24-27 Gibbon

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Bereit
für die Wildnis
Obwohl sie unter Schutz stehen und der Handel mit ihnen verboten ist,
werden Gibbons in Thailand unter erbärmlichen Umständen als
Haustiere gehalten. Die Stiftung «Wild Animal Rescue Foundation of
Thailand» macht die Menschenaffen wieder fit für ein Leben in der
Wildnis und bringt sie zurück in die Freiheit.
Text: Bernhard Matuschak
24 Natürlich | 8-2003
Foto: Rémy Steinegger
Können ihr Gefängnis in Kürze
verlassen: Gibbonmännchen
Bo (Mitte) mit seinem Weibchen Lek
und Baby Arun
D
r. Tums Blick schweift suchend
durch die Baumwipfel der Urwaldriesen auf der grössten thailändischen Insel Phuket. Von
den versprochenen Gibbons weit und
breit keine Spur. Also mühen wir uns auf
dem glitschigen Untergrund weiter den
Berg hinauf. Jos Attacke trifft uns nur
wenige Meter weiter völlig unvorbereitet.
Urplötzlich stürzt sich das 17-jährige
Gibbonmännchen aus einem der Wipfel
und versucht Helena an den Haaren zu
packen. Die Biologiestudentin aus Tschechien lässt sich geistesgegenwärtig zu
Boden fallen, und Jos Hände greifen ins
Leere. Genauso schnell wie er auftauchte,
ist der Weisshandgibbon auch schon wieder im Laubdach verschwunden.
«Jo hat Hunger. Als Familienoberhaupt
muss er für sein Weibchen Kip, seinen
Sohn Tong und seine Tochter Hope etwas
zum Fressen besorgen. Er spürt, dass in
Helenas Tasche Früchte sind», sagt Suwit
Punnadee. Der Veterinärmediziner, den
hier alle nur Dr. Tum nennen, leitet das
«Gibbon Rehabilitation Project (GRP)»,
eine Initiative der Tierschutzorganisation
«Wild Animal Rescue Foundation of Thailand», kurz WAR genannt, zu deutsch
«Stiftung zur Befreiung wilder Tiere». Die
Stiftung hat es sich unter anderem zur
Aufgabe gemacht, in Gefangenschaft gehaltene Gibbons wieder für das Leben in der
Freiheit fit zu machen und auszuwildern.
«Es ist zwar seit rund 10 Jahren verboten, Gibbons als Haustiere zu halten,
doch leider gibt es immer noch genügend
Unbelehrbare, die es trotzdem tun», sagt
Titivuth Kochasarnseen, Koordinator der
WWF-Kampagne gegen den illegalen
Wildtierhandel in Thailand. Noch heute
sei es problemlos möglich, einen Junggibbon beim Tierhändler zu bestellen oder
auf dem Markt zu kaufen. Was die vermeintlichen Tierliebhaber dabei nicht bedenken: Für jedes Junge werden in der
Regel 2 bis 3 erwachsene Tiere getötet.
Gibbons leben in Familienverbänden,
Eltern und Geschwister verteidigen ihren
Nachwuchs. Sie greifen an und werden
dann von den skrupellosen Wilderern
abgeschossen.
Derzeit befinden sich rund 70 der
Menschenaffen, vor allem Weisshandgibbons, in der Obhut von GRP. «Die
meisten Tiere wurden uns von den Besitzern gebracht, weil sie nicht mehr mit
ihnen zurechtkamen. Wenn Gibbons in
die Pubertät kommen, verändert sich ihre
Persönlichkeit. Aus den putzigen Teddys
werden wilde Tiere, die gegenüber Fremden aggressiv werden und zubeissen,
wenn man ihnen zu nahe kommt», sagt
Dr. Tum. Besonders bedauernswert sei das
Los der Strandgibbons, die in Bars
gehalten werden. «Diese Tiere werden
tagsüber mit Drogen ruhig gestellt, damit
sie die Gäste nicht attackieren und am
Abend mit Muntermachern wach gehalten. Gibbons gehen früh am Nachmittag
schlafen. Sie bekommen Alkohol eingeflösst und rauchen zum Amüsement der
Gäste Zigaretten.» Aus diesem Grund sind
Tiere, die den Weg zum GRP finden, meist
in gesundheitlich schlechtem Zustand
und häufig verhaltensgestört.
Tiere NATUR
Leben auf den Bäumen
Gibbons gehören zu den kleinen Menschenaffen und sind an das Baumleben angepasst.
Der Lebensraum der insgesamt 11 Gibbonarten (die Arteneinteilung ist umstritten)
erstreckt sich auf die südostasiatischen
Nebel- und Regenwälder. Auffallendstes
Merkmal aller Gibbons sind ihre langen und
ausserordentlich beweglichen Arme und
Beine, mit denen sich die Tiere festklammern
und von Ast zu Ast schwingend fortbewegen.
In Thailand kommen vor allem 4 Gibbonarten
vor: der Weisshandgibbon (Hylobates lar),
der Schwarzhandgibbon (Hylobates agilis),
Kappengibbon (Hylobates pileatus) und
Siamang (Symphalangus syndactylus).
Gibbons ernähren sich von Früchten und
Blättern. Sie sind monogam, bringen alle
drei Jahre ein Junges zur Welt und leben in
Familiengruppen von drei bis fünf Tieren.
Die Lebenserwartung in freier Wildbahn liegt
bei 25 bis 30 Jahren.
Praktikanten werden selten
Nach ihrer Ankunft im GPR kommen die
Tiere erst einmal in die Quarantänestation
neben dem Bürogebäude. 6 Monate lang
werden sie dort getrennt in grossen Käfigen gehalten. In dieser Zeit müssen die
Gibbons mehrere Gesundheitschecks über
sich ergehen lassen. Dabei entscheidet
sich das Schicksal jedes Individuums. Ihre
genetische Nähe zum Menschen macht die
Primaten empfänglich für Infektionskrankheiten wie Hepatitis oder Herpes.
Die infizierten Tiere werden die Quarantänestation bis zu ihrem Tod nicht
mehr verlassen, denn die Gefahr, dass sie
Affenpopulationen durchseuchen und
auch Menschen infizieren, ist zu gross.
«Das Einzige, was wir für sie noch tun
können ist, ihnen ein möglichst artgerechtes und würdevolles Leben in Gefangenschaft zu bieten», sagt Tum.
Die gesunden Gibbons werden in
grossen Gehegen am Rande des Khao
Phra Taeo Wildlife-Parks, des mit 2228
Hektaren verbliebenen Rests tropischen
Regenwaldes auf Phuket, für das Leben in
der freien Wildbahn trainiert. Hier, neben
dem Bang-Pae-Wasserfall, verbringen die
Gibbons die letzten Monate in GefangenNatürlich | 8-2003 25
NATUR Tiere
gefressen», sagt Tum. Das 11-jährige
Weibchen Lek wurde als Haustier auf
Phuket gehalten. Sie landete beim GPR,
weil die Besitzer sie sich nicht mehr leisten konnten. Tochter Dao kam im Mai
2000 im Gehege am Wasserfall zur Welt.
«Wir haben sie Dao – das bedeutet ‹Stern›
– genannt, weil sie in einer sternenklaren
Nacht geboren wurde», erläutert Tum.
Sohn Arun – der «Morgen» – erblickte
Kämpft für die Würde der Gibbons:
Der Tierarzt Dr. Tum leitet die Stiftung
zur Befreiung wilder Tiere in Thailand.
Foto: Bernhard Matuschak
schaft. 14 Tiere aus 4 Familien sollen
noch in diesem Jahr in die Wildnis entlassen werden. Bis es soweit ist, kommt
Dr. Tum täglich zur Stippvisite. «Wir wollen ganz sicher gehen, dass die Tiere nicht
krank sind», erläutert der Tierarzt. Ausserdem werden Verhaltensprotokolle erstellt. «Das Verhalten der Gibbons in den
Gehegen gibt uns Anhaltspunkte dafür,
ob sie draussen im Wald überleben können oder nicht. Zeigen sie ähnliche Verhaltensmuster wie ihre wild lebenden
Verwandten, so können wir sie beruhigter in die Freiheit entlassen», sagt Tum.
Kurz nach Sonnenaufgang kehrt Leben in die grossen Gehege am Wasserfall
ein. Das Rauschen des Wassers und das
Zirpen der Zikaden werden vom mehrstimmigen Heulgesang der Menschenaffen übertönt. Auch Bo und Lek mischen
kräftig mit. Das Elternpaar und ihre Kinder Dao und Arun werden als Nächstes in
die Freiheit entlassen. Familienvater Bo
wurde 1987 geboren. Als er 1993 bei der
WAR-Zentrale in Bangkok abgeliefert
wurde, war Bo klapperdürr und körperlich auf dem Entwicklungsstand eines
dreijährigen Tieres. «Die Besitzer haben
ihn mit Hundefutter ernährt. Da Gibbons
kein Fleisch mögen, hat Bo kaum etwas
Muss wieder lernen,
in der Wildnis zu überleben:
Gibbonmännchen Jo
am 2. September 2003 kurz nach Sonnenaufgang das Licht der Welt.
Eigentlich sollten Bo, Lek, Dao und
Arun der Welt hinter Gittern schon den
Rücken gekehrt haben, doch der Ausbruch
der Lungenentzündung SARS hat Dr. Tum
und seinem Team einen Strich durch die
Rechnung gemacht. «Zurzeit erhalten wir
wegen SARS viele Absagen. Die Leute aus
Europa und Nordamerika haben Angst, zu
uns zu kommen», klagt Tum. Das Gibbon
Rehabilitation Project ist dringend auf
Praktikanten angewiesen. Die Freiwilligen
aus aller Welt sind noch wahre Idealisten:
Sie arbeiten nicht nur im Projekt mit, sie
zahlen auch für ihren Aufenthalt, je nach
Dauer, zwischen 600 und 800 Franken pro
Woche. Im Preis inbegriffen ist die Unterkunft, aber nicht die Verpflegung.
Alleine durchkommen
Meist sind es Biologiestudenten wie die
Tschechin Helena oder Aussteiger wie
die Unternehmensberaterin Cristina Casellas, die den Weg zum GRP finden. Die
Spanierin arbeitete jahrelang für eine
Consultingfirma in London. Dann hatte
sie genug vom Bürojob. «Ich brauchte
eine Pause und wollte etwas mit Tieren in
der Natur machen.»
Wenn die 29-Jährige die Nacht im
Dschungel bei den Gibbons verbringen
kann, ist sie glücklich. Dann spielt es
keine Rolle mehr, dass sie wie früher mit
festen Arbeitszeiten konfrontiert ist, um
sechs Uhr morgens aus den Federn muss
und sie pro Woche nur einen freien Tag
hat. «Es ist nicht irgendeine Firma, die
von meiner Arbeitskraft profitiert, es sind
Lebewesen, und das gibt mir viel Befriedigung.» Für die Gibbons ist Cristina
Casellas auch bereit, Dienst im GPRBungalow zu schieben, der neben den
Gehegen am Bang-Pae-Wasserfall steht.
Dort bekommen die wenigen Touristen,
die es hierher verschlägt, Informationen
über das Gibbonprojekt.
Die grösste Aufmerksamkeit wird
allerdings den in die Freiheit entlassenen
Tieren zuteil: Sie stehen unter täglicher
Beobachtung und müssen jeden Morgen
gefüttert werden. Zu diesem Zweck werden Früchte in einem Korb mit Hilfe eines Flaschenzuges in die Wipfel gezogen,
dort können sich die Gibbons bedienen.
«Die Tiere sind in Gefangenschaft ohne
die Anleitung der Eltern aufgewachsen
und haben nie gelernt, ihr Futter selber
zu suchen. Sie wissen nicht, welche
Früchte sie fressen dürfen und von welchen Blättern sie die Finger lassen sollten.
Es dauert Monate, bis sich die Tiere selber
versorgen können», sagt Dr. Tum.
Auch der Lebensraum, in den die Tiere
entlassen werden, muss sorgfältig ausgewählt sein. Ein erster Freisetzungsversuch
auf einer unbewohnten kleinen Insel scheiterte, weil es den Gibbons nicht gelang,
sich einzuleben. So bewegten sie sich beispielsweise auf dem Boden fort, während
wild lebende Gibbons das Geäst der Bäume
nur äusserst selten verlassen. Die Auswilderung musste abgebrochen werden.
Auch Gibbonmännchen Jo, seine
13-jährige Partnerin Kip, ihr 3-jähriger
Sohn Tong und die in der Freiheit geborene Tochter Hope müssen noch viel
lernen, bis sie sich im Regenwald selber
versorgen können. Doch sie sind auf dem
besten Wege dazu. «Anfangs mussten
wir täglich 4 Kilo Früchte verfüttern,
heute ist es noch knapp die Hälfte», sagt
Tum. 20 Jahre, nachdem der Mensch die
Weisshandgibbons auf Phuket ausgerottet hat, bringt das Gibbon Rehabilitation
Project die Menschenaffen zurück in ihre
alte Heimat. Als wir den Wald verlassen,
stimmen Jo und Kip den für Gibbons
so charakteristischen Duettgesang an. Dr.
Tum ist glücklich. «Es geht ihnen gut.» ■
Foto: Juergen & Christine Sohns
Foto: Juergen & Christine Sohns
Überraschungsangriff:
Jo beim Sturz aus dem
Dschungeldach
Den Wildtieren helfen
Die «Wild Animal Rescue Foundation», kurz
WAR, wurde 1990 gegründet und hat es sich
zur Aufgabe gemacht, Wildtiere in Not zu
retten. Neben dem «Gibbon Rehabilitation
Project» auf Phuket kümmert sich die
Stiftung vor allem um Arbeitselefanten.
WAR wacht darüber, dass die Dickhäuter
artgerecht gehalten werden und illegal in
Städten gehaltene Tiere wieder in ländliche
Gebiete versetzt werden. Ausserdem betreibt
WAR eine mobile Tierklinik, die verletzte
oder erkrankte Wildtiere in ganz Thailand
medizinisch behandelt. Die notorisch finanzschwache Stiftung ist auf Spendengelder
angewiesen.
Kontakt: 235 Sukhumvit Soi 31, Bangkok
10110 Thailand, Telefon: 0066 2 662-0898
Telefax: 0066 2 261-9670
E-Mail: [email protected]
Homepage: www.war-thai.org,
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