Geschichte und Grundzüge der klassischen Rhetorik

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Geschichte und Grundzüge der klassischen Rhetorik
1. Was ist Rhetorik?
Unter Rhetorik versteht man die Kunst der Beredsamkeit und die Lehre von
der kunstmässig geübten Rede,
ihrem Aufbau,
ihren Ausdrucksformen
und ihrer sprachlich-stilistischen Ausgestaltung.
... sowie auch die Wissenschaft, die sich mit der Redekunst beschäftigt.
Eine Arbeitsdefinition von Rhetorik kann sein:
Die Beredsamkeit sowie die Lehre von der kunstmässig geübten Rede
(und Schreibe!), ihren Regeln, ihrem Aufbau, ihren Ausdruckmitteln und
Stilformen.
2. Die Entwicklung der Rhetorik
In der Antike war die Redekunst (Rhetorik) wesentlich bedeutender als Naturwissenschaften. Bis
ins Mittelalter war das allgemeine Bildungsniveau relativ niedrig, wodurch die Beeinflussung eines
Redners eine wesentlich grössere Rolle spielte als heute. In Republik und Demokratie genoss die
Bevölkerung die Redefreiheit, die wiederum als Mittel zum Zweck eingesetzt wurde. So beruhte
der Erfolg eines Mannes zentral auf seinem Wissen der Rhetorik. Sie zeigte seine stilistischen und
dialektischen Fähigkeiten sowie sein psychologische und historisches Wissen der damaligen Zeit.
Die Rhetorik war das "Hauptfach" damaliger Ausbildung der "septem Artes Liberales", der so
genannten sieben freien Künste, die zur Ausbildung von Theologen, Juristen, Diplomaten,
Politikern und Verwaltungsbeamten gehörte. Damals waren Mathematik und Physik brotlose
Künste, während Medizin ein bürgerliches Auskommen sicherte. Rhetorik war eine conditio sine
qua non auf dem Weg zu Macht und Wohlstand.
Der blumige und pathetische Stil aus Sizilien, der sich nach dem Sturz des Diktators um das 5. Jh.
a. C. n. in öffentlichen Reden konstituierte, gelangte zwischen dem 5. und 2. Jh. a. C. n. nach
Griechenland, von wo aus Cicero etwa im Jh. a. C. n. die Lehren der Rhetorik ins römische Reich
brachte. Dieser Stil (barock-affektisch) bedient sich exzessiv stilistischer Mittel, nach Cicero war
dies "der leere Prunk der Worte, ersonnen, um den Augenblick zu schmücken."
Der sizilianische Stil veränderte sich in Griechenland auch zum attischen (klassisch-gemässigter)
Stil, der mehr Richtung Psychologie und Dialektik tendierte; die Diskussion für oder wider die
Rhetorik war bald Sache der Philosophie.
Die vielen Rednerschulen, vorher Akademien der Gelehrten, Politiker etc. und die
wissenschaftliche Beschäftigung mit der Rhetorik führten zu unzähligen Schriften über die
Redekunst.
3. Die Redner der alten Zeit
Der Einfluss der Rhetorik auf innerpolitische Machtkämpfe hat seine eigene Geschichte. Die
Geschichte vom streitenden Sizilien über das philosophische Griechenland zum lehrenden
römischen Reich repräsentiert prägnant die Entwicklung der Rhetorik und ihrer Lehren.
SIZILIEN: 5. JAHRHUNDERT VOR CHRISTUS
Auf Sizilien wurden die erste Rednerschulen gegründet, eine wissenschaftliche Beschäftigung mit
der Redekunst setzte ein. Korax und Teisias aus Sizilien, die nach der Abschaffung des
Tyrannen 465 a. C. n. ausbrechende Streitigkeiten und Interessengegensätze von allgemeinem
Interesse vor der Öffentlichkeit verhandeln, waren nach Ansicht Ciceros und Aristoteles die
Ersten, die sich mit der Rhetorik beschäftigen.
Christoph Egli
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GORGIAS VON LEONTINOI
Gorgias von Leontinoi begeisterte die Athener und unterrichtete zahlreiche Schüler in der
Redekunst. Seinen Unterricht gestaltete er mit Musterreden, er erklärte in Theorien die
Möglichkeiten der Rhetorik. Alle Interpretationen von Reden trennte Gorgias streng zwischen
Philosophie und Rhetorik, was ihn letztlich zu einem antiphilosophischen Rhetoriker machte. Aus
seiner Schrift "Über die Natur" ist allerdings abzuleiten, dass er an der objektiven Erkenntnis des
Denkens zweifelte.
GRIECHENLAND: 5. BIS 2. JAHRUNDERT VOR CHRISTUS
Mit Gorgias von Leontinoi kam die Rhetorik nach Griechenland, wo sie in der neuen Demokratie
eine bedeutende Blüte erreichte.
DEMOSTHENES UND ARISTOTELES
Demosthenes (*385/84 +322), einer der bekanntesten Redner des Altertums, setzte die Rede als
Gegenwehr ein. Aus eigenen Rechtsstreitigkeiten um sein verlorenes Vermögen erlangte er
grosses Rechts- und Redewissen, das er später gezielt in der Politik einsetzte. Er mahnte das
"untätige Volk", die Machenschaften des Philipp von Makedonien zu hintertreiben; er war später
in politischen Ämtern und begriff sich stets im Kampf um Freiheit und Heimat.
Er verzichtete grundsätzlich auf Redeschmuck, denn es ging ihm um die Sache. Seine
Beweisführung ist von zwingender Logik, seine Sprache war, trotz ihrer Schlichtheit und eines
vielfach herben Ernstes, künstlerisch schön.
Aristoteles, bedeutender griechischer Philosoph und Naturforscher und Schüler Platons, war u. a.
Erzieher Alexanders des Grossen und gründete später eine eigene Schule. Dank seiner breiten
Anregungen und einer wertvollen eigenen Bibliothek war seine Schule Mittelpunkt der
wissenschaftlichen Forschung. Seine wissenschaftlichen Schriften sind weitestgehend erhalten;
er befasste sich mit unterschiedlichsten Themen: Physik, Tierkunde, Psychologie; die
metaphysischen Aufzeichnungen gelten als "erste Philosophien", ethische und politische wie
ästhetische Werke (u. a. Rhetorik und Bruchstücke der Poetik) sind von grossem Einfluss bis in
unsere Zeit.
Die Lehre des Aristoteles basiert auf den Lehren Platons, übertrifft diese aber im abstrakten
Denken, vor allem in seiner wissenschaftlichen Arbeit innerhalb seiner Schule. Die
zusammenfassende Theorie der Denkformen beruht darauf, dass alles Denken und Erkennen auf
der Ableitung des Besonderen aus dem Allgemeinen beruht.
ARISTOTELES erkannte die Anwendungsgebiete der Rhetorik: die Redegattungen.
RATSREDE: vor dem Volk, die zu- oder abrät;
GERICHTSREDE: vor Gericht, zur Entscheidung von Recht u. Unrecht;
PRUNK-/ FESTREDE: Lob oder Tadel über etwas Vorliegendes.
SOKRATES UND PLATON
Sokrates polemisierte gegen die Sophisten (Redner), berichtete später über die Ideenlehre und
deren Anwendung in Psychologie, Ethik und Naturwissenschaft. Seine Lehre über die Ethik,
entstanden in Ablehnung an die Sophisten und der darauf aufbauenden Erforschung der
Wahrheit, lehrte er auch Platon.
Platon, neben Aristoteles als grösster griechischer Philosoph bekannt, war im ständigen Kontakt
mit Sokrates, der für seine ganze Lebens- und Denkrichtung ausschlaggebend war. Er gründete
die Akademie, deren bedeutendstes Mitglied Aristoteles war, und veröffentlichte zahlreiche
Schriften.
Christoph Egli
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DAS RÖMISCHE REICH: 2. JAHRUNDERT VOR CHRISTUS
Sowohl die griechische als auch die römische Rhetorik gingen davon aus, dass nur in einer
Republik die Streitrede möglich war. In der Diktatur und der einhergehenden verlorenen
Redefreiheit verschwand die öffentliche Rede. Dazumal existierte die Rhetorik nur noch in
Rednerschulen, wo hauptsächlich ältere Reden analysiert und imitiert wurden. Diese Schulen
genossen meist besondere Protektion der römischen Kaiser, schliesslich verwandte man
geschickte Reden zur Beeinflussung, um das Regime in rituell verherrlichen und um Gegner zu
schmähen. Die letzten römischen Kaiser gründeten in allen grösseren Städten Rednerschulen,
die als Vorläufer der heutigen Gymnasien gelten. Dort wurde Grammatik (im alten Wortsinn: die
stilistisch-philologische Analyse vorbildlicher Texte analysieren), Dialektik (Problemanalyse) und
Ausdruckskunst (Rezitations- und Schauspielübungen) gelehrt.
MARCUS TULLIUS CICERO
Cicero (*106 v. Chr - 43) war römischer Redner und Schriftsteller. Nach rhetorischen und
juristischen Studien wurde er Gerichtsredner. Seine rhetorische und philosophische Bildung
erweiterte er in Reisen nach Athen und Kleinasien. Als Prätor, später Konsul und Anhänger der
Volkspartei setzte er seine Kenntnisse in der Politik ein. Hohles Pathos und Advokatenkniffe
waren Elemente seiner Reden; er wurde Meister und Bildner des klassischen Lateinischen Stils.
In seinen Schriften schliesst er sich dem technischen Stil an, seine Briefe erzählen die
Zeitgeschichte und das eigene Leben.
MARCUS FABIUS QUINTILIANUS
Quintilian (um 68 n. Chr.) war ein römischer Rhetoriker, der bekanntermassen der erste staatlich
besoldete Lehrer für Beredsamkeit war. Seine Schrift über die Ursachen des Verfalls der
Beredsamkeit ist verloren, hingegen ist sein Lehrbuch der Rhetorik, das noch heute vielen als
Vorbild dient, tradiert. Diese umfangreiche Schrift über die Erziehung, deren Ziel eine Person des
"idealen Redners" ist, ist im eigentlichen Sinne Aufarbeitung dessen, was bis dato auf dem
Gebiet der Rhetorik erforscht und geschrieben wurde. Er will nicht als Philosoph nach dem
Sachverständnis verstanden werden, sondern als Praktiker nach seiner Leistung beurteilt werden.
Er versteht ergo die Tätigkeit des Redners als praktisch und tugendhaft, denn "Philosophie kann
man nämlich heucheln, Beredsamkeit nicht."
4. Stilformen und Redegattungen der Rhetorik
Im Wesentlichen unterscheidet man zwei Stilformen in der Antike,
den ASIANISCHEN STIL (barock-affektiert), ausladend und geschmückt - man stelle
sich an dieser Stelle (Vorurteil!) einen Italiener vor;
den ATTISCHEN STIL (klassisch-gemässigt), der von Griechen und Römern aus dem
sizilianischen Stil entwickelt wurde; er agiert argumentativ-sachlich.
In den Redegattungen differenziert man drei Kategorien:
- Gerichtsrede: anklagend bzw. verteidigend (Gericht etc.);
- Beratungs- oder Ermahnungsrede: Beurteilung einer Sache und
entsprechender Massnahmen (Politik etc.);
- Lob- und Tadelrede: Schaffung einer Gesinnung ohne unmittelbare
Wirkung (Festrede).
5. Schlussanmerkung
Aus der klassischen Rhetorik lässt sich moderne Rhetorik, sofern eine solche überhaupt existiert,
ableiten. Grundlage für jede gute Präsentation sind unterschiedliche Techniken der
Textgestaltung, der Redegestaltung. Ob Aufbau, Funktion oder Wirkung, mit gezielter
Redetechnik gewinnt man seine Zuhörer und überzeugt. Die Macht der Rhetorik ist nicht zu
unterschätzen.
© Rudolf Merkle
Christoph Egli
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