihre Lippen sprechen (ibid.,
155).
Andere Zustände betrafen die „Hurenmesse“, die um 23.30 Uhr gelesen wurde, so
benannt, weil die Prostituierten die Männer in den Kirchen ansprachen, um der in
den Straßen patrouillierenden Polizei zu entgehen. Der Wahlspruch der Wiener
war: „Bleib ein ehrlicher Kerl, folg’ dein Vatern und glaub’ was d’willst.“
Die Unzufriedenheit des Volkes entzündete sich an der Korruption innerhalb der
Kirche und an der Scheinheiligkeit des Klerus, sie fand ihr Objekt vor allem im
Widerspruch zwischen dem Armutsgelübde der Kirche und den tatsächlichen
Einnahmen der Kirchenfürsten (fünf- bis sechsstellige Guldenbeträge im Jahr).
Auch die Moral des Klerus stand sehr in Zweifel (viele illegitime Kinder der
Geistlichen).
1.2 Zur damaligen Kirchenmusikpraxis
Trotzdem hatten die Wiener nichts gegen die Feierlichkeit und die Pracht
kirchlicher Zeremonien. Die großen Feiertage wurden mit Pomp begangen. Wiens
liturgische Musik wurde mit Aufmerksamkeit gehört und genossen. Dies war so
krass, dass man beobachtete, wie nach dem künstlerischen Teil des Hochamtes,
durch Sänger und Orchester ausgeführt, die Menge sofort auf die Ausgänge
zulief, um die Kirchen zu verlassen, den Pfarrer, Gottesdienst und alles Übrige
ohne große Probleme zurücklassend (ibid., 156).
In einem Dekret wurde 1825 festgehalten, dass die Musiker in den Kirchen mehr
zur Zerstreuung und Unterhaltung als zur Förderung der Andacht dienten. Frauen
durften sich nicht mehr an der Kirchenmusik beteiligen (außer Ehefrau, Tochter
oder Schwester des Chorleiters), und man durfte keine Werke mehr aufführen, die
mehr für ein Theater geeignet waren. Die liturgischen Hauptwerke stammten aus
der Feder von Komponisten wie Schubert, Beethoven, Albrechtsberger, Weigl
etc.
In einer Quelle aus dem Jahr 1828, einer Kirchenmusikordnung für die Diözese
Wien und Linz, wird die Kirchenmusik systematisch eingeteilt in Choral und
Figuralmusik. Jeder Tonart wird ein bestimmter Affekt zugeschrieben: B-dur
steht für Liebe, Hoffnung, gutes Gewissen, Es-dur für Andacht, Gebet, Trinität
(3 b!), cis-moll für Bußklage, Gebet etc. Nach diesem Handbuch musste ein
Kirchenmusiker die Musik so auswählen, dass sie dem Tag entsprach. Der
Organist musste angemessene Zwischenspiele während der Messe vortragen und
den Chor bei der Einhaltung der richtigen Tempi unterstützen. Die Stimmung der
Instrumente habe vor dem Gottesdienst zu erfolgen und die Musiker haben sich
aller Art von Improvisation zu enthalten. Vorgeschrieben war auch ein mäßiges,
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schwebendes Zeitmaß, nicht zu schnell und nicht zu langsam. Die Tempi sollten
eingehalten werden, ohne in der Gemeinde Verwirrung zu stiften. Verschiedene
Arten von Musik waren vorgeschrieben für Begräbnisse, Messen und Prozessionen. Billige Begräbnisse hatten nur ein gesungenes Miserere während des
Leichenzuges. Mittlere hatten ein kurzes Equal als Zeichen zum Beginn der
Handlung (schon mit Blasinstrumenten), während des Leichenzugs das Miserere,
zuletzt das gesungene Requiem aeternam. Bei den teuersten (immer mit
Blasinstrumenten) gab es zusätzlich am Ende noch eine Trauermotette. Die
Fronleichnamsprozession war die aufwendigste: mit Sängern, Trompeten- und
Harmoniechor. Beim Mittragen des „Allerheiligsten“ aber durfte nur das Pange
Lingua gesungen werden (so in der Kirchenmusik-Ordnung 1828, zit v. Hanson
1987, 158–162).
1.2.1 Einzelne Zentren der Kirchenmusik im biedermeierlichen Wien
Wichtige Zentren der Kirchenmusik im biedermeierlichen Wien waren die
folgenden (Hanson 1987, 162–166):
Hofkapelle: In Bezug auf die Kirchenmusik sei hier der musikalische Apparat der
berühmtesten Kirche Wiens vorgestellt, eine Momentaufnahme aus dem Jahre
1825: 2 Kapellmeister, 1 Hofkomponist, 10 Sänger (5 Tenöre, 5 Bässe) 2
Sängerinnen, 10 Sängerknaben, 1 Organist, 24 Instrumentalisten (12 Geigen, 2
Bratschen, 2 Celli, 2 Kontrabässe, 6 Oboen). Jeden Sonntag um 11 Uhr spielte
man vor dem Hof und vor geladenen Gästen. Von 1824 bis 1846 waren Musiker
wie Joseph Eybler, Antonio Salieri, Joseph Weigl, Anna Kraus (geb. Wranitzky),
Therese Grünbaum, L. Tietze, Benedikt Randhartinger, I. Schuster, A. Fuchs, Jan
Vaclav Vorisek, Leopold Jansa, Ignaz Schuppanzigh, Joseph Böhm, Joseph
Mayseder und Ignaz Umlauf Mitglieder der Hofkapelle. Meist wurden Kompositionen der eigenen Kapellmeister oder von Joseph und Michael Haydn, Mozart,
Beethoven, Preindl, Salieri, Seyfried und Eybler aufgeführt. Diese Musiker sorgten für vielfach gelobte Aufführungen geistlicher Musik, für den „vornehmsten
und vollendetsten Gottesdienst in Wien.“
St. Stephan: Das Ensemble war aus den Mitgliedern der zwei Hoftheater zusammengesetzt. Sonntags um 11 Uhr versammelte man sich zum feierlichen Hochamt. Immer wieder jedoch wird das Niveau von Orchester und Sängern beklagt.
Gottesdienstbesucher fühlen sich durch das bereits erwähnte rastlose Auf- und
Abgehen der vielen Menschen, das mehr an einen Jahrmarkt als an einen Gottesdienst erinnerte, gestört. Zur gleichen Zeit wurden im ganzen Dom gleichzeitig
mehrere Messen gelesen, sodass man die Andächtigen, anstatt sie in einer ruhigen
Gemütsverfassung zu halten, vielmehr zerstreute.
Augustinerkirche: Diese Kirche war berühmt für ihre Aufführungen neuer Musik.
Die Größe des Ensembles war mit 2 Tenören, 3 Bässen, einigen Sängerknaben
95
aus St. Dorothea, 5 Violinen, 1 Cello und 2 Posaunen nicht gerade weltbewegend,
doch die Qualität der dargebotenen Musik machte die Größe des Ensembles
wieder wett. In der Augustinerkirche wurden auch Messen anlässlich wichtiger
Staatsfeiern abgehalten, sogenannte „Militärmessen“.
Zu den Kirchen, in denen Ensembles zur Darbietung von Kirchenmusik
beschäftigt waren, zählten außerdem St. Anna, die Michaelerkirche, die Peterskirche und die Karlskirche. Auch die Kirchen in den Vorstädten unterhielten
kleine Chöre und Orchester in Minimalbesetzungen, für die z.B. Schubert schrieb.
Er schrieb seine F-dur-Messe D 105 und seine B-dur-Messe D 324 für die Lichtenthaler Kirche, sechs Antiphone zum Palmsonntag D 696 für die Altlerchenfelderkirche, die Es-dur-Messe D 950 für die Dreifaltigkeitskirche im Alsergrund.
1.2.2 Zur Förderung der Kirchenmusik
Die Kirche förderte auch den Musikunterricht. Es gab private Musikvereine und
Musikschulen, von den Kirchen unterhalten, die die eigene liturgische Musik
fördern sollten. Fürst Ferdinand Lobkowitz gründete z.B. 1827 den „Privatverein zur Verbesserung der Kirchenmusik auf dem Lande“. Der Verein
unterstützte eine unentgeltliche Musikschule für die Kirche St. Anna. Es wurden
in 18 Wochenstunden Kirchenmusik, Chormusik, Choral- und Psalmengesang,
Latein, Musiktheorie, bezifferter Bass, Violine und Orgel unterrichtet. 1840
waren dort 78 Schüler eingeschrieben. Eine ähnliche Schule wurde 1823 durch
den Pater Honorius Kraus mithilfe des Kirchenmusik-Vereins von Schottenfeld
errichtet.
Auch die Stadtverwaltung förderte die Musik, indem sie bestimmte Werke und
Messen subventionierte. Zu St. Salvator wurden zusätzliche Blechbläser für die
Frühmesse aus der Stadtkasse bezahlt. Dies kam auch an anderen Festtagen vor.
Der Kapellmeister von St. Stephan wurde ebenfalls von der Stadtverwaltung
bezahlt, ebenso besondere Feiern in einzelnen Kirchen.
Die Ausbildung der jungen Musiker durch die von der Kirche geförderten Stätten
kam z.B. den Brüdern Haydn, aber auch Schubert und Hellmesberger zugute, die
alle als Sängerknaben der Hofkapelle begannen. Gleichzeitig war die Kirche Aufführungsort für neue Kompositionen. Schubert schrieb seine Messen für bestimmte Kirchen, auch weil auf diese Weise die Chance der Aufführung sehr groß war.
Zudem war die Möglichkeit des zusätzlichen Verdienstes für Komponisten und
Sänger in der Kirchenmusik sehr attraktiv. Dies änderte sich erst in der Mitte des
19. Jh., als durch das neu erwachte Interesse an der Polyphonie des 16. Jh. die
Kirchenmusik für die zeitgenössischen Komponisten ihre Anziehungskraft verlor
(Hanson 1987, 166–168).
96
1.2.3 Allgemeines zur Kirchenmusik des frühen 19. Jh.
Die großen Einflüsse kamen in der ersten Hälfte des 19. Jh. grundsätzlich aus der
französischen Oper, aus dem Händeloratorium und aus der motivisch-thematischen Arbeit und der Durchführungstechnik der Symphonie (Cherubini, Weber,
Schubert, Beethoven; vgl. Honegger und Massenkeil 1978, 295). Ursprünglich
sollte nach der Säkularisation die Musik nicht mehr mit großem Aufwand
betrieben werden (große Werke im Sinne einer Missa Solemnis des 18. Jh., im
Gegensatz zur Missa Brevis), sondern die Aufmerksamkeit der Gläubigen unterstützen, weniger Machtmusik als vielmehr einfühlsame Volksmusik sein. Sehr
erfolgreich setzte das z.B. Franz Schubert um, vor allem mit seinem sicher
volkstümlichsten Werk, der „Deutschen Messe“. Schubert war jedoch bei Weitem
nicht der Erste, der geistliche liturgische Texte in der Volkssprache vertonte. Dies
hatte seine uralte Tradition in den vernakularen Bewegungen des Mittelalters
(Waldenser, Hussiten etc.) und brach sich endgültig Bahn in der Reformation. Die
Choräle eines Luther und seiner Nachfolger, später dann eines Bach etc. sollten
sich als sehr volksnah erweisen. In England wurde mit der Abwendung vom
Papsttum durch Heinrich VIII. ebenso die Volkssprache zur Kultussprache
erhoben: Tudormusic (Byrd, Tomkins, Tallis in seinen English Anthems), später
die Anthems eines Purcell oder Händel, wie z.B. auch Händels fünfmalige
Vertonung der englischen Textfassung des altkirchlichen Te Deum: „We praise
Thee, o God!“
Dies bedeutete jedoch keineswegs, dass nun nur noch in der Volkssprache
Kirchenmusik gemacht worden wäre. Das Lateinische wurde bis weit ins 19. Jh.
auch in der protestantischen Welt weiterhin verwendet, zudem wurden auch
lateinische Texte vertont (noch bei Schütz, Bach, Händel, natürlich auch bei
Mozart, Beethoven, Schubert, den beiden Haydn etc.). Während im Zeitalter der
Renaissance und des Barock die Musik noch soli Deo gloria eingesetzt wurde, um
geistliche Texte nicht nur musikalisch folgerichtig, sondern auch textgemäß zu
vertonen, wurde zu Beginn des 19. Jh. die Musik – ganz dem individuellen Zeitgeist der Französischen Revolution gemäß – gewiss individualistischer (Romantik), aber auch volksnäher (Biedermeier). Beide Dinge stehen zwar in scheinbarem Widerspruch zueinander, sind aber auf dem Boden der josephinischen
Reform und der restriktiven Politik eines Metternich sehr gut zu verstehen.
Kontrastbeispiele:
Für die nach alter Tradition komponierte Machtmusik:
G. F. Händel:
J. S. Bach:
We praise Thee, o God! Dettinger Te Deum.
Kyrie. Hohe Messe in h.
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Für die neuere, individualistisch geprägte Kompositionsweise:
H. Berlioz:
Kyrie. Messe solennelle.
Interessante Werksgeschichte, doch vor allem sehr
packend die absolut individualistische, aber doch auch
bewusst dem Textinhalt verpflichtete musikalische
Deutung des religiösen Textes.
L. v. Beethoven:
Kyrie. Messe in C.
Diese Messe fiel bei der Uraufführung durch, vor allem
wegen ihres leisen Anfangs (vergleiche die Tradition!)
im Kyrie (vgl. Ottenberg 1992, 7f.).
Kyrie. Missa solemnis.3
Ursprünglich für den liturgischen Rahmen gedacht,4
sprengte sie diesen jedoch bei Weitem, offenbart aber
den noch deutlich sakralen Stil, ganz im Unterschied zur
gleichzeitig entstandenen 9. Symphonie.
F. Schubert:
Wohin soll ich mich wenden. Deutsche Messe.5
Katholische deutsche Liedmesse, für den Volksgesang
bestimmt. Der Text besteht aus Paraphrasen und Anspielungen auf die gottesdienstlichen Handlungen. Er
wurde zusammengestellt von Johann Philipp Neumann.
Dieser fügte der „Deutschen Messe“ noch einen „Anhang“ dazu, das „Gebet des Herrn“ (Paraphrase des
Vaterunsers).
Man mag sich wundern, warum hier nicht Mozart „zu Klang kommt“. Das hat
sowohl Platzgründe als auch sachbezogene: Wiewohl Mozart im Biedermeier sehr
beliebt ist,6 passen seine heute sehr bekannten kirchenmusikalischen Werke
eigentlich nicht sehr gut in die hier angestellten stilistischen Überlegungen, weil
3
Beethovens wichtige geistliche Werke: Christus am Ölberge, op. 85; Messe C-dur, op. 86; Missa
solemnis D-dur, op. 123.
4
Sie war geplant für die Inthronisationsfeier des Erzherzogs Rudolph zum Erzbischof von Olmütz
am 9. März 1820, doch wurde erst 1823 beendet. Uraufführung in St. Petersburg am 7. April 1824.
Erst am 7. Mai 1824 wurden in Wien zusammen mit der 9. Symphonie einige Sätze aus der Missa
solemnis aufgeführt.
5
Schuberts wichtigste geistliche Werke: 6 lateinische Messen: F-dur, D 105 (1814); G-dur, D 167
(1815); B-dur, D 324 (1815); C-dur, D 452 (1816); As-dur, D 678 (1822); Es-dur, D 950 (1828);
Deutsche Messe, F-dur, D 872 (1827); Stabat Mater (Jesus Christus schwebt am Kreuze), D 383
(1816); ferner ein Salve Regina, Tantum ergo und Offertorien. Ebenso Hymnus an den Heiligen
Geist, D 948 (1828); Gott im Ungewitter, Gott der Weltschöpfer und Hymne an den Unendlichen, D
985, 986 und 232 (1815); Miriams Siegesgesang, D 942 (1828).
6
„O Mozart, unsterblicher Mozart, wie viele, o wie unendlich viele solche wohltätige Abdrücke
eines lichten besseren Lebens hast du in unsere Seele geprägt.“ F. Schubert in seinem Tagebuch am
13. Juni 1816, zit. v. Kobald 1929, 210.
98
sie zumeist Gelegenheits- und Auftragswerke sind, mit denen er sich oft selbst
nicht identifizierte, die also oft ohne innere religiöse Beteiligung verfasst wurden
(Ausnahmen: Große Messe in c-moll, Requiem etc.). Mozarts Messen sind damit
leider oft nicht musikalische Deutungen des liturgischen Textes, auch fehlt ihnen
allzu oft wirklich sakraler Charakter. Was sie trotzdem auszeichnet und wertvoll
macht, ist ihr hoher musikalischer Gehalt. Der bleibt unbestritten, wenn sie sich
auch wenig dazu eignen, die religiöse Erfahrung des Hörers zu beeinflussen und
zu vertiefen. Damit sind sie ganz anderen Charakters als z.B. die Messen
Schuberts oder Beethovens. Das biedermeierliche Lebensgefühl zwischen josephinischer Reform und metternichscher Reaktion wird von ihnen weder dargestellt noch berührt. Sie wurden in der Biedermeierzeit gespielt im Sinne des
Rückgriffs auf Altbekanntes.
Sehr wichtig sind in der Biedermeierzeit auch die Werke der beiden Brüder
Haydn, vor allem die Michael Haydns, der den Zeitgenossen als Kirchenkomponist viel bekannter war als der heute berühmtere Joseph Haydn. Michael Haydn
war Ende des 18. Jh. am Hofe des Erzbischofs Colloredo von Salzburg (vor dem
Mozart geflohen war) als Reformer der Kirchenmusik bekannt. Er schuf
liturgische Werke für Knabenchor mit kleiner instrumentaler Besetzung. Die
Verehrung des „ruhigen, klaren Geistes des guten Haydn“ (so F. Schubert über M.
Haydn) sowie seine Wertschätzung in Salzburg als „vielleicht größter Tonsetzer
der katholischen Kirchenmusik“ hielten sich durch das 19. Jh. Da seine Kirchenmusik sich so gut für die liturgische Musikpraxis eignete, griff man noch lange
auf diese Werke zurück. Sein Bruder Joseph Haydn ist vor allem bekannt durch
die beiden großen Oratorien Die Schöpfung und Die Jahreszeiten, auch durch
einige Messen (Nelsonmesse, Paukenmesse, Harmoniemesse). Während die
Messen liturgisch brauchbar sind, waren die Oratorien in händelscher Tradition
für konzertante Aufführungen im Konzertsaal bestimmt.
Doch zurück zum Problem der sowohl individuellen als auch volksnahen
geistlichen Musik der Biedermeierzeit. Die musikalisch bewusste Deutung des
Textes einerseits, sowie die immer volksnähere Entwicklung der Vertonung des
liturgischen Textes andererseits erreicht mit Schuberts Deutscher Messe sicher
einen positiven Höhepunkt.7 Doch auch Schubert bleibt nicht nur bei der
deutschen Sprache:
An einem Sonntag im Oktober 1814 zum 100-jährigen Bestand der Lichtentaler
Kirche dirigiert der 17-jährige Schubert seine F-dur-Messe (D 105), die ihn mit
einem Schlag berühmt macht.
Kyrie
Credo
7
Man spürt schon das Liedhafte, ebenso leiser Anfang wie in der
C-dur-Messe Beethovens aus 1808.
Völlig untypisch im Vergleich mit den früheren Werken dieser
Gattung.
Spätere Höhepunkte sakraler Musik finden sich erst wieder bei Liszt, Brahms und Bruckner.
99
Agnus Dei
Er singt sich dem Volk ins Herz, etwas, das Beethoven in dieser
Form nicht konnte, da er anderen Vorbildern folgte.
Dies ist ein Werk, das liturgische Verwendung finden sollte, anders als seine
spätere Es-dur-Messe. Interessant in den Messevertonungen Schuberts sind auch
seine bewussten Auslassungen, vor allem des: Credo in unam sanctam catholicam
et apostolicam ecclesiam, das bereits in diesem Jugendwerk fehlt und auch in
keiner anderen seiner lateinischen Messen vertont wurde.
Seine Messe in B-dur, D 324, ist ebenfalls ein Jugendwerk (1815) und eher nach
der überkommenen Tradition komponiert:
Kyrie
Credo
Wie schon erwähnt, fehlt natürlich auch hier die Zeile: Credo in
unam sanctam catholicam et apostolicam ecclesiam. Vielleicht
hat das mit seinen frühen Erfahrungen im sogenannten Stadtkonvikt zu tun, in dem er seit 1808 als kaiserlicher Sängerknabe
mit dem Privileg einer kostenlosen Gymnasialausbildung erzogen
wurde, dem er sich aber Ende 1813 fluchtartig entzog (Honegger
und Massenkeil 1978, 285).
Messe in
Ein Werk aus der mittleren Schaffensperiode (1822).
As-dur, D 678: Bislang Schuberts dramatischste Ausdeutung des Textes im
Credo
Credo. Auch hier fehlt: Credo in unam sanctam ...
Messe in
Es-dur, D 950
(1828):
Kyrie
Gloria
Kurz vor seinem Tod fertiggestellt.
Dies ist die Messe, die seinem ersten Jugendwerk aus dem Jahre
1814 im Ausdruck am nächsten kommt, wiewohl sie musikalisch
viel ausgereifter ist. Diese letzte Messe Schuberts ist auch seine
einzige, die den liturgischen Rahmen sprengt.
Harmonische Engführungen, in denen er seiner Zeit weit voraus
ist. Dass in diesem Werk im Credo die berühmte, oben erwähnte
Zeile ebenfalls fehlt, braucht eigentlich nicht mehr betont zu
werden.
Der neue Aspekt der geistlichen Musik des frühen 19. Jh. ist die individuelle Seite
dieser Musik. Obwohl antijosephinische Strömungen sich für das traditionelle
Hochamt einsetzten, die alten Zustände (l’ancien régime in der Kirche sozusagen)
auch in der Musik wiederherstellen wollten, war die persönliche romantische
Note nicht mehr wegzudenken. Den traditionellen Vorstellungen ist wohl Beethoven am nächsten gekommen, der aber selber völlig von freiheitlichen und
republikanischen Ideen durchdrungen war und für seine Schöpfungen sicher nur
rein musikalisch-textliche und keineswegs ideologische Hintergründe im Sinne
der Antijosephiner bemühte.
100
2.
Der Synagogalgesang
2.1 Grundlegendes zur Geschichte der jüdischen Musik
Grundsätzlich geht die Tradition der jüdischen Musik zurück in die alttestamentliche Zeit.8 Einerseits sind die Juden als Volk durch die Geschichte gegangen, das
seine Traditionen zu bewahren wusste, sodass man, wo immer man auf Juden
trifft, in ihrer Musiktradition eine ihnen gemeinsame Art erkennen kann. Gleichzeitig aber stellt man fest, wie assimilationsfähig diese jüdische Musiktradition
ist, da man immer auch bemerken kann, wie die jeweils lokalen musikalischen
Expressionen an den jüdischen Musiktraditionen ebenso sichtbar geblieben sind.
Ein sephardischer Jude hat z.B. Elemente in seiner Musik, die eben aus dem
Spanien des 15. Jh. stammen, die dann auch die Musik Nordafrikas beeinflusst
haben, wohin die Sepharden vertrieben worden sind (Malm 1977, 59).
Die jüdische Tradition ist viel mehr eine bewahrende als eine proselytierende. Die
Juden, obwohl assimilationsbereit, blieben doch eine eigene Gruppe, ganz gleich,
in welcher Gesellschaft sie lebten. Trotzdem sind die kulturellen Berührungspunkte vor allem in der weltlichen jüdischen Musik sichtbar, während sie sich in
ihrer religiösen Musik an die älteren Formen hielten. Die ältesten Formen meint
man heute bei den jemenitischen Juden zu finden. Die Juden, die in den deutschen
und slawischen Ländern lebten (auch in den Balkanländern), schufen in ihrer
religiösen Musik die Aschkenasi-Tradition, jene Mischung aus europäischem,
russischem und jiddischem Musikstil, die auf Jahrhunderte den religiösen Musikstil der europäischen Juden bestimmen sollte.
2.1.1 Historische Wurzeln
Zuerst gab es bis zur Zerstörung des Herodianischen Tempels 70 n. Chr. einen
ziemlich einheitlichen liturgischen Stil. Reste davon sind heute noch überall zu
sehen, denn alle jüdischen Kantoren haben, trotz aller kulturellen Anpassung an
ihre jeweilige Umgebung, eben jenes typische melismatische, frei-rhythmische
Gesangsverhalten (ibid., 84). Idelsohn weist auf die im Altertum diskutierten
Unterschiede in den verschiedenen Musikstilen hin: Musik, die den Geist reinigt
versus Musik, die aufreizt und unruhig macht. Das hat mit den verwendeten
Instrumenten zu tun, deren Wirkungen sowohl im Judentum als auch bei den alten
8
So dargestellt im grundlegenden Werk zur jüdischen Musik von Idelsohn 1975. Das Buch stammt
ursprünglich aus dem Jahr 1929 und wird bei Malm 1977, 86, als „standard general reference“
bezeichnet. Vergleiche auch Gradenwitz 1961, 11–53. Sowohl Idelsohn als auch Gradenwitz weisen
auf eventuelle Verbindungen zwischen ägyptischer Tempelmusik und hebräischer sakraler Musik
hin.
101
Ägyptern und Griechen bekannt sind. So wird z.B. lange Zeit der Aulos von den
ägyptischen und griechischen Priestern nicht geduldet ob seiner aufreizenden
Tonfolge d, cis, b, a (ibid.).
2.1.2 „Beten“ heißt „Singen“
Idelsohn diskutiert auch die ältesten musikalischen Quellen der jüdischen Musik:
die musikalische Notation der hebräischen Bibel und die Gebete. Er weist auf
einen interessanten Sachverhalt hin:
Die öffentliche Lesung der Bibel wurde im Altertum und wird heute noch in
orthodoxen Synagogen nicht in der Weise durchgeführt, wie sie heute in
Reformsynagogen (seit 1815) üblich ist. In der letzteren wird sie einfach gesprochen oder deklamiert – ohne musikalische Tönung, während die traditionelle Leseweise die Kantillation ist, ein Psalmodieren des Textes, eine Rezitation, in der Musik eine große Rolle spielt. Diese Art des Bibellesens wird im
Altertum bis zum 1. Jh. erwähnt. … Der Talmud sagt, dass die Bibel öffentlich
gelesen und den Zuhörern in einer musikalischen, angenehmen Melodie verständlich gemacht werden sollte. Und solche, die den Pentateuch ohne Melodie
lesen, zeigen ihre Missachtung ihm gegenüber und gegenüber dem grundlegenden Wert seiner Gesetze. Ein tiefes Verständnis kann nur dadurch erzielt
werden, dass die Tora gesungen wird (natürlich in traditionellen Melodien),
und „wer die Heiligen Schriften in der Weise weltlicher Lieder singt, schmäht
die Tora“ (Idelsohn 1975, 35f. [mit Verweis auf den Talmud B., Megilla 32a
und Sanhedrin 101a]).
Tatsächlich haben nur jene alttestamentlichen Bücher Musikakzente, die auch
öffentlich vorgelesen werden, nämlich: der Pentateuch, die Propheten, Esther, die
Klagelieder, Ruth, Prediger (Ekklesiastes), das Hohelied, die Psalmen und in
manchen Ausgaben auch das Buch Hiob. Die Sprüche aber, Esra, Nehemia und
die Chronikbücher haben keine durch die Akzente notierten Melodien, weil sie
nicht im öffentlichen Gottesdienst laut vorgetragen wurden.9 Musikbeispiel: Der
hebräische Psalm 23 („Der Herr ist mein Hirte“ – Mitsmor le David, Adonai
Roï...), vorgetragen nach der Melodie der Akzente der hebräischen Bibel.10
9
Vergleiche die Synopse der Ausführung der verschiedenen hebräischen Akzente in den
verschiedenen jüdischen Traditionen in der Diaspora in Idelsohn 1975, 37.44 ff. Besondere
Aufmerksamkeit sollte hier der Aschkenasi-Modus (Nr. 11) erhalten; interessant ist auch das erste
Beispiel von Reuchlin, in dem klar wird, dass die Notenschrift gemäß der hebräischen Sprache von
rechts nach links zu lesen ist. Vergleiche die moderne Umschrift in der Synopsentabelle (Nr. 12).
10
Wie zu hören auf der CD La Musique de la Bible revélée (Haïk-Vantoura 2000). Frau HaïkVantoura vertritt die Ansicht, dass die hebräischen Melodien über den Weg der Entwicklung der
christlichen religiösen Musik der Musik des Abendlandes zugrunde liegen. Aus dem Text des
Begleithefts der CD, S. 8: „Diese Art Akzentuierung des Textes beweist die Verbindung zur europäischen Musik, die noch bis zu den ‚Madrigalismen‘ der Komponisten des 16. Jahrhunderts zu
102
Natürlich entfernten sich die späteren Entwicklungen des synagogalen Gesanges
von dieser biblischen Vorlage, eben dem kulturellen Umfeld entsprechend, in
dem er gepflegt wurde. Der Ursprung der biblischen Melodien ist eindeutig
orientalisch. Sie sind modal in Form und Charakter, unrhythmisch,11 was für den
Orient typisch ist. Es würde zu weit führen, die einzelnen Charakteristika genau
aufzuzeigen; dafür sei auf Idelsohns Werk verwiesen (1975, Kapitel 2 und 3).
2.1.3 Musik ist nicht gleich Musik
Man darf auch nicht übersehen, dass historisch gesehen der synagogale Gesang –
übrigens genauso wie der christliche Gemeindegesang – ein Gegengewicht gegen
die laszive griechische Musik der Mysterienkulte der frühen Jahrhunderte der
christlichen Ära sein sollte. Man kämpfte in der Kirche wie auch in der Synagoge
um die Einfachheit von Text und Musik, mit so wenig Instrumentaleinsatz wie
möglich: Nur ein Instrument sollte verwendet werden, nämlich die menschliche
Stimme. In der syrischen, jakobitischen, nestorianischen und griechischen Kirche
blieb das so bis ins 20. Jh., in den Synagogen bis zur Reform: 1810 wurde in der
deutschen Reformsynagoge von Seesen zum ersten Mal eine Orgel verwendet.
Für die Juden bedeutete das noch etwas Besonderes: Sie verwendeten keine
Instrumente, weil sie um die Zerstörung des Tempels trauerten und erst wieder
Instrumente im Gottesdienst verwenden wollten, wenn der Tempel in Jerusalem
wiederaufgebaut sein würde. Ihre Hinwendung im Reformgottesdienst zur
Orgelmusik war somit ein Problem der nationalen Identität: Hatten sie die
Hoffnung auf einen neuen Tempel aufgegeben? Wenn man bedenkt, dass sogar
bei jüdischen Hochzeiten, zu denen die Verwendung von Instrumenten erlaubt
war (Freudenfest!), man einen Teller vor Braut und Bräutigam zerschlug,12 um sie
an die Zerstörung des Tempels zu erinnern, kann man ermessen, wie sehr Reform
des Gottesdienstes auch in musikalischer Hinsicht den orthodoxen Juden Europas
eine Häresie sein musste – war doch der Gottesdienst ohne Instrumentalmusik
spüren ist. Aber zwischen den Musikern der Bibel und den Madrigalisten gibt es viele
Zwischenphasen, namentlich der Gregorianische Gesang, dessen nahöstliche Quellen heute
wiederentdeckt werden.“ Als Beleg für diese Behauptung diene der Vergleich zwischen dem
babylonischen, aschkenasischen und portugiesischen Pentateuch-Modus und einem gregorianischen
Choral auf dem „3. Ton“ bei Idelsohn 1975, 40 ff. Die Ähnlichkeit und damit die tonale
Verwandtschaft ist nicht zu übersehen.
11
Erst im 5. Jh. wurde sowohl die kirchliche als auch die synagogale Musik leicht rhythmisiert, war
aber von einem strengen Metrum immer noch weit entfernt (Idelsohn 1975, 99 f.).
12
Vergleiche zu dieser Aussage ein kleines Detail aus einer ostjüdischen Geschichte, in der es um
einen Heiratsvertrag geht, der abgeschlossen wird. Der Bräutigam wider Willen erzählt: „Die
Hochzeit sollte gegen drei Jahre vom heutigen Datum an begangen werden, und alles wurde
verbrieft und versiegelt. Die Frauen zerbrachen eilend irgendein tönernes Gefäß, und wie mit
Donnerstimme kam es aus ihrem Mund: ‚Zur guten Stunde!‘ “ (Lilienblum 1988, 312).
103
mehr als eineinhalb Jahrtausende das Zeichen der nationalen Trauer über den
Verlust des Tempels in Jerusalem gewesen (vgl. ibid., 92–97).
2.1.4 Der chasan
Bis ins 5. Jh. n. Chr. kannte die jüdische Synagoge den Vorbeter, der die Gebete
des Volkes formulierte, weil er mit der Gabe des Gebets ausgestattet war. Er war
immer ein Mann des Volkes, nie der amtierende Priester. Diese Gebete waren
improvisiert und bereicherten so den Gottesdienst. Die schönsten Gebete wurden
in der Tradition bewahrt. So wuchs ein Gebetsschatz, der immer mehr zur
liturgischen Verantwortung wurde. Man brauchte Leute, die fähig waren, diese
gewachsene Gebetstradition zu verwalten und liturgisch richtig einzusetzen. Diese
Vorbeter mussten in der Meinung des Rabbi Judah ben Illai (Palästina, 2. Jh.
n. Chr.) folgende Qualifikationen besitzen:
Ein Mann, der Familienpflichten hat, der nicht genug besitzt, ihnen zu entsprechen, der sich für seinen Lebensunterhalt mühen muss, aber sein Haus
dennoch rein (ohne Tadel) hält, der ein attraktives Aussehen hat, demütig ist,
von den Leuten als angenehm empfunden und gemocht wird, der eine liebliche
Stimme und musikalische Gabe besitzt, der sich in den Schriften gut auskennt,
fähig ist zu predigen, vertraut ist mit der Halacha (dem Gesetz) und den jüdischen Erzählungen (Aggada), und der alle Gebete und Segenssprüche
auswendig kann (zit. b. Idelsohn 1975, 105).
Am wesentlichsten war natürlich die gute Stimme, die als göttliche Gabe empfunden wurde, durch die das Volk zur Andacht bewegt werden sollte. Darum war
man mit einem Sprachfehler vom Amt des Vorbeters ausgeschlossen.
Das ging gut bis ins 5. und 6. Jh. Danach wurde es für die Juden schwierig, da der
Antisemitismus ihre Gemeinden verfolgte und zerschlug.13 Die Kenntnis der Tora
nahm ab im Volk, gute (improvisierende) Vorbeter waren immer schwerer zu
finden. Das führte dazu, dass man dem chasan (dem Aufseher) die Rolle des
Vorbeters übertrug: Er sollte nun singen, war er doch gelehrt etc. Diese Entwicklung dauert bis zum Ende des ersten Millenniums. Die chasanim waren tugendhafte Leute und errangen immer mehr Ruhm. So wurden in der Synagoge das
Amt des Kantors und das Amt des Lektors in einer Person vereinigt: Es war eine
Folge von Notwendigkeiten, die sich aus der historischen Situation (Verfolgung,
Zerstörung der jüdischen Gemeinden und Gelehrsamkeit, daraus resultierender
Mangel an guten Leuten) ergab. Jede Gemeinde war glücklich, wenn ein einziger
Mann alle gottesdienstlichen Funktionen übernehmen konnte. Ein solcher chasan
13
Es geht um die christliche Unterdrückung der Juden in Palästina und um die Unterdrückung der
Juden in Babylon durch die fanatische Kaste der Magi. Viele Gemeindezentren wurden zerstört, und
zeitweise mussten sie alle ihre Lehrhäuser schließen.
104
war auch Salomon Sulzer in der Wiener Synagoge der Biedermeierzeit, von dem
später noch die Rede sein wird. Trotzdem gibt es auch die talentierten
Laienvorbeter bis heute in der Synagoge.14
2.1.5 Jüdische Musik an der Wurzel der christlichen Musik
Das Christentum hat vieles aus dem Judentum übernommen (war das Christentum
doch eigentlich nichts anderes als eine besondere messianische Ausprägung des
Judentums), auch das Amt des Kantors. In der Kirche wurde auch das Solorezitativ des Kantors zum wichtigsten Teil des Gottesdienstes. Auch die jüdische
responsive Form übernahm die Kirche, die Amens, Hallelujas, Hosannas, die von
der Gemeinde als Respons gesungen wurden. Den Vorsänger nannte man in der
Kirche cantor, præcentor, pronunciator psalmi. Auch in der Kirche war ursprünglich das Amt des Lektors von dem des Kantors getrennt. Die Kantorfunktion
wurde aber später in der Kirche mehr und mehr vom Chor übernommen, Choral
und Antiphon ersetzen Solorezitativ und Respons der Gemeinde.15
Weisen, Gesangsvortrag und Aufführungspraxis der Jerusalemer Tempelliturgie und ihre Erbschaft in der Synagoge wurden für die frühe abendländische
Musik zu entscheidenden Grundlagen. Die ersten christlichen Vorsänger
kamen ursprünglich aus den jüdischen Gotteshäusern und deuteten alte hebräische Gebräuche nur zu neuen Zielen um, wenn sie zu Christen wurden und
ihre alten Berufe in neuem Rahmen weiter ausübten. Stilkritische Vergleiche
orientalisch-hebräischer Weisen und unsere recht genaue Kenntnis der Liturgie
selbst haben die auf rein persönliche Grundlagen zurückführenden Wurzeln
der frühen christlichen Psalmodie längst aufgedeckt; in neuerer Zeit sind dazu
noch dokumentarische Belege aufgefunden worden. Die Apostolische Constitution und die Zeugnisse des Cyril von Jerusalem und der Pilgerin Ätheria
Sylvia deuten darauf hin, dass die Funktion der Vorsänger in der frühen
christlichen Liturgie genau der entsprach, die ihnen die rabbinischen Quellen
zuweisen ...
Die christliche Kirche hat durch ihre eigenen frühen Vorsänger viele altbiblische Texte, die modalen Weisen, das responsoriale und antiphone Singen und
manche anderen orientalischen Züge in ihre Liturgie übernommen. Die Akzente und Hand-Zeichen wurden gleichfalls angenommen, und aus den Zeichen ...
entwickelte sich zu Beginn des 2. Jahrtausends der christlichen Zeitrechnung
die erste musikalische Notation, die genau die Tonhöhen und Zeitdauer bestimmte, welche der Konzeption einer Melodie zugrunde lagen. Noch in der
frühen abendländischen Musik bedeuteten die Akzentzeichen nicht einzelne
14
Vergleiche die Darstellung dieser Entwicklung bei Gradenwitz 1967, 62 f.; ebenso bei Idelsohn
1975, Kap. 6.
15
Zur Entwicklung des chasans siehe ebenfalls Idelsohn 1975, Kap. 6.
105
„Noten“ im modernen Sinne, sondern – wie bei ihren noch älteren Vorbildern
– eine Reihe aufeinander bezogener Töne einer Melodiefloskel, deren rhythmische Gestaltung von dem Wortrhythmus des Textes abhing; der vage
Charakter der frühen Zeichen war der Grund, dass die verschiedenen christlichen Gemeinden an verschiedenen Orten die Melodien auch verschieden
vortrugen, genau wie die alten Bibelakzente in den verschiedenen Zentren der
jüdischen Diaspora verschieden interpretiert worden sind ...
Von der hebräischen Liturgie hat die christliche Musikpraxis auch die charakteristischen Kadenzen übernommen, die die einzelnen Teile der Rezitation
voneinander scheiden. Auch das äußere Bild der Musikübung blieb in der
Kirche so, wie es aus der Liturgie Israels bekannt war – vor allem das Aufstellen der Sänger auf den Stufen, die zum Altar führen.16
Tatsächlich hat das Judentum die Entwicklung der christlichen Musik massiv
beeinflusst. Die Franken, Gallier und Germanen standen im Ruf, schlechte Sänger
zu sein,17 während die Juden gleichzeitig eine hohe Kultur hatten. Karl der Große
war der erste germanische Fürst, der versuchte, seinen Leuten das Singen beibringen zu lassen; dazu holte er Musiklehrer aus Rom. Die Menschen sollten
beim Gottesdienst im Gesang antworten können, doch viele Kirchenlieder wurden
vom Volk korrumpiert. Die Juden aber hatten eine hohe Kultur, die sie das Volk
lehrten. Und so kam es, dass die Christen bei den Juden nicht nur ihre Religion
und Kultur, sondern auch ihr Singen lernten, sehr zum Leidwesen der christlichen
Bischöfe,18 die aus Eifersucht begannen, die Kontakte zwischen Juden und
Christen zu verbieten, bis im Hochmittelalter die Juden völlig isoliert waren. Der
daraus resultierende Antisemitismus führte zur Entwurzelung vieler chasans, die
nun nicht mehr fest stationiert waren, sondern wie die Minnesänger hin- und
herzogen. Die Minnesangentwicklung im 10. bis 12. Jh. ist ohne den Einfluss der
jüdischen Musik auf das damalige Abendland nicht denkbar. Doch durch den
kirchlichen Antisemitismus kamen immer mehr Probleme auf. Die chasanim,
bedingt durch ihr andauerndes Flüchtlingsleben, verwilderten ein bisschen. Sie
gaben sich sehr extravagant und exaltiert, was manche veranlasste, Regeln
herauszugeben, wie ein Gottesdienst abzulaufen habe, und dass der chasan niemals die Würde seines Amtes vergessen sollte.
16
So argumentiert Gradenwitz 1967, 59 f.
So das historische Zeugnis von Arminianus Marcellinus (etwa um 330) oder der Kaiser Iulian
(„Apostata“), die beide besagen, dass germanisches Singen wie quietschende Räder klinge (zit. v.
Idelsohn 1975, 131). Ihre Stimmen seien zu heiser vom vielen Trinken, sie klängen wie ein
vollbeladener Wagen, der laut einen Hügel hinunterrollt.
18
Bischof Agobard von Lyon beschwert sich in Briefen an Ludwig den Frommen um 825, dass die
Christen zu den jüdischen Gottesdiensten gingen und lieber die jüdischen Rabbis hätten, dass sie zu
jüdischen Essen am Sabbat gingen und überhaupt mit den Juden Sabbat feierten und am Sonntag
arbeiteten, dass die Christen offen sagten, sie wollten auch einen solchen Gesetzgeber haben wie die
Juden ... Darum forderte Agobard ein Edikt, dass den Kontakt zwischen Christen und Juden, auch
das Sabbatfeiern etc., verbot.
17
106
Dieser ständige Kulturaustausch führt dann zur Entwicklung der verschiedenen
musikalischen modi des Diasporajudentums im Spätmittelalter und in der Neuzeit.
In Mitteleuropa ist der Aschkenasi-Ritus maßgeblich. Der östliche Ritus ist schon
wieder unterschiedlich (das wird später noch erläutert). Je länger die Zeit andauerte, desto größer wurden die Unterschiede. Wenn noch vor dem 10. Jh. kein
Unterschied zwischen den einzelnen Riten (modi) festzustellen war, so waren
diese Unterschiede doch im 18. und 19. Jh. sehr deutlich geworden. Gleichzeitig
war der Kulturaustausch der vergangenen Jahrhunderte ja kein einseitiger gewesen, und so hatte sich ganz naturgemäß die Praxis des Synagogalgesangs vom
alttestamentlichen Urbild auch schon einigermaßen entfernt.
Dies könnten Gründe für eine notwendige Reform sein – doch die Reform des
jüdischen Kultus im 19. Jh. hatte durchaus noch andere Gründe. Wenn man auch
die übertriebenen Melismen des östlichen Ritus, der den Aschkenasi-Ritus bereits
sehr stark beeinflusst hatte, beseitigen wollte, dann nicht unbedingt, um sich dem
alttestamentlichen Vorbild zu nähern. Man wollte vielmehr eine bessere Basis zur
zwanglosen Assimilation bereitstellen, indem man sich in der Reform dem (auch
musikalischen) Geschmack der damaligen Zeit anpasste. Es hatte Vorläufer einer
solchen Bewegung bereits in früheren Jahrhunderten gegeben.19
Alle bisherigen Assimilationsversuche, auch die Bereitschaft zur kulturellen
Offenheit der Aschkenasi-Tradition, hatten nicht das Ziel gehabt, jüdische Tradition grundsätzlich infrage zu stellen und zu überwinden. Trotz der Metrisierung
der jüdischen Melodien (siehe das Beispiel Salomon Rossis) wurden die originalen Melodien weitestgehend bewahrt, auch ihr orientalisch-semitischer Ursprung
nicht verheimlicht. Doch nun war die Reform radikaler geworden, es ging
tatsächlich ab dem 19. Jh. um eine Loslösung vom althergebrachten Judentum.
Bis dahin wäre keinem Juden in den Sinn gekommen, seine Existenz anders als
ein Exil von Palästina aufzufassen, aus dem man eines Tages in seine Heimat
zurückkehren würde. Keiner hätte, trotz allen möglichen kulturellen Austauschs,
die Idee gehabt (selbst bei allen Versuchen der chasanim im 18. Jh., die Synagogengesänge durch Metrisierung zu „europäisieren“), dadurch das Judentum von
seinen Ursprüngen zu lösen oder eine Unterbrechung in der Tradition herbeizuführen.
Dies änderte sich aber bei etlichen durch die Französische Revolution und die
neuen philosophischen Schulen in Deutschland. Bald war es für die freidenkerischen, irreligiösen Juden klar, dass ihr nationales Elend in ihrer Abgeschlossenheit von der europäischen Kultur der Zeit begründet lag, weil sie einer veralteten
asiatischen Religion anhingen, deren Humanismus diese Neohumanisten nicht
sehen konnten. Solche aufgeklärten Juden kamen dazu, das Judentum zu hassen
19
So z. B. Salomon Rossi im Italien des 16. Jh., der in hebräischer Sprache, aber doch auf barocke
Manier seine musikalischen Werke komponiert, die hebräischen Eigenarten der Melodien aber
festzuhalten weiß. Alle Angaben bei Idelsohn, 1975, Kap. 7 bis 11. Siehe auch die sehr eingehende
Schilderung des Werkes Rossis bei Gradenwitz 1967, Kap. 6.
107
und sich nicht mehr damit zu identifizieren. Heinrich Heine nannte das Judentum
eine Kalamität, die keine Existenzberechtigung hätte. Viele der Freidenker
nahmen das Christentum an und wollten vollwertige Staatsbürger von Frankreich
oder Deutschland werden.
Andere, deren jüdisches Herz lauter schlug, befassten sich mit dem Gedanken an
eine radikale Reform. Der Vorschlag dazu kam von den jüdischen Laien; die
Rabbis wehrten sich am Anfang heftig dagegen. Doch das Volk setzte sich durch;
man wollte den Orientalismus, die Antiquiertheit der jüdischen Rituale etc.
loswerden, um so weniger als Außenseiter angeprangert werden zu können. Wer
verdiente mehr als die Juden, nun endlich in den Genuss der neuen Menschenrechte zu kommen? Wer litt mehr als sie unter den mittelalterlichen Vorurteilen
der sie umgebenden Gesellschaft? Gleichzeitig gab es ja in der Christenheit die
Rebellion gegen die lateinische Sprache, die durch die jeweilige Landessprache in
den Kirchen ersetzt werden sollte. So ist auch der jüdische Reformversuch zu
interpretieren, dass die immer weniger bekannte hebräische Sprache durch die
jeweilige Volkssprache ersetzt werden sollte. Das führte sowohl innerhalb des
Christentums als auch in den Synagogen zu heftigen Auseinandersetzungen.20 Die
ruhigeren Reformer waren für die Komponisten der protestantischen Kirchenmusik, wie z.B. Purcell, Bach, Händel etc.
Wie schon erwähnt, versuchten es zuerst die jüdischen Laien. David Friedländer
aus Berlin z.B. versuchte, das Gebetsbuch aus dem Hebräischen ins Deutsche zu
übersetzen (1787). Er war ein reicher intellektueller Kaufmann, doch solch ein
Extremist, dass er sich vorstellen konnte, dass die Juden mit den Christen zusammengehen könnten, aber ohne den Glauben an Jesus und gewisse Zeremonien zu
übernehmen (so in einem Schreiben von 1799 an den Oberkonsistorialrat Teller).
Er wollte auch die jüdische Religion auf einen ethischen Kodex reduzieren
(1813). Darum war er wenig erfolgreich.21
Erfolgreicher war der reiche und einflussreiche Kaufmann Israel Jacobson in
Seesen, Westfalen. Dort errichtete er 1801 eine Knabenschule, ebenso in Kassel
1808. Seine Melodien für die Kindergottesdienste, die er in Kassel 1810 veranstaltete, waren den protestantischen Chorälen entnommen, zu denen er die
hebräischen Texte von links nach rechts setzte (auch die Noten liefen also von
links nach rechts); sie wurden gedruckt.22 In den in Seesen 1810 gegründeten
Stadttempel brachte er eine Orgel, er stattete ihn sogar mit einer Glocke aus. Er
20
Als in der Kirche von Rüdesheim 1787 die neuen deutschen Lieder eingeführt werden sollten,
kam es zu Ausschreitungen, die 30 Todesopfer forderten, weil der Erzherzog noch seine Soldaten in
die Kirche sandte. Es war in Deutschland zu der Situation gekommen, dass zuweilen ein
konservativer Priester die Litanei auf Latein anstimmte, die progressive Gemeinde aber auf Deutsch
antwortete oder auch umgekehrt. Siehe bei Idelsohn 1975, 232 ff.
21
Roth und Wigader 1972, Bd. 5, 515. David Friedländer wurde später ein großer Bewunderer der
Predigtkunst von Mannheimer. Siehe Wolf 1863, 15.
22
Vgl. Israel Jacobsons Druck von protestantischen Gemeindeliedern, die ins Hebräische übersetzt
und deren Notenzeilen von rechts nach links gedruckt wurde, bei Idelsohn 1975, 237.
108
führte den Gesang deutscher Choräle ein, drängte das Singen des Pentateuch und
der Propheten, wie auch die unrhythmisierten Gebete (und damit praktisch die
chasanim) zurück und ließ die Texte einfach lesen, führte die deutsche Predigt in
die Synagoge ein, beließ aber die hebräische Sprache bei den Gebeten. 1815 ging
er nach Berlin, wo er dieselben Reformbestrebungen in die dort ansässige
jüdische Gemeinde brachte. Trotzdem war der chasan nicht wirklich auszurotten;
nach dem Weggang von Jacobson gab es auch in Seesen wieder einen chasan.
Über Berlin ging dann die Reform nach Hamburg, wo man einen portugiesischen
chasan beschäftigte, was zur gänzlichen Auflösung der Aschkenasi-Tradition
führte. Es gab vierstimmige deutsche Chormusik in der Hamburger Synagoge etc.
Die Hamburger Reform ging so weit, dass ein Sturm der Entrüstung durch das
europäische Judentum fegte. Vor diesem Hintergrund ist auch der gemäßigte
Reformansatz der Wiener Synagoge im Biedermeier zu sehen. Es war dieser
gemäßigte Reformansatz, der sich durchsetzte: zwar Orgel, vierstimmiger
gemischter Chorgesang im protestantischen Stil (Bach), Landessprache, aber doch
weiterhin auch die chasanim und die traditionellen Melodien, eben für jene
konservativen Juden, die sich einen Gottesdienst ohne chasanuth nicht vorstellen
konnten. Da der chasanuth aber nicht mehr weiterentwickelt wurde, erstarrte er in
seiner Form des 18. Jh.23 Dies führte letztlich doch zum Verlust eines guten
Stücks jüdischer Kultur und Identität im 19. Jh., war vielleicht auch nicht zuletzt
mitverantwortlich für jene assimilierte Grundhaltung des österreichisch-deutschen
Judentums im 20. Jh., in der man sich weniger als Jude denn vielmehr als
Österreicher oder Deutscher fühlte und sich darum der am faschistischen Horizont
herannahenden Gefahr – von einzelnen wohl rechtzeitig erfasst und begriffen, in
der Masse des jüdischen Volkes jedoch nicht klar realisiert – nicht entzog, da man
sich längst assimiliert wähnte und die mittelalterliche Ghettosituation überwunden
glaubte. Lebte man 1933 nicht bereits fast 150 Jahre nach der Französischen
Revolution?24
Diese ganze Einführung soll dazu dienen, die folgende Darstellung der Reform
von Mannheimer und Sulzer in einen größeren historischen Zusammenhang zu
stellen, damit man die Brisanz dessen, was in der Biedermeierzeit in der jüdischen
Synagoge in Wien geschah, besser erfassen kann.
23
Zur ganzen Darstellung dieser Entwicklung durch mehrere Jahrhunderte vgl. Idelsohn 1975, Kap.
11–12.
24
Pulzer 1967 sieht einen direkten Zusammenhang zwischen den Emanzipationsbemühungen der
Juden im Wien (für ihn ist Wien der Geburtsort des modernen Antisemitismus schlechthin) des 19.
Jhs. und der schrecklichen Entwicklung im Dritten Reich. Er beginnt im späten 18. Jh. und zeigt die
Entwicklung des modernen Antisemitismus bis in die Wiener Nazizeit auf. Vergleiche im selben
Buch auch Tur-Sinai 1967.
109
2.2 Die Wiener Juden im Vormärz
Die Wiener Juden hatten ein Jahrhunderte altes Problem: Sie durften unter keinen
Umständen eine Gemeinde bilden. Was in Provinzstädten erlaubt war, war in
Wien verboten. Seit 1670 gab es in Wien keine Judengemeinde mehr, und dieser
gesetzliche Zustand dauerte noch bis 1848 an. Das verstand man in Bezug auf die
Juden unter der viel gerühmten josephinischen „Toleranz“: Der Kaiser hatte es
abgelehnt, die jüdische Nation in den Erblanden sich noch weiter ausbreiten zu
lassen, oder da, wo sie nicht toleriert war, neu einzuführen. Neu – und auch
wirklich tolerant im Vergleich zur früheren Geschichte – war, dass es keine
sakrale Gesetzgebung mehr gab, und der Staat sich die Juden nützlich machen
wollte; sie waren also auch von außen einem gewissen Assimilationsdruck
ausgesetzt (Avenary, Pass und Vielmetti 1985, 13).
In Wien gab es entsprechend dem Geist der Aufklärung zwar kein Ghetto und in
diesem Sinne kein finsteres Mittelalter mehr, aber auch keine Judengemeinde. Die
Juden lebten unter den anderen: ein Symbol für die aufklärerische Behandlung der
Juden vonseiten der Gesellschaft. Beabsichtigt war die Integration in die
vormärzliche Gesellschaft, doch eben nur als „tolerierte“ Herrschaften, also:
péjorativement. Jüdischer Handel war in Wien verboten, doch von der Polizei
geduldet, weil er für die Stadt sehr lukrativ war. Trotz dieser rechtlosen, weil nur
geduldeten gesellschaftlichen Situation der Juden gab es doch sehr starke
gesellschaftliche Kontakte zwischen den Wienern und den Juden: Metternich lädt
Salomon M. Rothschild ein, nach Wien zu übersiedeln, stellt ihn der Wiener
Gesellschaft als quasi den zweiten Mann des Staates vor, Rothschild wird in den
Freiherrnstand erhoben, seine Brüder in Paris und London zu k.-k. Generalkonsuln ernannt. Diese gesellschaftliche Arriviertheit der Juden in Wien, trotz
ihrer gesetzlichen Ausklammerung, ist für Frances Trollope schier zu viel: „I
must be schooled in the gymnase of toleration a while longer; such indifference is
as yet too excellent for me“ (Trollope 1838, Bd. 2, 220; vgl. Avenary, Pass und
Vielmetti 1985, 14f.).
Der hohe Staatsbeamte Graf Joseph Saurau bemerkte um 1810:
Überhaupt aber erscheint mir die Frage allerdings Würdigung zu verdienen, ob
es nicht ein wahrer Gewinn für den Staat und die bürgerliche Industrie wäre,
wenn ... mehreren reichen und zugleich als rechtlich bekannten Juden die
Toleranz erteilt würde, weil im Grunde doch bei dieser gebildeten Klasse nicht
die Besorgnisse einzutreten scheinen, welche die Staatsverwaltung bewogen
haben mögen, das Ansiedeln der dürftigen und daher zum Betrug geneigten
Klasse ihrer Glaubensgenossen durch eine wohlthätige Strenge zu verbieten.25
25
Wolf 1876, 104. In seinem Buch über Noa Mannheimer (1863, 12) stellt Wolf fest, dass Graf
Saurau um 1821 der oberste Kanzler und Mannheimer sehr gewogen war.
110
Die Juden in Wien hatten seit 1785 einen Friedhof und ein Spital, seit 1792 eingesetzte Vertreter, und seit 1811 bis 1826 betrieben sie die Gründung des Stadttempels. 1785 wurde erstmals rechtens festgestellt, dass die Judenschaft einen
gemeinsamen Besitz (Judenspital in der Rossau) hatte, der eine Verwaltungstätigkeit erforderte: Der Kaiser forderte die Judenschaft auf, das Spital zu restaurieren.
So suchten die Juden 1791, die Gelegenheit des kaiserlichen Auftrages nutzend,
um die Bildung eines Ausschusses an, der die Verwaltungsgeschäfte der Juden
übernehmen sollte. Der Spitalsbau war also der Anlass für die Bildung einer
administrativ anerkannten Deputation der Judenschaft Wiens. Diese Deputation
wurde vom Kaiser am 17. Juni 1792 genehmigt, ebenfalls durch ein Dekret der
Landesregierung vom 8. Mai 1794. Seine Majestät habe „allergnädigst zu entschließen befunden, dass aus der hiesigen Judenschaft einige benennet werden
sollen, welche jedoch nicht Ausschüsse, da dieses eine Gemeinde, die die hiesige
Judenschaft nicht vorstellt, vorauszusetzen scheinen würde, sondern Vertreter zu
heißen haben“ (Avenary, Pass und Vielmetti 1985, 17).
Diese Vertreter waren natürlich aus der Gruppe der wohlhabenden „Tolerierten“.
1811 erwarben sie ein Haus, in dem sie öffentlich den Gottesdienst feiern
konnten. Im April 1826 wurde dann endlich der Wiener Stadttempel in der
Seitenstettengasse fertiggestellt und eingeweiht. Er beinhaltete Synagoge, Schule,
das Rituelle Bad, alles in allem ein schönes eigenes Gotteshaus. Daneben gab es
immer noch im Lazenhof die „Schul’“, den Betort der orthodoxen Juden (eben
seit 1811), aber immer noch gab es keine Gemeinde. Der Rabbiner Eleasar
Horwitz z.B. durfte sich nicht „Rabbiner“ nennen, sondern wurde von den Behörden als „Ritualienaufseher“ geführt. Auch dies war ein Beispiel für die öffentlich rechtlose Situation der Juden im Wien des Biedermeier.26 Der Stadttempel
selbst wies architektonisch Verbindung zu den schönen Künsten auf, doch nicht
nur architektonisch, sondern auch musikalisch: Salomon Sulzer, der neue Kantor
aus Hohenems, war im Wiener Musikleben bald eine anerkannte Persönlichkeit
(Avenary, Pass und Vielmetti 1985, 18f.).
So führte rein praktisch die äußerliche Entwicklung von der „tolerierten Judenschaft“ langsam zur „Israelitischen Kultusgemeinde“. Innerlich entwickelten sich
die geschlossenen Judengemeinden in der gleichen Zeit zu einer zwar nicht mehr
genau definierbaren, aber wohl vorhandenen jüdischen Präsenz. Die Juden säkula-
26
Erst unter Franz Joseph I. durfte die Judenschaft Wiens sich „Gemeinde“ nennen; s. Wolf 1861, 2:
Franz Joseph anlässlich der Emanzipation vom 3. April 1849 zu den Vertretern der Judenschaft in
Wien: „Es gereicht mir zum Vergnügen, den Ausdruck der Gefühle treuer Ergebenheit und
Anhänglichkeit entgegen zu nehmen, welche Sie mir im Namen der israelitischen Gemeinde von
Wien darbringen. Durch die Gleichberechtigung aller Völker und aller Stämme, welche die von mir
verliehene Verfassung zu einem großen, mächtigen Reiche vereinigt, wird, wie Ich fest vertraue, die
Wohlfahrt und das Glück des Ganzen wie des Einzelnen dauernd begründet und einer gedeihlichen
Entwicklung zugeführt werden.“
111
risierten sich immer mehr. Doch trotzdem war ein ständiges Anwachsen des
Antisemitismus zu beobachten.
Neben Adel, Offizieren und Beamten gab es einen weiteren Stand, den der
Juden, der von seinem Wesen her zum Träger der österreichischen Staatsidee
berufen war. Solange die Monarchie bestand und der interne Völkerzwist an
ihrem Lebensnerv nagte, hieß es von den Juden, gerade sie seien die geborenen
Österreicher. Als die Monarchie der Vergangenheit angehörte, wurden sie zu
Überlebenden und Chronisten der „Welt von Gestern“ (ibid., 20 f.).
2.3 Planung und Durchführung der liturgischen Reform
Ausgelöst wurde alles durch den Aufruf der Vertreter der Wiener Judenschaft an
die „Tolerierten“ vom 18. November 1819. Es ging um die Verständlichmachung
des israelitischen Gottesdienstes für alle daran Teilnehmenden gemäß dem
Vorbild von Hamburg und Berlin. Jugend und Frauen sollten mehr in den Gottesdienst einbezogen werden, nicht mehr in einer ihnen unverständlichen Sprache
beten oder von der öffentlichen Gottesverehrung gänzlich ausgeschlossen sein
müssen. 50 Mitglieder unterzeichnen diesen Aufruf. Es kommt zum Bittgesuch
vom 7. Jänner 1820 an die niederösterreichische Landesregierung. In diesem
Gesuch wird ein Kniefall vor der österreichischen Kultur gemacht (Avenary, Pass
und Vielmetti 1985, 24f.):
Je mehr die Untertanen israelitischer Religion durch die väterliche Fürsorge
der höchsten Staatsverwaltung und durch deren weise Maßregeln ... in der
Kultur fortschreiten, und sich in Sprache, Kenntnissen, Sitten und Betragen
ihren christlichen Mitbewohnern nähern, um so mehr werden andererseits die
ehemals gewöhnlichen Unterrichtsgegenstände derselben, als das Studium der
hebräischen Sprache, des Talmuds u. dgl. als für das praktische Leben
entbehrlich hintangesetzt und vernachlässigt.
Die Folge dieser Entwicklung: Der Gottesdienst sei für die heranwachsende
Jugend und das weibliche Geschlecht ganz unverständlich. Die Vorbilder der zu
unternehmenden Reform seien Hamburg und Berlin. Absicht der Reform: Es
bleibe zwar noch die hebräische Sprache im Gottesdienst, aber es solle nun auch
Deutsch, Musik mit Orgel und die ganze Predigt in Deutsch dazukommen.27 Doch
für niemanden solle es ein Zwang sein, jeder Jude solle so beten können, wie er es
wolle. Das Ansuchen schließt mit der Bitte um Erlaubnis zur gottesdienstlichen
Reform und zur Möglichkeit der gemeinschaftlichen Besoldung von drei
27
Das z. B. war in Berlin vom preußischen König Friedrich Wilhelm im Winter 1823/24 den Juden
verboten worden. Siehe Wolf 1863, 14.
112
Verantwortlichen – für Predigt, Gesang und Gebet (Avenary, Pass und Vielmetti
1985, 23).
Die Antwort des Kaisers Franz lässt nicht lange auf sich warten: Sie datiert vom
22. Januar 1820. „Die Vermehrung und Ausbreitung der Juden ist auf keine
Weise zu begünstigen und für keinen Fall die Duldung derselben auf andere
Provinzen, als wo sie schon dermalen stattfindet, auszudehnen ...“ Trotzdem
„erlaubt“ er: (1) kein Rabbiner darf mehr angestellt werden, der nicht philosophisch und jüdisch gebildet ist; (2) die jüdische Vertreterschaft muss für die
Kosten aufkommen; (3) Gebete und Gesänge auf Deutsch werden erlaubt; (4) die
jüdische Jugend soll zum Schulbesuch gehörig angehalten werden; vor allem soll
sie in christlichen Schulen den Unterricht empfangen.28 Das war offensichtlich
der Vorstoß der Liberalen unter den Juden Wiens, die dadurch auch erreichen
wollten, dass das Judentum gesellschaftsfähiger wurde, was ihnen auch gelang –
den Antisemitismus Wiens in der zweiten Hälfte des 19. Jh. (und damit die Vorboten der Katastrophe des 20. Jh.) aber nicht verhindern konnte.
So kam es also zur Reform des israelitischen Kultus in einer jüdischen Gemeinde
von Wien, die rechtlich gar keine war, eine „typisch österreichische“ Situation.29
Der durch den Rabbiner Isaak Noah Mannheimer und den Kantor Salomon Sulzer
herausgebildete Wiener Kultus, der sogenannte „Wiener Minhag“ (jüdische Liturgie) war ein Kompromiss zwischen Konservativen und Modernen, eine typisch
österreichische Lösung, getragen vom dänisch-jüdischen Reformrabbiner Mannheimer, der in Wien eben keinen radikalen Reformtempel eröffnen wollte,
sondern beabsichtigte, dass „neue Institutionen nicht für einen Theil, sondern für
die ganze Gemeinde sein sollten, und in solcher Weise suchte er den Spaltungen
28
Avenary, Pass und Vielmetti 1985, 26; s. a. Wolf 1863. Er zitiert den kaiserlichen Erlass auf den
S. 10 f. wörtlich. Aus dem Erlass wird auch ersichtlich, dass es dem Kaiser um die Integration der
Juden ging, um ihre Assimilierung, wobei die Formulierungen doch teils die alten Vorurteile
widerspiegeln:
„Dieser Gesichtspunkt bezielt den Zweck, die Sitten, sowie die Lebens- und Beschäftigungsweise
der Juden unschädlich zu machen und sie, so viel möglich, mit jenem der bürgerlichen Gesellschaft,
in welche sie aufgenommen sind, allmälig in gemeinnützige Uebereinstimmung zu bringen.
Die Mittel, um zu diesem Zwecke zu gelangen, liegen allerdings in der angemessenen Einwirkung
auf die religiöse, sittliche und intellectuelle Bildung der Juden, in der Aufmunterung zur Ergreifung
solcher Erwerbszweige, welche ihr Interesse mit jenem des Staates in Uebereinstimmung zu bringen
geeignet sind; endlich in der allmäligen Beseitigung der Isolierung und Absonderung der Juden in
ihren Verhältnissen zu dem Staatsverbande. Allein die Anwendung dieser Mittel läßt verschiedene
Stufen zur Entwicklung zu und macht sie bei den oben bemerkten Verhältnissen der Juden in
Meinen Staaten sogar nothwendig.“
In seiner Fußnote auf S. 10 bemerkt Wolf, dass der damalige Polizeipräsident Graf Sedlnitzky am
28. Juli 1819 der Hofkanzlei die Anzeige macht, dass ein gewisser Elieser Liebermann ein Journal
„Syonia“ herausgeben wolle, was von der Hofkanzlei positiv aufgenommen wird. Der Bericht der
Polizeioberdirektion weist auch deutlich die Tendenz auf, dass die Reformen der Judengemeinde
begrüßt werden, weil dadurch die Isolierung der Juden ein Ende finden könnte.
29
Zur Emanzipationshoffnung der Juden zu Beginn des 19. Jh. und wie sie vom Wiener Kongress
weitgehend enttäuscht und verzögert wurden, siehe Wolf 1861, 9–14.
113
vorzubeugen und das höchste Gut, den Frieden, zu wahren“.30 Für diese Frieden
stiftende Kompromisshaltung konnte Mannheimer dann eben auch Salomon
Sulzer gewinnen, der ein ausgezeichneter Sänger war.
2.3.1 Isaak Noah Mannheimer
Mannheimer selbst war politisch progressiv. Er setzte sich sehr stark für die
Emanzipation des Judentums ein. In Dänemark, wo er um seinen Abschied bat,
bekam er neben der Gewährung seines Abschieds von der königlichen Kanzlei
eine Belobigung: Es hieß, die Kanzlei könne „nicht unterlassen, Ihnen die
besondere Zufriedenheit dieses Collegiums mit dem Fleiße, den Kenntnissen und
der Tüchtigkeit, mit welcher Sie diesem Amte vorgestanden sind, zu erkennen zu
geben“ (Wolf 1863, 13). 1824 kam er dann nach seinem Abschied von Kopenhagen nach Wien, um dort den im Bau befindlichen und 1826 fertiggestellten
Stadttempel in der Seitenstettengasse zu übernehmen. Einige der Wiener Juden
wollten die Hamburger Reform auch in Wien einführen, darum hatten sie
Mannheimer bereits 1821 eingeladen, der Rabbi der Wiener Juden zu werden.31
Schon in Dänemark hatte er in der Landessprache gepredigt, obwohl das
Hebräische auch nicht ganz zurückgedrängt, war er doch Sohn eines chasan.
Er bekannte freimütig, in der Predigtkunst viel von seinen christlichen Kollegen
gelernt zu haben.32 Trotzdem wies er in Wien die radikale Reform zurück, ohne
jedoch die, die ihn geholt hatten, damit auf Dauer zu enttäuschen. Er hielt an
Hebräisch als Gebetssprache fest, verteidigte die Beschneidung als fundamental
und ließ zum Gottesdienst keine Orgel zu. Die Predigt aber war auf Deutsch.
Dieser „Wiener Minhag“ fand Nachahmung in den jüdischen Gemeinden
Österreichs, Ungarns und Böhmens. Mannheimer engagierte sich auch sozial. Er
gründete Wohltätigkeitsorganisationen und Kulturvereine. Er kämpfte für die
Rechte der Juden in der Wiener Gesellschaft und wollte die legale Anerkennung
30
So charakterisiert von Wolf 1863, 13. Diese Haltung hatte Mannheimer, als er zwischen 1821 und
1824 gar nicht in Wien war, sondern sich nur brieflich um solche Probleme kümmern konnte.
Mannheimer hatte bei seinem ersten Wienaufenthalt den Bau der Synagoge in der Seitenstettengasse
angeregt und das Wunder vollbracht, aus vielen streitenden Splittergruppen eine Gemeinde zu
bauen. Dann war er wieder nach Dänemark gegangen, um via Berlin 1824 wieder nach Wien zu
kommen (ibid., 12 f.).
31
So begründet bei Idelsohn 1975, 246; ebenso Wolf 1863, 12.
32
Diese Haltung teilten auch etliche seiner jüdischen Kollegen. Vergleiche Altmann 1964, 70 –74.
Ihre Vorbilder waren Leute wie Schleiermacher und Dräseke. Der neue Predigtstil in der Synagoge
legte großen Wert auf Homiletik und korrekte Exegese. Extreme sollten vermieden werden. Der
Sinn der Predigt war die Erbauung, und zwar jene Erbauung, die den Menschen besserte, veredelte.
Mannheimers Interesse an Erbauung und Andacht war sehr stark; er betrieb es bereits in den
einleitenden Gebeten zu seinen Predigten. Im oben zitierten Aufsatz von Alexander Altmann finden
sich solche Beispiele aus Mannheimers Gottesdienstlichen Vorträgen aus dem Jahre 1834 (siehe
ibid., 101, zur allgemeinen Studie aber schon ab 75).
114
der Judengemeinde durch die Stadt Wien erreichen. Mit 24 anderen Rabbinern
aus Österreich erreichte er die Abschaffung des Eides more judaico.33 Dies war
ein großer Erfolg, wenn auch sein eigener Eidesformelvorschlag von den Behörden nicht angenommen wurde. Er kämpfte gegen die beschränkte Zulassung von
jüdischen Studenten zur Wiener Universität sowie gegen die Judensteuer. Seiner
Gemeinde wird er um die Jahrhundertmitte zu gefährlich, da die antisemitischen
Gefühle der Bevölkerung zunehmen und man Angst hat, dass Mannheimer die
Behörden zu sehr provoziere (so hat er sich z.B. vor dem Reichstag für die Abschaffung der Todesstrafe eingesetzt). Darum bat man ihn, von der Politik Abstand zu nehmen, was er auch tat, obwohl nur widerstrebend (Roth und Wigader
1972, Bd. 11, 890f.).
2.3.2 Salomon Sulzer aus Hohenems
Über ihn und seine Wurzeln in Vorarlberg wissen wir nicht wenig, hat doch sein
Vater Joseph Sulzer im Jahre 1841 eine Autobiografie verfasst, in der er die
Geschichte der Familie Levi-Sulzer bis zum Beginn des 17. Jh. zurückverfolgt
(vgl. Purin 1991a). Interessant ist der Stammbaum deshalb, weil es offenbar wird,
33
Auch juramentum judaeorum genannt. Diese Eidesform musste von Juden seit dem Mittelalter in
Gerichtssachen mit Nichtjuden geleistet werden. Die Form und die Sprache des Eides hatten es
darauf abgesehen, die Juden in der Öffentlichkeit zu demütigen; sie symbolisierten sozusagen eine
Art Selbstverfluchung der Juden mit genau detaillierter Aufzählung der verschiedenen Strafen im
Falle des Meineids. Die Eidesformel zeigte ganz offen das Misstrauen der Gesellschaft den Juden
gegenüber. In Europa gab es solche Eidesformeln speziell für Juden seit Karl dem Großen bis ins
18. Jh., an manchen Orten, wie eben in Wien, auch länger. In Deutsch gibt es noch Manuskripte aus
dem 12. Jahrhundert aus Erfurt und Görlitz. Der Eid musste auf die Hebräische Bibel geleistet
werden. So ein Beispiel aus dem deutschen Schwabenspiegel (circa um 1275), nachdem ein Jude
sagen musste, dass im Falle seines Meineids er sich beim Essen beflecken würde wie der König von
Babylon, dass es Feuer und Schwefel auf seinen Nacken regnen würde wie auf Sodom und
Gomorra, dass die Erde ihn verschlingen würde wie Korah, Dathan und Abiram, dass er den
Aussatz bekäme wie Naëman, dass der Fluch des Christusblutes auf sein Haupt käme am Tag des
Gerichts, beim Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, Amen. Nicht alle christlichen Eidesformeln für
Juden waren so unfreundlich, doch die Tendenz war immer eindeutig. So forderte man z. B., dass
der Jude bei der Eidesleistung auf einer Ziegenhaut stehen müsste (Teufelssymbol) oder überhaupt
auf der blutigen Haut eines frisch geschlachteten Schweines, das in den letzten 14 Tagen Junge
geworfen haben und dessen Haut auf dem Rücken aufgeschnitten sein musste, dass die Zitzen
sichtbar seien, auf denen der Jude dann zu stehen käme ... Solcherart Entehrung stieß auch bei
Christen auf Widerspruch, und so gab es ein ewiges Hin und Her. Für die Juden zu sprechen war
lebensgefährlich, so z. B. für den Erzbischof Ruthard von Mainz Ende des 14. Jh., der von
Kreuzfahrern fast getötet worden wäre, weil er für die Juden sprach. Doch die mittelalterlichen
Vorurteile hielten sich bis ins 19. und 20. Jh.: So gab es noch im deutschen Kleve des Jahres 1892
einen Ritualmordprozess gegen den jüdischen Schächter des Ortes, in dem der Angeklagte aber
wegen erwiesener Unschuld freigesprochen wurde (Roth und Wigader 1972, Bd. 12, 1302 f.; Keller
1974, 263; der Letztere bringt noch einige andere antisemitische Details aus dem Schwabenspiegel.
Ebenso Schilling 1963, 89–92, 138–141, 159 f.).
115
dass praktisch ein Ahnvater für zwei Familien gültig ist, noch eine dritte Familie
dazukommt, dieses genetische Erbe aber alles in den Eltern von Salomon Sulzer
wieder zusammenfindet (ibid., 20).
Die schlechten Geschäfte der Familie Sulzer führen dazu, dass Salomon Sulzer
auch wegen der Geldknappheit nach Wien geht (ibid., 23). Am 9. Dezember 1825
erreicht ein Brief Mannheimers Salomon Sulzer in Hohenems. Mannheimer lässt
Sulzer die Kriterien für Verwendbarkeit eines chasans wissen. Am 18. Dezember
1825 antwortet Sulzer: In dieser Antwort macht er sich 23 Jahre alt (wegen der
24, die ein chasan mindestens alt sein sollte!) und schreibt über sein beträchtliches Einkommen in Hohenems (das sollte ihm eine gute Ausgangsposition für
die Wiener Gehaltsverhandlungen bescheren) – in Wirklichkeit war seine Hohenemser Finanzsituation eher bescheiden. Er lässt Mannheimer auch wissen, dass er
mehrere Musikinstrumente beherrscht (Avenary, Pass und Vielmetti 1985, 34).
Sulzer verkaufte sich also gut, war auch wirklich kein schlechter Musiker. Und
mit dem Alter musste er es aufgrund seiner Erfahrung auch nicht genau nehmen.
Er war auch nicht am Rand der Welt aufgewachsen, denn die Hohenemser Judengemeinde hatte ihre eigene Geschichte und erlebte nach 1800 eine außerordentliche kulturelle Blüte. Seit 1617 waren die Juden in Hohenems angesiedelt.
Dies war möglich, weil Hohenems staatsrechtlich nicht zu Österreich gehörte. Der
Reichsgraf Kaspar von Hohenems hatte 1617 verfügt, dass der Handel der Region
116
durch Ansiedlung von Juden in diesem Gebiet zwischen Österreich und der
Schweiz belebt werden sollte. Hohenems war zugleich Land (Grafschaft) und
gerichtliche Gemeinde. Es wurde jedoch christlich verwaltet, und die Landammänner erweisen sich leider häufig als bittere Gegner der Juden. Dennoch
verdankte man in diesem Gebiet den Juden die Prosperität des Landes. Zuweilen
wurde die Ausweisung der Juden gefordert, doch ein administratives Gutachten
von 1768 hält fest, „daß die juden ... der grafschaft Hohenems wenigstens für
dermalen so zu sagen notwendig seien, wenn man nicht ... den mit christen sehr
dünn besetzten flecken Embs nahezu völlig auf einmal veröden will“ (Tänzer
1955 [1905], 155, zit. v. Burmeister 1991, 27).
Vor einem solchen historischen Hintergrund gelingt es der jüdischen Gemeinde,
sich mehr und mehr zu emanzipieren und es nach 1800 zu einer regelrechten
Blüte zu bringen. Ab 1800 gibt es in Hohenems einen Frauenverein der Hebräer,
seit 1783 bereits einen Talmud-Tora-Verein, seit 1813 eine Lesegesellschaft, die
etwas liberal eingestellt ist und die Zeremonielosigkeit des Gottesdienstes anstrebt
(radikale Reform). Es gibt verschiedene Unterrichtsstiftungen, so unterstützt
Familie Levi z.B. den Hebräischunterricht.
Salomons Kantorberuf hat eine gewisse Familientradition. Er verdankt seine erste
Ausbildung dem Kantor von Endingen, als er noch ein pubertärer Knabe war. Mit
dem Kantor Lippmann zieht er in seiner Jugendzeit als Hilfssänger durch
Frankreich. Das erste Mal wird ihm von seiner Heimatgemeinde die Stelle als
Vorsänger in der Synagoge von Hohenems im Alter von 11 Jahren angeboten,
nach dem Tod des alten Kantors. Damit ist der Knabe natürlich überfordert, hat er
doch das erforderliche Mindestalter von 24 Jahren noch lange nicht erreicht. Ab
1820 aber wird er dann mit 16 Jahren wirklich zum provisorischen Vorsänger von
Hohenems. Salomon Sulzer ist also sozusagen im Goldenen Zeitalter der Juden
von Hohenems dort aufgewachsen.34
Am 23. Dezember 1825 wird Sulzer durch die Vertreter der Judenschaft Wiens
als neuer Kantor angenommen (s. Brief bei Avenary, Pass und Vielmetti 1985,
28). Der Chor der Synagoge ist schon 1814 gegründet worden (Quellen ibid.,
39–43). Sulzers Eintreffen sorgt für folgende Notiz:35
Aufforderung ... an Knaben welche sich beym Chorgesange verwenden
wollen. Knaben und studirende Jünglinge israelitischer Religion welche Talent
zum Gesange haben, und sich hierin bey dem hiesigen öffentlichen Gottesdienste verwenden wollen, belieben sich deshalb bey Einem der Unterzeich34
Burmeister 1991. Zur Jugend Sulzers in Hohenems, seiner Entwicklung zum Kantor seit frühester
Kindheit sowie zur Bedeutung Sulzers in Wien vgl. a. Mandell 1967.
35
Zit. v. Avenary, Pass und Vielmetti 1985, 43. S. a. Pass 1991. Bald nach seiner Ankunft in Wien
heiratet Salomon Sulzer seine Fanny (geboren 1809). Sie wird ihm zwischen 1829 und 1855
sechzehn Kinder gebären, bei der Geburt ihres letzten Kindes stirbt sie. Ihr Portrait bei der
Vorarlberger Landesausstellung wurde 1857 posthum nachgemacht (rekonstruiert). Siehe Purin
1991 b , 94f. Siehe dazu auch Avenary, Pass und Vielmetti 1985, 286 f.
117
neten zu melden, worauf sie von dem Vorbether im Gesange unentgeldlichen
Unterricht, und für ihre Verwendung eine verhältnismäßige Remuneration
erhalten werden. – Wien, den 1ten März 1826, die Vertreter.
Am 9. April 1826 kommt es dann zur Einweihung des Stadttempels. Es erscheint
ein Bericht darüber in der Allgemeinen Theaterzeitung und Unterhaltungsblatt für
Freunde der Kunst und des geselligen Lebens, Wien, 27. 4. 1826. In diesem
Bericht wird die Einweihung sehr wohlwollend beschrieben, der schöne Gesang
des Salomon Sulzer (Psalm 84 und 24), eines zweiten Sängers und eines 30stimmigen Chores sehr gelobt. Dazu kommt ein Gebet Mannheimers für den
Kaiser, die Kaiserin, den Kronprinzen und die Minister sowie Musik zu den
Psalmen von Joseph Drechsler, der ebenfalls sehr gelobt wird (Avenary, Pass und
Vielmetti 1985, 45ff.).
2.3.3 Sulzer und seine ökumenische Auswirkung in Wien
In Wien war damals das Problem der Judenemanzipation dauernd gegenwärtig:
Das Problem bestand auch in der äußeren Kenntlichkeit der Juden wegen
gewisser Kleidungsvorschriften. Walter Pass lobt Sulzer in diesem Zusammenhang wegen seines ökumenischen Engagements, wegen seines Eintretens für
Humanität und Menschenwürde über soziale Grenzen hinweg – eben durch seine
Musik. Sulzer war sehr staatsbürgerlich gesinnt, und mit seinem musikalischen
Engagement in Wien überwand er die Glaubensschranken. So soll Sulzer mit
seinen Kompositionen einen guten Teil zur Judenemanzipation im Wien des 19.
Jh. beigetragen haben (Pass 1991, 52–55, 60). Er war ja von Mannheimer
beauftragt worden, den Gottesdienst zu reformieren. Sulzer nahm seine Aufgabe
sehr ernst (vergleiche weiter oben das Inserat für die Chorknabensuche). Im Laufe
seiner Wiener Zeit bringt Sulzer sein Werk Schir Zion heraus, in dem von 150
Gesängen ganze 37 aus der Feder von christlichen Komponisten stammen. Das
musikalische Engagement Sulzers führt dazu, dass auch viele Nichtjuden in Wien
in die Synagoge kommen, nur um Sulzer und seinen Chor zu hören.36 Er betreibt
einen fünf- bis achtstimmigen a-cappella-Stil. Die wichtigsten Musiker, wenn sie
nach Wien kommen, wollen ihn hören – so Meyerbeer und Schumann. Sulzers
und Mannheimers Gottesdienste sind als die besten Wiens bekannt (ibid., 63).
Es gab wiederholt Bestellungen synagogaler Kompositionen bei christlichen
Komponisten: z.B. bei Beethoven im Januar 1825. Aus seinen Konversationsbüchern ist noch die Unterhaltung Beethovens mit seinen Verwandten Karl und
Johann zu diesem Thema rekonstruierbar. Die beiden misstrauen den Juden
offensichtlich, wollen Beethoven einreden, dass er sich nur ja Honorargarantien
36
Pass 1991, 56. Vgl. die ähnliche Haltung der Wiener zur damaligen Kirchenmusik, wie sie in
dieser Arbeit beschrieben wurde.
118
geben lässt. Die Juden kommen auch und erkundigen sich bei Beethoven, ob ihm
der Text gefalle. Wahrscheinlich hat Beethoven sogar die Melodie mancher
jüdischer Gesänge erhalten, denn im Streichquartett op. 131, im kurzen Satz Nr.
6, ist die Melodielinie des Kol nidrei nachweisbar. Leider hat Beethoven den
Wünschen der jüdischen Gemeinde nicht entsprochen (vgl. Avenary, Pass und
Vielmetti 1985, 48–51).
Im Schir Zion aber sind einige der besten Komponisten Wiens vertreten: Seyfried
mit zwei Kompositionen, Schubert mit einer, Joseph Fischhof mit sechs, Wenzel
Wilhelm Würfel mit drei, Joseph Drechsler sogar mit sechzehn, Franz Volkert mit
neun.37 Sehr bald nach seiner Ankunft in Wien ist bereits Sulzers Bekanntschaft
mit Schubert nachweisbar, der Sulzer wegen dessen ausgezeichneter Interpretation von Schubertliedern hoch schätzt und für das Werk Schir Zion im Juli 1828
den Psalm 92 vertont (D. 953). Dieses Werk ist musikalisch sehr schön, doch
offenbart natürlich Schuberts Unkenntnis der richtigen Betonung in der
hebräischen Sprache.38 Sogar an Meyerbeer wandte man sich 1856 um eine Komposition, doch der Jude Meyerbeer rührte sich nicht, es ist keine Reaktion
nachweisbar (Avenary, Pass und Vielmetti 1985, 54).
Sulzers eigene wichtigste Werke in seiner Wiener Zeit sind die zwei Bände Schir
Zion, dann die Dudaim (ein kleines liturgisches Gesangbuch), eine große Anzahl
von geistlichen Chorliedern. Zwei weltliche Gesänge sind nachweisbar: das
Tyroler Lied (1848), das durch Johann Strauß im Volksgarten aufgeführt wurde
und der Verbrüderungsbewegung dienen sollte. 1849 komponiert er für die Frau
von Erzherzog Johann ein Männerquartett. Solche Aktionen begründen mit seinen
Verdienst um die soziale Anerkennung der Juden in Wien (Pass 1991, 64–67).
Sulzer selbst ist mit den Musikerpersönlichkeiten Wiens selbstverständlich in
dauernder Verbindung. So sehr sein Schir Zion ein Reformwerk gegen die „polnischen Opernarien und Singsang“ ist,39 so sehr aber strebt er auch nach der westlichen Musik. Von einem Abend, an dem er ein Schubertlied („Die Allmacht“)
vortrug, gibt es noch ein historisches Zeugnis: Liszt war auch zugegen gewesen
und bedankte sich bei Sulzer mit einer kleinen Karte: aufgeklebte Lorbeerblätter
und Überschrift: „An Sulzer, den begeisterten Sänger der ‚Allmacht‘, der
dankbare Franz Liszt“ (Avenary, Pass und Vielmetti 1985, 88). Dies war am 18.
37
So bei Avenary, Pass und Vielmetti 1985, 48–51. Vergleiche auch Pass 1991, 61. Dort wird auf
die nichtsdestoweniger präsente Bindung Sulzers an den Aschkenasi-Ritus hingewiesen.
38
Siehe Jacobson 1986, 43. Vielleicht war Schuberts Unkenntnis der hebräischen Sprache auch der
Grund, dass dieses Werk erst 76 Jahre später uraufgeführt wurde, nämlich am 12. Mai 1904,
anlässlich eines Konzerts zu Ehren des 100. Geburtstags von Salomon Sulzer; s. Mandell 1967,
221–229. Eric Mandell geht von der Komposition des Stücks im Jahre 1827 aus (ibid., 221).
39
In dieser Weise verdeutlicht in seiner Vorrede zum Schir Zion, hier aufgrund meiner Quelle nun
in englischer Übersetzung zitiert: „I thought it my duty to consider, as far as possible, the traditional
tunes bequeathed to us, to cleanse the ancient and dignified one of the later accretions of tasteless
embellishment, to bring them back to their original purity, ant to reconstruct them in accordance
with the text and the rules of harmony“ (Gradenwitz 1967, 19).
119
März 1846 – obwohl er schon seit 1839 einem Vertrag zugestimmt hatte, durch
den er davon abgehalten werden sollte, woanders als in der Synagoge zu singen.
Er stimmte ja alle zur Andacht (nach einer Äußerung der Allgemeinen Zeitung des
Judenthums aus dem Jahre 1837), sein Amt machte ihn nicht zu einem
gewöhnlichen Sänger, der über sich verfügen konnte, sondern zu einem
Geistlichen. In diesem Vertrag fordert Sulzer natürlich gewisse materielle
Sicherstellungen, wenn er aufgrund der Bedeutung seines Amtes nur mehr
exklusiv für den Stadttempel zur Verfügung stehen sollte. Doch insgeheim hielt er
sich nicht daran und fuhr fort, verschiedentlich zu singen. Er unterrichtete auch
Gesang im Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde (Pass 1991, 57ff.).
2.3.4 Die Hauptanliegen der Reform
Die Hauptanliegen liturgischer Art werden bereits vor der Eröffnung des Wiener
Stadttempels in mehreren Ausschusssitzungen niedergelegt. Aus dem Protokoll
einer Sitzung vom 23. Jänner 1826 ist zu entnehmen, dass die damaligen Vertreter
der Wiener Judenschaft folgende Ziele hatten: (1) Herstellung der Ordnung, Ruhe
und feierlichen Stille während des Gottesdienstes. Unreinlich und unanständig
gekleideten Personen ist der Eintritt zu untersagen; alles Reden, Lachen etc. ist zu
vermeiden. Stille Gebete sind erlaubt, kein lautes Amen, keine Schreie, alles mit
mäßiger Stimme. Dem Vorbeter ist nicht stimmlich zuvorzukommen. Jede
Beschmutzung und Lärmbelästigung ist verboten. (2) Abstellung der bisherigen
Störungen. Kein Vorbeten von Fremden, Ordnung beim Kaddisch, kein Klopfen,
keine Verspätungen des Gottesdienstes etc. Dazu kamen noch Bestimmungen
über die Dauer des Gottesdienstes (ohne Wortverkündigung nicht mehr als zwei
Stunden, mit Wortverkündigung nicht mehr als drei) und andere liturgische
Bestimmungen – wie z.B., dass vor jedem Gottesdienst vom Vorbeter vor der
Lade im „gehörigen, einfachen, doch feierlichen Tone“ das „ma tobu“ vorzutragen ist (Wolf 1861, 24f.). Aus diesen Vorstellungen kann man natürlich auch
Rückschlüsse ziehen in Bezug auf die Probleme, die sie tatsächlich hatten.
Vor allem aber ging es um die Qualität des chasan, der folgenden Kriterien
genügen musste: (1) Er brauchte eine kräftige, sonore, ausgebildete Stimme, (2)
er musste über musikalische Einsicht und Fertigkeiten in Komposition und
Chorleitung verfügen, (3) er musste hinreichende Grammatikkenntnis des Hebräischen haben. In dieser Reform wurde das Schir Zion sozusagen zum Gesetzbuch
des neuen Synagogalgesangs. Das Ergebnis der Reform führte zu (1) einem
gehobenen sozialen Status des Kantors, (2) einem disziplinierten Verhalten im
Gottesdienst (keine Schunkeleien), (3) einem schlichten, wenig exzessiven Vortragsstil, (4) einer stärkeren musikalischen Fähigkeit des chasan (Noten, Harmonielehre, Chorleitung) und (5) zur Anhebung der jüdischen Gelehrsamkeit (in
der biblischen Sprache, in der Liturgie). Der polnische Schtetl-Stil wurde als
orientalisch und slawisch abqualifiziert, da dort nur Emotion und Ausdruck im
120
Zentrum stünden, nicht aber der Text. Aufgrund so vieler Schnörkeleien sei kein
genaues Metrum möglich. Nach 1850 schließlich setzte sich die Sulzer-Reform
auch im Osten Europas langsam durch (durch die Schaffung der „Chorschul’“).
Der Integrator Sulzer wurde letztlich von allen akzeptiert (Dombrowski 1991,
74–83).
Nach dreißigjähriger Amtszeit erhielt Sulzer anlässlich des Pessachfestes des
Jahres 5616 (das ist unser 1856) folgendes Schreiben von den Vertretern der
jüdischen Kultusgemeinde in Wien (Wolf 1861, 56f.):
Sehr geehrter Herr Sulzer!
Mit dem diessjährigen Osterfeste sind dreissig Jahre vollbracht, innerhalb
welcher Sie unausgesetzt Ihr eminentes Talent der Verkündigung des
göttlichen Namens in unserer Gemeinde geweihet haben. Allen jetzigen und
künftigen Sängern in Israel ein Vorbild, wird es unter uns stets gewürdiget
bleiben, dass Sie den Dienst Gottes demjenigen der Welt vorzogen.
Empfangen Sie unsern Glückwunsch, dass Sie der Versuchung dazu standhaft
widerstanden haben und mögen Sie dafür reichen Segen an Kindern und
Kindeskindern erschauen. Repräsentant Israels am Altare des Herrn, stellt sich
in Ihnen selbst auch die weite Verbreitung seines Geschlechtes dar. Zerstreut
leben die Ihrigen im Süden und Norden, im fernen Ost wie im entlegensten
Westen unseres Erdballes; aber sie alle bringen Ihnen Ehre und Freude, so wie
Ihr gefeierter Name ihnen zu Glück und Segen verhalf; – heute wie vor
dreissig Jahren dringt Ihre klangvolle Stimme mit ungeschwächtem Zauber in
die Herzenstiefen und noch lange nach uns werden die erhebenden Melodien
Ihres Schir Zion die Gemüther zur Andacht stimmen. Wir freuen uns dessen
aufrichtig und wünschen, dass Sie dieses Bewusstsein noch lange in
ungeschwächtem Wirken erhalten möge.
Musikbeispiele: Das Lied der Lieder (Jüdisches Museum Wien 1993).
Einige Lieder Salomon Sulzers:
„Ma towu“ („Wie schön sind ...“; oben erwähnt als „ma tobu“):
Wie schön sind deine Zelte Jakob, deine Wohnstätten, Israel! Durch die Fülle
deiner Gnade darf ich in dein Haus kommen, mich vor deiner heiligen Stätte
bücken in Furcht vor dir! Ewiger, ich liebe die Stätte deines Hauses, den Ort,
wo deine Ehre thront. Ich bücke mich, werfe mich nieder und knie vor dem
Ewigen, meinem Schöpfer. Ich richte mein Gebet zu dir, Ewiger, zur Zeit des
Wohlgefallens, Gott, in der Fülle deiner Gnade erhöre mich mit deiner treuen
Hilfe.
„Emet“ („Wahrheit“):
Das ist wahr und gewiß, daß du bist ihr Bildner, und kennst ihr innerstes
Gebilde, wie sie nur Fleisch sind und Blut.
Was ist der Mensch?
Aus dem Staube der Erde ist er entsprossen, und im Staube löst er sich auf;
setzt sein Leben daran, wie er sein täglich Brot gewinne; gleicht dem
121
Scherben, der gebrechlich ist; dem Grase, das verdorrt; der Blume, die
verwelkt; dem wandelnden Schatten; der Wolke, die vorüberzieht; dem Wind
der verweht; dem Stäubchen, das verfliegt, dem flatterhaften Traum, der
verflogen ist.
Im Vergleich mit den Aufnahmen der Sänger, die die Melodie nach den hebräischen Akzenten zur sparsamen Kithara singen, fällt deutlich auf, wie europäisiert
Sulzers Mehrstimmigkeit anmutet, sehr stark assimiliert; ein gewisser Kulturverlust ist nicht zu leugnen. Gleichzeitig aber muss man festhalten, dass er sein
Ziel erreicht hat: Die jüdischen Grundelemente dieser Musik sind bei aller
Reform und Assimilierung mit der westlichen Kultur immer noch hörbar.
So kann man doch abschließend sagen, dass die Biedermeierzeit in Wien sowohl
für die Kirchenmusik wie auch für die Synagogenmusik – und für diese vor allem
– eine ziemlich fruchtbare Zeit war, im politischen und gesellschaftlichen Sinne
(besonders für die Juden) wohl aber doch nicht die sogenannte „gute, alte Zeit“,
die wir zuweilen so gerne bemühen. Jedenfalls wird einmal mehr klar, dass das
Studium musikhistorischer Fragen nicht nur die Musik betrifft, sondern auch viele
gesellschaftliche Themen berührt – in unserem gegenständlichen Beispiel eben
vor allem die soziologischen Gegebenheiten des Biedermeier im Zusammenhang
mit der Musik, dem Habsburgerreich und der Wiener Gesellschaft und ihrer
Haltung gegenüber dem Wiener Judentum.
Literatur
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Abstract
This study examines how the culture of Biedermeier Vienna influenced the
development of the local Jewish synagogue. It portrays the persons who were
then the driving force of a reform in which the synagogue reacted to the spirit
of optimism at the time. Early 19th century Jews were aiming at
accommodating to and advancing in society; this is also reflected in the use of
music in the synagogue. The type of worship music used in the churches and
the synagogue is also of special interest in this context, as are the roots of
Jewish worship music. The traditions are old, their use varied, and the
relationship of Christian sacral music to synagogue music is evident.
Résumé
Cette étude examine comment la culture de Vienne à l’époque de Biedermeier
a influencé le développement de la synagogue locale. Elle présente les
personnes qui étaient la force mouvante d’une réforme dans laquelle la
synagogue a réagi à l’esprit d’optimisme de l’époque. Au début du 19e siècle,
l’objectif des Juifs était de s’adapter et d’avancer dans la société. Cela est aussi
présent dans l’utilisation de la musique dans la synagogue. Le type de musique
de culte utilisé dans les églises et dans la synagogue est d’un intérêt particulier
dans ce contexte, ainsi que les racines de la musique de culte juive. Les
traditions sont anciennes, leur utilisation est variée, et la relation entre la
musique sacrée chrétienne et la musique de la synagogue est évidente.
Heinz Schaidinger, M.T., M.A., Mag. phil., Mag. phil., Dozent für Historische
Theologie und Philosophie, Seminar Schloss Bogenhofen, Österreich
E-Mail: [email protected]
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