Bereit für die Wildnis Obwohl sie unter Schutz stehen und der Handel mit ihnen verboten ist, werden Gibbons in Thailand unter erbärmlichen Umständen als Haustiere gehalten. Die Stiftung «Wild Animal Rescue Foundation of Thailand» macht die Menschenaffen wieder fit für ein Leben in der Wildnis und bringt sie zurück in die Freiheit. Text: Bernhard Matuschak 24 Natürlich | 8-2003 Foto: Rémy Steinegger Können ihr Gefängnis in Kürze verlassen: Gibbonmännchen Bo (Mitte) mit seinem Weibchen Lek und Baby Arun D r. Tums Blick schweift suchend durch die Baumwipfel der Urwaldriesen auf der grössten thailändischen Insel Phuket. Von den versprochenen Gibbons weit und breit keine Spur. Also mühen wir uns auf dem glitschigen Untergrund weiter den Berg hinauf. Jos Attacke trifft uns nur wenige Meter weiter völlig unvorbereitet. Urplötzlich stürzt sich das 17-jährige Gibbonmännchen aus einem der Wipfel und versucht Helena an den Haaren zu packen. Die Biologiestudentin aus Tschechien lässt sich geistesgegenwärtig zu Boden fallen, und Jos Hände greifen ins Leere. Genauso schnell wie er auftauchte, ist der Weisshandgibbon auch schon wieder im Laubdach verschwunden. «Jo hat Hunger. Als Familienoberhaupt muss er für sein Weibchen Kip, seinen Sohn Tong und seine Tochter Hope etwas zum Fressen besorgen. Er spürt, dass in Helenas Tasche Früchte sind», sagt Suwit Punnadee. Der Veterinärmediziner, den hier alle nur Dr. Tum nennen, leitet das «Gibbon Rehabilitation Project (GRP)», eine Initiative der Tierschutzorganisation «Wild Animal Rescue Foundation of Thailand», kurz WAR genannt, zu deutsch «Stiftung zur Befreiung wilder Tiere». Die Stiftung hat es sich unter anderem zur Aufgabe gemacht, in Gefangenschaft gehaltene Gibbons wieder für das Leben in der Freiheit fit zu machen und auszuwildern. «Es ist zwar seit rund 10 Jahren verboten, Gibbons als Haustiere zu halten, doch leider gibt es immer noch genügend Unbelehrbare, die es trotzdem tun», sagt Titivuth Kochasarnseen, Koordinator der WWF-Kampagne gegen den illegalen Wildtierhandel in Thailand. Noch heute sei es problemlos möglich, einen Junggibbon beim Tierhändler zu bestellen oder auf dem Markt zu kaufen. Was die vermeintlichen Tierliebhaber dabei nicht bedenken: Für jedes Junge werden in der Regel 2 bis 3 erwachsene Tiere getötet. Gibbons leben in Familienverbänden, Eltern und Geschwister verteidigen ihren Nachwuchs. Sie greifen an und werden dann von den skrupellosen Wilderern abgeschossen. Derzeit befinden sich rund 70 der Menschenaffen, vor allem Weisshandgibbons, in der Obhut von GRP. «Die meisten Tiere wurden uns von den Besitzern gebracht, weil sie nicht mehr mit ihnen zurechtkamen. Wenn Gibbons in die Pubertät kommen, verändert sich ihre Persönlichkeit. Aus den putzigen Teddys werden wilde Tiere, die gegenüber Fremden aggressiv werden und zubeissen, wenn man ihnen zu nahe kommt», sagt Dr. Tum. Besonders bedauernswert sei das Los der Strandgibbons, die in Bars gehalten werden. «Diese Tiere werden tagsüber mit Drogen ruhig gestellt, damit sie die Gäste nicht attackieren und am Abend mit Muntermachern wach gehalten. Gibbons gehen früh am Nachmittag schlafen. Sie bekommen Alkohol eingeflösst und rauchen zum Amüsement der Gäste Zigaretten.» Aus diesem Grund sind Tiere, die den Weg zum GRP finden, meist in gesundheitlich schlechtem Zustand und häufig verhaltensgestört. Tiere NATUR Leben auf den Bäumen Gibbons gehören zu den kleinen Menschenaffen und sind an das Baumleben angepasst. Der Lebensraum der insgesamt 11 Gibbonarten (die Arteneinteilung ist umstritten) erstreckt sich auf die südostasiatischen Nebel- und Regenwälder. Auffallendstes Merkmal aller Gibbons sind ihre langen und ausserordentlich beweglichen Arme und Beine, mit denen sich die Tiere festklammern und von Ast zu Ast schwingend fortbewegen. In Thailand kommen vor allem 4 Gibbonarten vor: der Weisshandgibbon (Hylobates lar), der Schwarzhandgibbon (Hylobates agilis), Kappengibbon (Hylobates pileatus) und Siamang (Symphalangus syndactylus). Gibbons ernähren sich von Früchten und Blättern. Sie sind monogam, bringen alle drei Jahre ein Junges zur Welt und leben in Familiengruppen von drei bis fünf Tieren. Die Lebenserwartung in freier Wildbahn liegt bei 25 bis 30 Jahren. Praktikanten werden selten Nach ihrer Ankunft im GPR kommen die Tiere erst einmal in die Quarantänestation neben dem Bürogebäude. 6 Monate lang werden sie dort getrennt in grossen Käfigen gehalten. In dieser Zeit müssen die Gibbons mehrere Gesundheitschecks über sich ergehen lassen. Dabei entscheidet sich das Schicksal jedes Individuums. Ihre genetische Nähe zum Menschen macht die Primaten empfänglich für Infektionskrankheiten wie Hepatitis oder Herpes. Die infizierten Tiere werden die Quarantänestation bis zu ihrem Tod nicht mehr verlassen, denn die Gefahr, dass sie Affenpopulationen durchseuchen und auch Menschen infizieren, ist zu gross. «Das Einzige, was wir für sie noch tun können ist, ihnen ein möglichst artgerechtes und würdevolles Leben in Gefangenschaft zu bieten», sagt Tum. Die gesunden Gibbons werden in grossen Gehegen am Rande des Khao Phra Taeo Wildlife-Parks, des mit 2228 Hektaren verbliebenen Rests tropischen Regenwaldes auf Phuket, für das Leben in der freien Wildbahn trainiert. Hier, neben dem Bang-Pae-Wasserfall, verbringen die Gibbons die letzten Monate in GefangenNatürlich | 8-2003 25 NATUR Tiere gefressen», sagt Tum. Das 11-jährige Weibchen Lek wurde als Haustier auf Phuket gehalten. Sie landete beim GPR, weil die Besitzer sie sich nicht mehr leisten konnten. Tochter Dao kam im Mai 2000 im Gehege am Wasserfall zur Welt. «Wir haben sie Dao – das bedeutet ‹Stern› – genannt, weil sie in einer sternenklaren Nacht geboren wurde», erläutert Tum. Sohn Arun – der «Morgen» – erblickte Kämpft für die Würde der Gibbons: Der Tierarzt Dr. Tum leitet die Stiftung zur Befreiung wilder Tiere in Thailand. Foto: Bernhard Matuschak schaft. 14 Tiere aus 4 Familien sollen noch in diesem Jahr in die Wildnis entlassen werden. Bis es soweit ist, kommt Dr. Tum täglich zur Stippvisite. «Wir wollen ganz sicher gehen, dass die Tiere nicht krank sind», erläutert der Tierarzt. Ausserdem werden Verhaltensprotokolle erstellt. «Das Verhalten der Gibbons in den Gehegen gibt uns Anhaltspunkte dafür, ob sie draussen im Wald überleben können oder nicht. Zeigen sie ähnliche Verhaltensmuster wie ihre wild lebenden Verwandten, so können wir sie beruhigter in die Freiheit entlassen», sagt Tum. Kurz nach Sonnenaufgang kehrt Leben in die grossen Gehege am Wasserfall ein. Das Rauschen des Wassers und das Zirpen der Zikaden werden vom mehrstimmigen Heulgesang der Menschenaffen übertönt. Auch Bo und Lek mischen kräftig mit. Das Elternpaar und ihre Kinder Dao und Arun werden als Nächstes in die Freiheit entlassen. Familienvater Bo wurde 1987 geboren. Als er 1993 bei der WAR-Zentrale in Bangkok abgeliefert wurde, war Bo klapperdürr und körperlich auf dem Entwicklungsstand eines dreijährigen Tieres. «Die Besitzer haben ihn mit Hundefutter ernährt. Da Gibbons kein Fleisch mögen, hat Bo kaum etwas Muss wieder lernen, in der Wildnis zu überleben: Gibbonmännchen Jo am 2. September 2003 kurz nach Sonnenaufgang das Licht der Welt. Eigentlich sollten Bo, Lek, Dao und Arun der Welt hinter Gittern schon den Rücken gekehrt haben, doch der Ausbruch der Lungenentzündung SARS hat Dr. Tum und seinem Team einen Strich durch die Rechnung gemacht. «Zurzeit erhalten wir wegen SARS viele Absagen. Die Leute aus Europa und Nordamerika haben Angst, zu uns zu kommen», klagt Tum. Das Gibbon Rehabilitation Project ist dringend auf Praktikanten angewiesen. Die Freiwilligen aus aller Welt sind noch wahre Idealisten: Sie arbeiten nicht nur im Projekt mit, sie zahlen auch für ihren Aufenthalt, je nach Dauer, zwischen 600 und 800 Franken pro Woche. Im Preis inbegriffen ist die Unterkunft, aber nicht die Verpflegung. Alleine durchkommen Meist sind es Biologiestudenten wie die Tschechin Helena oder Aussteiger wie die Unternehmensberaterin Cristina Casellas, die den Weg zum GRP finden. Die Spanierin arbeitete jahrelang für eine Consultingfirma in London. Dann hatte sie genug vom Bürojob. «Ich brauchte eine Pause und wollte etwas mit Tieren in der Natur machen.» Wenn die 29-Jährige die Nacht im Dschungel bei den Gibbons verbringen kann, ist sie glücklich. Dann spielt es keine Rolle mehr, dass sie wie früher mit festen Arbeitszeiten konfrontiert ist, um sechs Uhr morgens aus den Federn muss und sie pro Woche nur einen freien Tag hat. «Es ist nicht irgendeine Firma, die von meiner Arbeitskraft profitiert, es sind Lebewesen, und das gibt mir viel Befriedigung.» Für die Gibbons ist Cristina Casellas auch bereit, Dienst im GPRBungalow zu schieben, der neben den Gehegen am Bang-Pae-Wasserfall steht. Dort bekommen die wenigen Touristen, die es hierher verschlägt, Informationen über das Gibbonprojekt. Die grösste Aufmerksamkeit wird allerdings den in die Freiheit entlassenen Tieren zuteil: Sie stehen unter täglicher Beobachtung und müssen jeden Morgen gefüttert werden. Zu diesem Zweck werden Früchte in einem Korb mit Hilfe eines Flaschenzuges in die Wipfel gezogen, dort können sich die Gibbons bedienen. «Die Tiere sind in Gefangenschaft ohne die Anleitung der Eltern aufgewachsen und haben nie gelernt, ihr Futter selber zu suchen. Sie wissen nicht, welche Früchte sie fressen dürfen und von welchen Blättern sie die Finger lassen sollten. Es dauert Monate, bis sich die Tiere selber versorgen können», sagt Dr. Tum. Auch der Lebensraum, in den die Tiere entlassen werden, muss sorgfältig ausgewählt sein. Ein erster Freisetzungsversuch auf einer unbewohnten kleinen Insel scheiterte, weil es den Gibbons nicht gelang, sich einzuleben. So bewegten sie sich beispielsweise auf dem Boden fort, während wild lebende Gibbons das Geäst der Bäume nur äusserst selten verlassen. Die Auswilderung musste abgebrochen werden. Auch Gibbonmännchen Jo, seine 13-jährige Partnerin Kip, ihr 3-jähriger Sohn Tong und die in der Freiheit geborene Tochter Hope müssen noch viel lernen, bis sie sich im Regenwald selber versorgen können. Doch sie sind auf dem besten Wege dazu. «Anfangs mussten wir täglich 4 Kilo Früchte verfüttern, heute ist es noch knapp die Hälfte», sagt Tum. 20 Jahre, nachdem der Mensch die Weisshandgibbons auf Phuket ausgerottet hat, bringt das Gibbon Rehabilitation Project die Menschenaffen zurück in ihre alte Heimat. Als wir den Wald verlassen, stimmen Jo und Kip den für Gibbons so charakteristischen Duettgesang an. Dr. Tum ist glücklich. «Es geht ihnen gut.» ■ Foto: Juergen & Christine Sohns Foto: Juergen & Christine Sohns Überraschungsangriff: Jo beim Sturz aus dem Dschungeldach Den Wildtieren helfen Die «Wild Animal Rescue Foundation», kurz WAR, wurde 1990 gegründet und hat es sich zur Aufgabe gemacht, Wildtiere in Not zu retten. Neben dem «Gibbon Rehabilitation Project» auf Phuket kümmert sich die Stiftung vor allem um Arbeitselefanten. WAR wacht darüber, dass die Dickhäuter artgerecht gehalten werden und illegal in Städten gehaltene Tiere wieder in ländliche Gebiete versetzt werden. Ausserdem betreibt WAR eine mobile Tierklinik, die verletzte oder erkrankte Wildtiere in ganz Thailand medizinisch behandelt. Die notorisch finanzschwache Stiftung ist auf Spendengelder angewiesen. Kontakt: 235 Sukhumvit Soi 31, Bangkok 10110 Thailand, Telefon: 0066 2 662-0898 Telefax: 0066 2 261-9670 E-Mail: [email protected] Homepage: www.war-thai.org, Natürlich | 8-2003 27